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Es ist ein sonniger Tag, als ihre Pfennigabsätze über den harten Asphalt scheppern. Sie ist spät dran, der Tag ist entscheidend für ihre Zukunft. Völlig außer Atem erreicht sie die Außenpforte.
„Entschuldigung, ich bin etwas spät! Mein Name ist Victoria Lang“, sie streift sich über ihren schwarzen Bubikopf.
Der Pförtner verzieht keine Miene. „Besuchsschein und Ausweis!“
Victoria kramt in ihrer Handtasche und gibt dem Mann die Papiere.
„Könnten Sie die Brille abnehmen, die verdeckt ja Ihr ganzes Gesicht!“, stichelt der alte Mann.
Mit gekräuselter Stirn nimmt Victoria ihre mondäne Brille ab, leuchtend blaue Augen kommen zum Vorschein. Sie ist eine Frau, die aus der Masse hervorsticht. Immer extravagant gekleidet, mit überaus gepflegtem Äußeren. Der Pförtner gibt ihr den Ausweis zurück und drückt auf einen Summer, rasch öffnet die Frau die Glastür.
Ein Muskelpaket kommt mit verschränkten Armen auf sie zu. Seine Augenbrauen stehen dicht zusammen, die Gesichtszüge wirken versteinert.
„Alle Gegenstände, die Sie bei sich tragen, bitte in die Kiste, bei Besuchsende bekommen Sie alles wieder!“
„Sie wissen aber schon, dass ich ein Interview mache?! Ich brauche mein Tonbandgerät und den Fotoapparat! Und dieses Foto!“
„Okay“, erwidert der Wachmann knapp.
Sie leert ihre Taschen. Handy, Autoschlüssel und Handtasche verschwinden mit der Kiste in einem Schrank.
„Arme bitte einmal hoch!“
Mit den Armen nach oben gestreckt, beobachtet sie die routinierten Bewegungen des Wachmanns.
„Okay. Sie können rein. Ich bringe Sie ins Besucherzimmer“, gespannt folgt sie dem Wärter durch mehrere Räume mit Sicherheitstüren.
Der Riese zeigt auf einen Mann, der Einzige in diesem Zimmer.
„Da sitzt er. Sie haben genau 15 Minuten!“
´Viel zu kurz´, denkt sie sich, verdreht ihre Augen und macht einen Schmollmund, dick wie ein kleines Luftkissen.
Normalerweise zieht diese Miene immer, doch ihr Gegenüber zeigt keinerlei Gefühlsregung. Bittend und auch ein bisschen flehend schaut sie ihn jetzt an. „Ist es möglich, ein paar Minuten mehr zu bekommen?“
„Nein! Sie haben genau 15 Minuten!“
Verwirrt von dem schroffen Ton, geht sie mit langsamen Schritten durch den Raum, der offensichtlich kein Sonnenlicht hineinlässt. Schlichte Tische und Bänke sind alles, was man hier sieht. Ein modriger, muffiger Geruch zieht durch die Luft. Sie kneift die Augen und presst den Mund fest zusammen, rümpft ihre Nase. Professionalität wird verlangt, sie setzt sich ein Lächeln auf. Herr Simon steht auf, mit reserviertem Blick nickt er ihr begrüßend zu.

„Guten Tag, ich bin Victoria Lang von der ´SAMONCA News´! Vielen Dank, dass sie in ein Interview eingewilligt haben!“
Beide sitzen sich jetzt gegenüber. Sie findet ihn durchaus attraktiv. Groß, mit durchtrainiertem Oberkörper. Ein Mann, der eher in die Modellkartei als ins Gefängnis passt. Das Interview ist ihr Einstellungstest, sie muss sich konzentrieren – es ist wichtig für ihre Karriere. Die junge Reporterin schaltet das Tonbandgerät ein.
„Herr Simon, ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen!“
Seine Stirn legt sich in Falten. „Nennen sie mich Steve!“
„Okay, Steve. Wie geht es Ihnen heute?“
„Ganz passabel. Danke!“
„Woher kommt denn die Narbe in Ihrem Gesicht?“, fragt sie neugierig.
„Halb so wild! Ab und zu kommt es zu Auseinandersetzungen unter Insassen.
Dieser Knast ist ziemlich gefährlich. Hier sitzen größtenteils Schwerverbrecher … Mörder und so. Man muss ständig überlegen, wem man den Rücken zukehrt.“
Es dämmert ihr langsam, warum die Wärter hier so kühl sind. Ein Schauer läuft ihr über den Rücken. Nachdenklich stützt sie ihr Kinn auf die Hand. Warum sollte man ihn wegen Bankraub in so ein gefährliches Gefängnis einsitzen lassen?
Steve bemerkt ihre Anspannung. „Die haben mich weniger als gefährlich aber höher bei Fluchtgefahr eingestuft. Deshalb sitze ich hier!“
„Aha ...“, sie schiebt ihre Unterlippe vor. In ihrem Hals breitet sich ein Krächzen aus, tornadoartig verschluckt es ihr die Worte. Sie räuspert sich. So was passiert ihr ständig, wenn sie nervös ist. „Tut mir leid!“, sagt sie heiser.
Er fängt an zu gähnen. „Vielleicht sollten Sie weniger rauchen!“

„Ich rauche nicht! Vielleicht ist ja eine Erkältung im Anmarsch!“, rechtfertigt sich Victoria.
„Wir haben nicht viel Zeit! Ich will gleich zur Sache kommen! Wie ist es dazu gekommen, dass Sie in den letzten drei Jahren so viele Straftaten begangen haben?“
Sein Blick wandert kurz zu dem Wachmann, zurück zu ihr, dann fängt er an zu reden: „Ich hatte keine Perspektive mehr. Für mich blieb nur dieser eine Weg.“
„Wie meinen Sie das?“, ihr Kopf neigt sich fragend zur Seite.
„Mein Job wurde mir damals gekündigt, angeblich wegen Rationalisierungsnahmen.
Meine Frau lief mir wegen einem anderen weg, jemandem mit mehr Geld. Sie war gerade schwanger. Ich meine, welcher Mann nimmt denn eine Frau, die von einem anderen Typen schwanger ist?“ Er macht eine kurze Pause. Gewitterwolken ziehen in seiner Gedankenwelt auf. Die eben noch freundlichen Augen verwandeln sich in eine Eiswelt.
Seine Wangenknochen treten hervor und fangen heftig an zu beben. „Meine Tochter ist so um die vier Jahre alt. Bis heute durfte ich sie nicht einmal sehen. Es gibt sogar eine Verfügung gegen mich, die besagt, ich dürfe mich ihr nicht mehr als einhundert Meter nähern. Das hat ganz sicher dieses Arschloch eingefädelt. Wie gern würde ich dem eine verpassen!“
„Das sind harte Rückschläge, aber doch kein Grund, siebzehn Banken auszurauben!“
Augenzwinkernd, als hätte sich ein Sandkorn darin verirrt, mustert sie ihn.
Steve beginnt zu lachen, wie der Teufel höchstpersönlich. „Siebzehn Banken und zwei Luxusvillen, um genau zu sein! Was meinen Sie ist schlimmer, eine Bank auszurauben oder eine Bank zu gründen?“
„Mhhh ... Was für eine Frage! Da könnte ich Sie auch fragen: Wer ist der größere Narr? Der Narr oder der Narr, der ihm folgt?
Es gibt nun mal Gesetze, an die man sich halten muss!“
Steve beugt sich ein Stück vor, greift seine Hände ineinander, drückt sie nach vorne durch.
Ein heftiges Knacken erschüttert die Stille. Die Reporterin bekommt Gänsehaut. Er schaut ihr tief in die Augen.
„Für mich ist es ein Verbrechen, Menschen in Armut leben zu lassen!“
Sie schüttelt energisch den Kopf. „Aber es gibt auch viele gemeinnützige Organisationen! Viele haben es sich zur Aufgabe gemacht, bedürftigen Menschen zu helfen!“ Die Reporterin fährt fort: „Fast eine halbe Million haben Sie während der Streifzüge erbeutet! Sie haben der Polizei nicht gesagt, wo das Geld ist?“
Er zwinkert ihr zu. „Nein. Warum sollte ich?“
„Sie würden vielleicht Strafmilderung bekommen!“
„Ach ... Scheiß auf Strafmilderung! Was hab ich davon, eher rauszukommen? Um dann wieder ohne Geld dazustehen?“
„Was ist aus Ihrem Komplizen geworden?
Die Polizei fahndet sicher noch nach dieser Person!“
Mit einem überheblichen, nahezu eisigen Lächeln lehnt er sich zurück, fasst die Hände hinter den Kopf.
„Die wissen doch gar nicht, nach wem die suchen müssen! Ich würde nie etwas preisgeben!“
„Denken Sie, derjenige würde das Gleiche für Sie tun?“
„Selbstverständlich!“
„Wissen Sie, wie die Leute Sie nennen?“, fragt Victoria.
„Nein. Wie denn?“
„Robin Hood im Clownkostüm!“
Er reckt seine Nase in die Höhe. „Wow ... Robin Hood gefällt mir!“
„Man munkelt, dass eine große Summe kurz nach dem achten Bankraub an ein Hilfsprojekt für Straßenkinder ging. Niemand kann das mit Sicherheit sagen. Haben Sie das wirklich getan?“
Steve streicht sich mit dem Finger nachdenklich über sein Kinn, macht eine kurze Pause.
„Diese Frage kann ich nicht beantworten.“
„Okay ... Sie haben ziemlich viel Sympathien unter den Mitmenschen erlangt!
Aber die nächste Zeit werden Sie nicht viel davon haben. Wie viele Jahre haben Sie bekommen?“
„Achtzehn Jahre! Es macht mir nicht viel aus. Ich meine, es gibt doch niemanden, der auf mich wartet. Außer vielleicht mein zweiter Mann und das Geld.“
Ungläubig hakt sie nach. „Wirklich sonst niemand?“
„Nein.“
„Was ist mit Ihren Eltern?“
„Ich kann mich nicht an sie erinnern. Meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, da war ich fünf Jahre alt. Geschwister habe ich nie gehabt. Hätten Sie vor Ihrem Interview ordentlich recherchiert, dann wüssten Sie das! Ich verbrachte mein Leben zwischen Pflegefamilien, Heimen und der Straße. Irgendwann lernte ich dann Miriam kennen. Sie war die Tochter eines großen Unternehmers.

Unsere Beziehung wurde von ihrer Familie nicht gern gesehen. Ich wäre angeblich nur hinter ihrem Geld her gewesen. Als ich dann von ihrer Schwangerschaft erfuhr, war ich zum ersten Mal im Leben glücklich. Ich dachte, jetzt bekäme ich endlich eine richtige Familie … Ein kurzer Traum! Sie verließ mich mit der Begründung, ich sei ein Versager, und verfluchte unser Kind, weil es für eine Abtreibung schon zu spät war. Jetzt sagt meine Tochter zu einem anderen ´Papa´.“ Seine Stimme wird laut: „Mein ganzes Leben ist im Grunde doch nur ein riesiger Scheisshaufen!“
Sein Gesichtsausdruck ist hart, voller Abscheu. Rhythmisch blähen die Nasenlöcher auf und ab, so heftig, dass sie an die Schallblasen von einem Frosch erinnern.
„Lassen Sie uns das Thema wechseln! Sie haben über drei Jahre die Ermittler an der Nase rumgeführt. Erzählen Sie doch, wie alles begann!“
„Beim ersten Bankraub hatte ich wirklich die Hosen voll.
Völlig pleite, suchte ich mir jemanden, der einen vertrauensvollen Eindruck auf mich machte und selbst auch mit Geldnot zu kämpfen hatte. Ich weihte ihn in meine Absichten ein. Wir recherchierten über Banküberfälle, lasen über die ganz Großen, lernten von ihnen. Wurden sogar richtig dicke Freunde. Zwei Wochen vorher fingen wir an, die Bank zu beobachteten, immer wieder spielten wir die Szene durch. Es sollte alles perfekt sein. Als es dann soweit war, kam mir alles vor wie ein Film.
Ich konnte nicht glauben, dass ich es wirklich tat. Wir gingen rein. Beide maskiert mit Horrorclown-Masken, gleich morgens, da war noch nicht viel los. Wir zeigten den Mitarbeitern dezent unsere Waffen, ich hatte eine Browning SFS 9 mm. Ich hatte aber nicht vor, diese jemals zu benutzen. Die Angestellten folgten genau den Anweisungen, die wir auf einen Zettel geschrieben hatten. Das Adrenalin schoss nur so durch meinen Körper. Es lief alles wie am Schnürchen.
Wir sackten das Geld ein und verschwanden. Am Abend amüsierten wir uns über die Nachrichten im Fernsehen. Es gab keine Spur zu uns. Die Medien nannten uns nur die Clownräuber. Aber der jetzige Name ´Robin Hood im Clownkostüm´ gefällt mir natürlich noch viel besser!“ Er grinst. „Den Magen voll mit Hummer und Geld in der Tasche, planten wir dann also den nächsten Raub. Es fing an, richtig Spaß zu machen. Ja ... und so lief das Ganze dann über knapp drei Jahre.“
„Okay Steve, nette Geschichte. Obwohl mir nicht ganz klar ist, wie man einem Menschen so schnell vertrauen kann! Ich meine, so wie Sie es schildern, kannten Sie Ihren Komplizen vorher nicht?“
„Nein, ich kannte die Person vorher nicht. Ich brauchte aber unbedingt jemanden. Es war wie Glücksspiel. Ich hatte einfach auf den Richtigen gesetzt!“
„Und wie hat man Sie dann erwischt?“
Er schaut leicht überheblich zur Seite, die Stirn gerunzelt, sein Blick wandert wieder zu ihr zurück.
„Durch die routinierten Abläufe wurden wir langsam unersättlich. Diese letzte Bank …“
Er schüttelt den Kopf. „Wie heißt es so schön? Gier frisst Verstand!“
„Erzählen Sie weiter!“
„Wir nahmen bis dahin immer nur das Geld aus dem Kassenraum. Doch an diesem Tag forderten wir auch noch das Bargeld im Tresor. Wir warteten seelenruhig die sechs Minuten ab, bis sich der Safe, der mit einem Zeitschloss gesichert war, öffnen ließ, und rafften insgesamt so um die 120.000 Euro zusammen. Fluchtartig verließen wir die Bank. Wir hörten Sirenen, rannten zum Fluchtauto und sahen die Polizeiwagen auf uns zu fahren. Noch bevor ich die Beifahrertür öffnen konnte, hörte ich einen Schuss, spürte einen kurzen heftigen Schmerz, sackte zusammen. Ein Bulle hatte mich am Bein getroffen! Als ich mich aufrappelte, die Tür öffnete, feuerte jemand ein weiteres Mal. Päääng. Direkt in meine Schulter.

Mit letzter Kraft schmiss ich den Sack mit Geld in den Wagen … Ich rief meinen zweiten Mann zu, er solle losfahren. Die Reifen quietschten. Die Beifahrertür flatterte. Ich sah noch am Ende des Horizonts den Wagen, gefolgt von mehreren Polizeiautos, und wurde dann bewusstlos. Als ich aufwachte, fand ich mich in einem Krankenhaus wieder. Ans Bett gekettet mit Handschellen, warteten die Gesetzeshüter schon auf meine Ankunft ins Bewusstsein. Zuerst dachte ich, sie hätten meinen Mann und das Geld, aber Fehlanzeige. Sie versuchten, mich unter Druck zu setzen, doch ich schwieg ...“
Er fängt an zu lachen, süffisant, immer lauter. Victoria fällt auf, wie warm und stickig es in dem Raum ist. Sie zieht ihren Blazer aus und legt ihn über den freien Stuhl neben sich.
Etwas schwebt aus ihrer Tasche zu Boden. Beide schauen nach dem Gegenstand. Es ist ein Foto.
Nervös versucht Victoria, den Insassen abzulenken.
„Wie haben die versucht ...“
Doch Steve unterbricht sie. „Das ist …“, seine Stimme klingt gereizt. „Das ist meine Tochter! Oder?“
Der Häftling greift nach dem Foto.
Die Frau versucht einzulenken. „Ja, das ist sie! Ich wollte es Ihnen nach dem Interview geben! Ich dachte, Sie würden sich bestimmt darüber freuen.“
Steve starrt das Foto an, Verzückung wandelt sich in Wut.
„Wo haben Sie das her?“
„Von Ihrer Ex-Frau. Ich war gestern bei ihr. Ich wollte etwas mehr über Sie erfahren. Sie gab mir dieses Foto – für Sie. Stellen Sie sich vor: Diese Kleine – Angela - wenn Sie hier rauskommen, dann ist sie zweiundzwanzig! Wahnsinn, oder?“
Behutsam streicht sein Finger über das Foto. Ein tränendes Herz rinnt über seine Wange. Hektisch steht er auf, reißt den Stuhl um, boxt mit voller Wucht gegen die Wand. Immer wieder, bis er zu Boden sackt. Der Schreck steht der Reporterin ins Gesicht geschrieben.
Innerhalb von Sekunden kommt der Wachmann auf ihn zu gerannt und greift ihn von hinten. Die Handschellen klacken. Steve fängt an zu weinen. Wie ein kleiner Junge schluchzt er – tritt um sich. Der Wachmann bekommt Unterstützung von seinen Kollegen. Sie bringen ihn zurück in die Zelle.

Victoria sitzt einfach nur da, kreideweiß, starrt auf das Foto am Boden ...

Impressum

Texte: © malika Das Urheberrecht liegt bei der Autorin.
Tag der Veröffentlichung: 08.09.2009

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