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A

ls die Sonne am Morgen an den Rollladenschlitzen herein kroch und das dunkle Zimmer in sanftes Licht tauchte, erwachten die zwei schlafenden Körper allmählich zum Leben. Ein kleines Grunzen und Bewegungen unter den gelben, sommerlichen Bettdecken signalisierten dem Gegenüber, dass der Tag begonnen hatte.
Als Alex die Augen öffnete und sich zaghaft umsah, konnte er nichts deutlich erkennen. Der Traum und dessen verzerrte Erinnerungen verschmolzen gerade mit der Wirklichkeit zu einem undurchdringbaren Nebel, der ihm die Gedanken in lange Fäden zog. Er war sich sicher, dass hier etwas nicht seinen gewohnten Lauf nahm – etwas, dass schon eingetreten war oder bald eintreten würde. Ein Blick und ein Lächeln, gefolgt von einem zärtlichen Kuss ließen die träumerischen Anwandlungen alsbald verschwinden. Er dachte an Vorgestern und die herrliche Überraschung, die er Nastja bereitet hatte – ein Zimmer ausgestreut mit roten und weißen Rosenblättern, die von mattem Kerzenschimmer beleuchtet ihre Schatten an die Wände warfen. Ein Song, flüchtig wie der Septembertag, hatte den Rhythmus ihrer heißen Körper diktiert.
Heute gab es keinen Song, keine Kerzen und keine Liebe. Die flüchtige Erinnerung an romantische Stunden ließen sein Herz zu Stein erstarren – ein Klos im Hals und der gesteigerte Puls ließen ihm keine Ruhe. Die Zeit hatte diese Ereignisse längst hinter sich gelassen und übergab die erlebte Erinnerung der gelebten Illusion, wie Alex immer zu sagen pflegte.
„Wann wirst du heute fahren?“, fragte Nastja ungerührt. „Ich weiß es noch nicht, wahrscheinlich gegen 3. Warum fragst du?“ „Ich wollte bloß wissen, wie ich meinen Tag zu planen habe“, gab sie spielerisch und doch betroffen zurück. Alex wusste nur zu gut, was gerade in ihr vorging. Die Unvereinbarkeit zwischen Kopf und Verstand, der zähe Kampf gegen die Wirklichkeit, der Unglaube des Herzens in einer ausweglosen Situation schienen sie innerlich zerreißen zu wollen. Augenblicke der Verzweiflung reihten sich aneinander und wurden von kurzen Hoffnungsschimmern am nebligen Horizont unterbrochen. „Meinst du, dass dies unser Schicksal ist?“, fragte er in die morgendliche Stille hinein. Es gab keine Antwort. Kein richtig oder falsch und keine stereotypen Antworten würden hier die Ereignisse erleichtern, mildern oder gar verständlich machen. Er glaubte nicht an das Schicksal, dieses monumentale Wort, das einem die Verantwortung abnehmen sollte.
Nun saßen beide hier und erlebten die traurigsten Augenblicke ihrer Beziehung – äußerlich zu Eis erstarrt, aber im innern lodernd, dürstend, verbrennend – warten auf den letzten Moment der flüchtigen Vereinigung.
Gab es einen unbekannten Weg, eine Abzweigung, die noch keiner von ihnen entdeckt hatte? Er dachte fieberhaft nach. Die Liebe wurde den Idealen und Prinzipien zum Fraß vorgeworfen und krepierte an der Unbarmherzigkeit dieser Kontrahenten. Welche Konstanten wiegen schwerer auf der Seele des Menschen? Kann man sie überhaupt vergleichen, ja, sollte man sogar? Er bezweifelte es. Die Liebe nimmt sich, was sie braucht, solange, bis ihr ein Hindernis in den Weg kommt, das mit einem Hormoncocktail nicht mehr in den Griff zu bekommen ist. Liebe ist keine Abhängigkeit und auch kein Egoismus, aber ihre Liebe erschien ihm gelegentlich in diesen Farben zu glänzen, obwohl er es sich nicht eingestehen wollte. Gedankensplitter durchliefen seinen Kopf und ließen ihn erzittern. Die Entscheidung war gefallen, dass war beiden Liebenden bewusst. Es gab keinen Ausweg, keine Alternative, keinen Plan B oder Z, den man jetzt noch aus dem Hut zaubern konnte. Es blieb nur das Verlangen und die Erkenntnis. Das Virus und das Bakterium lieferten sich einen Kampf, der die Zeit stillstehen ließ. Dieser Morgen des Wartens und Erwartens war nichts anderes als ein langsam vegetierender Selbstmord. Der Suizid der Seele im Angesicht der Zeit und der Liebe schien ihm sinnlos – alles schien ihm gerade egal zu sein. Jeder braucht Balsam für die Seele, und sei es nur einen Augenblick lang. Einen Moment zeitlosen Glücks, dass man in die stille Unendlichkeit der anschließenden Trauer mitnehmen konnte, um es wie einen Schatz zu behüten. Das Eis der matten Wirklichkeit schien vom Feuer der Leidenschaft verzehrt zu werden. Beide Körper sehnten sich nach dieser Umarmung, dem Kuss, der Verzögerung und Illusion. Den Schmerz zu verdrängen und gegen etwas zu ersetzen, was eigentlich gar nicht mehr existierte: die Leichtigkeit des Seins. Ein zaghafter Kuss, ein leises Schluchzen, zitternde Mundwinkel und bebende Lippen, die ihre Ruhe erst in der Vereinigung finden können. Augen finden sich im Chaos und schenken dem Gegenüber Ruhe ohne Zuversicht. Ein Aufschrei geht unbemerkt durch beide Körper – eine stille Rebellion, die die Szenerie trennen will, um größeres Unheil und längere Beklemmung zu vermeiden.
Eine Region im Kopf gibt diese Anweisung, den Abschied nicht noch schwieriger zu machen und wird sofort in der Glut der unbändigen Seele verbrannt. Ein Moment, den man in die Scheinwelt, ins Zwielicht mitnehmen kann, genügt, um die Zweifel auszuräumen. Eine blaue Iris spiegelt sich in einer braunen – die Komplementärfarben der Liebe liegen aufeinander und sind doch getrennt. Die feinen Farbnuancen von grau, grün, weiß und schwarz sind das Kaleidoskop unserer ungewissen Zukunft. Je mehr Salz die Wangen hinab rinnt, desto klarer spiegeln sich die Augen im Antlitz des Anderen und desto verschwommener wird die eigene Wahrnehmung. Wie paradox, dachte Alex. Er wollte etwas sagen, wollte reden, um die Zeit zu verkürzen, sie nicht auf seiner Seele spüren zu müssen. Er, der in jeder Situation die richtigen Worte fand, war einfach nur sprachlos.
„Ich halte diese seelische Folter nicht länger aus“, war seine einzige Aussage in diesen Minuten. Alles andere waren nur gestammelte Wortfetzen aus einer anderen Welt - ein pausenloses Schluchzen, das vielleicht ein Ausdruck von Liebe gewesen sein könnte. Vielleicht auch nur eine Form von Egoismus. Der Verlust wird als Schicksalsschlag empfunden, da man etwas nicht mehr besitzt. Das Ende einer Beziehung also nur erweiterter Egoismus? Er verwarf diesen Gedanken wieder. Seine Blicke schweiften über das Interieur und blieben auf einem bemalten Tontorso haften. Ungebrannt und mit Tusche bemalt strahlte der Glanz des Körpers auf die Liebenden im Bett. Die Rückenpartie war genauso geformt wie Alex` Körper, vielleicht ein bisschen zu muskulös. Der Schöpfer dieses Werkes lag neben ihm. Sie hatte ihren Adonis nach seinem Abbild erschaffen und Eva nach dem ihren. Adam war noch am Leben, aber Eva, die andere Figur, war vor Monaten zu Bruch gegangen. Der glückliche Urzustand der Menschen, die Liebe, wurde aus dem Paradies vertrieben. Schmerzlich traf ihn die Erkenntnis und erinnerte ihn an den quälenden Selbstmord der Liebenden.
„Wenn man das Leben zu schätzen weiß, dann sollte man sich doch nicht umbringen, oder?“, sagte er. Sie antwortete nur trotzig und mit funkelnden Augen, „wenn man die Liebe zu schätzen weiß, dann sollte man sie auch nicht umbringen!….oder?“ Was war das? Er verstand die Worte, aber nicht das Verhaltenen dahinter. Ein klein wenig Traurigkeit steckte darin, aber vor allem eine Schuldzuweisung, eine frostige Trotzreaktion auf seine melancholischen Gedanken. Er hatte lediglich versucht sich dieses leidende Stadium bildlich vorzustellen und konnte den inneren Widerspruch nicht auflösen. Deshalb hatte er die Frage gestellt, die ihn den ganzen Morgen über beschäftigte und eine Antwort erhalten, die ihn verärgerte. „Warum glaubst du, es sei so einfach“? Sie schaute verwirrt und hakte nach: „Wie – einfach?“ „Ich meine die Trennung, erwiderte er. Siehst du nicht, dass es uns beiden schwer fällt? Mir genauso wie dir. Und das ich leide, obwohl ich eigentlich glücklich sein will?“ Sie brauchte nicht lange zu überlegen: „Wenn du glücklich sein wolltest, dann hättest du diese Entscheidung nicht getroffen. Du würdest bei mir bleiben, anstatt mich zu verlassen. Du würdest mich lieben, wenn es richtige Liebe wäre. Aber du bist nicht reif genug für mich, verstehst nicht, was du mir antust und wie du mich verletzt!“
Diese letzten Worte oszillierten zwischen Verzweiflung, Kummer, Liebe und Hass. Alex ignorierte dieses Mimenspiel und fuhr unbeirrt fort: „Du glaubst also, ich hätte den Schlüssel zu unserer Beziehung verwaltet und jetzt alleine aus der Hand gegeben. Meinst du nicht, dass wir gemeinsam entschieden haben, die Liebe unseren Idealen zu opfern? Ich habe keinen anderen Weg gesehen - und glaube nicht, dass mir eine solche Entscheidung leicht gefallen wäre. Ich bin nicht der rationale Mensch, der seine Emotionen unter einem Schwall von Worten vergräbt“. „Wo sind dann deine Emotionen, fauchte sie. Wo sind die Gefühle, die Liebe, die Leidenschaft, die du mir geben wolltest. Ich fühle mich leer und ausgezehrt – ich kann und will nicht mehr. Jedes Wort und jeder Gedanke zerklüftet meine innere Landschaft noch mehr. Ich will den Schmerz nicht mehr spüren, will dich nicht mehr spüren – du tust mir nur weh. Ich habe an die große Liebe geglaubt, an meinen idealen Mann und war so naiv, dass ich dachte, du wärest mein Traummann.“ Schweigen…... ;
Die Sekunden beschleunigten sich im Rhythmus der Herzschläge. Wallendes Blut pocht an der Schläfe und lässt Gedanken in Abgründe taumeln. „Ich hätte dein Traummann sein können. Ich war dein Traummann, aber leider ist es nicht dabei geblieben“, gab er leise zurück und starrte in den Tunnel seines Inneren. Dort war nichts mehr. Kein Licht und keine Wärme durchfluteten die Nacht, die sich über seine Welt gelegt hatten. Er verstand ihre Worte nur allzu gut, aber wusste zugleich, dass ihm diese Erkenntnis nicht weiterhelfen würde. Als er diesen Gedanken nachhing sagte sie plötzlich sanft: „ich weiß, dass du es warst und niemand anderes. Ich weiß, dass du es immer noch sein könntest, aber dazu müssten sich die Dinge verändern. Du müsstest dich verändern.“ „Du auch“, gab er monoton zurück und spürte im gleichen Moment, dass sie wieder einmal aneinander vorbei geredet hatten. Deshalb fügte er hinzu: „Ich verstehe nicht, warum wir ständig diesen Machtkampf ausfechten. Warum verschwenden wir unsere Energie für sinnlose Kompetenzstreitigkeiten, wenn wir sie doch für uns nutzen könnten. Warum arbeiten wir gegeneinander, anstatt miteinander?“
Er hatte diese Frage schon mehrmals gestellt und jedes Mal hatte die Antwort verheißend geklungen und wurde nie realisiert. Sie spürte diese Gedanken und antwortete nicht. Es gab nichts zu sagen. Ihr Gespräch kreiste um den Planeten Venus in gleich bleibendem Abstand ohne jemals nah genug heranzureichen. Jede Saite ihres Emotionsspektrums wurde berührt , schwang nach, klang aus und verstummte letztendlich wieder. Beständig blieben nur die Stille und die Leere auf ihrem gemeinsamen Ozean. Sie hatten sich verirrt und waren ohne Kompass den Launen der Natur ausgesetzt.
„Wir haben in dieser Beziehung alles zu schnell durchlebt und manche Dinge ignoriert, manche übersprungen und manche verdrängt, weil wir wussten, dass es Probleme geben würde. Ich hatte immer Angst davor, dass der heutige Tag kommen würde und wollte es vermeiden. Ich bin nichts ohne dich. Du warst das Zentrum meines Universum, das Zentralgestirn in schweren Zeiten und der Fels in der Brandung. Ich gab mich dir hin, ohne dass du es jemals bemerkt hättest. Du wolltest deine spezielle Form von Liebe auch bei mir sehen und hast dich nicht eher damit zufrieden gegeben, bis du nicht die unbestimmten Worte deines Inneren aus meinem Munde vernommen hast. Warum hat meine Liebe nicht ausgereicht? Warum willst du immer Opfer sehen? Warum brauchst du ständig einen Beweis, um deine Unsicherheit und deine Verlustängste zu kompensieren. Vertrau mir doch einfach!!“, stieß er gequält hervor. Sein aggressiver Ton war purer Verzweiflung gewichen. Sie drehte sich von ihm weg und antwortete in ihre Leere: „Du hast nie geliebt. Du wolltest mich immer nur von irgendetwas überzeugen, dabei wäre es so einfach gewesen, sich um mich zu kümmern. Du weißt doch, was mir wichtig ist. Ich brauche die Sicherheit und Bestätigung. Ich will jeden Moment deine Liebe spüren und nicht nur drei Mal am Tag. Es macht mich traurig zu wissen, dass ich dir so wenig bedeute. Ich will kein Opfer, sondern Liebe. Warum empfindest du ein Geschenk, einen Kuss oder einen Gefallen immer gleich als Opfer. Warum nimmst du dir so trotzig deine ach so wichtige Freiheit. Du kämpfst mit dir selbst und deiner Vergangenheit und überträgst dieses Chaos auf mich. Deshalb streiten wir uns ständig. Ich bin eben manchmal ein Spiegel für die Menschen um mich herum, vor allem, wenn sie mir so viel bedeuten wie du.“
Jetzt drehte sie sich wieder zu ihm und er schaute zu Boden. Tränen rannen über Wangen und Nase – schmeckten salzig süß auf den Lippen, bevor sie sich am Kinn sammelten und fielen. Es machte ihn traurig, diese Worte zu hören. Wiederum wusste er, dass sie sich niemals so nah und gleichzeitig so fern waren. Er konnte ihre Gefühle verstehen und litt mit ihr. Ja, er selbst hatte schon oft dieses Gefühl in sich getragen – aber es war für ihn zur untragbaren Bürde geworden. Er wollte nicht mehr Gefangener seiner eigenen Seele sein – nicht mehr stiller Beobachter der Leidenschaft, die Leiden schafft. Er wollte nicht mehr von einem Gefühl abhängig sein, süchtig nach dem Rausch, der ihm die Sinne vernebelte. Es war gefährlich, diesem Rausch hinterher zu jagen. Wenn man nicht erkennt, dass man anstatt eines Menschen eigentlich nur dieses Gefühl liebt, dass die meisten Menschen mit der Worthülse „Liebe“ ummanteln, dann gibt man sich der Illusion hin, einen perfekten Partner haben zu wollen, der einem ständig dieses Gefühl geben soll. Aber eigentlich kann kein Mensch auf der Welt dieses Gefühl von außen in einen Menschen tragen, man kann nur eine bereits existierende Saite zum Klingen bringen. Menschen, die diesen Rausch suchen, brauchen, süchtig sind, werden später erkennen, dass es eigentlich sie selbst sind, die sich dieses Gefühl geben müssten. Wenn man den Rausch nämlich von anderen abhängig macht, dann wird jeder kleine Zweifel, jede Unsicherheit oder jede Gefühlsschwankung, die eigentlich von innen kommt, mit der Liebe eines anderen Menschen verknüpft und davon abhängig gemacht, sodass man sich heimlich der Verantwortung über seine eigenen Gefühle entzieht. Man wird abhängig und anhänglich, ja sogar launisch, ohne es zu merken, denn der Schuldige, der die angebliche Liebe entzogen hat, kann ja leicht für die eigenen Missstände verantwortlich gemacht werden. Diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als er still da saß und wusste, dass er nichts zu sagen brauchte. Oft genug kreiste ihre Diskussion um dieses Thema und jedes einzelne Mal hatte er an ihr vorbeigeredet. Es hatte keinen Sinn mehr, auch wenn ihre Worte so zärtlich süß durch seinen Kopf hallten. Sie hatten ein Zwischenstadium erreicht, etwas, in dem die Vergangenheit noch, aber nicht mehr und die Zukunft schon, aber noch nicht galten. Etwas, in dem erinnerte Liebe und zukünftiger Schmerz, verlorene Träume und alte Ideale aufeinander prallten und evaporierten. Eine interne Implosion der bisher gefühlten Wirklichkeit, die sich anfühlte wie eine Explosion – die man herunterschlucken muss. Er musste diesen Zustand überwinden und fragte wieder: „Warum ist es so weit gekommen. Warum verstehst du mich nicht?“ Es war wieder nur ein Lückenfüller, um dem Selbstmord zu entgehen. Er wollte sich besser fühlen, sich innerlich befreien und im Gespräch ein wenig Last abtragen. „Warum lenkst du ständig ab?, gab sie schroff zurück. Du musst ständig etwas verstehen oder einer Sache auf den Grund gehen. Musst dein Gewissen im Gespräch beruhigen, aber ich trage dann deine Last. Hör auf, deine Probleme und Gedanken auf mich zu projizieren. Ich will diesen Schmerz nicht mehr. Du lenkst dich immer mit Büchern und Zeitschriften ab, hast deine kleine Parallelwelt gefunden, um dich nicht mit Problemen zu beschäftigen. Und wenn es dir dann zuviel wird, redest und redest du, obwohl es nicht helfen wird. Na, hast du dein Gewissen jetzt beruhigt?“, fragte sie sarkastisch. Diese feinen Nadelstiche trafen ihn selten. Er wusste, dass sie einen seiner Schwachpunkte lokalisiert hatte, obwohl ihre Schlussfolgerungen falsch waren.
Auch er antwortete schroff und laut: „Ja, es kann sein, dass ich mein Gewissen oder meine Probleme im Gespräch bewältige, aber ich wälze nichts auf dich ab. Ich bespreche Dinge, die uns verbinden oder trennen und die ich alleine nicht verstehen oder lösen kann, da wir nun einmal eine Beziehung führen. Oder willst du Problemen aus dem Weg gehen, in dem du sie ignorierst und wenn ich einmal etwas aus Tableau bringe, hast du gleich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, dass ich dich nicht lieben würde oder dich belaste?“ „Nein, tue ich nicht!. Ich will bloß, dass du die Verantwortung für dich selbst übernimmst. Ich will nicht von deiner Rhetorik erschlagen werden. Deine Worte ersetzen keine Gefühle. Du kannst noch so viel reden und es wird nichts bringen. Leben kann man nicht passend in Worte fassen, dafür sind sie viel zu begrenzt und können gefährlich sein. Ich verlasse mich eben auf mein Gefühl und ich spüre nichts. Ich glaube nicht, dass es dir wichtig oder ernst ist. Du überspielst dein Leben und deine Probleme und bist doch bloß ein kleiner Junge, der Angst hat.“ Sie neigte den Kopf zur Seite und blickte ihm direkt in die Augen. Er fühlte die Angst, den Hass, die Furcht. Etwas war außer Kontrolle geraten.
„Wieso bist du so destruktiv?, schrie er. Wenn du nicht das bekommst, was du haben willst, dann musst du alles kurz und klein schlagen. Du mutierst zur Furie, die ihren Hass und ihre Enttäuschung in Aggression ummünzt. Du bist diejenige, die von sich ablenkt und nicht eher zufrieden ist, bis der andere die gleiche Wut und Enttäuschung spürt wie du. Wir sind schon lange auf einem way of no return.“ Er war förmlich außer Atem, hatte sich in Rage geredet und musste Luft holen. Die Kehle war trocken und die Gedanken rasten. Er wusste, dass diese Momente in ihrer Beziehung alles zerstört hatten. Hier war ihr Schlachtfeld, wurden die Waffen gewetzt und der Krieg begann. Alles andere war nur ein Waffenstillstand – die Ruhe vor dem Sturm, nachdem man längst Wind gesät hatte. Ein Schlagabtausch, auf den sich jeder im Stillen vorbereitet hat. Das war es, wovon man vorhin gesprochen hatte. Ein Machtkampf um Liebe und Aufmerksamkeit, Freiheit und Toleranz. Keiner wich zurück, obwohl man einen Weg hätte finden können. Doch diese Abzweigung lag längst hinter ihnen. Es gab keine Stabilität, keine Konstanz in der Beziehung. Jeden Augenblick musste man damit rechnen, dass ein neuer Gefühlsausbruch das Schlachtfeld eröffnen würde. Sie schaute ihn an und sagte nur: „Ich bin froh, dass wir uns getrennt haben.“ Er ließ die Worte auf sich wirken und nickte in sich hinein. Das Eingeständnis tat weh und war doch unvermeidlich.
Sie sollten sich nicht mehr gegenseitig kaputt machen. Jetzt nicht mehr. Loslassen und Ablösen, innerer Friede ist das einzige Ziel – für beide. Man könnte jetzt noch weitermachen – könnte analysieren und vergleichen. Man könnte sich auf Kosten des Partners besser fühlen oder sich in den Strudel auf dem Ozean manövrieren. Sie waren gerade auf dem besten Weg dazu. Vernunft konnte ihm und ihr jetzt nur helfen – und Liebe – bis zum Abschied. Beide spürten die Veränderung im anderen gleichzeitig. Zum Glück, ansonsten wäre ein neueres Ungleichgewicht entstanden, das vom Partner ausgenützt würde. Jemanden zappeln lassen, als Strafe für subjektives Fehlverhalten, nannte man das. Doch die gierigen Küsse bedeckten alle weiteren Gedanken und brachten Ruhe und Entspannung.
„Komm, lass uns zusammen duschen gehen, du hast nicht mehr lange Zeit“, sagte sie zu ihm mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen. Sie zogen sich aus und stiegen in die kleine Dusche. Das heiße Wasser brachte ihre Körper zum dampfen und jede Berührung war ein flüchtiger Augenblick, den man festhalten wollte und doch loslassen musste. Ein kurzer Moment glücklicher Zweisamkeit, einem Wimpernschlag der Unendlichkeit gleichend, standen sie im heißen Regen. Sie, von unten heraufblickend, und er, von oben hinab schauend, konnten nicht glauben, dass dies ihr letzter gemeinsamer, intimer Augenblick sein sollte. Den Körper des anderen spürend, mit der endgültigen Gewissheit, dass es das letzte Mal sein würde. Der Krieg war vergessen und die Liebe kehrte zurück. Aber der Abschied schwebte über ihnen und hätte den Krieg wohl eher begünstigt. Er dachte an Vorgestern und die romantische Überraschung. Sie war verpufft und unwirksam, ein gefallener Soldat. Was blieb, war die Erinnerung an den Song, der im Hintergrund lief: Just a fool to belief I had anything she needs – she`s like the wind……. Zum Glück, dachte er, kann man die Tränen beim Duschen nicht sehen. So wussten beide, als sie sich in die Augen sahen, dass es traurig und schön zugleich war. Er schloss die Augen und fiel….......

Impressum

Texte: M. Schäffer
Tag der Veröffentlichung: 25.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für A. Ohne Dich kann ich nicht sein - mit Dir bin ich auch allein.

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