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Heute ist heute, und gestern ist vorbei.
Sagt man.
Ich bin immer noch hier, habe es noch nicht geschafft, mich umzubringen, mir das Hirn mit irgendwelchen Substanzen wegzuballern, und das ist schon mal gut.
Mit dem Mut eines Dreijährigen, der sich eine neue Murmel verspricht, habe ich mein Leben gelebt, den Verstand eines Zwergkaninchens inklusive. Habe mich selbst zur Schlachtbank geführt.
Hier bin ich, ein lautstarker Geselle, der Pfefferminzbonbons lutscht, damit niemand den Alkohol riecht. Unberührbar, die Schatten haben Angst vor ihrem eigenen Dahinhuschen, ein Veitsmal ziert meine Dornröschenstirn, die blauen und gelben Blitze zucken auf der Netzhaut, ein atemloser Seufzer, der an Balkonstäben in die Dunkelheit hinauszittert.
Filigrane Schnitzereien auf der Haut, ein klitzekleines Mädchen, das sich in den eigenen Schwanz beißt, sich hochzieht und auf Hüpfbällen durch die Schwärze purzelt.
Hätte ich noch ein Lächeln auf den Lippen, ich wäre seiner Kraft verlustig gegangen, und irgendwann hätte ich mein Lächeln, sorgfältig von den Augen abgeschirmt, als Setzling abgesteckt.
Schwesterlein, komm tanz mit mir...
Ein hineingekuschelter Däumling, der auf meinen Handlinien spazierengeht, springt Trampolin auf meiner Haut.
Ich war zwölf Jahre alt beim ersten Schuß, ein dummnaives Kind, das meinte, alles würde besser werden.
Alles wird besser werden...
Wurde es natürlich nicht.
Dachte, das Licht würde in mein Leben zurückkehren, würde selig lächelnd Ringelreihen tanzen wie die anderen Kinder auch.
Pustekuchen. Habe die Dornen durch mein Fleisch getrieben, während die Nachtigall draußen ihre Lieder sang.
Alles, nur nicht weinen.
Ready to go.
Mein jungfräuliches Daunengefieder färbt sich schwarz.
Bin wohl in der Mauser.
Über meinem Haupt schwebt Nacht, und Lemminge bauen ihr Nest in meinem Haar.
Solch ein King gewesen.
Die Traumkönigin, die sich selbst verflucht hat, die Narrenkönigin, die auf Flohmärkten ihre Plastikkronen zum Verkauf anietet.
Eine Dichterin, die ihren Körper verramscht und eigentlich nur den Traumprinzen gesucht hat, der sie in den Schlaf singt.
Wohl nicht genug Frösche überfahren.
Ein Gemälde, aus dem Rahmen gerissen, die Leinwand zerfetzt von hungrigen Mäulern, ein Planktonteilchen im Karpfenteich.Ein Oktopus, der tot an den Strand gespült wird, an den Saugnäpfen den Ballast eines vergeudeten Lebens.
Bin immer an die Grenzen gegangen.
Habe mich nie zufrieden gegeben mit etwas, wollte immer mehr, mehr, mehr.
Ein Blasebalg auf zwei Beinen, unberührbar.
Betatscht von Wurstfingern, Bierbäuchen.
Die Seele ein leprakranker Aussätziger, den keiner haben, keiner sehen will. Habe mein Herz mit bloßen Händen umklammert, der scharfe Dolch sticht immerfort, Blut fließt durch den Körper, bis die Adern platzen.
Riß Steckdosen aus ihren Halterungen, weil ich dachte, dahinter wären Kameras montiert, die mich heimlich filmten.
Speed macht eben paranoid, weißt du.
Der Wanderpokal wandert durch viele Hände.
Die unverhüllte Gier, die brennt, wenn die Drogenwirkung nachläßt, keinen Raum für etwas anders läßt.
Kein Leben, nur noch Überdauern.
Bin wie die Wolke, die am Himmel dahintreibt, blähe mich in alle Richtungen, bis der Schlaf des Vergessens kommt.
Ein Zucken windgeblähter Schultern.
Manchmal kristallklar im Kopf, manchmal das Hirn mit Rittersporn umwölkt, der Däumling, dessen Genick nicht brechen will.
Glaube nicht mehr an den Weihnachtsmann, an Schokonikoläuse, die mit schokoladenüberzogenen Wangen kleine Kinder auffressen.
Bin doch immer brav gewesen.
Zahnfäulig grinsender Giftzwerg mit südländischem Einschlag, geänstigt vom eigenen Geruch sterbender Haut, die Kniescheibe knochensplittriger Brei, weil ein Männlein wohl einen Schalter verwechselt hat.
Ein Menuett, getanzt von stocksteifen Regenschirmen.
Die Ohren, die zu klingeln anfangen, so daß man sich darauf konzentriert und auf nichts anderes, bis irgendwann mit einem trocken knisternden Geräusch die Flügel abfangen und der Verstand sich langsam einzustellen beginnt, erst dann wird es real.
Der Schlaf klopft an meine Tür, doch erst muß ich die Aschenreste und Körperflüssigkeiten von der Haut spülen, meine Knochen von den Druckstellen lösen.
Ganz klein werden, sich ganz winzig zu machen.
Die Umwelt ist sowas von blind.
Je jünger, desto besser.
Ich male mein Aschenkreuz auf Türdohlen.
Meister, dein Petz ist müde.
Mein Soll ist erfüllt, aber der Reflex läßt einen weitermachen, den Ackergaul, der vom Karren angeschoben wird.
Bin von der Schule abgegangen, eine Woche vorm Abitur.
Nochmal abwärts. Auch Schaufelbagger können mich nicht aus dem Loch herausziehen, das ich emsig weitergrabe.
Schreibe mir selbst wehleidige Kondolenzbekundungen.
Tut ja niemand sonst, die Scheuklappen sind allgegenwärtig, was man nicht sehen will, wird nicht gesehen, und damit basta.
Scheiß drauf.
Mache den kalten Entzug, alleine, und das sogar zweimal, weil die kleine Närrin ja unbedingt einen Rückfall provozieren mußte.
Aber ich bin noch am Leben.
Immer noch, immer wieder.
Den Kopf noch auf dem Hals, unverdient.
Das Lachen des Totenfängers wird mich nicht über den Rand der Welt hinausziehen.
Denn ich bin ich.
Heute ist heute, und gestern ist vorbei.

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Tag der Veröffentlichung: 15.10.2010

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