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Prolog


Ich atmete hörbar aus, als ich aus dem Auto ausstieg. Meine Schwester lächelte mir aufmunternd zu.
„Das ist doch ein guter Neuanfang.“ Ich nickte. Von nun an würde ich bei ihr leben und nicht mehr bei meinen Eltern. Überall war es besser als zuhause. Das Wetter passte zu meiner Stimmung, denn es regnete in Sturzbächen. Das Plätschern der Regentropfen auf das Auto war ungewöhnlich laut. Ich konzentrierte mich auf meine Umgebung, erkundete jedes Detail. Die Wohnung meiner Schwester lag in einem Altbau, mitten in einer Kleinstadt. Hier zu leben, war mein letzter Ausweg. Leben oder Tod. Und hier würde es besser werden. Vielleicht.
„Ich hab dich schon in der Schule angemeldet. Ab übermorgen kannst du da hingehen.“ Ich spannte mich deutlich an, woraufhin meine Schwester seufzte.
„Hör mal, hier wird es anders sein. Die Leute sind viel toleranter. Ihr müsst sogar sowas ähnliches wie eine Schuluniform tragen. Keiner wird versuchen, dich irgendwie fertig zu machen. Sei einfach du selbst.“ Ich würde ihr ja gern glauben. Aber nach allem was passiert war, fiel mir das außerordentlich schwer.
„Wo sind die Antidepressiva?“ fragte ich sie und lief zur Wohnungstür. Sie schloss das Auto ab und lief mir hinterher.
„In der Küche.“ Ohne die Medikamente war es mir kaum möglich, unter Leute zu gehen weil ich einfach zu viel Angst hatte. Schon seit einer Weile hatte ich mich nicht mehr in die Schule getraut.
„Im Kühlschrank steht noch Lasagne.“ Ich nahm das Essen und stellte es noch kurz in die Mikrowelle. So ein Gerät war ganz schön praktisch. Wir aßen schweigend. Hinter mir hörte ich eine Uhr ticken. Ich zählte die Sekunden mit. Als ich bei 245 angekommen war, brach meine Schwester die Stille.
„Bist du fertig? Dann kannst du jetzt ja auspacken gehen.“ Ich nahm mein Geschirr und legte es neben die Spüle. Dann brachte ich alle meine Sachen in mein neues Zimmer. Es war etwas größer als mein altes Zimmer. Die Wände waren weiß, der Fußboden war dunkelbraun. Ich fand, dass die Wände viel zu leer waren. In dem Moment fiel mir etwas ein.
„Hast du hier irgendwo Werkzeug?“ rief ich meiner Schwester zu. Sie ging kurz weg und kam danach mit einem roten Koffer zurück.
„Hier.“ Ich nahm den Koffer und öffnete ihn.
„Kannst du mir beim Aufbauen helfen?“ Nacheinander bauten wir meinen Kleiderschrank, mein Bett, meinen Schreibtisch und alles andere auf. Ich hatte auch viele Bilder mitgenommen die ich früher irgendwann gemalt habe. Ich hängte sie alle auf. Am Ende war ich voll und ganz zufrieden.
„Hübsch.“ war alles was meine Schwester dazu sagte. Sie teilte meinen Geschmack nicht. Dennoch versuchte sie, das nicht allzu deutlich zu sagen. Ich nahm meine Medikamente ein und wurde kurz darauf sehr müde. Als ich mich ins Bett legte, schlief ich augenblicklich ein. Meine Schwester ging ins Wohnzimmer und sah sich noch einen Film an bevor sie dann auch schlafen ging.

Als ich am nächsten Morgen wach wurde, war sie schon weg. Sie arbeitete als Hotelfachfrau. Ich ging in die Küche und machte mir einen Cappuccino. Ich sah, dass auf dem Küchentisch ein kleiner Zettel lag. Darauf stand, dass wir keine Brötchen mehr hatten und ich welche kaufen sollte. Nachdem ich erneut meine Medikamente eingenommen hatte, zog ich mir Schuhe und eine Jacke an. Die Jacke war mir etwas zu groß, aber mich störte es kein bisschen. Darunter trug ich ein einfaches grünes T-Shirt und eine Jeans. Kurz bevor ich losgehen wollte, bemerkte ich, dass ich kein Geld eingesteckt hatte. Ich verdrehte meine Augen weil mir das ständig passierte. Nachdem ich mir einen 5 Euroschein in die Jackentasche gesteckt hatte, ging ich endlich los. Das Wetter hatte sich nicht gebessert. Und darüber war ich froh. Ich hasste die Sonne. Ich liebte den Regen. Und ich liebte Nebel. Aber sobald ich selbst Auto fahren musste, würde ich den Nebel sicher hassen, so wie alle anderen auch. Ich ging zum nächst gelegenen Bäcker. Hier setzte ich ein Lächeln auf das dank meiner schauspielerischen Fähigkeiten auch sehr überzeugend war. Man begrüßte mich freundlich. Ich nahm sechs Brötchen und bezahlte. Als ich den Laden wieder verließ, atmete ich erleichtert aus. Das alles hatte mich viel Kraft gekostet. Auf dem Weg nach hause begegnete ich nur einer einzigen Person. Ich kannte ihn nicht. Aber unter normalen Menschen viel er sofort auf. Er trug nur ein dünnes T-Shirt, was bei diesem kalten Wetter alles andere als gut war. Seine Haut war sonnen gebräunt, aber auch nicht zu sehr. Seine Haare waren dunkelblond, mit einigen helleren und dunkleren Strähnen dazwischen. Sie waren leicht gewellt, auch wenn er offensichtlich versuchte, sie mit viel Haargel glatt zu machen. Doch was mir am meisten auffiel, waren seine Augen. Er hatte einen stechenden Blick den ich kaum ertragen konnte. Seine Augen waren in einem so beißenden giftgrün, dass ich ihn nicht länger ansehen konnte. Ich wandte meinen Blick ab und ging schneller. Zuhause angekommen, vergaß ich ihn sofort wieder. Denn in mir machte sich so ein ungutes Gefühl breit. Und dann erinnerte ich mich wieder daran, dass ich ab morgen wieder zur Schule gehen musste. Es gab kein Entkommen mehr. Ich konnte mich nicht mehr weigern. Meine Schwester würde mir das nicht durchgehen lassen. Sie war anders als meine Eltern, so pflichtbewusst und stur. Ich musste mich wohl oder übel meinem Schicksal ergeben. Je länger ich darüber nachdachte, desto verzweifelter wurde ich. Ich hatte Angst, Todesangst. Ich brach in Tränen aus. Irgendwann, ich wusste nicht wie spät es war, hörte ich wie sich die Wohnungstür öffnete.
„Jemand hier?“ meine Schwester kam immer näher. Schnell wischte ich die Tränen von meinem Gesicht fort. Sie sollte mich nicht so sehen.
„Ich hab dir die Schuluniform mitgebracht.“ Ohne sie anzusehen nahm ich es entgegen und lief in mein Zimmer. Diese sogenannte „Schuluniform“ bestand nur aus einem blauen Pullover, nichts weiter. Darauf war das Logo der Schule abgebildet. Ich betrachtete die Narben auf meinem Arm.
„ Es wird ganz schön viel Arbeit, euch zu verstecken.“ sprach ich zu mir selbst. In dieser Nacht schlief ich sehr unruhig. Alles was ich gestern und heute erlebt hatte, ging mir noch einmal durch den Kopf. Alles, nur nicht dieser Junge.

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Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Bildmaterialien: Alle Bilder sind aus Google
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2012

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