Einige Zeit war ich schon gelaufen, Puderzuckersand und leise Geräusche der Wellen zu meinen Füßen und laut rauschende Brandungswellen, draußen vor dem Riff, ein Bilderbuchhimmel über mir, blau mit weißen runden Wolken, ein leichter Wind in meinen Haaren, menschenleerer Strand, nur die Geräusche der Natur, wie ich sie so sehr mag.
Szenewechsel: In der nächsten Bucht waren drei Auto angekommen mit jungen Leuten, wild wurde durcheinander gesprochen und gelacht, eine Flasche Rum machte die Runde. Offenbar reiche junge Leute, einen Mercedes-Jeep fahren auf Samana nicht die Armen. Ein Quad hatten sie gemietet, fuhren lachend an mir vorbei, die erste Runde noch langsam, die zweite Runde schon übermütiger und mit einem jungen Mädchen vorne drauf, laut schreiend und lachend. Die dritte Runde Vollgas durch das Wasser, hoch spritzten die Wellen.
Dann – es waren Sekunden – verlor das Fahrzeug seinen Halt, die Räder drehten durch, sackten ab und kippten um, das Fahrzeug überschlug sich. Die beiden jungen Leute wurden begraben in Sand und Wasser unter dem Quad.
Ich fing an zu laufen.
Noch bevor ich dort war, konnte der Junge aufstehen und hievte das Fahrzeug hoch und stellte es wieder auf die Räder. Das Mädchen stützte sich auf und fiel nach vorne mit dem Gesicht ins Wasser.
Ich kniete mich, hob sie aus dem Sand - sie war bewegungsunfähig, steif standen ihre Arme und Beine vom Körper ab (vielleicht der Schock, vielleicht viel Schlimmeres) - lehnte sie an meine Schulter und versucht mit meinem T-Shirt ihr den Sand und das Wasser aus ihren Gesicht zu wischen, ein Kind 15 vielleicht 16, dünn und schmal, ausgestopfter Bikini, aufgemotzt zur Erwachsenen.
Sie verlor ständig das Bewusstsein, verdrehte die Augen, stammelte auf Spanisch „Mama, Mama, mia bru.…. „, ihre Lippe blutete.
Inzwischen waren noch zwei Männer eingetroffen. Das Quad wurde gewendet, sie hoben das Mädchen auf und versuchten sie auf das Quad zu setzen, ihre Arme und Beine standen steif, wie im Krampf ab, sie mussten geführt werden. Sie konnte sich nicht festhalten. Ich sagte noch auf Deutsch „sie kann sich nicht halten, irgendwer muss mitfahren“. Sie setzten sich rechts und links hinter sie und fuhren davon. Ein anderer meinte noch „rapido, rapido“, ja, „schnell, schnell“ aber sicherlich nicht schnell genug.
Auf der Insel gibt es nur im Ort einen Arzt, kein Krankenhaus.
Irgendwie passte das aufziehende Gewitter zu meiner Stimmung. Mir ging das Kind nicht mehr aus dem Kopf. Ich sah ständig diesen dünnen steifen Arm mit dem Muschelarmband vor meinen Augen.
Tag der Veröffentlichung: 06.01.2010
Alle Rechte vorbehalten