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Es lebte einmal vor langer Zeit ein Ritter namens Balthasar. Er wohnte in einer Burg, die eher einer Ruine glich. Der Ritter war sehr arm. Er hatte nur ein Pferd, zwei Ziegen und fünf Hühner. Nur einen Diener hatte er, und dieser Diener konnte keine schwere Arbeit verrichten, da er zu alt dafür war.
Aber Balthasar war sehr gläubig und hatte ein gutes Herz. Wie es sich für einen guten Ritter gehörte, war er ein Meister des Schwertkampfes und ein guter Reiter.

Als der König den Rittern des Landes befahl, sich dem Kreuzzug anzuschließen um die heilige Stadt Jerusalem von den Seldschuken zu befreien, nahm Balthasar sein Pferd, seine Rüstung und sein Schwert, und zog mit dem Kreuzzug ins Morgenland.
Viele Jahre kämpfte Balthasar im heiligen Land vor Jerusalem. Er war ein guter Krieger, der keine Furcht zeigte. Tapfer führte er sein Schwert für seinen König und seinen Glauben in allen Schlachten. Nichts konnte ihn in Angst versetzen, er zeigte weder Furcht vor den Schwertern der Seldschuken, noch vor deren Pfeilen.
In einem seiner Kämpfe rettete er einem Grafen das Leben. Der Graf hieß Rudolf und war ein reicher Adliger. Dieser Graf hatte den tapferen Ritter in sein Herz geschlossen, da er selber keine Söhne hatte. Balthasar und Graf Rudolf wurden gute Freunde und Kriegsgefährten, sie kämpften Seite an Seite für die Befreiung Jerusalems. Eines Tages versprach der Graf:
„Ich habe nur eine Tochter. Sie heißt Anna, und sie ist die schönste Frau des Landes. Ich werde dir Anna zur Frau geben. Ich habe keine Söhne, du wirst meine Tochter heiraten und nach meinem Tod meinen Titel und mein Gut erben. Du bist ein wahrer Christ und tapferer Mann. Einen besseren Schwiegersohn kann ich mir nicht wünschen!“

Als der Kreuzzug vorbei war und Balthasar aus Palästina zurückkehrte, hatte er keine Schätze mitgebracht, nur das Versprechen des Grafens, dass er eines Tages seine Tochter, die schöne Anna, heiraten würde.
Kurz darauf kam schon ein Bote des Grafen. Der Bote brachte einen Brief, in dem stand, dass Balthasar unverzüglich zum Grafen reiten sollte, da der Graf wollte, dass Ritter Balthasar seine Tochter heiratete. Der Ritter freute sich seinen Kriegsgefährten wieder zu sehen und seine schöne Tochter heiraten zu dürfen. Er überließ seinem alten Diener die Burg, die Ziegen und Hühner, und machte sich auf den Weg nach Norden.
Zwanzig Tage dauerte Balthasars Reise in den Norden. Er musste nur noch einen großen und dichten Wald durchqueren, um das Schloss des Grafens zu erreichen. Der Wald war unheimlich und finster. Balthasar musste von seinem Pferd absteigen und zu Fuß einen schmalen Pfad nehmen. Und so verirrte er sich im Wald.
Es wurde langsam dunkel. Da sah der Ritter ein Licht zwischen den Bäumen. Als er näher kam, entdeckte er eine Waldhütte.
Ich frage nach dem Weg zum Schloss und übernachte hier, dachte der Ritter und klopfte an der Tür. Aus dem Haus kam eine Greisin. Sie war uralt, hatte eine krumme Nase und einen Buckel. Ihre Kleidung bestand nur aus Lumpen. Sie fragte Balthasar, wohin den schönen Herrn sein Weg führe. Der Ritter erzählte der alten Frau, dass er unterwegs zum Schloss des Grafen Rudolf war um seine Tochter, die schöne Anna zu heiraten. Die Alte lachte:
„Du wirst die schöne Anna nie heiraten!“
„Du bist alt und hast deinen Verstand verloren! Ich werde Anna heiraten!“, sprach Balthasar ärgerlich.
Die Alte lachte wieder und sagte boshaft:
„Ach, wenn es so ist, dann reite ich gleich mit dir und zeige dir den Weg zum Schloss!“
„Mein Pferd ist müde und muss sich ausruhen.“, erwiderte der Ritter. Aber die Greisin gackerte boshaft und sprang auf seinen Rücken. Sie packte ihn fest an seinen Schultern und schrie:
„Ich brauche kein Pferd um zu reiten! Du bist mein Pferd!“
Balthasar wollte sie von seinem Rücken abwerfen, aber sein Körper hörte nicht auf ihn, er konnte seine Hände und Beine nicht bewegen. Der Ritter wollte schreien, aber seine Kehle war wie verschnürt.
„Ich bin verloren! Sie ist eine Hexe!“, dachte der Ritter mit Entsetzen , aber er konnte kein Wort aussprechen. So stieg er in die Luft, höher und höher, bis er über den Bäumen war. Die alte Hexe saß auf seinem Rücken und hielt ihn fest. Sie flogen über den dunklen Wald. Dann sah der Ritter das Schloss und dachte:
„Es muss das Schloss des Grafen sein. Wenn mich so der Graf und seine Tochter, die schöne Anna sehen…“
Balthasar nahm alle seine Kräfte zusammen und sprach:
„O Gott, Allmächtiger! Hilf mir!“
Als er das aussprach, wurde der Griff der Hexe nachgiebiger, der Ritter schüttelte sie von seinem Rücken und sie fielen herunter. Die Alte schrie und schimpfte.
Als die beiden am Boden waren, wollte die Hexe wieder auf seinen Rücken springen, aber Balthasar schlug sie mit voller Wucht mit seiner Faust. Die Alte war nicht schwach, sie schlug zurück. Die Hexe kämpfte mit dem Ritter, sie kreischte und sprang auf Balthasar. Mit ihren langen, krummen Fingernägeln bohrte sie sich in seine Haut. Nach langem Kampf überwältigte der Ritter die Hexe, zog sein Schwert und erschlug sie.
Dann aber konnte er seinen Augen nicht trauen: Die alte und hässliche Hexe verwandelte sich in einer wunderschöne, junge Frau. Die Frau trug ein prächtiges Kleid und sah wie eine Prinzessin aus. Sie erblickte der Ritter, dann schloss sie ihre schönen Augen und starb. Erstaunt sah Balthasar die Frau an und wusste nicht, was er machen sollte. Er ließ sie so liegen und lief zurück in den Wald, um sein Pferd zu suchen. Die ganze Nacht suchte er die Waldhütte, wo er sein Pferd gelassen hatte, aber konnte sie nicht finden. Der Morgen kam, und er ging zu Fuß zum Schloss des Grafen.
Als er gegen Abend das Schloss endlich fand, hörte er lautes Klagen und Weinen.
Der Graf hieß ihn willkommen und berichtete mit große Traue:
„Ein Unglück ist geschehen! Meine Tochter ist tot! Wir fanden sie heute früh nicht weit vom Schloss, sie wurde erschlagen! So mein lieber Balthasar, du kommst nicht zur Hochzeit, sondern zu einer Beerdigung!“
Sogleich begriff Balthasar, wer diese Hexe war, und ihm war nicht gut zumute. Er konnte es nicht Graf Rudolf erzählen, dass seine Tochter eine Hexe war, er wollte seine Trauer nicht verschlimmern. Der Ritter wollte sofort zurück nachhause reiten, aber der Graf bat ihn, bis zur Totenfeier zu bleiben und seine Trauer mit ihm zu teilen. Balthasar konnte ihm diese Bitte nicht abschlagen und blieb.
Anna, die Tochter des Grafens, wurde in einen Sarg gelegt. Dieser Sarg wurde in der Familienkirche des Grafen gestellt. Vom nahe liegenden Kloster kam ein Mönch, um eine Totenmesse für die Verstorbene zu halten. Die ganze Nacht las er die Totenmesse. Aber morgens fanden die Leute den Mönch tot vor dem Sarg. Seine Augen waren starr und weit aufgerissen, als ob er zu Tode erschrocken worden wäre. Die Leute kreuzigten sich und waren verängstigt.
In der nächsten Nacht kamen noch zwei Mönche aus dem Kloster, um die Seelenmesse bei Annas Sarg zu halten. Am nächsten Morgen fanden die Leute die beiden Mönche tot. Sie lagen bei Annas Sarg. Ein großer Schreck spiegelte sich in ihren toten Augen.
Die Leute redeten, dass alles nicht mit rechten Dingen zuging. Es war Hexerei, raunten sie sich zu und kreuzigten sich.
Die anderen Mönche des Klosters weigerten sich eine weitere Nacht beim Sarg zu verbringen.
Sie sagten: „Der Teufel ist hier im Spiel.“
Der Pfarrer wollte aber nicht ohne die Seelenmesse die Tochter des Grafens beerdigen. Der Graf war verzweifelt. Er ließ Ritter Balthasar zu sich rufen und flehte ihn an:
„Du bist der tapferste und mutigste Ritter, den ich kenne! Dein Glaube an Gott ist sehr stark! Stehe eine Nacht bei der Totenmesse meiner Tochter. Ich werde dich dafür reichlich belohnen: Du wirst nach Hause reiten mit einem prächtigem Ross und der Tasche voller Gold!“
Balthasar war es unheimlich, er wollte kein Gold, aber ein Pferd brauchte er, um nachhause zu reiten und so stimmte er zu.
Als es dämmerte, nahm er ein Gebetbuch und ging in die Kirche, wo Annas Sarg stand. Er zündete viele Kerzen an und begann aus dem Gebetbuch zu lesen. Der Ritter schwur sich selbst, nicht in die Richtung des Sargs zu schauen. Er wollte diese Nacht überstehen und dann schnellsten nach Hause reiten. Aber er konnte sich nicht beherrschen und erblickte die Leiche im Sarg. Annas Leichnam war sehr schön, man konnte denken, dass sie im Sarg schlief. Balthasar seufzte mit Bedauern und las weiter aus dem Buch.
Nach Mittennacht hörte er Heulen und Schreien. Der Ritter las im Buch weiter und hob seinen Kopf nicht. Das Heulen und das Schreien wurden lauter und lauter, aber er las weiter. Ohrenbetäubend rief eine Stimme:
„Du hast mich umgebracht! Mörder!“
Der Ritter konnte es nicht länger aushalten, nicht hin zu sehen. Er blickte zu Annas Leichnam. Er sah Anna, die schöne Tochter des Grafen, im Sarg aufrecht sitzen. Sie streckte ihre Arme zu Balthasar und der Sarg stieg in die Luft. Der Ritter sah, wie der Sarg in der Kirche um ihn herum flog, Anna saß da drin und schrie ohrenbetäubend. Die Wände der Kirche wackelten, das Kerzenlicht erlosch und ein kalter Wind brauste heran.
Plötzlich hing der Sarg in der Luft direkt vor Balthasar. Anna, die im Sarg saß, starrte dem Ritter in die Augen. Kalte Angst packte Balthasars Herz, aber er sprach laut das Gebet und sah der Toten direkt in die Augen. Seine Haare wurden vor Schreck grau, er zitterte, aber sprach das Gebet weiter. Nur nicht das Beten aufhören, dachte Ritter Balthasar entschlossen. Und so betete er viele Stunden, bis der Morgen kam.
Als der erste Hahn krähte, wurde es still. Der Sarg war auf seinem Platz, die Tochter des Grafen lag ruhig darin. Balthasar kam aus der Kirche heraus, mit grauen Haaren sah er wie ein Greis aus, sein Blick war elend. Zu keinem sprach er ein Wort . Der Ritter wollte sich nicht einmal vom Grafen verabschieden, sondern ging direkt in das Kloster und bat um seine Aufnahme.
So wurde Ritter Balthasar zu einem frommen Mönch. Er erzählte keinem was in dieser Nacht in der Kirche, als er die Totenmesse bei Annas Sarg las, geschah. Balthasar verließ nie wieder die Mauern des Klosters. Tag und Nacht betete er zu Gott für Annas verteufelte Seele und dankte Gott für den Beistand in dieser schrecklichen Nacht.


Impressum

Texte: Cover Bild von der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 02.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Geschrieben nach dem Märchen "Der Wij" von Gogol Ich habe viel verändert, möge Herr Gogol mir verzeihen!

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