Cover

Nicht perfekt,
aber ganz „süß“



Wenn ich einmal groß bin, möchte ich soviel essen dürfen wie ich will… wenn ich einmal groß bin möchte ich so sein wie die nette Eisverkäuferin von neben an, nur nicht so dick. So und so ähnlich sahen meine Kindheitsträume aus. Jedenfalls soweit ich mich erinnern kann. Mal wollte ich Eiskunstläuferin werden, was dank meines Ungeschicks auf dem Eis leider nie was wurde. Dann wollte ich mal Prinzessin sein oder Lehrerin oder oder oder. Bis die Zeit kam da ich Löwenbändiger als das Beste ansah, was man im Leben tun kann u.s.w. Ich glaube ich wollte schon so ziemlich alles werden was man in einem Zirkus zu sehen hatte. Oder im Zoo oder im Urlaub. Heute lebe ich mit meiner besten Freundin Nairi, unserem Kater Gonzo (der zumindest aussieht wie ein kleiner Mini-Löwe) und dem Äffchen Ria in einem schönen alten Fabrikloft mitten in Dublin. Und nein, es ist gar nicht so ungewöhnlich einen Affen als Haustier zu halten wie man vielleicht denkt. Ich kenne hunderte, oder zumindest ein paar die sich noch exotischere Tiere halten. Die Nachbarn gewöhnen sich auch so langsam an unseren Anblick wenn wir uns auf der Straße oder im Supermarkt begegnen. Aber ich glaube nicht, dass wir dort noch sehr lange wohnen werden. Unsere Traum ist es einmal in einem hübschen kleinen Häuschen am Stadtrand zu leben, ganz spießig mir Vorgarten und Veranda und einer kleinen Familie.
Über all das denke ich nach, während ich hier in einem mehr oder weniger fortschrittlichen Krankenhaus südlich von Shanghai liege. Liege? Nein, gefesselt trifft es eher. Keine Ahnung ob das jetzt ein böses Omen ist, dass ich an meine Vergangenheit denke und an die Entscheidungen die ich im Leben getroffen habe. Macht man das nicht nur wenn man dem Tod ins Auge guckt. Ich hoffe nicht, wäre doch zu schade um das Blutbad das meine Familie hier anrichten würde um mich zu rächen. Ich schließe die Augen und versuche den nervigen Deckenventilator zu ignorieren während ich weiter in Erinnerungen schwelge und warte…. Und warte… und warte…
Etwas piekst mich in den Arm. Ganz weit entfernt höre ich auch Stimmen. Nein, das Träume ich bestimmt, hier macht nur der Ventilator Geräusche und dieses Tropf Tropf Tropf… Jemand berührt mein Haar. Doch als ich die Augen träge öffne ist da niemand mehr. Die Augen fallen mir wieder zu. Bin ich so schwer verletzt oder hat man mir Drogen verabreicht. Irgendetwas hindert mich daran klar denken zu können. Wieder drifte ich in meine Vergangenheit ab.
Die Tür wird aufgerissen und ich höre Schüsse. Ist das meine Familie oder mein Feind?




„Nairi komm schon… beeil dich mal…“

„Ja doch, ich muss nur noch meine Schuhe suchen!“

Lässig betrachtete ich mein ledernes Outfit im Spiegel. Das war echt ein Klasse Kauf gewesen, auch wenn mein Konto jetzt auf Diät gehen muss. Auch die neu gefärbten schwarzen Haare kamen so gut zur Geltung. Eigentlich bin ich überhaupt kein eitler Typ, aber diesmal wollten wir ja mit unserem Aussehen etwas erreichen. Was soll´s. Immerhin entschuldige ich dieses Verhalten damit ansonsten überhaupt nicht tussig zu sein. Mit diesem ganzen Geglitzer und so. Schrecklich.
„Wir kommen noch zu spät und dann sind die besten Plätze, um Prof. Sharp zu sehn, weg.“ quengelte ich.
Als wir endlich los konnten trug Nairi ihre braunen Locken zu einem hochgesteckten Zopf, knatsch enge Blue-Jeans und eine schwarze Leder-Coursage. Trotzdem sah sie dabei sehr niedlich und brav aus. Etwas das mir nie so richtig gelang. Was wohl meistens an meinem überhaupt nicht niedlichen - unmädchenhaften - Verhalten liegen mag, aber naja. Nobody is perfect. Nairi und ich studieren beide. Mein Vater hat einmal gesagt es sei gut, Kenntnisse und Fähigkeiten in so vielen Bereichen wie nur möglich zu haben. Weshalb es also nie schadet vorhandenes Wissen zu vertiefen. Und genau das tun wir. Nairi ist sehr beliebt, ich sag ja klein und niedlich, dazu noch ihre große Auffassungsgabe und dem Talent ihr eigentliches Wissen nicht zu sehr preiszugeben.

Ich hingegen bekam entweder die besten Noten und fiel dadurch auf, oder die schlechtesten, was natürlich auch auffiel. Aber das mit den schlechten Noten liegt ganz ehrlich nur an den teilweise dummen Lehrern hier. Nur weil ein bestimmter Prozess in Chemie oder Physik so und so vorgeschrieben ist oder stattfindet, heißt das doch nicht das man nicht über neue alternative Wege nachdenken kann. Kleingeister die! Es heißt dann immer, „Miss Summers, bitte beschränken sie ihre Fantasie doch auf den Kunstunterricht oder wechseln sie das Fach wenn sie mit dem Stoff nicht klarkommen!“ Mit dem Stoff nicht klarkommen ist lachhaft, mir ist doch nur langweilig.
Das muss schon früher so gewesen sein als ich noch ein kleines Kind war. Ich meine mich erinnern zu können, dass mir da auch schon öfters gesagt wurde, dass ich meine blühende Fantasie im Zaun halten soll. Sicher bin ich mir da allerdings nicht. Ich bin mir deshalb nicht sicher weil meine Erinnerungen erst mit dem Tag beginnen als Nairi und ich aus dem Krankenhausentlassen werden. Nach dem schrecklichen Unfall bei dem unsere beiden Familien ums Leben kamen. Was davor war, keine Ahnung! Wir erinnern uns beide nicht. Dies geschah vor fünf Jahren, also als ich 18 Jahre alt war hatte ich zusammen mit Nairi und unseren beiden Familien einen schlimmen Unfall. Unser Flugzeug ist irgendwo über den grünen Hügeln Irlands abgestürzt. Soweit wir wissen sind wir die einzigen Überlebenden. Aber die Leichen unserer Familien hat man auch nicht gefunden. Manchmal macht es einen verrückt nicht zu wissen oder sich zu erinnern. Aber wenigstens hatten wir uns. Das einzige vertraute Gefühl war das Nairi und ich zusammengehörten. Wir waren keine Geschwister, aber ich spürte, dass wir zusammen aufgewachsen waren und uns liebten wie richtige Schwestern. Ansonsten war da nichts. Nur Gefühle umgeben mich dauernd. Ich weiß, dass ich geliebt wurde, das waren z.B. die warmen Gefühle wenn ich versuchte mir vorzustellen wie meine Eltern wohl aussahen. Und ab und zu erinnere ich mich dann plötzlich wieder an etwas.

In einer Disco hier um die Ecke ist es mir einmal passiert, dass ich den ganzen Abend mit einem total süßen Typen geflirtet hab. Erst nach Stunden lud er mich auf einen Drink ein, aus der Nähe betrachtet sah er sogar noch besser aus. Doch kurz bevor er mich küssen wollte, machte es *zack* in meinem Kopf und ich wusste das ich einen Bruder hatte oder habe der genauso aussieht. Naja Schade nur, dass ich vor lauter Freude über diese Erinnerung angefangen habe zu flennen und der Typ sich dann verpisst hat. So eine verdammte Schlammgrütze. Über was man so alles nachdenken kann wenn man in der U-Bahn sitzt, erstaunlich. An der nächsten Station stiegen wir aus und waren auch schon auf dem Uni-Gelände. Gebäude fünf, Raum 55. Dort fand Prof. Sharps Vorlesung für die dunkle Geschichte der Runen im Mittelalter, statt. Ich ging da diesmal wirklich hin weil ich das Thema unheimlich interessant fand, doch Nairi war definitiv scharf auf den Professor. Wenn wir Glück hatten und der Prof. auf uns aufmerksam würde, dann hatten wir mit ziemlicher Sicherheit die Eintrittskarte zum berühmtberüchtigten "Club of the Lights". Einer Vereinigung die Wissen und Macht vieler Generationen bewahrt und bewacht. So jedenfalls die Gerüchte hier auf dem Campus. Nairi und ich waren nur allzu Neugierig auf diesen mysteriösen Club.

Der Raum war schon voller blondbusiger Mädchen und komischen gestylten Möchtegern-Aufreißern. Bestimmt waren an die 100 Personen in diesem Raum, und alle drängelten sich zu den vordersten Reihen. Na super, also wenn das die Anwärter für diesen "Club of the Lights" sind, dann verzichte ich doch lieber. Ich schloss die Augen und verbarg mein Gesicht hinter meinen Haaren.
Prof. Sharp betrat den Raum, und sofort herrschte Stille, welch eine Erlösung – den Mann musste man doch lieben, oder? Dann erst sah ich ihn mir genauer an, ich spürte eine angenehme aber gewaltige Präsens. Dieser Mann hatte wirklich eine besondere Ausstrahlung, sieht eher durchschnittlich aus, aber verdammt, sobald er einen mit seinen blauen Stahlaugen ansah, oder besser gesagt fixierte, wurde aus dem Mann ein Vamp. Wenn Ausstrahlung oder Aura eine Farbe hätte würde seine sicher rotgolden leuchten. Jetzt ist auch klar warum diese Mädels hier sind und warum man uns den Tipp mit den Lederklamotten gegeben hat. Auffallen war bei dieser Menge ein muss, sonst ging man unter. Ein Blick auf Nairi und ich wusste, dass sie sich im Geiste schon Privatstunden mit Sharpi ausmalte.

Gerade begann die Einführung in die Vorlesung „Runen sind die ältesten Schriftzeichen der Germanen. Sie können einerseits als Zeichen für jeweils…“ den Rest des Vortrages wurde leider immer wieder von schmachtenden Kommentaren meiner liebsten Freundin unterbrochen.
„Was meinst du, ist er wohl eher ein heißer Hengst im Bett oder ein Wildsau auf dem Teppich?“ da ich gerade dabei war einen Schluck zu trinken prustete ich bei dem Gedanken daran meinen Kaffee leider auf das Blondchen vor mir. Ohoh… die war gar nicht begeistert. Oder
„Oh siehst du wie sinnlich er den Stift in den Mund nimmt? Diese Lippen, ich wäre jetzt auch gerne dieser Stift!“ Nairi lächelte vor sich hin. Das konnte noch interessant werden. Bei dem Gedanken wie Nairi den Professor verführte und alle anderen Mädchen leer ausgingen, musste auch ich lächeln.

Nach der Vorlesung hefteten wir uns an Sharps Fersen und beobachteten wie er mit einem uns unbekannten schwarz gekleideten Typen in einer Ecke verschwand.

„Kanntest du den?“

„Nee. Vielleicht steht Sharpi ja auf Männer!“ Nairi schaute mich entgeistert an, überlegte kurz und lächelte mich dann überzeugt an, das das jawohl niemals so sein konnte. Wir folgten den Beiden um die Ecke. Doch da war nichts. Nichts. Der Gang war eine Sackkasse. Nur eine Weiße Mauer. Skeptisch fuhr ich mit der Hand die Mauer entlang. Nairi tat das gleiche. Verwirrt sahen wir uns an und schüttelten die Köpfe. Die konnten doch nicht einfach so verschwinden! Wenn das hier ein Trick war, war es ein verdammt guter. So ein Mist, wieso hatte ich so ein Verwschwinde-Dings nicht drauf? Verärgert gingen wir weiter über das Uni-Gelände und überlegten wie es der Professor und sein Begleiter geschafft hatten uns zu entwischen.
In unserem Stammcafé angekommen, gab es erstmal Frühstück und Mittagessen in einem. Als Student mit Nebenjob hat man halt keinen geregelten Tag wie andere. Nairi jobbte im Chemielabor und ich seit etwa einem Jahr in der Disco mit dem originellen Namen No. 1. Dazu teilten wir uns noch eine Aushilfsstelle in der Bibliothek, doch das eher um unsere Leseleidenschaft nachzugehen. Bei einem deftigen Sandwich und einer Kanne Kaffee erledigten wir unsere Ausarbeitungen und planten das nächste „zufällige“ Treffen mit Prof. Sharp. Da spürte ich auf einmal eine eisige Kälte meinen Rücken hochkriechen. Fröstelnd drehte ich mich um. Eine Frau mit blauen Strähnen im Haar schaute sich suchend im Café um. Ihr Blick traf meinen und mit einem Mal hatte ich das Gefühl sie schon einmal gesehen zu haben. Für mich sah es aus als ob ein schwarzer Nebel sie umgeben würde.

„Siehst du das Nai?“

„Was? Die Frau da?“

„Mhmm. Und diesen Nebel?“

„Nebel? Nein. Das bildest du dir nur ein Abs. Bestimmt hast du das mit ihrem schwarzen Mantel verwechselt.“

Das hatte ich sicher nicht, aber ich vertiefte das Thema nicht weiter. Hochmütig musterte mich die Frau und stolzierte an uns vorbei. Ich folgte ihr mit den Augen und bemerkte gar nicht wie Nairi mich etwas fragte.

„Wie bitte?“

„Kennst du die etwa?“

„Nein, oder vielleicht doch. Ich weiß es nicht – aber ich hatte ein ganz komisches Gefühl als sie reinkam.“

Die Frau war grad dabei der Kellnerin Geld und einen Umschlag zuzustecken. Wieder sah sie mich kalt und irgendwie böse an. Dann drehte sie sich, kam in unsere Richtung und ging eilig an uns vorbei ohne irgendjemand weiter zu beachten und verließ das Café. Ich war mir nicht sicher aber im meine sie hätte mir im Vorbeigehen etwas wie „Du wirst es nie schaffen!“ zugeflüstert. So eine Grütze, die würde ich also bestimmt, warum auch immer ich diese Vorahnung hatte, wieder treffen. Vielleicht sollte ich ihr folgen und sie fragen woher wir uns kannten und was sie damit meinte das ich es nie schaffen würde. WAS nie schaffen? Nairi sah mich genauso irritiert an. Wenn es um Fetzen unsere Vergangenheit ging, waren wir immer sehr unsicher. Wer wusste schon wie unser Leben gewesen war? Wollten wir das überhaupt alles wissen? Manchmal war Unwissenheit ja auch ein Segen. Aber ich wollte, musste unbedingt alles wissen. Wir hatten schon alles Mögliche probiert, sind zur Absturzstelle des Flugzeugs gefahren, haben uns die gefunden Wertgegenstände angeguckt, einen Privatdetektiv angeheuert und uns Hypnotisieren lassen. Fürn Arsch. Hätten wir uns sparen können. Wie wir das alles finanzieren konnten? Das ist mal eine super Frage, leider können wir uns das auch nicht erklären. Offiziell heißt es das die Regierung uns finanziell etwas unterstütz. So als Schadensersatz, weil wir so viel durchmachen mussten. Aber irgendwas ist an dieser Sache faul. Der Auftraggeber ist anonym, keine Kontoverbindungen d.h. Bareinzahlung und so etwas. Die Regierung würde so etwas doch anders machen. Egal wie weit unsere Recherchen gingen, immer fehlten uns die letzten entscheidenden Informationen.


Kurze Zeit später machte Nairi sich dann auf zu ihren Laborratten und den Mikroskop-Freaks. Gonzo miaute zu meinen Füßen und schmiegte sich an mich. Das einzig beständige männliche Wesen bei uns forderte unbedingte Aufmerksamkeit. Fast wie ein richtiger Freund, meinte Nairi manchmal. Recht hatte sie, Gonzo war schrecklich eifersüchtig auf Besucher. Auf männliche Besucher besonders. Dann konnte er wie ein tollwütiger Tiger oder ein kleiner Feuerball sein. Im Gegenzug zu Ria meiner kleinen Affen-Dame. Wie eine richtige Herrscherin thronte sie auf dem Treppengeländer. Nachdem Gonzo ein paar Streicheleinheiten und zu essen bekommen hatte widmete ich mich der Affendame. Ria sprang hoheitsvoll auf meinen Arm und kuschelte sich in meinen Schal. Auch sie bekam ihre Streicheleinheiten. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir das ich immer noch über zwei Stunden Zeit hatte. Spontan beschloss ich noch schnell mit Ria eine Runde im Wald laufen zu gehen. Dort konnte sie ihrem Naturell entsprechend in den Bäumen herumklettern, während ich meine Fitness wieder etwas aufbaute.
Ria und ich hatten schon öfters kleine Wettrennen im Park oder im Wald gemacht. Keine Frage wer von uns gewonnen hat, oder?! Aber da oben in den Bäumen hatte man ja auch nicht mit schleichenden Fußgängern oder Fahrradfahrern zu kämpfen. Gerade hatte ich mein Lauftempo erreicht und Ria in ihre Freiheit entlassen da kam mir aus der Ferne ein anderer Jogger entgegen. Irgendwo hatte ich den schon mal gesehen. Aber das war kein Jogger. Der Typ war komplett schwarz gekleidet, schwarze Hose, schwarze Lederjacke schwarzer Schal und schwarze Haare. Zum Glück trug er keinen schwarzen Mantel – auf Grufties stehe ich nämlich nicht so. Er kam immer näher aber in einem Tempo als würde man ihn jagen. Kurz bevor er mich erreichte hatte ich das Gefühl, als ob er langsamer wurde, er zwinkerte mir zu und war auch schon davon gerannt. Der war ja Frech, zwinkern und dann abhauen. Natürlich drehte ich mich nach ihm um. An einem Baum gelehnt sah er mich an und grinste. Ich war voll auf seine Masche reingefallen. Er grinste immer noch und verbeugte sich dann vor mir. Ich aber stand immer noch einfach nur da und glotze so intelligent wie ein Auto. Dann war weg. Als ich ihn von hinten sah wusste ich aber auf einmal woher ich ihn kannte. Das war der gleiche Typ mit dem Prof. Sharp verschwunden war. Das musste ich unbedingt Nairi erzählen. Eine Weile stand ich noch da bis Ria mir plötzlich auf die Schulter sprang. Das Laufen hatte ich ganz vergessen.


Schnell zog ich mir mein Arbeitsoutfit an. Tja, viel anzuziehen gab es da jetzt nicht, aber für mich war es eine Art Verkleidung. Das machte es zu etwas weniger sexistischem. Es bestand nämlich nur aus einer Blauen Hotpants und einem weißen tief ausgeschnittenen Shirt. Weil ich hinter der Bar stand aber nicht weiter schlimm.

„Wie lange geht deine Schicht heute?"

„Paolo ist krank – also muss ich doppelt arbeiten. Wird bestimmt spät, du brauchst nicht auf mich zu warten.“

Nairi hatte mir gegenüber irgendwie so einen gewissen Beschützerinstinkt. Wir betreiben beide Sport, hatten eine Kampfsportausbildung, einen Kurs in Selbstverteidigung und dazu noch einen Waffenschein. Und trotzdem.

„Vielleicht komme ich ja noch auf einen Drink vorbei.“

„Das wär super – du weißt ja, dass Sean total auf dich steht.“ Meist reichte dieses Stichwort aus, um Nairi davon abzuhalten mich zu beglucken.

„Dann komme ich wohl besser nicht.“ Hach, wie recht ich doch hatte. Wundervoll. Sosehr ich Nairi auch liebte, aber diese Zeiten brauchte ich einfach für mich. Ich genoss jede Minute meines Jobs. Das Flirten, das Cocktail mixen, einfach alles. Naja fast alles. Weil meistens wenn ich mich wirklich mit jemand anlegen wollte der mir auf die Nerven ging, kam einer von den Türstehern und nahm ihn mir weg. Männer. Nur mit dem Spruch „Den nehmen wir dir ab kleines.“ Na super, hatte ich als Frau nicht auch ein Recht drauf mich selbst zu verteidigen oder jemanden in den Arsch zu treten? Nur wenn Sean arbeitete durfte ich mit den Problem-Leuten vor die Tür gehen. Sean ist mein absoluter Liebslings-Chef. Mit Ende Dreißig war er auf eine väterliche Art sexy, der sich auch nicht zu fein war mit anzupacken. Nicht das ich auf ältere stehe aber Sean hatte einfach so einen Hauch von „Wow du geile Sau…“

Nach diesem bis jetzt sehr seltsamen Tag, dem Verschwinden von Prof. Sharp, der Frau mit den Blauen Strähnchen und dem zwinkernden schwarzen Mann, war ich mehr als froh, dass Sean mich hinterm Tresen begrüßte.

„Du weißt gar nicht wie froh ich heute bin dich zu sehn. Übernimmst du Paolos Schicht?“

„Nur heute? Schade, aber als alter Mann freut man sich über jede Nettigkeit der Jugend. Jap, heute bin ich dein Partner hier.“ Freundschaftlich boxte er mich dabei auf die Schulter. Der Laden wurde schnell voll, was vor allem daran lag, dass wir heute eine Live-Band zu Gast hatten. Normalerweise war das No. 1 wochentags eher mittelmäßig gefüllt. Ganz im Gegensatz zum Wochenende wenn man vor lauter Gedränge nichts mehr sehen konnte. Die Band war eine Mischung aus Rock und nennen wir es mal Alternative. Irgendeine unbekannte Studentenband. Aber der Frontmann hatte definitiv potenzial zum Star. Jedes Mal wenn er sich eine Strähne lässig zur Seite schob, blickte er ein anderes Mädchen an. Nacheinander lagen sie ihm zu Füßen. Und genau diese Berechnung war absolut nicht mein Fall. Auf der Straße würde ihn keiner erkennen, nur hier in seiner Welt wo er mit Posen und Klischees protzen konnte, war er in seinem Element.

„Mach mir mal noch fünf Flahs´s und zwei Bier Abby. Die Band macht gleich Pause – bevor die anfangen zu meckern!“ Schnell machte ich die Bestellung fertig und beobachtete weiter das Geschehen in der Bar. Noch war alles ruhig und ich glaube nicht, dass sich das heute noch ändern würde. Da sah ich ihn wieder. Den schwarzen Kerl. Er war immer noch schwarz gekleidet, nur etwas feiner so wie es aussah. Die Haare fielen ihm diesmal nicht ins Gesicht, er sah mich direkt an.

„Abby, sag mal träumst du? Was ist mit meiner Bestellung?“ Sean stand neben mir und wartete auf eine Antwort.

„Sorry… war wohl grad in Gedanken.“

Die nächsten Minuten war ich wieder damit beschäftigt, gefühlte tausend Bestellungen entgegen zu nehmen. Mir blieb kaum Zeit zu dem Typen zu gucken. Aber ich fühlte, dass er nach wie vor da saß und mich beobachtete. Als die Band wieder anfing zu spielen und es an der Bar wieder ruhiger wurde, war der Typ natürlich verschwunden. Er tauchte auch den restlichen Abend nicht mehr auf, was mich irgendwie enttäuschte. Verärgert lies ich meinen Putzlappen ins Wasser platschen. Leider traf das ganze Wasser Sean der sich grade zu mir gebeugt hatte um mir etwas zu geben.

„Shit, was sollte das denn?“

„Nichts, ist mir nur so passiert… tut mir Leid Sean, ich hab dich einfach nicht gesehen.“

„Bist wohl nicht gerade ausgeglichen heute Abend was?“

„Diese Groupie-Mädchen sind einfach nicht mein Ding Sean, das weißt du doch.“

„Du tust immer so als ob du schon alt auf der Welt gekommen wärst Abby. Du bist doch auch erst 23 Jahre alt. Noch ein junger Hüpfer. Hast du nichts wofür du dich begeistern kannst?“

Wir arbeiteten eine Weile schweigend nebeneinander weiter. Bei Sean Smaltalk konnte ich mich immer wieder entspannen.

„Danke Sean.“ Sagte ich nach einer Weile.

"Ich weiß doch was mein Mädchen braucht.“ lachte er.

Und dieser eine Satz brachte mich mit einem Schlag wieder in die Vergangenheit. Wie ein Bild lief es vor mir ab. Undeutlich und verschwommen. Aber eine vertraute Hand legte sich auf meine Schulter und zog mich zu sich. Ich wurde in den Arm genommen und jemand legte mir eine Kette um. In meiner Erinnerung hatte mir diese Geste viel bedeutet. Ich weinte vor Freude und mein Vater sagte zu mir „ich weiß doch was mein Mädchen braucht.“


Mit dieser neuen Erinnerung verabschiedete ich mich von Sean und machte mich auf den Heimweg. Es war inzwischen schon halb drei Uhr morgens und mit Schrecken dachte ich an meine nächste Vorlesung die um acht Uhr begann. Und Nairi wartete sicher auch noch auf mich. Wie ich geahnt hatte, saß Nairi noch an ihrem Laptop und arbeitete.

„Da bist du ja endlich – ich dachte schon ich müsste ewig weiter arbeiten.“

„Du hättest doch nicht warten müssen.“ Verletz guckte Nairi mich an. Ich nahm sie kurz in den Arm um ihr zu zeigen, dass ich mich dennoch gefreut hatte. Da kam schon wieder Gonzo und wollte beachtet werden. Seufzend nahm Nairi ihn auf den Arm und nahm ihn mit in ihr Zimmer. In meinem Zimmer wartete Ria auch schon auf mich. Sie lag auf einem Kissen auf der Fensterbank, nah an meinem Bett und wartete einfach, dass ich zu ihr kam. Wortlos streichelte ich sie und schaute ich träumend aus dem Fenster. Ich hatte schon auf dem Heimweg bemerkt, dass es eine wundervolle klare Sternennacht war. Neben dem Hauseingang sah ich eine Bewegung, ganz kurz nur. Oder doch nicht? Dreck, wieso musste es ausgerechnet da so dunkel sein? Ich wollte mich gerade umdrehen, da sah ich wieder etwas. Doch was? Dieser Tag war einfach verhext. Erschöpft ließ ich mich ins Bett fallen und schlief den Schlaf der Toten.

Nur dank des sehr starken Kaffees, schafften es Nairi und ich morgens aus dem Bett, und in die Uni. Welcher männliche Idiot hatte das Frühaufstehen erfunden? Morgens war echt nichts mir anzufangen. Zu viel Helligkeit, gute Laune und Aktivität, Nein Danke! Genervt lief ich mit Sonnenbrille durch die Gegend und ließ mich auf einen Stuhl im Vorlesungssaal plumpsen. Ich spürte mehr als das ich es sah, dass Nairi sich gut gelaunt nehmen mich setzte.

„Du bist mit deiner guten Laune echt abartig, hat dir das schon mal jemand gesagt?“

„Du sagt es mir ja bei jeder Gelegenheit. Ist aber dein Problem, du Muffel.“ Na dann, ich brauchte dringend noch einen Kaffee. Der Vormittag zog sich langweilig so dahin und erst mittags traf ich Nairi wieder in der Kantine. Schon als sie eintrat merkte ich ihre aufgeregte Aura. Als sie dann endlich vor mir stand hielt sie mir nur einen Zettel hin.

>>Nairi, du bist unsere nächste Anwärterin zum "Club of the Lights"! Treffe uns um 19 Uhr am Englischen Garten… Allein!<<

Verdammt, war mein erster Gedanke. Mein zweiter war „Wieso bekommt Nairi so eine beschissene Einladung und ich nicht?!“.

„Mach dir nichts draus Abby – vielleicht bist du einfach zu…“

„Zu was?“

„Na du weißt schon, zu draufgängerisch oder so zuhart.“

„Du wolltest doch, dass ich diesen ganzen Kampfsport mache und mir nichts gefallen lasse. Du wolltest das ich so bin – zu allen Kursen hast du mich mitgeschleppt und als Dank bekommst du so einen beschissene Einladung und ich nicht!“

„Ich bin halt beliebt. Liegt sicher an meinem tollen Haar…“ lachte sie selbstironisch.

„Ja beliebt bis in den Tod. Dir ist jawohl klar, dass du da nicht alleine hingehen wirst, oder?“

„Wie du eben schon erwähntest, hab ich diese ganzen Kurse ebenfalls gemacht. Was mich durchaus dazu qualifiziert dort alleine die Lage zu checken.“

„Am Arsch. Nein, ich werde dich begleiten. Irgendwie jedenfalls.“ Tzz… klar kann sie sich verteidigen, aber vier Augen sehen nun einmal mehr als zwei. Und es ist immer gut mit einer Rückendeckung in eine unbekannte Situation zu gehen. Der "Club of the Lights" hatte schließlich einen sehr mysteriösen Ruf, keiner wusste was genau dieser Club machte. Tatsache war nur, dass alle seine Mitglieder sehr Intelligent und überaus begabt waren. Und sehr sehr verschwiegen.

Ich hatte bis heute abend noch eine kleine Schicht in der Bibliothek zu absolvieren und wollte bei der Gelegenheit gleich noch mal etwas recherchieren. Irgendetwas musste es doch in der Historie der Uni geben, was auf diesen Club hinweist. Das hatten wir zwar schon im Vorfeld alles versucht rauszufinden, aber vielleicht hatten wir ja was übersehen. Oder vielleicht gab es sonst noch irgendwo Querverweise auf diesen Club. Bestimmt etwas Religiöses oder etwas Geschichtliches. Wenn es einen geschichtlichen Hintergrund hatte, wäre ich aber die geeignetere Kandidatin gewesen und nicht Nairi. Immer wurde Sie ausgesucht für etwas, nur weil sie mit ihren 1,60 m so kleine und niedlich war. Verdammte Schlammgrütze, konnte ich was dafür, dass ich groß war? Nein, und warum fand man große Mädchen nicht niedlich? Nochmal Verdammte Schlammgrütze auf die Ungerechtigkeiten im Leben. Doch auch nach dem zehnten dicken Wälzer hatte ich keine Hinweise entdeckt. Fragen konnte ich aber auch keinen, weil keiner diesen Club so ernst nahm, wie wir. Alle hielten ihn für einen Zusammenschluss von Hochbegabten oder Freaks. Aber da steckte definitiv mehr dahinter. Nach jeder Reise kamen die Studenten irgendwie verändert wieder. Und auch die Auswahl für den Club war sehr seltsam. Er war zu klein um wirklich alle Hochbegabten zu fördern. Und dann natürlich noch Prof. Sharp. Dieser höchst wandelbare Mann, fast könnte man meinen er hätte sich legal seine persönliche Sekte geschaffen.


Nairi und ich wollte uns zu Hause treffen um kurz ihren Plan durchzusprechen. Das Planen war voll ihr Ding, ich hingehen war eher die Spontane, aber wer fragte mich schon. Ich ließ Nairi in dem Glauben ihren Plan einzuhalten, aber im Zweifelsfalle kam es sowieso immer anders, als man dachte. Und Ria würde ich ja schließlich auch noch mitnehmen, um mir den Rücken freizuhalten. Wenn das erstmal den Geheimdiensten bewusst würde, hätten die armen Schäferhunde ausgedient.
Woher meine besondere Zuneigung zu Affen kam wusste ich nicht, ich kann mich auch kaum noch an den Tag erinnern an dem Ria in mein Leben trat. Auf einmal war sie einfach da gewesen. Wie selbstverständlich nahm ich sie bei mir auf und seitdem waren wir unzertrennlich.

„Was soll ich bloß anziehen?“

„Solltest du mich nicht fragen, auf meinen Geschmack oder Look stehen die ja nicht so…“

„Jetzt sei mal nicht so eingeschnappt. Hilf mir lieber. Oder wollen wir den Plan erst nochmal durchgehen?“

„Ich kenne den Plan Schätzchen. Leiste lieber deinen Teil und werde aufgenommen.“

Kurze Zeit später war Nairi fertig, mit einem sexy grauen knielangen Rock, und einem blauen Blümchen Shirt. Wie süß. Wer drauf steht. Das wir Frauen immer die geltenden Klischees bedienen müssen um unsere Ziele zu erreichen. Wenigstens trug sie dazu die hochhackigen Lederstiefel, in denen wir immer ein Messer und etwas nettes, wie Pfefferspray versteckt hatten. Ich dagegen hatte mich komplett in schwarz gekleidet um mich besser im Dunkeln bewegen zu können.

„Du siehst aus wie so ein Möchtegern-Ninja“ lachte Nairi mich aus.

„Und du, wie Miss Mauerblümchen, mit der Lizenz zum was weiß ich.“

„Der Plan?“

„Der Plan ist, dass wir dich bis zum Treffpunkt begleiten, dort die Lage beobachten und bei einem Hinterhalt einzugreifen. Ansonsten Passiv zu bleiben!“ – Im Leben nicht, dachte ich für mich aber weiter.

Relativ gut gelaunt machten wir uns, mit Ria die auch ein schwarzes Cape trug, ja hey Partnerlook ist halt voll im Trend, auf den Weg zum Englischen Garten. Kurz vorher verabschiedeten wir uns voneinander und Nairi ging uns voraus. Ria ließ ich schonmal in die Bäume. Dann huschte ich von Baum zu Baum in der Hoffnung nicht gesehen zu werden. Warum mussten hier denn auch so viele Laternen stehen? Hinter der ersten Biegung entdeckte ich Nairi wieder. Sie stand zwischen einer Bank und einer Denkmal-Ähnlichen Ruine. Bis jetzt war kein anderer zu sehen.


Wir warteten. Es dauerte nicht lange und es kam jemand. Ein Mädchen, ich glaube eine aus der letzten Vorlesung. Sie stellte sich vor Nairi und gab ihr anscheinend ein paar Anweisungen. Mist, ich sollte mich mal zu einem Kurs im Lippenlesen einschreiben. So bekam ich ja noch nicht einmal die Hälfte mit.Die beiden verschwanden hinter dem Ruinending.

Ich zählte innerlich bis zehn und machte mich dann vorsichtig hinterher. Doch hinter der Ruine war nichts. Und ich konnte auch nicht erkennen wohin die beiden weiter gegangen waren. So schnell konnten die doch nicht gewesen sein. Verwirrt und suchend schaute ich mich um. Da sah ich in einiger Entfernung die Lady mit den blauen Haarsträhnen. Beobachtete die mich etwa? Ria hüpfte schon nervös von Ast zu Ast. Die Lady kam zu mir rüber. Ey, zog die da etwa ein Schwert hinter ihrem Rücken hervor? Ria kreischte auf und sprang mir auf die Schulter. Reflexartig schickte sie wieder in die Sicherheit der Bäume. Blitzschnell überlegte ich wegzulaufen. Aber was, wenn das eine Falle war, und Nairi mich wirklich brauchte? Etwa fünfzig Meter waren noch zwischen der Lady und mir. Reglos stand ich da. Was hätte ich auch tun können. Bewaffnet war ich nicht, bis auf mein Taschenmesser, das gegen ein Schwert allerdings ziemlich hilflos aussah. Wie im Kampftraining gelernt, nahm ich eine bequeme Grundstellung ein. Fünfundzwanzig Meter.

„Ich habe dir doch schon gesagt, dass du es nie schaffen wirst! Gib auf, bevor dir jemand weh tut, Kleines.“ Bitte? Sollte ich mir so etwas gefallen lassen? Was wollte die eigentlich von mir?

„Was wollen Sie überhaupt?“ innerlich spannte ich mich total an. Wer weiß wer da noch alles aus dem Nichts auftauchen konnte. Hoffentlich ging es Nairi gut.

„Was ich will? Ich will, dass du deinen hübschen Arsch aus Sachen raushältst, die dich nichts angehen!“ Das Schwert hielt sie kampfbereit mit beiden Händen vor sich.

„Ich weiß nicht wovon Sie reden.“

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie inzwischen fast nur noch zwei Meter von mir entfernt stand. Ich sollte dringend an meiner Aufmerksamkeit arbeiten. Verdammt. Deswegen war Ria anscheinend so unruhig hin und her gesprungen. Keine Ahnung ob die Lady mir noch eine Antwort auf meine Frage gegeben hätte, aber ihr Schwert lag jetzt jedenfalls nur noch in der rechten Hand, mit der linken griff sie in ihren Mantel. Bitte lass sie da nichts Gefährliches drin haben. Wobei in dieser Situation mit einer bewaffneten Frau allein im Dunkeln, gab es kaum noch etwas Gefährlicheres. Gerade als sie ihre Hand wieder herauszog und mit dem Schwert auf mich zustürmte, kam wie aus dem Nichts jemand angerannt und stellte sich vor mich. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Er auch. Wer oder was verdammt nochmal waren die?

Nach einem kurzen Augenblick voll dummen Glotzens, machte es klick bei mir. Der Mann war niemand anderes als mein schwarzer Typ von gestern. Die beiden schauten sich nur an. Keiner bewegte sich. Ich glaube, es war nur mein Atem zu hören. Passiert hier auch noch was? Konnte ich gehen? Die Lady war mir sehr suspekt. Aber meine Neugierde war auch geweckt. Was wollte die von mir? Während ich mir diese Fragen stellte, begutachtete ich den schwarzen Typen. Der einfach so zwischen mich und die Lady gesprungen war.
Mein Blick schweifte von seinen kurzen schwarzen Haaren, über seine breite Schulter – die trotz Dicker Jacke nicht fett sondern muskulös aussahen zu schmalen Hüften mit einem sehr sehr sexy Hintern. Genau als mein Blick dort verweilte, drehte er sich um und sah mich an. Nein, er grinste mich geradezu teuflisch an.

„Du hast die ganze Aktion verpasst. Aber dir scheint zu gefallen was du siehst.“ Nicht nur der Hintern war sexy, auch sein dunkle etwas rauchige Stimme. Und seine grünen Augen erst. Aber hey, welche Aktion? Huch, die Lady war ja verschwunden. Wann das denn? Und wie, war das passiert? Dreck ich hatte wirklich etwas verpasst. Lässig stand der Kerl vor mir und musterte mich.

„Ähm naja… Wo wo ist sie denn hin? Und wer ist das überhaupt gewesen, und wer bist du?“ versuchte ich das Thema von seinem Arsch, aufs wesentliche zu wechseln. Er aber grinste mich unverwandt an. Ria stieß wieder einen kleinen Schrei aus,im selben Moment hatte mich mein Retter gepackt, und auf den Boden geworfen. Der Typ lag doch echt beschützend über mir. Wow. Angenehm spürte ich sein Gewicht. Der Schreck war schon wieder vergessen. Er sah mich direkt an. Upps. Ich hatte doch nicht etwa laut aufgeseufzt oder? Schnell hatte ich mich aber wieder gefangen.

„Was war das denn?“ fragte ich. Sein Mundwinkel zuckte, als wollte er über mich lachen. Was er zu seinem Glück aber nicht tat. Ein kleines Lächeln behielt er aber trotzdem,und sah dabei doch hochkonzentriert aus.

„Pscht. Nicht bewegen.“ flüsterte er mir ins Ohr. Was mir eine ziemliche Gänsehaut verpasste. Unfähig was Passendendes zu erwidern, hielt ich still. Ich war mir nur zu sehr bewusst, dass er ziemlich intim auf mir drauf lag, die Arme um meinen Kopf gelegt. Sein Körper bedeckte meinen vollständig. In einer anderen Situation hätte ich mich über so etwas sicher mehr freuen können. Wenn jetzt einer hier entlang ging, hätten wir sicher Erklärungsschwierigkeiten. Aber was hieß hier aufgeregt? Als ob mir so etwas jeden Tag passieren würde. Na gut, es lag auch sicherlich etwas an ihm, das würde ich ihm aber sicher nicht auf die Nase binden. Bestimmt lagen wir schon länger als fünf Minuten so aufeinander. Ich konnte seinen Herzschlag spüren, schön gleichmäßig und ruhig. Meiner dagegen führte eine Hüpfparade an.

„Wie wäre es mit ein paar Antworten auf meine Fragen?“ versuchte ich die Zeit und meinen Herzschlag zu überbrücken. Nach einer Weile antwortete er mir.

„Nein. Zu viele Fragen zum falschen Zeitpunkt Süße.“
Damit stemmte er sich in einem Schwung von mir hoch und wollte sich davon machen.

„Hey warte! Du kannst mich doch nicht einfach so hier stehen lassen. Verrate mir wenigstens was das grad hier sollte und wer du bist.“ Wie um mich zu unterstützen, fauchte Ria ihn an und kam auf meinen Arm.

„Ich heiße Jaz. Und ich rate dir ein bisschen besser auf dich aufzupassen Abby.“ Das war´s. Weg war er. Was hatten die Leute in letzter Zeit nur immer mit ihrem plötzlichen Verschwinden? So langsam mussten hier echt mal ein paar wichtige Dinge geklärt werden. Erstens, was war dieser Club? Und was wollten die von Nairi? Zweitens, wer war die Blaue Lady und was zum Teufel wollte die von mir? Und Drittens, wer war dieser Jaz und woher kannten die mich alle? Und Viertens, warum machte er sich einfach so aus dem Staub. Super, Dreck und Grütze.

Während der Superheld sich davon gemacht hatte, stand ich hier weiter rum und wartete. Der Abend ist ja mal richtig super gelaufen. Total entnervt ließ ich mich ein paar Meter weiter auf eine Bank fallen und wartete das Nairi wieder auftauchte. Nach etwa einer Stunde im Dunkeln tauchte sie dann endlich wieder auf.
Total erschöpft bat sie nur noch darum schnell nach Hause gehen zu können. Sie war angeblich in Ordnung und alles war bestens. Morgen wollte sie mir alles erzählen. War mir eh recht, ich hatte zwar mehr als eine Frage an sie, aber auch nicht mehr die rechte Lust alles auszudiskutieren. Einfach nur noch duschen und dann ab ins Bett.

Starke Hände hielten mich von hinten fest und zogen mich an eine warme muskulöse Brust.Ich schmiegte mich wohlig an seinen Körper. Ein Kuss wurde mir in den Nacken gehaucht. Weitere Küsse den Hals hinauf, mir wurde ganz schwindelig. Zum Glück hielten mich seine Arme fest. Ich bog meinen Kopf nach hinten, gleichzeitig streichelten meine Hände seine Arme. Ich drehte mich zu ihm um. Ich wollte richtig geküsst werden, ihn richtig spüren. Überall berühren. Ich küsste seine Brust, seine Schultern hinauf und zog dann seinen Kopf zu mir. Ich konnte es kaum noch erwarten seine Lippen endlich auf meinen zu spüren. Dann sah ich in leuchtend grüne Augen…



Dann wachte ich auf. Völlig verschwitzt und außer Atem. Mist. Ich hatte nur geträumt. Von grünen Augen. Jazs Augen. Verärgert sah ich mir mein zerwühltes Laken an. Der We-cker zeigte gerade mal sieben Uhr an. Ich hätte mindesten noch eine Stunde schlafen kön-nen, doch daran war jetzt nicht mehr zu denken. Ich hasste es aufzustehen. Gequält stampfte ich aus dem Bett. Als ich gewaschen und angezogen war, traf ich auch schon auf eine putzmuntere Nairi.

„Das ich das noch erlebe, dass DU vor mir aufstehst. Wahnsinn. Hast du schlecht geträumt, oder was?“

„Frag bitte nicht!“ ich ließ mich mit einem Becher extra starkem Kaffee am Tisch nieder. „Lass uns lieber mal über gestern Abend reden! Los erzähl mir von diesem Club.“ Nairi hielt in ihrer Bewegung inne. Sie wirkte auf einmal angespannt, nicht mehr so locker wie eben noch.

„Muss das jetzt sein? Kann das nicht noch ein bisschen warten, bis ich alles verarbeitet ha-be?“ Sehr komisch. Sonst warenunsere Rollen immer anders herum verteilt. Ich die ver-schlossene und Nairi das Plappermaul.

„Dass du gestern k.o. warst versteh ich ja noch! Aber was gibt es denn da bitte so großartiges zu verarbeiten??? Aber wie du willst.“ antwortete ich mit vollem Mund, da ich noch ein paar alte Kekse auf dem Tisch entdeckt hatte.

„Ich erzähl dir alles. Später Abby. Versprochen.“ Ich krümelte weiter meine Kekse auf den Tisch und den Boden, diese Woche musste Nairi schließlich die Wohnung sauber halten. Nicht mein Problem, dass ich ausgerechnet heute Morgen so ungeschickt war. Upps, muss wohl am frühen Aufstehen liegen.

„Schon ok. Ich muss auch über einiges erst nachdenken. Wir sehen uns nachher in der Kantine, ok?“

„Ähm, sorry. Ich kann heute Mittag leider nicht. Aber heute Abend könnte ich ja mal wieder etwas für uns kochen, wenn du magst.“

„Hmm, ich weiß nicht. Ich wollte eigentlich mal wieder ausgehen. Oder irgendetwas anderes machen, ist mein freier Abend.“

„Oh schade!“ Von wegen. Das kam ihr doch gerade recht. Als ob ich nicht merken würde wenn meine beste Freundin mir aus dem Weg ging. Aber warum? Was war da denn gestern bei diesen blöden Lichtschwertern passiert? Ich hasste es, wenn mir etwas verheimlicht wurde.

„Was hast du denn heute Mittag wichtiges vor?“

„Ach, ähm dieser eine Typ da, mit dem ich letzten Monat aus war, wollte sich nochmal mit mir treffen. Das hatte ich ganz vergessen zu erzählen.“ Sie werkelte dabei weiter in der Küche herum, nur um mir nicht in die Augen sehen zu müssen. Vergessen? Am Arsch, niemals hätte sie das vergessen zu erzählen.

„Ich dachte du findest den dumm.“ bohrte ich weiter.

„Naja, meinst du nicht die Leute verdienen eine zweite Chance? Vielleicht hab ich mich ja in ihm getäuscht?!“ gut, das klang schon wieder eher nach Nairi, wenn da nicht noch eine Sache gewesen wäre.

„Und was ist damit das er ein miserabler Küsser war?“ das war schließlich ihr k.o. Kriterium Nummer eins.

„War das der? Naja, ich weiß es nicht mehr. Ich wird es ja heute herausfinden.“ Na klar. Ich war so sauer, dass ich sogar beschloss ihr nicht hinterher zu spionieren. Aber generell sollte ich mich mal an der Uni erkundigen ob es nicht auch ein paar Sherlock Holmes Kurse gab. So langsam entwickelte sich das Ganze recherchieren und beobachten zu einem neuen Hobby. Noch nicht sehr erfolgreich, aber spannend.


Schnell machte ich mich mit Ria zum Laufen davon. Ich hatte beschlossen meinen ersten Kurs zu schwänzen. Auf den Straßen hatte ich das Gefühl das mich die Leute heute noch mehr anstarrten als gewöhnlich. Obwohl Ria nur mit dem Köpfchen aus meinem Rucksack schaute und nicht wie sonst auf meiner Schulter saß. Hatte ich noch Zahnpaste am Mund oder Kekskrümel? Als ich an einer Bushaltestelle vorbeikam, sah ich wie eine Gruppe Jungs ein kleines Mädchen hin und her stieß. Das war doch mal eine Willkommene Situation meinen Frust raus zulassen.

„Ich an eurer Stelle, würde das Mädchen besser in Ruhe lassen!“ Sie sahen mich zwar an, zeigten aber keine Anzeichen, meinem Rat zu folgen. Das arme Mädchen weinte schon.

„Ich sag es noch einmal, lasst sie los und macht euch vom Acker, bevor ich sauer werde.“ Während ich das sagte bahnte ich mir den Weg zu dem Mädchen und stieß dabei den ein oder anderen Knirps zur Seite. Die Jungs mochten nicht älter als zwölf oder so sein, fühlten sich aber wie die Könige dieser Straße. Sie lachten mich doch echt aus. Als sie dann Ria auf meinem Rücken entdeckten, stießen sie sich nur gegenseitig an und machten weiter dumme Witze. Verglichen mich mit Pippi Langstrumpf oder bezeichnete mich als Zirkuskind. Das bisschen Respekt was sie vielleicht eben noch vor mir gehabt hatten, weil ich älter war als sie, war verflogen. Das Mädchen stand hinter mir, traute sich nicht wegzulaufen. Ich krallte mir ihren Anführer und sah ihm funkelnd in die Augen. Ich hatte mich so schnell bewegt, dass damit keiner gerechnet hätte. Der ärmste machte sich bestimmt grad vor Angst in die Hose, konnte das aber als cooler Oberchecker vor seinen Kumpels nicht erlauben. Sein Versuch noch einen coolen Spruch rauszuhauen erstickte ich mit einem weiteren bösen Blick. Dabei hob ich ihn am Kragen hoch, sodass seine Schuhe den Asphalt nicht mehr berührten. Ein cooler Effekt, den ich aber leider nie lange durchhielt. Erinnerung an mich: Krafttraining erhöhen!

„Wenn ihr mich schon als Pippi Langstrumpf erkannt habt, hättet ihr auch an meine Stärke denken müssen.“ Sie machten große Augen, als trauten sie nicht dem was sie grade sahen. Schließlich wirkte ich nicht wie ein Muskelprotz, hatte eher eine schlanke weibliche Figur als einen athletischen Körper.

„Ihr haltet euch wohl für sehr cool, was? Kleinen Mädchen Angst zu machen. Als Gruppe einzelne anzugreifen. Ganz Großes Kino, wirklich. Aber soll ich euch mal was sagen? Das seid ihr gar nicht. Und noch eins: diese kleinen Mädchen werden einmal groß, so wie ich. Und dann gibt es für sie nichts Schöneres als sich an euch Versagern zu rächen! Also lauft schnell zu Mutti, bevor es noch unangenehmer für euch wird.“ Das hatte gesessen. Ich ließ ihren Anführer los, und dann rannten sie die Straße runter und verschwanden hinter der nächsten Ecke. Ich drehte mich zu dem Mädchen um.

„Danke!“ brachte es hervor, bevor es auch anfing zu starren.

„Gern geschehen. Aber warum starren mich heute eigentlich alle so dämlich an?“

„Dein Hosenstall ist auf. Man sieht deine…“ Waaas? Ich sah an mir herunter. Oh Nein. Das erklärte natürlich einiges. Oh Scheiße, wie peinlich. Ich merkte, wie ich rot wurde, während ich den Reißverschluss schloss. Ausgerechnet heute hatte ich mein Hello Kitty Höschen an. So etwas konnte aber auch nur mir passieren. In der Eile vorhin von Nairi wegzukommen hatte ich beim Umziehen kaum darauf geachtet wie ich aussah. Nun ja, das Ergebnis war jetzt zugegebenermaßen nicht soo toll.

„Bist du wirklich so stark wie Pippi Langstrumpf? Und hast du auch ein Pferd?“ fragte die Kleine mit großen Augen. Ich schätze, dass sie erst in die erste Klasse oder in die Vorschule ging.

„Nein. Und ich habe leider auch kein Pferd. Aber das brauchen die Typen ja nicht zu wissen. Oder?!“ Sie schüttelte den Kopf. Dann fiel ihr neugieriger Blick auf Ria.

„Darf ich das Äffchen mal streicheln?“

„Darf ich dir vorstellen, das ist ihre Hoheit Ria, und mein Name ist Abby. Und mit wem haben wir das Vergnügen?“ Dabei ging ich in die Hocke und schnallte den Rucksack ab, aus dem Ria schon drängend heraus wollte.

„Ich bin Amy.“ Sie hatte sich noch nicht zu enden vorgestellt, da war Ria schon auf ihren Arm gesprungen und zupfte in Amys geflochtenen Zöpfen herum. Amy entspannte sich endlich. Ihre Aura auf mich glänzend Golden. Ich beschloss Amy noch bis zu ihrer Schule zu begleiten. Ich glaube so muss man sich als ältere Schwester fühlen. Hatte mein Bruder den gleichen Stolz empfunden und diesen Beschützerinstinkt? Bevor ich aber wehmütig werden könnte hielt Amy an. Das Tor zu diesem Gebäude sah auch nicht gerade einladend aus. Was stand da auf dem Schild? „Silent Talents for Kingdom“.

„Warum kannst du das Lesen? Das dürfen nur wir können!“ Vorwurfsvoll sah mich die Kleine an. Ich hatte wohl laut gelesen. Aber wieso war sie deswegen verärgert?

„Warum sollte ich das denn nicht lesen können?!“

„Da steht für normale nur „Middel-School“ – das andere können nur WIR lesen!“

„Wer seid IHR denn?“

Doch Amy antwortete mir nicht mehr, sondern lief durch das Tor und rannte zum Schulgebäude. Oder was auch immer das für ein Gebäude war. Ich muss zugeben, dass mein Interesse durch das kleine Mädchen geweckt wurde. Vielleicht könnte ich mich mit dieser kleinen Recherchearbeit ja von Nairi und ihre blöden Lichtschwertern ablenken.

Die Uni ließ ich spontan ganz sausen. Zu viele Gedanken schwirrten mir im Kopf herum. In einem kleinen Internet-Café in der Stadt, googlelte ich dieses „Silent Talents for Kingdom“, fand aber nicht wirklich hilfreiche Informationen. Vielleicht krieg ich ja etwas über die Adresse und die Lehrer dort heraus. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die mich immer aggressiver werden ließ, weil ich nichts fand, beschloss ich wieder spazieren zu gehen. Aber das Thema „Amy und ihre Schule“ war noch nicht abgeschlossen. Auf meine SMS an Nairi bekam auch keine Antwort. Genervt landete ich abends ausgerechnet im No. 1. Und wer saß da? Nairi! Und mit wem? Mit Sharpi, Sean und noch zwei Mädels die ich nicht kannte. Wollen die sich jetzt alle gegen mich verschwören? Dachte ich angepisst.

„Hey Abbs, du hast heute doch gar keine Schicht?!“ Sean sah mich überrascht an und machte sich am Tresen zu schaffen.

„Störe ich etwa?“

„Nein, natürlich nicht.“ Versuchte Nairi mich zu beruhigen. Wich meinem Blick aber aus. Gleichzeitig Verabschiedete sich Sharpi und die Mädels folgten ihm wie Schoßhündchen. Auffälliger ging es nun wirklich nicht.

„Will mich mal ENDLICH jemand aufklären?“

Ich schubste Sean zu Seite und kippte mir einen Doppelten Whisky ein. Scheiß auf die Idioten hier. Nairi hatte mir im Vorbeigehen Ria abgenommen und brachte sie in die Abstellkammer. Noch ein Whisky, auch wenn es widerlich schmeckte.

„Willst du mir die Bude leer trinken?“

„Nur wenn ihr mir nicht endlich die Wahrheit erzählen wollt.“

„Abbs, es ist nicht meine Aufgabe. Eigentlich weiß ich sogar gar nichts. Nairi wird dir sicher alles erzählen, sobald du dich beruhigt hast.“

„Ich bin ruhig verdammt nochmal.“ Schrie ich ihn an. Die Tür öffnete sich und eine ganzer Schwung Gäste kam herein. Darunter auch Jaz, der mich zwar belustigt musterte aber ansonsten nicht weiter beachtete. Darauf trink ich doch einen, auf die Scheiß-Männer dieser Welt.

„Abby, wollen wir nach Hause gehen?“

„Nein, sag mir jetzt was los ist!“

„Das ist sehr kompliziert alles. Du würdest es nicht verstehen, lass mir noch etwas Zeit bitte.“

„Hältst du mich für zu dumm?“ fragte ich sie zwischen den nächsten beiden Drinks. So langsam merkte ich den Alkohol. Aber das war okay, ich wollte mich ja betrinken und berauscht sein. Nur den Zeitpunkt des Berauscht seins bis hin zum Betrunken war ein schmaler Grat, den ich nicht immer grade ging. Gerade als ich mir den nächsten Drink einschränkte, wurde mir das Glas entrissen.

„Ey.“

„Du hast genug Abs.“

„Du hast mir gar nichts zu sagen.“ Ich schnappte mir die Flasche und marschierte los. Dabei lief ich direkt in Jaz´s Arme.

„Hey, pass auf wo du hingehst Süße.“

„Ach, und du kannst mich auch mal. Mir mit deinem perfekten Arsch auflauern und dann ignorieren. Ich hab kein Bock mehr.“Draußen umfing mich ein kühles Lüftchen. Angenehm begann die Welt etwas zu verschwimmen. Die Flasche hatte ich noch immer in der Hand, genüsslich nahm ich noch einen Schluck. Whisky schmeckte ja doch gar nicht so ätzend. Auf einer Bank ließ ich mich nieder. War mir doch egal was Nairi und Sean jetzt dachten. Selbst Schuld. Irgendwas berührte mich an der Schulter.

„Lass mich in Ruhe.“ Ich sah mich um, entdeckte aber nur einen vereinzelten Zweig der zu mir herüber ragte. Super, jetzt hatte ich auch noch Wahnvorstellungen. Schritte hörte ich auch noch. Vielleicht war es an der Zeit nach Hause zu gehen.

„Führst du schon Selbstgespräche?“

„Du schon wieder!“ begrüßte ich den Störenfried und prostete ihm in der Luft zu. Danach stützte ich mich auf den Knien auf. Auf dem Boden sah ich wie die kleinen putzigen Armeisenkrieger ihrer Wege gingen. So Ameisen hatten auch schon irgendwie ein scheiß Leben, so viele Krieger und nur eine Königin, oder waren das die Bienen?

„Jap, der perfekte Arsch. Zu Diensten. Danke für das Kompliment übrigens.“ Ich lugte zischen meinen Haaren zu ihm hoch. Was hatte er gesagt. Mist. Jaz sah grade auch wie ein Krieger aus. Wie immer in schwarz gekleidet. Ein sehr geiler Krieger nur. Sein Hemd war bis zur Hälfte geöffnet, offenbarte einen wunderbaren Blick auf seine perfekt geformte Brust. Seine Hände steckten lässig in seiner schwarzen Jeans. Ich erhob mich und streckte ihm einen Finger auf die Brust.

„So etwas wie du sollte verboten sein, Das ist öffentliche Verführung.“ Dabei stieß ich ihn bei jedem Wort mit dem Finger an. Er schüttelte sich vor Lachen. Das Mondlicht fiel wie ein Spotlight auf ihn. WOW. Ich trat zurück um meinem gold-schwarzen Krieger besser ansehen zu können. In dem Moment verlor ich das Gleichgewicht und Jaz fing mich auf. Durch den Schwung landete ich ganz nah an ihm.

„Du verträgst wohl nicht gerade fiel Süße.“

„Hmhmm...“ Ich atmete seinen Duft ganz tief ein. Jaz roch so unwahrscheinlich gut. Und noch besser war, dass sich bei jedem einatmen meine Brust noch enger an ihn presste.

„Wie Honig, also bischt du doch keine Ameise!“ Ein erotisches Kribbeln durchfuhr mich. Mit meiner freien Hand fuhr ich seinen Körper hinauf und nuschelte weitere Liebkosungen vor mich hin.

„Was hast du gesagt?“

„...Honig.... wie Verführung...“ wieder dieses Lachen. Erst als er mir die Whisky-Flasche entwenden wollte, reagierte ich wieder richtig und protestierte. Aber er war zu stark für mich. Durch das leichte Gerangel, streiften meine Lippen seine Brust. Wie elektrisiert hielt ich inne. Wahnsinn wie sexy dieser Bienen-Krieger war. Ich griff in seinen Hemdkragen und zog ihn zu mir. „Küsch mich... Ich will küssen...“

„OH Mann, das wird dir morgen so leidtun Süße. Aber jetzt tut mir erst mal Leid, dass ich nicht auf dein äußerst verlockendes Angebot eingehen kann. Denk dran wenn du morgen aufwachst, dass es mir leid tut, und Aufgeschoben nicht Aufgebhoben heißt!“

„Hä, was?“ Doch da hatte er mich auch schon gepackt und die Erde kippte auf einmal. Mein Whisky lag verschüttet am Straßenrand. Während ich ihm noch nachweinte und mich wunderte warum der Bienen-Krieger nicht flog, wurde es dunkel um mich herum.


Ich wachte mit einem riesigen Schädel auf. Ich versuchte mein Augen zu öffnen, konnte aber nichts erkennen. Totale Finsternis. So ein Dreck. Was zum Teufel war hier los? Meine Hände und Füße waren gefesselt. In was für Psycho-Spielchen war ich jetzt denn geraten?! Meine letzte wirkliche Erinnerung war, dass ich aus dem No. 1 mit der Flasche Whisky abgehauen war, und ich irgendwann noch einmal Jaz getroffen hatte. Oh, verdammter Mist. Ich glaub ich war ziemlich peinlich. Scheiß Whisky. Scheiß Kerl. Erst rettete mir dieser Typ, das Leben um mich danach zu entführen. Perverses Schwein. Wenn ich mich gleich in so einer SAW-Kulisse wiederfand, würde ich definitiv einen hysterischen Anfall kriegen. Scheiß auf die Kopfschmerzen. Ich versuchte krampfhaft meine Fesseln zu lösen, als ich Geräusche hörte. Mucksmäuschenstill lauschte ich.

„Meinst du, sie ist schon wach?“

„Bestimmt. Ich meine, sie hat jetzt über 10 Stunden ihren Rausch ausgeschlafen und die Beruhigungstropfen müssten auch schon verdaut sein.“ Das könnte Jaz Stimme gewesen sein. Die hatten mir Beruhigungstropfen gegeben? Wie krank, meine Horrorvorstellungen führten mich einer Hysterie immer näher.

„Ob sie sehr sauer sein wird?!“ Wenn das Nairi ist, fresse ich einen Besen! Steckte die mit Jaz dem perversen unter einer Decke? Oder ich war in einem schlechten Versuch von „Versteckte Kamera“ gelandet.

„Du kennst sie sicher besser als ich, aber glaub mir, sie wird uns beiden gleich die Hölle heiß machen!“ Darauf könnte ihr einen lassen, dachte ich mir als eine Tür quietschend geöffnet wurde.

„Guten Morgen Sonnenschein.“ Die Mütze oder Tüte wurde von meinem Kopf entfernt. Ich blinzelte ins Licht, und erkannte wirklich Jaz, der vor mir kniete und Nairi, die abwartend im Türrahmen stand. Am liebsten hätte ich den beiden grade die Augen ausgekratzt und in den Hintern gestopft. Von der eigenen Freundin verraten. Wie beschissen konnte ein Leben sein, den Kameras konnte ich hier nirgends entdecken. Dreck und Grütze nochmal, also doch die SAW-Variante. Ich beschloss aber, mir nichts anmerken zu lassen. Wenn ich hier schon gegen meinen Willen reingezogen wurde, wollte ich ihnen nicht auch noch mit meiner Panik in die Hände spielen.

„Ich habe Durst.“ Verblüfft musterte Jaz mich, schenkte mir aber vom Tisch neben uns ein Glas Wasser ein. Der Raum in dem ich mich befand, war nicht gerade schön, aber auch kein Keller oder Verließ, wie ich es mir vorher ausgemalt hatte.

„Abby…“ Nairi kam auf mich zu.

„Nein, sprich nicht mit mir. Du bist für mich gestorben. Zieht euren kranken Scheiß oder was auch immer ab. Aber ich werde hier nicht betteln oder die verzweifelte spielen.“

„Wie bitte?“ Ich schloss die Augen wieder und versuchte die beiden zu ignorieren.

„Du hast uns grade echt überrascht Süße. Aber möchtest du jetzt nicht wissen, warum du hier bist?“ Oh, jetzt verschwindet doch endlich, dachte ich mir. Bevor ich meinen Plan, die Harte und desinteressierte zu spielen, wieder verwarf. Doch meine Wut und mein Stolz mich nicht zu erniedrigen, halfen mir. Ich summte einfach ein Lied vor mich und wartete. Irgendwann schloss sich die Tür wieder. Ich hatte gar nicht mitbekommen wie Jaz offensichtlich meine Hand- und Fußfesseln gelöst hatte. Ein letztes Zugeständnis für das Opfer? Sollte ich mich in Sicherheit wähnen, damit mein drohendes Ende noch schmerzhafter wurde? Verfluchte Scheiße. Warum konnte ich nicht wieder klein und behütet sein. Immer jemanden an meiner Seite, der mich beschützt. Mir kamen die Tränen. Wut und Verzweiflung, dazu noch die Angst wie ich mir wiederwillig eingestand.
Da keiner in der Nähe war, ließ ich ihnen freien Lauf und gab mich hin. Hätte ich gewusst wie der gestrige Tag endet, hätte ich ihn anders genutzt. Ich hätte den Typen aus dem Coffee-Shop abgeschleppt und nicht nur seine Nummer eingesteckt, ich wäre mir Ria länger im Park geblieben. Oh mein Gott, was würde denn jetzt aus Ria werden? Noch mehr Tränen. Ich hatte wohl doch kein Sherlock Holmes-Gen, denn der hätte den falschen Braten hier sicher gerochen. Und dann dachte ich wieder an Jaz, diesen verfluchten Kerl mit dem geilen Körper. War klar, dass der ein Psycho sein musste. Kleidung und Körper nur auf die Blendung programmiert. Aber wie passte Nairi in dieses Bild? Nairi, die meine einzige Verbindung zu meiner Vergangenheit war. An eine frühere Familie. Dreck, kein Wunder das ich hier saß und rumflennte.
Aufgebracht stemmte ich mich von meinem Gefangenenlager hoch und musterte den Raum. Nicht sehr groß, ein Bett, ein Tisch und Stuhl. Ein Fenster, mit Gittern. Super. Ich versuchte mich Hilfe des Stuhles einen Blick nach draußen zu werfen. Scheiße, diese Gebäude musste an einer Klippe oder ziemlich hohen Berg liegen. Ich konnte mal gerade so ein paar Bäume und Felsen unter erkennen. Einen Sprung hätte ich also niemals ohne Schaden überlebt.

„Du hast dich also wieder gefangen?!“ sagte Jaz, zog mich vom Stuhl runter und fuhr mir mit seinem Finger, über meine sicherlich von Schminke, verschmierte Wange. Wütend schubste ich ihn zurück.

„Was fällt dir eigentlich ein, dich immer anzuschleichen! Verschwinde!“

„Geht nicht. Du befindest dich in meinem Haus, und darum spielst du jetzt erst einmal nach meinen Regeln Schätzchen.“ Provokant kreuzte er die Arme vor der Brust. Ich musterte das Arschloch vor mir: Enge Hose, natürlich schwarz, wie immer. Enges Shirt, Lederarmbänder. Sexy halt. Ohoh, ich glaube ich erinnerte ich grade an etwas von gestern Abend. Scheiße, ich hatte ihn angemacht, ihn gebeten mich zu küssen. Ich spürte wie ich rot wurde.

„Erinnerungen an gestern Süße?“

„Verpiss dich! Ich will dich nicht sehen. Und übrigens, alles was gestern passiert ist, ist gar nicht so gemeint gewesen. Das war nur der Alkohol. Sorry wenn du dir darauf was eingebildet hast und ich deshalb hier gelandet bin! Also könnte ich doch eigentlich jetzt gehen.“ Jaz lachte mich aus.

„Ich glaube, zwischen deinem Geschwafel gestern, hat durchaus etwas Wahrheit gesteckt Süße. Ich glaube du stehst sogar auf mich, willst es nur nicht zugeben.“

„Nur weil du einen geilen Körper hast, heißt das noch nicht, dass ich auf dich stehe.“ Schnauzte ich ihn an. Eingebildeter Vollidiot.

„Und nur weil du so eine große Klappe hast, heißt das nicht, dass ich nicht auf dich stehe!“ ich wollte gerade etwas erwidern als Sharpi den Raum betrat. Was wollte der denn hier? Wer kam als nächstes? Mickey Mouse und Dagobert? Oder dem Ort nach zu urteilen eher Dracula und Frankenstein?

„Ich weiß, Sie werden sich jetzt ziemlich wundern Abby. Aber das ganze hier ist im Moment eine reine Vorsichtsmaßnahme, hauptsächlich zu Ihrem Schutze.“ Ich starrte ihn immer noch argwöhnisch an, als Nairi mit Ria auf dem Arm dazu kam. Ria sprang sofort auf mich zu.

„Hey Schönheit. Gott sei Dank geht es dir gut.“ Nairi ignorierte ich, genauso wie Jaz. Sharpi wirkte irgendwie anders. Seine Aura war noch strahlender als zuvor, wie reines fließendes Gold.

„Nun Abby. Wir, damit meine ich eine relativ große Schar von Personen unterschiedlichster Art, darunter auch ihre Eltern, sind dazu…“

„Moment mal, Sie wissen wer meine Eltern sind?“

„Nun ja, ja das tue ich.“

„Und du wusstest das?“ griff ich Nairi verbal an. Stand die hier seelenruhig, während hier wesentliche Puzzelstücke meines Lebens zusammengesetzt wurden.

„Seit gestern hab ich so einiges erfahren Abby. Ich wusste nur nicht wie ich dir alles erklären sollte. Und dann tauchte diese Lady aus dem Café in der Uni auf, drohte mir, uns! Andrew (sie zeigte dabei auf Sharpi) wollte mir helfen. Uns beschützen Abby. Und Jaz, bot uns sein Heim als Unterschlupf an.“

„Es hat Jahre gedauert, Sie beide wiederzufinden. Nach dem Unfall mit ihren Eltern müssen Sie wissen, ist ein überaus mächtiger Schutzzauber in Kraft getreten. Der es selbst uns Lichtkriegern schwer machte, Sie aufzuspüren!“

„Ja ist klar. Haha, ich hab zwar nen Kater, bin aber nicht mehr betrunken. Lichtkrieger. Man kann es mit der Fantasy auch übertreiben Professor. Also was soll der ganze Scheiß hier?“ ich verschränkte provokativ meine Arme vor der Brust und mit Ria auf der Schulter sah ich bestimmt wie die nicht jugendfreie Version von Pipi Langstrumpf aus. Nairi bat die beiden uns alleine zu lassen. Jetzt bin ich ja mal gespannt wie ein Flitzebogen, welche Erklärung sie mir zu bieten hatte. Die hoffentlich sehr gut war.


Nairi erzählte mir davon, dass sie in der Nacht des Treffens mit dem „Club of the Lights“ angeblich ihre Erinnerungen an ihre Vergangenheit wiedererlangt hätte. Diese Leute hätten uns jahrelang gesucht blabla… doch durch Magie war um uns herum ein Schutzzauber gewoben worden. Sehr seltsame Geschichte, in der mir einfach zu viele Lücken waren. Und zu viel Fantasykram. Und wie Knackarsch da rein passte, war mir auch noch nicht ganz klar. Fakt war jedenfalls, dass Nairi voll auf ihren Andrew abfuhr und total auf diese Situation abging. Als nächstes sollte in einem speziellen Ritual meine Erinnerungen wieder „freigeschaltet“ werden. Ich glaubte Nairi nur zum Teil. Zu groß war meine Angst enttäuscht zu werden. Und ich würde definitiv jemanden gewaltig in den Hintern treten, wenn die hier versuchten irgendeine Show abzuziehen. Vorzugsweise in den Hintern von Jaz.

„Ich soll mich also wirklich in deren Hände begeben und daran glauben, dass die es schaffen Erinnerungen die so weit in mir begraben sind, das kein Arzt mir oder uns helfen konnte, dass DIE es schaffen?“

Eine gefühlte Ewigkeit später, wurde ich dann von Nairi und Jaz abgeholt. Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden gerade. Heftig, wie schnell so ein Tag an einem vorbeiziehen kann. Die Flure rochen hier irgendwie muffig. Wenn das wirklich Jaz´s Haus ist, dann hat der Kerl wirklich einen Knacks weg. Lauter schräge und gruselige Gänge, die scheinbar ins nichts führten. Und muffig roch es auch noch. Männer, kein Sinn für Ästhetik. Bis wir vor einer großen goldenen Tür stehen blieben. Jaz klopfte an und trat mit uns ein. Mir stockte der Atem und ich drückte Nairis Hand ganz fest. Dort standen in einem Kreis, 10 Personen in weiß-goldenen Umhängen. Warteten. Heilige Scheiße, das sah unheimlich aus. Einer kam auf uns zu. Jaz war irgendwie verschwunden und auch Nairi löste sich von mir. Der Mann vor mir schob seine Kapuze runter und sah mich an. Sharpi, strahlend wie eh und je. Er führte mich in die Mitte des Personenkreises und bat mich, mich auszuziehen.

„Ausziehen?“ Die hatten sie doch nicht mehr alle. Vielleicht keine SAW-Produktion, aber einen Porno drehen, oder wie? Sharpi stand einfach nur gelassen vor mir.

„Wie jetzt, ganz?“ Verrückte Spanner, ich würde mich garantiert nicht hier vor allen ausziehen und einen Striptease hinlegen. Von wegen.

„Wir drehen uns natürlich um, um dir deine Privatsphäre zu lassen. Nur Cloe unsere Älteste wird bei dir sein. Dich Reinigen und dir in dein Gewand helfen.“ Ich wollte grade einen Fluch ausstoßen, als ich Nairis Gesicht in der Menge entdeckte. Ach Scheiße nochmal. Sie nickte mir zustimmend zu. Ich seufzte. Na gut, dann also ausziehen. Solange die nicht mein Blut vergießen wollten, ging das ja noch. Und wenn das Ganze ein Reinfall war, hätte ich wenigstens mal eine gute Geschichte die ich meinen Enkeln erzählen konnte. Zumindest versuchte ich mich mit dieser Ausrede zu beruhigen. Soweit war es schon gekommen, dass ich mich hier einfach so vor fremden Leuten auszog. Dreck verfluchter.

„Umdrehen!“ zischte ich. Moment, hatte ich da grad ein mir gut bekanntes Lachen gehört? Egal. Da kam diese Cloe mit einem Eimer und einem Schwamm auf mich zu und fing an meinen Körper zu quälen. Die konnte aber auch mal einen Wellnesskurs belegen. Sanft und schön ging anders. Doch auf meine Schmerzenslaute ging sie überhaupt nicht ein. Ich bildete mir sogar ein, ein Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen. Die hatte garantiert eine sadistische Ader. Blöde Kuh. Die scheuerte mir doch echt die ganze Haut ab. Ich sah aus wie ein kleines rosa Schweinchen, als sie mir in meine ebenfalls weiß-goldene Robe half. Danach drehten sich alle schweigend um und betrachteten mich. Sie fassten sich bei den Händen und fingen an zu singen. Zum Glück verstand ich davon kein Wort, bei halleluja oder irgend so einem Gospel hätte ich garantiert angefangen zu lachen. Nacheinander betrachtete ich die Personen um mich herum. Alle hatten die Augen geschlossen. Hinter dem Kreis, standen weiter Personen. Nairi, Jaz der Idiot der mich schon wieder so verführerisch anguckte und weiter links entdeckte ich Sean. SEAN? Ich glaub mich tritt ein Pferd. Was machte der denn hier? So langsam wurde mir die Geschichte hier doch unheimlich. Zumal mir jemand, wie durch Zauberhand einen Kelch gereicht hatte, aus dem ich so dumm wie ich bin, natürlich auch automatisch einen Schluck getrunken hatte. Die Personen vor meinen Augen begannen zu verschwimmen, mein Puls dröhnte mir in den Ohren und ich hörte mein Blut rauschen. Dann sackten meine Beine auf einmal weg und Schwärze breitete sich aus.

Ich erwachte mit einem Hauch von Nelkenduft in der Nase. Und meine Welt, wie ich sie bis-her kannte, existierte nicht mehr. Ab jetzt würde alles anders werden. Wieder einmal, dachte ich voller Bitterkeit. Ich stand auf und blickte mich im Spiegel an. Ich sah aus wie immer. Als ob nichts wäre. So ist das mit der Realität und dem Scheinbild. Nairi hatte mich nicht angelo-gen. Auch ich erinnerte mich jetzt wieder an meine gesamte Kindheit. An die Welt, neben der Welt. An meine Eltern, meine Brüder. Nairi war Teil der Lichtdienerinnen, dazu bestimmt mich zu begleiten und zu beschützen. Sean, unser Hauslehrer. Wie auch immer er es geschafft hatte, sich unbemerkbar in meiner Nähe aufzuhalten. Ich erinnerte mich auch an Knackarsch Jaz. Und wenn man an den Teufel denkt, steht er auch schon auf der Matte, dachte ich, als Jaz den Raum betrat.

>>Guten Morgen. Wie geht es dir?<< Guten Morgen? Scheiße, hier verging die Zeit echt rasend schnell. Mir kam es so vor als ob nur ein paar Minuten seit dieser Zeremonie vergangen wären und nicht eine ganze Nacht. Aber egal, erst einmal musste ich etwas anderes loswerden.

>>Du hast mir meine Puppen geklaut und ihnen die Haare abgeschnitten, Kein Wunder das ich dich nicht leiden kann!<<

>>Haha, ach das. War doch ganz harmlos Süße. Ein Kinderstreich. Aber schön, dass du dich wieder erinnern kannst. Der Rat hatte einige Probleme, so stark war die Magie deiner Eltern bei dir.<<

>>Wo sind sie eigentlich? Warum waren sie nicht dabei? Ich muss sie sehen Jaz!<< Ich war aufgesprungen und hatte mich so groß es mir möglich war, vor ihm aufgebaut.

>>Ich weiß und genau da liegt das Problem. Komm setzt dich. Als ihr den Unfall hattet, setzten deine Eltern und Nairis Mutter alles daran, um euch Kinder zu schützen. Deine Brüder und ihr zwei wurdet in diese Welt gesandt. Danach zogen sie in den Kampf gegen die dunklen Mächte. Stichwort: Blaue Lady Abby, kapiert? Das sind die Bösen. Wir die Guten. Der Unfall damals war ein Attentat auf eure Familie Abby.<< Jaz erzählte mich noch so einiges von damals, doch ich hörte nur mit halben Ohr zu. Auch seine Herablassende Art störte mich grad wenig. Ein Attentat. Plötzlich hatte ich den „Unfall“ wieder vor Augen. Erst das donnern und ächzen des Flugzeuges. Dann der Aufprall. Meine Mutter, die uns anschrie. Mein Vater, der bewusstlos am Boden lag. Und dann diese gigantische Explosion, die alles um uns herum vernichtete. Bei dieser Erinnerung zuckte ich heftig zusammen. >>Scheiße nochmal!<< flüsterte ich. Jaz musterte mich.

>>Und was ist jetzt mit ihnen? Und meinen Brüdern?<< Trotz der wichtigen Informationen die ich gerade bekam, konnte ich mich kaum konzentrieren, da Jaz mir immer näher kam. Konnte der nicht einfach erzählen ohne mich anzutatschen? Sein streicheln auf meiner Hand war keineswegs beruhigend. Vielmehr anregend. Verflucht, wenn er sich nicht gleich vom Acker macht, fall ich ihn noch an. Was war denn nur mit mir los, das ich so die Kontrolle verlor?

>>Zuerst fanden wir Pete. Dann Nickolas. Jetzt dich und Nairi. Fehlen noch Josh und Danny. Wobei wir bei Danny eine heiße Spur haben, denen deine Eltern nachgegangen sind. Seitdem sind sie wieder verschwunden. Wir vermuten, dass sie in feindlicher Gewalt stecken.<< So viel zum Thema Familienzusammenführung. Normalerweise neigte ich nicht so sehr zu Sentimentalitäten. Doch jedes Mädchen brauchte doch verdammt nochmal ihre Eltern. Wie lange sollte ich denn noch warten?

>>Und wo sind Pete und Nick?<< schniefte ich. Das Ganze war wirklich abgefahren und irgendwie unheimlich.

>>Sie sind auf dem Weg hierher!<< Inzwischen war er mir so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spürte. Oh, verflixt und zugenäht. Ich wusste jetzt zwar, dass er zu den guten gehörte, immerhin kannten wir uns seit unserer Kindheit. Aber er blieb ein arroganter Idiot mit Knackarsch. Sich hier an mich ranzumachen, während ich emotional völlig durcheinander war.

>>Vielleicht möchtest du nach so viel Familiengeschichte, ja ein bisschen Ablenkung, kleine Abbygale?<< Wahrscheinlich hätte ich ihn sogar gewähren lassen mich zu küssen oder auch mehr, viel mehr sogar. Aber da er mich KLEINE ABBYGALE nannte, brannte mein Stolz mit mir durch und ich stieß ihn von mir. Von wegen mein Lieber.

>>Du bist dir wohl für keine List zu schade, oder Jazzan?<<

>>Du erinnerst dich an meinen richtigen Namen, ich bin beeindruckt!<<

>>Tu doch nicht so. Und jetzt schwing deinen Arsch hier raus! Ich will allein sein.<<

>>Sicher?<< Dabei lächelte er mich so an, dass bestimmt jedes Mädchen dahin geschmolzen wäre. Ich zögerte. Warum nicht ein bisschen Spaß haben? Immerhin sah er wirklich zum Anbeißen aus. Vielleicht hatte er mit der Ablenkungssache sogar Recht. Mit diesem Stimmungswandel hatte er offensichtlich nicht gerechnet. Ich auch nicht – egal. Eine Frau muss tun, was eine Frau eben tun muss. Ermutigt nutze ich diesen Vorteil aus, und ging kokett auf ihn zu. Zog ihn an seiner Kette zu mir herunter und küsste ihn sanft auf die Wange. Dann seinen Kiefer entlang. Zum Hals. Am Hemdkragen vorbei, zu seiner Schulter. Küssend und streichelnd arbeitete ich mich dann vom Schlüsselbein wieder hoch zum Hals. Ich spürte wie sein Pulsschlag schneller ging. Genoss die Macht, die ich momentan über ihn hatte. Seine Hände umfassten meinen Rücken, zogen mich an ihn und spielten mit meinem Haar. Ich schob ihn seitlich zum Bett und schubste ihn. Verblüfft landete er auf der Matratze und starrte mich an. Hättest du jetzt nicht gedacht Knackarsch, oder? Ich grinste ihn vielversprechend an.

>>Du hast mich herausgefordert Jaz. Selbst schuld.<< Ich kletterte aufs Bett und setzte mich auf seinen Schoß. Langsam strichen meine Hände über seine Brust. Lecker. Ich strich mit meiner Zunge über meine Lippen, huch, so war ich doch sonst nicht. Mein Blick folgte meinen Händen, daher bekam ich nicht sofort mit, dass Jaz mich anzüglich anlächelte. Von Unsicherheit keine Spur mehr. Ohoh, das sah nicht gut aus.

>>Und ich hab noch einen Wunsch von dir, den ich jetzt gerne erfüllen würde!<< Damit zog er mich ruckartig an sich. Ich keuchte erschrocken auf. Hilflos saß ich jetzt auf ihm und wartete. Verdammter Dreck. Seine Nase berührte meine. Zu meiner Schande, breitete sich Vorfreude in mir aus. Doch nichts geschah. Was sollte das? Wenn der Idiot mich nicht gleich küsste, würde ich ihn in die Lippe beißen, schwor ich mir. So ein Dreck aber auch, dass ich es so gerne wollte, klar dass das Arschloch hier das ausnutzte. Nochmal Dreck verdammter. Während ich noch darüber nachdachte wie ich das mit dem beißen anstellen sollte, merkte ich wie seine Lippen meine berührten. Endlich. Ich stöhnte erleichtert auf. Wie peinlich. Aber wie lange ich insgeheim auf diesen Kuss gewartet hatte, wurde mir erst in diesem Augenblick klar. Schon in meiner Kindheit hatte ich romantische Träume mit Jaz und mir gehabt, nur waren die damals noch jugendfrei. Heute, jetzt in diesem Moment allerdings, waren sie alles andere als jungendfrei und harmlos. Seine Lippen fühlten sich weich und hart zugleich an. Sein Mund fordernd und sinnlich in einem. Oh Mann, noch nie hatte ich einen solch wahnsinnigen Kuss erlebt. Das Warten hatte sich definitiv gelohnt. Auch wenn es Knackarsch Jaz war. Apropos. Den Knackarsch musste ich auch noch testen. Nur wie, wenn ich auf ihm lag? Später, versprach ich mir. Auch Jaz stöhnte an meinem Mund auf, als ich ihn nur so zum Scherz, wirklich etwas auf die Lippe biss. Unser Kuss wurde immer leidenschaftlicher, sodass ich begann mein Becken auf seinem Schoß kreisen zu lassen. Es fühlte sich unbeschreiblich herrlich an. Zum Dank dafür fasste er mich mit einer Hand an der Hüfte und presste mich noch enger an sein hartes Glied. Die andere Hand hielt meinen Kopf weiter fest. Meine Hände umfassten seinen Kopf ebenfalls. Fuhren unkontrolliert durch sein Haar. Himmel, der schaffte es nur durch einen Kuss mich so scharf zu machen, dass ich ihn hier und jetzt wollte. Gerade als ich ihm das mitteilen wollte, klopfte es kurz an der Tür, bevor diese schwungvoll aufgestoßen wurde.

>>Jetzt sieh dir DAS an Pete. Und ich dachte sie wäre immer noch die kleine Göre mit den Zöpfen!<< Wer zum Teufel, war das denn jetzt?

>>Definitiv nicht Nick.<< hörte ich den anderen Kerl sagen. Erschrocken hatte ich mich von Jaz gelöst und war auf den Bettrand gerutscht. Dort versuchte ich mein Haar in Ordnung zu bringen, ehe ich die Eindringlinge musterte. Zwei große Kerle standen dort, beide blond, gutaussehend um nicht zu sagen zwei weitere sexy Sahneschnitten. Was war denn los hier? Aber warte mal, hatte ich da eben richtig gehört? Pete und Nick? Meine Brüder? Oh scheiße, sie waren jetzt hier – hatten mich beim knutschen erwischt? Wie peinlich war das denn? Ich war wie erstarrt und merkte wie ich rot wurde.

>>Aber sie kann noch genauso dumm gucken wie damals. Wobei wir uns jetzterst einmal Jaz vorknüpfen müssten.<< Der blonde, Nick, den ich trotz der 5 Jahre sofort wiedererkannte, kam langsam, aber bedrohlich auf uns zu. Jaz lag noch immer mit hinter dem Kopf gekreuzten Armen auf dem Bett. Lächelte meinen Bruder herausfordernd an.

>>Schön dich wiederzusehen Nickolas. Hattest du einen schönen Ausflug mit Cathy?<< Pete brach in lautes Gelächter aus und schlug Nick im Vorbeigehen auf die Schulter. Touché.<< flüsterte er ihm zu. Ich sah immer wieder zwischen den beiden hin und her, verstand aber nur Bahnhof. Dann standen die beiden auf einmal direkt vor mir. Wow, im Gegensatz zu mir hatten die beiden sich wahnsinnig verändert. Die konnten glatt als Models durchgehen. Aber wer wollte seine Brüder schon als geil bezeichnen, ich jedenfalls nicht. Zeit für eine große Geschwister-Kuschel-Runde. Zögerlich ging ich auf die beiden zu. Doch das was mich zurückhielt, trieb die beiden anscheinend an. Stürmisch drängelten sie sich vor mich und schubsten sich gegenseitig zur Seite weil jeder mich zuerst umarmen wollte. Im Endeffekt lagen wir alle auf dem Boden und rollten uns vor Lachen, bis mir die Tränen kamen. Gott, wie herrlich Brüder sein konnten und wie schrecklich ich sie vermisst hatte.

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Texte: Text und Cover: alle Rechte bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2011

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