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1. Kapitel

Das Wasser war ruhig. Nur ab und zu kräuselte sich die Oberfläche durch einen Windhauch. Der Bootsteg unter mir war feucht und ich spürte, wie meine Hose langsam nass wurde. Ich zog meine Regenjacke aus, die ich drüber hatte und setzte mich darauf.
Ein Fisch im Wasser tauchte immer wieder auf und ab. Jedes Mal machte es kurz 'plobb'.
Ein etwas heftigerer Windstoß kam und das Wasser schlug leichte Wellen.
Die frischen, feuchten, hellgrünen Blätter bewegten sich im Wind. Bald würde es endlich wärmer werden. Frühling. War es ja eigentlich schon, vom Kalender her zumindest.
Ich öffnete meinen Rucksack und holte mein Spanischbuch heraus, blätterte es von hinten auf und las mir tatsächlich die Vokabeln durch. Warum eigentlich. Naja, dann musste ich es zu Hause nicht mehr tun. Morgen war der Vokabeltest, gleich in der ersten Stunde.
Plötzlich bildete sich ein veschwommener Kreis über den Wörtern 'votar en blanco' und ich sah nach oben. Es fing an zu regnen und ich steckte das Buch in meinen Rucksack zurück und zog meine Regenjacke wieder an.
Blieb aber sitzen. Denn ich wollte nicht nach Hause, noch nicht jetzt.
Die Regentropfen versanken genauso im See, wie der Fisch vorhin.

„Alles okay mit dir?“
Erschrocken drehte ich mich um. Am Ende des Bootsstegs, am Seeufer, stand eine völlig in Regensachen eingepackte Frau und sah mich an.
Ich nickte kurz und drehte mich wieder um.
Gar nichts war okay. Zumindest bei mir nicht. Wenn bei ihr alles toll ist, schön. Aber dann soll sie mich mit ihrer gespielten 'Besorgnis' in Ruhe lassen.
Jetzt war sie gegangen. Gut. Die Frage war also doch nicht ernst gemeint gewesen. Wusste ich doch.

Nach einiger Zeit wurde es mir dann doch zu nass und ich balancierte über den übrig gebliebenden, mittleren Holzbalken des kaputten Bootstegs ans Ufer zurück, schloss mein Fahrrad auf, warum auch immer ich es überhaupt abgeschlossen hatte und fuhr zurück zu meinem Vater.
Leise schloss ich die Tür auf, wollte nur schnell in mein Zimmer. Tür zu und Musik an.
Aber da kam er aus der Küche, meinte nur, ob ich verrückt sei einfach wegzugehen.
Darf ich das denn nicht? Mal das machen, was ich gerade möchte – ohne zu fragen.
Anscheinend nein...
Wäre alles gut gewesen, wäre es wahrscheinlich okay gewesen. Aber so passt es ihm nicht.
Ich sah ihn an, drehte mich um und ging wieder.
Nach einer Viertelstunde kam ich völlig durchnässt bei meiner Mutter an.
Hier war es schön, gemütlich.
Meine Mutter kam gerade aus dem Wohnzimmer.
„Was machst du denn hier??“, fragte sie erschrocken.
„Ich wohn hier.“, antwortete ich nur,“Wieso?“
„Was soll denn die Antwort jetzt. Warum bist du nicht bei deinem Vater?“
„Weil ich jetzt hier bin.“
Sie schaute mich an. „Ist irgendwas los?
Nouela kam die Treppe runter. „Hi.“
Ich antwortete „Nein“ und wollte die Treppe hoch in mein Zimmer, aber Nouela stand immer noch da. „Lass mich mal durch.“
„Nööö.“ „Doch. Geh da weg.“
„Nö. Du hast schlechte Laune.. Dann darfst du da nicht durch.“
„Was soll das? Lass mich da jetzt durch!“
„Lass sie doch mal.“, rief meine Mutter von unten.
„Warum soll ich sie lassen?? Sie lässt mich doch nicht! Ich mach doch gar nichts!“
„Red nicht so mit ihr!“
„Wenn sie mich da nicht durchlässt, red ich so mit ihr.“
„Das ist kein Grund.“
„Doch ist es und jetzt lasst mich in Ruhe.“
„Red nicht so mit mir! Und geh in dein Zimmer, ich will dich heute Abend hier unten nicht mehr sehn. Sobald du da bist gibt es nur Streit.“
„Ach ja, bin ich wieder Schuld? Ich wollte doch in mein Zimmer, ich konnte nur nicht weil Nouela mich nicht durchgelassen hat.“
„Geh jetzt. Und komm heute Abend nicht mehr runter. Ich hab jetzt schon genug von dir.“
„Kannst mir ja ein Stück von mir abgeben..“
Dieser Satz war sinnlos, aber ich wollte einfach etwas sagen.
Ich ging hoch. Warum schon wieder? Ich bekam es einfach nicht mehr hin, normal mit ihnen zu reden. Immer kam so etwas dabei heraus. Das wollte ich doch gar nicht. Und trotzdem ist es seit Wochen so.

Ich fing an meinen MP3 Player zu suchen, den ich irgendwo hingelegt hatte, denn mein CD Player funktionierte seit ein paar Monaten nicht mehr.
Da lag er. Auf der Fensterbank.
Ich sang den Text mit, aber es war eher ein Flüstern was aus mir herauskam.
Naja den Ganzen konnte ich auch noch nicht auswendig..

Und ich hoffe und ich lache und ich laufe und ich lebe
Ich hoffe und ich lache und ich laufe und bin frei!

...Die heimliche Flucht war die einzige Wahl.

Ich bin frei - von den Schatten dieser Welt
Endlich frei - von der Fessel die mich hält
und ich spühr die große Kraft,
wenn der neue Tag erwacht

Nun leb ich als Schatten, als Laufthauch im Nichts.
Mein Heim sind die Wälder fernab jeden Lichts
So ziehe ich weiter, einsam Tag für Tag,
zu sehen was das Schicksal mir bringen mag

Und ich hoffe und ich lache und ich laufe und ich lebe
Ich hoffe und ich lache und ich laufe und bin frei...

So laufe ich weiter, lauf ich so schnell wie der Wind,
bis Frieden ich find
Und so lauf ich weiter, suche ich nach jenem Ort,
wo ich verweil
(Frei ~ Schandmaul)


Frei sein. Das möchte ich auch. Ich will nicht immer nichts dürfen. Ich möchte das machen was ich will.

In der Schule sagen die immer, dass ich zu still bin. Aber wozu sollte ich etwas sagen? Mit wem sollte ich reden? Und über was?
Ja, ich bin in der Schule still. Aber so bin ich eigentlich nicht.
Ich habe einfach keine Lust mit solchen Tussen zu reden. Über was schon.

Nein, ich mache keinen Tanzkurs.
Nein, deshalb war ich auch nicht auf dem „Abtanzball“.

Nein, ich fühl mich nicht zu fett.
Und nein, deshalb mache ich auch keine Diät.
Nein, ich bin auch nicht extrem dünn. Muss man das? Ich mag das nicht.

Nein, ich höre nicht die Charts.

Nein, ich finde Mainstream Mode lächerlich.

Und ja, ich finde deine Gesprächsthemen sehr langweilig.

Nein, ich habe nicht auf der Party am 30.4. durchgemacht. Ich war beim 'Rock gegen Rechts' Konzert und am Tag danach auf der 1. Mai Demo.
Was das ist?? Schon mal was von Kapitalismus gehört?

Und nein, ich mag keinen Sekt. Nachgeschmack ist mir zu bitter. Jetzt fühlst du dich cool weil du Sekt getrunken hast.
Hast du schon mal Cola mit Wodka probiert? Das schmeckt gut.



2.Kapitel

Mein Wecker klingelte, es war 6 Uhr. Langsam schob ich die Bettdecke beiseite. Ich machte mich fertig und ging in die Küche zum Frühstücken. Es war schon ziemlich spät, meine Mutter hatte wahrscheinlich verschlafen, deshalb klopfte ich kurz an ihre Zimmertür. Als niemand antwortete, machte ich die Tür auf. „Aufstehn, es ist schon spät. Du hast verschlafen.“
Ärgerlich drehte sie sich um. „Lass mich schlafen, ich hab frei. Geh raus und lass mich in Ruhe.“
Konnte ich ja nicht wissen, hätte sie mir sagen können.
Aber was war mit Nouela, die hatte doch Schule. Aber ich konnte da jetzt nicht nochmal rein ..oder ich wollte nicht. Kommt das gleiche bei raus.
Ich weckte Nouela vorsichtig und erklärte ihr, dass sie sich heute allein fertig machen müsse. Widerwillig stand sie auf, ging aber dann freiwillig ins Bad und zog sich an.
Sie war nicht nachtragend. Wenn es wieder gut war, war es für sie in Ordnung. Ich machte uns beiden Frühstück und schmierte ihr ein Brot für die Schule.
Dann fuhren wir gemeinsam los, was wir sonst nie machten.
Auch wenn sie schon 9 Jahre alt war, fand sie das immer noch gut. Bei Mama ist es ihr peinlich.
Vor der Schule nahm ich sie in den Arm. „Du, ich werd die nächsten Tage nicht da sein, vielleicht auch ein bisschen länger.“
„Wo bist du denn?“
„Das weiß ich noch nicht genau. Geh mal schnell in die Klasse, sonst kommst du noch zu spät.“
Verwirrt schaute sie mich an. „Tschüs!“ Drehte sich dann aber um und rannte durch das große Schultor.
Ich schob mein Fahrrad zurück nach Hause und schloss leise die Haustür wieder auf.
Mein Rucksack lag unter dem Schreibtisch. ..Geld.. ..meinen Pali, falls es kalt wird.. ..meinen großen, warmen Kapuzenpulli..
Die Dreiviertelhose zog ich wieder aus und stattdessen meine Jeans an, die schwarze Strumpfhose behielt ich drunter. Der Stoff an den Knien war schon ziemlich dünn und hing teilweise nur noch an den weißen 'Grundfäden' zusammen. Außerdem waren die Säume hinten schon ganz abgelaufen, weil mir die Hose zu lang war. Sie war etwas weiter und locker, aber das mochte ich an ihr.

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Tag der Veröffentlichung: 16.07.2011

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