Cover



*
Ein Königskind wird es sein,
das erlöst das Volk von Schmerz und Pein.
Und doch erfolgt noch vor dem Sieg,
eine erbitterte Schlacht, ein langer Krieg.
Zum Glück ist dieser nicht allein,
die Zweite wird seine Rettung sein.
*

Es regnete. Und wie es regnete. Das ganze Land stand unter Wasser. Das Volk war am Rande der Verzweiflung, alle erwarteten eine Reaktion des Königs, und doch war dies die kleinste Sorge des Herrschers. Es war gegen drei Uhr nachts, ganz Sarafina schlief, nur er und seine 8 engsten Berater saßen versammelt in der großen Halle inmitten des prunkvollen Königsschlosses und hielten- wie doch so oft- Rat. Nur dass es diesmal eine besonders wichtige Sitzung war. Es ging um den Erben, den geliebten Sohn des Königs, der schwer krank war. Zunächst schien es nicht so schlimm, die Symptome glichen denen einer einfachen Erkältung. Doch dann wurden aus den gelegentlichen Fieberanfällen regelrecht ständige Fieberkrämpfe, und mittlerweile dämmerte Prinz Derek mehr schlecht als recht vor sich hin, völlig übermüdet und doch nur sehr schwer in der Lage sich zu entspannen und zu schlafen. Man hatte innerhalb der letzten Woche alle verfügbaren Heiler des Landes geschickt, jedoch vermochte kein Einziger ihm zu helfen. Noch nicht einmal der Beste, persönlicher Arzt und engster Vertrauter des Königs zugleich, hatte etwas ausrichten können. Nicht einmal den genauen Grund, geschweige denn Details über den weiteren Verlauf hatte man dem König sagen können. Dieser wusste sich mittlerweile nicht mehr zu helfen.
Denn bald nahte der 16.Geburtstag seines Sohnes Derek. Dieser wurde am 29. Juli geboren, und war daher ein Absorber. Anders als der andere Teil des Volkes konnten nur Leute, die an diesem Tag geboren waren, die Magie, die an vielen Orten existierte und unzerstörbar war, nicht nur umwandeln und benutzen, sondern ebenfalls in sich aufnehmen und speichern. Zudem hatte jeder von ihnen ein Element, mit dem er besonders gut umgehen konnte, beispielsweise konnte Derek bestand Dereks Spezialität darin, starke Wirbelstürme aufziehen lassen zu können. Somit waren Absorber der wichtigste Teil in einer Schlacht und unersetzbar, da sie die Gegner jederzeit, auch an magiefreien Orten, angreifen konnten.
Traditionsgemäß mussten alle männlichen Absorber an ihrem 16. Geburtstag in die Akademie, um sich nach einer vierjährigen Ausbildung im Kämpfen selbst auf den Weg zur Schlacht gegen die Lotiler machen zu können. Diese begann schon vor vielen Jahren, jedoch konnte sich keiner an die Ursache erinnern.
Nun sehnten sich die Leute schon seit langer Zeit den Tag herbei, an dem sich der Königssohn selbst in die Akademie begeben würde, schließlich war dieser laut Prophezeiung die Rettung Sarafinas. Doch was gäbe es dann für einen Skandal, wenn Derek nicht in die Akademie gehen würde? Und das nachdem sich der König so sehr um das Vertrauen seines Volkes bemüht hatte? Nein, das war schlicht und ergreifend nicht möglich.
Die 9 Männer berieten sich schon seit Tagen, und hatten dennoch immer noch keine Lösung für das Problem gefunden. Der König sah gedankenverloren auf seinen mit reinem Quellwasser gefüllten Becher und rührte mit seinem Finger darin im Kreis herum. Er verzog sein Gesicht und vertiefte seine sowieso schon sehr üppig in die Stirn eingegrabenen Falten, er befand sich inmitten eines inneren Konfliktes. Schließlich seufzte er leise auf, räusperte sich und sah wieder hoch. Er blickte mit seinen ernsten Augen, die schon zu viel Leid für ein einzelnes Leben gesehen hatten, jeden seiner Berater an, bis er sich vollkommen sicher war, dass er die gesamte Aufmerksamkeit der Männer besaß.
„Meine Herren“, begann er. Plötzlich lag eine unglaubliche Autorität in seiner Stimme. „Ich habe Euch etwas auszurichten, ich habe Euch allen in all den Jahren etwas verschwiegen.“ 1.Kapitel

Leise huschte Alison durch d die nassen leeren Gassen in Richtung Stadtmitte. Der Regen hatte aufgehört, nachdem er 1 ½ Wochen ununterbrochen durchgehalten hatte. Gerade kamen sogar die ersten Sonnenstrahlen hervor und fingen an, den eigentlich grauen Pflastersteinen einen rötlich-orangenen Schimmer zu verleihen. Es war wunderschön, jedoch war Liz wenig beeindruckt. Schließlich hatte sie dies in ihren etwa 16 Jahren oft genug gesehen.
Mittlerweile hatte sie ihr Ziel erreicht, den Marktplatz Dies war der Ort, an dem die meiste Magie existierte. Er war inmitten der Stadt, und wie die Lichtung eines Waldes, denn um den Platz herum mündeten vier große Straßen. Die Gasse, aus der sie gekommen war, die durch die Viertel ging, in dem die normalen Leute lebten und die, die in die ärmsten Viertel führte. Dann gab es noch die Straße, die zu den großen Häusern der Adeligen führte, und die mit Abstand sauberste, die der kürzeste Weg zum Palast des Königs war. Schließlich wohnte Sam in der Hauptstadt Pirka, dem Hauptwohnsitz des Herrschers.
Das Mädchen ging an den Stammplatz ihrer Familie, zwischen der Gasse aus der sie gekommen war und der Straße der Adeligen, und stellte den Stuhl und den Tisch, die bis dahin wie durch Zauberhand -was ja im Grunde genommen wirklich stimmte- neben ihr her geschwebt waren, durch einen einzigen Blick und einen stummen Befehl vor sich ab. Dann setzte Liz sich hin und wartete. Nicht lange, und Leben war in den Markt gekommen. Händler, die sie schon ein Leben lang kannte, nickten ihr zu und nahmen ihre normalen Plätze ein, als hätte es keine Wasser- und Überflutungs-Katastrophe gegeben.
„Guten Morgen!“, rief plötzlich eine Stimme neben ihr. Sie drehte sich zur Seite und musste wider Willen lächeln. Da war er, ihr bester Freund. Luke war der Fischhändler der Stadt. Ja, er war der Einzige, da er nach dem Tod seines Vaters dessen Arbeit fortgeführt hatte. Sie hatten sich durch einen Zufall kennengelernt, als Liz sich in der Stadt verlaufen hatte und Luke ihr geholfen hatte, ihre Mutter wiederzufinden. Seit diesem Tag sah man die beiden eigentlich nur selten alleine.
Die zwei wollten sich gerade anfangen zu unterhalten, um Neuigkeiten auszutauschen, als eine kleine untersetzte Frau mit einem dichten geflochtenem Zopf, der hinter ihr her wehte, keuchend auf Liz zugelaufen kam. Neben ihr schwebten je links und rechts 3 Kisten, gefüllt mit den unterschiedlichsten Früchten, her, die sanft zu Boden glitten, als die Frau vor den beiden Halt machte.
Sie nickte Luke kurz zu und wandte sich dann an Alison, während sich die Kisten wie von selbst anfingen sich auf dem Tisch zu ordnen. „Danke, Liz“, keuchte sie, immer noch außer Atem. „Ich hätte es nie rechtzeitig geschafft, und dann wäre unser Platz weg gewesen. Und wir wären an irgendeinen gekommen und hätten schlechteren Umsatz gemacht, obwohl die Chancen heute doch so gut stehen, um mal so richtig viel zu verdienen und wir das Geld doch so brauchen weil uns über eine Woche verloren gegangen ist. Oh, ich will gar nicht daran denken, das wäre einfach zu schrecklich. Es gleicht auch so schon einem Wunder, das dieser schreckliche Regen endlich aufgehört hat...“
Liz und Luke wechselten einen vielsagenden Blick, ließen Yasmine noch ein wenig weiterreden, bis Alison sie unterbrach. „ Schon okay, Mutter. Ich hab's doch gerne gemacht. Hauptsache, es ist alles gut, du solltest dich jetzt erst mal ein wenig ausruhen, damit sich die Kunden nicht erschrecken wenn sie dich sehen.“ Luke grinste leicht, wandte sich doch dann auffällig interessiert seinen Fischen zu, nachdem er einen mahnenden Blick Yasmines geerntet hatte.
Diese seufzte jedoch nur, setzte dann ihr bestes Kundengesicht auf, um dann den ersten potenziellen Interessenten in Empfang zu nehmen.
Auch die beiden Jugendlichen fingen an, sich wieder das harte Marktgeschäft zuzuwenden. Was sollten sie auch machen, der eintönige Alltagstrott war wieder eingetreten und die nur zu gut bekannte Langeweile setzte wieder ein.

Was Liz jedoch nicht wusste, war, dass sie schon den ganzen Tag beobachtet wurde. An der Kreuzung, in der es zum dunkelsten und mit Abstand unsichersten Viertel der Hauptstadt ging, standen zwei zwielichtige Gestalten im Dunkel herum und ließen sie keinen einzigen Augenblick aus den Augen. Obwohl sie eigentlich ziemlich auffällig gekleidet waren; ihre langen schwarzen Kapuzenumhänge verschleierten ihren ganzen Körper. Dies war an sich nicht besonders ungewöhnlich, da in den schmutzigen Gassen nur zu viele verbotene Geschäfte abliefen und die Leute sich dabei immer in zerfetzte schwarze Mäntel hüllten. Doch genau das war es, was ihnen fehlte. Ihre Bekleidung war von zu guter Qualität und zu sauber und kein bisschen zerfetzt. So jemanden in diesem Viertel anzutreffen war wirklich etwas besonderes, und doch wagte keiner es die beiden Männer anzusprechen, da sie mit ihrem durchaus ansehnlichen Körperbau ziemlich angsteinflößend waren. Zudem blitzten bei gelegentlichen Fußverlagerungen bei jedem ein Schwert und ein Dolch auf. Der Frage, ob die beiden auch wirklich mit den Waffen umgehen konnten, wollte niemand auf den Grund gehen.


Abends saßen Liz, Yasmine und ihr Vater Zolan am Tisch und aßen zu Abend. Die Familie hatte an diesem Tag gut verdient, da nicht nur das frische Obst der Frauen gefragt war, sondern auch die Hilfe des Handwerkers, da viele Ställe und ähnliches dank der Überflutung umgekippt waren. Dazu musste er jedoch raus aufs Land, da es in der Stadt mehrere Gullys gab, die das Wasser in unterirdische Kanäle ablaufen ließen; eine Erfindung des letzten Jahres , die jedoch nur in großen Städten existierte. Um seinen Beruf besser ausüben zu können musste er daher am nächsten Tag für ein bis zwei Wochen raus, um das Maximum an Geld zu verdienen. Also gönnten sie sich einen schönen Abend mit einem Festessen um den Tag und den Abschied vom Vater zu feiern.
Liz redete viel und lachte laut. Ihr Vater und ihre Mutter waren die ganze Zeit am Lächeln. Sie waren glücklich. Endlich. Das war nicht immer so gewesen, denn lange bevor Liz kam, hatten sie herausgefunden, dass sie keine eigenen Kinder kriegen konnten. So kam es, dass sie Alison adoptiert hatten, als diese noch ein Baby war. Daher wussten sie nicht genau, an welchem Tag genau sie geboren war, und feierten ihren Geburtstag immer am 2. August; den Tag an dem sie sie zu sich nach Hause genommen hatten.
Die Familie Nadale saß noch bis tief in die Nacht beisammen, und als sie schließlich schlafen gingen hätte keiner von ihnen mit dem gerechnet was am nächsten Tag passieren würde.


2.Kapitel


Liz lag in ihrem Bett, als ein lautes Klopfen an der Haustür ihren ruhigen Schlaf unterbrach. Das war ziemlich ungewöhnlich; sie besaß nämlich ein Zimmer auf dem Dachgeschoß und würde daher ein Klopfen in der üblichen Lautstärke noch nicht einmal hören, wenn sie wach gewesen wäre. Sie hörte die schlurfenden Schritte ihres Vaters, als dieser sich der Tür näherte und die Tür öffnete. Sie sah kurz aus dem Fenster und bemerkte, dass noch nicht einmal die Sonne aufgegangen war. Neugierig geworden steckte Alison schnell ihr Haar zurück, zog sich ein warmes Kleid über, wusch sich noch einmal das Gesicht und kletterte die Leiter ins das andere Stockwerk herunter und versteckte sich hinter der großen Kommode. Aufgrund der Dunkelheit geschützt, spähte sie nach vorne, in Richtung Tür. Ihr Vater hatte gerade die Tür geöffnet.
„Guten Tag“, sagte Zolan höflich. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper als sich zwei Männer in der Dunkelheit zu einer schon fast beängstigenden Größe aufrichteten und ihn musterten. Er sah ihre Blicke nicht, er spürte sie lediglich, da deren Gesichter von langen Kapuzen bedeckt waren. „Kann ich Euch helfen?“
„Können wir hereinkommen?“, fragte der größere der beiden, während er sich schon an Zolan vorbei in das Haus drängte. „ Dies ist keine Sache, die man vor der Tür besprechen sollte.“
„Moment mal!“ Zolan packte den Mann am Arm. Doch schon im nächsten Moment lag er am Boden und spürte etwas Scharfes an seiner Kehle.
„Fass mich nicht an!“, zischte eine tiefe Stimme. „Beim nächsten Mal könnte es sein, dass du danach einen Kopf kürzer bist.“
„Genug“, meinte da die kalte Stimme des Anderen, während er eintrat und die Tür hinter sich schloss. „Schließlich sind wir nicht hier um den Leuten Angst einzujagen. Hast du schon vergessen, warum wir hier sind?“ Ohne ein weiteres Wort stieg er über die beiden hinweg in das Esszimmer.
Der Erste stand ebenfalls auf und steckte den Dolch, mit dem er Zolan zuvor bedroht hatte wieder ein. „Wo ist das Mädchen?“
Zolan stand langsam auf. „Wieso wollt Ihr das wissen?“
Da packte der Mann Liz' Vater und presste ihn fest gegen die Wand. „Hör zu, bis jetzt waren wir noch friedlich, aber das kann sich auch ganz schnell ändern, verstanden? Und jetzt hol uns das Mädchen, oder du wirst es bereuen.“ Mit diesen Worten verschwand auch er ins Zimmer.
Liz wartete einen Moment und trat dann aus ihrem Versteck hervor. Als ihr Vater sie sah, schrak er auf. „Was machst du hier? Geh sofort ins Zimmer deiner Mutter, weck sie und lauf von hier weg!“
„Aber wer sind diese Männer und was wollen sie von mir?“
„Das ist im Moment unwichtig. Das Einzige, was dich im Moment interessieren sollte ist so schnell wie möglich von hier wegzukommen!“
Doch daraus wurde leider nichts, denn einer der vermummten Männer trat in dem Moment raus aus dem Flur, sah Alison, packte sie am Arm und zog sie hinter sich her. „Lasst mich sofort los!“, schreite sie, doch es half nichts, selbst als sie anfing, wild um sich herum zu schlagen.
Man setzte sie auf einen Stuhl und hielt sie da fest.
„Hört zu“, meinte der ruhigere der Beiden. „Wir wollen euch nichts tun. Wir sind Gesandte des Königs und haben eine wichtige Nachricht.“ Mit diesen Worten zog er seine Kapuze zurück. Liz atmete scharf aus. Er hatte ein normales Gesicht. Braune Augen, Adlernase und einen verkniffenen Mund. Doch auf seinem Kopf waren zwei tiefe, dunkelrote Narben, die inmitten seiner Stirn wieder zusammenliefen. Das Zeichen der persönlichen Armee des Königs! „Seht ihr? Ich bin Darlem. Das ist Darius.“ Auch dies war typisch. Zum Zeichen der Treue gegenüber dem König nahm man einen neuen Namen an, der mit D anfing, da der König Dameuds hieß.
Alisons Vater öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, als Darlem ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen brachte. „Hör jetzt erst einmal zu. Der König schickte uns, um euch auszurichten, dass ihr beide und vielleicht noch deine Frau in das Schloss kommen sollen, und zwar bis spätestens heute Abend. Dies ist übrigens eine Verpflichtung; den Wunsch des Königs zu missachten wäre eine Straftat auf die eine lebenslange Gefängnisstrafe steht.“ Er blickte uns scharf in die Augen, dann stand Darlem ruckartig auf, zog Darius weg, der bis dahin immer noch Liz auf den Stuhl gepresst hatte und die beiden gingen einfach aus dem Haus.
Liz und Zolan saßen einfach nur da und wussten nicht, was das ganze eben sollte. Warum wollte der König sie sehen? Warum war es so dringend (sie sollten immerhin bis zum Abend kommen)? Und woher zum Teufel wusste er überhaupt von deren Existenz? Warum waren die beiden Männer so versessen darauf, dass Liz mitkam?
All diese Fragen und noch viele weitere schossen den beiden durch den Kopf, doch keine einzige Antwort kam ihnen in den Sinn.
Liz' Mutter, die sich bis dahin im Schlafzimmer aufgehalten und es nicht gewagt hatte, herauszukommen, trat leise ins Esszimmer, brach jedoch nicht die Stille.
Alison blickte schließlich auf. „Was hat das Ganze zu bedeuten?“
Doch sie traf mit ihrem Blick nur auf ebenso ahnungslose Gesichter, die ihre Gefühle und Gedanken wiederspiegelten.


3.Kapitel


Gegen Nachmittag rafften sich Liz und ihre Eltern dazu auf, sich ihre schönsten Kleider anzuziehen und sich auf den Weg zum Schloss zu machen. Sie waren an diesem Tag nicht wie üblich zum Markt zum Verkaufen gegangen, und der Vater hatte sich auch noch nicht aufs Land begeben, da die Familie in keinster Weise den Zorn ihres Königs erwecken wollte. Als sie schließlich am Markt ankamen, zögerten sie einen Moment. Es würde zweifelsohne auffallen, die breite Straße in Richtung Schloss zu gehen. Zwar waren sie bei Weitem nicht die Einzigen, jedoch waren die anderen ausnahmslos mit Karren unterwegs, da sie Lebensmittel und anderes zum Schloss brachten. Zudem kannte man sie natürlich, daher spürten sie viele verblüffte Blicke im Rücken, als sie sich doch auf die Straße begaben. Alison, die in der Mitte lief, war ziemlich besorgt. Was, wenn einer ihre Streich mit Luke sogar schon dem König aufgefallen waren? Nein, das konnte doch nicht sein. In Ordnung, sie hatten einem Berater, von dem bekannt war, dass er gegen Tiere allergisch war, eine Katze in die Sänfte getan; aber sie hatten immerhin einen triftigen Grund. Der Mann hatte damit gedroht, eine Freundin von ihnen auspeitschen zu lassen, nur weil ihr ein Apfel aus der Hand und ihm direkt vor die Füße gefallen war. Da das arme Mädchen sehr schreckhaft war, hatte sie sich nicht getraut, etwas zu erwidern, daher haben die beiden die Initiative ergriffen und ihm eins ausgewischt. Aber sollte der König deshalb gleich sie und ihre ganze Familie zu sich rufen lassen? Und das auch noch ohne Luke? Der war auf dem Markt, das hatte sie soeben gesehen. Oder als sie letzte Woche einem Polizisten Feuer unterm Hintern gemacht hatte? Und das wortwörtlich; nachdem er sie wegen Handgreiflichkeit ins Gefängnis bringen wollte, als er ihr einen Arm um die Schultern gelegt und sie diesen abgeworfen hatte. Nein, das dies dem König zu Ohren gekommen war, war ziemlich unwahrscheinlich.
So grübelte sie den ganzen Weg lang vor sich hin, und kam erst wieder richtig zu sich, als sie direkt vor dem massigen Holztor des Schlosses standen. Vier Wachen, zu jeder Seite zwei, hielten sie an. „Wer seid Ihr und was wollt Ihr hier?“, fragte einer von ihnen mit tiefer Stimme.
Zolan trat vor, als wolle er seine Familie beschützen, und versuchte so viel Selbstsicherheit in seine Stimme zu lenken, wie er aufbringen konnte. „Ich bin Zolan Nadale und dies ist meine Familie. Der König hat uns zu sich rufen lassen. Er meinte, es eilt.“
Man nickte ihnen zu. „Ja, man hat uns bereits informiert. Tretet ein, gleich wenn Ihr her einkommt wartet ein Mann mit einem recht üppigem Bart. Sagt ihm euren Namen und er wird euch zum König bringen.“
Mit diesen Worten traten die Wachen zur Seite und gaben den Blick frei auf den Hauptsitz des Königs. Zunächst einmal war da eine breite Allee, zu der links und rechts die außergewöhnlichsten und schönsten Pflanzen waren, die Liz je gesehen hatte. Und doch war die Schönheit der Natur gar nichts im Vergleich zum Palast. Es war in einem strahlenden Weiß gehalten und sah so aus, als hätte es Dreck noch nie zu Gesicht bekommen. Eine prunkvolle, beige Tür, dessen Material Liz schleierhaft war, prangte in der Mitte eines gigantischen, zwei Stockwerke hohen Gebäudes. Links und rechts streckten sich zwei große, breite Türme in Richtung Himmel, auf denen je eine goldfarbene Kuppel stand.
Nachdem sich die Familie die Aussicht lange genug angesehen hatte, um mit Recht behaupten zu können, dass sie sie in ihrem ganzen Leben nie vergessen würden, gingen sie schließlich weiter, hielten jedoch ehrfürchtig den Mund, in der Angst, ein einziges falsches Wort könnte diese Schönheit zerstören, was natürlich vollkommen unsinnig war. Liz wurde in diesem Moment klar, wie weit unten sie und ihre Familie waren, was den Wohlstand betraf. Dabei war sie sich doch erst am Abend zuvor viel reicher als so viele andere Menschen vorgekommen, doch dieses Hochgefühl war mittlerweile vollends verschwunden. Sie hatte nur noch eine schreckliche Angst. Was wäre, wenn sie unbewusst gegen ein Gesetz verstoßen hätte? Wurde man sie töten lassen? Man hatte nur ausdrücklich nach ihr und ihrem Vater verlangt. Wäre es besser gewesen, ihre Mutter zu Hause zu lassen? Ging es hierbei wirklich um Leben oder Tod? Sie wusste es nicht. Doch sie würde es gleich erfahren.


4.Kapitel


Als sie immer näher an die große Tür kamen, öffnete sich diese automatisch und gab den Blick auf eine riesige Aula frei; und dies war in keinster Weise ein normaler Saal: er war gänzlich aus Marmor, noch dazu waren die Wände von Diamanten, Rubinen und sogar Saphiren überzogen und zudem mit goldenen Verzierungen ausgestattet die förmlich schrien, dass man sich hier im Palast des Königs befand. Der Raum, falls man ihn überhaupt so bezeichnen konnte, hatte zudem den Nebeneffekt, dass man sich selbst als Besucher mickrig, klein und nicht der Rede wert vorkam, und in genau dieser misslichen Gefühlslage befanden sich nun die Nadales.
Liz kam sich trotz ihrer für ihre Verhältnisse außergewöhnlich ansehnlicher Kleidung lediglich komplett fehl am Platz vor. Sie wollte dieses Gespräch -falls es denn nur ein Gespräch sein sollte- einfach nur schnell hinter sich bringen und dann mit ihrem bisherigen Leben weitermachen.
Wie sollte sie denn auch wissen, dass dieser Tag ihr ganzes Leben komplett auf den Kopf stellen würde?
Wie vorhin von den Wachleuten beschrieben, wartete rechts neben der Tür ein Mann mit recht üppigem Körperbau und einem noch voluminöserem Bart auf sie.
„Guten Tag, mein Name ist Brabant. Ihr seid bestimmt die Familie Nadale“, sagte er mit einem ausdruckslosen Gesicht. Er wartete noch nicht einmal eine Antwort ab. Er sah lediglich Liz an und schüttelte den Kopf, als könne er nicht glauben, was er da sehe. Mit einem kurzen „Hier entlang, bitte“ wandte er sich herum und ging zielstrebig nach rechts, in einen breiten, hohen Gang, der mit einem roten Teppich belegt war.
Zu ihrer Rechten sowie zu ihrer Linken standen mehrere Soldaten, alle mit zwei tiefen Narben am Kopf. Man könnte meinen, Liz und ihre Eltern kämen sich beobachtet vor, doch dem war nicht so. Die Wache hatte nämlich eine eigene Art, den König zu beschützen. Da der Palast auf einem Platz war, der voller Magie war, konnte jeder von ihnen immer über die Magie in der Luft verfügen. Dadurch verstärkten sie ihre Aura und wussten instinktiv, wo sich die Menschen befanden und hielten ihre Augen geschlossen. Jedoch waren sie in jedem Augenblick kampfbereit.
Der Flur führte nahtlos in einen im Vergleich zum Rest des Gebäudes relativ kleinen Raum.
„Wartet hier“; sagte Brabant. „Ich werde den König über Euer Kommen informieren. Verhaltet Euch einfach ruhig, bis Ihr hereingebeten werdet. Damit verschwand er durch eine ziemlich unscheinbare Tür, vor der ebenfalls zwei Wachen positioniert waren, die je einen Speer in den Händen hielten.
Ziemlich ratlos standen Zolan, Liz und Yasmine nun im Flur und wussten immer noch in keinster Weise, was sie jetzt erwarten würde. Und doch wollte niemand von ihnen auch nur einen Funken von Schwäche zeigen.
So standen sie nur da und ließen ihren Gedanken freien Lauf. Zolan hoffte nur, dass seiner Tochter nichts geschehen würde, Liz wollte wissen, was es mit dem Ganzen auf sich hatte und Yasmine klammerte sich immer noch an den albernen Gedanken, dass das Ganze nur eine simple Verwechslung war.
Nach einer halben Stunde ging schließlich die Tür auf und Brabant sah sie an. „Man erwartet Euch jetzt. Beeilt Euch.“
5. Kapitel

Nachdem Liz tief eingeatmet hatte, durchtrat sie als Letzte die Tür. Und fand sich plötzlich an einem anderen Ort wieder. Jedenfalls empfand sie es so. War sie eben noch in einem winzigen Raum gewesen, so wurde einem in diesem Saal wieder bewusst, wo man sich befand. Die Familie stand auf einem langen, tiefroten Teppich, der nach mehreren Metern kurz vor einer kleinen Treppe endete. Zu beiden Seiten standen wieder mehrere Soldaten mit geschlossenen Augen. Die Halle hatte eine hohe, runde Decke, woraus Liz schloss, dass sie sich unter der Kuppel befanden. Die Seitenwände waren mit Mosaiksteinen besetzt, die von den verschiedensten Kämpfen, Sagen und Legenden des Königreichs erzählten. Der Boden war mit Edelmetallen und Juwelen verziert, was sehr gut sichtbar war, da die ganze Fläche hinter den Soldaten menschenleer war.
Und auf der Treppe war ER. In all seiner Pracht saß der König auf einem riesigen, prunkvoll verzierten Thron. Seien Gewänder waren handgearbeitet und sehr sorgfältig auf ihn und seine Körpermaße abgestimmt, da sie ihm eng anlag, fast schon wie eine zweite Haut. Der Mann selbst stand der Schönheit des Raumes in nichts nach. Im Gegenteil, er hatte eine Ausstrahlung die den ganzen Raum schon fast einhüllte. Er strahlte Ruhe, Macht, Gutmütigkeit jedoch auch Verbitterung aus, eben die Dinge, die ein König verkörpern musste.
Als er Liz hinter ihren Eltern sah, atmete er scharf ein. Sie bemerkte dies jedoch gar nicht, da sie immer noch vom Saal gefesselt war. Und als sie ihren Blick endlich König Dameuds zuwandte, hatte sich dieser bereits gefangen. Sobald sich ihre Blicke begegneten, wollten Liz und ihre Familie schon auf die Knie sanken, doch er hinderte sie. „Steht auf“, sagte er leise, doch man merkte an seiner Stimme schon, wie befehlsgewohnt er schon war und dass seine Stimme so viel Autorität beinhaltete, dass er es gar nicht nötig hatte, lauter zu sprechen. „Und kommt näher.“ Mit diesen Worten stand auch er selbst auf, trat elegant die Treppe runter und kam auf uns zu. Er nickte meinen Eltern kurz zu und kam dann direkt zu Liz.
Als er direkt vor ihr war, sah er sie eine Weile nur an, und zwar mit einem so intensiven Blick, dass ihr unbehaglich wurde. Es war, als würde König Dameuds tief in sie hineinblicken und jeden noch so winzigen Winkel ihrer Seele analysieren. Sie kam sich sehr unbeholfen und unwissend vor, wie er sie mit seinen tiefbraunen Augen ansah, die sehr viel Weisheit vermuten ließen.
Endlich wandte er seinen Blick von ihr ab. Zolan wagte es nach einigem Nachdenken ihn anzusprechen. „Eure Majestät, verzeiht das ich Euch frage, aber warum habt Ihr uns zu Euch gerufen?“
„Ihr braucht euch nicht zu entschuldigen, dies ist eine berechtigte Frage“, meinte er. „Ich könnte Euch jetzt einiges erzählen, aber da dies zu viel Zeit beanspruchen würde, zeige ich es Euch einfach. Folgt mir.“
Mit diesen Worten wandte er sich zum gehen, jedoch steuerte er nicht auf die Tür zu, durch die sie gegangen waren, sondern auf eine andere, die vom Thron verdeckt wurde und den Nadales daher noch nicht aufgefallen war. Sobald man diese öffnete, fand man sich im Inneren des Palastes wieder. Und zwar in dem Teil, der bewohnt wurde. Das schloss Liz daraus, da sie an einer Küche und mehreren Schlafsälen von den Mägden und Knechten vorbeikamen. Als sie abrupt nach rechts in einen langen Flur abbogen, wusste sie sofort, dass jetzt die Gemächer des Königs und seiner Familie kamen, da die Qualität der Wände um sie herum deutlich besser wurde.
Ganz am Ende betraten sie links ein Zimmer. Es war ziemlich groß und in der Mitte stand ein riesiges Himmelbett, in dem ein Junge war. Seine Augen waren geschlossen, und sein gebräuntes, zu dem Zeitpunkt jedoch auch ein wenig kränklich aussehendes Gesicht war schon nass, weil er so stark schwitzte.
Der König ging auf ihn zu. „Derek, wach auf, ich habe Besuch für dich“, sagte er mit einem zärtlichen Unterton. Mit einem Blick auf die Nadales fügte er an sie gewandt hinzu: „Kommt doch näher, dann werdet Ihr verstehen, was ich vorhin meinte.“
Als Alison, Zolan und Yasmine auf das Bett zugingen und den Prinzen näher beobachteten, stockte ihnen allen mit einem Mal der Atem.
Er hatte ein hübsches Gesicht war von glatten braunen Haaren umarmt, und die Konturen seines Körpers unter der Decke ließen einen muskulösen, drahtigen Körperbau vermuten. Als er schließlich seine Augen öffnete, wurden die Gedanken der Familie bestätigt. Er hatte außergewöhnliche, nein, im Grunde genommen einmalige Augen, sollte man denken. Eines war von einem strahlenden grün, das andere war blutrot. Er ignorierte Yasmine und Zolan, und wandte seinen Blick sofort Liz zu. Ihr war, als würde sie in einen Spiegel blicken.
Denn dieser Junge war das männliche Ebenbild von Alison.


6. Kapitel

Sprachlos starrte Alison ihn an. So manch einer würde annehmen, dass ihr unbehaglich zumute war, doch dem war nicht so. Ihr ganzes Leben lang war sie sich irgendwie... unvollständig vorgekommen, als würde ein Teil von ihr fehlen. Und jetzt, als sie Derek anschaute, und er sie, war sie wieder... vollständig. Sie wusste, dass diese Gefühle keine Logik hatten, aber ohne ihn zu kennen, fühlte sie sich ihm schon näher, als sie jemals einer anderen Person gewesen war. Und sie spürte, dass es ihm genauso ging.
Ohne zu fragen, setzte sie sich zu ihm aufs Bett und nahm seine Hand. Sie war schwitzig heiß, der Junge hatte schrecklich hohes Fieber. Nein, nicht der Junge sondern...ihr Bruder. Das war eindeutig, dies war ihr Zwillingsbruder. Nicht nur, dass Dereks Äußere genau identisch mit dem ihren war, nein, ihr war auch auf einmal unglaublich heiß und sie fühlte sich elend krank. Liz konnte sich nur mühsam beherrschen, um sich nicht neben ihn zu legen und einzuschlafen. Dennoch war dieser Moment einfach vollkommen, sie fühlte sich so sicher und geborgen und so sehr sie selbst wie noch nie in ihrem Leben. Dieser Moment brauchte keine Worte. Zeit zum reden hatten die Beiden sowieso später noch mehr als genug. Denn eines war sicher: sie würden sich nie wieder trennen.
Zolan und Yasmine waren verblüfft und verstanden die Welt nicht mehr. War das denn möglich? Nun gut, die beiden waren verwandt, aber konnte es wirklich sein, dass ihre Tochter die Prinzessin war? Die leibliche Tochter des Königs? Und warum sagte dieser nicht? Er starrte nur wie hypnotisiert seine Kinder an, als könne er es gar nicht fassen, sie beisammen zu sehen.
Endlich fasste er sich und begann zu sprechen. ,, Wie Ihr Euch wahrscheinlich bereits gedacht habt, ist Alison meine Tochter. Sie ist die Prinzessin des Landes.”
Zolan wollte etwas sagen, doch es brauchte ein paar Anläufe, bis er seine Stimme wiederfand. “Aber Eure Majestät, warum habt Ihr uns heute zu Euch gerufen?”
,,Dazu komme ich noch gleich. Zunächst jedoch muss ich Euch beiden danken für all das, was Ihr in den letzten Jahren für meine Tochter getan habt. Natürlich werdet Ihr dafür entschädigt...”
,,Was soll das heißen?”, fragte Zolan sichtlich bemüht, seinen Tonfall nicht zu erheben. ,,Alison ist vielleicht Eure leibliche Tochter, das ist mir klar. Dennoch ist sie bei uns aufgewachsen, wir sind ihre Eltern und sie wird natürlich auch weiterhin bei uns wohnen bleiben. Ein Leben ohne sie ist für uns unvorstellbar.”
,,Ich verstehe natürlich, was Ihr meint, aber ich hätte Euch nicht rufen lassen, wenn es nicht unbedingt notwendig gewesen wäre.”
Nun mischte sich auch Yasmine in das Gespräch ein. ,,Aber warum habt Ihr Alison überhaupt zur Adoption freigegeben? Weshalb habt Ihr sie erst jetzt zu Euch gerufen? Was sind denn Eure Gründe?”
Auch Alison wollte nicht zulassen, dass hier einfach über sie hinweg über sie diskutiert wurde. ,,Eure Majestät, ich weiß es sehr zu schätzen, dass Ihr mich zu Euch gerufen habt, jedoch muss auch ich sagen, dass ich Euch gar nicht kenne. Ich würde mich freuen, Euch und meinen Bruder näher kennenzulernen, jedoch sind und bleiben Zolan und Yasmine meine Eltern. Etwas anderes kann ich mir gar nicht vorstellen.”
,,Das habe ich mir bereits gedacht”, gab König Dameuds zu. ,,Ich würde etwas derartiges auch nicht verlange, wenn es nicht einen triftigen Grund gäbe. Ich bitte Euch nur, mir zuzuhören, am Ende könnt Ihr das Gesagt selbst beurteilen und Eure Wahl selbst treffen. Ich werde Euch die Geschichte ganz von Anfang erzählen. Das alles begann am Tag der Geburt von euch beiden...”


7.Kapitel
Das ganze Schloss war in Aufruhr, und das schon seit Wochen. Es ging um die nahende Entbindung der Königin Malveria. Seit Monaten hatte man sie nicht gesehen, da die Schwangerschaft sehr an ihrer Gesundheit zehrte.
Es war ein regnerischer Tag. Ein unglaublicher Sturm wehte über das Land hinweg und machte daher einen Aufenthalt im Freien unmöglich. Dennoch hoffte jeder darauf, dass die Geburt heute stattfinden würde. Der Grund dafür war nicht schwer zu erraten: Schließlich war an diesem Tag der 29. Juli; wenn das Königskind an diesem Tag zur Welt kommen würde, wäre es ein Absorber.
In den Gemächern der Königin wurde die Stimmung mit einem Mal hastiger; es war soweit! Malveria verspürte die Wehen, die Geburt nahte! Mehrere Hebammen wachten schon seit Tagen über sie, um zu jeder Zeit bereit zu sein und die Königin zu unterstützen. Sie keuchte stark, hoffte, dass ihr Mann bald auftauchte und ihr zur Seite stehen würde.
Doch dieser war zu dem Zeitpunkt in einem anderen Raum beschäftigt, da seine acht engsten Berater und sein eigener Vater stetig auf ihn einredeten. ,, Ihr wisst, wie wichtig es ist, dass es ein Sohn wird. Nur ein Sohn kann dem Volk seine Hoffnung auf ein Ende dieses hoffnungslosen Krieges gegen diese blutwütigen Lotiler geben.”
In dem Moment trat ein Bote in den Raum. Er atmete heftig und brachte abgehackt hervor: ,,Die... Königin... hat soeben... die Wehen... bekommen.”
Der König nickte ihm zu. ,,Danke für die Nachricht. Ihr könnt Euch jetzt zurückziehen.” Damit meinte er nicht nur den Mann, der soeben gekommen war, sondern auch seine Berater. Sein Vater blieb jedoch. Er war zwar nicht mehr der König, da er gesundheitlich zu eingeschränkt war aufgrund ständiger Herzinfarkte, jedoch war in allen Dingen seine Meinung wichtiger als die aller anderen Berater zusammen. Dameuds war zwar der König, aber im Hintergrund behielt immer noch er selbst, Fynn, die Fäden in der Hand. Wenn er eine Abneigung gegen jemanden hegte, war es um denjenigen geschehen. Dieser jemand konnte dann schon von Glück reden, wenn er nur öffentlich hingerichtet und nicht auch noch gefoltert wurde.
Im Moment war er jedoch zufrieden. ,,Sehr gut. Wenn das Kind auch noch ein Absorber ist, wird dies die Leute erst recht anstacheln, sich härter in den Krieg gegen diese lästigen Lotiler zu stürzen. Und wenn er auf der Akademie später gut abschneidet dann...” Natürlich sah er nur den Nutzen den er aus der Geburt seines Enkels ziehen konnte. Kein Wort des Glückwunsches an seinen Sohn, in seine kalten, berechnenden Augen war keine Freude zu sehen. Die langjährige Zeit als König hatte ihn gefühlskalt werden lassen, was ja auch kein Wunder war, da dies nötig war. Zwar konnte jeder Mensch Magie benutzen, jedoch konnte nicht jeder sie auch unter Kontrolle behalten. Es kam leider oft zu Unfällen, da jemand sich selbst überschätzt hat und zu viel Magie auf einmal verwenden wollte. Und Fynn gehörte zu diesen Menschen. Sein Gesicht war von hässlichen Brandnarben gebrandmarkt. Bei all seiner Autorität war er dennoch nicht in der Lage, zu große Mengen an Magie zu kontrollieren. Daher musste er grausam und hinterlistig jeden Menschen beseitigen, der ihm im Weg stand. Viele Leute waren ihm bereits zu Opfer gefallen, unter ihnen Leute die nicht seine Meinung geteilt haben, seine älteren Brüder und am Ende sogar seinen eigenen Vater. So hatte er sich gewaltsam Respekt verschafft, sogar Dameuds fürchtete ihn.
Dieser war jedoch im Moment ziemlich sauer. ,, Er, er er! Und was ist wenn es kein Junge ist? Was ist, wenn ich eine Tochter kriege? Wird sie trotzdem auf die Akademie gehen? “ Der König war außer sich, aber als Fynn auf ihn zukam, versuchte er, sich wieder zu beruhigen.
Dieser war jedoch ziemlich gelassen. ,, Immer mit der Ruhe, Dameuds. Wir wollen doch nicht, dass ich mich auch aufrege.” Er machte eine Pause, um der Drohung Nachdruck zu verleihen. Dann sprach er weiter. ,, Du bist nicht dumm, das war mir schon immer bewusst. Ich denke, du weißt, wie ich an die Macht gekommen bin. Ich scheu mich nicht davor, andere Leute töten zu lassen. Auch Babys sind für mich kein Tabu.”
Dameuds war mittlerweile kreidebleich angelaufen. ,,Du könntest ohne auch nur den Hauch eines Reuegefühl dein eigenes Enkelkind umbringen lassen? Nur weil es ein Mädchen ist?”
,,Natürlich. Was auch immer nötig ist, um diesen Krieg zu gewinnen. Eine Tochter dürfte nicht in die Akademie. Das Volk hätte das Gefühl, von der Königsfamilie alleine gelassen zu werden. Als ob nur sie selbst Opfer bringen müssten. Daher würde ich deiner Frau zwar ein Kind wegnehmen, dafür aber veranlassen, dass es durch ein anderes ausgetauscht würde. Immerhin bist du mein Sohn, ich kann dich sentimentalen Narr doch nicht kinderlos lassen”, endete er spöttisch und verließ den Raum.


8.Kapitel

An dieser Stelle musste König Dameuds sich unterbrechen, anscheinend durchlebte er die Hoffnungslosigkeit, die er in diesem Moment empfunden hatte, noch ein weiteres Mal. Als er wieder hochschaute, waren Tränen in seinen Augen. Jetzt sprach er Alison direkt an. ,,Es ist nicht so, dass ich dich nicht haben wollte, ich hatte einfach nur Angst vor meinem Vater. Als ich in die Gemächer meiner Frau eintrat, lag diese bereits im sterben. Neben ihr auf dem Bett lagen zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Im ersten Moment war ich unendlich glücklich, dass da auch ein Junge war, doch als ich den Zustand meiner Frau sah, war ich entsetzt. Überall lag Blut...” Wieder unterbrach er sich, dann jedoch straffte er wieder seine Schultern und fuhr fort. ,,Ihr letzter Wille war es, dass ich nicht zulassen dürfe, dass auch etwas passiert. Natürlich fielen mir zuerst die Worte meines Vaters ein, daher, Alison, habe ich deine Existenz geheim gehalten. Ich habe dich noch in derselben Nacht in einem Waisenheim abgeliefert. Aber glaub mir bitte, es ist nicht ein Moment vergangen, an dem ich nicht an dich gedacht habe! Ich hätte dich niemals weggeben dürfen! Ich hätte mich ihm zur Wehr setzen sollen und...”
Nun war es gänzlich um seine Selbstbeherrschung geschehen. Die Tränen liefen ohne Unterlass aus seinen Augen. Liz konnte es sich nicht mehr mit ansehen, denn während er geredet hatte, waren plötzlich zärtliche Gefühle aufgekommen. Sie fühlte sich ihm verbunden, zwar nicht in der Größe wie zu Derek, aber trotzdem wollte sie nicht tatenlos neben dem König sitzen. Sie ließ die Hand ihres Bruders los und ging zu ihm herüber. ,,Macht Euch keine Vorwürfe. Ihr habt Euch nur um mich gesorgt, was verständlich ist. Außerdem habe ich eine wundervolle Kindheit gehabt, also seid Euch gewiss, Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen.” König Dameuds war sichtlich gerührt und machte Anstalten, sie in den Arm zu nehmen.
In diesem Moment räusperte sich Zolan vernehmlich. ,,Wir verstehen nun, weshalb Ihr Alison zur Adoption habt freigeben lassen. Weshalb aber habt Ihr uns zu Euch gerufen? Wenn Ihr sie hättet sehen wollen, hättet Ihr uns schon früher rufen lassen können, schließlich ist Ihr Vater schon seit über fünf Jahren tot. Daraus schließe ich, dass Ihr etwas Bestimmtes im Sinn hattet.”
Der König nickte ihm zu, seine Tränen waren mittlerweile versiegt. ,, Ihr seid sehr scharfsinnig. Ja, es gibt tatsächlich einen Grund, warum es gerade jetzt geschehen musste. Du musst wissen, Alison, ich hatte mir zwar unser Wiedersehen nicht so vorgestellt, aber ich hatte bereits vor, dich wieder herzuholen und...”
Yasmine ließ ihn nicht aussprechen. ,,Was soll das heißen?”, fragte sie mit schriller Stimme. ,,Liz ist UNSERE Tochter, auch wenn Ihr der König seid, könnt Ihr sie uns nicht einfach wegnehmen!”
Dameuds seufzte tief. ,,Das hatte ich auch nicht erwartet. Immerhin habt Ihr sie aufgezogen und Ihr seid ihre Eltern. Ich habe nicht das Recht, sie Euch zu entreißen. Ich weiß, dass dies nicht im Sinn meiner geliebten Malveria wäre. Außerdem muss ich Euch noch etwas sagen. Ich weiß, dass Ihr bestimmt etwas dagegen habt und Euch aufregen werdet. Dennoch bitte ich Euch, einfach nur zuzuhören und mich ausreden zu lassen. Die Entscheidung liegt bei Euch, Ich werde Euch zu nichts nötigen.”
Liz, Yasmine und Zolan blickten sich an und nickten dann. Zuhören konnte schließlich nicht schaden und sie brennten darauf, zu erfahren, weshalb sie überhaupt zum König gerufen wurden.
Auf dieses Zeichen hatte Dameuds gewartet. Er holte tief Luft und begann zu sprechen.


9.Kapitel

,, Wie Ihr wisst, wird Derek in zwei Wochen sechzehn. Und da er ein Absorber ist, muss er in die Akademie, um dort im Kampf ausgebildet zu werden. Da er mein Sohn ist, muss er einer der Besten sein, um später, nach den Jahren der Ausbildung seine Truppe gut im Krieg anführen zu können.”
Zum ersten Mal fing Derek an zu sprechen. ,,Aber wie Ihr seht bin ich krank. Ich kann mich nicht einmal ohne fremde Hilfe aufsetzen, gefüttert werde ich auch”, beschrieb er mit verbitterter Stimme. ,,Deshalb kann ich nicht auf die Akademie gehen. Niemand, kein Heiler, kein Arzt, konnte mir auch nur sagen, was mir fehlt und...” An dieser Stelle musste er abbrechen, da ihn anscheinend selbst das Reden überforderte.
Alison strich ihm sanft über die Stirn. Sie wusste aus irgendeinem Grund genau, wie er sich fühlte. Da war seine Enttäuschung, dass er nicht auf die Akademie gehen konnte, die Verbitterung, dass er ohne fremde Hilfe zu nichts mehr in der Lage war, Freude, dass er seine Schwester sah, Angst, was nun geschehen würde, und eine schwere Müdigkeit, die seine Augenlieder unerbittlich nach unten drängte. ,,Schschscht”, machte sie. ,,Ruh dich aus. Wir werden schon nicht weglaufen. Dein Körper braucht Ruhe, also leg dich wieder schlafen.” Keine zehn Sekunden später war er im Land der Träume abgetaucht, sein ruhiger Atem war das Einzige, das man hörte.
,,Was nun?”, fragte Zolan. Aber er wusste genau, was der König vorhatte. Er wollte es nur noch einmal bestätigt haben, doch Liz beantwortete die Frage, bevor der König auch nur den Mund aufmachen wollte. ,,Ihr wollt, dass ich nun aufbreche und für Derek an die Akademie gehe, ihn wahrscheinlich selbst danach im Krieg vertrete. Dass ich mich als Junge ausgebe, um dem Volk ein Vorbild zu sein”, stellte sie sachlich fest.
König Dameuds seufzte tief. ,, Genau. Es würde sehr viel Aufruhr verursachen, wenn der Königssohn nicht gehen würde. Schließlich wird er einmal das Oberhaupt sein, da wäre es besser, wenn er sich davor bereits die Anerkennung des Volkes verdienen würde. Es fällt mir wirklich schwer, dich um einen solchen Gefallen zu bitten, da du schließlich dein Leben aufs Spiel würdest. Noch dazu ist es nicht leicht, sich unbemerkt für einen Jungen auszugeben. Zudem kommt bald das Alter, an dem du heiraten und eine Familie kriegen wirst. Vielleicht wird dir das schwerer fallen, da du ohne Zweifel einige männliche Eigenarten annehmen wirst. Ich will dich in keinster Weise abschrecken, dennoch denke ich, dass du über die Risiken in Kenntnis gesetzt werden solltest. Außerdem solltest du dich nicht verpflichtet fühlen, irgendetwas zu tun. Dir steht es selbstverständlich frei, abzulehnen. Niemand würde dir Vorwürfe machen.”
Liz dachte nach. Ihre langen Haare, die noch nie in ihrem ganzen Leben geschnitten worden waren, fielen ihr ins Gesicht. Sie runzelte die Stirn, immerhin dauerte die Ausbildung zum Krieger ganze vier Jahre. Sie fühlte sich einfach unglaublich überfordert. Sie hatte immerhin ziemlich viel erfahren in den letzten 15 Minuten. Sie war die Tochter des Königs, sie hatte einen Zwillingsbruder, der schwerkrank war, sie war eine Absorberin, Alison sollte auf eine Akademie gehen und sich als Junge ausgeben und noch dazu eilte das ganze ziemlich. Ihre Eltern waren sich anscheinend schon einig, dass sie nicht hingehen würde; das hatte sie dem Blick entnommen, den Zolan und Yasmine gewechselt hatten. Im Grunde genommen, weckte das ganze ihre Neugier. Ihr ganzes Leben kam ihr so wahnsinnig...ereignislos und langweilig vor, sie wollte dieser Eintönigkeit schon seit Langem entkommen. Sie war von Natur aus ein abenteuerlustiger Mensch, und diesen Drang nach etwas Anderem konnte ihr Alltag auf dem Marktlatz einfach nicht stillen. Die kleinen Streiche, die sie mit Luke unternahm, konnten die Lust nicht vermindern. Das Spannendste, das die beiden unternommen hatten, war in dem Haus eines Adeligen, der allergisch auf alle möglichen Tiere reagierte, zehn wilde Hunde freizulassen. Sicher war es ein Spaß, dem wilden Treiben und dem Herumhetzen der Diener zu folgen, doch etwas wirklich Besonderes war es nicht.
Unterdessen versuchten Zolan und Yasmine dem König vorsichtig klarzumachen, dass sie ihre Tochter niemals einer solchen Gefahr aussetzen würden. ,,Wie Ihr wisst, Eure Majestät, würden wir Euch niemals widersprechen, doch in diesem Fall geht es um unsere Tochter, die wir Jahre lang behütet haben. Es ist undenkbar, ihr etwas in dieser Art zuzumuten. Was soll ein Mädchen mit Kampfunterricht anfangen? Es ist schließlich unmöglich, dass sie jemals im Krieg mitmischen wird und...”
Doch Alisons Vater kam gar nicht erst dazu, weiter zu sprechen. Alison unterbrach ihn mit fester Stimme. ,,Nein, Vater. Ich werde es machen. Ich werde auf die Akademie gehen.”




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Tag der Veröffentlichung: 14.04.2011

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