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Ich habe meine Götter geblendet.
Der Atem stockt hart in meiner Kehle, Luft pfeift durch meine Lungen. Meine Ohren sausen, und ich zittere vor
Kälte.
Ständig friere ich. Meine Hand gleitet zärtlich über das Silber des Messers, und fast schon kann ich spüren, wie die Stille einen Kokon um mich spinnt. In meiner verfluchten Großartigkeit bin ich weniger wert als der Dreck unter meiner Stiefelspitze.
Gesegnete Stille. Meine Ohren dröhnen nicht länger, der kühle Stahl strahlt Feuer über mein Fleisch.
Irgendwann kommt der Schmerz.
Der Selbstekel.
Ich fühle mich winzig, schwach, verletzlich.
Kann nicht in den Spiegel sehen, während ich das Blut von meiner Haut wasche. Flüssige Lava tanzt hinter meinen geschlossenen Lidern, und mit jedem Tropfen Blut wasche ich ein Fünkchen von mir mit fort.
Ich weiß gar nicht, wann ich gemerkt habe, daß ich nicht normal bin.
Ich war ein stilles, schüchteres Kind ohne Freunde, habe ständig nur gelesen und geschrieben.
Meine Eltern haben nie ein Geheimnis darüber gemacht, daß sie meinen Bruder liebten. Mich nicht.
Glücklicherweise weiß ich nicht allzuviel über meine Kindheit, das meiste habe ich verdrängt.
Meine Eltern haben mir nie etwas zugetraut, und so habe ich schon früh begonnen, Selbstzweifel zu entwickeln. Ich mochte mich nicht, haßte mich.
Meine Mutter pflegte mir des öfteren ins Gesicht zu spucken, wenn ich es wagte, eine ihrer Anordnungen zu mißachten.
Dann die Drogen. Esstörungen.
Aber darüber habe ich an anderer Stelle ausführlich berichtet.
Irgendwann habe ich angefangen, meinem Selbsthaß körperlich Ausdruck zu verleihen. Habe Rasierklingen aus ihrem Plastik gebrochen und angefangen, mich zu schneiden. Immer haarscharf an den Pulsadern vorbei.
Einmal habe ich zu tief geschnitten und die Ader angeritzt. Es war nicht ganz einfach, das im Krankenhaus zu erklären, aber wirklich interessiert hat es keinen.
Ein weiterer durchgedrehter Junkie eben.
Dreck.
Bodensatz der Gesellschaft.
Habe Schnapsflaschen bis zur Neige ausgetrunken, die leere Flasche an der Wand zerschlagen und mich mit den Scherben geritzt.
Der Nachtwind flüstert mir Märchen ins Ohr, und Dunkelheit wiegt mich in den Schlaf.
Kaltes Blut klebt auf der Haut.
Immerzu renne ich.
Vor meinem eigenem Schatten davon.
Es gibt keine halben Sachen, es gibt kein Dazwischen.
Manchmal frage ich mich, ob ich diese Persönlichkeitsstörung auch entwickelt hätte, wenn ich eine behütete Kindheit und Jugend verlebt hätte, und komme immer zu dem Schluß, daß ich wahrscheinlich "normal" geblieben wäre.
All diejenigen, die zuschlagen, einem Kind wehtun, vergewaltigen, denken diese Menschen oder eigentlich eher Tiere auch jemals daran, was sie ihren Opfern damit antun?
Nicht nur die unmittelbaren Konsequenzen der Tat, auch die unmittelbaren Folgen der Tat sind zu bedenken, wenn die körperlichen Wunden schon längst verheilt sind.
Ich kann nicht mehr vertrauen, zumindest nicht uneingeschränkt. Wenn jemand scherzhaft die Hand erhebt, zucke ich in wilder Panik zusammen.
Ich habe furchtbare Angst vor Menschenmengen, vermeine zu ersticken, wenn mir jemand zu nahe kommt.
Ich fliehe körperliche Nähe, ständig, immerzu.
Eine normale Beziehung mit mir zu führen ist nicht möglich.
In meinen Gedanken sterbe ich ständig, immerzu.
Ich stoße die Menschen von mir, die ich liebe, oder ich klammere panisch.
Es gibt kein Dazwischen.
Der Schmerz ist mein Zuhause.
Und dann die vor langer Zeit getätigten Versuche, mir Hilfe von professioneller Seite zu holen. Das Zauberwort Medikamente scheint die Antwort auf alles zu sein. Die Ursachen des Ganzen werden ignoriert, werden totgeschwiegen, Hauptsache ruhiggestellt, und aus die Maus.
Vergewaltigt? Mißhandelt?
Pah. Wen interessiert es, schön das Mündchen auf und runter mit dem Zeug. Wer nicht schlucken will, kein Problem, es gibt Spritzen, Infusionen.
Wer halbwegs gerade laufen kann, wird rausgeschmissen, schließlich wird jeder Platz benötigt.
Und wenn doch der Versuch einer Gesprächstherapie unternommen wird, weiß ich schon vorher, was ich zu sagen habe, die Worte werden mir in den Mund gelegt.
Wenn ich folgsam das Gewünschte von mir gegeben habe, darf ich gehen.
Ich bin ein Mensch.
Nur scheint das keinen zu interessieren.
Die Nadel sticht mir ins Herz, bis ich singe.
Ich könnte schreien vor Zorn.
Ich bin mein eigener Alptraum, meine eigene Dunkelheit.
Die Nacht hüllt meinen Knochenkörper in Schweigen.
Mit blinden Augen schneide ich mein Fleisch, bis meine Schritte von Asche zugedeckt werden.
Kein Fühlen mehr.
Nur noch Nacht.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Uli. Ohne dich wäre ich nicht mehr hier.

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