Cover

Kapitel 1: Avery und Taylor



Prolog

Ich renne. Ich renne und atme. Und während ich atme denke ich. Daran, wie es dazu kommen konnte. Wie? Und warum? Wieso? Was habe ich getan, dass ich das verdient habe? Ich verstehe es nicht. Und es macht mich traurig, nicht zu wissen. Ich komme an einem Punkt an, an dem ich nicht weiter kann. Ich bleibe stehen. Und sie kommen näher. Näher und immer näher. Ich schließe meine Augen und hoffe. Vielleicht lassen sie mich wenigstens diesmal in Ruhe. Aber nichts da. Es wäre ja auch zu schön gewesen. Sie sind da. Einer reißt mich um, wirft mich auf den nassen und kalten Boden. Auf die dreckige Straße. Ich habe Angst. Sie treten auf mich ein, jetzt da ich am Boden liege. Ich weine nicht. Denn das wäre ein Geschenk für sie.
„Hure!“ Ruft einer. Ich höre jedes Wort das sie rufen, jede einzelne Silbe. Es kommt an einem Ohr rein und am anderen wieder heraus. Ich verstehe es nicht. Wieso sie sowas mit mir machen. Aber ich stelle keine Fragen. Denn zu schlimm wäre die Antwort.

Kapitel 1: Avery und Taylor.

Ein neuer Schultag, neues Glück. Oder wie es auch immer heißen mag. Ich ging zusammen mit meiner besten und einzigen Freundin zur Schule. Amanda hielt immer zu mir, ganz egal in welcher Situation. Wir waren wie Schwestern.
„ Hey, Cloe, sieh mal wer da ist.“ Flüsterte mir Mandy von der Seite zu. Ich blickte in die Richtung in die sie zeigte. Und da sah ich ihn. Das schönste Wesen, den schönsten Menschen auf der ganzen weiten Welt. Jedes mal, wenn ich ihn sah, blieb mir die Luft weg. Seine goldenen Haare die in sanften Wellen und recht unordentlich bis zu seinen Ohrläppchen reichten. Er hatte eine Reihe Piercings an seinem linken Ohr. Er war groß, etwa 1,90m und ziemlich muskulös für seine 18 Lebensjahre. Als ich ihn betrachtete, lief ich rot an. Er blickte zurück. Und ich erkannte die Andeutung eines Lächelns an seinem Mundwinkel. Wie sehr ich ihn doch liebte. Er war nicht so wie die anderen Schüler an der Moore- High. Klar, er war beliebt, hatte sehr viele Freunde. Aber er war anders. Ich wusste es nicht zu beschreiben. Vielleicht war es die Tatsache, dass er mich nicht beleidigte oder herum schubste, so wie alle anderen. Aber vielleicht war es auch weil er meinen Namen wusste. Er kannte mich nicht bloß als „ Hure“ oder „ Hackfresse“, sondern als Cloe Sanders. Und das war das beste, das mir je passieren konnte. Ich war so froh darüber.
„Träum nicht, die Schule fängt an.“ Meinte Mandy mies gelaunt. Und damit begann wieder einmal ein Albtraum für mich. Allein der Gedanke an die Schule versetzte mich in Angst und Schrecken. Denn ich wurde täglich fertig gemacht. Das Mobbing hatte schon in der ersten Klasse begonnen. Damals wurden nur meine Schulsachen geklaut, harmlos könnte man meinen. Doch es war kein schönes Gefühl, Außenseiter zu sein. Es war einfach schrecklich. Und so war es heute noch. Leider war Avery mit den Mobbern befreundet. Ihr wisst schon. Avery, meine große Liebe. Sein voller Name lautete Avery Adrian Fuhrman. Leider war er vergeben. Taylor Thompsen war wie er selbst allseits beliebt und sehr zu meinem Verdruss eine wahre Schönheit. Ihr blondes Haar war glatt und reichte bis zu ihrer Taille. Und selbst ich musste zugeben, dass die beiden einfach das Traumpaar schlechthin waren. Sie passten zusammen wie Deckel auf Topf. Seufz.
„Hallo, Cloeee.“ Taylor zog meinen Namen so sehr in die Länge, dass sie ihm all seine Schönheit nahm. Ich wollte mich so gerne wehren. Wehr dich, Cloe! Aber nichts passierte. Ich war wütend auf mich selbst. So ging es den ganzen Tag lang weiter. Doch in meinem Kopf, oder besser gesagt in meinem Gehirn, gab es einen Ort an dem ich keinen Schmerz fühlen konnte. Und das sorgte dafür, dass ich die vielen grausamen Tage einigermaßen überlebte. Es war eine ganz neue Art des Schmerzes. Nach der Schule ging ich auf direktem Weg nach Hause. Allein. Amanda's Haus lag in der anderen Richtung. Nach fünfundzwanzig Minuten Fußweg- ich weigerte mich partout, den Bus zu nehmen – kam ich endlich Zuhause an. Niemand war da, weder meine Mutter, noch mein großer Bruder. Chris machte eine Ausbildung zum Kassierer, dank mangelhaftem Schulabschluss und kam deshalb erst später zurück nach Hause. Ich verkroch mich sofort in meinem Zimmer und schloss die Tür zu. Ich verdunkelte das Fenster mit einem schwarzen Vorhang und legte mich auf mein Bett. Ich war gern allein mit meinen Gedanken. Allein konnte ich besser nachdenken. Und träumen. Träumen von Avery. Wie schön es wäre, wenn er jetzt hier wäre und sowas. Aber das waren nur wertlose Träume eines kranken Gehirnes die niemals wahr werden konnten. Und da kam mir eine Idee. Ich nahm ein Blatt Papier, einen Stift und dann schrieb ich drauf los. Ich schrieb all meine Sorgen und Wünsche auf, einfach alles was mich bewegte. Und dann hatte ich Ritzdruck. Ich nahm ein Cuttermesser und schnitt mir damit tief in meinen linken Unterarm. Den Namen „Avery“. Das Blut strömte meinen Arm herunter, es tropfte auf das nun vollgeschriebene Blatt Papier. Und dann legte ich meine blutige Hand darauf. Der Handabdruck spiegelte die kalte Realität wieder. Diese Geschichte, meine Geschichte hatte kein Happy End.

Eine Geschichte ist wie ein ganzes Leben, sie schreibt sich praktisch von selbst. Der Autor lässt sich führen wie eine Marionette, seine Gedanken sind es die ihn führen. Und so war es auch bei mir. Ich schrieb viel und vor allem gerne. Ich schrieb kurze oder auch lange Geschichten. Manchmal auch Gedichte. In gewisser Weise waren sie ein Trost für mich. Wenn es mir besonders schlecht ging, heiterten sie mich auf. Doch manchmal, so wie heute, zogen sie mich nur noch mehr herunter. Ich wusste nicht warum, aber plötzlich schlief ich ohne Vorwarnung ein. Jetzt befand ich mich in der Turnhalle meiner Schule. Ich fühlte mich unwohl, denn sie war gefüllt mit meinen Mitschülern. Wir sollten Partner bilden. Ich wusste schon, dass ich allein bleiben würde. Doch dann kam Avery. Wie selbstverständlich gesellte er sich zu mir.
„Wir bleiben für immer zusammen.“ Sagte er zu mir und nahm meine Hand in die seine. Und dann wachte ich auf. Meine Augen hatten sich mittlerweile mit Tränen gefüllt. Ich weinte. Na klar, dass Avery jemals so etwas zu mir sagen könnte... es war einfach nur ein weiterer meiner bedeutungslosen Wünsche. Ich hasste diese Tatsache. Als ich auf meinen Wecker sah, zeigte er dreiundzwanzig Uhr an. Und zu meinem Glück war heute Freitag. Das hieß, dass ich morgen nicht zur Schule gehen musste. Doch zu meinem Pech konnte dich nun nicht mehr einschlafen und so beschloss ich, die Nacht durchzumachen. Ich sah mir einige Horrorfilme an, trank viel Cola und schrieb eine Kurzgeschichte die ich ganz unten in einer Box versteckte, denn Chris durchwühlte gerne mal meine Sachen wenn ich nicht anwesend war. Inzwischen war es schon vier Uhr, aber immernoch stockdunkel draußen. Als ich aus dem Fenster blickte, sah ich eine Katze die über die Straße rannte, denn die Straßenlaternen leuchteten hell. Das war dann auch schon alles. Ich sah mir schließlich noch Freddy vs. Jason an und um sieben Uhr ging ich in die Küche frühstücken. Ich aß nur einen halben Apfel, denn das reichte mir vollkommen aus. Und das sah man mir auch an. Mit meinen 1,74m war ich geradezu mager, doch das störte mich wenig, um ehrlich zu sein.
„So früh schon wach?“ Fragte mich Chris und nervte mich damit schon am frühen morgen.
„Das selbe könnte ich dich auch fragen.“ Entgegnete ich entnervt.
„Ich muss heute noch was erledigen.“ Antwortete er.
„Um die Uhrzeit?“ Wollte ich nicht wirklich wissen.
„Würde ich deine Frage beantworten, müsste ich dich töten.“ Meinte Chris geheimnisvoll.
„Wie auch immer.“ Kaum zu glauben, dass er schon zwanzig Jahre alt war, so wie er sich gab. Er verabschiedete sich nicht, bevor er ging und es war mir auch egal. Es war besser so. Ich konnte ihn ohnehin nicht leiden. Ich weiß, sowas sollte man nicht über seinen Bruder sagen, aber er nervte mich nur oder stellte mich vor anderen Leuten bloß. Es war nicht nur so, dass ich ihn nicht mochte... ich hasste ihn regelrecht. Nie half er mir... zum Beispiel in der Schule. Es war ihm egal, dass ich jeden Tag gequält wurde. Und mir war es egal, dass seine Ex-Freundin ihm das Herz gebrochen hatte. Punkt. Aus. Ende. Mum war arbeiten. Sie hatte heute Frühschicht im städtischen Krankenhaus, wo sie als Krankenschwester arbeitete. Ich liebte meine Mutter. Nur ihretwegen war ich noch am leben. Sie hatte mich schon so oft vom Selbstmord abgehalten...
Ich musste an Avery denken und daran wie er mich nach den Mathe Hausaufgaben gefragt hatte. Es wäre so schön, wenn er mich wenigstens einmal vor Taylor und ihren Freunden beschützen würde. Doch leider interessierte er sich kein Stück für mich. In meinen Gedanken war es jedenfalls umgekehrt.
„Lasst gefälligst Cloe in Ruhe!“ Rief er Taylor zu. Doch der Gedanke verblasste und hinterließ eine erdrückende Leere. Das Wochenende ging viel zu schnell vorbei und schon war wieder einmal Montag. Der Tag den ich am allermeisten hasste. Am Wochenende hatte ich nur ein einziges mal mit Mandy telefoniert. Heute holte sie mich ab, damit wir zusammen zur Schule gehen konnten.
„Na, wie war dein Sonntag?“ Wollte sie wissen.
„Wie immer.“ Meinte ich. Ich fand, das war Antwort genug.
„Hast du schon gehört, dass Samantha die Schule gewechselt hat?“ Das überraschte mich.
„Was? Echt?“ Wollte ich unbedingt wissen.
„Wahrscheinlich war die Taylor-Zicke zu viel für sie.“ Samantha war wie ich ein Außenseiter. Doch sie war noch unsicherer als ich, was eigentlich kaum mehr möglich war. Ich mochte sie. Sie tat mir sehr leid.
„Arme Sam.“ Sagte ich wehleidig. Als wir bei der Schule angekommen waren, erwartete uns schon Lizzy, Taylor's beste Freundin.
„Na, Clo, wie geht’s denn dem Psycho heute?“
„Um ehrlich zu sein, jetzt wo wir dein Gesicht sehen müssen, wird uns regelrecht übel.“ Meinte Mandy mit einem angewiderten Gesicht. Dann nahm sie mich an der Hand und sie stolzierte in die Schule, während ich langsam hinterher trottete. Lizzy ließen wir einfach stehen. Das gab Rache.
Im Schulgebäude angekommen, begaben wir uns sofort in unsere Klasse. Wir waren bisher die einzigen. Ich ließ mich erschöpft auf meinen Platz fallen und seufzte.
„Das hättest du nicht sagen sollen.“ Ermahnte ich Mandy.
„Ach ja, wieso denn nicht?“ Wollte sie wissen.
„Weil du sie damit nur wütend gemacht hast.“
„Ja ja, sie verpetzt uns an Taylor und dann machen sie uns fertig.“
„Genau!“ Rief ich. Und dann kamen allmählich unsere Mitschüler und ließen sich auf ihren Stühlen nieder. Doch etwas stimmte nicht. Avery war nicht da. Wo war er bloß?
Schließlich begann der Unterricht.
In der Pause ließen Mandy und ich uns unter einem alten Baum nieder.
„Ich wüsste so gerne was Taylor mir antun wird.“ Meinte ich missmutig.
„Ach, komm schon! Nur weil ich Lizzy gedisst habe?“
„Grund genug.“ War meine Antwort.
„Amanda, Mr. Lee will dich sprechen.“ Sagte ein Mitschüler wie aus dem nichts und erschreckte mich damit.
„Was will er denn?“ Wollte Mandy wissen.
„Hat er nicht gesagt.“ Und mit diesen Worten ging der Junge.
„Cloe, wartest du hier oder kommst du mit?“
„Ich kann warten.“ Antwortete ich. Und so ging Mandy los und ließ mich allein, was so gesehen ziemlich gefährlich für uns beide war. Denn das, was ich befürchtete, traf genau jetzt ein. Ich wurde von hinten gepackt und hinter das Schulgebäude geschleift, während ich mich heftig wehrte. Doch nicht genug. Als uns niemand mehr sah, wurde ich auf den Boden geworfen und sie schlugen auf mich ein. Tränen traten in meine Augen und ich wimmerte vor Schmerz.
„Das hast du jetzt davon, scheiß Emo!“ Rief Taylor, ihre Freundinnen lachten mich aus, wie ich da am Boden lag. Und dabei war ich gar kein Emo.
„Wartet mal!“ Grinste Lizzy. Sie nahm einen Eimer mit Spülwasser der zu meinem Pech hier herumstand. Und sie goss mir das dreckige Wasser direkt ins Gesicht.
„Jetzt bist du wenigstens sauber.“ Lachte sie. Ich fand es überhaupt nicht lustig. So sehr, dass ich weinen musste. Zwar wollte ich es mir nicht eingestehen, aber so gesehen war ich nun nur wegen Amanda in dieser Situation. Vergiss es, Cloe. Nachdem sie gegangen waren, blieb ich noch mindestens eine Stunde hier sitzen und heulte mir die Augen aus. Doch dann kam Mandy hierher die mich offensichtlich gesucht hatte.
„Oh, Gott, Cloe! Was ist passiert?“ Ich versuchte zu sprechen, aber die Brücke aus Worten viel augenblicklich in sich zusammen. Ich fing an zu schluchzen.
„N-nicht-ts.“ Brachte ich schließlich heraus.
„Komm her.“ Meinte Mandy mitfühlend und versuchte, mich zu umarmen. Doch ich riss mich los und rannte fort. Sie folgte mir nicht. Ich rannte und rannte ohne Pause. Davon hatte ich schon Seitenstiche, aber ich hielt nicht an. Als ich über die Straße lief, hupte ein Auto.
„Dummes Gör!“ Rief der etwas ältere Fahrer. Ich hörte ihn nur mit halbem Ohr. Dann lief ich um eine Häuserecke herum; und direkt in eine Person hinein. Es war ein Junge, ungefähr eineinhalb Köpfe größer als ich. Ich drohte hinzufallen, doch er hielt mich an einer Hand fest. Wir sahen uns gegenseitig tief in die Augen.
„Cloe!“ Rief Avery überrascht. Ach, du Scheiße!

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Bildmaterialien: Das Cover ist von deviantart.com
Tag der Veröffentlichung: 15.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich all meinen Lesern.

Nächste Seite
Seite 1 /