Kimberly
Marlons Lippen strichen über meine. Sie hinterließen einen Kuss voller Gefühl und Wehmut, der meinen Körper mit Kribbeln erfüllte. Er würde sich nie an dieses Gefühl gewöhnen. Es war nicht wie etwas, von dem man irgendwann satt wurde, wenn man es zu oft gekostet hatte. Nein, von diesem Gefühl würde ich nie zu viel bekommen.
Seine Arme zogen sich stark um meine Taille, als wollten sie mich nie mehr loslassen. Dieses Drängen, mich dazu zu bewegen, hier zu bleiben, war es, das mich dazu veranlasste, mich langsam von ihm zu lösen.
»Warum kannst du nicht einfach hier bleiben?«, flüsterte er. Das Ozeanblau seiner Augen leuchtete mir traurig entgegen. Die vielen verschiedenen Farbkonstruktionen in seiner Iris drückten so viele Gefühle aus, wovon die meisten wehmütig waren.
Ein winziges Lächeln entstand auf meinen Lippen. Ich fand es so süß, wie er an mir hing. Wie er es mir auszureden versuchte, in das Taxi zu steigen, das hinter mir am Straßenrand parkte. Dabei würden wir uns doch schon in zwei Wochen wiedersehen. »Du weißt doch, dass das nicht geht«, erwiderte ich ebenso leise. Zwar saß der ältere Herr, der mich taxieren würde, schon im Fahrzeug und war dabei, das Navigationssystem auf die Route einzustellen, die er mit mir fahren würde.
Er verzog die Lippen und sah mich gequält an. »Ich liebe dich.«
Jetzt hoben sich meine Mundwinkel ein weiteres Stück und das bekannte Kribbeln erfüllte noch viel größere Teile meines Körpers. »Ich weiß.« Schließlich hatte er diese Worte heute schon mindestens dreimal zu mir gesagt.
Seine Stirn legte sich an meine und der unglückliche Ausdruck auf seinem Gesicht verwandelte sich mit dem entstehenden Grinsen zu einem Fröhlichen. »Nach fünf Jahren solltest du das auch wissen«, sagte er.
Ich erwiderte das Grinsen, denn er hatte absolut recht. Seit fünfeinhalb Jahren war kaum ein Tag vergangen, an dem diese Worte nicht gefallen waren. Seit wir damals den Kampf mit Chart, Dion und seinen geistesmanipulierten Werwölfen gewonnen hatten und ich wieder auf den Beinen gestanden hatte, war er nie von meiner Seite gewichen. Seit mein Werwolfsleben richtig begonnen hatte, füllte er es mit seiner Liebe aus.
Mein Mund drückte sich noch einmal auf seinen, um diese weichen Lippen und das Gefühl zu spüren, das mich seit mehr als fünf Jahren jeden Tag begleitete. Marlon zog mich noch mal ganz nah an sich und presste meinen Körper an seinen. Dann ließen wir uns gegenseitig langsam los. Seine Hand strich kurz über meine Wange und seine Augen verfolgten sie. Ich indes sah ihn nur an. Sah die schokobraunen Haare, die leicht verwuschelt von seinem Kopf abstanden, aber nie unordentlich wirkten. Die markanten Wangenknochen und die dunkler wirkende Haut, die durch seine herausstechenden, blauen Augen nur noch mehr betont wurde. Einfach diese Schönheit von einem Jungen. Ein Junge, der mir gehörte. Nur mir.
Auch die zweite Hand verließ meinen Körper, löste sich von meinen Fingern. Und sobald ich dort stand, ohne ihn zu berühren, fühlte ich mich hilflos und verlassen, denn ich wusste, dass ich bald komplett alleine sein würde. »Ich rufe dich an, wenn ich angekommen bin«, versprach ich und zwang mir ein Lächeln auf die Lippen.
Er nickte und kopierte den Ausdruck, was mir nur zeigte, dass es ihm genauso schwer fiel wie mir. Sein Blick schweifte zu dem Taxi hinter mir und mir wurde wieder klar, dass es jetzt langsam wirklich Zeit wurde, einzusteigen. Mit einem traurigen, aber doch aufmunternd wirkendem Lächeln, schritt ich langsam rückwärts, um die Gefahr zu verbannen, dass wir uns noch mal berühren konnten. Denn dann würden wir uns nicht mehr loslassen und das wollte ich nicht riskieren. Ich berührte mit meiner linken Hand das kühle Blech des Taxis, tastete mich voran, bis ich den Griff gefunden hatte und öffnete dann die Tür.
»Wir sehen uns in zwei Wochen«, sagte ich zu Marlon.
Er nickte mit einem Lächeln, das nicht ehrlich war. In Wahrheit wusste er genauso gut wie ich, dass zwei Wochen für uns wie eine Ewigkeit sein würden. Ich sah noch einmal in dieses wunderschöne Blau seiner Augen, dann riss ich meinen Blick von ihm los und konzentrierte mich darauf, ohne zu stolpern in das Auto zu steigen. Es fiel mir schwer, nicht zurück zu sehen, als ich mich hinsetzte, die Tür zu zog und den Gurt umlegte, während ich dem Fahrer sagte, dass er losfahren konnte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er nickte und den Motor startete, dann konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und blickte Marlon durch die Scheibe entgegen, ehe das Auto sich in Bewegung setzte und von ihm weg fuhr. Mein Kopf drehte sich mit als würde er an Marlon hängen. Erst als wir abbogen und ich ihn nicht mehr sehen konnte, seufzte ich kaum hörbar und sah betrübt hinab auf meine Hände.
Solange wir schon zusammen waren, hatten wir kaum einen Tag ohne einander verbracht. Es war schlichtweg nie nötig gewesen. Nachdem sich damals alle Unruhen gelegt hatten und alles in einen üblichen Werwolfsalltag übergegangen war, waren wir wie zwei Teile einer Maschine: nur wenn wir zusammen waren, funktionierten wir richtig. Getrennt waren wir unbrauchbar. Aus diesem Grund fühlte sich eine zweiwöchige Pause brutal an. Es war unglaublich schwer, mich von ihm fernzuhalten, nicht in seiner Nähe zu sein, nicht seine Stimme zu hören und seinen Körper neben mir zu wissen. Aber jetzt sollte das für zwei Wochen der Fall sein.
Als Clarus mir gesagt hatte, dass er mich gerne als Informantin für vier Wochen in eine Stadt namens Cloquet in Minnesota schicken würde, hatte ich erst gedacht, dass er gar nicht mich meinte. Ich hatte aus irgendeinem Grund nie angenommen, dass ich mal für so einen Job ausgewählt werden würde. Dabei hatte mir Clarus nahe gelegt, warum gerade ich für so eine Aufgabe die Richtige war: Ich sei einfühlsam, könne mich gut in andere Personen hineinversetzen, wisse alles, was man wissen musste, würde die Schule mögen und mitten im Geschehen stecken. Das war Clarus Auffassung von einer perfekten Informantin.
Für mich allein; mich kleines, schüchternes Mädchen war es eine riesige Herausforderung, von der ich noch nicht überzeugt war, dass ich ihr gewachsen war. Aber immerhin musste ich, um Cloquet zu erreichen, nicht so eine große Entfernung überbrücken, wie es damals bei Marlon und mir der Fall gewesen war. Cloquet lag knapp hinter Duluth, nur etwa achtzig Meilen entfernt von Silver Bay, wo immer noch der Hauptsitz des Werwolfclans lag, welcher stets unter Clarus‘ Führung agierte. Bei uns hatte sich in den fünf Jahren wenig geändert. Werwölfe waren gekommen, Werwölfe waren gegangen, aber eher weil es in den letzten Jahren eine große Rate an Geldverlust in unseren internen Kreisen gegeben hatte. Da hatten sich viele Werwölfe eine Arbeit suchen müssen, um ihren persönlichen Verbrauch an Essen und Wasser auf dem Zimmer ein Stückweit selbst finanzieren zu können. Ich hatte zwischendurch zusammen mit Monique gekellnert, Marlon war Aushilfstrainer in einem Kindercamp gewesen und auch der Rest, der immer noch bestehenden Truppe aus Dean, Vanessa, Mac, Leonie, Jason, Matt, Dave, Monique, Marlon, Ronia, Sabrina, Selin und mir hatte sich zwischenzeitig nach anderen Aktivitäten als den üblichen Hobbys umgesehen.
Größere Veränderungen hatten im anderen Clan stattgefunden. Da Chart und Dion beim Kampf gestorben waren, hatte ein anderer Chef hergemusst. Rosello hatte damals zwar überlebt, sein Beliebtheitsgrad war durch seine Mithilfe bei Charts und Dions Plan allerdings auf das unterste Niveau gesunken. Man brachte ihn nicht um - nein, dazu waren wir viel zu menschlich. Er lebte nach wie vor in Wheeler, dem fortwährenden Sitz des zweiten Werwolfclans, doch das eher nach minimaler Beteiligung am Gesamtleben in der großen Villa. Da also weder er noch Chart, Dion, Rosello oder gar Shila die Macht in diesem Clan hatte ergreifen können, hatte Chris damals den Strang gepackt und war aufgestiegen. Ich konnte mich noch genau an das Gesicht von Marlon erinnern, als Chris ihm am Telefon glücklich und mit einer Spur Stolz das Ergebnis der Wahl verkündet hatte, die die Wheeler-Werwölfe aufgrund des Leiterproblems veranstaltet hatten. Dadurch, dass Chris mehrere Wochen hier in Silver Bay gelebt und das System der hier bestehenden Gesellschaft mitbekommen hatte, war es für ihn ein Leichtes gewesen, die Werwölfe in Wheeler an ein solches zu gewöhnen. Er hatte nun alle Finanzen im Auge, kümmerte sich um alles, was getan werden musste, und überblickte jeden Vorgang dort drüben im Westen von Wisconsin. Ich hatte schon immer gewusst, dass er für so etwas geeignet war.
Das Verhältnis zwischen beiden Clans war nicht mehr so angespannt. Eigentlich herrschten überhaupt keine Spannungen mehr, was natürlich auch von Chris‘ Herrschen herrührte. Aber auch dadurch, dass den Wheeler-Werwölfen die Art und Weise gefiel, wie der andere Teil der existierenden Werwölfe – sprich, wir aus Silver Bay – mit ihnen nach dem Kampf umgegangen waren, hatten sich die Verhältnisse deutlich verbessert. Es hatte sie beeindruckt, mit welcher Freundlichkeit und Hingabe man sich hier um sie gekümmert hatte, obwohl sie zur feindlichen Seite gehört hatten. Nun gab es genaugenommen nur noch eine Seite, denn Clarus und Chris korrespondierten unheimlich viel untereinander.
Jetzt saß ich hier im Auto, auf dem Weg zu meinem Informantenkind. Die Zeremonie, die vor einem Monat stattgefunden hatte und den beiwohnenden Werwölfen auf zwei oder drei Tage genau den Verwandlungszeitpunkt eines Menschen bestimmen konnte, hatte ergeben, dass sich mein Informantenkind Amanda schon in vier Wochen verwandeln würde. Daher war ich etwas spät dran, weswegen ich mich, wenn ich sie erst einmal kennengelernt hatte, damit beeilen musste, sie aufzuklären. Marlon war damals fünf Wochen vor meiner vorausgesagten Verwandlung in Arcata aufgetaucht und hatte eine Woche lang gebraucht, um mich überhaupt so weit zu haben, dass er mir alles von Werwölfen hatte erzählen können. Falls ich wie er ebenfalls noch etwas Zeit brauchen würde, um den richtigen Zeitpunkt zum Informieren zu finden, konnte sich der erste Besuch in Silver Bay um mehrere Tage oder sogar eine Woche verschieben. Schon aus eigenem Interesse wollte ich den besagten Tag deshalb schnell hinter mich bringen. Für Amanda würde es wohl einfacher sein, wenn sie genug Zeit hatte, sich auf den rasanten Lebenswechsel vorzubereiten. Ich hatte mir damals jedenfalls oft gewünscht, mehr Zeit zu haben.
Amanda Marvel war frische siebzehn Jahre alt, ging noch zur Schule und wohnte als Einzelkind bei ihren Eltern. Ansonsten wusste ich nichts über sie. Das Einzige, das mir noch helfen sollte, sie zu finden, war ein Foto. Ich griff kurz unter den Reißverschluss, der seitlich an meiner Handtasche ein kleines Fach absperrte, und zog es heraus. Das Mädchen darauf lächelte mir freundlich entgegen. Sie hatte voluminöses, dunkelbraunes Haar, das einen Stich ins Lila machte und ihr in einem kessen Bobschnitt fast bis zu den Schultern reichte. Ihr Pony hing ihr beinahe in die Augen hinein und ließ sie dadurch lässig aussehen. Sie schien eine recht zierliche Person zu sein, nicht besonders groß, aber auch nicht zu klein. Die dunkelbraunen Augen passten zu den Haaren. Sie schienen fast den gleichen Ton zu haben, was irgendwie sonderbar wirkte.
Ich steckte das Foto zurück in die Tasche. So oft wie ich es mir schon angesehen hatte, war ich fast sicher, dass ich es gar nicht brauchen würde, um zu überprüfen, dass ich die Richtige ansprach, wenn es soweit war. Meine Finger ertasteten etwas anderes. Es war die Liste der Dinge, die ich beachten musste. In meinem Kopf fand eine Rückblende statt:
Marlon zog mir den Zettel aus der Hand, welchen mir Clarus gerade gereicht hatte. Er war schon wieder zurück gegangen und nun saßen wir nur noch mit Dean, Leonie, Mac, Vanessa und Matt an unserem Stammtisch im Speisesaal.
»›Informant – eine verantwortungsvolle Aufgabe'«, las Marlon laut vor. Er runzelte die Stirn und sah an dem Zettel hinab. »Das ist ’nen Informationsblatt über alles, was man beim Informieren beachten muss. Ich hab’ sowas nicht bekommen.«
»Sowas hat’s bei Chart auch nicht gegeben«, warf Dean gelassen ein. Die Sache mit Chart war kein Tabu-Thema. Stattdessen redeten wir noch oft darüber, denn sie hatten die ersten Jahre ihres Werwolfslebens in Wheeler nie vergessen. Wie könnten sie das auch?
Marlon las vor: »›Die zu vermittelnden Informationen werden so schonend und rücksichtsvoll wie nur möglich an den werdenden Werwolf weitergegeben, damit man ihm einen einfachen Einstieg in das Leben als Werwolf ermöglicht‹.« Seine Augen flitzten kurz zu mir und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. »Hab’ ich gemacht«, meinte er, wobei sich das Lächeln zu einem Grinsen verzog.
Ich erwiderte es nur. Ganz so schonend war es nicht gewesen, als er mir erzählt hatte, was er war und was ich werden würde. Ich hatte ihn in diesem Moment gehasst, genauso wie all das, was er gesagt hatte. Doch im Endeffekt hatte er gute Arbeit geleistet.
»›Ein kurzer Besuch in der Mitte der Informationszeit in Silver Bay wird durchgeführt‹«, las er weiter und nickte, als würde er im Kopf abhaken, was er alles eingehalten hatte. »Hab’ ich auch gemacht.« Ich bekam mein Lächeln nicht aus dem Gesicht, denn ich war mir sicher, dass jetzt noch mindestens eine Sache kommen würde, die bei uns nicht so geklappt hatte, wie es die Musterlösung dieser verantwortungsvollen Aufgabe vorsah.
»›Kontakt zum persönlichen Umfeld des Informanten ist nur indirekt, also per Telefon, erlaubt, da er zu Ablenkung führt‹.«Er verzog den Mund und dachte an seine Informantenzeit bei mir zurück. »War ’ne Ausnahmesituation«, sagte er dann. Mac lachte.
»Bei euch war alles ’ne Ausnahmesituation«, warf Matt rein, der ihm grinsend zuhörte.
Marlon grinste und las weiter: »›Sexuelle Be-‹«, er brach ab, weil er erst leise lesen musste, was dort stand.
Mac lachte. »Sexuelle was?«, fragte er. Ich grinste und sah Marlon gespannt an.
Dieser lachte und fuhr fort: »›Sexuelle Beziehungen zwischen Informant und werdendem Werwolf, sowie zwischen Informant und anderen Personen aus dem Umfeld des werdenden Werwolfs können die Einstellung des werdenden Werwolfs in Bezug auf das Werwolfsleben verändern und sind daher untersagt‹.« Sein Blick hob sich vom Blatt und traf darüber hinweg meinen. Das Grinsen auf seinen Lippen schien frech und ausgelassen zu sein. Die Anderen lachten. Die Absurdität dieser Regel hatte Clarus offenbar bis heute noch nicht begriffen. Aber es war eben eine Tatsache, dass das bei mir und Marlon kein Stückchen geklappt hatte.
»Na ja, okay … bei dem Punkt war ich nicht ganz so erfolgreich«, gab er zu.
»Ein bisschen dran vorbei geschrappt«, fügte Nessa ironisch zu seinen Worten hinzu.
Ich lachte leise. Wahrscheinlich war ich nicht das beste Beispiel, dass dieser Punkt überflüssig war, aber ich war definitiv eines. Denn meine Einstellung zum Wolfsleben hatte sich damals durch die Beziehung mit Marlon kaum geändert.
Marlon senkte seine Augen wieder auf das Blatt und las den nächsten Punkt vor: »›Der Informant sucht jeden möglichen Kontakt zum werdenden Werwolf, um diesen gut kennenzulernen und ihm somit jede mögliche Hilfestellung leisten zu können‹.«
Leonie lehnte sich vor und strich sich die welligen, blonden Haare zurück. »Ist das nicht irgendwie widersprüchlich zu dem Punkt davor?«, fragte sie und grinste.
»Jeden möglichen Kontakt«, zitierte Mac zustimmend.
Ich lachte nur. »Man muss es ja nicht so wörtlich nehmen«, warf ich ein.
»›Jede Frage bezüglich des Werwolflebens, der Werwolfsgeschichte und allgemeine Fragen über das Werwolfsein wird/werden beantwortet‹«, er las direkt weiter, weil sich diese Sache von allein erklärte und er das ebenfalls getan hatte: »›Diskretion in allen Kreisen‹.«
»Das ist klar«, meinte Dean.
»Da hast du was vor«, sagte Vanessa zu mir.
Ich atmete nur schwer ein und nickte.
Und jetzt saß ich hier, las all diese Punkte nochmal und hatte keine Zweifel daran, dass ich alle Punkte umsetzen würde. So schwer war das nicht. Nicht, wenn nicht gerade so eine Ausnahmesituation herrschte, wie es bei mir der Fall gewesen war. Es hatte schließlich keiner ahnen können, dass ich eine besondere Fähigkeit hatte, die Chart an seinen geheimen Plänen hinderte und diese damit offenlegte. Und ich hatte nicht geahnt, dass so ein liebenswürdiger, einfühlsamer Informant für mich kommen würde, der ganz nebenbei noch aussah wie ein Supermodel. Und jetzt – jetzt war das eh alles egal, weil ich mittlerweile in Silver Bay lebte, Chart tot war und sich rein gar nichts mehr zwischen Marlon und mich stellte. Auch nicht dieser Zettel, den ich hier in meiner Hand hielt.
Es war gerade sieben Uhr abends, als wir in Cloquet vor einem höheren Mehrfamilienhaus hielten. Ich sah gebannt aus dem Fenster und ließ meinen Blick über die Fassade des weißen Hauses streifen. Die Sonne war bereits seit einigen Minuten untergegangen.
»Wir sind da«, teilte der Taxifahrer mit und nannte mir gleich danach den Betrag für seine Dienste, den ich ihm aushändigte.
»Dankschön«, sagte ich, stieg gleichzeitig mit ihm aus und ließ mir mein Gepäck übergeben, das er aus dem Kofferraum nahm.
Dann stand ich vor dem großen Gebäude mit einem Schlüssel in der Hand, den mir Clarus schon vor einigen Tagen ausgehändigt hatte. Die Wohnung im dritten Stock war für mehrere Wochen gemietet, sodass es für diesen Zeitraum mein Zuhause sein würde und ich nicht, wie Marlon früher, irgendwo im Wald in einer Höhle wohnen musste. Bis heute wusste ich nicht, ob es daran gelegen hatte, dass Chart schlichtweg keine Notwendigkeit darin gesehen hatte, Marlon in einem vernünftigen Zuhause unterzubringen, oder ob es sich als zu schwierig erwiesen hatte, für so kurze Zeit eine Wohnung zu finden.
Das Haus stand mir triste gegenüber. Es schien nicht sehr gepflegt zu sein, ging aber auch nicht in Schutt und Dreck unter. Der kurze gepflasterte Weg, der die paar Meter vom Bürgersteig bis zur breiten Tür überbrückte, war umgeben von verstorben Pflanzen, die den Winter nicht überlebt hatten. Mit dem mulmigen Gefühl, etwas Neues zu betreten, schritt ich über den Weg hin zur Haustür und trat in das Innere des Gebäudes. Das Licht im Flur schaltete sich durch die Bewegung an und begleitete mich, als ich einige Schritte zum Aufzug ging, der mir genau gegenüber stand. Ich glaubte, es war eher ein Haus für ältere Menschen, die nicht mehr so gut Treppen laufen konnten, doch ich wollte meinen großen Koffer nicht bis in den dritten Stock schleppen, deswegen bediente ich mich an der Einfachheit des Aufzugs und ließ mich von ihm direkt vor meine Wohnungstür transportieren. In der dritten Etage hatten noch drei andere Mieter ihre Wohnungen, was ich an den weiteren Türen im Treppenhaus erkannte, vor denen jeweils eine kleine Fußmatte lag. Ich sah zur linken Seite und entdeckte ein kleines Schild daran, auf dem ›Vermietet‹ stand. Ich steckte den zweiten Schlüssel, den ich bekommen hatte, ins Schloss und trat in mein vorübergehendes Zuhause ein.
Ich stellte meinen Koffer in dem schmalen Flur ab, zog Schuhe und Jacke aus und räumte sie an die Seite. Dann öffnete ich die Tür, die dem Eingang der Wohnung gegenüber lag. Sie führte mich in eine Küche mit künstlichem Laminatboden, einem Esstisch, der vor dem Fenster mit Aussicht auf die in Straßenlaternenlicht getauchte Straße stand, und einem voll ausgestatteten Koch- und Arbeitsfeld. Alles war in recht schlichten, cremefarbenen Tönen gehalten. Nicht sehr modern und nicht so richtig mein Geschmack, aber ich war froh, dass die Wohnung noch voller Mobiliar vom Vormieter war, denn ich hatte keine Lust, mir noch extra welches anschaffen zu müssen.
Meine Finger strichen über das dunkle Holz beim Waschbecken, als ich an der Kochfläche vorbei zum Ende des Küchenmobiliars ging und einen kurzen Blick durch die offene Tür in ein dunkles Wohnzimmer dahinter warf, dem ich mich später noch widmen würde. Dann öffnete ich ein paar Schränke, die über dem Kochfeld, dem Waschbecken und einer Ablagefläche an der Wand hingen, und begutachtete kurz die Teller, Tassen, Gläser und Töpfe, die sich darin befanden. Als ich in den Kühlschrank sah, bemerkte ich enttäuscht, dass er rein gar nichts enthielt und ausgeschaltet war. Das hieß wohl, dass ich heute Abend und morgen früh nichts zu essen haben würde.
Mit einem Seufzen drückte ich den Knopf, der den Kühlschrank aktivierte und ging dann aus der Küche raus in das nebenliegende Wohnzimmer. Meine Hand drückte kurz auf den Lichtschalter und blieb dort liegen, als ich alles sah. Ein großes, altmodisch aussehendes Sofa stand mir gegenüber an der längeren Seite, links und rechts daneben zwei dazu passende Sessel und ein massiver Tisch, der aus schwerem Holz bestand. Mit einem Lächeln begutachtete ich dann die große Fensterfront auf der rechten Seite, die Ausblick auf den Balkon und dahinter auf die Straße gab. Eine Glastür führte hinaus. Doch ich interessierte mich weniger dafür, sondern schritt durch den Raum und öffnete die Tür, die nicht zurück in den Eingangsflur führte, sondern in einen anderen kleinen Raum, von dem aus das Bad und das Schlafzimmer abgingen. Einen Moment begutachtete ich alles, bevor ich mich daran machte, mein Gepäck auszupacken, alles zu verstauen und zu sortieren.
Erst danach kramte ich mein Handy raus und informierte Marlon über meine gute Anreise. Anschließend begab ich mich mit einem Seufzen aus der Wohnung, um mir in irgendeinem Schnellimbiss etwas zu Essen zu kaufen. Ich fühlte mich allein und verlassen, als ich die Wohnung verließ, und hatte Angst vor den nächsten Tagen, die in dieser Hinsicht bestimmt keine Abwechslung bieten würden.
Kimberly
Am nächsten Morgen hatte ich noch immer nichts zu Essen im Kühlschrank. Meine Vorliebe für Toast mit Marmelade zum Frühstück war auch nach fünfeinhalb Jahren nicht vergangen. Marlons Theorie dazu war, dass ich unbedingt an einigen Dingen aus meinem alten Leben festhalten wollte. Wahrscheinlich hatte er recht. An diesem Morgen hatte ich kein Toast und auch keine Marmelade, deswegen musste ich mit hungerndem Magen das Haus verlassen.
Obwohl ich immer noch etwas deprimiert und traurig aufstand, wurde ich doch bald munter. Es war viel früher, als ich sonst so aufstand, da wir in Silver Bay so lange schlafen konnten, wie wir wollten. Aber gerade diese verhältnisweise frühe Stunde erinnerte mich so stark an mein früheres Schulleben, dass ich bald richtig Lust hatte, loszugehen und einfach in der Schule zu sitzen, nur damit ich noch mal das Gefühl spüren konnte, wie es war, sich zu wünschen, dass bald Ende war. Wie es war, sich zu fragen, was der Lehrer einem mit seinen Worten sagen wollte. Wie es war, einen halben Tag irgendwie unfreiwillig und doch freiwillig mit Freunden zu verbringen, weil alles an die Schule und somit an Pflichten gebunden war. Pflichten – etwas, das ich so lange nicht mehr richtig hatte einhalten müssen. Es war ein tolles Gefühl, es jetzt wieder zu müssen.
Der Bus, der mich zur Schule bringen musste, hielt nur ein paar Meter von meinem Haus entfernt. Meine ganze Vorfreude schwankte etwas, als ich in das große gelbe Gefährt einstieg und mir tausende fremde Augen entgegensahen, die mich neugierig musterten. Ich fragte mich, ob es hier wohl oft vorkam, dass jemand Neues in ihre bestehende Gemeinde kam oder eher nicht, weshalb Neue auf ihrer Schule genauso auseinandergenommen wurden wie damals auf meiner.
Es gab kaum noch freie Plätze. Mit einem schnellen Blick über alle Schüler erkannte ich sofort, dass mein Informantenkind nicht dabei war. Vielleicht wohnte sie etwas weiter weg von hier oder sie lebte so nah an der Schule, dass sie nicht mit dem Bus fahren musste.
Der erstbeste freie Platz war neben einem mürrisch aussehendem Mädchen, das ihre Schultasche auf dem zweiten Sitz liegen hatte und durch die Kopfhörer im Ohr und den Blick aus dem Fenster unansprechbar schien. Ich tat es trotzdem und fragte, ob ich mich setzen könne.
Sie sah mich mürrisch, skeptisch und irgendwie forschend an, ehe sie unbeeindruckt und ohne ein Wort ihre Tasche vom Sitz zog, damit ich mich setzen konnte. Ich verzichtete auf ein Dankeschön, als ich mich neben ihr niederließ. Waren hier wohl alle Leute so unfreundlich oder lag das nur daran, dass heute Montag war?
Die Busfahrt dauerte fast eine halbe Stunde. Zwar kannte ich mich hier nicht aus, aber ich glaubte, das Gefährt machte tausend komplizierte Umwege, um möglichst alle Schüler mitzunehmen, welche dann aber keinen Platz mehr bekamen und stehen mussten. Als ich vor der Schule ausstieg war ich erst mal ganz verwirrt. Ich wusste überhaupt nicht, wo ich hinmusste, wo es überhaupt in die Schule reinging und auch alles andere war mir unbekannt.
Mit dem Stunden- und Raumplan in der Hand folgte ich erst mal der Schülermenge aus dem Bus, die auf das Gebäude zusteuerte und befand mich dann auch relativ schnell in der Schule, welche nicht sehr modern zu sein schien. Jedenfalls sah sie äußerlich ziemlich heruntergekommen aus und ich konnte nicht sehr viele Stellen entdecken, an denen man etwas daran geändert hatte.
»Hey«, ertönte eine männliche Stimme neben mir.
Ich drehte mich um und sah in das Gesicht eines braunhaarigen Jungen mit ebenso braunen Augen und leichten Sommersprossen auf der Nase, die aber keineswegs dazu führten, dass er kindlich wirkte. Sie fielen kaum auf. Er war etwas größer als ich und sah mir mit einem freundlichen Lächeln entgegen.
»Hey«, erwiderte ich mit einem fragenden Unterton, weil mir nicht klar war, was er von mir wollte und warum er mich ansprach.
»Du bist neu hier, he?«, fragte er und deutete auf die Blätter in meiner Hand, die mir helfen sollten, mich zu orientieren.
Ich nickte. »Ich hab’ ein bisschen die Übersicht verloren«, sagte ich wahrheitsgemäß und lachte dabei etwas peinlich berührt, weil man anscheinend schon von Weitem sah, dass ich Probleme hatte, mich zu recht zu finden.
»Passiert jedem«, erwiderte er schulterzuckend. »Wenn du willst, kann ich d-«, den Rest des Satzes verstand ich nicht, weil in dem Moment die Schulglocke klingelte. Erst das letzte Wort »musst« vernahmen meine Ohren wieder klar.
»Ähm … ja, das wäre nett«, erwiderte ich trotzdem und hoffte einfach mal, dass er mir angeboten hatte, mir den Weg zu zeigen. Ich wollte nicht schon gleich in der ersten Stunde zu spät kommen.
Er legte einen Finger auf den oberen Zettel, der den Stundenplan mit den Raumnummern enthielt und sah sich mein erstes Fach an. »Komm mit«, sagte er dann. Seine Hand deutete mir an, ihm zu folgen, als er eine bestimmte Richtung einschlug.
Es stockte in dem Strom von Schülern, die alle zusammen den großen Eingangsraum zu verlassen schienen. Ich hatte Mühe, dem Jungen zu folgen, der sich an einigen Gruppen vorbeischob, weil sie ihm zu langsam gingen. Seinen Schulrucksack hatte er dabei lässig über einen Arm gehängt.
Erst als der Gang insgesamt etwas breiter wurde, zweigten die ersten Türen ab. Der Junge hielt vor der ersten auf der linken Seite, wobei er nicht ganz dorthin durchkam, da sie von anderen Schülern blockiert wurde, die darauf warteten, dass der Lehrer kam und sie rein ließ.
»Bitteschön. Mathe«, sagte er triumphierend und lächelte mich an.
Ich überblickte kurz die Gesichter der anderen Schüler, die nun wohl auch dieses Fach haben würden und stellte fest, dass Amanda noch nicht dabei war, ehe ich den Jungen ansah und mit einem freundlichen Lächeln ›Danke‹ sagte.
»Kein Problem«, erwiderte er, zögerte aber, als er gehen wollte. »Wie heißt du eigentlich?«, fragte er dann und die Art, mit der er mich ansah, machte mir klar, dass er bei der Frage einen Hintergedanken hatte, der wahrscheinlich auch den Rest seiner freundlichen Taten erklärte.
»Kimberly«, erwiderte ich. »Und du?«
»Kevin.«
»Danke, Kevin«, sagte ich jetzt noch mal.
Er lächelte nur und entfernte sich schließlich, als es erneut klingelte. Ich sah ihm stirnrunzelnd nach und fragte mich, wo ich noch hinkommen würde, wenn jedes männliche Wesen so mit mir umgehen würde.
»Wow, er hat ein neues Opfer gefunden«, hörte ich jemanden irgendwo hinter mir sagen. Ich drehte mich um. Das Mädchen hatte nicht mit mir gesprochen, sondern mit ihrer Freundin und sie war kein anderes als mein Informantenkind Amanda, was ich sofort erkannte, ohne nochmal auf das Foto sehen zu müssen. Ihr dunkler Pony fiel ihr wie auf dem Bild fast in die Augen und ihre Kleidung passte gut zu der kessen Frisur, die auch irgendwie ihren Tonfall widerspiegelte, denn sie klang sarkastisch.
»Ein neues Opfer?«, fragte ich. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, bevor es aus meinem Mund gekommen war. Erst als mich die beiden überrascht ansahen, begriff ich, dass ich diese Worte gar nicht hätte hören sollen und sie nicht erwartet hatten, dass ich sie verstehen würde.
Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass ich gesprochen hatte. Immerhin hatte ich gerade die ersten Worte zu Amanda gesagt und so Kontakt aufgebaut, auch wenn es nicht der beste Anfang war, den man machen konnte.
Amandas dunkelbraune Augen funkelten mich an, als sie antwortete: »Kevin. Er sucht sich Mädchen, mit denen er für kurze Zeit was anfängt, dann lässt er sie wieder fallen und nimmt die Nächste.«
Ich lächelte matt. »Wie gut, dass ich nur drei Wochen hier bin. Etwas wenig Zeit, um was mit mir anzufangen«, erwiderte ich gelassen.
»Was machst du denn hier?«, fragte das Mädchen neben Amanda neugierig. Sie hatte rötliche Haare, die ziemlich dünn zu sein schienen. Ihre grünblauen Augen musterten mich.
»Zur Schule gehen«, erwiderte ich mit zuckenden Schultern. »Ich konnte meine Mutter nicht dazu überreden, mich für drei Wochen aus der Schule zu nehmen.«
»Wieso?«, fragte jetzt Amanda.
Ich unterdrückte ein siegessicheres Lächeln, weil ich sie neugierig gemacht hatte und mit ihr ins Gespräch gekommen war. Eine Spur aus Stolz zog sich für einen kurzen Moment durch meinen Kopf, ehe ich mich darauf konzentrierte, meine ausgedachte Geschichte glaubhaft rüberzubringen. »Meine Mom wurde für ein paar Wochen hierher versetzt und ich musste mit.«
»Ach so«, sagte Amanda. »Wo kommst du denn eigentlich her?«
»Phoenix«, erwiderte ich. Es war nicht meine Heimatstadt, aber Marlons und irgendwie fühlte ich mich gleich mit ihm verbunden, als ich das sagte.
In diesem Moment kam eine große Frau, die ganz sicher die Lehrerin war. Sie quetschte sich an uns und den vielen Taschen vorbei, die auf dem Boden lagen, weil alle zu faul waren, sie zu tragen. Ich folgte Amanda und ihrer Freundin, die der Lehrerin hinterher gingen. Drinnen erstreckte sich ein recht großer Klassenraum mit Zweiertischen vor mir. Während ich mich noch umsah, ging ich zur Lehrerin. »Ähm …«, begann ich, um sie auf mich aufmerksam zu machen. »Vielleicht hat man Ihnen das schon gesagt … ich gehe jetzt hier für drei Wochen zur Schule.« Es klang insgesamt eher wie eine Frage.
»Eh … nein«, erwiderte sie, lächelte und schüttelte den Kopf. »Aber ist okay. Willst du dich kurz vorstellen?«
Ich presste kurz die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Sie verstand sofort, dass mir das peinlich war und lächelte weiterhin. Das hinterließ bei mir gleich einen sympathischen Eindruck.
»Und ich bräuchte auch ein Buch«, sagte ich noch, ehe sie sich neben mich vor das Pult stellte, das etwas schräg zur Tafel dastand.
»Ich werde es dir rein reichen lassen«, sagte sie zu mir. Auch wenn ich nicht verstand, was sie damit meinte, nickte ich nur. »Guten Morgen«, begrüßte sie erst die Schüler, die mit mürrisch klingenden Worten antworteten. Das lag wahrscheinlich daran, dass es Montagmorgen war, denn, dass sie diese Lehrerin nicht mochten, konnte ich mir nicht vorstellen. Jedenfalls noch nicht.
Ich stand da und wusste nicht so ganz, was ich machen sollte. Es schien, als hätten mich jetzt auch alle anderen Mitglieder dieser Klasse bemerkt und sie musterten mich natürlich. Leicht verlegen sah ich auf den Boden. Ich hatte es schon vor Jahren unangenehm gefunden, vor meiner eigenen Klasse und vor meinen Freunden zu stehen, wenn ich in der Schule mal nach vorne gemusst hatte, um etwas zu sagen oder was auch immer. Doch jetzt, nach fünf Jahren ohne Übung und vor fremden Menschen war es noch schrecklicher. Ich hatte nie gedacht, dass ich mal in eine andere Schule kommen könnte, als meine. Wir waren früher schließlich nie umgezogen.
»Wir haben ab heute eine neue Schülerin …«, die Lehrerin sah mich an.
Ich verstand, was sie fragen wollte. »Kimberly«, murmelte ich.
»Kimberly«, fuhr sie fort, »wird für drei Wochen unseren Unterricht mit beiwohnen.«
Sie lächelte mich an und deutete dann auf einen komplett freien Tisch in der dritten Reihe. Angeschlossen an diesen Tisch war ein weiter, an dem erst Amandas Freundin und dann sie selbst saß. Ich ging durch die Mitte, in der ein Gang freigelassen war, und ließ mich auf den Platz neben der Freundin nieder. Sie lächelte mir zu.
»Kimberly also«, sagte sie leise, weil die Lehrerin jetzt schon über die Hausaufgabe redete, die sie aufgehabt hatten.
Ich nickte. »Und wie heißt ihr?«
»Madalyn«, erwiderte die Erste.
»Amy«, sagte Amanda.
Amy. Okay, das musste ich mir merken. Nicht, dass ich sie ausversehen einmal Amanda nannte und sie sich wunderte, warum ich ihren vollen Namen kannte. Ich lächelte und holte dann einen Collegeblock und meine Stiftmappe aus meiner Tasche, damit ich mich etwas am Unterricht beteiligen konnte.
In den letzten fünfeinhalb Jahren hatte ich die Schule ziemlich vermisst. Am Anfang viel mehr als später, weil ich mich da noch an dieses unbekümmerte, sorgenfreie Leben hatte gewöhnen müssen, doch jetzt fiel mir deutlich auf, dass ich insgeheim immer irgendeine Pflicht gesucht hatte, der ich hätte nachkommen müssen. Irgendwas, das für mich Routine darstellte und trotzdem irgendwie interessant war und Spaß machte. Kein Hobby. Schule.
Als es zum Ende der Stunde klingelte, hatte ich wieder keine Ahnung, wo ich hinmusste. Ich fragte Amy und Madalyn, ob sie mir erklären konnten, wie ich zum Raum für meine Politikstunde kommen konnte. Da sagte Amy, dass sie auch dahin müsse.
Ich sah sie überrascht an und lächelte. »Kannst du mich dann mitnehmen?«, fragte ich. Mir war klar, dass Clarus mir extra die Kurse gegeben hatte, die Amanda besuchte. Politik war nämlich gar nicht meins.
»Klar, komm«, sagte sie. Ihr Pony fiel ihr ins Gesicht, als sie sich umdrehte. Sie strich ihn mit einer Hand zurück, während sie mit mir den Gang entlang lief.
Der Raum war nicht weit weg, von dem anderen. Wieder warteten davor viele Schüler. Ich blieb neben Amy stehen, als sie anhielt und ihre Tasche vor sich auf den Boden gleiten ließ, um sie nicht halten zu müssen. Mein Blick glitt auf den Stundenplan in meiner Hand, während mein Kopf nach etwas suchte, über das ich mit ihr reden konnte.
»Ich hab’ mir die AGs angeguckt, die man hier nach dem Unterricht besuchen kann«, begann ich dann. »Hast du ’ne Ahnung, was man in dem Selbstverteidigungskurs macht?« Ich wusste ganz genau, dass sie ihn besuchte. Außerdem war sie im Theaterkurs, der schon heute war. Ich war nicht gut im Schauspielern, was wahrscheinlich auch Clarus wusste, deswegen hätte er mich niemals hineingesteckt, wenn nicht Amanda dort sein würde.
Sie sah mich an. »Klar, ich bin auch da. Es geht einfach darum, sich ein bisschen mehr selbst verteidigen zu können, wenn man dumm angemacht wird. Ist ganz hilfreich, find ich. Geht aber nicht so lange. Nur noch ein paar Wochen.«
»Echt?«, fragte ich, darauf bezogen, dass sie ihn auch besuchte. »Ich dachte mir, ich könnte vielleicht daran teilnehmen, weil mich dieses Thema generell interessiert.«
»Komm doch am Mittwoch einfach mit. Ich kann dich mit hinnehmen«, sagte sie.
Ein freundliches, breites Lächeln entstand auf meinen Lippen. Insgeheim wunderte ich mich darüber, warum ich so gut rüberkam. So, als würde ich das alles nicht vorher genau durchdacht haben, bevor ich redete. Ich konnte nicht schauspielern und war grottenschlecht im Lügen, weil ich es generell nicht gerne tat, aber diese ganzen Worte kamen mir so leicht über die Lippen, dass es sich schon fast falsch anfühlte.
»Ja, klar. Ich hab’ hier eh nicht viel mehr zu tun … außer, na ja, ich wollte eigentlich unbedingt auch in den Theaterkurs. Weißt du, wann der ist?«
Sie lachte laut auf. »Sag mal, stalkst du mich oder so? Da bin ich auch.«
Ich stimmte in ihr Lachen ein, jedoch fühlte ich mich plötzlich steif. »Ich mache so was gerne. Ich überlege, ob ich mich irgendwo als Schauspielerin bewerben soll. Später mal. Aber das ist noch nicht sicher«, log ich.
»Cool«, erwiderte sie und schien überrascht zu sein. »Also, der ist heute und immer donnerstags. Schaffst du das heute schon?«
Ich verzog das Gesicht und tat, als würde ich überlegen. »Eigentlich schon. Wenn wir nicht noch viel mehr Hausaufgaben aufbekommen.«
Ich musterte ihre braunen Augen, während sie antwortete und fragte mich, wo ich ihre Art von Mädchen einordnen konnte. Sie schien so taff zu sein, so schlagfertig. Sie sagte immer ihre Meinung. So schien es mir. Aber da war trotzdem immer eine Spur Freundlichkeit. Vielleicht nur, weil sie mich nicht sehr gut kannte.
»Die kannst du in der großen Mittagspause machen. Und danach gibt’s nur noch zwei Stunden, bevor sich der Theaterkurs trifft«, erwiderte sie.
»Gut, das ist praktisch«, antwortete ich. Mein Blick glitt wieder hinab auf den Stundenplan, doch lange musste ich nicht nach etwas suchen, über das ich weiter sprechen konnte, denn auch hier erschien der Lehrer und schloss die Klassentür auf.
Wir wurden hineingelassen und das Spiel begann von vorne. In diesem Unterricht saß ich neben einem großen, schlaksigen Jungen, der mich komisch durch seine großen Brillengläser musterte, dass ich fast Angst vor ihm bekam. Er fixierte mich. Jedenfalls hatte ich das Gefühl. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er stank und mir insgesamt ekelig erschien. Ich setzte mich so weit nach außen, wie es nur ging, doch es brachte nichts, denn durch die Werwolfsnase roch ich ihn noch genauso stark wie vorher. In dieser Stunde machte mir das Ganze schon gar nicht mehr so viel Spaß. Politik war eben nicht mein Spezialgebiet, schon gar nicht, wo ich mich ganze fünf Jahre nicht mehr damit beschäftigt hatte.
Nach dieser Stunde gab es eine Zwanzigminutenpause. Und dort wurde ich ins eiskalte Wasser geworfen. Zwar nahm mich Amy freiwillig mit, aber das hieß nicht, dass ich mich nicht schon wieder vorstellen musste. Und diesmal war es nicht vor einem Haufen sitzender, stiller Schüler, sondern vor mir viel zu kritisch und selbstbewusst erscheinenden Schülern, die Amys Freunde darstellten.
Die Clique bestand aus sechs großen, sogar recht gutaussehenden Jungs, die mich bis auf die Knochen zu mustern und zu untersuchen schienen, und aus fünf hübschen Mädchen, welche mir teils freundlich und teils eher mit einem etwas grimmigen Gesichtsausdruck begegneten, als sie sahen wie mir die Jungs entgegenblickten. Ich war mir nicht ganz sicher, was hier für Beziehungen untereinander herrschten. Bei einigen hatte ich das Gefühl, dass es rein freundschaftlich war, andere wiederrum schienen eher auf mehr aus zu sein und strahlten auch Dementsprechendes nach außen aus. Okay, da waren nur zwei Mädchen, die so wirkten: die große Dunkelhaarige, mit den perfekt geformten Lippen, dem schlanken Körper und der teuer aussehenden Kleidung. Amanda stellte sie mir als Kelly vor. Ihre Freundin, Michelle, war kleiner, sah aber genauso perfekt aus. Ihre mittelblonden Haare schienen nicht gefärbt zu sein, so wie es bei Kelly der Fall war.
Zwei der beiden Jungs sahen sich ziemlich ähnlich. Rishi und Andrew. Sie hatten beide helle Haare, welche zudem noch ähnlich geschnitten waren. Dann waren da noch Robert, David und Daniel. Sie waren alle dunkelhaarig, hatten nicht sehr lange Haare. Der Einzige von ihnen, der noch am ehesten meinen Geschmack traf, war David. Die Anderen waren nicht hässlich, aber eben nicht das, was mir gefiel. Außerdem hatte ich Marlon, den eh kein Junge toppen konnte.
Die drei restlichen Mädchen waren Madalyn, Sheela - eine recht kleine Person, die irgendwie etwas schüchtern aber gleichzeitig verrückt und lebensfroh schien - und Tamara. Letztere war ein mittelgroßes Mädchen mit fast so blonden Haaren wie ich sie hatte. Jedoch waren ihre nicht so lang, wie meine es mittlerweile waren, und sie hatte leichte Locken darin, während meine ganz glatt an mir herunter fielen. Sie waren mit den Jahren so lang geworden, dass sie erst in der Nähe meines Bauchnabels endeten. Ich hatte sie in den fünf Jahren selten geschnitten, weil erstens ich und zweitens Marlon lange Haare schöner fand. Sie gingen nie kaputt, da die Werwolfsgene alles regenerierten, das Schaden nahm.
Hinterher stieß Kevin, der mich zum ersten Raum geführt hatte, hinzu und mir wurde klar, dass die Clique mit diesen acht Personen, inklusive Amy, möglicherweise noch nicht komplett war. Ich fühlte mich etwas verlassen unter den vielen Fragen, die sie mir stellten. Eigentlich waren alle darüber, was ich denn hier machen würde, wie es in Phoenix war und ob ich zwischendurch mal etwas mit ihnen machen wollte. Ich beantwortete letzteres mit ›Ja, mal sehen‹. Meine Hoffnung dabei war, dass ich so viel Zeit wie möglich mit Amy verbringen konnte, so wie es auf meinem Informationsblatt über die Informatie eines werdenden Werwolfs stand.
Am Ende der Pause nahmen mich Amy und Rishi mit, da sie beide Wissenschaft hatten, was auch auf meinem Stundenplan stand. Amy bemerkte lachend, dass sich alle meine Stunden mit ihren deckten, als wir gerade in den Raum rein gelassen wurden und sie auf meinen Stundenplan schauen konnte. Ich stimmte nur in ihr Lachen ein. Wenn es Zufall wäre, hätte ich wirklich darüber lachen können. Jetzt tat ich es nur, weil es komisch gewirkt hätte, es nicht zu tun.
Wieder stellte mich der Lehrer vor, weil es immer wieder Schüler gab, die mich noch nicht kannten, gab mir das Buch und schickte mich auf einen Platz. Diesmal neben Rishi, den ich wenigstens schon ein bisschen kannte. Außerdem stank er nicht so abartig, wie der Junge aus dem Politikunterricht.
Ich fühlte mich fast in einen neuen Freundeskreis aufgenommen, als ich auch die restlichen Stunden hinter mich brachte. Es war erstaunlich wie einfach das gewesen war. Wie leicht es mir gefallen war, Kontakt zu Amy aufzubauen. Jedoch konnte ich mir noch nicht im Entferntesten vorstellen, wie ich ihr sagen sollte, was ich war und was sie werden würde. Das würde wohl noch etwas dauern. Aber ich hatte das Gefühl, je länger ich das aufschob, desto länger musste ich hier bleiben. Es war erdrückend, so zu fühlen.
Marlon
Verlassen, vereinsamt, allein und trotzdem in einer Gruppe saß ich im Gemeinschaftsraum. Mac, Dean und Monique hielten gerade eine Diskussion darüber, welche handschriftliche Schreibweise des kleinen A die bessere war. Mir war es ziemlich egal, welches A wer schrieb und ich hörte auch nicht wirklich zu. Meine Aufmerksamkeit lag auch nicht bei den übrigen Wölfen - also Dave, Leonie, Jason, Ronia, Sabrina, Selin und Matt -, die sich wiederum lautstark über ein anderes Thema unterhielten. Ich sah einfach hinab auf den hellen Teppich, hörte all die Geräusche vom Fernseher, die Stimmen von hier und vom Gang, aber ich fühlte mich, als wäre das alles weit weg. Meine Gedanken schwebten auf einer Ebene zwischen Realität und Erinnerungen. Kim war gerademal einen Tag weg, aber es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ich vermisste ihre Stimme, ihren Geruch, ihre Berührung, ihre Lippen, ihre Haare, ihre grünen Augen. Ich vermisste einfach alles.
Sie war für die Aufgabe als Informantin wie geschaffen, weshalb ich froh darüber sein sollte, dass es ihr sicherlich Spaß machen würde. Doch in diesem Moment wünschte ich mir, dass sie nie gegangen wäre. Wenn ich sah wie Vanessa auf Macs Schoß saß, wie sie sich an seinem Pullover festhielt, um nicht runterzurutschen, als er sich nach vorne beugte, um ein paar Chips aus der Schale auf dem Tisch zu greifen, und wie sie ihn verführerisch anlächelte, bevor sich ihre Lippen trafen, dann wünschte ich mir genau das. Ich wollte auch so angelächelt werden. Aber von meiner Freundin. Sie war die Einzige, die in dieser Runde fehlte.
Es war mir schwer gefallen, gestern Abend einzuschlafen und in der Nacht war ich mehrmals aufgewacht, weil ich nicht den warmen Körper neben mir gespürt hatte, der die letzten fünfeinhalb Jahre immer da gewesen war. Immer da, wenn ich sie brauchte. Aber letzte Nacht nicht. Und es war nur allzu schmerzhaft, zu wissen, dass es auch noch die nächsten vier Wochen so sein würde. Vier fast schlaflose Wochen. Das war eine Qual.
Vor meinen Augen bildete sich eine lebhafte Erinnerung. Sie nahm mich mit an den Tag, mit in die heiße Sonne und mit an den Strand.
Leonie hatte Geburtstag. Es war mitten im Juni, aber so heiß, das wir nichts anderes machen konnten, als Schwimmen zu gehen. Dafür waren wir extra alle so weit gelaufen, bis wir an den nächstbesten Strand gekommen waren, der bei dem Wetter natürlich komplett überfüllt war. Aber das war egal: wir suchten uns trotzdem eine freie Stelle, um unsere vielen Handtücher nebeneinander zu legen. Die meisten verschwanden sofort ins Wasser, weil uns vom Laufen so warm geworden war, dass es das Beste war, was man in diesem Moment machen konnte. Ich blieb nicht lange im Wasser, weil ich merkte, dass Kim nicht mitgekommen war. Sie war zusammen mit Selin am Strand geblieben und lag auf ihrem Handtuch. Vom Wasser aus sah ich, wie ihre Haut in der Sonne glänzte, da sie Sonnencreme aufgetragen hatte. Da es wenigstens eine kurze Erfrischung gewesen war, sich einmal ins Wasser zu schmeißen, verließ ich es wieder und ging über den künstlichen Sandstrand zurück zu den Handtüchern. Kim sah mir entgegen und grinste, als ich halb über sie gebeugt stehen blieb und sie damit nasstropfte.
»Das ist schön, komm her«, sagte sie und streckte ihren Arm nach oben aus, während sie die Augen zusammenkniff, weil sie sonst wegen der blendenden Sonne nichts sehen konnte.
Ich ergriff ihre Hand und legte mich neben sie auf ihr Handtuch. Ihr Kopf drehte sich zu mir und ein liebevolles Lächeln umspielte ihre Lippen. Langsam ließ sie ihren Kopf über das Handtuch wandern, bis er bei meinem angekommen war und sie meine Lippen mit ihren berühren konnte. In meinem Körper entstand ein unbeschreibliches Gefühl. Ich versuchte den Drang zu unterdrücken, sie näher zu mir hin zu ziehen, nur um mehr von ihr spüren zu können. Ihre linke Hand fühlte sich heiß auf meiner Wange an, die andere hielt ich immer noch in meiner. Die Finger meiner zweiten Hand schlängelten sich jetzt zu ihrem nackten Bauch und hinterließen dort eine Spur aus Wasser, als ich sie über den Bauch zur Hüfte wandern ließ.
Sie gab einen fast unhörbaren Ton von sich, den ich nur allzu gut kannte. Es gefiel ihr, sie wollte mehr. Langsam drückte sie sich vom Handtuch hoch. Ich spürte nur, wie sie sich auf meinen Bauch setzte, wie ihr Gewicht mich tiefer in den Sand drückte und mich gleichzeitig alles um mich herum vergessen ließ. Es war plötzlich egal, dass wir mitten am Strand waren; umgeben von tausend Leuten. Egal, dass Selin nur einige Handtücher entfernt lag. Ich vergaß es einfach alles und mir war im Unterbewusstsein klar, dass es Kim genauso ging. Sie wäre noch viel weniger die Person, die das hier machen würde, wenn ihr richtig klar wäre, was sie tat.
Meine Zunge spielte mir ihrer. Kim nahm immer wieder kurz meine Unterlippe zwischen ihre Zähne. Ich konnte meine Hände nicht zurückhalten, sie wanderten ungehindert an ihrer Seite entlang, bis sie sich in der Mitte ihres Rückens miteinander verschränkten und sie langsam noch näher an mich holten. Ihre Hände lagen nun links und rechts an meiner Wange. Sie erhitzten sie und ließen sie kribbeln. Ich spürte, wie ein Lächeln auf ihren Lippen entstand, das kurz danach wieder in dem Kuss verging, weil er zu sehnsüchtig und fordernd war, als dass so etwas wie ein Lächeln lange hätte überleben können.
Etwas fiel neben uns zu Boden. Ihre Lippen entzogen sich meinen und wir sahen beide nach rechts, wo Jason demonstrativ die Sonnencreme auf das Handtuch hatte fallen lassen. Seine Augen begegneten meinen und er grinste.
»Idiot«, sagte ich, grinste aber zurück, obwohl ich irgendwie doch sauer war, weil er mir diesen Moment zerstört hatte.
Kim grinste mich von oben herab an. Ich hatte fast aufgehört, mich darüber zu wundern, wie sehr sie sich in den letzten Jahren verändert hatte, denn ich mochte diese Veränderung. Ich meine, ich fand es süß, wenn sie schüchtern war und wenn es ihr peinlich war, wenn sie die Kontrolle über sich selbst verlor, aber dieses Grinsen ließ mein Herz schneller schlagen.
Langsam rollte sie sich von mir runter und blieb neben mir liegen. Dann berührte sie noch einmal kurz meine Lippen mit ihren, ehe sie von mir abließ und in den Himmel hinein grinste.
Und nun saß ich hier, allein, und wünschte mir diesen Tag zurück. Diese Wärme, dieses Gefühl von Sommer und Freiheit. Und sie. Ich wünschte, sie wäre jetzt hier. Aber sie war es nicht und dieser Zustand würde noch längere Zeit andauern. Meine Augen nahmen langsam wieder scharfe Konturen wahr und die ganzen Geräusche drangen wieder auf mich ein. Ich wäre am liebsten in dieser Erinnerung stecken geblieben, doch mein Kopf wollte sie nicht mehr so lebhaft aufrufen wie ich sie gerade wiedererlebt hatte.
Langsam fuhr ich mit meiner rechten Hand zu meiner Hosentasche und zog mein Handy heraus. Die Uhrzeit strahlte mir entgegen, als ich auf einen Knopf drückte, um es zu entsperren. Es war bereits sieben Uhr, also war Kim schon lange nicht mehr in der Schule. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie schon heute etwas mit Amanda unternahm, deswegen konnte ich davon ausgehen, dass sie Zeit hatte und ich sie nicht störte, wenn ich anrief. Natürlich wusste ich, dass sie sich auch freuen würde, wenn sie etwas anderes zu tun hatte, aber ich wollte lieber unbeschränkt mit ihr reden können, ohne, dass sie nebenbei abgelenkt war.
Ich erhob mich von dem Sofa und suchte dabei schon ihre Nummer raus. Ohne ein Wort verließ ich den Gemeinschaftsraum. Meine Freunde waren sowieso gerade so von sich selbst abgelenkt, dass sie es gar nicht wirklich bemerkten. Außerdem war ihnen bestimmt klar, was ich machte.
Mir begegneten mehrere Werwölfe, die ich freundlich grüßte, während ich mich auf dem Weg zu meinem Zimmer befand. Kurz, bevor ich unseren Gang erreichte, drückte ich schließlich den grünen Hörer, damit es bei Kim klingelte und hob das Handy an mein Ohr.
Es dauerte recht lange, bis am anderen Ende jemand ranging, deswegen war ich schon in meinem Zimmer, als sie abhob.
»Heeey«, ertönte ihre Stimme aus dem Handy, was mein Herz schneller schlagen ließ, mir ein Kribbeln durch den Körper jagte und ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
»Hey«, erwiderte ich im gleichen Tonfall wie sie.
»Sorry, ich hab’ mein Handy nicht gefunden«, entschuldigte sie sich für das späte Rangehen.
»Schon gut«, erwiderte ich. »Wie war’s in der Schule?«
»Wie Schule eben. Ich bin mir ein bisschen verloren vorgekommen, aber es ging«, antwortete sie. Ich hörte wie im Hintergrund etwas Raschelte und sie sich anscheinend hinsetzte.
Ich tat es ihr gleich, ließ mich auf mein Bett nieder und schüttelte mein Kissen auf, bevor ich mich dagegen lehnte. »Und Amanda?«
Sie antwortete etwas verzögert. »Als du mich das allererste Mal gesehen hast, was war da dein erster Eindruck von mir? Von meinem Charakter?«, fragte sie, anstatt meine Frage zu beantworten.
Ich runzelte die Stirn und drückte mich noch mehr gegen das Kissen. Meine linke Hand fuhr durch meine Haare, während ich darüber nachdachte. Was hatte ich damals gedacht, als ich sie das erste Mal getroffen hatte? »Dass du … schüchtern bist«, antwortete ich dann wahrheitsgemäß. Es war das Erste gewesen, das mir aufgefallen war.
Sie seufzte.
»Warum?«, verlangte ich nach einer Erklärung.
»Amanda ist überhaupt nicht dieser Typ von Mädchen. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich sie einordnen soll«, sagte sie bedrückt.
Mein Mund verzog sich und ich fühlte, wie gerne ich ihr helfen wollte. »Wie ist sie denn so?«
»Überhaupt nicht schüchtern. Eher … vorlaut. Das ist mir aufgefallen, als sie mich mit zu ihren Freunden genommen hat. Sie ist selbstbewusst. Hat keine Angst, irgendjemandem zu begegnen. Offen, fröhlich. Oder auch nicht. Ich weiß nicht.« Sie klang verzweifelt und ich konnte mir genau vorstellen, wie sie jetzt mit ihrer Hand durch die hellblonden Haare fuhr, die dabei immer wundervoll rochen. Ich stellte mir vor, dass sie auf einem altmodischen Sofa in ihrer neuen Wohnung saß und an die gegenüberliegende Wand starrte, so wie ich es jetzt hier tat. Nur dass sie das ungefähr achtzig Meilen weit weg von mir tat. Gar nicht mal so viel, aber trotzdem unerreichbar.
»Wie Monique?«, fragte ich. Diese Beschreibung traf schon auf Monique zu. Sie war in den letzten Jahren sowas wie Kims beste Freundin geworden.
»Ja«, sagte sie am anderen Ende überrascht, dass ihr das nicht schon vorher aufgefallen war. »Irgendwie schon wie Monique, irgendwie auch nicht. Aber es geht auf jeden Fall in diese Richtung.«
Ich lächelte. »Dann sollte es dir doch leicht fallen, mit ihr klarzukommen.«
Sie lachte leise. »Aber das ist etwas total anderes. Solche Leute sind mit Sicherheit viel schwieriger als kleine Sensibelchen, wie ich es war«, sagte sie. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie traurig und deprimiert klingen oder dem Grinsen in ihrer Stimme die Oberhand geben sollte.
Sie war zwar schon sensibel gewesen, aber das war in dieser Situation mehr als normal. Außerdem wusste ich, dass es in einer Diskussion enden würde, wenn ich darauf eingehen würde, deswegen ließ ich es einfach aus. »Solche Leute«, nahm ich ihren Satzanfang auf, »reagieren eher auf Taten als auf Worte. Das macht es irgendwie doch wieder leichter.«
»Taten?«, fragte sie.
»Taten. Wenn Reden nicht funktioniert ist das die beste Lösung.« Ich war mir in dieser Sekunde absolut sicher, dass mein Rat richtig war.
Sie schnaubte. »Ich hab’ Angst vor dem Moment«, sagte sie dann.
Mein Blick schweifte durch den Raum, suchte etwas, das ich fixieren konnte. Wäre sie jetzt hier, wären es ihre Augen gewesen, die ich angesehen hätte. Aber sie war nicht hier. »Brauchst du nicht«, versuchte ich sie aufzumuntern.
»Aber was, wenn sie völlig austickt? Wenn ich überhaupt nicht mehr weiß, was ich machen soll? Was, wenn s-«
»Kim«, unterbrach ich sie mit ruhiger Stimme. »Dein Anfang als Werwolf war alles andere als einfach. Du hast dich mit einer kleinen Minderheit von Leuten gegen die große Macht der Werwölfe gestellt. Du wurdest entführt und hast den Lockvogel für einen ganzen Haufen blutrünstiger, dich tot sehen wollender Werwölfe gespielt und gekämpft.« Ich schmunzelte bei diesem Ausdruck, obwohl ich glaubte, dass er grammatikalisch richtig war. »Du hast das alles durchgestanden. Alles, was noch kein anderer Werwolf durchmachen musste. Wieso solltest gerade du diese eine Sache nicht auf die Reihe kriegen, die so viele andere von uns auch geschafft haben? Selbst ich hab’s geschafft. Klar, es war alles etwas chaotisch damals, aber immerhin bist du jetzt ein richtiger Werwolf und gut geht’s dir auch, also kann ich doch nicht so viel falsch gemacht haben.«
Es war still am anderen Ende der Leitung. Ich hörte ihren Atem durch das Telefon und stellte mir vor, ihn spüren zu können, nur damit ich ihr etwas näher war. »Danke«, sagte sie schließlich.
Ich erwiderte nichts, denn ich suchte nach etwas, das ich sagen konnte. Mir lag die Frage auf der Zunge, die ich ihr schon gestern gestellt hatte, aber ich wollte nicht noch mal fragen, wann sie glaubte, mit Amanda reden zu können. Es würde so oder so nichts an dem Zeitraum ändern, den sie dort verbringen musste. Aber an dem Zeitraum, wann sie hierher kommen würde. Und darauf war ich erst mal aus. »Wie sind die Leute in der Schule?«, fragte ich schließlich.
»Ganz nett. Ich hätte nicht gedacht, dass ich heute schon so viel mit Amy rede.« Ich nahm an, dass Amy Amandas Spitzname war.
»Sei froh. Ich hab’ am ersten Tag nicht so richtig viel mit dir geredet«, sagte ich und erinnerte mich zurück an diese Zeit.
»Doch. Na ja, es geht«, sagte sie mit einem Grinsen, das ich deutlich heraushören konnte. »Wir sind zu spät zu Mathe gekommen, weil wir uns unterhalten haben.«
»Ja, das war peinlich«, entgegnete ich schmunzelnd. Ich erinnerte mich noch genau daran, wie wir vor der Klasse gestanden hatten und Kim erklärt hatte, dass sie noch mit mir zum Sekretariat gegangen war, was nicht gestimmt hatte.
»Was machst du gerade?«, fragte sie nach einer Weile, in der wir wieder nur geschwiegen hatten.
»Gar nichts«, erwiderte ich und seufzte, weil ich mir wünschte, sie jetzt in meine Arme ziehen zu können. »Und du?«
»Gar nichts«, kopierte sie meine Worte. »Aber ich müsste Hausaufgaben machen.«
»Dann mach sie.«
»Ich hab’ keine Lust.«
»Damals hast du mich dazu gezwungen«, sagte ich und grinste.
»Ich hab’ dich nicht gezwungen«, erwiderte sie empört.
»Aber du warst sauer, wenn ich sie nicht gemacht habe«, konterte ich.
»Nein i-«
»Shht«, unterbrach ich sie grinsend. »Du warst sauer.«
Sie blieb still und ich hörte nur wie sie leise lachte. Es tat weh, das nur zu hören und dabei nicht sehen zu können, wie sich kleine Fältchen neben ihren Augen bildeten und ihre Haare wackelten.
»Kim?«, fragte ich viel leiser, als es beabsichtigt gewesen war.
»Ja?«, erwiderte sie sofort.
Ich atmete schwer aus. »Ich vermisse dich. Heute schon. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich die nächsten vier Wochen ohne dich überstehen soll. Es ist langweilig hier, wenn du nicht da bist. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Die Anderen sind keine Hilfe, wenn sie den ganzen Tag nur im Gemeinschaftsraum sitzen und nichts unternehmen.«
Ich hörte ihren Atem am anderen Ende der Leitung. »Ich vermisse dich auch«, erwiderte sie leise.
Ich seufzte wieder. »Wir lernen noch so was wie Teleportation und beamen uns hin und her, damit ich bei dir sein kann.«
Sie lachte, aber ihre Stimme klang so traurig wie meine, als sie antwortete: »Dann fang schon mal an zu üben. Ich glaube nämlich nicht, dass wir das vor dem Ende dieser vier Wochen hinbekommen werden.«
»Ich weiß.« Bevor ich noch etwas anderes erwidern konnte, wurde mein Name draußen auf dem Flur gerufen. Er schallte quer darüber und unter meiner Tür hindurch zu mir. Es war nicht irgendwer, der ihn rief – das war natürlich Mac. »Warte kurz«, sagte ich zu Kim.
Die Tür ging auf, bevor ich mich überhaupt dorthin bewegen konnte. Mac spähte hinein und Nessa hielt sich an seiner Schulter fest, um mich darüber hinweg ansehen zu können. »Was machst du da?«, fragte Mac empört.
Ich zeigte als Antwort auf das Handy und hob die Augenbrauen.
»Kim?«, fragte er, grinste und kam ins Zimmer. Bevor ich überhaupt antworten konnte, nahm er mir das Handy aus der Hand, was ich zuließ. »Hey Kimmy«, sprach er hinein.
»Hey Mac«, hörte ich sie am anderen Ende mit einem Grinsen in der Stimme sagen.
»Kim«, rief Nessa aus und sprang auf Mac zu. Sie hielt sich an seinem Arm fest und stellte sich auf Zehenspitzen, damit sie näher am Handy war, obwohl sie auch so alles gehört hätte. Kim lachte.
»Also, es tut mir leid, euch jetzt unterbrechen zu müssen, aber da du nicht mehr da bist, müssen wir uns um deinen Freund kümmern. Deswegen kommt er jetzt mit uns Essen«, sagte Mac und machte sich schon auf dem Weg aus dem Raum raus, wobei er immer noch das Handy ans Ohr hielt.
»Hey«, protestierte ich, sprang vom Bett und lief ihm und Nessa hinterher. Die Tür zog ich im Laufen hinter mir zu. Ich hörte wie Kim etwas am anderen Ende sagte, verstand es aber nicht.
»So war der Plan. Ciao, Kleine«, erwiderte Mac daraufhin.
»Gib mir das Handy«, sagte ich, als ich bei ihm angekommen war und danach greifen wollte.
Er lachte und hielt es mit ausgestrecktem Arm weg, während sein anderer mich daran hinderte auf seine andere Seite zu gehen. Ich wollte mich wenigstens noch von ihr verabschieden, doch Mac drückte in unserem Handgefecht den roten Hörer, sodass Kim weg war. Erst dann reichte er mir grinsend das Handy.
»Idiot«, sagte ich nun auch grinsend, nahm es entgegen und stieß ihn mit einer Hand weg, sodass er kurz zur Seite taumelte, dann aber weiter mit uns ging.
Also gingen wir zusammen zum Speisesaal. Letztlich war es egal, dass er sie weggedrückt hatte. Ich telefonierte nach dem Essen noch lange mit ihr, auch wenn wir kaum redeten. Aber es war einfach gut zu wissen, dass ich in irgendeiner Form mit ihr verbunden war. Am Abend legte ich mich irgendwann schlafen, was nicht hieß, dass ich sofort weg war und schlummerte. Im Gegenteil: ich konnte nicht einschlafen. Aber damit würde ich in der nächsten Zeit umgehen müssen.
Kimberly
Am nächsten Morgen stand ich wieder früh auf. Ich duschte, föhnte mir die Haare und stand dann vor dem Spiegel. Ich betrachtete meine eigene schlanke Gestalt. Meine hellen Haare hingen fast bis zum Bauchnabel an mir herab. Sie schienen zu glänzen, waren voluminös und glatt, ohne dass ich sie mit einem Glätteisen glatt gemacht hatte. Dadurch, dass sie mittlerweise an mehr Länge gewonnen hatten, wurden sie nicht mehr wellig, was ich nur gut fand. Meine tiefgrünen Augen schienen als Kontrast zur hellen Haut und den Haaren wie kleine, dunkle Diamanten zu leuchten. Sie waren mir für einen kurzen Moment ganz fremd, als ich mich so betrachtete. Fremde Augen, die an meinen Körper hinunter sahen, als würde ich sie nicht lenken. Ich erschien mir gar nicht mehr dick, so wie früher. Wenn man fünf Jahre lang ständig gesagt bekam, dass man hübsch war, dass man perfekt aussah und nichts besser sein konnte; wenn man immer jemanden hatte, der hinter einem stand, dann glaubte man dessen Worte irgendwann. Diese Dinge und das Wissen, dass mir niemand etwas anhaben konnte; dass ich als Werwolf immer aus einer Situation entfliehen konnte, wenn ich es wollte, hatte mich selbstbewusst gemacht. Das Vertrauen in mein Aussehen und meine menschlichen als auch magischen Fähigkeiten war gestiegen, was ich nicht nur allein Marlon zu verdanken hatte. Da waren Leute wie Monique, die sich aufregten, wenn ich mich über mich selbst beschwerte. Oder Mac, der mir auf seine eigene Art und Weise zu verstehen gab, dass ich gut so war, wie ich nun mal war. Mit dem Gedanken an die drei ließ ich von meinem Spiegelbild ab und verließ das Bad.
Diesmal sah ich schon vage bekannte Gesichter, als ich in den Bus stieg. Andrew und Kevin stritten sich darum, wer von ihnen mir den Platz anbot, bis sich Kevin letztlich umsetzte, damit ich einen Sitzplatz bekam. Mit gerunzelter Stirn ließ ich mich neben Andrew nieder.
»Wie findest du’s bei uns auf der Schule?«, fragte er nach ein paar Minuten. Sein Blick lag unentwegt auf mir.
»Eigentlich ganz gut. Kann sich mit der Zeit aber noch ändern.« Ich grinste ihn an.
Er lachte. »Schule eben«, erwiderte er.
Ich nickte nur, obwohl ich gar nicht so dachte. Ich hatte heute Morgen wieder Lust auf den Unterricht gehabt, aber irgendwie hatte sich diese gerade aufgelöst und meine Sehnsucht nach dem normalen Werwolfsalltag zurückgelassen. Sehnsucht nach meinen Freunden und Sehnsucht nach Marlon.
Dann redete er nicht mehr und ich war froh darüber. Ich wollte lieber still diese Busfahrt hinter mich bringen, als reden zu müssen, und dadurch das Gefühl zu haben, von allen beobachtet und belauscht zu werden.
Erst als wir fast da waren, erhob Andrew wieder seine Stimme. »Hast du heute Abend was vor?«
Ich sah ihn an, um zu verstehen, wie er das meinte. Wollte er etwa ein Date? War er so offensichtlich? So oberflächlich? Mein Mund öffnete sich und atmete ein, anstatt etwas zu antworten, denn ich wusste im ersten Moment nicht was. »Ehm … ja, wahrscheinlich schon«, antwortete ich schließlich und sah ihn entschuldigend an.
Er verzog kurz den Mund und überlegte. »Und morgen?«
Ich unterdrückte ein Seufzen. »Das weiß ich noch nicht genau, aber ich kann mal sehen«, sagte ich dann, obwohl das gar nicht das gewesen war, was ich hatte sagen wollen. Denn das ich kann mal sehen machte ihm doch nur Hoffnung, zumal mein Tonfall nicht sehr abweisend gewesen war. Doch ich konnte nicht geradeheraus sagen, dass ich nicht wollte. Dann würde er mir leidtun und wer wusste schon, was ich dann sagen würde, wenn ich meinen eigenen Mund nicht unter Kontrolle hatte.
Er nickte und lächelte leicht, obwohl ich sah, dass er etwas enttäuscht war. Ich sah wieder nach vorne. Nur wenig später hielt der Bus vor dem Schulgebäude. Zusammen mit allen anderen Schülern erhob ich mich von meinem Platz und drängelte mich mit der Menge aus dem Bus.
Bunte Scharen an Schülern strömten auf die Schule zu, als könnte sie umkippen, wenn sie sich alle dagegen stemmten. Ich folgte der Gruppe begleitet von Andrew und Kevin. Mein Körper fühlte sich eingeengt, während mein Verstand sagte, dass ich dieses Empfinden nicht haben musste. Diesmal musste ich nicht erst nach dem Weg fragen, als ich im Gebäude stand. Ich verabschiedete mich mit einem kurzen Lächeln, das die beiden auffingen und erwiderten, als hätte es nur einem von ihnen gegolten, ehe ich mich im Gewirr verlor und ihm einfach zu dem Raum folgte, in dem ich jetzt Unterricht hatte. Heute sah ich Amanda sofort. Zusammen mit Madalyn stand sie wie gestern vor einer Gruppe anderer Schüler und wartete darauf, dass die Lehrerin kam. Ich stellte mich ohne zu zögern zu ihnen.
»Guten Morgen«, begrüßte ich sie.
Beide erwiderten die Worte und sahen mich an.
»Du hattest Recht, was Kevin betrifft. Aber Andrew ist nicht unbedingt besser«, begann ich, etwas zu sagen und sah dabei Amy an.
Sie grinste. »Doch ist er. Jedenfalls ein bisschen.«
»Hier kommt es nicht so oft vor, dass jemand Neues kommt«, sagte Madalyn als Erklärung für das Verhalten der Jungs. »Deswegen müssen sie eben alles nehmen, was sie kriegen können.«
»So eine ausgestorbene Gegend ist es doch hier gar nicht«, bemerkte ich stirnrunzelnd.
Amy verzog unsicher den Mund. »Es geht. Richtig viel los ist hier auch nicht.«
»Ich kenne Städte, da trifft man nicht mal Gleichaltrige«, sagte ich und lächelte. Das war nicht ganz die Wahrheit, aber auch nicht wirklich unwahr. Silver Bay zum Beispiel war nicht wirklich groß und viele Jugendliche gab es da nicht, wenn man mal von dem Werwolfs-Anteil absah.
»Aber Phoenix ist nicht so«, sagte Madalyn.
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich«, erwiderte ich und grinste.
In diesem Moment kam die sympathische Mathelehrerin und schloss den Raum auf. Wir strömten hinein und ich ließ mich auf meinem Platz nieder und damit stellte ich mich auf einen weiteren Unterrichtstag ein, der hoffentlich etwas mehr Abwechslung bieten würde, als es der letzte getan hatte.
Von Stunde zu Stunde versank ich mehr in Gedanken und Erinnerungen. Nur in der ersten Pause, in der ich mich quasi an einem Gespräch beteiligen musste, weil ich nicht so abwesend erscheinen wollte, tauchte ich daraus kurz wieder auf. Erst als ich durch meine mich erdrückenden, traurigen und laut im Kopf schwebenden Gedanken zufällig meinen Namen heraushörte, wachte ich in der vierten Stunde Geschichte wieder richtig auf. Doch als ich zum Lehrer sah, lagen seine Augen gar nicht auf mir, sondern er wandte sich der ganzen Klasse zu. Mir wurden kurz Blicke zugeworfen, doch ich wusste gar nicht, wovon geredet worden war. Ich hatte nicht mal irgendwas vom Unterricht mitbekommen.
Mein Körper lehnte sich ein kleines Stück nach links, damit ich etwas näher bei Amy war, die heute in diesem Unterricht neben mir saß, weil ihre Sitznachbarin krank war. »Was hat er gesagt?«, flüsterte ich, damit ich wusste, warum er meinen Namen genannt hatte.
Sie sah mich nicht an, drehte nur den Kopf leicht in meine Richtung und verfolgte weiter den Lehrer, während sie antwortete. »Dass sich jemand bereiterklären muss, sein Referat mit dir zu machen.«
Ich runzelte die Stirn und sah sie weiterhin fragend an, weil ich gar nicht verstand, was sie meinte. Jetzt sah sie mich ebenfalls an und bemerkte, dass ich kein bisschen zugehört hatte. »Weil sonst alle ihre besten Freunde als Partner nehmen und du alleine bleibst, weil du noch niemanden kennst«, erklärte sie und grinste dann, weil es ganz einfach zu verstehen war.
Ich lehnte mich wieder leicht zurück, als Antwort, dass ich es jetzt ebenfalls kapiert hatte. Ein Referat? Das wäre meine Gelegenheit, auch in der Freizeit etwas mit Amy zutun zu haben, sofern die Vorbereitungsmethode das zuließ und ich es mit ihr machte. Ich biss mir kurz auf die Unterlippe, ehe ich mich wieder leicht zu ihr hin beugte und sie ansah. Sie erwiderte den Blick fragend. »Machst du mit mir?«, fragte ich mit einem Schimmer Hoffnung in der Stimme, der sogar echt war.
»Ich hab’ heute eh keine Partnerin«, sagte sie, zuckte die Schultern und lächelte zusagend.
Ich erwiderte das Lächeln glücklich.
Amy meldete sich, während der Lehrer noch etwas von der restlichen Einteilung der Gruppen erzählte. »Zweiergruppen. Suchen Sie sich Ihren Partner aus. Erst Partnersuche, dann Themenzuteilung. Klären Sie das«, sagte er abgehakt und sichtlich genervt von der Lautstärke, die hier herrschte, da die Schüler schon lange angefangen hatten, zu diskutieren, mit wem sie es machen würden. Erst danach nahm er Amy dran. »Ms. Marvel?«
»Ich würde es mit Kimberly machen«, erklärte sie sich bereit.
»Schön, dann haben wir schon die erste Gruppe.« Er ging zur Tafel und schrieb unsere Namen nebeneinander an. »Die Anderen?«
Ab dort folgte ich wieder still alldem, was im Raum geschah. Wartete, bis sich jeder geeinigt hatte und dann, bis wir unser Thema bekamen. Es war nicht mal ein richtiges Thema. Eigentlich nur eine Jahreszahl in einem Ablauf einer ereignisreichen Zeit in der amerikanischen Geschichte. Jede Gruppe bekam ein solches Jahr und musste dann, im Zusammenhang mit den vorherigen Ereignissen, ein Referat darüber halten. Bis jeder sein Gebiet hatte, dauerte es fast bis zum Ende der Schulstunde. Ich sah zu Amy, als es schließlich klingelte und alle ihre Sachen zusammenpackten und aufstanden.
»Hast du heute schon Zeit, das zu machen?«, fragte ich sie, in der Hoffnung, sie würde Ja sagen.
Sie verzog kurz den Mund, dachte darüber nach. »Jap, eigentlich schon. Aber bei mir Zuhause ist’s schlecht.«
Ich lächelte unwillkürlich. »Wir können zu mir gehen. Meine Mom ist eh nicht da, dann haben wir unsere Ruhe.«
»Gut.« Sie legte den Kopf schief und erwiderte mein Lächeln. »Soll ich dann direkt nach der Schule mit zu dir kommen?«
»Das wäre das Beste«, erwiderte ich, wohlwissend, dass ich dann kaum Zeit haben würde, mich auf irgendwas vorzubereiten. Hatte ich hier gerade die perfekte Gelegenheit geschaffen, um ihr alles zu erzählen? Ich sah kurz auf die Tischplatte, als ich realisierte, dass ich das wirklich getan hatte. Wahrscheinlich war das jetzt sogar unumgänglich, denn sie würde sicherlich misstrauisch werden, wenn sie meine Wohnung sehen würde. Schließlich sah es dort überhaupt nicht so aus, als würde noch meine Mutter bei mir wohnen. Oder doch? Na ja, es gab ein Doppelbett, was hieß, dass ich theoretisch mit meiner Mom in einem Bett schlafen könnte. Aber es gab nur zwei Paar Schuhe, die beide mir gehörten, eine Jacke, die ich trug, generell alles nur ein Mal. Würde sie das misstrauisch machen?
Amy stand auf, was mich wieder in die Realität zurückholte. Doch als ich mich ebenfalls erhob und gleichzeitig mein Stiftmäppchen in meine Tasche stopfte, wurde mir klar, dass es für mich vielleicht sogar besser sein könnte, wenn sie selbst darauf kam, dass irgendetwas faul war. So musste ich nicht darauf warten, dass ich es irgendwann selbst sagen musste. Ja, bestimmt würde es so einfacher gehen.
Ich hatte das Gefühl, Amy machte es überhaupt nichts aus, mit einer Fremden nach Hause zu fahren. Sie kannte mich schließlich erst seit gestern und wusste sie gar nichts über mich. Ich war mir nicht sicher, ob ich damals einfach mit mir mitgegangen wäre, wenn ich Amy gewesen wäre. Wahrscheinlich nicht.
»Möchtest du was trinken?«, fragte ich das kesse Mädchen, als wir in meiner Wohnung angekommen waren und ich die Tür zur Küche öffnete.
»Ähm ja, Wasser, wenn’s geht.«
»Stilles oder mit Kohlensäure?«
»Stilles bitte«, erwiderte sie, als sie neben mich trat. Also nahm ich zwei Gläser aus dem Schrank und schüttete ein, dann hielt ich ihr eins hin. »Wir müssen gleich erst mal gucken, wie wir die Einteilung vom Referat machen. Was wir überhaupt alles schon haben und so«, sagte sie, bevor sie es an den Mund führte und davon trank.
Ich nickte, während ich schon das Wasser schluckte und dann das leere Glas in die Spüle stellte. Sie tat es mir gleich, ehe sie mir ins Wohnzimmer folgte. Ich war mir nicht ganz sicher, was jetzt passieren würde. Würden wir einfach nur das Referat vorbereiten? Würde ich gar nicht dazu kommen, ihr zu sagen, warum ich hier war? Oder konnte ich es einfach gerade heraus sagen? Einfach so? Nein, das würde wirklich komisch rüberkommen. Das konnte ich nicht machen. Aber wie dann?
Amy setzte sich wie ich auf das altmodische Sofa und kramte in ihrer Tasche rum, ehe sie einen Block und das Geschichtsbuch herauszog. Dann zögerte sie und sah auf das Buch hinab. Schließlich blickte sie auf. »Ich hab’ überhaupt keine Lust, das zu machen«, sagte sie und grinste.
Ich erwiderte das Grinsen. »Ich auch nicht.«
Sie lehnte sich zurück und zog ihre Füße mit aufs Sofa. Ihre braunen Augen schweiften über die gegenüberliegende Wand.
Ich überlegte stark, bevor ich redete. »Darf ich dich was fragen?«
Ihre Augen schossen zu mir. »Klar.«
Ich setzte mich etwas schräg aufs Sofa, damit ich ihr zugewandt war und betrachtete ihr hübsches Gesicht und die Haare. »Hast du ein gutes Verhältnis zu deinen Eltern?« Mich interessierte es irgendwie. Ich hatte nämlich das Gefühl, immer nur von Leuten umgeben zu sein, die kein besonders tolles Familienleben hatten, Marlon als bestes Beispiel. Okay, da waren immer noch genug, die ihre Familie und ihr altes Leben geliebt hatten. Leonie, Jason, Dean, Chris und Ronia als Beispiele. Aber dieser komische Unterton in Amys Stimme, wenn sie etwas erwähnte, das nur im Entferntesten etwas mit ihren Eltern zu tun hatte, gefiel mir nicht, deswegen musste ich einfach nachfragen.
»Nein«, erwiderte sie ohne zu zögern und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, weil es ihr scheinbar ziemlich egal war.
»Wieso?«, fragte ich vorsichtig weiter.
Jetzt zog sich ein Mundwinkel ihrer Lippen höher, als sie über diese Frage nachdachte und versuchte, die richtigen Wörter zu finden. »Wie soll ich’s sagen? Hart ausgedrückt: sie sind arbeitslose Alkoholiker.«
Meine Augen weiteten sich. Das hatte ich wirklich nicht gedacht. »Oh … das …«, stotterte ich. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte.
Sie legte den Kopf schief und lächelte. Damit sagte sie mir, dass es okay war. »Was ist mit dir?«, fragte sie dann, um wieder einen Themenwechsel zu haben.
»Ich hab’ kein Problem mit meinen Eltern«, erwiderte ich wahrheitsgemäß, obwohl ich Angst vor irgendwelchen weiteren Fragen hatte, die ich nicht beantworten konnte.
»Ist dein Dad nicht hier?«, fragte sie. Ihre Stirn legte sich in kleine Falten.
Ich versuchte so unauffällig wie nur möglich nach Luft zu schnappen, als mir auffiel, dass mir hätte klar sein können, dass so etwas kommen würde. Was war denn mit meinem Dad? »Nein«, erwiderte ich.
»Wieso kommt er denn nicht mit?«
»Ähm … meine Eltern sind geschieden«, antwortete ich schnell, bevor mir etwas anderes einfallen konnte. Es war die logischste Erklärung dafür.
»Oh, okay«, sagte Amy. »Und deine Mom? Wo arbeitet sie jetzt?«
Jetzt? Ich hätte mich besser auf so etwas vorbereiten sollen. Was sollte ich denn sagen?. »Äh … bei so einem Möbelhaus«, sagte ich, weil das das erste war, das mir einfiel. Dabei könnte ich mir direkt danach vor den Kopf schlagen. Wieso hätte sie bei so einem Job versetzt werden sollen?
Ich erkannte an Amys Blick, dass ihr das jetzt komisch vorkam. Sie runzelte die Stirn. »Bei Ikea?«, fragte sie nach.
Ich nickte nur. Ikea klang gut, denn ich hatte in diesem Moment keine Ahnung, welches andere Möbelhaus es noch gab.
»Du weißt, dass das nächste Ikea ungefähr zweieinhalb Stunden von hier weg ist?«, fragte sie und hob skeptisch eine Augenbraue.
Ich biss mir auf die Lippe. Was sollte ich denn jetzt machen? Amys Augen schweiften kurz durch den Raum. Ich sah wie sie plötzlich misstrauisch war und es ihr unheimlich erschien, wie ich reagierte. Es war ja auch nicht normal, wenn ich nicht mal wusste, wo meine Mom arbeitete, obwohl ich wegen ihrem Job umgezogen war. Es war auch nicht normal, dass ich so nervös wurde, wenn sie mich etwas darüber fragte. Und natürlich war es nicht normal, dass wir in Cloquet wohnten, obwohl Ikea so weit entfernt lag.
»Ich … ähm …«, für einen ganz kurzen Augenblick schloss ich die Augen. Ich konnte so nicht weiterreden. Sie würde noch denken, dass ich vollkommen verrückt war und vielleicht würde sie sogar Angst bekommen. Ich hätte Angst vor mir. »Nein«, sagte ich dann mit fester Stimme und sah sie direkt an.
Ihr Körper bewegte sich minimal von mir weg. So, dass ich es gar nicht bemerkt hätte, wenn ich nicht genau auf alles achten würde, was sie tat. Denn das war jetzt wichtig. Ihre Augen schweiften nochmal durch den Raum. Sie fragte sich, was ich nur für eine war. Wieso ich nein sagte. Dann lag ihr Blick wieder direkt auf mir und ich sah den Entschluss darin, ihre Skepsis einfach preiszugeben und mir klarzumachen, dass das total unlogisch war, was ich hier erzählte. »Was bist du eigentlich für eine? Du weißt nicht mal, wo deine Mom arbeitet? Warum wird sie bei so einem Job in so ein kleines Kaff hier versetzt?«
Ich atmete aus. »Ich kann’s dir erklären.« Ich zögerte kurz. Sollte ich es wirklich tun? Heute? War es der richtige Zeitpunkt? Doch bevor ich noch weiter darüber nachdachte, sprach ich es schon aus. »Amanda.«
Ihre Augen blitzten auf, als sie begriff, dass ich gar nicht wissen konnte, wie ihr voller Name war. Sie hatte sich mir nur als Amy vorgestellt. Mit Sicherheit nannte sie nie jemand Amanda, denn für alle Leute in der Schule war sie einfach Amy. Langsam bewegte sich ihr Körper wieder aufwärts. Sie stand auf und umfasste gleichzeitig das Heft und den Block mit ihren Händen. Die Fingerknöchel wurden durch den Druck fast weiß.
»Warte«, sagte ich.
Sie sah mich an, obwohl ihre Hände und Arme versuchten, die Dinge in ihre Tasche zu schieben, woran sie scheiterte. »Woher kennst du meinen richtigen Namen?«, fragte sie, während sie einen Schritt nach hinten machte.
»Ich bin nicht hier, weil meine Mom versetzt wurde. Sie ist überhaupt nicht hier.« Ich musste die Worte aus meinem Mund zwingen, damit sie mir über die Lippen kamen, doch selbst dann klangen sie erdrückt. »Ich bin wegen dir hier.«
Ihre braunen Augen sahen mich an und ihre Augenbrauen schienen Schatten darüber zu werfen. »Was heißt das?«
Plötzlich war mir völlig klar, was der Unterschied zwischen Menschen wie ihr und schüchternen Menschen wie mir war. Sie würde nicht einfach wegrennen. Sie war skeptisch, sie war misstrauisch, sie hatte vielleicht sogar etwas Angst – im Tiefen ihres Inneren. Aber sie war selbstbewusst und taff genug, dass sie bleiben würde. Sie hatte ihren Stolz, nicht einfach wegzurennen, selbst, wenn ihr alles so komisch erschien, dass es nur noch gefährlich sein konnte. Doch genau dieser Unterschied machte es mir so schwer, mich in sie hineinversetzen zu können und zu wissen, wie ich weitermachen konnte. Ich hatte überhaupt keine Ahnung.
Meine Lippen fühlten sich trocken an, als ich Speichel schluckte, um klar reden zu können. Doch dann brauchte ich noch einen Moment, bis ich überhaupt irgendwelche Worte gefunden hatte, die in diesem Zusammenhang einigermaßen passend klangen. »Ich bin hier, weil ich zu dir muss. Ich muss dich auf etwas vorbereiten. Ich weiß, das wird für dich alles total verrückt und … beängstigend klingen, aber ich erzähle dir ab jetzt nichts als die Wahrheit.«
Ihre Augen verkleinerten sich zu Schlitzen. Sie sah mir unverständlich entgegen. Ich erkannte die Fragen in ihren Augen, doch ich wusste nicht, wie ich weitermachen konnte. Schließlich konnte ich ihr nicht einfach sagen, dass sie ein Werwolf war und sich bald verwandeln würde. Nicht einfach so. Aber wie sonst?
»Mit dir passiert etwas. Du merkst es nur noch nicht. Aber spätestens in vier Wochen wird es so weit sein, dass du dich davor nicht mehr …«, ich zögerte, bevor ich das nächste Wort sagte, da es so wirkte, als würde die ganze Verwandlung total schrecklich sein, was sie von Amys Position aus ja auch war, »retten kannst. Und d-«
Sie unterbrach mich. Etwas, das ich nicht vorhergesehen hatte, da sie sich vorher kein Stück geregt hatte. Doch jetzt zog sie ihre Sachen enger an sich und umschlang sie mit ihren Armen. Ihr Mund öffnete sich, doch die Worte schienen schon vorher herauszusprudeln und mir alles kaputt zu machen. »Okay, das wird mir zu doof«, sagte sie und drehte sich um.
Ich hatte keine Zeit zu reagieren. Keine Zeit, um vernünftig darüber nachzudenken, was ich tat. Doch in dieser Sekunde, die mir blieb, rief ich mir schon eingestaubte Erinnerungen wieder auf. Erinnerungen von einer transparenten, glitzernden Wand, die mitten im Wald hoch in den Himmel ragte. Eine Wand, die nur ich sehen konnte. Ich erinnerte mich an das Gefühl, das mich damals dazu getrieben hatte, sie aufstellen zu können. Und noch ehe Amanda den Türrahmen zur Küche erreicht hatte, war sie hier – die Wand. Oh ja, ich hatte geübt. In fünfeinhalb Jahren hatte ich genug Zeit dafür gehabt. Das Ergebnis war nie so gut gewesen, wie das allererste Mal, als es ganz unbewusst passiert war, als ich diese Wand hervorgerufen hatte, aber ich hatte mich mit der Zeit immerhin gesteigert. Allerdings war es mir nie gelungen, eine sich fortbewegende Wand aufzubauen. So etwas, wie Marlon es mit sich trug. Etwas, auf das ich nicht achten musste, wenn es einmal da war. Ich hatte es nie wieder geschafft, obwohl es das gewesen war, das ich damals vor dem großen Kampf geübt hatte. Allerdings waren die letzten Jahre nie so turbulent gewesen, dass ich so etwas gebraucht hatte, weshalb das Üben nie richtig interessant gewesen war. Jedenfalls nicht auf Dauer.
Amy stockte. Man hörte keinen Knall und sie sah nicht, warum sie nicht weitergehen konnte, doch ich erkannte, dass sie genau vor die hellglitzernde, gelb wirkende Ballere gelaufen war, die jetzt den ganzen Raum umgab. Die Augen des Mädchens vor mir weiteten sich. Sie versuchte noch einen Schritt zu machen, scheiterte aber dann schon dabei, den Fuß wieder abzusetzen. Ich biss mir auf die Lippe und krallte meine rechte Hand in den Bezug des Sofas. Es kribbelte komisch auf der Haut, wenn sie die Wand berührte, aber ich war in den ganzen Jahren stark genug geworden, sie so lange ich es wollte aufrecht zu erhalten.
Amy drehte sich ruckartig um. Sie wusste nicht, was hier vor sich ging, doch sie ahnte, dass es nicht normal sein konnte. In dem Moment, in dem ihr wütender, verwirrter Blick meinen traf, machte sich Unsicherheit in mir breit. War das gerade wirklich richtig gewesen?
»Was soll das?«, fragte sie. Ihre Augen schienen größer zu werden, als sie mich ansah und den logischen Zusammenhang zwischen all dem zu finden versuchte.
»Tut mir leid«, sagte ich, und stand langsam auf. »Du musst jetzt kurz hier bleiben. Bitte. Ich muss es dir erklären.«
Sie wollte wieder einen Schritt nach hinten machen, aber schon wieder prallte sie gegen die Wand und schon wieder kribbelte es komisch auf meiner Haut. Ich atmete tief durch. Dann blieb Amy gerade stehen. Sie richtete die Schultern stolz auf, als würde sie ihrem Tod mit Würde entgegentreten wollen. Ich wusste nicht, was sie dachte, doch mir war klar, dass sie nicht vernünftig zuhören würde.
»Amy«, begann ich, »du bist n-«
Erneut unterbrach sie mich. »Erzähl mir nicht irgendwelche komischen Geschichten, komm auf den Punkt«, giftete sie mir feindselig entgegen.
Ich stoppte in meiner Bewegung, noch einen Schritt auf sie zu zumachen. Meine Augen sahen direkt in ihre. Das Braun darin wirkte sicher, nicht eingeschüchtert. Natürlich, sie war verwirrt, aber niemals so wie ich gedacht hätte. Ich hatte niemals geglaubt, dass man in so einer Situation so ruhig bleiben konnte. Dass man keine Angst haben konnte. Ich hätte sie gehabt.
Und mit einem Mal begriff ich, was Marlon gemeint hatte, als er gesagt hatte, dass Taten die beste Lösung waren, wenn Reden nicht funktionierte. Ich verstand, dass Amanda wirklich eine dieser Personen war, bei denen dies zutraf.
Deswegen entschlüpfte meinem Mund das Wort »Okay« und ich machte wieder zwei Schritte rückwärts. Mit einem kurzen Blick auf den Tisch und den auf meiner anderen Seite stehenden Sessel vergewisserte ich mich, dass genug Platz war. Dann ließ ich die Wand hinab gleiten, wodurch ein Stückchen Kraft in meinen Körper zurückkehrte. Diese nutze ich, um meinen Körper zu wechseln. Von Kleidung zu Fell. Von kalt zu warm. Von Mensch zu Wolf.
Kimberly
Geschockte, geweitete und erschrockene Augen starrten mich an. Amanda machte instinktiv einen Schritt zurück. In ihrem Blick lagen unzusammenhängende Worte. Man musste sie erst zusammensetzen, um sie lesen zu können, doch es war zu kompliziert für mich. Jetzt hielt sie keine Magiewand mehr auf. Sie konnte ganz einfach nach hinten taumeln, um sich vor dem weißen Monstrum zu retten, das gerade vor ihr entstanden war. Doch sie lief nicht weg, denn dazu war sie viel zu geschockt. Sie war so gebannt, dass sie ihre Augen nicht von mir lösen konnte. Ihr stechender Blick raste über meinen Körper, schoss von Punkt zu Punkt, versuchte zu verstehen, was hier gerade passiert war. Logisch war es für sie schon lange nicht mehr.
Ich ließ langsam meine Hinterbeine einknicken, setze mich darauf und platzierte die Vorderpfoten bequemer auf dem Untergrund. Ein sitzender Riesenwolf schien ungefährlicher, als ein stehender. So, dass sie es kaum bemerken konnte, senkte ich meinen Kopf, damit dieser nicht so hoch war und ich damit noch kleiner erschien, obwohl ich immer noch circa die Höhe ihrer Schultern hatte. Mit den nochmals verbesserten Wolfsaugen erkannte ich die Konturen ihres Gesichtes exakt. Die Züge, die sich darauf bildeten und totale Unverständnis ausdrückten, schienen mir fremd zu sein.
Ich gab ihr einen Moment, um halbwegs zu registrieren, dass das nicht alles ein Traum war, dann verwandelte ich mich zurück und stand im gleichen Moment auf, damit ich als Mensch nicht auf dem Boden saß. Noch bevor ich richtig stand, hatte ich meine ursprüngliche Gestalt schon wieder angenommen. Nun schienen Amys Augen wieder wild herum zu zucken, um alles aufnehmen zu können, das wichtig war. Doch das brachte sie ebenso wenig zu einem Ergebnis wie zuvor.
»Glaub mir, wenn ich sage, dass es wichtig ist«, sagte ich jetzt ruhig. »Und es betrifft nicht nur mich. Auch dich.«
Sie starrte meinen Mund an, als könnte sie nicht glauben, dass er wirklich sprach. Als wär es unmöglich, dass ich überhaupt auf zwei Beinen stehen konnte und aussah wie ein Mensch. Ihre Füße standen fest auf dem Boden und sie machte keinerlei Anstalten, sich umzudrehen und wegzurennen, deshalb hielt ich es für unnötig, wieder eine Wand aufzustellen, um sie hier festzuhalten.
»Du …«, entfuhr ihrem Mund, doch sie fand keine Worte für das, was sie gerade gesehen hatte.
»Hast dich in einen Wolf verwandelt?«, führte ich den Satz fort.
Langsam, nur ganz wenig, bewegte sich ihr Kopf hinab, was ich als Nicken deutete.
»Ja. Ein Werwolf. Ein Gestaltwandler. Das bin ich. Und du auch«, sagte ich jetzt. Ich spürte, wie sich meine Züge glätteten. Wie all die Verspannung in meinem Körper verschwand. Ich konnte plötzlich ruhig und geordnet reden, ohne dass meine Gedanken mir dabei ständig im Weg standen und den Wörtern die Möglichkeit nahmen, aus meinem Mund zu kommen. Der Wolf in mir hatte sich bemerkbar gemacht und mir die Ruhe geschenkt, die ich für diese Aufgabe brauchte.
Jetzt sahen ihre Augen direkt in meine. Ich nickte leicht, und ließ meine Mundwinkel aufmunternd zucken. »Ich erklär’s dir«, sagte ich mit der Hoffnung, dass sie sich darauf einlassen würde. Doch als ich sah, dass sie sich nicht bewegte, als ich einen Schritt rückwärts machte und mich wieder auf das Sofa sinken ließ, hängte ich ein »Bitte« mit dran.
Sie zögerte mehrere Sekunden, dann machte sie langsam einen Schritt auf mich zu. Die Neugierde in ihr und das fortwährende Unverständnis der Situation trieb sie dazu, sich – weit weg von mir – auf den Sessel zu setzen. Ganz langsam rückte sie darauf bis nach außen, bevor sie der Lehne wegen nicht mehr weiter kam und missmutig still sitzen blieb. Das Buch, das Heft und ihre Tasche wurden von ihren Armen auf den Schoß gedrückt und ihre gesamte Körperhaltung war angespannt und vorsichtig.
Trotz ihrer Anspannung wurde mir klar, dass Marlon recht gehabt hatte. Dass diese Typen von Menschen wirklich einfacher waren. Ich war damals weggerannt, ich war in Tränen ausgebrochen und ich hatte mich gegen Marlon gewehrt. Sie tat nichts von dem, sondern ließ sich auf ein Gespräch ein. Sie hatte keine Angst. Jedenfalls nicht solche, wie ich sie gehabt hatte. Das alles wurde von der Neugierde überdeckt. Dabei war es völlig irrational, in so einer Situation neugierig zu sein. Wahrscheinlich hatte ich deshalb damals sogar noch normaler reagiert, als sie es jetzt tat. Aber umso einfacher war es jetzt für mich.
Ich atmete einmal durch, damit ich mir sicher sein konnte, dass ich ruhig sprechen konnte und mein Tonfall vernünftig sein würde. »Man wird so geboren. Ich. Du. Alle anderen Werwölfe. Aber es dauert, bis man sich das erste Mal verwandelt. Bei manchen lange, bei anderen schon früher. So wie bei dir. Und bei mir. Wir sind noch jung. Aber es gibt Werwölfe, die haben sich erst mit fünfzig verwandelt.« Ich machte eine Pause und sah sie durchdringend an. Versuchte zu erkennen, ob sie es verstand. Doch ich war mir ziemlich sicher, dass meine Worte fast nur an ihr abprallten. Dass sie immer noch bei dem Teil war, wo ich vor ihren Augen zu einem Wolf geworden war. Aber darauf konnte ich jetzt nicht warten. Sie würde es verstehen und ich musste die Situation ausnutzen, in der sie ruhig war und zuhörte.
»Es verändert sich nicht viel. Die Sinne verbessern sich und man wird nicht mehr krank. Es ist zwar so, dass du dich erkälten kannst und so etwas, aber du wirst davon nie etwas merken, weil die Wolfsgene in dir die Krankheit sofort wieder heilen. Wunden schließen sich innerhalb kürzester Zeit. Es kommt darauf an, wie groß sie sind.«
Ich wartete wieder einen Moment. Amys Augen lagen nach wie vor auf mir, doch jetzt schien sie viel besser zu verstehen, was ich hier sagte. Deswegen entschied ich, jetzt zu einem viel wichtigeren Teil überzugehen: der Unsterblichkeit. »Der Körper eines jeden Werwolfs bleibt nach der ersten Verwandlung in seiner Entwicklung stehen. Wir verändern uns nicht mehr«, sagte ich. »Zwar können wir Gewicht zu- und abnehmen, wir schlafen, wir essen aber wir verändern uns nicht richtig. Dementsprechend bleiben wir ewig jung. Wir sind sozusagen unsterblich.«
Mittlerweile sah mich Amy wieder an, als würde ich ihr gerade erklären, dass ihre Mutter in Wirklichkeit ein Mann war und ihr Vater ebenso. In meinen Worten fehlte die Logik. »Warum? Ein Körper muss sich verändern. Das tut er immer, sogar, wenn man schon tot ist«, sagte sie jetzt.
Ich war erstaunt, dass sie so eine klare, ungezwungene Stimme hatte. All die Angst, die sie vielleicht gehabt hatte, war jetzt aus ihr hinaus. Neugierde, Unverständnis und vollkommene Verwirrtheit hatten sich an ihrem Platz eingenistet und sich vermehrt.
»Ein Werwolf hat mir vor ein paar Jahren von einer Theorie erzählt, die irgendwer mal aufgestellt hat«, erzählte ich. »Sie ist ziemlich wirr und ich hab’ keine Ahnung, ob irgendetwas davon stimmt. Aber es ist immerhin etwas, an das man sich klammern könnte, wenn man unbedingt wissen will, warum das alles so ist.«
Meine Augen nahmen wahr, wie Amy sich langsam entspannte. Ich merkte, dass sie viel zu neugierig und wissbegierig war, als dass sie sich fürchten konnte, obwohl das furchteinflößender sein müsste als alles, was sie je zuvor gehört hatte.
Mit der Erinnerung daran, wie Nagur neben mir gesessen hatte, als er mir davon erzählt hatte, gab ich seine Worte an sie weiter: »Wenn man schläft wird man schneller gesund als wenn man ständig voller Action ist, richtig?«
Amy runzelte die Stirn, nickte aber.
»Der Theorie nach könnte es möglich sein, dass das menschliche Leben nur halb so lang wäre, wenn man nicht schlafen würde. Wenn ein Mensch schläft, lädt er sich so zu sagen auf. Wie ein Akku. Er regeneriert sich völlig. So sehr, dass der inaktive Zustand den aktiven zu längerer Dauer antreibt. Und die Theorie besagt dann, dass das Werwolfsleben das alles noch verlängert. Man hat einmal den Schlaf als Regeneration und das Wolfssein. Quasi zwei Leben nebeneinander, beide mit ihrem eigenen Aufladekabel: dem Schlafen. Nur dass die Verbindung zwischen Wolf und Mensch so besonders und stark ist, dass unsere Lebensdauer unendlich ist. Oder vielleicht auch nicht unendlich. Wer weiß das schon. Der älteste Werwolf ist erst sechshundertfünfundzwanzig Jahre alt.«
Ich wusste selbst nicht, ob man dieser Theorie glauben konnte. Nagur hatte auch nicht gesagt, wer sie aufgestellt hatte, nur dass sie eben recht bekannt war. Eine andere plausible gab es nicht. Dabei war diese schon sehr vage veranlagt. Jedenfalls sah ich es so. Es mochte trotzdem Wölfe geben, die fest daran hingen.
»Etwas biologischer gesehen ist es einfacher zu erklären. Die Zellteilung, der Zellwechsel und alles, was einen Körper normalerweise mit den Jahren altern lässt, arbeitet bei Werwölfen immer auf dem gleichen Niveau, wird nie langsamer oder schlechter. Er verändert sich nicht. Deswegen altert der Körper nicht. Warum das allerdings so ist, ist dann wieder eine andere Frage, die ich nicht beantworten kann«, redete ich weiter und wartete wieder, bis Amy sich regte.
Ihre Augen waren riesig. So ungläubig aber doch irgendwie voller Verständnis. »Das ist … das ist …«, sie fand die Worte nicht. »Aber dann kann ein Werwolf doch sterben? Man kann doch verhungern?«
Ich nickte. »Es gibt einige Sachen, die Werwölfe umbringen können. Da werde ich später zu kommen. Aber solange man ein normales Leben lebt, sich nicht outet, immer isst und auch sonst nichts komisches schluckt oder so, wird man ein langes, gesundes Leben haben.«
Plötzlich wirkten ihre Augen glasig. »Was heißt später?«, fragte sie.
Ich verstand, was sie jetzt abschreckte. »In den nächsten vier Wochen«, erwiderte ich und blieb dabei so leise, wie sie es war.
Ihr Blick schoss von einem Punkt zum anderen. Sie wusste nicht, was sie ansehen sollte, bis ihre Augen schließlich wieder bei meinen landeten. Plötzlich ganz berührt, geschockt und unsicher.
Ich nickte nur leicht, damit ihre leise Frage beantwortet war. Ja, sie würde ein Werwolf werden. Ich hatte es schon gesagt, aber anscheinend wurde es ihr jetzt erst richtig bewusst. »Du wirst dich verwandeln«, sprach ich es jetzt noch mal aus. »Ich bin gekommen, um dich darauf vorzubereiten. Nicht nur auf die Verwandlung, sondern auch auf das Leben danach. Auf alles.«
Sie brauchte einen Moment, bis sie etwas sagen konnte. Ihre Hände umklammerten die Unterseite des Heftes, dessen Blätter schon umknickten. »Also … ich bin nicht normal? Ich bin etwas Besonderes?«
Ich versuchte zu verhindern, dass sich meine Augenbrauen zusammenzogen. Ihre Worte verunsicherten mich. Was sah sie im Werwolfsein? Machte ihr das Angst oder hatte sie die Aussicht auf Berühmtheit erblickt? »Du bist normal, nur kein Mensch. Du bist nicht so, wie du dachtest«, formulierte ich es vorsichtig.
»Das ist … wow«, stieß sie hervor. Ihre Augen starrten auf den Boden. Ich konnte fast vor meinem Inneren sehen, was sie sich vorstellte: eine majestätische Wölfin, die über allem stand.
»Amy«, sagte ich langsam. »Du darfst es niemandem sagen. Niemandem!« Ich legte eine extra scharfe Betonung auf das letzte Wort, denn ich war mir überhaupt nicht sicher, ob ihr der Ernst dieser Aussage bewusst war. »Kannst du dir vorstellen, was dann passieren würde? Man würde uns zerstückelt in Reagenzgläser packen.« Das war die kürzeste Erklärung für eine mögliche Zukunft nach dem Outen unseres Daseins.
»Schon klar«, erwiderte sie, doch es klang irgendwie patzig und unüberlegt. Einfach eine Antwort, ohne wirklich über meine Worte nachgedacht zu haben.
Ich hob die Augenbrauen und sah sie abschätzend an. »Wirklich?«, fragte ich unsicher.
Sie nickte. »Ich weiß nur nicht, wie ich damit umgehen soll. Also … was ist mit meinen Eltern? Was darf ich ihnen erzählen? Was ist mit Freunden?«
Ich schluckte. Da stand noch eine ganz wichtige Sache aus, die ihr das Ganze vielleicht gar nicht mehr so cool erscheinen lassen würde. Aber in der Sekunde, in der ich dies dachte, wurde mir klar, dass ich es ihr heute noch nicht sagen wollte. Vielleicht war es besser, wenn sie erst morgen den großen Harken an dieser Sache erfahren würde. Es war ja auch irgendwie logisch, wenn man darüber nachdachte und vielleicht kam sie sogar selbst darauf. Aber das würde ich ihr morgen sagen. »Du darfst es ihnen nicht sagen. Weder deinen Eltern noch deinen Freunden«, antwortete ich ihr jetzt und hoffte, dass sie verstand, warum.
Sie runzelte die Stirn. »Aber-«
Ich unterbrach sie: »Amy. Niemandem. Das ist wichtiger als alles an-« Diesmal war ich es, die unterbrochen wurde. Jedoch nicht von Amanda, sondern von einem Vibrieren in meiner Hosentasche. »…dere«, beendete ich mein Wort, ehe ich das Handy aus meiner Hosentasche zog.
›Marlon‹ stand groß auf dem Display. Ich öffnete kurz den Mund, wollte etwas sagen, doch mein Verstand hatte sich noch nicht überlegt, was. Er wusste, dass die Schule schon länger aus war, da es schon fast halb fünf war und da war es logisch, dass er anrief. Aber konnte ich jetzt drangehen? Hin- und hergerissen blickte ich schließlich Amy kurz an, die beinahe ausdruckslos mein Handy musterte, und murmelte ein »Entschuldigung«, um ihr zu signalisieren, dass ich drangehen würde.
Sie brauchte eine Sekunde, um das zu verstehen und nickte dann hektisch, als hätte sie schon wieder ganz vergessen, was ich ihr gerade alles erzählt hatte.
Mein Finger drückte auf den grünen Hörer und ich hob das Handy an mein Ohr. »Hey Süße«, drangen gleich darauf zwei fröhliche Wörter von einer wunderschönen Stimme an mein Ohr.
Unwillkürlich entstand ein Lächeln auf meinen Lippen und mein Herz machte einen Sprung. »Hey«, erwiderte ich.
»Bist du bei dir in der Wohnung?«, fragte er, weil er sich wohl nicht sicher war. Vielleicht, weil ich mich noch nicht gemeldet hatte, obwohl die Schule schon lange aus war.
»Ja, bin ich. Aber …«, ich sah Amy an, die beobachtete, wie mein Lächeln langsam verschwand. »Es ist gerade etwas schlecht.« Mir war klar, dass er das verstehen würde.
Er zögerte kurz. »Sie ist da?«
»Ja«, antwortete ich. Es tat mir leid für ihn, dass ich jetzt nicht richtig mit ihm reden konnte. Er hatte heute sicherlich lange darauf gewartet, mit mir sprechen zu können.
»Und …«, er suchte nach den richtigen Worten, »was hast du mit ihr geredet?«
Ich überlegte, wie ich es sagen sollte, denn ich wollte Amy nicht richtig zeigen, dass wir über sie sprachen. »Ich hab’ deinen Rat befolgt«, sagte ich also, denn auch hierbei wusste er, was ich meinte.
»Also weiß sie es schon?« Er klang überrascht.
»Ja«, erwiderte ich und lächelte, weil in seiner Stimme Freude lag, die ich total süß fand. »Ich … ruf dich später zurück, okay?« Es tat mir zwar leid, aber ich konnte mich jetzt nicht auf ein Gespräch mit ihm konzentrieren.
»Okay«, erwiderte er, wobei jetzt die ganze Freude schon wieder aus seiner Stimme verschwunden war.
»Bis nachher.«
»Bis dann«, antwortete er. Es tat fast weh, den roten Hörer zu drücken, doch ich tat es trotzdem und legte das Handy dann auf den großen Couchtisch. Danach sah ich zu Amy.
»Wo waren wir?«, fragte ich, weil ich gerade zu verwirrt war, um richtig nachzudenken.
Sie sah aus, als würde sie erst jetzt aus einer verwirrt gestrickten Gedankenwelt wieder auftauchen, in der sie in dieser kurze Zeit versunken gewesen war. »Ähm … wichtiger als alles andere ist, dass ich es niemandem sage«, reichte sie mir den Faden, nach dem ich gesucht hatte.
»Genau.« Meine Augen schweiften zum Fenster hinter ihr. Draußen hatte sich eine dunkle Wolkendecke über das Hellblau gelegt, sodass es aussah, als würde es schon dunkel werden. Die einzige Lichtquelle hier war jetzt die Lampe, die in der Mitte des Raums an der Decke hing.
»Wie alt bist du?«, fragte sie und holte mich damit wieder aus der Leere, die mich gerade heimgesucht hatte, als ich aus dem Fenster gesehen hatte.
Ich war froh, dass sie jetzt Fragen stellte, weil ich in diesem Moment gar nicht wusste, worüber ich noch reden konnte. Alles, was ich ihr hier erzählte, war für mich so selbstverständlich, dass ich es schwer fand, wenn jemand überhaupt gar keine Ahnung davon hatte.
»Optisch bin und bleibe ich siebzehn. Aber eigentlich bin ich schon dreiundzwanzig«, antwortete ich. Ich fand es immer wieder merkwürdig, das anzumerken, da ich mich immer noch so fühlte, als wäre ich siebzehn. Ich sah so aus und ich würde nie anders aussehen, aber zu wissen, dass ich schon arbeiten würde und schon über viel ernstere Sachen als Schule nachdenken würde, wenn ich kein Werwolf wäre, war einfach komisch.
»Erst? Ich hatte jetzt irgendwas mit fünfzig oder so erwartet«, sagte sie und lächelte leicht. Ich war mir nicht ganz sicher, wie ich dieses Lächeln deuten sollte.
Ich zog einen Mundwinkel hoch. »Wirke ich so?«
»Nein«, erwiderte sie schnell. »Aber wenn du sagst, du bist unsterblich, dann erwartet man nicht, jemanden zu treffen, der noch gar nicht so alt ist.«
Ich lehnte mich zurück und dachte darüber nach wie ich es ihr erklären konnte. »Es ist etwas kompliziert mit dem Alter. Du fühlst dich permanent so wie du aussiehst. Eben jung. Und du wirst dich nie anders fühlen. Jedenfalls kaum. Es fällt dir irgendwann nur sehr schwer, dich so zu verhalten, dass du wie ein normaler Mensch in deinem optischen Alter wirkst. Zum Beispiel Redensarten. Die ändern sich und du wirst immer an denen hängen, die du in deiner Jugend gelernt hast. Manchen Werwölfen fällt es leichter, sich anzupassen, anderen nicht so. Es ist eben kompliziert.«
So war es auch bei mir. Ich fühlte mich so wie ich aussah: eben siebzehn. Manchmal dachte ich darüber nach, dass Marlon schon fünfundzwanzig war und erschrak darüber. Es waren nur zwei Jahre Unterschied zwischen ihm und mir, aber trotzdem klangen fünfundzwanzig Jahre in meinen Ohren schon so alt. Eben eine Eigenschaft einer Siebzehnjährigen.
»Also werde ich immer siebzehn bleiben?«, fragte Amy.
»Optisch ja. Du wirst immer so aussehen«, erwiderte ich.
»Aber … die Haare wachsen oder?«
Da hatte ich wohl etwas vergessen. Etwas, das irgendwie unlogisch war, wenn man bedachte, dass man sich ansonsten überhaupt nicht veränderte. »Ja. Haare wachsen ganz normal. Du kannst auch zunehmen. Wenn du zu viel isst, wirst du dick. Aber eigentlich ist das eher selten der Fall, weil Werwölfe schwerer Fett ansetzen als Menschen. Ist auch was, dass man nicht so wirklich erklären kann. Du kannst auch schwanger werden, aber ich weiß nicht wie die Schwangerschaft bei Werwölfen abläuft. Kommt so gut wie nie vor.«
Sie lehnte sich ebenfalls zurück und sah auf die Tischplatte. »Das klingt irgendwie praktisch. Ich meine, ewig jung. Das ist doch das, was alle wollen.«
Ich nickte. »Es hat schon seine guten Seiten.«
Amy spitzte ihre Lippen leicht und dachte darüber nach. Ihre Augen glitzerten in dem fahlen Licht der Deckenlampe, aber sie waren nicht feucht. Ich beobachtete das Mädchen. Ihre Reaktion war genauso wie ihr Aussehen. Es entsprach dem exakt. Sie war kess und neugierig. Ich hätte trotzdem niemals gedacht, dass es so einfach sein würde, ihr das alles beizubringen.
»Du kommst mit dem Ganzen ganz schön gut klar«, bemerkte ich leise. Es lag plötzlich so eine beruhigte, beinahe gemütliche Atmosphäre in der Luft.
Jetzt traf ihr Blick wieder meinen. »Ich bin mir immer noch nicht so sicher, ob das alles echt ist.«
Ich zog einen Mundwinkel hoch. »Verständlich. Hätte ich mich nicht vor dir verwandelt, würdest du es nicht glauben oder?«
Sie schüttelte leicht den Kopf. »Aber …«, sie fand die richtigen Worte nicht.
Ich lächelte noch ein bisschen mehr. »Du bist verwirrt«, half ich ihr.
Sie nickte. »Das klingt alles so unwirklich.«
»Ich weiß«, sagte ich und dachte zurück an meine eigene Informationszeit.
Ein lauter Klingelton verhinderte, dass sie antworten konnte. Sie verdrehte die Augen und holte ihr Handy hervor. »Kannst du es hören, wenn jemand am anderen Ende redet? Weil deine Ohren sind doch verbessert oder?«, fragte sie und sah mich neugierig an, während das Handy immer noch klingelte. Das Lied, das gespielt wurde, erinnerte mich stark an Moniques Musik: Rock.
Ich nickte nur. Es interessierte mich, wer da anrief, weil das etwas über ihr Umfeld aussagte und laut Informatievorlage sollte ich mich genau damit beschäftigen.
»Dann hör jetzt mal besser weg«, sagte Amy mit einem Mix aus nervlicher und peinlicher Gereiztheit.
Ich konnte nur noch die Stirn runzeln, ehe sie das Gespräch annahm und eine wütende Stimme in das Telefon schrie: »Glaubst du, ich hab’ den ganzen Tag Zeit? Wo steckst du?« Es war eine weibliche Stimme, die von einer etwas älteren Person zu kommen schien. Vielleicht ihre Mutter?
»Was ist denn?«, gab Amanda genervt zurück.
»Was denn ist? Du sollst einkaufen gehen. Das weißt du ganz genau.« Ich konnte die Aggression beinahe im Raum fühlen, als die Frau laut in das Telefon sprach. Amy wirkte resigniert, genervt und warf mir immer wieder kurze Blicke zu. Es schien ihr mir gegenüber peinlich zu sein.
»Nein, du hast nichts gesagt«, erwiderte sie diesmal fast ausdruckslos.
»Amanda, du bewegst deinen Arsch jetzt sofort zum Supermarkt und kommst dann nach Hause«, brüllte die Frau ins Telefon. Ihre Stimme klang wirr, nicht klar. War sie betrunken? Da fiel mir ein, was Amy über sie erzählt hatte. Sie war Alkoholikerin und ihr Vater auch.
Ich schluckte und sah Amy etwas erschrocken dabei zu, wie sich auf ihrem Gesicht Züge der Wut bildeten. »Ist ja gut«, sagte sie nur noch und legte einfach auf. Sie sah mit säuerlichem Blick noch kurz auf das Handy herab, ehe sie meinen Augen begegnete und den Mund verzog. »Jetzt kannst du dir wahrscheinlich vorstellen, was bei mir Zuhause abgeht.«
Ich nickte. »Ist sie immer so?«
»Meistens. Wenn sie einen guten Tag hat, schreit sie etwas weniger. Aber eigentlich hat sie nie einen guten Tag«, erwiderte sie gleichgültig.
»Und dein Dad?«, fragte ich. Ich konnte mir noch nicht ganz vorstellen, ob das irgendwas für meine Zeit hier bedeuten würde. Würde es ihr wegen ihren Eltern leichter fallen, ihr Umfeld komplett zurückzulassen? War das nicht irgendwie sogar vorteilhaft für sie, da raus zu kommen?
Sie zuckte die Schultern. »Der sitzt mehr vor dem Fernseher und säuft, als dass er sich um irgendwas kümmert. Deswegen sieht man von ihm nicht sehr viel.«
Ich runzelte verstört die Stirn. So ein Familienleben konnte ich mir gar nicht vorstellen, da es bei mir früher völlig anders gewesen war. »Aber …«, begann ich, zögerte dann jedoch, weil ich die Frage an sich etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt fand. Amy sah mich fragend an und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mir alles beantworten würde. Warum?, fragte ich mich. »… du wirst nicht geschlagen oder so?«, vollendete ich meine Frage vorsichtig.
Sie schüttelte den Kopf. »Meine Mom ist nicht dynamisch genug, um mich überhaupt erwischen zu können und von meinem Dad sieht man den ganzen Tag nichts.«
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Doch Amy erlöste mich schon, indem sie sich erhob. »Ich muss jetzt los, sonst tickt sie aus«, sagte sie.
Ich nickte erschwinglich und erhob mich ebenfalls. Sie steckte den Block und das Buch jetzt in die Tasche, während sie ein paar Schritte in Richtung Küche ging. Doch sie stockte, als ihr Blick auf den Boden fiel.
Ich begriff erst, was sie hatte, als sie sich schon wieder umdrehte und den Mund zum Fragen öffnete. »Was hast du da vorhin gemacht?« Neugierde, Verwirrtheit und eine Spur von Überraschung lag in ihrer Stimme. Ihr war vorhin ganz entgangen, dass sie den Raum gar nicht hatte verlassen können, ehe sie es von sich aus nicht mehr gewollt hatte.
Ich lächelte. »Das erklär‘ ich dir später mal. Ist zu kompliziert«, sagte ich, weil ich auf besondere Fähigkeiten, speziell meine, in der ersten Zeit noch nicht eingehen wollte. Das war zu komplex. Für so etwas musste sie erst mal den ganzen Rest wissen und verstehen. Als ich das dachte, fühlte ich mich wie ein Lehrer, der den Unterrichtsstoff für ein ganzes Semester vorbereitete.
Sie runzelte die Stirn. »Okay«, sagte sie und ging jetzt in die Küche, wobei sie nicht umhin kam, sich noch mal umzusehen, um nachzuprüfen, ob dort nicht doch irgendeine Wand war, die man nur von dieser Seite aus sehen konnte. Ich bemerkte mit einem Lächeln, dass sie danach ganz leicht den Kopf schüttelte, um sich diesen Gedanken selbst auszutreiben.
Im Flur beobachtete ich sie wie sie sich die Winterstiefel über die Füße zog und den Reißverschluss an der Seite hochzog. Dann richtete sie sich auf, nahm die Jacke von der Garderobe und zog sie an, ehe sie sich ihre abgestellte Schultasche schnappte und mich kurz ansah.
Ich lächelte freundlich. »Ich weiß, dass das alles verwirrend ist. Ich hab’ diese Phase auch durchgemacht. Aber du musst so normal wie möglich wirken, okay? Das schaffst du. Und erzähl es niemandem.«
»Ich … okay«, erwiderte sie nur, weil sie wohl nicht wusste, wie der begonnene Ich-Satz enden sollte. Sie öffnete die Tür und trat hinaus, während ich die Klinke in die Hand nahm und mich leicht gegen die Tür lehnte. Sie sah mich wieder an, als wüsste sie nicht, wie sie sich von mir verabschieden sollte. Eine Umarmung oder ähnliches würde wirken als wären wir Freundinnen. Aber das waren wir nicht. Ich wusste nicht, wie sie zu mir stand. Vielleicht würde ich das nie wissen, vielleicht würden wir es mit der Zeit irgendwie klären. Aber in diesem Moment war es unangenehm, sich einfach nur gegenüber zu stehen und nicht zu wissen, was man sagen konnte.
»Ähm«, sagte sie und es schien, als wäre ihr etwas eingefallen. »Was ist denn jetzt mit dem Referat?«
Das hatte ich ganz vergessen. Ich verzog den Mund. »Oh … ähm … also ich kann mich da heute noch dran setzen. Hab’ eh nichts zu tun. Ich mache einfach schon mal die Vorarbeit und so«, erklärte ich mich bereit, obwohl ich in diesem Moment überhaupt keine Lust darauf hatte.
Sie sah mich abschätzend an. »Aber du musst das nicht alles alleine machen. Ist ja unser Referat.«
»Ich mache nicht alles, sondern nur so das Grobe. Die Einteilung und so. Ich hab’ Zeit«, beteuerte ich.
Sie atmete aus. »Okay.«
Es war wieder kurz still, doch dann fiel mir etwas ein. Ich hatte ihr gar nichts davon erzählt, dass sie ihre Familie verlassen musste, obwohl das eines der wichtigsten Dinge war. Jedoch war ich mir sicher, dass sie selbst darauf kommen würde. Ich war damals auch selbst auf diesen Gedanken gekommen, Marlon hatte ihn mir lediglich bestätigt. Wahrscheinlich hatte das alles mit der Verwandlung und so sie so sehr verwirrt, dass sie noch gar nicht wirklich darüber nachgedacht hatte, dass es einen Haken an der ganzen Sache gab. Dass das alles doch gar nicht so cool und toll war wie sie annahm. Konnte ich ihr einen Denkanstoß mit auf den Weg geben?
»Amy«, begann ich und war mir meiner folgenden Worte plötzlich ganz sicher. »Denk mal darüber nach, was das Werwolfssein für dein Leben bedeutet.«
Sie runzelte kurz die Stirn, weil sie verstand, dass ich ihr damit etwas sagen wollte, aber nicht wusste, was. Doch mir war klar, dass sie wirklich darüber nachdenken würde und dass sie bestimmt auch zu einem Ergebnis kommen würde.
»Wir sehen uns morgen«, sagte ich, bevor sie etwas erwiderte konnte, auf das ich wahrscheinlich noch keine Antwort hätte geben können.
Sie nickte. »Bis morgen«, erwiderte sie, dann drehte sie nach rechts ab und lief die kalte Fliesentreppe hinab.
Ich wartete nicht, bis ich ihre Schritte nicht mehr hören konnte, sondern schloss einfach die Tür und lehnte mich von innen dagegen. Mein Atem verließ in einem Stoß meinen Körper und ich fuhr mir mit der rechten Hand durch die blonden Haare. Ich hatte es geschafft. Ich hatte tatsächlich ein Mädchen informiert. Ein selbstzufriedenes Lächeln entstand auf meinen Lippen. Der schlimmste Teil war vorüber.
Kimberly
»Du hast es ihr nicht gesagt?« Ich konnte Marlons
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Alle Rechte an diesem Buch liegen bei der Autorin © Ela Maus
Bildmaterialien: Cover created by T.K.A-CoverDesign / t.k.alice@web.de // http://tka-coverdesign.weebly.com/font-copyrights.html
Tag der Veröffentlichung: 03.01.2013
ISBN: 978-3-7438-1991-7
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch ist all den Lesern der ersten beiden Bände gewidmet.