Ich stehe vorm Kleiderschrank.
Um mich herum ein endloses Chaos aus bunten Röcken, Kleidern, Oberteilen …eben allem, was mein Kleiderschrank hergibt.
Alles bestenfalls ein Fall für die Altkleidersammlung, aber sicherlich nicht für einen gelungenen, atemberaubenden Auftritt.
Als ich zum 200. Mal an diesem Abend vorm Spiegel stehe, bin ich mir sicher, dass ich seit heute Morgen mindestens 10 Kilo zugenommen habe.
„Scheiße! So kann ich doch nicht rumlaufen.“
So langsam läuft mir auch die Zeit davon.
Ich muss dringend etwas mit meinen Haaren machen.
„Verdammt! Ich seh´ ja aus, wie Don King!“
Also wieder ins Bad. Gel, Schaum und Haarspray haben schon längst dafür gesorgt, dass das Nest auf meinem Kopf zu einem undurchdringlichen Gestrüpp mutiert ist.
Ein Blick auf die Uhr.
O.K. Noch mal Haare waschen.
Als ich mit rotem Kopf wieder in den Spiegel schaue…“Hilfe! Was ist das?“ Eine allergische Reaktion? Rote Pocken! An jedem anderen Tag - wegen mir! Aber nicht JETZT!
Also. Ganz schnell Make up!
„Miau!“
„Oh, Süßer! Du hast Hunger, was?“
In die Küche. Napf voll, zufriedenes Schmatzen, gut.
Wieder zum Kleiderschank.
„So, atme tief durch. Überlege. Konzentrier dich.“
Mein Blick fällt auf das einzig im Schrank verbliebene Kleidungsstück.
Ein schwarzes knielanges Kleidchen mit kurzen Puffärmelchen.
Darüber die Jeansjacke.
„Warum nicht sofort?!“ Nicht zu leger, nicht zu aufgedonnert. Prima.
Ich lege das Kleid auf´s Bett und renne wieder ins Bad.
Wieder der Blick auf die Uhr.
O.K. Für die große Farbberatung reicht es nicht mehr.
Den brombeerfarbenen Lidschatten, gemischt mit einem Hauch rosé.
Schwarzer Kajal, ganz dezenter Lippenstift.
Ach ja, die Wimperntusche.- XXL Boost für den verführerischsten Augenaufschlag ever. „Yeah! Pimp my face!“
Naja. XXL Spinnenbeine, trifft´s wohl eher.
Spiegelkontrolle.
Erinnert ein wenig an Bauernmalerei.
Was sagt die Uhr?
Nein. Keine Zeit zum Ab- und wieder Neuschminken.
Egal jetzt. Zu einem bunten Gesicht passt eine schlichte Frisur. Das gleicht aus.
Also, kurz trocknen, Haare locker hochstecken.
„Mist. Wo sind die Klämmerchen?“
Mit einer Hand den Haarwust am Hinterkopf halten, mit der anderen stecken.
„Scheiße, so geht das nicht. Ich muss das sehen!“
Also, alles wieder raus, Alibert aufklappen.
Um meinen Hinterkopf in voller Gänze betrachten zu können, muss ich sehr nah ran.
Zu nah. Verstopfte Poren.
Ein Mitesser! Den sieht er beim Knutschen auf jeden Fall! Was nun?
Ein erneuter Blick auf die Uhr.
Erstmal die Frisur!
„Was für ein Gefummel! Wissen die Typen eigentlich, wie schwierig es ist, auszusehen, als ob man für diese Frisur gerade mal lässige 10 Sekunden gebraucht hätte? Natural look! Alles klar!“
„Miau“ Blick nach unten. Tiger schmeißt sich auf die Badezimmermatte und guckt verführerisch.
„Oh, Süßer! Ich hab jetzt keine Zeit, dich zu kraulen! Mama muss gleich weg und sieht aus, wie eine alte Zahnbürste!“
So. Eine Strähne locker ins Gesicht hängen lassen. Noch mal Haarspray. Wackeltest.
Bei jedem Wetter, 3 Wetter Spast. Da würde ich nicht drauf wetten.
So, ab in´s Schlafzimmer. Anziehen.
Als ich um die Ecke biege, kotzt Tiger auf mein Kleid.
„Aaaahhhh!“
Wo ist mein Fleckweg – Stift?
Erstmal das Grobe mit ´nem Küchenkrepp runter.
Der verdammte Fleckenentferner liegt ganz hinten im Schrank unter der Spüle.
Alles raus.
Die Küche sieht aus, wie ein Chemielabor.
Wie eine Furie rubbele ich wild auf dem bekotzen Stoff herum.
So. Noch kurz mit einem nassen Lappen drüber.
„Wenn man es nicht weiß, dann sieht man es nicht.“
Ganz vorsichtig – die Frisur - ziehe ich das Teil über den Kopf.
Noch ein wenig zurechtzupfen, glatt streichen.
Spiegelprobe.
„Ich brauche meinen Bauchweg - Schlüpper.“
Also an die Schublade. „Wo ist der denn?“
Alles raus.
Umständlich zerre ich mir das Ding über den Arsch.
„Boah! Schönen Gruß an die Eierstöcke. Ist das eng!“
Etwas eingequetscht, aber mit mindestens 3 Kilo weniger erneut vor den Spiegel.
Zupfen, glatt streichen. O.K.
Welche Schuhe ziehe ich eigentlich an? Schuhschrank auf.
Verzweiflung macht sich breit.
Stiefel. Stiefel sind gut. Wo sind die Schwarzen? Alle Treter raus. Da hinten.
Natürlich.
Murphys Gesetz. Immer ganz hinten.
„Ich hatte vergessen, wie hoch diese scheiß Absätze sind! Egal. Ich kann sitzen. Wir werden ja keinen Marathon durch die Stadt veranstalten.“
Wie spät?
Mist! Noch schnell das Feintuning.
Ohrringe. Die Neuen aus Marokko. Aber wo?
„Lass mich raten. Ganz unten in der Schachtel. Jap.“
Das Handy klingelt.
Er wartet draußen. Gut.
Noch mal ins Bad. Dingsbums No.7. Seperates the woman from the girl.
Ein letzter Blick in den Spiegel.
„Hab ich eine Tasche? Nein!“
Schrank auf. Taschensichtung. Er wartet nun schon seit 5 Minuten.
Die klitzekleine Rote. Sehr schick.
„Wie krieg ich jetzt den ganzen Kram da rein? Portmonee? Brauch ich sicher nicht.“
Noch mal schnell aufs Klo.
Der Bauchweg- Schlüpper kostet locker weitere 5 Minuten.
So. Jetzt aber.
Noch ein Blick auf das Schlachtfeld „Wohnung“.
Tiger schläft eingerollt auf meinem Klamottenberg.
Wie lange ist es her, seit er angerufen hat?
Die Jacke über die Schulter geworfen, das Klitzekleine unter den Arm geklemmt.
Ich renne aus der Wohnungstür.
An der Ecke drossele ich mein Tempo, gehe gemächlich und betont lässig auf ihn zu.
Er lehnt am Auto und zieht genüsslich an seiner Zigarette.
„Wow! Du siehst toll aus!“
„Oh! Keiner Rede wert. Ich wollte mich eigentlich noch ein wenig schick machen, aber ich hab total die Zeit vergessen.“
Tag der Veröffentlichung: 14.02.2010
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