1.
„17.12.2011“ steht in meinem Mathe Heft. Das ist allerdings auch das einzige.
Heute ist Freitag, der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien und die gesamte 11. Klasse des Reich-Gymnasiums wartet sehnsüchtig auf die Klingel, die den Start in die Ferien einläutet.
Leider scheint unser Mathelehrer das nicht so zu sehen. Er ist immer noch fröhlich dabei eine lange Formel an die Tafel zu kritzeln und zieht damit alles in die Länge. Ich seufze und sehe zu meiner Tischnachbarin Hanna, die auch gleichzeitig meine beste Freundin ist. „3 Minuten noch Tori“, murmelt sie und sieht mich mit hellblauen Augen fröhlich an. Ihre lange, blonde Mähne fällt ihr dabei ins Gesicht. Meine Haare sind zwar auch lang, aber feuerrot. Meine Augen sind auch nicht so wunderschön blau sondern grau-grün und langweilig. Meine ich zumindest.
„Hanna. Catori. Die Stunde ist noch nicht vorbei. Ich erbitte Ruhe, “ motzt unser Lehrer und zieht seine Fingernägel so über die Tafel, dass es entsetzlich quietscht. Ich zucke zusammen und sehe nach vorn. Hanna verzieht das Gesicht und fängt an mit den Zähnen zu knirschen.
„Hanna, lass das!“ zische ich und bekomme eine leichte Gänsehaut. Sie weiß ganz genau, dass mich das ärgert. „Ach Tori, “ lacht sie, nimmt meinen Block und fängt an darauf herum zu kritzeln.
Ich schaue sie verständnislos an und schiebe mir mit einer Hand meinen roten Pony aus den Augen. „Schau mal Hanna, du hast deinen eigenen Block genau vor dir. Warum nimmst du meinen?“
Ich ziehe ihr den Block unter den Händen weg und sie bestraft mich mit einem langen schwarzen Strich auf dem Papier. „Das hast du jetzt davon“, grinst sie und kramt in ihrer Tasche nach ihrem Handy. „Was machst du heute so?“ fragt sie und schiebt das Handy schnell zurück in die Tasche, da der Lehrer gerade auf uns zu kommt. „Hört mal meine Damen. Ich weiß ja es ist Freitag und ihr sehnt euch alle nach den Ferien aber noch habt ihr Unterricht und seid dazu verpflichtet mitzumachen und nicht zu stören. Also, würden die Damen mal endlich die Klappe halten?“ Auf seiner Stirn kommen mal wieder die Adern der Wut zum Vorschein und seine Augen flitzen zwischen Hanna und mir hin und her. Wir nicken eifrig und schauen gebannt ins Mathe Buch, so als würde es nichts anderes geben als Mathematik. Herr Seifert zieht sich wieder an seine Tafel zurück und fährt vor.
Ich unterdrücke ein Kichern und merke, dass es Hanna genau so geht. „ Ich helfe meiner Mum nachher beim Kochen von Fabi’s Lieblingsgericht und heute Abend ist bei uns große Familienfeier, wieso?“ Fabi, beziehungsweise Fabian, ist mein 18-Jähriger Bruder, wobei er heute 18 geworden ist. Deshalb zieht meine Mutter alle Register, um ihn glücklich zu machen. „Ach nur so…“ murmelt Hanna und grinst verschlagen. Ich weiß, dass sie heimlich auf Fabi steht, auch wenn sie es nicht zugeben will. Nur hat er bereits eine Freundin und Helena sieht aus wie ein Top-Model.
Sie ist groß, lange schwarze Locken, große grüne Augen, eine volle Oberweite und einen Charakter wie ein kuscheliger Teddy. Ich mag Helena sehr und meine Eltern auch. „ Komm schon. Du willst doch nur fragen, ob du zu mir kannst um Fabian anzuhimmeln, “ stelle ich fest und knuffe sie leicht in die Seite, “ aber das wird nix. Meine ganze Familie kommt und diesem Zustand möchte ich dich nicht aussetzen.“ Ich lache, Hanna grinst und die erlösende Schulglocke klingelt das letzte Mal vor Weihnachten.
Ein klingeln lässt mich von meiner Paprika aufsehen. Mama schnibbelt irgendein undefinierbares Gemüse und mir wurde das Paprika schneiden angehängt. „Gehst du ran Tori?“ Ich mache einen zustimmenden Laut, trockne mir die Hände ab und laufe zum Telefon. Langsam nehme ich den Hörer ab: „ Catori Summer?“ „Cata! Hier ist Fabian, “ höre ich eine männliche Stimme und kann quasi hören wie er grinst. „Fabi!“ lache ich und wundere mich wieder mal über unser gutes Verhältnis.
Viele Geschwister liegen sich immer in den Haaren, aber Fabian und ich nicht. Wir waren schon immer unzertrennlich. „Warum rufst du an?“ „Ich wollte nur Bescheid geben, dass wir im Stau stecken. Wir kommen ein wenig später.“ Auf welcher Autobahn steckt er wohl fest? So viele Möglichkeiten gibt’s hier nicht. Immerhin besitzen wir ein großes Holzhaus mitten auf dem Land nahe Vancouver, Kanada. „Ach das ist nicht schlimm. Mum ist sowieso noch dabei das Essen zu machen. Und ich bin dabei keine sonderlich große Hilfe, “ grinse ich und schaue kurz zu meiner Mutter in die Küche. Sie hetzt vom Kühlschrank zum Herd und wieder zurück und versucht Salat und Braten gleichzeitig zu machen. „Na dann ist ja ok. Helena und ich freuen uns schon endlich mal wieder die ganze verrückte Familie wieder zusehen.“ „Achja? Naja ob das so erfreulich ist, bezweifle ich allerdings stark, “ gebe ich resigniert zurück und fahre mir mit meinen Fingern durch die Haare.
„Es wird schon lustig werden. Und nachher, wenn alle im Bett sind, sitzen wir noch draußen am Lagerfeuer. Versprochen.“ Ich lächle und fange an glücklich auf und ab zu wippen. „Au ja. Aber versprochen ist versprochen.“ „Natürlich. Ich schwöre. Naja, hier geht es jetzt auch weiter.
Gib Mum einen Kuss von mir. Hab euch lieb.“ Aufgelegt. Na, der muss es aber eilig gehabt haben. Ich zucke mit den Schultern und schlurfe zurück in die Küche. „Fabi steht, oder stand, im Stau und komm später“, sage ich und geselle mich wieder zu meinen roten Freunden.
„Wenn du fertig bist, Catori, dann kannst du mit den Pilzen weiter machen. Oder du wäscht den Salat, oder du schälst die Kartoffeln…“ „-oder ich mache gleich alles?“ Sie lächelt erleichtert und widmet sich wieder dem Braten. Längere Zeit schweigen wir uns an, bis es mir zu still wird.
Ich hasse es, wenn man sich anschweigt. Also versuche ich irgendwie ein Gespräch anzufangen.
„ Wie kamst du eigentlich auf den Namen Catori, Mum?“ Um ehrlich zu sein, hat mich diese Frage schon immer interessiert. Aber gestellt hab ich sie noch nie, glaub ich. „Das hast du doch schon tausendmal gefragt.“ Ups, anscheinend habe ich sie doch schon öfters gestellt. Naja, schaden kann’s ja nicht. „Ach echt?“ meine ich gespielt unschuldig und konzentriere mich auf eine widerspenstige Paprika. „Deine Urgroßmutter war Indianischer Abstammung. Und da sie kurz vor deiner Geburt verstorben ist, haben wir dir, ihr zu Ehren, einen Indianischen Namen gegeben, “ erklärt sie und starrt das Lämpchen vom Backofen fordernd an. „Und wieso Catori?“ will ich wissen und schaue ebenfalls auf das leuchtende Lämpchen. „Weil Catori bedeutet Geist und das finde ich sehr schön. Oder hätte ich dich Wuti nennen sollen?“ Ich blicke sie erschrocken an und schüttele den Kopf.
„Nein Catori ist super. Was für ein schöner Name, “ grinse ich und zeige auf das Lämpchen was endlich erloschen ist. „Wurde auch mal Zeit,“ murmelt meine Mutter und schiebt den Braten in den vorgeheizten Ofen.
Das Feuer prasselt und die Grillen zirpen ihr Nachtkonzert. Fabian und ich sitzen draußen auf der Wiese und sehen gebannt ins Feuer. Von drinnen hören wir noch ein wenig Gejohle und das klirren von Geschirr. Von der Veranda erreicht uns ein leises Schnarchen. Onkel Micha ist auf einer Bank eingeschlafen und lässt uns an seinem tollen Konzert teilhaben. „Das habe ich vermisst, Tori. Mit dir hier draußen am Feuer zu sitzen. In Amerika ist das nicht so möglich wie hier.“ Ich nicke und lehne mich an seine Schulter. Er war auf einer Rundreise mit Helena in Amerika unterwegs und möchte jetzt hier ein paar Wochen verbringen, bevor er und Helena sich eine Wohnung in der Stadt suchen. „Ich habe es vermisst, jemanden zum Reden zu haben“, sage ich und wuschel ihm leicht durch sein braunes, längeres Haar. Als Rache wuschelt er mir ebenfalls durch meine Haare, nur dass es bei mir weitaus schlimmer aussieht. „Ich liebe deine roten Haare, „grinst er und legt seinen Arm um mich. „Frag doch Helena, ob sie sich die Haare rot färbt.“ Ich lache und stelle mir Helena mit roten Haaren vor. „Nein. Ihre schwarzen Haare liebe ich auch. Aber du bist meine kleine feurige Schwester.“ Ich sehe ihn empört an. „Na hör mal, ich bin immerhin schon 16 und werde in 3 Monaten 17.“ Fabian lacht und drückt mich kurz. „Genießen wir einfach den kurzen Moment bevor Micha wieder aufwacht.“ Wir lachen leise und werfen noch einen Holzscheit ins Feuer.
2.
Klirrend fällt die Tasse zu Boden und zerschellt in tausend Teile. „So ein Mist!“ fluche ich und beiße mir vor Wut auf die Unterlippe. Helena sieht mich mitleidig an und holt einen Handfeger aus einer Schublade. „Hier. Ich helf dir.“ Sie drückt mir den Handfeger in die Hand und greift dann selbst zum Besen. Mit geübten Schwüngen kehrt sie die Scherben zusammen, sodass ich sie ganz leicht auf die Schippe fegen kann. „Adieu , Tasse. Mögest du in Frieden ruhen, “ grinse ich und versenke die Scherben im Mülleimer. „Das wird eh keiner merken. Gestern Abend ist so viel kaputt gegangen, “ lächelt Helena und zeigt eine reihe weißer Zähnen. Ich muss anfangen zu lachen. Helena verbreitet einfach immer gute Laune. Noch liegt unser Haus im Tiefschlaf. Meine 13 Verwandten liegen in ihren Gästezimmern und schlafen den gestrigen Rausch aus. Nur Helena und ich sind früh aufgewacht und eine Regelung in diesem Haus lautet, wer zuerst wach ist, ist mit aufräumen dran. Bescheuert, ich weiß. Ich seufze und lasse fast wieder eine Tasse fallen, als Nayeli durch meine Beine wuselt. Helena sieht mich erschrocken an und nimmt mir das Geschirr aus der Hand. „Wie wär’s wenn du die Tischdecken draußen ausschlägst. Sonst habt ihr nachher keine einzige Tasse mehr im Schrank, “ grinst sie und trocknet die Tasse weiter für mich ab. Nayeli ist unsere Australien Shepherd Hündin und hat das häufige Blue-Merle Fell. Ich streiche ihr leicht über den Kopf und schicke sie durch die geöffnete Tür nach draußen. Eifrig rennt sie durch den Schnee, der über Nacht gefallen ist. Ich gehe zurück zu den Tischen, falte die Decken und trage sie vorsichtig nach draußen. Dort lege ich sie auf die Holzbank, auf der Onkel Micha gestern noch ein Schläfchen gehalten hat und nehme die erste Decke in die Hand. Über den Zaun der Veranda schlage ich sie ordentlich aus und schaue mir die Krümel, die sich auf dem Schnee gesammelt haben, prüfend an. ‘Wie kann man an einem Abend nur so viel Dreck machen? ‘frage ich mich und schüttel die anderen Tischdecken ebenfalls aus. Ordentlich gefaltet trage ich sie wieder rein und lege sie auf einen Stuhl. Helena stellt gerade die nächste Spülmaschine an und lehnt sich seufzend gegen die Arbeitsplatte. „Also wirklich Tori. Eure Familie macht so viel Dreck. Ich weiß nicht wie deine Mutter das ständig aushält.“ Ich grinse. „Naja, sie ist ja darin aufgewachsen. Sie muss es ja können.“ Ich binde mir meine rote Mähne zu einem Pferdeschwanz zusammen und puste mir den Pony aus den Augen. Dann fische ich den Lappen aus dem Spülwasser, wringe ihn aus und schlurfe zurück zu den Tischen. In großen Zügen wische ich jeden einmal ab und lege schließlich neue weiße Tischtücher darauf. Plötzlich ertönt ein poltern vom Treppenhaus her. Kurz darauf biegt Fabian in die Küche, die zum Wohnzimmer hin offen ist, und umarmt Helena von hinten. Sie dreht sich um und küsst ihn zärtlich auf den Mund. Ich räuspere mich übertrieben laut. „Hallo? Hier sind Minderjährige anwesend, “ kicher ich und werfe Fabi den Lappen an den Kopf. „Besteht da etwa einer auf ein Bad im Schnee?“ fragt er ernst und kommt langsam auf mich zu. „Das wagst du nicht!“ rufe ich empört und funkel ihn herausfordernd an. Kurz vor mir bleibt er stehen und grinst mich schelmisch an. „Da hast du allerdings Recht.“ Ich schubse ihn leicht von mir weg und zeige auf die leere Tische. „Wenn du schon mal hier bist, kannst du uns auch gleich helfen. Los, bevor die ganze Bagage kommt muss der Frühstückstisch gedeckt sein, “ befehle ich und lächel ihn gut gelaunt an. „Jawohl, Miss Tori, “ gähnt er und streckt sich. Dann stolpert er in die Küche und zerrt klimpernd ein paar Teller aus dem Schrank. Ich gehe zur Kaffee Maschine und stelle sie an. Im Oberen Geschoss des Hauses regt sich so langsam etwas. Schritte schlurfen ins Bad, Bette quietschen und Schranktüren knallen. Nun ist es vorbei mit der Ruhe.
Texte: Cover bearbeitet mit Gimp, Grundlage von http://grafik51.eu/freie_arbeiten.htm
Tag der Veröffentlichung: 08.05.2011
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