Das Entenleben im Stadtgraben von Altenhagen ist im Prinzip gar nicht so übel. Unser Wohnzimmer ist mit sechs Metern Breite recht geräumig, läuft an einem Spazierweg um die wunderschöne Innenstadt und wird von den Stadtgärtnern gehegt und gepflegt. Dafür zeigen wir uns im Normalfall auch gut gelaunt, schnattern fröhlich, stecken die Köpfe schwungvoll in die Fluten und wackeln mit den Schwänzen.
Ein Höhepunkt der ansonsten nicht gerade schillernden Kulturszene Altenhagens ist das jährliche Entenrennen zugunsten der örtlichen Bibliothek auf dem Stadtgraben. Alle Leserausweisinhaber können für fünf Euro gelbe Plastikenten erwerben. Diese werden an der Unterseite mit einer Ziffer versehen und dann gemeinsam ins Wasser gesetzt. Üblicherweise tun wir erst mal sehr erstaunt und flügelschlagend, wenn die Kunsstoffgenossen an uns vorüberziehen. Und die Menschen finden es auch ausgesprochen lustig, wenn wir uns zwischen die Meute mischen und so die eine oder andere Ente gezielt daran hindern, die Ziellinie beim Stadttor übermäßig schnell zu überqueren. Aber wer uns vernünftiges Brot vorbei bringt und auch ansonsten mit Respekt behandelt, zu dem sind wir auch schon mal freundlicher als zu den anderen.
Überhaupt - die anderen. Die auf den Bänken sitzenden älteren Herrschaften sind in Ordnung. Sie haben zwar meist übles Brot mit, oft verschimmelt, manchmal unwissenderweise sogar frisch gekauft, aber sie meinen es gut. Für das viele Brot haben wir rudelintern einen Deal gefunden: Wer sich daneben benommen hat, muss einen Tag lang alles geworfene Brot aus der Luft fangen und fressen. Klappt das nicht, wird der Brotdienst solange wiederholt, bis das fliegende Brot einen Tag lang nicht mehr das Wasser berührt hat oder aber bei besonders gelungenen Fangversuchen alle Rentner gleichzeitig in die Hände klatschen. Nach dieser Schmach klappt es meist auch im Rudel besser mit Demut und Bescheidenheit.
Wer aber richtig nervt, das sind die Machos auf dem Spazierweg. Schon seit April habe ich einen schmierbäuchigen Widerling im Auge. Ich habe mitgezählt, der Typ hat bis jetzt - wir haben Mitte August - 28 Frauen auf Spaziergängen angeschleimt und das auf übelste Weise.
Bei Nummer 20 hatte ich den Schnabel gehörig voll: Ich konnte das nicht mehr mit ansehen und vor allem nicht mehr mit anhören. Der Kerl hat kaum noch Haare auf dem Kopf, einen über den Gürtel hängenden Bauch, eine verspiegelte Sonnenbrille auf der Glatze und eine Ausstrahlung wie Dörrobst. Dazu passt, dass er immer solariumgebräunt auf dicke Hose macht - sein Gesicht sieht aus wie ein alter Lederhandschuh. Wenn der Wichtigtuer den Mund aufmacht, dann jagt eine Phrase die nächste....was der alles hat und kann: Alfa Romeo, Loft in bester Lage, Ferienhaus auf Mallorca, Handicap +4 und so weiter und so fort. Bah!
Nummer 20 war noch sehr jung, allein das ließ mir die Federn zu Berge stehen. Was will der alte Sack mit so einem Mädchen? Und sie hing auch noch an seinen Lippen! Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn sie auf sein Geschnatter rein fiel. Ich kenne das ja von unseren Erpeln.
Zunächst fing ich mit akustischem Terror an und machte solchen Krach, dass er die Frau anschreien musste, um ihr seine aufgeblasenen Plattheiten ins Ohr zu pusten. Das irritierte ihn doch etwas, denn auch er schien zu bemerken, dass die Schilderung der Prüfung zum Sportpiloten in dieser Lautstärke an Coolness verlor. Als er dann nachschob, dass auch der Sportbootführerschein für ihn wohl kein Problem sein dürfte, musste ich mich so vor Lachen krümmen, dass ich mit den Flügeln einiges Wasser aufwirbelte und etwas davon auf seine helle Hose kam. Das fand er überhaupt nicht komisch. Er schrie mich unflätig an. Das fand ich nun wiederum super, denn Nummer 20 kräuselte dezent die Stirn ob seiner Ausdrücke. Er drohte mir damit, dass ich bald in den Topf käme und überhaupt. Ich zeigte keinerlei Regung, was ihn so wütend machte, dass er nach einem Stein griff und ihn nach mir warf. Damit hatte ich nun gar nicht gerechnet! Ich wich zwar aus, aber am rechten Flügel erwischte er mich doch. Schmerzerfüllt drehte ich ab.
Meine Wunde leckend schwor ich mir, dass er das nicht umsonst getan hatte und ich ihm in Zukunft gehörig in die Parade fahren würde. Dieses Männergehabe ging mir schon sehr sehr lange gegen den Strich. Gegen die Erpel in unserem Rudel konnte ich leider nichts ausrichten, aber der Gigolo auf dem Spazierweg würde büßen, stellvertretend.
Schon einige Tage später konnte ich meine Bestrafungsaktion starten. Nummer 21 himmelte ihn an und lauschte den Angebereien, die ich fast schon wörtlich hätte mitsprechen können. Mein Plan war einfach: Immer, wenn er besonders aufgeblasenen Quatsch von sich gab, würde ich anfangen zu lachen. Und zwar JE-DES Mal. Besonders konzentrieren musste ich mich eigentlich nicht, ich hatte dem Geschmalze ja oft genug zugehört. Zunächst tat ich ganz entenhaft – ich saß auf dem Wasser, schwamm ganz unaufgeregt mit den Spazierenden mit und setzte ein besonders dümmliches Gesicht auf. Ab und zu steckte ich den Kopf ins Wasser, besonders dann, wenn ich mir das Lachen verkneifen musste, um die Pointe nicht zu versauen.
Als er von der Beförderung im Büro erzählte und davon, dass die anderen sowieso alles Idioten waren, lachte ich das erste Mal aus voller Kehle in seine Richtung. Durch sein Gesicht ging ein kurzes Zucken, dann monologisierte er weiter. Die nächste Lüge war seine ach so schwere Kindheit und dass er sich mühsam aus dem Arbeiterhaushalt, aus dem er zu stammen vorgab, mit beständigem und fleißigem Lernen herausgearbeitet hatte. Ich gab erneut eine Lachsalve ab, seine Handschuhstirn legte sich in tiefe Falten. Er hatte deswegen auch nie Markenklamotten besessen und musste nachmittags und am Sonnabend Zeitungen austragen, damit er sich auch mal angesagte Turnschuhe kaufen konnte, der nächste Brüller. Die traumatische Erfahrung des Mobbens in der Schule war mir einen besonders krachigen Lacher wert. Er warf mir einen Blick zu, der etwas sensibleren Enten sicher das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen. Und nahm dann mit Nummer 21 Kurs auf die Altstadt.
Ich aber wusste, dass er früher oder später zurückkommen würde, denn Altenhagen hat keine andere repräsentative Spazierstrecke. Er würde seine teuren italienischen Schuhe im Leben nicht auf Feldwege setzen. Außerdem hätte er dort keine Zeugen für seine Potenz, der Balzcorso lag nun mal am Stadtgraben.
Bald darauf tauchte er mit Nummer 22 auf, allerdings drehte er mit ihr schon nach den Turnschuhen ab. Bei Nummer 23 und 24 veränderte er die Reihenfolge seiner immer gleichen Geschichten, aber das nützte ihm nichts. Ihm schien zu dämmern, dass meine Lacher kein Zufall waren und in seinem Gesicht machte sich Unglauben breit. Nach den Lachern bei Nummer 25 schien er fast schon ein bisschen ängstlich, er machte sich mit einem erneuten Steinwurf Luft. Aber ich war dieses Mal besser vorbereitet und entkam, ohne auch nur eine geknickte Feder.
Um ihn noch mehr zu befremden, schickte ich nun meine Cousine ins Rennen. Ich hatte ihr von meiner Racheaktion erzählt, sie war Feuer und Flamme. Wir amüsierten uns immer köstlich, wenn ich von seinem dummen Geschwafel und dem zerknitterten Gesicht erzählte.
Mit Nummer 26 im Arm scannte er unauffällig den Stadtgraben ab. Ich saß hinter einem Busch und beobachtete ihn. Erleichtert atmete er auf, als er mich nicht erblickte, seine Schultern entspannten sich und er schritt so nassforsch aus wie sonst auch. Meine Cousine begab sich an den Startplatz. Sie lachte an genau den gleichen Stellen wie ich: Beim Sportpilotenlachen machte sich Entsetzen in Gesicht und Körper des Angebers breit. Fast schien er ein wenig zu schwanken. Tapfer brachte er noch das Mobben in der Schule über die Lippen. Nebenbei musterte er panisch meine Cousine - ihm musste aufgefallen sein, dass sie vollkommen anders aussieht als ich; selbst ein Mensch kann uns auf den ersten Blick unterscheiden.
Nummer 27 begleitete er schon leicht zitternd an den Stadtgraben und drehte bereits nach dem Lernlachen ab. Für Nummer 28, auf die wir unglaubliche zwei Wochen warten mussten, hatte ich einen fiesen Plan ersonnen. Ich wollte ihn final fertigmachen und hatte rudelweit verkündet, dass ich eine Woche lang das ungeliebte Rentnerbrotfangen für alle Hitzköpfe übernehmen würde. Gegenleistung: Sie mussten mit mir und meiner Cousine dem Frauenheld auflauern und im Chor lachen.
Der Schmierlappen kam um die Kurve, ich gab das Startzeichen. Meine Rudelkollegen krakeelten alle beim ersten Stichwort, diesmal hatte er mit dem Schulmobbing angefangen. Die Lautstärke stoppte ausnahmslos alle Spaziergänger. Und dann wurden sie Zeuge einer höchst interessanten Vorstellung. Der einstige Lebemann schrie jetzt nämlich zurück: dass er es satt hätte mit uns dämlichen Viechern und unserem hämischen Lachen. Wir würden sein Leben ruinieren und wären genau so fies zu ihm wie alle anderen auch. Er hätte das nicht verdient, die Welt sei einfach ungerecht...
Nummer 28 starrte ungläubig auf den Mann neben sich. Mit Angst in den Augen zehenspitzte sie von ihm weg und verschwand in der Masse von Leuten, die mittlerweile einen Kreis um ihn gebildet hatten. Als er das bemerkte, sackte er am Stadtgrabenrand zusammen. Er schlotterte am ganzen Körper und weinte wie ein kleines Kind. Fast tat mir schon Leid, dass wir ihm so übel mitgespielt hatten. Aber Mitgefühl mit Männern gab es für mich nicht mehr.
Tag der Veröffentlichung: 04.09.2011
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