In der Ferne hörte man die Sirenen heulen. Kreischend zerrissen sie die Ruhe der Nacht. Keuchend lief ich weiter. Ohne mich weiter umzudrehen lief ich in eine dunkle Gasse hinein. Meine Verfolger konnten überall sein. Hörte ich da Schritte hinter mir? Ich wollte mich schon panisch umdrehen und nachsehen, doch im letzten Moment zwang ich mich dazu einfach weiterzulaufen. Immer weiter und weiter. Wie lange lief ich schon? Ich verschnaufte kurz und lauschte. Die Sirenen waren kaum noch zu hören. Die Gegend kam mir nicht mehr bekannt vor. Immer weiter entfernte ich mich von meinem Zuhause weg. Mein Zuhause, dass jetzt lichterloh brannte. Einfach vernichtet. Nein, daran konnte und wollte ich jetzt nicht denken. Die Gefahr meiner Verfolger war noch zu nah. Nur durch pures Glück hatte ich sie noch rechtzeitig bemerkt, konnte mich verstecken und danach die Flucht ergreifen.
Wieder bog ich in eine neue Gasse ab. Eine Sackgasse. Ich fluchte leise und nutze die ungewollte Pause um tief durchzuatmen. Ich war schweißgebadet. Das Laufen hatte mir inzwischen Seitenstiche beschert. Obwohl ich gut in Form war musste ich zusehen bald ein sicheres Versteck zu finden.
Als sich meine Augen an die Dunkelheit der Gasse angepasst hatten, entdeckte ich eine schmale Tür. Mit wenig Hoffnung taste ich nach dem Türgriff und versuchte sie zu öffnen. Erst passierte nichts. Doch nach wenigen Augenblicken gab sie knarrend nach. Schnell zwängte ich mich durch den kleinen Spalt und schloss die Tür wieder von innen. Dann machte ich mich daran die Umgebung zu erkunden. Konnte ich hier bleiben? Wo war ich überhaupt? Und wie lange würde es dauern, bis mich meine Verfolger fanden?
***
Der Morgen dämmerte durch die verdreckten Fenster. Schläfrig öffnete ich die Augen. Ruckartig sprang ich auf als mir bewusst wurde, dass ich gestern Nacht hier einfach so eingeschlafen war. Jeder Muskel tat mir weh. Aber ich lebte. Entweder sie hatten mich noch nicht gefunden oder aber sie lauerten hier irgendwo. Mir blieb keine Zeit auf meinen knurrenden Magen oder meinen schmerzenden Körper zu achten. Zeit war in diesem Falle kein Geld sondern mein Leben wert. Und ich liebte mein Leben.
Da hörte ich ein Klirren. Es kam aus dem hinteren Raum dieser alten Halle. Ich wirbelte herum und ging in Angriffsposition. Nichts geschah. Vorsichtig schlich ich dem Geräusch näher. Mein Herz raste. Hinter den Kartons wäre ein super Hinterhalt. Schritt für Schritt schlich ich näher. Dann war ich da und blickte Vorsichtig um die Ecke der Kartons. Niemand da. Nur eine Ratte die sich an irgendwelchen Essensresten zu schaffen machte. Erleichtert atmete ich aus und entspannte mich etwas. Ich musste schnell überlegen wie ich hier ungesehen weg kam. Ich brauchte einen guten Plan. Da traf mich der erste Schlag ins Gesicht. Der Schlag war so heftig, dass ich bestimmt auf den Boden aufgeschlagen wäre, doch jemand riss mich an meinem Arm wieder in Position. Ein weiterer Schlag traf mich in die Seite und in den Magen. Es fühlte sich an als ob ein Schraubstock mich festhalten würde. In meinem Mund schmeckte ich Blut. Mein Kopf hing nach unten, ich wollte nicht sehen was als nächstes geschah. Innerlich sammelte ich jedoch alles zusammen was mir an Kraft noch übriggeblieben war und wartete auf die Möglichkeit zu fliehen.
„Sieh an, sieh an. Wen haben wir denn da?“ sinnierte die Person vor mir. Eindeutig eine männliche Stimme. Mir gefror das Blut in den Adern. Ich kannte diese Stimme.
„Jules?“ krächzte ich ungläubig.
„Ganz richtig mein Lieber! Ich dachte schon du wärst uns durch die Lappen gegangen!“
Jetzt wagte ich es doch den Kopf zu heben und blickte meinem Feind in die Augen. Wer hätte gedacht, dass der liebe Jules von Nebenan, zu so etwas fähig wäre. Man weiß eben nie was so in den Menschen steckt.
„Wieso?“ fragte ich nun mit mehr Wut als Unglaube in der Stimme.
„Wieso denn nicht? Du warst dir deiner Sache und deines Lebens zu sicher. Wenn das passiert wird man unvorsichtig. Und wie man sieht hatte ich recht damit. Du hast nichts geahnt und warst völlig machtlos.“
Dabei schlenderte er zufrieden hin und her. In dem Moment, als er mir den Rücken zudrehte, spannte ich meinen Körper an und rammte der Person hinter mir meinen Ellenbogen in den Magen. Wirbelte herum, schlug ihm von unten die Faust ins Gesicht und brachte ihn schnell als Schutzschild vor mich. Keine Sekunde zu früh, denn schon hörte ich Schüsse aus Jules Pistole. Zu spät sah er, dass er nicht mich sondern seinen Kumpanen traf. Ich hielt ihn weiter fest, was mir einiges an Kraft abverlangte. Der Typ musste mindesten zwei Meter groß sein und war schwer wie ein Ochse. Meiner Zählung nach musste Jules noch drei Patronen im Lauf haben. Zuviel um davonzulaufen. Wieder durchlief mich eine Welle der Panik. Wie war ich nur in diese Situation reingeraten? Warum war ich auf einmal das Opfer?
Langsam und Vorsichtig schon ich mich und den Riesen Richtung Ausgang. Dort sah ich meine Chance, bevor ich hier vor Angst erstarren würde. So etwas war mir noch nie passiert, ich brauchte Zeit mich zu sammeln und logisch die nächsten Schritte zu planen. Doch Jules stellte sich mir in den Weg. Ein Schuss drang durch die Schulter des Riesen und streifte meine Wange. Ich schrie überrascht auf. Mein Gesicht brannte höllisch. Bei diesem Gedanken musste ich wieder an gestern Abend denken. An die Flammen die meine Familie verschlungen hatten. Da kam mir die Idee, dass auch der Riese bewaffnet gewesen sein musste. Vorsichtig und mit zittrigen Fingern betastete ich nacheinander seine Seiten. Wieder verfehlte mich ein Schuss nur um Millimeter.
Da erstasten meine Finger endlich etwas in seiner Hosentasche. Kühl und glatt. Wie selbstverständlich schmiegte sich die Waffe in meine Hand. Ich spähte nach vorn und sah wie Jules wieder auf mich zielte. Ohne zu überlegen zog ich mit einem Ruck die Waffe heraus und feuerte ohne Unterlass auf ihn.
Erst Minuten später wachte ich durch das metallische Klicken in meiner Hand aus dem Adrenalinrausch auf. Das Magazin war leer und Jules lag am Boden. Eine dunkle Blutlache bildete sich um seinen Körper herum aus. Doch er atmete und sah mich aus geweiteten Augen an. Der Riese war mir im Rausch entglitten und lag nun auch zu meinen Füßen. An meiner Kleidung haftete sein Blut. Der Gestank verursachte mir Übelkeit. Aber mein Hirn lief auf Hochtouren.
Ich kniete mich über Jules. Alle Ängste der gestrigen Nacht waren von mir abgefallen und meine alte Sicherheit kehrte zurück. Langsam strich ich ihm das Haar aus dem Gesicht, fast zärtlich. Ich suchte ihn ab, fand neben seinem Portemonnaie noch seinen Autoschlüssel und ein Messer. Ein Blick auf das Messer und ich wusste was zu tun war.
„Du hättest das gestern nicht tun dürfen. Mir nicht meine Familie und mein Heim nehmen dürfen. Rache ist süß lieber Jules. Und sie ist Mein!“
Wie immer, stopfte ich nun auch Jules sein Blutdurchtränktes Shirt in dem Mund, damit ich ihn nicht mehr anhören musste. Verzweifeltes Betteln mochte ich noch nie. Erst zog ich ihn aus. Nackt wie Gott ihn schuf lag er vor mir. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er so gut gebaut war. Einerlei. Sorgfältig machte ich mich ans Werk. Schon früh lehrte mich mein Vater das Ausnehmen von Tierkadavern und das häuten. Dinge die ich mir heute als Arzt zunutze machte. Doch es war nicht nur der praktische Nutzen, sondern auch dieser prickelnde Reiz der mich antrieb.
Ich juchzte innerlich auf als ich den Schrecken und die aufkeimende Panik in Jules Augen sah. Mitleid hatte ich keines. Als erstes strich ihm im mit dem Messer vom Kinn bis zum Bauchnabel und genoss seine Gänsehaut. Mir lief ein Wohliger Schauer über den Rücken. Ein kurzer Blick auf die Uhr trieb mich aber zur Eile. Auch wenn ich mir sonst mehr Zeit für meine „Patienten“ nahm. Mit präzisen Schnitten trennte ich ihm einzeln die Finger und die Zähen ab. Bei jedem Schnitt stöhnte Jules auf. Tränen quollen ihm aus den Augen. Dann wurde er ohnmächtig. Ich schüttelte resigniert den Kopf. Da hatte selbst die kleine Studentin von letzter Woche mehr ausgehalten. Da ich auf diese Aktion nicht vorbereitet war, schließlich war sie nicht geplant, konnte ich nichts Brauchbares mitnehmen. Also beschränkte ich mich darauf, ihn wie einen Gänsebraten auseinander zu nehmen. Alle Eingeweiden lagen nun schön aufgereiht nehmen mir. Ein herrliches Bild der Ordnung. Gegen die Unreinheit des Blutes überall auf dem Boden, konnte ich leider nichts tun. Mein Vater wäre trotzdem stolz auf mich gewesen. Nicht auf meine Angst der gestrigen Nacht, aber auf meine Rache sehr wohl. Nun musste ich verschwinden, wie sollte ich das alles hier auch erklären. Besser ich tauchte für eine Weile unter. Oder verschwand aus der Gegend. Hier wurde es eh langsam brenzlig. Bestimmt hatte jemand die Schüsse gehört und die Polizei gerufen. Die Waffe nahm ich samt den Reservemagazinen an mich und lief zur Tür. Ich öffnete sie und sah direkt in den Lauf einer Pistole.
"Das Spiel ist aus Lucky!"
Texte: Text: alle Rechte liegen
bei der Autorin!
Bilder: mit freundlicher Genehmigung von Google.
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2011
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