Es lebte einmal in einem kleinen, aber märchenhaft schönen Königreich eine Schneiderin. Sie hieß Luise. Die Schneiderin war keine Schönheit. Sie hatte rote Haare und eine lange Nase, die sie überall reinsteckte, da sie die neugierigste Frau im ganzen Königreich war.
Luise musste einfach alles herausfinden, alles wissen, alles riechen, sich überall einmischen. Sie wusste Bescheid über alle Heiratspläne, in welcher Familie und wann Nachwuchs zu erwarten sei. Die Schneiderin wusste alles über die Liebesgeheimnisse und Träume der Hofdamen. Sogar Kleinigkeiten blieben ihr nicht verborgen: Welchen Wein trank der Marquis, was aß der Comte zu Mittag, welche Blumen liebte die Baronesse.
In diesem Königsreich regierte ein alter und gutmütiger König, der Musik und Tanz sehr liebte, darum wurden im Königspalast viele Feste gefeiert. Die Hofdamen brauchten ständig neue Kleider um sich auf den Ball zu präsentieren und zu tanzen.
Die Schneiderin wurde oft gerufen um Kleider für Damen zu fertigen. Die Hofdamen schwatzten gern mit der Schneiderin über sich selbst und über andere, so blieb Luise immer auf dem Laufenden was im Königreich und auch bei Hofe geschah.
Der König hatte einen einzigen Sohn, den Thronfolger Prinz Leopold. Da im Königreich immer Frieden herrschte, zog der Prinz ins Nachbarland, da dort ständig ein Krieg mit kriegerischen Nachbarn geführt wurde. Prinz Leopold wollte Kampferfahrung sammeln. Ihn begleitete ein großes Gefolge von Adligen, unter denen auch sein Onkel, Comte Luis war. Hauptaufgabe des Comte war auf den Prinzen aufzupassen, dass ihm nichts zustieße.
Nach einigen Jahren starb der alte König. Diese traurige Botschaft wurde zum Prinzen geschickt: Der König war tot. Der Thronfolger sollte zurückzukehren und seinen Platz als König einnehmen.
Alle warteten ungeduldig auf den Prinzen, aber es vergingen Monaten und Prinz Leopold kam nicht zurück.
Zurück kam aber sein Onkel mit Gefolge. Der Comte berichtete mit großer Trauer, dass Prinz Leopold in der letzten Schlacht gefallen sei. Sein Onkel wurde jetzt König Luis XI.
Man trauerte nicht lange um den Prinzen. Es wurden wieder viele Feste bei Hofe gefeiert, die Feste zur Ehre des Königs Luis. Die Schneiderin hatte wieder viel Arbeit, sie musste für die Damen schöne Kleider anfertigen. So ging das Leben am Königshof weiter, die Schneiderin hörte alles was im Palast geschah und ihre Neugierde war befriedigt.
Es wurde viel beim Hofe geredet und getratscht, aber das Hauptthema war der Königs Luis Bart. Der neue König hatte einen lockigen Vollbart. Er war sehr stolz auf ihn, und alle Damen bei Hofe schwärmten: Wie gut sah der Königsbart aus, wie weich musste er sein, wie glanzvoll war er.
Luise platzte vor Neugier: Wie fühlt sich dieser Bart wirklich an? Fühlt sich der glatt wie Seide, oder flauschig wie Wolle an? Die Schneiderin konnte nicht schlafen, konnte nicht essen - sie musste das einfach raus finden!
Eines Tages wurde sie zu einer Hofdame gerufen, um sie für ein neues Kleid abzumessen. Als die Schneiderin fertig war, ging sie nicht aus dem Palast, sondern versteckte sich und wartete bis in die tiefe Nacht. Als alles schlief, schlich sie sich zum königlichen Schlafgemach. Auf Zehenspitzen ging Luise an den Wächtern vorbei und näherte sich dem Bett des Herrschers …
Im Bett schlief der König, er schnarchte und sein Bart bewegte sich im Schnarchtakt. Als Luise ihre Hand ausstreckte um seinen Bart anzufassen, wurde der König plötzlich wach. Er öffnete seine Augen und schrie:
„Wachen! Wachen! Haltet den Mörder!“
Die Wachen stürzten ins Schlafgemach und hielten Luise fest. Die Schneiderin versuchte alles zu erklären, aber keiner wollte sie anhören.
Sie brachten die Arme ins Gefängnis und sperrten sie in eine Zelle ein. Die Schneiderin jammerte und klagte, aber keine Hilfe kam. So weinte sie den ganzen Tag, gegen Abend war sie müde, aber die Arme Schneiderin konnte nicht schlafen.
In der Nacht hörte Luise ein Klopfen an der Wand. Es kam aus der Zelle nebenan. Luise wurde neugierig: Wer klopft dort? Sie konnte von Neugierde platzen, an das Schlafen war nicht zu denken.
Dann kam der Morgen, und in der Nachbarzelle klopfte und klopfte es immer noch. Luise sah sich um: Ihre Gefängniszelle hatte ein Fenster, das direkt zum Hof ging. Es war nicht schwer aus dieser Zelle zu fliehen, da die Schneiderin einen Beutel voller Stoffmuster hatte, und auch noch eine Schere und viele Nägel und Fäden in verschiedenen Farben. Ich könnte aus dem Stoff ein Seil binden, dieses aus dem Fenster lassen und entkommen, dachte Luise.
Es war leicht zu fliehen, aber nicht für die Schneiderin Luise, da sie sehr neugierig war: Wer klopfte nebenan? Das ließ ihr keine Ruhe! Sie musste das rausfinden!
Und statt nach draußen zu klettern, schlug Luise mit den Scheren an die Wand zur Nachbarzelle. Die Wand war baufällig und morsch, sie brach Stück für Stück, und nach einer Weile schlug Luise ein Loch in der Wand. Sie kletterte durch die Öffnung in die Nachbarzelle. Dort entdeckte sie Prinz Leopold!
Der Prinz berichtete Luise, wie er von seinem Onkel und den treulosen Rittern aus seinem Gefolge verraten wurde. Die Verräter brachten ihn heimlich in der Nacht in sein Königreich und sperrten ihn ins Verlies ein.
Die Schneiderin knüpfte ein Seil aus Musterstoffen, die in ihrer Tasche waren. So konnten sie gemeinsam, Luise und Prinz Leopold, fliehen. Sie eilten direkt zum Palast um Leopolds Onkel in Hochverrat zu überführen.
Als die Leute den Prinzen sahen, wurde der böse Onkel und alle Ritter des verräterischen Gefolges verhaftet und wegen Hochverrat zu lebenslanger Haft verurteilt. So brachten sie den Onkel in die Zelle, in der vorher Prinz Leopold saß.
Der neue König, Leopold II gab sofort den Befehl die Wände des Gefängnisses auszubessern, damit keiner so leicht aus der Zelle ausbrechen konnte.
Der König heiratete die Schneiderin Luise, da er ihre Klugheit und Treue hoch schätzte.
So wurde aus der Schneiderin, Königin Luise.
Und sie war eine gute Königin!
Von da an herrschten Frieden und Ruhe im Königreich, es gab keine Verschwörungen und keinen Verrat mehr, da Königin Luise alles wusste, was im Königreich geschah: Sie wusste, was der Marquis dachte, was der Baron fühlte, was der General murmelte, und was der Comte dem ersten Minister zuflüsterte. Wenn die Königin Luise einen Verrat roch, konnte man ihn stoppen bevor es gefährlich wurde!
Tag der Veröffentlichung: 15.05.2009
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