Es war genauso, wie ich es mir ausgemalt hatte, als ich in meiner Wohnung darüber nachdachte. Von vorne sieht unser schäbiges Hochhaus ebenso trostlos und verlassen aus, wie die Umgebung aus den Fenstern. Die alten, teils abgestorbenen Eichen gaben dem Grauton der Fassade einen noch stärkernen, biederen Farbschimmer. Neben dem Eingang standen die Container und ein paar Mülleimer, die Briefkästen waren reihenweise aufgehängt und überhaupt war das Haus eine reine Massenabfertigung. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wieso ein reiches, studierendes Mädchen hier einziehen konnte. Sie war 21 Jahre jung, bildhübsch und war wild entschlossen ihr eigenes Leben zu leben. Sie machte nicht den Eindruck von Protz oder Überheblichkeit, sie war auf dem Boden geblieben und hatte sich innerhalb weniger Tage in unserem Hochhaus eingenistet, hatte ein paar kleine Kontakte geknüpft, allerdings bislang nicht mit mir. Sie war so jung und unberührt, so fröhlich, wenn ich sie mal vor die Linse bekam und immer freundlich und das zu jedem. Ich war hier nur der Hausmeister und anfangs ging sie an mir wortlos vorbei, doch das änderte sich schnell. Gut, ich war fast an die 70 und meine schrumpelige Haut törnte wohl niemanden mehr an, aber so ein junges Ding würde man gerne nehmen, wenn es an einem interessiert ist. Und sie war interessiert, das merkte ich sehr bald. Wie sie sich jeden Abend für mich auszog und vor mir schamlos herumtänzelte, das machte selbst einen alten Knacker wieder fit. Es war ein schöner Anblick und jeden Abend, wenn sie die Wohnung betrat und mir die frische Sommerluft entgegengeströmt kam, tat sie es wieder und wieder. Den besonderen Reiz gab sie mir bei ihrer Ankunft abends. Sie ignorierte mich, als sie an mir vorbeiging, tat so, als wäre nie etwas gewesen, dabei gab sie sich jeden Abend ganz schamlos für mich hin und das kostenlos. Ich hätte sie sogar bezahlt, dachte ich mir im Nachhinein. Wieso nicht? Wenn Frischfleisch angeboten wird, muss man auch teurere Preise zahlen, so läuft das eben. Aber sie tat es für mich jeden Abend umsonst. Sie tänzelte, räkelte sich und das splitterfasernackt. Die warme Sommerluft umhüllte sie wie ein Schleimer und umgab ihren perfekten Körper mit einer warmen, dünnen Haut, die ihren Körper perfektionierte. Es ging monatelang so, bis der Herbst anbrach. Da tänzelte sie nicht mehr für mich und weiterhin ging sie abends an mir vorbei, als sei nie etwas gewesen. Sie ignorierte mich, als kenne sie mich nicht mehr. Dabei hatten wir soviele schöne Stunden miteinander verbracht. Wie konnte sie so tun als wäre nie etwas gewesen? Es war schrecklich, als ich begann mir immer mehr Gedanken zu machen. Dann bekam sie halt Geld, aber sie sollte mich endlich nehmen und es publik machen, dass wir zusammen waren. Ich hatte nicht viel Geld, man würde sie nicht als geile Erbin bezeichnen, ich brauche sie doch nur abends in meinem Bett. Es war bereits Ende September, als ich ihr eine Rose anbat zur Versöhnung. Ich erinnere mich noch. Sie schrie und hatte Angst vor mir, lief davon. Sie kannte mich doch, was hatte sie nur? Mir blieb doch nichts anderes übrig, als sie mit einer Dorne zu erstechen. Der Boden nahm den Farbton der roten Rosen an und verteilte sich wie eine klebrige Masse. Ich lag ihr einen kleinen Betrag Geld auf den Boden, doch sie antwortete mir nicht mehr. "Nehm das Geld, ich bezahle dich auch! Nur tanze wieder für mich!". Ich zeichnete ihren Namen und meinen in die Blutlache und umrandete unsere Namen mit einem gebrochenen Herz. Es wurde Zeit "Lebewohl" zu sagen. Eine weitere Lache breitete sich neben ihr aus, ich sank zu Boden und tauchte meine Hand in die Schriftzeichen, die ich ins Blut gekritzelt habe. Sie verschwammen, als wäre nie etwas gewesen. Mein Fernglas rollte etwas abseits in den Straßenrand. Dabei war es so schön, sie monatelang mit dem Fernglas zu beobachten, wie sie auf dem Balkon tanzte und sich räkelte oder einfach nur die Sonne genoss. Alles das hatte sie doch für mich getan, sie wusste, dass ich sie sah, oder? Natürlich wusste sie es......
Tag der Veröffentlichung: 19.01.2009
Alle Rechte vorbehalten