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Prolog

Nachdenklich ließ der Engel den Blick über die weite Landschaft schweifen, wobei die spielenden Kinder in sein Blickfeld fielen. Der Wind trug ihr Gelächter zu ihm herüber, was auch auf seinen Zügen ein kleines und erfreutes Lächeln verursachte. Er beneidete die Sprösslinge um ihre ungestüme Art und wünschte, sie könnten ihm etwas von dieser Sorglosigkeit abgeben, doch leider war er schon viel zu alt, als dass dies etwas gebracht hätte. Im Gegensatz zu ihnen wusste er, dass das Leben nicht so schön und friedlich war, wie es einem der strahlend blaue und stille weite Himmel weiß machen wollte.

Als Lemy ihn auf einem der Balköne des Palastes entdeckte, winkte sie ihm fröhlich zu, was der Erzengel natürlich nicht ignorieren konnte, und so winkte er zurück.

In letzter Zeit gingen ihm die Kinder besonders auf die Nerven. Er hätte es zwar nicht für möglich gehalten, doch sie vermissten die Frau, die hier vor kurzem noch für unglaubliches Chaos gesorgt hatte. Er konnte es ihnen nicht verübeln, denn irgendwie hatte er sie auch ins Herz geschlossen. Sie hatte etwas an sich, was einen in den Bann zog. Sie war so unglaublich stark und gleichzeitig fast genauso unbekümmert wie die Kinder. Selbst der Teufel war von ihr fasziniert. Und man staune, er hatte diese Frau doch tatsächlich zu der Seinen gemacht. Camael war zu der Frau des Teufels geworden und herrschte nun gemeinsam mit ihm über die Unterwelt. Und sie machte ihre Sache sogar richtig gut, wie er neidlos anerkennen musste. Mehrere Monate waren vergangen, nachdem sie heimlich ihren Pakt geschlossen hatten, sich gegenseitig zu helfen, und seitdem trafen die drei sich regelmäßig auch weiterhin heimlich. Während dieser Treffen tauschten sie sich über die wichtigsten Geschehnisse aus.

Ihre letzte Verabredung lag nur wenige Stunden zurück und hatte ergeben, dass Camael auch weiterhin sehr fleißig war. Nur ihr war es zu verdanken, dass die Dämonen in der Welt der Menschen keinen Unfug mehr trieben. Aus diesem Grund mussten die Erzengel also keine Dämonen mehr töten, womit widerrum Samael ziemlich geholfen war. Im Gegenzug hatte er ihnen verraten, was seine Geschwister so trieben.

In ihrem großen Kampf hatten alle solch schwerwiegende Verletzungen davongetragen, dass selbst heute, nach mehreren Monaten, noch keiner von ihnen vollständig genesen war. Zum Glück, wie er fand, denn so konnten sie den Frieden noch eine Weile genießen. Der würde allerdings nicht mehr lange währen, denn dass Gabriel tot war, hatte deutliche Spuren hinterlassen und dies würde kein Erzengel akzeptieren.

Seufzend wandte Michael sich von dem bildhübschen Panorama ab. Er selbst empfand Bedauern und Trauer über den Tod seines ebenfalls uralten Bruders, doch seltsamerweise empfand er auch tiefstes Verständnis für Samael und seine Frau. Gabriel mochte seinen Job als Erzengel hervorragend gemacht haben, doch ausnahmslos jeder in Amarya wusste auch, welch grausamer Bastard er gewesen war. Hoffentlich würden seine anderen Geschwister daran denken, wenn ihre Verletzungen vollständig verheilt waren...

 

 

Kapitel 1

 

In ein Buch vertieft bemerkte Michael auf einmal, dass er beobachtet wurde.

„Du brauchst dich nicht zu verstecken, Kind“, durchbrach er entspannt die Stille der Bibliothek.

Das leichte Prickeln wurde von einem der Kinder verursacht, doch bisher hatte sich nie eines getraut, einen Erzengel in den Hallen des Wissens zu stören.

Michael vernahm die leisen Schritte und hob neugierig den Blick, worauf das Mädchen Lemy in sein Blickfeld fiel. Überrascht lehnte er sich zurück, wobei er das Buch sinken ließ.

„Lemy? Was machst du denn hier?“, fragte er sanft. Er verbannte den Erzengel aus seiner Stimme und sprach ganz behutsam, weil er wusste, wie empfindlich die Jünglinge waren. Sie waren unglaublich ängstlich, was man ihnen allerdings noch früh genug austreiben würde. Engel waren mit Sicherheit keine ängstlichen Wesen.

„Störe ich dich?“, fragte Lemy schüchtern, worauf Michaels Lächeln breiter wurde. Dieses Kind war unglaublich. Ungewöhnlich freundlich und sanft und unglaublich fügsam. Der Erzengel war sich noch nicht sicher, ob er ihre Entwicklung positiv oder negativ finden sollte. All die Kinder waren so wild und ungestüm, so wie es sein sollte, doch Lemy nicht. Sie war viel zu bedacht für die wenigen Jahre, die ihr Leben erst andauerte.

„Du könntest nie stören, Lemy. Wie kann ich dir helfen?“, erwiderte Michael nun und deutete vielsagend auf den freien Stuhl an seiner Seite. Mit einem zaghaften Lächeln nahm das Mädchen darauf Platz, es dauerte jedoch noch einen Moment, bis sie sich traute zu sprechen.

„Darf ich dir eine Frage stellen, Michael?“, flüsterte sie schließlich.

Überrascht zog der Mann die Augenbrauen hoch. Ein Kind sollte doch nicht um Erlaubnis fragen müssen, ging es ihm durch den Kopf.

„Du darfst mich jederzeit alles fragen, Lemy. Was möchtest du denn wissen?“, antwortete er gelassen, worauf Lemy unruhig auf ihrem Platz hin und her rutschte. Nanu? Da bekam man ja fast den Eindruck, dass es hier nicht gerade um eine Kleinigkeit ging. Lemy war nämlich ein kluges Mädchen und sie druckste mit Sicherheit nicht ohne Grund so herum.

„Wann kommt Camael wieder?“, platzte es dann auch schon aus ihr heraus. Gleichzeitig war Michael wie versteinert. Verdammt. Dass sie sich um Camael Gedanken machte, war alles andere als ein gutes Zeichen.

„Lemy, Liebes, warum machst du dir über diese Frau Gedanken?“, erwiderte Michael ganz sanft. Seine Geschwister wären bei der Erwähnung dieses Namens wohl ausgeflippt, umso wichtiger war es, dass er selbst sich nicht das geringste anmerken ließ. Es schien zu funktionieren, denn Lemy fasste ein wenig Mut.

„Die Kleinen vermissen sie. Und ehrlich gesagt, hab ich sie auch ziemlich gern.“

Sie musste gar nicht mehr sagen, Michael verstand es auf der Stelle. Die Kinder betrachteten Camael als vollwertigen Engel und sie hatten nicht die geringste Ahnung davon, dass Camael absolut nichts himmlisches mehr in sich trug. Michael hatte keine Ahnung, ob er Lemy die Wahrheit sagen konnte oder ob er sich einfach eine harmlose Geschichte ausdenken sollte.

„Camael wird leider nicht mehr herkommen“, meinte er schließlich vorsichtig, worauf die unterschiedlichsten Regungen in dem Gesicht des Mädchens auszumachen waren.

„Warum nicht? Mag sie uns nicht mehr?“, kam es von ihr zurück. Die Traurigkeit in ihrem Gesicht verursachte bei Michael sogleich ein schlechtes Gewissen. Ach, verdammt.

„Natürlich mag sie euch noch. Es ist ein wenig schwierig und ich fürchte, du bist noch ein wenig zu klein für diese Geschichte“, versuchte er es, mehr schlecht als recht, zu erklären. Aber wie sollte er auch einem zwölf Jahre alten Mädchen erklären, dass ein Halbengel sich in den Teufel verliebt hatte, seinetwegen zu einer Dämonin geworden war und nun mit ihm die unteren Gefilde regierte? Er konnte es ja selbst kaum glauben.

Es wunderte ihn natürlich kein Stück, als Lemy schmollend den Mund verzog.

„So klein bin ich gar nicht mehr“, protestierte sie, was dem Erzengel auch schon wieder ein Lächeln entlockte. Liebevoll legte er dem Mädchen die Hand auf den Scheitel.

„Nein, natürlich nicht, entschuldige bitte. Dann lass es mich so sagen: Camael hat sich in einen Mann verliebt, der leider nicht zu uns gehört. Und um bei ihm sein zu können, musste Camael uns leider den Rücken kehren.“

Das klang doch ganz passabel, entschied er. Doch er hatte nicht mit der Neugier von Lemy gerechnet. Sie machte große Augen und lehnte sich sogleich ganz neugierig ein wenig vor.

„Oh, eine Liebesgeschichte! Wenn Camael nicht einfach herkommen kann, können wir dann nicht einfach zu ihr?“, fragte sie hoffnungsvoll. Ach du großer Gott! Was hatte er da nur angerichtet? Natürlich konnte er mit Lemy einen kurzen Trip zu Camael wagen, doch das hieße, dass Lemy seinen Geschwistern gegenüber nicht auch nur das kleinste Sterbenswörtchen darüber erwähnen durfte. Und Lemy wurde, so wie alle anderen Kinder in Amarya, dazu erzogen keine Geheimnisse zu haben. Und zu lügen war erst recht verboten.

„Ach, Lemy“, seufzte er. „Vermisst du Camael denn so sehr?“
Das Kind nickte betreten.

„Sie ist immer so lieb zu uns gewesen und mit ihr hat man viel Spaß. Mit ihr hat sogar das blöde Lernen Spaß gemacht. Können wir bitte zu ihr? Ich werde auch niemandem etwas davon sagen, wenn du es möchtest!“

Sie sah so flehend und hoffnungsvoll zu ihm auf, dass Michael einfach nicht nein sagen konnte.

Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht und legte sich dann schnell einen Plan zurecht.

„Also gut, Lemy, pass auf. Du wirst zu niemandem ein Wort darüber verlieren, auch nicht zu Malea. Und wenn doch mal jemand etwas bemerkt, sagst du, dass dies ein Geheimnis zwischen dir und einem Erzengel ist. Hast du verstanden?“, grummelte er leise, worauf Lemy ihm jubelnd um den Hals fiel. Brummend erwiderte er ihre Umarmung. Klasse. Er würde mit einem Kind einen Ausflug in die Hölle machen...

 

„Gute Arbeit, Béla. Vielen Dank“, sagte die Dämonin und klopfte dem Jüngling anerkennend auf die Schulter, ehe sie ihm einen schmalen Ordner aus der Hand nahm.

Um sich die Arbeit zu erleichtern, hatte die Herrscherin angeordnet, Béla solle eine Liste erstellen, die alle Namen der Dämonen enthielt, die in Vergangenheit besonders auffällig gewesen waren. Es hatte einige Zeit in Anspruch genommen, weshalb der Bursche sich ihr Lob wohlverdient hatte, doch der Teufel sah dies offenbar anders. Denn in diesem Moment stieß er ein lautes Brummen aus.

„Sei gefälligst nicht so nett zu unseren Untergebenen“, wies Samael sie zurecht, doch Camael verdrehte nur die Augen.

„Béla ist ein guter Junge und selbst du kannst ihm gegenüber nicht laut werden. Also krieg dich ein“, murmelte sie in seine Richtung. Dann bemerkte sie aber, dass Béla noch immer vor ihr stand und sie abwartend ansah. Irritiert hob sie den Blick vom Ordner.

„Hast du noch was vergessen?“, fragte sie, worauf der Junge einen unsicheren Blick über seine Schulter warf.

„Da wäre tatsächlich noch etwas. Besuch für euch, um genau zu sein.“
Camael sah zu ihrem Mann, der auf seinem Thron saß und gerade misstrauisch die Augen zusammenkniff. Camael hätte am liebsten ähnlich reagiert, denn sie erwarteten überhaupt keinen Besuch.

„Erwartest du jemanden?“, knurrte Samael, doch der Blick seiner Gemahlin war ihm Antwort genug. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Béla und befahl ihm somit stumm, sich unverzüglich darum zu kümmern. Und während der Junge aus dem Saal verschwand, um dem nachzukommen, ging Camael zu ihrem eigenen Thron, um den Ordner in ihrer Hand darauf abzulegen. Dann stellte sie sich an Samaels Seite und ließ eine Hand in seinen Nacken gleiten.

„Was ist los mit dir? Du bist so gereizt in letzter Zeit. Dieses Kribbeln auf der Haut ist ziemlich unangenehm“, sagte sie leise. Nachdem sie sich aneinander gebunden hatten, waren sie unglaublich glücklich gewesen, doch nachdem Camael angefangen hatte an seiner Seite zu arbeiten, war Samaels Laune immer schlechter geworden.

Camael hatte mit schlechtem Gewissen darüber nachgedacht, ob sie ihre Arbeit vielleicht falsch machte, oder ob er vielleicht überhaupt nicht wollte, dass sie ihm half, doch er hatte sich nie schlecht darüber geäußert. Ganz im Gegenteil, hin und wieder hatte sie ein kleines Lächeln bei ihm entdecken können, als sie sich einige Dämonen vorgeknöpft oder sie zum Training verdonnert hatte. Also konnte es nicht daran liegen. Aber woran dann? Andauernd surrte die Luft vor unterdrückter Wut und dies verursachte ein unangenehmes Kribbeln und Jucken auf ihrer Haut.

„Ich kann nicht glauben, wie naiv du noch immer bist“, knurrte er auf einmal leise, worauf sie fast die Hand aus seinem Nacken gezogen hätte. Sie ließ sie jedoch wo sie war, um kein falsches Signal zu geben.

„Wie bitte?“, murmelte sie dennoch perplex. Sie konnte nicht glauben, dass Samael das wirklich glaubte. Er war ihr Mann, verdammt noch mal. Er wusste also ganz genau, dass das nicht stimmte!

„Du hast mich schon verstanden“, ging Samael sie an. „Andauernd schwirren Urian und Nilas um dich herum! Lange sehe ich dabei nicht mehr zu, das garantiere ich dir!“
Perplex starrte Camael ihn an. Sie hatte sich noch nicht entschieden, ob sie über diese Erkenntnis lachen oder weinen sollte.

„Du bist eifersüchtig?“, fragte sie schließlich, deutlich belustigt. „Sam, das ist nicht dein Ernst!“, fuhr sie fort, wobei ihr Grinsen immer breiter wurde. Sie nahm die Hand aus seinem Nacken und umfasste anschließend seine Hand.

„Wir trainieren doch bloß zusammen“, meinte sie sanft. „Ich habe mich für dich entschieden, Samael, und wir sind aneinander gebunden. Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass ich das was wir haben kaputt mache, indem ich einem Dämon schöne Augen mache?“

Lange sah Samael ihr einfach nur in die leuchtenden Augen. Natürlich wusste er, dass sie ihn liebte. Sie würde niemals etwas tun, was ihn verletzen könnte. Aber das galt nicht für Urian und Nilas.

Wie lästige Fliegen schwirrten sie um Camael herum und da seine Frau es liebte, viel Haut zu zeigen, war er damit selbstverständlich so gar nicht einverstanden. Es machte den Eindruck als wolle Samael ihr überhaupt nicht antworten, doch das musste er auch gar nicht. Blitzschnell hatte er ihren Oberarm gepackt, dann riss er sie an sich heran und drückte ihr einen forschen Kuss auf.

Camaels Lippen teilten sich, um seiner Zunge Platz zu machen, doch genau in diesem Augenblick räusperte sich jemand. Widerwillig und mit einem gereizten Knurren in der Brust zog Samael sich zurück, nur um dann voller Unglauben seinen ungebetenen Gast anzustarren. Camael tat es ihm nach.

„Michael“, stellte sie fest, doch dann fiel ihr Blick auf das Kind an seiner Seite. „Lemy“, entfuhr es ihr aufgebracht, denn dies war alles andere als in Ordnung. Wütend sprang sie auf.

„Michael, du kannst doch nicht einfach“, begann sie schon schimpfend, da hielt sie auch schon wieder inne. Lemy kam geradewegs auf sie zu und warf sich ihr so stürmisch in die Arme, dass Camael ihre Schwingen nutzen musste, um nicht umgeworfen zu werden.

„Camael“, rief die Kleine so voller Freude, dass sich sogleich ein sanftes Lächeln auf den Zügen der Dämonin ausbreitete.

„Hallo, Lemy. Welch Überraschung. Was machst du denn hier?“
Camael legte ihr die Hände auf die Schultern, um sie dann zurückzuschieben und somit in Augenschein nehmen zu können. Lemy sah doch glatt schuldbewusst drein.

„Wir alle vermissen dich und ich wollte dich unbedingt wiedersehen, auch wenn Michael nicht damit einverstanden war“, erklärte sie kleinlaut, worauf Camael mit hochgezogenen Brauen zu Michael sah. Dieser zuckte hilflos mit den Schultern, was die Frau beinahe schon wieder amüsierte. Unerwartet mischte Samael sich ein. Er stieß ein lautes Knurren aus, was Lemy erst einmal erschreckte, doch der Mann bemerkte es überhaupt nicht.

„Hast du den Verstand verloren? Das ist nun wirklich nicht der richtige Ort für ein Kind“, fuhr er Michael an, wobei auch er sich erhob. Kurz musterte Michael seinen Bruder. Camael hatte ihn verändert, wie er feststellen musste. Seine violetten Augen strahlten mehr denn je und auch zeigte er seine Flügel mittlerweile ganz offen. Vermutlich, weil Camael nicht in der Lage war ihre Schwingen zu verstecken, da brauchte er das ja auch nicht zu tun.

„Das dachte ich auch, aber ihr werdet ihr wohl kaum etwas antun“, antwortete er nun gelassen, worauf Samael erst einmal inne hielt. Dann fiel sein finsterer Blick auf das Kind. Als er dann auch noch an Camaels Seite trat, wich Lemy hastig einen Schritt zurück. Während Camael in die Hocke ging, um die beiden vorsichtig miteinander bekannt zu machen, beobachtete Michael auch weiterhin ruhig das Geschehen.

Camael war in dieser Welt anscheinend ziemlich aufgegangen. So widerspenstig sie in Amarya auch gewesen war, eigentlich war sie ein sehr liebevolle und sanfte Frau, die auf den ersten Blick so gar nicht zu dem Teufel passen wollte. Sie war geduldig und verständnisvoll, mit einem unglaublich großen Herzen. Doch sie war gleichermaßen auch eine Kriegerin. Michaels Blick huschte zurück zu Samael.

Er konnte kaum glauben, dass dieser Mann wirklich eine Frau gefunden hatte. Und dann auch noch eine Frau wie Camael. Er musste irgendetwas an sich haben, womit er das Herz der Frau erobert hatte. Aber Michael kam nicht dahinter, denn sein Bruder war für ihn immer nur der Verräter gewesen, ein gewissenloser Bastard, ebenso wie einst Gabriel. Er fragte sich, warum noch keiner der Erzengel einen Gefährten gefunden hatte. Dies erschien ihm logischer, als dass der Teufel eine Frau fand.
Beschämt wandte Michael rasch den Blick ab. Er hatte definitiv keinen Grund, um eifersüchtig zu sein. Er selbst war ein mächtiger Mann, mit einem wunderschönen Zuhause, also was wollte er mehr?

„Aber du bist viel zu nett, um eine Dämonin zu sein!“, riss ihn Lemys entsetzter Ausruf plötzlich aus den Gedanken. Sah so aus, als hätte Camael ihr alles erklärt. Die Frau lachte, doch der Blick den sie Michael zuwarf machte klar, dass auch sie nicht wusste, wie sie dem Kind die Situation erklären sollte. Samaels leises Knurren erregte ihre Aufmerksamkeit und sie zog anmaßend die Brauen hoch.

„Hör auf damit. Du jagst ihr Angst ein“, mahnte sie.

„Die sollte sie auch haben“, grummelte er, doch damit fing er sich einen Schlag auf die Brust von ihr ein.

„Sam!“, drohte sie leise, da stieß er auch schon ein Seufzen aus und ging in die Knie, um mit dem Mädchen auf einer Augenhöhe zu sein. Er machte zwar ein finsteres Gesicht, gab sich aber sichtlich Mühe.

„Lemy, richtig?“, begann er leise, worauf das Kind zaghaft nickte. Michael sah ihr an, dass sie am liebsten deutlich Abstand genommen hätte. Oh ja, sie wusste ganz genau, wer Samael eigenlich war.

„Camael hat mir viel von dir und den anderen in Amarya erzählt. Sie hat euch wirklich sehr gern.“
Lemy strahlte ihn regelrecht an und damit war das Eis gebrochen.

 

 

 

 

 

Kapitel 2

 

Lächelnd sah Michael dabei zu, wie Lemy im Rosengarten verschwand.

Lachend und voller Freude hatte sie sich in seine Arme geworfen und ihm für alles gedankt, nun ging sie wieder ihrer Wege. Sie waren viel zu lange in der Unterwelt gewesen, doch allem Anschein nach hatte niemand etwas bemerkt. Zumindest dachte er das, denn auf einmal tauchte Malea an seiner Seite auf und bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick.

„Musste das wirklich sein?“, meinte sie leise, wobei man ihr deutlich anhörte, wie enttäuscht sie war. Michael fragte sich, woher sie es wusste. Schließlich war sie blind und hatte Lemys unbändige Freude nicht sehen können.

„Ganz ruhig“, versuchte er sogleich, die Wogen zu glätten. „Lemy ist ein kluges Mädchen und sie hat Camael in ihr Herz geschlossen. Es hat mich zwar selbst erstaunt, doch dieses Kind macht sich nicht das geringste aus der Tatsache, dass Camael eine Dämonin ist und der Teufel ihr Gefährte. Die beiden waren der Kleinen gegenüber sehr bedacht, wir werden uns also keine Sorgen machen müssen. Lemy hat das ganze Ausmaß noch nicht begriffen und das wird wohl noch eine Weile so bleiben“, erklärte er, ohne das betreffende Kind aus dem Blick zu verlieren. Wäre Lemy auch nur einige wenige Jahre älter, hätte die Sache wohl schon wieder ganz anders ausgesehen.

Camael und Samael waren ganz sanft mit dem Mädchen umgegangen und für den Bruchteil einer Sekunde war dem Erzengel der Gedanke gekommen, ob das Paar wohl mal Kinder haben würde?

„Sei vorsichtig, Michael. Deine Geschwister sind so gut wie genesen und sie könnten schon längst bemerkt haben, welch gefährliches Spiel du da spielst“, flüsterte Malea, dann hatte sie ihn auch schon stehen gelassen.
Mit einem Seufzen machte Michael kehrt, um sich auf den Weg zurück in die Unterwelt zu machen. Camael hatte ihn gebeten zu ihnen zurück zu kommen, nachdem er Lemy sicher zurück nach Amaraya gebracht hatte. Da der Erzengel im Augenblick nicht all zu viel zutun hatte, war er damit einverstanden gewesen. Wahrscheinlich wollte die Dämonin ihm noch eine Strafpredigt halten, weil er Lemy diesen Wunsch erfüllt hatte. Hinzu kam, dass dies die perfekte Gelgenheit war, um mal wieder mit einem alten Bekannten zu sprechen.

Als Michael schließlich in der Unterwelt ankam, warteten die Herrscher bereits auf ihn. Im Thronsaal stand ein Tisch, der vor einer guten halben Stunde noch nicht da gestanden hatte. An diesem Tisch saßen Camael und Samael, die sich leise miteinander unterhielten. Als sie Michael bemerkten, verstummten sie. Der Erzengel wäre beinahe auf den Gedanken gekommen, dass sie über ihn redeten, wäre da nicht das strahlende Lächeln, welches sich auf Camaels Zügen ausbreitete.

„Da bist du ja wieder“, stellte sie unnötigerweise fest. Ohne etwas darauf zu erwidern, ließ Michael sich ebenfalls am Tisch nieder. Samael wirkte ebenfalls entspannter als noch vor einer halben Stunde und schien auch keine Probleme damit zu haben, dass der Erzengel andauernd kam und wieder ging. Dennoch war es der Teufel, der dieses Gespräch nun in Gang brachte.

„Bruder, ganz im Ernst, was hast du dir nur dabei gedacht? Nur weil dieses Kind unbedingt Camael sehen wollte, kannst du es nicht einfach hierher bringen“, knurrte er leise. Camaels Blick deutete darauf hin, dass sie das ganz ähnlich sah, doch offen aussprechen wollte sie es wohl nicht. Michael seufzte und versuchte, das Ganze zu verharmlosen.

„Es ist doch nichts passiert, du meine Güte. Und was hätte ich denn machen sollen? Sie hat mich angefleht und ich habe wirklich versucht ihr klar zu machen, dass sie Camael nicht mehr sehen kann. Und bevor ich dabei zusehe, wie sie in Tränen ausbricht, bringe ich sie lieber hierher“, erklärte er müde, worauf er deutlich Camaels Mundwinkel zucken sah.

„Wer hätte gedacht, dass Kinder dich so schnell weichklopfen können. Du kannst die Kleinen wohl sehr gut leiden, hm?“, schmunzelte sie, woraufhin Michael das Gesicht verzog und Samael aufmerksam wurde.

„Wie ist das so, mit den ganzern Kindern? Stören sie euch nicht?“, wollte er wissen, wobei man deutlich die Neugier in seinen Augen erkennen konnte. Sehr zu Michaels Verwunderung. Es war ohnehin noch ziemlich seltsam, mit dem Leibhaftigen eine normale Unterhaltung zu führen, ohne sich an die Kehle gehen zu wollen. Lächelnd schüttelte der Erzengel den Kopf.

„Uns stören? Ganz bestimmt nicht. Die Kleinen sind unser ganzer Stolz und stehen unter besonderem Schutz. Wir bemühen uns, alles Schlechte von ihnen fernzuhalten, dementsprechend wissen sie auch nicht, wie es wirklich in der Welt zugeht“, meinte er. Samael ließ es sich nicht anmerken, doch er saugte diese Informationen auf, wie ein Schwamm. Still und vergnügt lauschte Camael dem Gespräch der beiden. Die beiden waren dabei sich anzunähern, ohne es wirklich zu merken. Sie würde sich bemühen ihnen dabei zu helfen, denn es wurde Zeit, dass der Erzengel endlich merkte, wer sein Bruder eigentlich war. Verständnisvoll genug waren sie beide, sie mussten nur endlich auf die richtigen Dinge zur Sprache kommen.

„Hat sich Amarya seit meinem Fall verändert?“, fragte Samael irgendwann, wobei er es unglaublich beiläufig klingen ließ. Michael zuckte mit den Schultern.

„Ein wenig vielleicht. Es ist sehr belebt und überall sind Engel unterwegs. Ständig laufen einem die Kinder vor die Füße und mittlerweile ist alles voller Gärten und Blumen. Dir dürfte dort aber langweilig sein, denn alles geht geordnet und gesittet zu. Die Regeln sind sehr streng“, erzählte er, was Samael ein Schnauben entlockte.

„Das passt zu euch. Jeder muss den Regeln folgen. Warum erlaubt ihr euch denn nicht einmal ein bisschen Spaß und lockert die Regeln ein wenig?“

Ungesehen umfasste Camael unter dem Tisch mit ihrer Hand die ihres Mannes. Wäre damals alles ein wenig lockerer zugegangen, hätte Samael sich vielleicht nicht aufgelehnt. Doch sie war noch immer der Ansicht, dass Samael als Teufel weitaus glücklicher war, als er es als Erzengel sein könnte. Michaels Miene wirkte ein wenig grimmig, als er sich des Teufels Worte durch den Kopf gehen ließ und seine Antwort war auch nicht sonderlich überraschend.

„Weil einige Engel auf die Idee kommen könnten, es dir nach zu tun. Wir alle haben unseren Platz in der Welt gefunden und uns auch damit abgefunden. Selbst du weißt, dass die Ordnung gewahrt werden muss. Sonst hättest du noch einige mehr getötet, als nur Gabriel.“

Betretenes Schweigen breitete sich im Saal aus, doch noch immer schritt Camael nicht ein. Samael mochte zwar das Gesicht verziehen, machte aber nicht den Eindruck, als würde er jeden Moment die Beherrschung verlieren.

„Am liebsten wäre es mir gewesen, ich hätte ihn am leben gelassen, aber du weißt, dass es keinen Zweck gehabt hätte. Irgendetwas an ihm hat sich verändert und es war ein irreparrabler Schaden. Behalt Camael im Auge, hörst du? Sie und Gabriel waren sich immer sehr ähnlich“, grummelte er leise. Nachdenklich rieb Michael sich das Kinn.

„Du hast Recht, die beiden haben immer an jeder noch so kleinen und unnötigen Regel festgehalten. Die Sturheit der beiden war schon immer sehr besorgniserregend. Aber so, wie du es formulierst, scheinst du zu glauben, dass ihr Verstand gelitten hat.“
Forschend sah er seinem Bruder ins Gesicht. Dieser Mann war ihm schon immer ein Rätsel gewesen. Manchmal gab es Dinge, die er unmöglich wissen konnte und er wusste sie dennoch. Manche hatten den Fehler gemacht, diesen Mann für einen Nichtsnutz zu halten, aber sein Verstand war ungewöhnlich scharf. Er hatte ganz andere Sichtweisen als andere, aber dies konnte auch vom Vorteil sein. Manchmal hatte Michael das Gefühl, dass dieser Mann ein unglaublich großes Geheimnis hatte. Etwas, wovon er nicht wollte, dass es jemals einer der Engel erfuhr. Sehr zu seinem Ärgernis wusste Camael aber sehr wohl darüber Bescheid, denn auch in diesem Moment musterte sie Samael und ihn wieder mit diesem eigenartigen Ausdruck in den Augen.

Samael lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.

„Wie gesagt, irgendwie scheint ihr Verstand gelitten zu haben. So, als ob er umgepolt worden wäre. Sturheit hin oder her, aber so kontrollversessen und angriffslustig habe ich sie noch nie gesehen. Dabei müssten sie doch ganz genau wissen, wie sanftmütig Camael eigentlich ist“, meinte er und betrachtete seine Frau dabei mit einem liebevollen Blick. Michael schwieg, stimmte ihm insgeheim aber zu. In den wenigen Wochen, in denen diese Frau in Amarya gewesen war, war deutlich zu sehen gewesen, welch Engel sie eigentlich war. Sie mochte nun zwar eine Dämonin sein, aber ihre himmlischen Wesenszüge würde man wohl niemals aus ihr heraus bekommen.

„Haben sie je bei anderen Nephilim so extrem reagiert?“, wollte Samael dann wissen.

Lange sah Michael ihn an, dann wurde er ernst.

„Ich bezweifle, dass es hier jemals um Camael ging. Ich befürchte fast, du hast sie so aggressiv werden lassen. Sie wollten sie nicht aus Amarya lassen, damit du sie nicht in die Finger bekommst.“
Ungläubig schüttelte Camael den Kopf.

„Aber warum? Was hätte Samael denn mit mir machen sollen? Mich benutzen, um euch gegen ihn aufzuhetzen?“

Beinahe hätten Michaels Mundwinkel gezuckt.

„Leider kann ich nicht ihre Gedanken lesen, ich habe also keine Ahnung, was sie sich dabei gedacht haben. Aber wo wir gerade dabei sind“, meinte er und sah dann Sam an, „Warum ausgerechnet Camael? Warum nicht eine andere Nephilim?“

Samael blinzelte perplex. Was war das denn für eine Frage? Finster verzog er das Gesicht.

„Ich hatte keine Ahnung, was sie war. Einer meiner Dämonen ist auf sie aufmerksam geworden und meinte, sie sei anders als andere Menschen. Und dann standest du auch schon auf der Matte“, grollte er. Bei der Erinnerung daran entfuhr Michael doch glatt ein leises Lachen.

„Wir hatten wohl beide einfach kein besonders gutes Timing. Mein Auftrag betand einfach darin, zufällig ihren Weg zu kreuzen und mich davon zu vergewissern, dass Camael ein ganz normales Leben führt. Aber du und dein kleiner Dämon wart nicht gerade unauffällig. Als ich euch zwei gesehen habe, bin ich echt vom schlimmsten ausgegangen“, erinnerte er sich, doch dann stieß er schon wieder ein tiefes Seufzen aus, welches sein Bedauern und schlechtes Gewissen ausdrückte.

„Du hattest Recht, Samael. Nur meinetwegen ist es so weit gekommen. Ich hätte einfach nicht eingreifen dürfen“, meinte er noch leiser.

Samael streckte die Hand aus, um sie seinem Bruder tröstend auf die Schulter legen zu wollen, ließ es dann aber doch bleiben. Noch waren sie keine Freunde. Camael bemerkte es natürlich und drückte seine Hand.

„Nicht alles daran ist schlecht, Michael. Mach dir bitte keine Vorwürfe“, bat sie, was den Erzengel dazu brachte, die Stirn kraus zu ziehen. Bei aller Liebe, aber ein Vorteil in der ganzen Angelegenheit war ihm nun wirklich nicht aufgefallen. Er sah die Dämonin fragend an, doch die zwinkerte nur.

„Wirst du jetzt öfter mit Lemy herkommen?“, fragte sie dann, als ob nie etwas gewesen wäre. Michaels Augenbrauen zogen sich zusammen, als er darüber nachdachte.

„Hoffentlich nicht“, meinte er. „Je älter das Mädchen wird, desto mehr wird sie begreifen, worum es hier eigentlich geht. Und noch kann ich nicht einschätzen, wie sie dann auf alles reagieren wird.“
Malea erwähnte er nicht. Dies war nicht ihr Problem, sondern ganz allein seins. Sie würde vielleicht nicht plaudern, dennoch könnte sie Recht haben und die anderen Erzengel ahnten etwas.

Michael hatte seine Geschwister in letzter Zeit so gut wie gar nicht gesehen, weshalb er keine Ahnung hatte, wie es ihnen ging oder ob sie ihre normale Arbeit schon wieder aufgenommen hatten. Camael sah, dass Michael mit den Gedanken ganz woanders war, weshalb sie sich ihrem Mann zuwandte.

„Soll ich Nilas herholen? Er will sich mit Sicherheit von seinem Wohl überzeugen“, fragte sie leise. Samael nickte, Camael erhob sich und noch bevor Michael es so wirklich bemerkte, hatte sie den Saal auch schon verlassen. Einen Moment lang betrachtete Samael seinen Bruder nur.

Er hätte es niemals für möglich gehalten, jemals ganz ruhig mit ihm an einem Tisch zu sitzen. Er hätte auch niemals geglaubt, dass Michael eigentlich ein so ruhiger Mann war. Er war ruhig und nachdenklich und das komplette Gegenteil von Samael. Dieser Mann versuchte immer alles mit seinem Verstand zu regeln. Samael fragte sich wirklich, ob er jemals seinem Herzen gefolgt war.
War er überhaupt in der Lage, tiefe Gefühle zu empfinden?

„Michael“, riss er ihn nun aus den Gedanken. Überrascht hob der Genannte den Blick und noch bevor er Gelegenheit hatte zu fragen, was denn los war, fuhr Samael auch schon fort.

„Du nutzt die momentane Situation doch nicht aus, um uns zu kontrollieren, oder?“

Michael blinzelte überrascht.

„Nein, natürlich nicht. Ich könnte dir die gleiche Frage stellen, aber ich weiß, dass ihr keine Hintergedanken hegt. Ihr scheint... wirklich glücklich miteinander zu sein“, antwortete er, worauf sich etwas in Samaels Gesicht veränderte. Seine Züge wurden weicher und ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

„Das sind wir“, sagte er leise. „Und dir würde ich so etwas auch wünschen. Es verändert einen. Zum positiven, versteht sich.“
Michael schnaubte leise, lenkte aber mit einem kleinen Lächeln davon ab.

„Der war gut. Kann mich nicht daran erinnern, dass sich jemals eine Frau in meine Nähe gewagt hat“, brummte er. Das letzte Mal, dass er mal was mit einer Himmlischen gehabt hatte, lag nun schon einige tausend Jahre zurück. Plötzlich lachte Samael dreckig. Langsam aber sicher wurde ihr Gespräch richtig interessant.

„Das kommt daher, dass auch du immer schön den Regeln folgst. In Amarya wirst du ganz bestimmt keine Frau finden, das versichere ich dir“, grinste Samael. Doch darüber konnte Michael nur die Augen verdrehen.

„So? Dann soll ich mir also eine Dämonin krallen?“, erwiderte er ganz ernst, was den Teufel nur noch lauter prusten ließ.

„Oh, bloß nicht! Meine arme Untergebene! Die hätte ja noch weniger zu lachen, als mit mir“, prustete er, was dem Erzengel ein leises Knurren entlockte. Ein Erzengel, der was mit einer Dämonin anfing, na sicher. Na, warum denn nicht gleich mit einer Menschenfrau?

Mit einem listigen Funkeln im Blick klopfte Samael seinem Bruder auf die Schulter.

„Nimm nicht alles so ernst. In Amarya ist es das schon genug“, meinte er locker, dann kehrte Camael auch schon zu ihnen zurück. An ihrer Seite Nilas, der überrascht seinen ehemaligen Meister anstarrte.

 

 

 

Kapitel 3

 

Michael war gerade erst zurückgekehrt, da tauchte plötzlich Ilias vor ihm auf.

Ilias war der Bote der Erzengel und hatte auch nun wieder etwas zu verkünden, was Michael ganz und gar nicht gefallen würde.

„Eure Geschwister haben sich im Saal versammelt und zu einer Konferenz berufen, Sire“, verkündete er ausdruckslos, dann war er auch schon wieder verschwunden. Für einen kurzen Moment ballten sich Michaels Hände zu Fäusten. Er hatte ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.

Seine Hoffnungen, dass unausweichliche irgendwie noch aufschieben zu können, wurden jäh zerschlagen. Für das, was Samael getan hatte, würden sie einen Rachefeldzug führen wollen, bei dem er selbst leider nicht gut wegkommen würde. Besser, er brachte es schnell hiner sich.

Mit ausdruckslosem Gesicht begab Michael sich in den besagten Saal, wo jeder Erzengel seinen festen Platz hatte.

Dort angekommen waren alle dieser Plätze besetzt, außer seinem und der von Gabriel. Grimmige Blicke richteten sich auf Michael, doch er ließ es sich dennoch nicht nehmen, sie alle ganz genau zu mustern. Camaels Blick machte klar, dass sie sich am liebsten auf ihn gestürzt hätte, ebenso wie Raphael, der seinen durchlöcherten Flügel wohl auch weiterhin nur sehr eingeschränkt nutzen konnte. Sie schienen soweit alle genesen zu sein, lediglich ein paar hässliche Narben waren geblieben. Und aufgebrachte Gemüter.

Er wagte zu bezweifeln, dass sie ihm das gesprochene Machtwort verziehen würden. Erhobenen Hauptes ließ auch Michael sich auf seinem Platz nieder. Eigentlich wogen die Stimmen der Erzengel alle gleich schwer, doch da Michael zusammen mit Samael zu den erstgeborenen gehörte, stand ihm irgendwie der unausgesprochene Titel als Anführer zu. Er hatte sich zwar nie etwas daraus gemacht, doch bisher war es ihm immer zugute gekommen. Ob dies heute auch der Fall wäre, konnte er leider nicht einschätzen.

In den ersten Augenblicken herrschte erst einmal angespanntes Schweigen in dem Saal und da sich niemand die Mühe machte, es zu durchbrechen, wagte Michael den ersten Schritt.

„Es scheint euch endlich besser zu gehen“, meinte er mit einem Blick durch die Runde.

Raphael stieß einen tiefen Laut aus, der einem Seufzen nahekam.

„Zum Glück. Es hätte vermutlich länger gedauert, wenn du uns nicht vom Schlachtfeld geholt hättest“, kommentierte er. Michael ließ sich keine Reaktion anmerken, auch wenn er ziemlich überrascht war. Das war eine ziemlich vernünftige Antwort von jemandem, der ihn eben noch mit tödlichen Blicken bedacht hatte.

„Verrate mir aber eins“, fuhr Raphael dann aber auf einmal fort. „Was fällt dir eigentlich ein, Samael vor meinen Angriffen zu beschützen?“

Fehlt nur noch, dass er die Zähne fletscht, dachte Michael angesäuert. War ja klar, dass er nicht ungeschoren davonkam. Er versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben.

„Weil ihr euch alle aufgeführt habt, wie Kinder. Ohne Frage, dass Samael unseren Bruder getötet hat, ist unverzeihlich. Aber das heißt nicht, dass Gabriels Tod durch den von Samael wieder gut gemacht werden kann. Es hat keinen Zweck, sich gegenseitig töten zu wollen, irgendjemand wird sich immer rächen wollen. Ihr alle seid Erzengel, also habt ihr euch einmal gefragt was geschehen würde, wenn der Teufel stirbt?“, erwiderte er, worauf tatsächlich nachdenkliche Blicke ausgetauscht wurden. Doch seine logischen Argumente konnten ihm auch nicht mehr helfen, denn auf einmal meldete sich Camael zu Wort.

„Das ist ja alles schön und gut, aber es ändert nichts daran, dass du verbotenerweise dabei bist, dich mit diesem Verräter anzufreunden und dies widerrum macht dich zu einem Verräter“, schnitt ihre liebliche Stimme scharf durch die Luft.

„Wie bitte?“, knurrte Michael, doch vermutlich würde auch das Schauspielern ihm nicht helfen. Camael schnaubte, dann funkelte sie ihn wie eine listige Schlange an, ein hübsches und nicht minder falsches Lächeln auf den Lippen.

„Spar dir das, Michael“, fing sie mit zuckersüßer Stimme an. Blaue Augen und strahlendes blondes Haar hin oder her, diese Frau war ein Monster.

„Für wie blöd hältst du uns eigentlich? Hast du wirklich geglaubt wir würden es nicht bemerken, wenn du andauernd völlig unbemerkt verschwindest? Schmiedest du schon Pläne mit Samael, wie du uns alle loswirst?“

Michael verkniff sich den derben Fluch, der ihm auf der Zunge lag. So eine verdammte Scheiße aber auch. Malea hatte Recht gehabt. Wie hatte er nur glauben können, seinen Geschwistern etwas vorzumachen?

„Das ist lächerlich. Glaubt ihr wirklich, ich würde meinen Posten einfach so aufs Spiel setzen?“, brummte er, worauf Raphael erneut das Wort an sich riss.

„Woher sollen wir das wissen? Was wir wissen ist, dass du dich regelmäßig mit dem Teufel und seiner Frau triffst. Und dies akzeptieren wir nicht“, sagte er.

Misstrauisch sah Michael durch die Runde.

„Was soll das heißen?“, wollte er wissen.

Camaels diebisches Lächeln behagte ihm ganz und gar nicht und als dann auch noch Uriel fortfuhr, stand ihm die Verwirrung ins Gesicht geschrieben.

„Es bedeutet genau das, was Raphael gesagt hat. Zum einen hast zu zugelassen, dass Gabriel getötet wird und nun pflegst du auch noch Kontakt zum Teufel. Als Erzengel sind solche Fehler unverzeihlich und es sollte klar sein, dass wir uns für dich eine Bestrafung überlegen müssen.“
Michael hatte das Gefühl, als würde der Boden unter seinen Füßen weggezogen. Seine Kehle war mit einem Mal staubtrocken und er hatte Mühe, nicht seine Fassung zu verlieren.

„Ist das euer Ernst?“, donnerte er dann. „Ihr wollt mich wie jeden anderen Engel auch behandeln?“

Uriel ließ sich nicht anmerken, was er wohl darüber denken mochte, Raphael und Camael stand die Genugtuung jedoch deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Du lässt uns ja gar keine andere Wahl. Als Erzengel gehört deine Loyalität allein Amarya und seinen Bewohnern und niemandem sonst“, meinte Uriel monoton, worauf Raphael ein Schnauben ausstieß.

„Nenn es doch endlich beim Namen, Bruder. Michael kann nicht länger ein Erzengel bleiben“, knurrte er. Michael bekam Panik und in Gedanken stieß er einen Aufschrei aus. Was passierte hier eigentlich? Das musste ein Albtraum sein! Seine Geschwister konnten doch unmöglich mit dem Gedanken spielen, ihm seinen Rang zu entziehen! War so etwas überhaupt möglich?

„Das könnt ihr nicht machen“, hörte er sich auf einmal flüstern. Als Camael die Angst in seinen cobaltblauen Augen entdeckte, überkam sie doch glatt ein wenig Bedauern. Sanft sprach sie zu ihm.

„Michael, ist dir eigentlich klar, was für Fehler du dir geleistet hast? Du bist auf unserer Seite und sollst uns unterstützen, aber stattdessen bist du uns allen in den Rücken gefallen. Einige Engel sind schon am munkeln und wenn sie hiervon etwas erfahren, werden sie uns dafür hassen, wenn wir nicht hart durchgreifen. Willst du wirklich auch noch einen Aufstand riskieren?“

Michael konnte nichts anderes tun, als die Frau sprachlos anzustarren. Verdammt, was sollte er denn nun tun?

„Ich bin dafür, dass wir ihn direkt in die Unterwelt befördern. Dann kann er sich mit Nilas zusammen tun“, meldete Raphael sich plötzlich wieder zu Wort.

Panisch blickte Michael daraufhin wieder zu Uriel, der darauf antwortete: „Vergiss es. Samael und er würden sich miteinander verbinden und das hätte uns gerade noch gefehlt.“

Erneut sprach Camael.

„Und was schlägst du dann vor? Wir können ihm zwar seinen Rang nehmen aber ganz sicher können wir keinen Verräter frei in Amarya herumlaufen lassen.“
Panisch sah Michael zwischen ihnen hin und her. Er konnte sich nur wiederholen, was geschah hier eigentlich gerade? Und wenn er sich jetzt einfach aus dem Staub machte? Dann konnten sie nämlich überhaupt nichts ausrichten. Michael verwarf diesen Gedanken wieder, denn er war alles andere als ein Feigling. Aber was sollte er dann tun?

Er war wie gelähmt als er hörte, wie sie darüber sprachen, ihm die Flügel zu nehmen und in die Welt der Menschen zu werfen. Nein, alles, nur das nicht!

Jophiel und Zadkiel hielten sich stur aus allem heraus, einzig und allein Azraels Blick machte klar, dass er mit allem nicht einverstanden war. Doch das Dreier-Gespann war schon längst dabei, sich alles unter den Nagel zu reißen. Nach wenigen Minuten schienen sie sich geeinigt zu haben, denn ihre stechenden Blicke richteten sich wieder auf Michael.

„Also gut, wir machen es wie folgt“, begann Camael, wobei sie ihn mit ihrem Tonfall noch immer in Sicherheit wiegen wollte. „Wir nehmen dir deinen Rang als Erzengel und verbannen dich zur Strafe, in die Welt der Menschen. Wir lassen dir jedoch deine Flügel und deine Kräfte. Solltest du zur Besinnung kommen und wir finden, du hast genug Buße getan, holen wir dich zurück nach Amarya. Vorausgesetzt, du erlaubst dir keine weiteren Fehler mehr.“
Ihre Entscheidung ließ Michael das Blut in den Adern gefrieren. Langsam wurde ihm klar, dass dies überhaupt kein Traum war, sondern die bittere Realität, von der er nichts anderes tun konnte, als sie zu akzeptieren. Er allein konnte nichts gegen ihre mehrstimmige Entscheidung ausrichten, auch nicht, obwohl er selbst ein Erzengel war.

„Ihr wollt mir meine Flügel lassen?“, krächzte er heiser. Zu einer anderen Reaktion war er nicht fähig. Raphael nickte.

„Allerdings. Deine Flügel und somit ein Großteil deiner Macht werden bleiben. Vielleicht ist deine Strafe sogar höher, als die eines Gefallenen. Du wirst als Engel Michael auf der Erde wandeln, in dem Wissen, dass du absolut keine Befugnisse mehr besitzt. Du bist wie jeder andere Engel auch. Aber bedenke, dass wir dich vernichten werden wenn du auf die Idee kommst, uns in irgendeiner Weise schaden zu wollen.“
Von da an bekam Michael so gut wie gar nichts mehr mit. Sämtliche Worte drangen nur noch gedämpft an seine Ohren und er fühlte sich wie in Watte gepackt. Er saß einfach wie versteinert auf seinem Platz, der in Kürze nicht einmal mehr seiner wäre. Wie in Trance bekam er mit, wie die anderen Erzengel sich um ihn herum versammelten und die Worte sprachen, die jeden Gefallenen auf die Erde verbannten. Eine lodernde Klinge tauchte vor ihm auf, doch selbst der sengende Schmerz, der daraufhin in seiner Brust aufflammte, kam nur dumpf an seinen Nerven an. Was er jedoch mitbekam, waren Azraels mitleidigen Blicke und das stumme Versprechen, dass er sich etwas einfallen ließe.

Um Michael herum schien es dunkler zu werden, so als ob jemand das Licht dimmen würde, dann entschwanden ihm die Sinne. Er konnte nicht reden, nicht greifen, nichts hören und am Ende konnte er nicht einmal mehr sehen, weil alles um ihn herum in tiefste Finsternis gehüllt wurde.

 

„Calli!“

Als sie hörte, mit welcher Wut die Stimme nach ihr rief, hätte sie beinahe gelacht. Wie oft musste sie diesem Vollidioten eigentlich noch klar machen, dass sie ganz bestimmt nicht auf seine Anweisungen hörte?

Sie nahm einen Zug ihrer Zigarette und wandte sich von dem Panorama der Stadt ab, die ihr in diesem Moment zu Füßen lag. Neben ihr auf dem Dach tauchte Achaz auf, dem sie erst einmal in völliger Ruhe und Gelassenheit den Qualm ihrer Zigarette ins Gesicht blies.

„Krieg dich wieder ein“, meinte sie mit ihrer dunklen Stimme, doch sehr zu ihrem Ärgernis ließ er sich dadurch nicht beruhigen. Angewidert von ihrem Verhalten verzog er das Gesicht.

„Ich muss die Seele abliefern. Also komm endlich“, fuhr er sie an. Calli musterte ihn, ohne sich eine Regung anmerken zu lassen. In seinem Körper hatte sich tatsächlich eine Seele eingenistet, wie an seinen schwarz schimmernden Augen zu erkennen war. Für gewöhnlich waren sie braun, mit einem Stich ins grünliche. Doch mit der satten und tiefdunklen Färbung wirkte er noch um einiges gefährlicher.

Achaz war ein stattlicher Kerl von gerade mal einen Meter sechsundsiebzig, dafür aber breit und massig wie ein Bär. Fast schon zu breit, wie sie fand. Sie hatte keine Ahnung ob seine dicken Muskeln echt waren oder nicht, doch es spielte ohnehin keine Rolle, da er, ganz wie sie selbst, ein Dämon war. Mit seinen kantigen Gesichtszügen und der krummen Nase, sah er wirklich aus wie ein Schläger, doch wie er ja gerade so schön bewies, war er eigentlich ein ziemlich korrekter Typ.

Er fuhr sich mit seiner schwieligen Hand über das kurz geschorene braune Haar und redete weiter auf sie ein, doch Calli hörte schon gar nicht mehr zu. Erneut blickte sie über die Skyline von Manhattan.

„Geh ruhig, Achaz“, sagte sie dabei, „Ich bleibe noch eine Weile hier.“

Der Mann stieß ein Brummen aus, welches erkennen ließ wie wenig er damit einverstanden war, doch er erhob keine Einwände und legte ihr einfach nur die Hand auf die Schulter.

„Stell keinen Unsinn an“, mahnte er noch leise, dann war er auch schon verschwunden.

Schnaubend und geschickt kletterte die Frau vom Dach. Sie war eine Dämonin, du meine Güte, Unsinn zu machen lag ihr im Blut. Außerdem war es in der Unterwelt langweilig. Die Menschen und deren Welt boten hingegen unendlich viele Möglichkeiten sich zu beschäftigen. Aus diesem Grund hatte sie auch mit dem Rauchen angefangen. Als Dämonin lebte sie eine Ewigkeit, um ihre Gesundheit musste sie sich also keine Gedanken machen. Und ganz nebenbei war es unglaublich unterhaltsam, die Menschen zu beobachten. Der bloße Gedanke daran erheiterte sie so sehr, dass sich ein Grinsen auf ihren Zügen ausbreitete. Mal sehen, womit sie sich heute die Zeit vertreiben konnte.

Um in das Zentrum der Stadt zu gelangen, nahm Calli eine Abkürzung durch mehrer Hinterhöfe, dank denen sie allerdings auch durch ziemlich widerwärtige Ecken musste. Die Quartiere der Obdachlosen und Junkies waren dagegen nur eine Kleinigkeit. Sie bog gerade in eine schmale Gasse zwischen zwei Hauswänden ein, da wurde sie stutzig. Es mochte ja mitten in der Nacht sein, dennoch war es noch nie vorgekommen, dass sie über einen schlafenden Obdachlosen gestolpert war. Die meisten zogen sich nachts an einen Ort zurück, an dem sie auch ein warmes Feuer entfachen konnten und eine schmale Gasse war mit Sicherheit nicht der richtige Ort dafür. Vielleicht sollte sie denjenigen einfach mal mit einem Fußtritt wecken?

Schon beim näherkommen fiel ihr auf, dass dies ganz und gar nicht nach einem Penner aussah. Was waren das für seltsame Umrisse in der Dunkelheit? So breit und gewaltig, viel zu massig und groß um zu einem Menschen zu gehören. Allerdings auch nicht ähnlich mit der Gestalt von Achaz.

Dem fehlenden Licht hier hatte Calli es zu verdanken, dass sie kaum etwas ausmachen konnte, sie musste also richtig nah heran. Leise fluchend kam sie immer näher, bis plötzlich ein leises Plätschern unter ihren Füßen ertönte. Großartig, jetzt war sie auch noch irgendwo reingetreten.

Sie kümmerte sich nicht länger darum und ging ein wenig in die Knie, um mehr erkennen zu können, und hätte vor Schreck fast das Gleichgewicht verloren. Ach du scheiße!

Dies war definitiv kein Penner. Es war ja nicht einmal ein Mensch! Zu ihren Füßen lag ein Gefallener, mit einem tiefen Schnitt in der nackten Brust und voller Blut. Jetzt war ihr auch klar, in was sie da getreten war...

Callis Augen verengten sich als sie sah, dass der bewusstlose Mann gar kein Gefallener war. Er war ein waschechter und vollblütiger Engel, der da auf seinen imposanten Schwingen lag, die selbst in der Dunkelheit zu strahlen schienen. Und was für ein Engel das war!

Trotz seiner Bewusstlosigkeit konnte Calli feststellen, wie attraktiv er war. Ausgeprägte Gesichtszüge, aber nicht scharfkantig, wie die von Achaz. Nein, seine hier waren zwar klar definiert, aber irgendwie auch sehr fein. Hohe Wangenknochen, gerade Stirn und eine gerade Nase und ein voller Mund, an dem ihr Blick einen langen Moment über hängen blieb.
Seine langen und nachtschwarzen Haare schien er, so wie sie das sehen konnte, zu einem Zopf gebunden zu haben. Der riesig wirkende Mann trug lediglich eine dunkle Baumwollhose, seine Füße und sein Oberkörper waren nackt, wodurch Calli einen instinktiven Blick auf seine durchtrainierte Brust werfen konnte. In der ja noch immer ein tiefer Schnitt klaffte, wie ihr gerade wieder klar wurde. Eilig ließ sie sich auf die Knie fallen. Sie überlegte, Samael Bescheid zu geben, entschied sich aber dagegen.
Für den Teufel war ein Engel mit Sicherheit ein gefundenes Fressen. Allerdings konnte sie den armen Mann auch nicht einfach so hier liegen lassen, sie würde sich also etwas einfallen lassen müssen. Am klügsten wäre es, wenn sie erst einmal versuchte ihn aufzuwecken. Seine Wunde würde ja hoffentlich von alleine heilen.

Sie kniete sich also direkt neben ihn in sein Blut und klopfte ihm ein paar Mal ziemlich grob gegen die Wange.

„Hey, du Schönling, aufwachen“, raunzte sie ihn an. Sehr zu ihrem Leidwesen reagierte er aber überhaupt nicht. So ein Mist aber auch. Sie hätte ihn zwar einfach hier liegen lassen können, aber da er kein Gefallener war, sondern ein richtiger Engel, erschien ihr das einfach nicht richtig. Sie mochte zwar eine Ausgeburt der Hölle sein, aber selbt sie verstand etwas von der Ordnung, die auf dieser Welt herrschte. Und ein Mann mit Flügeln, der auf der Erde war, gehörte mit Sicherheit nicht zu dieser Ordnung.

Unbeholfen musterte Calli ihn, dann legte sie ihm die Hände auf die Brust, nahe der Wunde. Sie fragte sich, warum die Wunde nicht endlich anfangen wollte zu heilen. Sie wollte gerade ihre Hände bewegen, da riss der Fremde die Augen auf und setzte sich mit einem Knurren so ruckartig auf, dass Calli beinahe erneut das Gleichgewicht verloren hätte und im Blut gelandet wäre. Der Engel stieß ein paar Worte aus, die sie nicht verstand und packte gleichzeitig mit festem Griff ihr Handgelenk, um sie irgendwie von der Wunde fernzuhalten. Der tödliche Ausdruck in seinem Gesicht hätte ihr vielleicht Angst einjagen sollen, doch er ließ Calli kalt.

„Gut, du bist wach“, kommentierte sie trocken und ließ die Hände sinken, was er sogar zuließ. Hektisch blickte der Engel sich nach allen Seiten um und Calli bemerkte, wie verwirrt er eigentlich aussah. Für gewöhnlich war sie nicht sonderlich gesprächig, doch in diesem Moment plauderte sie einfach drauf los.

„Du bist in Manhattan gelandet, es ist mitten in der Nacht und du solltest dir wirklich einen Unterschlupf suchen, ehe dich jemand so zu Gesicht bekommt“, meinte sie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 25.07.2018
ISBN: 978-3-7438-7588-3

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