Escape the sadness
Ich blickte aus dem Fenster des schwarzen Autos. Der Himmel war dunkelgrau, von Wolken verdeckt. Man konnte die Sonne nicht sehen. Das Wetter passt perfekt zu meiner Stimmung, dachte ich in dem Moment, als es auch schon anfing zu donnern und zu blitzen. Ich musste an den letzten Tag auf meiner alten Schule denken. Der Abschied von meinen
Freundinnen war mir sehr schwer gefallen. Ich hatte geweint, genauso wie sie. Meine beste Freundin hatte mir ihre neue Handynummer gegeben. Wir umarmten uns. Ich machte noch schnell ein Foto von uns allen, bevor mich meine Mutter
abholte. Jetzt weinte ich nicht mehr, aber dennoch war ich sehr traurig. Wir fuhren schon seit zwei Stunden, also mussten wir noch drei Stunden fahren. Fünf Stunden zu meiner neuen Heimat. Das neue Haus sah düster aus.
Es bestand aus dunkelroten Backsteinen, vor den Fenstern waren Gitterstäbe.
Der Garten hatte vertrocknete Apfelbäume. Eine schwarze Katze blickte mich aus ihren gelben Augen an. Ich fühlte mich schon vom ersten Moment an unwohl. Und ich war mir sicher, dass es meinen Eltern genauso erging. Doch sie machten komischerweise nicht den Eindruck.Sie tun nur so, als wäre alles gut, dachte ich wieder. Ich konnte einfach nicht glauben,
dass alles gut werden würde.. Ab jetzt war ich völlig auf mich allein gestellt, hatte hier keine Freunde. Und ich musste die Schule wechseln. Schon jetzt fürchtete ich mich davor. Vor meinem ersten Schultag. Und ich war mir absolut sicher, dass er ein einziger Albtraum werden würde.
„ Ist das nicht ein schönes Haus?“ Fragte mich meine Mutter. Ich schüttelte stumm den Kopf. Nie würde ich es laut aussprechen, aber ich hasste es hier. Meinen Eltern schien es dennoch zu gefallen. Ich war sehr wütend darüber, aber was konnte ich, eine sechzehn Jährige schon machen?
„ Lasst uns schnell reingehen.“ Meinte mein Vater und holte einen Schlüssel aus seiner Jackentasche hervor. Der Regen entwickelte sich allmählich zu einem richtigen Gewitter und ich machte mir Sorgen, dass das Haus einstürzen könnte.
„ Keine Sorge, Lea, das Haus ist stabil.“ Versuchte mich mein Vater zu beruhigen. Doch es funktionierte nicht. Ich vermisste meine Freundinnen und ich wollte hier nicht wohnen. Meinen Eltern war das anscheinend völlig egal, denn sie ignorierten mich getrost.
„ Ich will wieder nach Hause.“ Murmelte ich leise vor mich hin.
Der erste Abend hier war schrecklich. Das Haus machte Geräusche, als gäbe es hier Poltergeister oder Dämonen. Ich hatte Angst und ich konnte nicht schlafen. Das Abendessen ließ ich ausfallen. Stattdessen verzog ich mich in mein Zimmer und
hörte Musik. Doch auch meine Lieblingsband konnte mich nicht beruhigen. Als ich in meinem Bett lag, glaubte ich, eine Stimme zu hören. Aber ich ignorierte es und machte die Musik lauter.
Schließlich brach der nächste Morgen an. Es ging mir immernoch schlecht, aber nicht mehr so sehr wie gestern. Ich aß nichts zum Frühstück, was meine Mutter ziemlich wütend machte. Doch es war mir egal. In diesem Haus konnte ich einfach nichts essen. Dann war es schließlich so weit. Ich musste zur Schule gehen. Bei der Schule angekommen, suchte ich das Sekretariat. Dort gab man mir meinen neuen Stundenplan. Ich ging zu meiner neuen Klasse. Vor der Tür wartete ich und atmete einmal tief durch. Dann klopfte ich an.
Ein Mann mit einem übertrieben grimmigen Gesicht öffnete die Tür. Ab diesem Moment sollte ich mich für immer vor ihm fürchten.
„ Bist du die neue Schülerin?“ Wollte er wissen. Ich nickte. Ja, mein Schicksal war von nun an besiegelt. Ich musste hier bleiben, ob ich nun wollte oder nicht. So schickte er mich zu meinem neuen Platz. Zum Glück konnte ich ganz hinten sitzen.
Doch nun musste ich die Blicke der anderen ertragen.
„Hey, wie heißt du?“ Fragte mich ein Mädchen das vor mir saß.
„ Lea.“ Sie lächelte mir freundlich zu.
„ Ich bin Nicki.“ Sie hatte kurze feuerrote Haare und ein Unterlippenpiercing. Dazu trug sie nur schwarz. Trotzdem mochte ich sie schon auf Anhieb. Ich war mir sicher, dass wir uns gut verstehen würden.
„ Wie alt bist du eigentlich?“ Wollte sie von mir wissen.
„ Sechzehn.“ War meine kurze Antwort. Sie grinste mich an.
„ Cool, ich auch.“ Ich lächelte zurück. Wir würden unser Leben lang beste Freundinnen bleiben, das würde ich aber erst später
erfahren. Schließlich klingelte es zur Pause. Wir verließen
gemeinsam den Klassenraum und setzten uns draußen vor
einen Baum. Wir redeten die ganze Zeit über alles mögliche und hatten dabei eine menge Spaß. So verging die Zeit schneller und schon fing die nächste Stunde an.
Der restliche Tag war nicht besonders interessant. Es gab noch einige Zwischenfälle, aber ansonsten nichts mehr. Ich nannte Nicki meine Adresse und sie versprach mir, mich besuchen zu kommen, da sie ohnehin in der Nähe wohnte. Ich verbrachte eineinhalb Stunden mit meinen Hausaufgaben und telefonierte die restliche Zeit über mit meiner neuen besten Freundin,
Nicki. Wir sprachen über vieles. Lustiges, aber auch ernstes. Zum Beispiel, als Nicki mir erzählte, dass sie fünf Jahre lang gemobbt wurde. Dann klang sie ganz traurig und ich musste sie aufheitern, bis sie wieder lachen konnte. Die Tatsache, dass wir einfach über alles sprechen konnten, stimmte mich überaus fröhlich.
„ Ich finde dich echt korrekt, Lea.“ Meinte sie plötzlich. Das brachte mich zum lachen.
„ Das hat noch nie einer zu mir gesagt.“ Wir redeten, bis mein Akku leer war. Dann war es auch schon Zeit für's Abendessen. Diesmal aß ich etwas.
„ Wie war es denn in der Schule, Lea?“ Wollte mein Vater von mir wissen.
„ Gut, ich habe eine neue Freundin gefunden.“ Meinte ich fröhlich gelaunt.
„ Das ist schön.“ Ich nickte und aß ein Brot. Draußen tobte mal wieder ein richtiges Gewitter und das bereitete mir ein wenig Sorgen. Doch das würde ich schon irgendwie überstehen, dachte ich mir.
Der nächste Tag in der Schule war nicht besonders schön. Anscheinend gab es immernoch ein paar Leute, die es auf Nicki abgesehen hatten. Sie ließen sie einfach nicht in Ruhe und so ging ich dazwischen.
„ Sucht euch ein neues Opfer! Ihr seid vielleicht armselig!“ Ich versuchte, möglichst niemanden zu beleidigen, aber manchmal ging mein Temperament mit mir durch.
„ Warte nur, du kleine Schlampe!“ Rief ihr ein Junge zu. Irgendwann kam zu unserem Glück ein Lehrer der die anderen verjagte. Als ich Nicki ansah, drehte sie ihr Gesicht weg. Ich hörte sie leise schluchzen. Sie weinte!
„ Wein doch nicht deretwegen. Das haben die nicht verdient!“ Ich versuchte, sie zu beruhigen, aber es klappte einfach nicht. Nach einer Weile kamen einige Mädchen auf uns zu, die auch versuchten, Nicki aufzuheitern. Und schließlich klappte es auch.
„ Danke. Ich bin echt so blöd, dass ich das ernst nehme.“ Murmelte Nicki leise. Ich schüttelte meinen Kopf.
„ Nein, die sind blöd. Sieh sie dir doch mal an, diese Halbaffen.“ Nicki lachte verhalten. Aber immerhin.
„ Wie wär`s wenn wir die nächste Stunde schwänzen. Das bemerkt doch eh keiner.“ Bot ich ihr an. Ich war eigentlich nicht der Typ Mensch, der freiwillig blau macht, aber ich sah, dass es Nicki noch immer nicht richtig gut ging. Und für sie würde ich mittlerweile schon einiges tun. Nicki zeigte mir einen Park in der Nähe der Schule.
„ Dieser Park nennt sich Schnapspark, weil die alten Leute hier früher immer Schnaps getrunken haben. Und sieh mal in den See. Da schwimmt gerade eine Biberratte!“ Ich sah hin wo Nicki mit ihrem Finger hin zeigte. Und tatsächlich. Da schwamm ein dickes kleines Tier das aussah wie eine Mischung aus Biber und Ratte. Biberratte genannt. Und diese großen Knopfaugen! Es war so süß.
„ Ich hab ihn Murphy genannt.“ Meinte Nicki stolz.
„ Murphy, hm? Und wie hast du den anderen genannt?“ Ich zeigte auf eine andere Biberratte.
„ Das ist Monty.“ Ich fing an zu lachen und Nicki sah mich an, als würde ich spinnen. Aber dann lachte sie mit. Als ich schließlich auf meine Armbanduhr sah, war es schon vierzehn Uhr. Die Schule war aus.
„ Ich muss jetzt gehen, meine Mutter wartet bestimmt schon mit dem Essen auf mich.“ Meinte ich bedauernd während ich mich umdrehte und mich schon mal auf den Weg machte.
„ Schade.“ Sagte Nicki leise und winkte mir noch ein letztes mal zu. Zuhause angekommen warteten meine Eltern tatsächlich schon auf mich.
„ Wo warst du so lange?“ Wollte meine Mutter von mir wissen.
„ Ich war mit Nicki unterwegs.“ Ich hatte meinen Eltern gestern schon von Nicki erzählt und sie hatten nichts dagegen wenn ich mit ihr etwas machte. Aber dann kam mir ein Gedanke. Hoffentlich hatte die Schule nicht bei mir angerufen.
Doch niemand schien etwas anzudeuten. Zum Glück, dachte ich in dem Moment. Nach dem Essen machte ich meine
Hausaufgaben, welche heute erstaunlich viel waren, zumal es mein zweiter Tag in dieser Schule war. Danach ging ich spazieren was ich öfter tat, wenn ich aufgewühlt war. Ich ließ den heutigen Tag noch einmal durch meinen Kopf gehen und kam zu dem Ergebnis, dass ich Nicki auf jeden Fall helfen
musste. Ich dachte an mögliche Methoden, aber nichts war zufriedenstellend. Hoffentlich wird es morgen nicht genauso schlimm, dachte ich. Ich machte mir wirklich Sorgen.
Der nächste Tag in der Schule verlief weitestgehend ereignislos, bis auf die Tatsache, dass ein Schüler aus unserer Klasse nach längerer Zeit wieder zum Unterricht erschien. Das allein war eigentlich nicht so interessant, aber er sah so verdammt gut aus, dass mir beinahe die Augen ausfielen.
„ Das ist Raphael. Er ist so ein typischer Einzelgänger der mit niemandem aus unserer Schule etwas zu tun haben will. Ich finde ihn eigentlich ganz nett, aber er redet nicht besonders viel. Vor allem nicht mit den Leuten aus unserer Klasse. Ich denke, dass er sie genauso sehr hasst wie ich.“ Erzählte mir Nicki fröhlich gelaunt. So so, er war also ein Einzelgänger.
Raphael hatte dunkle Haare, die leicht lockig und zerzaust waren. Dazu hatte er stechend grüne Augen und war sehr blass.
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Also beschloss ich, ihn fortan zu ignorieren, was mir jedoch sehr schwer fallen sollte, schließlich war er ja in meiner Klasse. Und ich armes kleines Menschlein konnte nicht aufhören, ihn ständig anzustarren.
Raphaels Platz in der Klasse war auch ganz hinten, jedoch nicht auf der Fensterseite, so wie meiner. Er saß in einer anderen Ecke. Im Unterricht machte er nicht besonders viel mit, aber trotzdem hatte er ausnahmslos gute Noten, was mich ein wenig neidisch machte. Und was mir auch auffiel, war, dass
er offenbar von allen Mädchen angehimmelt wurde. Sie liebten ihn und umringten ihn die ganze Zeit. Das schien ihm nicht besonders viel auszumachen, aber manchmal erwischte ich ihn dabei, wie er genervt seufzte oder die Augen verdrehte. Wie ich schon sagte: Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
„ Lea. Was ist an Raphael so interessant, dass du ihn die ganze Zeit ansiehst?“ Alle in der Klasse starrten mich an, einige lachten auch. So wie Raphael. Ich hatte ihn noch nie lachen sehen. Ich lief puterrot an und machte einer Tomate Konkurrenz. Verdammt, war das peinlich. Nicki sah mich mit großen Augen an, dann sah sie zu Raphael. Und dann nickte sie wissend mit dem Kopf.
Das war so verdammt peinlich. Peinlich war sogar noch untertrieben. Es war ein einziger Albtraum. Ich fühlte mich der Klasse so ausgeliefert wie noch niemals zuvor. Und ich hasste es.
Das Klingeln der Glocke und der Anfang der Pause retteten mich noch einmal vor weiteren Blamagen. Jedoch verzog ich mich trotzdem lieber zu meinem neuen Stammplatz, dem Baum.
„ Ich hasse diese Schule jetzt schon.“ Meckerte ich Nicki an, die nur bedauernd mit dem Kopf schüttelte.
„ Tut mir ja Leid, aber es war so offensichtlich, dass du auf ihn stehst.“ Sie lachte leise, dann wurde sie wieder ernst.
„ Danke für deine tolle Freundschaft.“ Meinte ich in Sarkastischem Ton.
„ Hallo, Lea, kann ich kurz mit dir sprechen.“ Hörte ich plötzlich eine Stimme hinter meinem Rücken. Und ich ahnte schlimmes.
„ Klar.“ War meine unsichere Antwort.
Ich wollte selbstsicher wirken, aber durch mein Stottern erreichte ich das genaue Gegenteil. Und jetzt stand Raphael vor mir.
„ Lass uns da hinten hingehen.“ Schlug er vor. Ich folgte ihm. Nicki blickte mir besorgt nach.
„ Gib es zu, du stehst auf mich.“ Hörte ich Raphael sagen. Verdammt.
„ Was? Niemals!“ Antwortete ich schnell. Ich stand ganz sicher nicht auf ihn. Denn erst jetzt verstand ich, wie eingebildet er in Wahrheit war. Und ich hasste solche Menschen.
„ Und wieso hast du mich dann so angesehen?“ Fragte er mich jetzt drängender.
„ Weil deine Frisur nicht zu dir passt.“ Versuchte ich, mich raus zureden. Doch es klappte nicht. Er durchschaute mich.
„ Wenn du meinst.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand. Nicki kam schließlich wieder angelaufen und redete besorgt auf mich ein.
„ Was hat er zu dir gesagt?“ Wollte sie unbedingt wissen.
„ Er dachte, dass ich auf ihn stehe.“ Erklärte ich und Nicki fing an zu lachen.
„ Was? Du? Nein, niemals.“ Ihre Antwort triefte nur so vor Sarkasmus. Aha. Sie war also auf seiner Seite.
„ Eine richtig gute Freundin bist du, ernsthaft.“ Sagte ich beleidigt und lief davon. Nicki rief mir etwas hinterher aber ich hörte nicht zu. Stattdessen ging ich nach Hause und warf mich auf mein Bett um zu weinen. Alles war so ungerecht. Ich fand es gar nicht komisch, dass alle dachten, ich würde auf Raphael stehen. Nur weil ich ihn angesehen hatte! Ich hasste es. Ich hasste mein Leben und ganz besonders hasste ich mich selbst.
Aber auch Nicki hasste ich in diesem Moment. Und Raphael auch. Er war so verdammt arrogant. Mit dieser Art Mensch kam ich gar nicht klar.
„ Lea, geht es dir nicht gut?“ Fragte mich mein Vater. Ach was. Natürlich ging es mir nicht gut. Mein Vater hatte sein Büro zuhause, darum fand auch seine Arbeit hier statt. Zu meinem Pech, wie ich gerade feststellte.
„ Lass mich bitte allein.“ Versuchte ich, ihn zu überreden. Ich wollte jetzt nicht über meine Probleme sprechen. Vor allem nicht mit ihm.
„ Ok. Sag Bescheid, wenn du etwas brauchst.“ Und mit diesen Worten verzog sich mein Vater wieder in sein Arbeitszimmer. Aber ich würde ganz sicher nicht Bescheid sagen. Ich machte mir einen Tee, den ich genüsslich trank.
Blöder Raphael, blöde Nicki. Ich wollte nie wieder zur Schule gehen. Ich hasste diese Schule und alle Schüler die dorthin gingen. Am Abend rief mich Nicki an, um sich bei mir für heute zu entschuldigen. Aber ich legte auf. Ich wollte ihre Stimme nicht hören und ich wollte auch keine Entschuldigung hören, die sowieso nur halbherzig war. Obwohl ich mir nicht sicher sein konnte.
Den nächsten Tag verbrachte ich zuhause weil ich mich strikt weigerte, zur Schule zu gehen. Ich lag die ganze Zeit in meinem Bett und schmollte. Irgendwann schlief ich ein. Und wovon träumte ich wohl? Genau. Von der Schule. Ich wachte schweißgebadet auf. Dann machte ich ganz laut Musik an und hoffte, dass die Nachbarn sich nicht beschweren würden. Ich hörte die beruhigenden Klänge von „Korn“ und „Tool“. Meine beiden Lieblingsbands. Der Tag war sterbenslangweilig und so machte ich einen Spaziergang. Es war nicht sehr entspannend, aber es half wenigstens etwas. Ich dachte an alles, an den Umzug, an meine neue Schule, an Raphael und Nicki. Als ich an Raphael dachte, konnte ich nicht anders, als zu schmunzeln. Er hatte etwas faszinierendes an sich, dass mich praktisch anzog.
Plötzlich und völlig unerwartet, verzogen sich die Wolken und die Sonne war wieder zu sehen. Das beruhigte mich ein wenig und es ging mir augenblicklich besser. Ich war nicht mehr so traurig und ich musste nicht mehr so viel denken. Vor allem nicht an traurige Themen. Und ich beschloss, Nicki zu verzeihen. Immerhin hatte sie es nicht böse gemeint als sie gesagt hatte, dass ich auf Raphael stand. Und wer weiß... vielleicht hatte sie ja Recht. Ich wusste gar nichts mehr, es war alles so verwirrend. Ein kleiner Vogel flog an mir vorbei. Als ich ihm hinterher sah und aus versehen in die Sonne blickte,
musste ich blinzeln weil meine Augen wehtaten. Eigene Dummheit. Ich ging zurück nach Hause und in die Küche. Dort machte ich mir etwas zu essen. Es schmeckte sehr lecker und das brachte mich zusätzlich dazu, dass es mir wieder besser ging.
Doch auf einmal bekam ich Migräne. Das war öfter so. Es kam jedes mal plötzlich und völlig unerwartet. Ich hielt eine Hand an meinen Kopf und drückte fest zu. Doch es war zu spät, ich wurde ohnmächtig.
Ich liege in meinem Bett und warte. Worauf, das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass gleich etwas passieren wird. Und ich habe eine Todesangst. Es wird etwas schlimmes passieren. Ich starre die Zimmerdecke an und hoffe, dass Gott oder irgendwer mich rettet. Vielleicht ein Engel, der für mich auf die Erde geflogen kommt, der mich beschützen kann. Ich fange an zu weinen und schreie. Ich schwitze. Dann öffnet jemand die Zimmertür. Es ist mein Vater.
„Keine Angst.“ Sagt er leise und mit einem Grinsen im Gesicht. Dann zieht er mir das Nachthemd aus und...
Ich wache schweißgebadet auf. Ich drehe meinen Kopf nach links. Das ist nicht mein Zimmer! Ich liege in einem weißen Raum. Gegenüber von mir, an der Wand hängt ein großes Bild. Darauf ist eine gelbe Sonnenblume zu sehen. Ich mag keine Sonnenblumen, aber ich weiß nicht warum. Neben meinem Bett steht ein kleiner Tisch. Darauf steht eine Vase mit weißen Rosen. Ich fange wieder an zu weinen.
Ich lag im Krankenhaus, das bemerkte ich spätestens dann, als ein Arzt und eine Krankenschwester in mein Zimmer kamen. Sie redeten beruhigend auf mich an. Später am selben Tag kam Nicki in mein Zimmer gestürzt. Sie weinte. Sie sagte, sie mache sich große Sorgen um mich und dass es ihr Leid täte was sie gestern zu mir gesagt hatte. Gestern.
Also war ich seit einem Tag im Krankenhaus. Nicki erzählte mir was gestern in der Schule los war. Dass die Gruppe sie wieder einmal fertig gemacht hatte. Sie hatte große Angst vor ihnen. Sie wollte nicht mehr wie ein Stück Dreck behandelt werden. Nach einer Stunde kam eine Krankenschwester und schickte Nicki weg mit der Begründung, dass jetzt meine Eltern kommen und allein mit mir sein wollten. Widerwillig verließ mich Nicki. Ich entschuldigte mich bei ihr. Als meine Eltern kamen und ich meinen Vater sah, schrie ich, er solle sofort verschwinden, ansonsten würde ich mich umbringen. Meine Mutter war vollkommen erschrocken darüber und fragte mich, was denn nur los sei. Ich antwortete nicht, sondern schrie lauter bis mein Vater schließlich den Raum verließ. Ich erzählte niemandem von meinem Traum.
Tag der Veröffentlichung: 07.09.2012
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Widmung:
Dieses Buch widme ich allen, die es lesen wollen.