Like Romeo & Juliet
Prolog
Der Tag, an dem ich starb, war ein ausgesprochen schöner Tag. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten. Fast ein zu schöner Tag, um sich umzubringen.
„Juliet!“, rief meine Mutter, den schreienden Keane im Arm. Genervt lief ich die Treppe hinunter. Genervt, weil man nie seine Ruhe hatte in dieser Familie. Sobald ich unten ankam, hörte mein kleiner Bruder Keane auf zu schreien. Er gluckste, bohrte seinen kleinen niedlichen Zeigefinger in meine Wange als ich ihn küsste, und schloss seine winzige Faust um meine Haarsträhne. Oh Gott, wie süß der Kleine war. Der Einzige, den ich wirklich vermissen würde, und er würde sich in ein paar Jahren kaum noch an mich erinnern…
„Juliet, Liebling, es tut mir ja Leid, aber ich muss gleich zur Arbeit. Kannst du Keane zum Opa bringen und einkaufen gehen? Danke Schatz.“ Sie drückte mir einen ihrer feuchten Küsse auf die Wange, einen Zwanziger in die Hand und Keane in den Arm. Dann ließ sie mich stehen.
Ich seufzte.
Wo ist dieser verdammte Käse? Ah, da vorne. Mh, jetzt brauch ich noch Brot - hol ich nachher beim Bäcker. Aber die Nudeln, die brauch ich doch noch! Ach da. Gut. Und eine Tafel Nussschokolade für mich. Jetzt zur Kasse. - Oh mein Gott, wer ist das denn? Der ist ja schnuckelig! Seine Haare! Und einen knackigen Hintern hat er, was' ein Kerl. Oh Gott, oh Gott, er dreht sich um! Shit - nicht hinsehen! Naja, oder doch mal gaanz kurz in seine Richtung schielen... Gott, er guckt mich an! Nur nicht rot werden, Juliet. Oh Gott, er kommt her! Was, was soll ich tun? Oh Juliet, du wirst doch rot… Vielleicht geht er in die Tiefkühlabteilung. Nein, er kommt immer näher... Oh Gott, oh Gott!
„Hey.“
Shit. Erstmal so tun, als hätt ich ihn nicht bemerkt. So tun, als wär ich damit beschäftigt, die verschiedenen Buttersorten zu vergleichen.
„Ähm. Hallo?“ Er lachte leise. Wunderschön, dieses Lachen, wie ein Engel.
Okay, langsam wird’s wohl peinlich.
Ich atmete durch, drehte mich zu ihm um und strich mir dabei noch einmal eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Oh hey, ‘Tschuldige“, sagte ich und blickte dabei in sein schönes Gesicht mit den braunen Augen und dem süßen Lächeln. Und sofort war es um mich geschehen. Und auch wenn ich diesen Jungen nicht kannte, ich war verliebt, und wie!
Er lachte wieder sein beinah stummes, glockenähnliches Lachen.
„Jack“, sagte er und hielt mir seine Hand hin.
Wow. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der so selbstverständlich auf fremde Menschen zuging und sich einfach mal so vorstellte. Und noch dazu jemand, der so umwerfend gut aussah. Ob er wusste, welche Wirkung sein Äußeres und sein Charme auf andere hatte? Möglicherweise schon. Vielleicht war er ja ein eingebildetes, selbstverliebtes Arschloch, das nur mal so aus Spaß an der Freude fremde, schüchterne und ganz und gar nicht von sich überzeugte Mädchen ansprach.
Nein. Das wollte ich nicht glauben. Typisch, ich glaubte immer zuerst an das Gute im Menschen. Aber ehrlich, so sah er nicht aus, mit seinen verwuschelten Nussschokoladefarbenen Haaren (ich steh voll auf Nussschokolade!), seinen unschuldigen und gleichzeitig frechen Kulleraugen und seinem unglaublichen Lächeln.
Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter und ich bekam Gänsehaut auf den Armen, aber es war nicht so, wie wenn ich mit meinen Freunden Gruselfilme anschaute und in der Nacht danach, immer wenn ich zum Klo lief, das Gefühl hatte, verfolgt zu werden. Nein. Es war eher ein schönes Gefühl, wie wenn die ersten Sonnenstrahlen im Frühling auf der Haut prickeln. Wie der Wind, wenn er durch die Bäume streift und die Haare ins Gesicht wehen. Und wenn ich an dieses atemberaubende Lachen dachte, oh Gott. Wie wenn dieser Wind sanft das Windspiel auf Opas Veranda zum Klingen bringt.
Ich nahm seine Hand, eigentlich nur kurz, aber sofort raste mein Herz und meine Gedanken spielten verrückt.
„Juliet“, sagte ich und strahlte ihn an. Er grinste. Oh Gott, Juliet, du darfst ihn doch nicht angrinsen wie ein Nilpferd oder so, dann verzieht er sich gleich wieder.
Ich versuchte also, mich etwas zusammenzureißen und nicht breit zu grinsen, als würde ich ihn gleich auffressen. Und, oh Wunder, er blieb. Die Tatsache, dass er mich angesprochen hatte, war zwar immer noch eigenartig und ein paar noch vernünftige Zellen in meinem Hirn sagten mir irgendwie, er verarscht mich, aber den Schmetterlingen in meinem Bauch war das schnurz-piep-egal.
Ich lächelte Jack also mit etwas weniger aufgerissenem Mund an und überlegte krampfhaft, was ich sagen könnte.
„Ähm, wir haben uns noch nie gesehen, so in der Schule oder so, oder?“, fragte ich ihn schüchtern, während ich meinen Einkaufswagen zur Kasse schob. Clever, Juliet, sehr clever. So finde ich gleich heraus, in welche Schule er geht.
„Ich denke mal nicht. So jemanden wie dich hätte ich doch bestimmt nicht übersehen, wenn wir uns schon mal irgendwo getroffen hätten“, sagte er, grinste und sah mir dabei tief in die Augen.
Oh Junge, dieser Kerl war ein Prachtstück. Aber Moment, ich meine, irgendwas kann doch nicht stimmen. Wieso interessiert sich so ein gutaussehender, netter, geheimnisvoller und wirklich toller Junge für mich? Verdammt, irgendwas stimmt doch da nicht. Für mich interessieren sich nun mal keine Jungs, vor allem keine, die jedes Mädel haben könnten. Und diese Augen, wow, die hauen einen um! Hey, was war das? War das gerade mein Herz? Irgendwas klopft doch hier. Oh Gott, ich glaube, es ist mein Herz! Hoffentlich bekommt er das nicht mit! Verdammt, hör auf wie wild zu schlagen, Herz! Moment mal…
Nein, doch nicht mein Herz. Es war die Kassiererin, die gelangweilt mit ihren wurstigen Fingern auf die Kasse klopfte und desinteressiert eine rosa Kaugummiblase aus ihrem Mund beförderte.
„War’s das dann?“, fragte sie, nachdem sie alles über die Kasse gezogen hatte. Ich nickte und stopfte alles schnell in meinen Rucksack. Jack sah mich aufmerksam dabei an. Ich bezahlte, verließ mit ihm an meiner Seite den Supermarkt. Als wir auf die Straße traten begegneten wir natürlich sofort der Tussi Gang aus meiner Schule - Vanessa, Addy, Chanty, Christy und ihrem Möchtegern-Atzen-Checker Jason. Sie liefen an uns vorbei, nicht ohne mich hochnäsig und ignorant anzusehen, als wären sie was Besseres (was sie ihrer Meinung ja auch sind) und Chanty warf Jack schmachtende Blicke zu. Sie streckte ihren Monstervorbau vor und stülpte ihre pink angemalten Lippen nach vorn, damit sie „Angelina Jolie“ - mäßig aussah. Dann senkte sie noch ihre Augenlider, um verführerisch auszusehen. Ich fand das einfach nur lachhaft und erbärmlich. Nicht sexy, sondern bitchig, um es jetzt mal so auszudrücken. Chanty drückte sich an uns vorbei, ihr Vorbau berührte gaaanz aus Versehen Jacks Arm. Ich betrachtete ihn aus den Augenwinkeln, wartete seine Reaktion ab. Doch ihn ließ es anscheinend völlig kalt. Er ignorierte die Gang und schlang seinen Arm um meine Hüfte. Chanty sah mich wütend an und ich wurde rot. Doch Jack lachte leise und zog mich an ihnen vorbei. Ich spürte die Blicke der anderen in meinem Rücken, sie durchbohrten mich beinah und ich bekam eine Gänsehaut.
„So. Hier wohnst du also? Hübsch“, sagte Jack, als wir vor meiner Haustür standen. Den Großteil des Weges waren wir stumm nebeneinander hergelaufen, ich fand es unheimlich süß, dass er darauf bestand, mich Heim zu bringen. „Ähm ja. Na dann. Also, ähm Tschüss.“ Ich wollte mich gerade umdrehen, da hielt er mich am Arm fest. Ich wurde rot. „‘Tschuldige“, sagte er und wurde auch ein kleines bisschen rot. „Ich, ich wollte nur wissen - kann ich dich morgen wiedersehen?“ Hoffnungsvoll sah er mir in die Augen. Mir wurde heiß und kalt. Das „Ja“
flüsterte ich beinah. Sein Lächeln erhellte kurz darauf die ganze Straße. „15 Uhr im Stadtpark am Spielplatz?“, fragte er. Ich nickte. Er hauchte ein „Bis morgen“
, drehte sich um und lief die Straße entlang, nicht ohne sich auf halbem Wege noch einmal umzudrehen und herzerreißend süß zu lächeln. Mein Herz sank in die Knie, als ich die Haustür hinter mir zuschlug. Wie in Trance stapfte ich die Treppe hinauf in mein Zimmer, schloss die Tür und ließ mich mit einem kleinen Glücksschrei auf’s Bett fallen. Wow, wow, wow.
Immer wieder, dieser eine Gedanke. Mein Herz vollführte Freudensprünge. Und ich dachte die ganze Zeit an dieses umwerfende Lächeln und diese Augen. Und mit Jack’s Gesicht in meinen Gedanken, schlief ich dann auch ein…
Ein Sonnenstrahl kitzelte mich an der Nase. Ich schlug die Augen auf. Ich gähnte und warf einen Blick auf den Wecker neben meinem Bett. Kurz vor Elf. Noch vier Stunden bis ich Jack sehen würde. Bei dem Gedanken an ihn schlug mein Herz höher. Oh man, Juliet, du bist verliebt! Hals über Kopf und bis über beide Ohren hatte es mich erwischt. Ich stand auf um die Stereo Anlage einzuschalten, kramte dann in meinem CD-Regal und zog schließlich ein Jack Johnson Album heraus. Ich legte die CD ein und drückte auf Play. Die ersten sanften Gitarrenklänge erreichten mein Ohr und sofort schaltete mein Gehirn auf Träumen um. Ich legte mich wieder ins Bett, ignorierte die Tatsache, dass ich in meinen gesamten Klamotten von gestern gepennt hatte, kuschelte mich in meine Decke, schloss die Augen und lauschte der Musik, bis ich wieder eingeschlafen war.
Als ich wieder aufwachte, war es halb Eins. Ich rieb mir den Sand aus den Augen und stapfte in die Küche. Ich machte mir eine Schüssel Cornflakes, setzte mich damit vor den Fernseher im Wohnzimmer und schaltete VIVA ein. Meine Mom hasste diese Samstage, an denen ich mittags aus dem Bett kroch und Cornflakes vor dem Fernseher aß. Das war mir aber rille, da sie eh fast immer den ganzen Samstag arbeiten war. Keane war bei meinen Großeltern, ich vermisste ihn ein bisschen. Zu gerne hätte ich jetzt mit ihm im Kinderzimmer gesessen und Lego gespielt. Oder wäre mit ihm auf den Spielplatz im Park gegangen. Apropos Park. Ich sah wieder auf die Uhr. Kurz nach Eins. Ich schaltete den Fernseher aus und ging ins Badezimmer. Nachdem ich geduscht und Haare gewaschen, Zähne geputzt und mich angezogen hatte, mich aufgebrezelt und dann vor Aufregung und Verzweiflung beinahe geheult hätte, war es endlich halb drei.
Ich sah das letzte Mal in den Spiegel, war natürlich unzufrieden, aber das war jetzt nicht mehr zu ändern. Ich verließ das Haus und ging mit klopfendem Herzen die Straße entlang. Auf einer Bank saß knutschend ein Pärchen. Ein Mädchen und ein Junge in meinem Alter kamen mir händchenhaltend und lachend entgegen gelaufen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein Paar vor der Haustür und küsste sich zum Abschied, bevor das Mädchen ins Haus ging. Oh man, was soll das den bitte? Ist heute Welt-Kuss Tag? Ist ja zum Kotzen, sowas.
Genervt drängelte ich mich an dem Händchenhaltendem Paar vorbei und lief weiter Richtung Park. Ich sah auf meine Uhr. Noch 10 Minuten und ich würde ihn wieder sehen. Jack. Bei dem Gedanken an ihn schmolz mein Herz dahin. Scheiße, Juliet, du bist verliebt! Verdammt nochmal!
Ich sah ihn schon vom Weiten. Er lehnte an der Schaukel, den Kopf gesenkt und in Gedanken versunken, und erst als ich nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, hob er seinen Kopf und lächelte. „Juliet“, flüsterte er. Dann zog er mich zu sich und schlang seine Arme um mich. Mein Herz klopfte wie verrückt, ich überlegte panisch, was ich tun sollte, aber da ließ er mich auch schon wieder los. Verlegen sah er mich an: „Tut mir Leid, wir kennen uns ja kaum… Aber ich wollte dich so gerne umarmen. Ich hoffe, das war okay für dich.“ Ich schluckte und nickte. „Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?“, fragte ich, froh, endlich mal den Mund aufbekommen zu haben. „Gern“, sagte er und grinste frech. Wir liefen nebeneinander her durch den Park, redeten und lachten, da spürte ich, wie seine Hand wie zufällig meine streifte, immer wieder. Ich sah ihn aus den Augenwinkeln an. Er erzählte mir gerade von seinem größten Wunsch, später einen alten VW-Bus zu kaufen, und nur mit seinem besten Freund Tim und seiner Gitarre durch Europa zu fahren. In diesem Moment streiften sich unsere Hände wieder wie aus Versehen, da nahm ich all meinen Mut zusammen, und ergriff seine Hand. Ich sah ihn wieder an. Er lächelte und erzählte weiter, als wäre nichts gewesen. Aber er ließ meine Hand nicht wieder los.
Die Sonne war schon fast untergegangen, als wir wieder bei mir zu Hause ankamen. Wir standen vor meiner Haustür, schweigend, und sahen uns einfach nur an. „Juliet“, sagte er sanft, „darf ich… darf ich dich küssen?“ Mein Herzschlag setzte für einige Sekunden aus, genauso wie mein Verstand. Mit meinem Unterbewusstsein nahm ich war, wie ich nickte. Sein Gesicht kam meinem immer näher. Ich schloss die Augen. Und dann, als seine Lippen meine berührten, war es wie ein Feuerwerk in meinem Inneren. Mein Herz explodierte, mein Bauch rebellierte, mein Kopf schwirrte, und ich fühlte mich so leicht und glücklich. Nicht aufhören, dachte ich nur noch, als seine Lippen nach einigen Minuten wieder von meinen abließen. Oder waren es Stunden gewesen? Ich wusste es nicht mehr. Ich öffnete die Augen und sah ihn an. Er lächelte und sagte: "Übrigens, heute ist Welt-Kuss Tag". Dann gab er mir einen Kuss auf die Wange, drehte sich um und ging. Der Glückstaumel ließ für eine Sekunde nach, ich rief ihm hinterher: „Warte! Jack. Wann sehen wir uns wieder?“
Er drehte sich um, lächelte und warf mir eine Kusshand zu. „Ich meld mich schon irgendwie“, sagte er grinsend. Ich tat so, als würde ich mit meiner Hand den Luftkuss auffangen und drückte ihn an mein Herz. „Okay“, flüsterte ich, aber er war schon weg.
Als ich am nächsten Morgen zum Briefkasten ging, fragte ich mich, wie sich Jack wohl melden würde. Ich sah sein süßes Grinsen vor mir und die Schmetterlinge in meinem Bauch machten Saltos. Ich öffnete den Briefkasten und mir kamen jede Menge Rechnungen, zwei Postkarten, ein Brief meiner Tante und eine Aldi-Werbung entgegen. Ich wollte den Briefkasten gerade wieder schließen, da sah ich noch einen kleinen zusammengefalteten Zettel. Ich nahm ihn erstaunt heraus. Vorn stand in einer schönen, verschlungen Schrift Juliet
. Mein Herz schlug höher. Ich öffnete mit zitternden Fingern den Brief, voller Neugier.
Juliet, meine Liebste,
stand da, ich sitze hier und schreibe diesen Brief an dich. Vor einer Stunde erst haben wir uns verabschiedet, aber ich vermisse dich jetzt schon. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber ich bin glücklich, sehr glücklich, und du bist der Grund dafür. Juliet, ich glaube, ich habe mich in dich verliebt. Es muss wohl Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, wie ich dich da im Supermarkt hab stehen sehen. Du warst so wunderschön, so süß, so liebenswert einfach. Ich möchte dich unbedingt wiedersehen! Vielleicht etwas unromantisch, aber ganz unten steht meine Handynummer ;) Schreib mir einfach, ob du Lust hast mich zu sehen und wann du Zeit hast :)
In Liebe. Jack.
Ich blickte auf. Eine Träne der Rührung rollte meine Wange hinunter, mein Blick war verschwommen, ich stand kurz vor einer Überflutung. Ich faltete den Brief wieder zusammen, nur um ihn kurz darauf wieder auseinander zu falten und ihn wieder zu lesen, immer und immer wieder.
Ich stürzte in mein Zimmer, kramte in allen Schubladen, suchte unter dem Bett, auf dem Schreibtisch, unter meinen Klamottenbergen, fluchte, rannte in die Küche und ins Wohnzimmer und fand es dann endlich unter einem Sofakissen. Erleichtert, mein Handy gefunden zu haben, lief ich wieder in mein Zimmer, tippte die Nummer auf Jack’s Brief ein und schrieb an ihn:
Hey Jack :) Ich hab gerade deinen Brief gelesen, ich war gerührt. Und ich glaube, ich habe mich auch in dich verliebt. Ich hätte heute Abend Zeit, wenn es dir nicht zu kurzfristig ist.
In Liebe, Juliet.
Ich las die SMS noch einmal, atmete tief durch und drückte dann auf Senden. Nervös wartete ich auf seine Antwort, drückte voller Aufregung ein Kissen an meine Brust, da vibrierte auch schon wieder mein Handy.
Klar habe ich Zeit :) Um 7 im Park, wieder am Spielplatz? Ich freue mich schon sehr :) Bis dann ;*
Jack
Voller Freude warf ich das zerknautschte Kissen gegen die Tür, vollführte singend und lachend einen kleinen Freudentanz und las sie dann noch einmal. Dann sah ich entsetzt auf die Uhr. Was? Noch solange? Ich überlegte, wie ich den Tag rumkriegen würde, am besten so wenig sinnvoll wie möglich. Dann entschied ich mich, mit meiner Bettdecke, einer Flasche Fanta, Cornflakes und ein paar Tafeln Schokolade bewaffnet ins Wohnzimmer zu gehen. Ich machte es mir auf dem Sofa gemütlich, zappte die Fernsehsender durch und guckte anschließend mehrere Stunden Sitcoms, Schnulzen-Serien und einen alten Western.
Ich war wohl vor dem Fernseher eingepennt, denn ein lautes Scheppern ließ mich aufschrecken. Scheiße, hatte ich etwas heruntergeschmissen? Oder war in der Küche etwas zu Bruch gegangen? Oh, naja, fast - im TV war so einem dicken blonden Mädel gerade ein Topf runtergefallen. Ich lachte leise. Dann sah ich auf die Uhr. Halb 6? Wow. Ich hatte den Tag wirklich so sinnlos wie möglich rumgekriegt, ohne die ganze Zeit auf die Uhr zu schauen und das Treffen mit Jack herbeizusehnen, wirklich, ich war stolz auf mich. Ich gähnte, streckte mich und schaltete den Fernseher aus, dann tappte ich ins Badezimmer und duschte ausgiebig. Juliet, wie lange ist es her, dass du das letzte Mal so glücklich warst, dass du unter der Dusche „Wouldn’t it be nice“ von den Beach Boys gesungen hast,
fragte ich mich unglaubwürdig. Dann lächelte ich und sang unglaublich laut und unglaublich falsch weiter.
Er stand schon wieder an die Schaukel gelehnt da, den Kopf gesenkt, aber ich sah auf seinen Lippen den Anflug eines Lächelns. Ich grinste und ging auf ihn zu. Er sah mich und nahm mich in den Arm. „Juliet“, flüsterte er in mein Ohr. Dann küsste er mich. Mein Herz schlug wie verrückt, mir wurde heiß und kalt, seine Lippen waren so sanft, sie schmeckten nach Schokoladeneis. Unsere Zähne berührten sich, als ich meinem Mund ein Stück öffnete, und dann fühlte ich seine Zunge. Sie war warm, und es war ein schönes Gefühl. Wir küssten uns unendlich lange und es war so atemberaubend, ihn zu berühren, ihn zu schmecken, alles. Als unsere Lippen wieder voneinander abließen, sah er mir liebevoll in die Augen. Er gab mir einen kurzen Kuss und sagte dann: „Juliet, ich liebe dich. Ich liebe dich von ganzem Herzen, über alles.“ Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding, ich hatte das Gefühl, jeden Moment umzukippen. „Jack. Ich habe noch nie so für jemanden empfunden. Ich, ich liebe dich auch.“ Und mit diesen Worten küsste ich ihn…
Ich lachte, als er meine Hand nahm und über eine Pfütze sprang. Wasser spritzte an meinen Beinen hoch, ich war durchnässt bis auf die Unterwäsche. Plötzlich zog er mich an sich, drückte seinen Mund auf meinen und küsste mich. Als er mich wieder losließ, grinste ich und setzte meine Kapuze auf, obwohl das nicht mehr viel brachte. Meine Haare waren nass, von meiner Nasenspitze tropfte der Regen, und auch an meinen Wangen lief das Wasser herunter. Aber es war trotzdem wunderschön. Weil ich mit Jack zusammen war. Wir hüpften wie kleine Kinder im Regen herum, und auch mein Herz hüpfte jedes Mal aufs Neue, wenn er mich anlächelte.
Hand in Hand gingen wir durch die Stadt, an uns vorbei eilten Regenschirm-Menschen, den Kopf gesenkt, niemand sah auf. Ich sah nach oben, Regentropfen benetzten meine Augen, ich blinzelte. Eine alte Dame mit Regenschirm und Dackel zwängte sich meckernd an mir vorbei. Ich sah ihr kopfschüttelnd hinterher. Vor mir klatschten Tropfen auf den Fußweg. Meine Schuhe waren durchnässt, meine Füße eiskalt. Es goss weiter wie aus Kübeln, der Regen prasselte auf uns nieder. Aber ich fand es schön, denn ich lief Hand in Hand mit dem schönsten Jungen der Welt, der mich liebevoll anlächelte, wenn ich ihn ansah.
„Du, Juliet, ich werde dich heiraten, irgendwann“, flüsterte Jack und legte seine Hände auf meine. Wir saßen im Café, noch immer durchnässt bis auf die Knochen, und draußen goss es immer noch wie aus Kübeln. Die Kellnerin stellte einen Cappuccino vor Jack auf den Tisch und lächelte ihn dabei unverschämt freundlich an. Mir allerdings schenkte sie einen abschätzigen Blick und stellte die heiße Schokolade mit einem Knall vor mich. Ich strahlte sie an und bedankte mich und lachte innerlich als sie sich ärgerlich umdrehte und davon stolzierte. Jack lachte. Ich sah ihm tief in die Augen und sagte: „Jack, weißt du wie dich alle Frauen ansehen? Wieso ich? Du kannst sie doch alle haben?“ Jack atmete tief durch und sah mich durchdringend an: „Juliet, lass den Quatsch. Ich habe nie jemanden wie dich getroffen. Du bist unglaublich, du bist – wow. Ich weiß nicht wie ich dir klar machen kann, dass ich dich mehr als alles andere liebe. Wir sind jung, wir lieben uns. Und diese Liebe kann ewig halten, wenn wir nur wollen. Juliet, du bist zu meinem einzigen Lebensinhalt geworden, du bist der Grund, wieso ich morgens noch aufstehe und wieso ich abends stundenlang nicht einschlafen kann, obwohl ich doch so gern einschlafen und von dir träumen möchte. Ich denke immerzu an dich. Ich liebe dich, Juliet.“ Ich sah ihn an, hatte Tränen in den Augen. Ich brachte nur ein leises „Ich liebe dich auch!“
über die Lippen, dann musste ich schlucken. Hätte ich auch nur noch ein Wort gesagt, ich wäre wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen.
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2010
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