Urian.
Ein Name, an dessen Ursprung er sich nicht erinnern konnte. Hieß er schon immer so? Und wenn nicht, wie hatte er vorher geheißen?
Auch daran hatte er keine Erinnerung. Soweit er wusste, besaß er so etwas wie Erinnerungen gar nicht. Er war einfach da gewesen.
Zusammen, mit all diesen anderen. Was er nicht wusste: Sie alle waren einmal Menschen gewesen. Menschen, die schlimme Dinge getan hatten und niemals mehr Erlösung finden würden. Von den schwarzen Boten wurden sie nach ihrem Tod abgeholt, oder aber ein Dämon stillte seine Gelüste an ihnen und lockte sie ins Verderben. Menschen, die einem Dämon verfielen, waren schwach und leichte Beute. Zu des Lichtbringers Freude nahm die Zahl der Bewohner der Unterwelt so stetig zu. Urians Gedächtnis mochte nicht auch nur das Geringste preisgeben, doch auch er war einer dieser schwachen Menschen gewesen. Nun war er einer der Dämonen, die genau diese schwachen Menschen verschlangen...
Heiß und feucht drang die Zunge spielerisch in seinen Mund ein, um ihn zu locken, doch so einfach bekam man ihn damit nicht zu fassen. Mit einem leisen Grollen, welches tief aus seiner Brust kam, packte er den Po auf seinem Schoß fester, dann riss er sich von den blutroten Lippen los, senkte den Kopf und kratzte mit den Zähnen über diesen schlanken Hals, den er mit einem geschickten Griff sofort hätte umdrehen können.
Ah, wie schnell ein Menschenleben doch verloschen war. Doch so tragisch und auch jämmerlich das Schicksal der Menschen auch war, sie leisteten einem dennoch gute Dienste. Vorausgesetzt, man fädelte es geschickt ein.
Die zierliche Blondine auf seinem Schoß stieß ein wohlwollendes leises Stöhnen aus und rieb sich an ihm, doch anders als sonst nahm er es kaum wahr. Ihr Parfüm wirkte ein wenig berauschend und auch wenn sie gut küssen konnte und sehr hübsch war, so war sie doch keine Frau, in der er sich bis zum Anschlag und mit männlicher Härte versenken konnte. Dafür war sie zu schmal und zierlich.
Ihr magerer Körper war einfach zu zerbrechlich, um ihn ein bisschen härter anfassen zu können. Dabei stand ihm genau danach der Sinn. Er wollte es hart, wild, laut und absolut...
Als der Mann kurz den Blick hob, hielt er augenblicklich inne. Da! Die Blondine war vergessen, nun hatte er nur noch Augen für sie!
Camael versuchte geflissentlich die Blicke zu ignorieren, als sie die Bar betrat, doch so ganz gelang es ihr nicht. Im Grunde genommen war sie ja selbst Schuld. Es gäbe genug Möglichkeiten ihre naturroten Locken zu verbergen, die im Licht wie lodernde Flammen leuchteten. Doch insgeheim war sie sehr stolz auf ihre Haarfarbe, auch wenn das nicht immer so gewesen war...
Zusammen mit ihren enganliegenden Sachen aus Leder sollte man meinen, sie stand gerne im Mittelpunkt, so war es aber nicht.
Selbstbewusst war sie, keine Frage! Aber der Aufmerksamkeit ging sie lieber aus dem Weg. Nachdem Camael mit selbstsicheren Schritten zur Theke gegangen war und sich dort niedergelassen hatte, fiel ihr etwas auf.
In dieser, zugegeben herunter gekommenen Kneipe, trieben sich eher die Außenseiter der Gesellschaft herum. Alkoholiker, Banditen und dergleichen. Doch da hinten, in einer düsteren Ecke, erkannte man deutlich die Umrisse eines Pärchens. Schnell wandte Camael den Blick wieder ab. Definitiv ein komischer Ort für eine schnelle Nummer, aber nun gut. Wenn sie die Wahl gehabt hätte, säße sie nun auch lieber in Begleitung hier. Doch das war unmöglich. Ihre soziale Ader war leider völlig verkümmert. Ob das auf sie selbst zurückzuführen war oder auf ihre Eltern, wollte sie selbst gar nicht so genau wissen.
Es dauerte keine zehn Minuten, da hatte Camael wie alle anderen auch ein Bier vor sich stehen. Sie nahm einen großen Schluck und sah dann wieder unauffällig zu dem Pärchen. Genau aufgrund eines solchen Anblicks war sie nun hier. Ihre Eltern hatten sie, wie üblich einmal im Monat, in ein Restaurant bestellt. So taten sie es immer, wenn sie sich ein Bild des Lebens ihrer Tochter machen wollten.
Die Turteleien der beiden waren für Camael aber zu viel gewesen. Mit erhöhtem Puls, aufgrund des Weines, den sie getrunken hatte, war sie schließlich aufgesprungen und abgehauen. Tja und hier saß sie, verstohlen ein Paar beobachtend. Just in diesem Moment wurde sie aber aufmerksam. Der Mann dort hinten in der Ecke stieß die äußerst zierliche Frau von sich, worauf diese scheinbar beleidigt das Weite suchte. Nanu, etwa doch kein Paar?
Vorsichtig sah Camael genauer hin. Oh Gott! Er stand auf und kam genau auf sie zu. Und nein, dies war gewiss kein Typ für eine Beziehung. Er war so unglaublich groß, weit über eins neunzig. Und breit. Himmel, was für eine Kante. Seine Schultern waren breit, seine Hüften schmaler und sein schwarzes T-Shirt und die graue Jeans ließen den durchtrainierten Körper bis in die Zehenspitzen erkennen.
Ganz ruhig, versuchte Camael sich selbst zu beruhigen. Erfolglos versuchte sie, sich von seinem Gesicht loszureißen. Doch verdammt noch mal, es war so hypnotisierend. Seine Gesichtszüge waren kantig und sehr ausgeprägt. Hohe Wangenknochen, eine gerade Nase, ein ausgeprägtes Kinn und volle Lippen. Und dann diese Augen. Stahlgrau, mit einem seltsamen grünen Rand ringsherum. Eingeschüchtert wandte Camael endgültig den Blick ab.
Warum war sie so nervös? Er würde an ihr vorbei gehen, weil er eine andere Schönheit gesehen hatte. Frustriert nuckelte Camael weiter an ihrem Bier. Sie würde niemals mit solch einem Mann zutun haben, solche Schönlinge gaben sich nicht mit einfachen Frauen wie ihr zufrieden. Doch heute kam es anders. Krampfartig zog sich alles in ihr zusammen als sie aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm, wie er sich neben ihr niederließ.
Ruhig, zwang sie sich erneut zur Ordnung.
Voller freudiger und kribbelnder Erwartung ließ er sich auf einem der Barhocker nieder. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine Frau so sehr besitzen zu wollen. Oh, er hatte ihre unauffälligen Blicke ganz genau gesehen, doch scheinbar war sie nun auf die Idee gekommen, ihn zu ignorieren. Ha, die würde sich noch umgucken. Ihm konnte sie nichts vormachen.
„Wie heißt du, Frau?“, wollte er leise, aber eindringlich wissen. Die rothaarige Frau versuchte es zwar zu verbergen, doch er sah die Empörung über ihr Gesicht huschen. Erst reagierte sie nicht, dann sah sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Stell dich gefälligst erst einmal vor, ehe du nach meinem Namen fragst“, fauchte sie.
Verblüfft über den unheimlichen Unterton in ihrer hellen und klaren Stimme blinzelte er. Dann zuckten seine Mundwinkel und er brach in ein Gelächter aus, welches vor Testosteron nur so zu sprühen schien. Camael ließ sich nichts anmerken, doch innerlich war sie bis zum Zerreißen angespannt. Amüsierte ihn ihre Reaktion oder sie als Person? Und warum interessierte sie das überhaupt? Nachdem er sich beruhigt hatte, lehnte er sich lauernd vor und zeigte ihr ein strahlendes Lächeln, welches mit Sicherheit schon so einige Frauenherzen zum Schmelzen gebracht hatte.
„Ich bin Urian. Und du?“, raunte er.
Nun blinzelte die Frau verblüfft. Ihre Reaktion war dabei so offensichtlich, dass Urian sich für einen Augenblick verdammt ertappt fühlte. Als sie dann auch noch argwöhnisch den Kopf schief legte und „Meister Urian“ murmelte, wäre er beinahe aufgesprungen, um sich aus dem Staub zu machen. Um von seinen möglichen Reaktionen abzulenken wich er zurück und legte sich bestürzt die Hand auf die Brust.
„Wie unangenehm, dir ist dieser unschöne Beiname also bekannt?“, murmelte er.
Misstrauisch betrachtete Camael ihn. Als „Herr“ oder „Meister Urian“ wurde selten auch der Teufel genannt. Einst mochte es ein normaler Vorname gewesen sein, doch sie hätte erwartet, dass er bereits ausgestorben war. Dass sie das wusste war keine Überraschung, schließlich...
„Also, wie heißt du nun?“, riss Urian sie auch schon aus den Gedanken. Murrend wandte sie den Blick ab. Sie hatte ihren Namen nie gemocht und mit Sicherheit würde der Mann sich darüber lustig machen.
„Camael“, antwortete sie dennoch, wenn auch mit Widerwillen. Als sie ihn wieder anblickte und erkannte, dass er so aussah als würde er gleich wieder in Gelächter ausbrechen, ergriff sie schnell erneut das Wort.
„Sag nichts“, zischte sie. „Meine Eltern sind sehr exzentrisch. Allem voran was diese biblischen Dinge angeht.“
Verdammt, war ihr das peinlich. Sie hatte das Gesicht bereits wieder von ihm abgewandt, doch als sich plötzlich eine unglaublich große Hand an ihr Gesicht legte, zuckte sie erschrocken zusammen. Ein wenig panisch sah sie ihn mit geweiteten Augen an, doch der Moment fühlte sich anders an als gedacht. Unter halb geschlossenen Lidern sah er sie an, sein Gesicht plötzlich viel zu nahe an ihrem.
„Wie der Erzengel Camael also“, murmelte er, wobei sein heißer Atem auf ihre Lippen traf. „Kennst du seine Bedeutung?“, wollte er wissen.
Camael nickte, beinahe mechanisch.
„Camael ist das Dunkel vor dem Licht“, wisperte sie. Ihr entging nicht, wie seine Mundwinkel erneut zuckten.
„Schlaues Mädchen“, sagte er leise. Camael wusste gar nicht wie ihr geschah, doch plötzlich spürte sie seine Lippen auf ihren. Sie war wie versteinert. Was fiel dem eigentlich ein? Mit einer impulsiven Handlung von ihr selbst, hätte sie niemals gerechnet, doch noch bevor sie darüber nachdenken konnte, hatte sie ihn zurückgestoßen und ihm eine Ohrfeige verpasst, die sogar noch einen Moment lang nachhallte. Camael war nicht weniger geschockt als Urian. Der Mann rieb sich über die Wange und auch wenn seine Mundwinkel zucken mochten, lag doch ein nahezu tödlicher Ausdruck in seinen Augen.
„So prüde, kleiner Engel?“, knurrte er so leise, dass Camael es fast nicht verstanden hätte.
Etwas mehr als bedrohliches lag in seiner Stimme, doch die junge Frau wollte sich nicht einschüchtern lassen. Kalt wandte sie den Blick wieder ab, widmete sich stattdessen wieder ihrem Bier.
„Nein. Aber das kommt davon, wenn man mich einfach so überrumpelt“, erwiderte sie ausdruckslos, dann nahm sie wahr, wie der kräftige Mann sich langsam erhob. Fast wäre sie zurückgewichen als er sich aber plötzlich vorbeugte und mit seinem Gesicht neben ihrem verharrte.
„Ein harter Fick würde dir gut tun“, knurrte er.
Camael wollte den Kopf herumreißen und ihn anschreien, was ihm eigentlich einfiele, doch er verschwand und ließ sie mit hochrotem Kopf zurück.
„Kind, ich rede mit dir!“
Das wütende Fauchen ihrer Mutter drang kaum zu ihr durch. Noch immer konnte sie nur an diesen unverschämten Mann denken, dem sie vor nicht einmal vierundzwandzig Stunden begegnet war.
Urian. Teufel, sie hätte explodieren können, wenn sie nur daran dachte.
„Entschuldige“, murmelte Camael und sah ihrer Mutter kurz in die Augen. Nachdem die junge Frau gestern einfach davon gestürmt war, hatten ihre Eltern sie nun in ein Cafè bestellt. Dort saßen sie jetzt, draußen, in der Nachmittagssonne. Natürlich überraschte es niemanden, dass Camael auch heute keine Lust auf so ein Theater hatte. Doch wenn sie sich nicht wenigstens ein Mal fügte, würden ihre Eltern nie locker lassen.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, uns einfach dort sitzen zu lassen?“, wollte Aram, ihr Vater, in strengem Tonfall wissen. Lange sah Camael ihn einfach nur an.
Ich konnte euren Anblick nicht länger ertragen, ging es ihr still und heimlich durch den Kopf. Dann aber zwang sie sich zu einem Lächeln.
„Es tut mir leid, aber mir ist da noch etwas dringendes eingefallen“, log sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Die beiden wollten wissen, ob es an ihrem Job als Krankenschwester lag, weshalb Camael einfach bejahte. Was die beiden nicht wussten war, dass sie überhaupt gar keine Krankenschwester war. In Wahrheit arbeitete sie mal hier, mal da, hielt sich mit einfachen Jobs wie dem Kellnern über Wasser und sah, was für Zitronen ihr das Leben schenkte.
Ihre Eltern hätten es nie verstanden und so machte sie es sich eben so einfach, wie nur irgend möglich. Wenn die beiden aber herausfanden, dass Camael sie die ganze Zeit über nur belog, würden sie sie mit dem Rohrstock bearbeiten und sie aus der Bibel zitieren lassen. Und das war noch harmlos...
Ihre Eltern fingen nun an über belangloses Zeug zu plaudern, wobei sie Camael nicht ein Mal nach ihrem Leben fragten. Doch darüber wollte sie sich nicht beschweren und so ließ sie es einfach über sich ergehen. So lange, bis plötzlich das Wort Hochzeit fiel.
„Wie bitte?“, hauchte Camael, die sich fast an ihrem bestellten Eistee verschluckte.
Stolz blickten ihre Eltern sie an.
„Nun ja, da wir uns damals keine große Feier in der Kirche gegönnt haben, haben wir uns dazu entschlossen, dies einfach nachzuholen“, verkündete Rahel, ihre Mutter.
Camael konnte nicht glauben, was sie da hörte. Ihre streng gläubischen Eltern wollten ihr tatsächlich weiß machen, dass sie nicht kirchlich geheiratet hatten? Das musste eine Lüge sein!
Camael brachte nicht einmal ein „Herzlichen Glückwunsch“ heraus. Konnte ihr genau genommen auch egal sein, sie wollte mit ihren Eltern ohnehin nichts mehr zutun haben. Und noch dazu verloren sie kein Wort über eine mögliche Einladung an sie. Noch bevor sie ein Wort darüber verlieren konnte, legten sich ihr von hinten zwei große Hände auf die Schultern.
„Hey, Baby“, sagte plötzlich eine tiefe Männerstimme, dann beugte der Mann sich vor und drückte ihr einen Kuss auf die Mundwinkel.
„Was?“, zischte sie und wollte aufspringen, doch Urians große Hände drückten sie kraftvoll zurück auf den Stuhl. Camael wollte schreien und toben, erst recht als sie die schockierten und wütenden Gesichter ihrer Eltern sah, doch lachend zog der Mann sich einen Stuhl heran und ließ sich neben ihr nieder. Grinsend streckte Urian die Hand aus.
„Hallo. Es freut mich, Sie endlich kennenzulernen. Mein Name ist Urian und ich bin der Freund ihrer Tochter.“
Panisch und schockiert wichen Aram und Rahel zurück, was entweder an seinem Namen lag oder an der Tatsache, dass er sich als der Freund ihrer Tochter vorstellte. Urian hätte beinahe noch lauter gelacht, Camael hingegen wusste gar nicht, was sie zuerst denken sollte. Was, zum Teufel, machte er hier? Hatte er sie etwa beobachtet? Und warum tat er ihr das an? Hatte ihm der Vorfall gestern denn nicht schon gereicht? Camael atmete tief durch, dann lehnte sie sich leise fluchend zu Urian hinüber.
„Dafür mache ich dich fertig“, versprach sie ihm, dann wandte sie sich wohl oder übel an ihre Eltern. „Entschuldigt, aber wir sind noch nicht lange zusammen. Ich wollte euch das in Ruhe sagen, aber...“
Noch bevor Camael ihren Satz beenden konnte, sprangen ihre Eltern plötzlich auf. Aram packte die Hand seiner Frau und zog an ihr.
„Gehen wir, Liebes. Damit dieses Kind endlich wieder zu Verstand kommen kann“, polterte er, dann waren sie auch schon weg.
Schnaubend sank Camael auf ihrem Stuhl zusammen. Einen Vorteil hatte das Ganze ja; Für's erst war sie ihre Eltern defintiv los.
„Was denkst du dir nur dabei?“, murmelte sie und warf Urian einen Blick aus den Augenwinkeln zu. Dabei sah sie, dass Urian einen ganz komischen Ausdruck in den Augen hatte.
„Mit denen stimmt etwas nicht“, hörte sie ihn murmeln.
„Was du nicht sagst“, fauchte sie. Weiter fluchend ließ sie den Blick über die Getränke auf dem Tisch schweifen. Super, dann ging die Rechnung wohl auf sie. Wie aus dem Nichts heraus war der Mann ihr aber wieder ganz nahe. Unwillkürlich zuckte Camael zurück.
Oh Gott, bei Tageslicht sah er sogar noch atemberaubender aus! Sie verspürte das Bedürfnis ihm die zerzausten schwarzen Haare aus der Stirn zu streichen, auch wenn ihr seine ungewöhnlichen Augen Angst einjagten. Grau, mit einem hellgrünen Rand. Hatte sie je solch außergewöhnliche Augen gesehen? Camael schaffte es tatsächlich, still zu halten.
„Betrachte es als Rache für deine Ohrfeige“, raunte er, dicht an ihrer Haut.
Das war es dann auch schon mit dem stillhalten. Camael schlug mit den Händen auf den Tisch und drohte ihm dann mit dem Finger.
„Die Ohrfeige hast du dir selbst zuzuschreiben“, fauchte sie, doch ihr Ausbruch brachte den Mann natürlich zum lachen. Er schnappte nach ihrem Finger und zog sie, dank ihres Armes, nur näher an sich heran.
„Ich wollte dich nur aus der Reserve locken. Das war nur ein Kuss und kein Grund, mir eine zu pfeffern“, sagte er leise und sah ihr tief in die Augen. Fast hatte es den Anschein, als wolle er sie erneut küssen. Doch Camael schwor sich, dass sie ihm dann noch eine ballern würde.
„Ich lasse mich nun mal nicht einfach so küssen“, antwortete sie, worauf Spott in die Augen des Mannes trat. Sie sah wie seine Mundwinkel zuckten und spürte sogleich Wut in sich aufsteigen. Wie konnte man bloß so frech und überheblich sein?
„Wegen deiner Eltern?“, spuckte er dann auch schon aus und wich so rasch zurück, wie er sich an sie gelehnt hatte. Camael hörte sofort heraus, wie er sich über sie lustig machte.
„Was meine Eltern angeht, würde ich mich vor ihnen vögeln lassen, wenn sie mich dadurch endlich in Ruhe lassen“, fauchte sie, auch wenn dies keine sehr feine Taktik von ihr war. Offenbar glaubte Urian daraufhin, dass sie ihm eine Art Sieg zugesprochen hatte, denn er lächelte und tippte mit den Fingern auf den Tisch. Ein beunruhigendes Funkeln war in seinen außergewöhnlichen Augen zu erkennen und sogleich machte Camael sich Sorgen, dass er auf einen dummen Gedanken kam.
„Wenn das so ist, bin ich dir gerne behilflich“, verkündete er dann auch schon. Camael verdrehte die Augen. Sie hätte es wissen müssen.
„Scher dich zum Teufel“, zischte sie ihn an, worauf er erst einmal blinzelte. Anscheinend hatte er mit solch einer impulsiven Reaktion nicht gerechnet. Wütend funkelte Camael ihn an.
„Ich dulde keine Einmischung in mein Leben“, erklärte sie und wandte trotzig den Blick ab. In Urian begann etwas zu brodeln, denn er konnte sich nicht erklären, warum Camael nicht auf ihn ansprang, so wie alle anderen Frauen auch. Leider würde er deshalb erst recht nicht locker lassen. Sein Jagdtrieb war nämlich geweckt worden.
„Dafür ist es bei weitem zu spät“, begann er bitterernst. „Deine Eltern sind im Glauben, ich wäre dein Freund.“
Camael biss die Zähne zusammen. Was war hier eigentlich los? Seit gestern schon geriet sie immer wieder in so abgefahrene Situationen. Und alles ging von diesem verdammten Typen aus. Er war der Ursprung allen Übels, sie musste ihn also irgendwie loswerden. Nur war das leichter gesagt, als getan.
„Dann stell klar, dass das eine Lüge war“, sagte sie nun und sah ihn doch wieder an. Sie konnte nicht anders, als ihn ganz genau zu betrachten. Noch immer wirkte er so düster wie gestern in der Kneipe. Kein Wunder, dass ihre Eltern so panisch reagiert hatten.
Urian trug eine dunkelgraue und abgewetzte Jeans, die an der linken Seite eine Gliederkette aufwies. Erneut trug er ein schwarzes, enganliegendes T-Shirt, darüber eine schlichte Lederjacke. Um ehrlich zu sein sah er so aus, als käme er wieder direkt aus der Kneipe.
Dennoch war dieser Mann ungewöhnlich schön. Seine helle, ja fast blasse Haut war rein und wies keinerleiß Unreinheiten oder Falten auf. Dennoch entdeckte sie eine kleine und unauffällige Narbe an seiner Augenbraue. Und dann waren da diese stechenden Augen, die sie just in diesem Moment keine Sekunde lang aus dem Visier nahmen. In ihr kam das Gefühl auf, als könnte er bis auf den Grund ihrer Seele blicken.
„Warum denn? Ist das nicht die Gelegenheit für dich, deine Eltern endgültig loszuwerden? Lass uns zu ihnen gehen, damit wir ihnen unter die Nase reiben können, wie sehr wir uns lieben“, antwortete er auf ihren Protest. Lange und forschend sah Camael ihn an. Was plante dieser Kerl? Er war kein barmherziger Samariter, so viel war klar. Also ging es ihm nur um Sex? Oder warum sonst hatte er sie gestern Abend so mit diesem Kuss überrumpelt?
Urian bemerkte ihren eingehenden Blick und wäre beinahe unruhig hin und her gerutscht. Diese Frau konnte verdammt seltsam sein und so musterte auch er sie ganz genau. Sie war vollkommen ungeschminkt, was sie nicht weniger hübsch machte. Blasse Haut, große blassgrüne Augen, die ihn wachsam musterten und dieses wallende rote Haar, das in der Sonne wie Feuer loderte. Keine Frage, am liebsten hätte er sie an sich gezogen, um sie wieder zu küssen. Dass sie erneut enganliegende Kleidung trug, verstärkte dieses Bedürfnis nur. Ihr schwarzes T-Shirt war schlicht, offenbarte mit seinem V-Ausschnitt aber einen prallen Busen. Ihre schlanken Beine steckten in einer einfachen Blue-Jeans. Urian musste zugeben, dass sie ihm in so einfacher Kleidung ausgesprochen gut gefiel.
„Und dann?“, riss sie ihn nun aus den Gedanken. „Wenn ich meine Eltern erfolgreich in die Flucht geschlagen habe, was dann?“
Ein listiges Lächeln stahl sich auf die Lippen des Mannes.
„Was danach passiert, bleibt dir überlassen“, erwiderte er leise. Camael seufzte leise. Sie konnte sich unmöglich darauf einlassen.
„Nein“, verkündete sie entschieden und trank auch den letzten Rest ihres Eistees. „Ich traue dir nicht. Also zieh Leine, du verursachst nur Probleme.“
Leise lachend erhob Urian sich tatsächlich, jedoch nicht ohne ihr wieder ganz nahe zu kommen.
„Wie du willst“, hauchte er ihr ins Ohr. „Aber ich wette, der Schaden bei deinen Eltern lässt sich eh nicht mehr minimieren. Also, wenn du es dir anders überlegst...“
Er zog Zettel und Stift aus einer seiner Taschen und notierte dann seine Nummer darauf. Camael zog die Brauen hoch. Es gab tatsächlich noch Menschen, die etwas zum schreiben mit sich herumtrugen? Als Urian ihr dann den Zettel zuschob, nahm Camael diesen direkt zur Hand. Allerdings um ihn zu zerknüllen und im Eisteeglas zu versenken.
„Kein Intersse“, murmelte sie, doch dann veränderte sich die Lage plötzlich und die Stimmung kippte. Camael wusste gar nicht wie ihr geschah, als Urian plötzlich ihr Kinn packte und mit seinen Lippen direkt vor ihren verharrten.
„Du bist ziemlich unverschämt und undankbar, weißt du das? Ich bin bereit dir zu helfen, und dass ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Und du bockst herum, wie ein kleines Kind. Allerdings nur, wegen eines lächerlichen Kusses. Glaub mir, Kleine, sei froh, dass ich dich nicht richtig geküsst habe, denn dann würdest du nicht mehr von mir loskommen.“
Wütend funkelten die beiden sich an und Camael wollte mit Sicherheit nicht nachgeben. Sie hob also das Kinn und schlug seine Hand fort.
„Wie kann man nur so selbstverliebt sein? Hättest du mich richtig geküsst, hättest du dir weitaus mehr eingefangen als nur so eine lasche Ohrfeige, glaub mir. Und wie soll ich einem arroganten Mistkerl wie dir auch dankbar sein? Tauchst hier auf und tischst eine faustdicke Lüge auf, machst dir einen offensichtlichen Spaß daraus und gehst mich hier an. Wozu das Ganze überhaupt? Du machst das mit Sicherheit nicht alles meinetwegen.“
Erneut sah Urian sie mit einem undefinierbaren Blick an. Verdammt, diese Frau war schwieriger als gedacht. Vielleicht wäre es einfach besser, er gab auf. Moment! Hatte er je aufgegeben? Würde jemand wie er überhaupt auf einen solchen Gedanken kommen?
Mit einem blasierten Lächeln sah Urian sie an, ehe sie sich versah, lag seine Hand auch schon an ihrer Wange.
„Ich habe lediglich eine Schwäche für hübsche Frauen“, verkündete er.
Camael biss sich auf die Zunge. Sofort machte sich bemerkbar, dass sie nie viel Liebe erfahren hatte.
„Hübsche Frauen?“, schnaubte sie, allerdings betont kühl. Urians Hand an ihrer Wange schien immer heißer zu werden, doch die junge Frau zwang sich, nicht zurückzuweichen.
„Allerdings“, fuhr Urian unbekümmert fort. „Und du bist nicht nur hübsch, sondern wunderschön.“
Camael war voller Zwiespalt. Sie wollte mehr solch schmeichelnder Worte hören, wusste dabei aber ganz genau, dass dieser Mann lediglich versuchte sie um den Finger zu wickeln. Und wenn er so weiter machte, würde ihm das auch gelingen.
„Ich bin gewöhnlich, mehr nicht“, widersprach sie schließlich. Jedes liebe Wort, jedes Kompliment war eine Lüge, sie wusste es.
Schon früh hatte sie dies in ihrem Leben gelernt. Man wollte sie gefügig machen und deswegen schmierte man ihr Honig um's Maul.
„Ich hatte dich für selbstbewusster gehalten“, riss Urian sie plötzlich aus den Gedanken.
Camael stutzte. Dieser Kerl schaffte es doch tatsächlich, sie innerhalb von Sekundenbruchteilen auf hundertachtzig zu bringen. Jetzt bloß cool bleiben, zwang sie sich.
„Selbstbewusst bin ich. Nur kenne ich meine Stärken und Schwächen ganz genau. Und gutes Aussehen war nie einer meiner Stärken. Wäre dem so, hätten wir beide es bereits getrieben.“
Als sie Urians perplexen Gesichtsausdruck zur Kenntnis nahm, lobte sie sich selbst.
Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Sie hätte allerdings nicht damit gerechnet, dass seine Laune sich dadurch um einiges heben würde.
„Dank deines Namens eines Engels und wegen deiner speziellen Eltern, glaube ich das eher weniger“, lachte er, wobei er ihr wieder ganz nahe kam. Himmel, warum setzte sie sich nicht gleich auf seinen Schoß? Camael beschloss von nun an genauso in die Offensive zu gehen, wie auch er es tat. Sie neigte den Kopf zur Seite, präsentierte ihm ihren Hals und ihr Dekolleté und legte ihre Lippen an sein Ohr.
„Süß, dass du glaubst, ich hätte noch nie eine schnelle Nummer mit jemandem geschoben.“
Nun war es soweit, Urians Selbstbeherrschung verabschiedete sich endgültig. Sie hörte ihn leise fluchen, dann packte er sie und zog sie tatsächlich auf seinen Schoß. Gehen ließ er sie nicht, weswegen sie keine andere Wahl hatte, als ihm die Hände auf die Brust zu legen und sich an ihn zu lehnen.
„Bevor ich dir das glaube, musst du mir erst einen Beweis liefern“, verlangte er, fast schon trotzig. Um nicht darauf eingehen zu müssen, streckte Camael ihm die Zunge heraus.
„Ich muss dir keinen Beweis liefern. Mir ist nämlich egal, ob du mir glaubst oder nicht“, sagte sie leise. Und auch wenn sie ihn gestern dafür geschlagen hatte, wollte sie ihn nun unbedingt küssen. Er war einfach der schönste Mann, den sie je gesehen hatte und sie konnte nicht leugnen, dass ihre Libido schon längst zum Leben erwacht war. Das Knurren von Urian wurde lauter.
„Dafür, dass du so frech bist, sollte ich dir den Arsch versohlen“, brummte er leise.
Camael schluckte. Gott, wenn das ihre Eltern wüssten! Urian ahnte nicht, dass er mit seinen Worten ein heftiges Pulsieren zwischen ihren Schenkeln auslöste.
„Du kannst es ja gerne mal versuchen“, murmelte sie mit einem Schlag heiser. Hoffentlich war sie nicht auch noch rot geworden.
Erneut beobachtete sie, wie des Mannes Gesichtsausdruck sich veränderte. Neugierig sah er sie an und doch lag da etwas lustvolles in seinem Blick.
„Schlägst du mich wieder, wenn ich dich jetzt küsse?“, fragte er plötzlich leise und verhältnismäßig sanft. Camael zeigte ein überlegenes und spöttisches Lächeln, was Urian insgeheim ganz und gar nicht passte.
„Für so feige habe ich dich gar nicht gehalten. Sollte es jemand wie du es nicht einfach wagen und die möglichen Konsequenzen in Kauf nehmen?“
Mit diesen Worten traf sie natürlich sein Ego. Es war offensichtlich, dass sie sich über ihn lustig machte, doch selbstverständlich ließ er das nicht auf sich sitzen. Mit einem weiteren leisen Fluchen packte er ihr Genick und küsste sie. Er wollte ihr zeigen wer er war, ließ ihr nicht viel Bewegungsfreiheit, doch so ließ Camael nicht mit sich umspringen. Nicht mehr. Kraftvoll biss sie ihm auf die Lippe, um ihm seine Grenzen zu zeigen, worauf er tatsächlich kurz inne hielt. Die junge Frau nutzte den Moment um ihm zu zeigen, wie schön ein Kuss sein konnte. Es ging nicht immer nur um Dominanz und Härte. Ein Kuss war etwas schönes und zeugte von Gefühlen. Diese waren dieses Mal nur leider nicht mit im Spiel.
Urian ließ es aber wirklich mit sich machen. Und nicht nur das. Zum ersten Mal spürte er, wie anders so ein ganz normaler Kuss sein konnte. Er verspürte keinerlei Hektik, ganz im Gegenteil, verdammt schnell begann er, das Ganze zu genießen. Er spürte wie sich ihre Lippen zärtlich auf seinen bewegten und schmeckte den Eistee auf ihrer Zunge. Sie roch nach Blumen, ganz leicht nur. War das Parfüm oder ihr eigener Duft? Eine ihrer Hände lag an seinem Hals, hielt ihn dort ganz sanft fest, die andere lag auf seiner Brust. Er spürte wie sich ihre Rundungen an seine Muskeln schmiegten und schlang seine Arme deshalb um ihre Taille. Sanft neckte ihre Zunge seine, doch ungewohnterweise wurde kein Kampf daraus. Urian war irritiert. Entweder dominierte er die Frauen immer, oder aber er kämpfte regelrecht mit ihnen. Also warum gefiel ihm diese sanfte Spielerei? Nach einigen wenigen Augenblicken riss er sich auch schon von ihr los.
„Zärtlichkeiten sind für gewöhnlich nicht mein Ding“, murmelte er und wich ihrem Blick aus. Camael verkniff sich ein Lächeln. Nanu? War ihm das etwa unangenehm? Allerdings spürte sie, wie er ihre Taille nicht losließ.
„War es denn so schlimm?“, wollte sie ungwöhnlich liebevoll wissen.
„Nein“, erwiderte Urian daraufhin, dann sah er ihr doch in die Augen. Verdammt, das war so nicht geplant gewesen. Sie sollte von ihm fasziniert sein und nicht umgekehrt. Aufmerksam studierte die Frau sein Gesicht. Er war ungewöhnlich ruhig und sah sie noch dazu so komisch an. Hatte sie einen Fehler gemacht? Camael seufzte. Da er keinerlei Anstalten machte etwas zu sagen, musste sie das wohl übernehmen.
„Also gut“, begann sie ein wenig strenger. „Da ich dich, zumindest für den Moment, gezähmt habe, kann ich mich wohl oder übel auf deine Idee einlassen. Spiele meinen Freund und begleite mich zur Hochzeit meiner Eltern. Vielleicht schaffe ich es dann, dass sie endgültig den Kontakt zu mir abbrechen.“
Fassungslos starrte Urian sie an. Das war es? Da musste er nur ein bisschen handzahm sein und sie fraß ihm aus der Hand? Nun gut, wenn er so an ihre Seele kam, würde er sich darauf einlassen. Auch wenn er überhaupt nicht so lieb und nett war, wie sie dachte.
„Meinetwegen“, sagte er, unheimlich ernst.
Camael hatte eigentlich mit einem selbstgefälligen Grinsen gerechnet, doch gewiss wollte sie sich nicht beschweren. Und was die Einladung ihrer Eltern anging, an die würde sie auch noch herankommen.
„Nun, da das geklärt wäre“, sagte sie und wollte aufstehen, da umschlang er sie noch fester und drückte sie an sich.
„Bleib nur einen Moment noch so sitzen“, bat er leise und etwas in seinem Tonfall brachte Camael dazu, auf ihn zu hören.
Nachdenklich legte die Frau den Kopf auf seinen Schultern ab.
„Warum so kuschelbedürftig?“, fragte sie leise, auch wenn sie wusste, dass sie sich damit auf dünnes Eis begab. Um ehrlich zu sein wirkte Urian nicht gerade wie ein gesprächiger Typ. Im ersten Moment antwortete er auch gar nicht, dann aber seufzte er plötzlich.
„Mach dich nicht darüber lustig, aber das ist sehr ungewohnt für mich. Die Frauen werfen sich mir zu Füßen, ich habe es also nicht besonders schwer“, murmelte er.
Camael konnte ihn durchaus verstehen, stieß aber dennoch ein Schnauben aus.
„Das ist noch lange kein Grund, ein arrogantes Arsch ohne Feingefühl zu werden. Es mag zwar ein Frauending sein, aber hast du dir nie eine Frau gewünscht, bei der du einfach nur du selbst sein kannst? Und bei der du dich geborgen fühlst?“
Camael hörte selbst, wie lächerlich das klang. Sie saß innig auf dem Schoß eines Fremden, eines Playboys, und begann tatsächlich mit ihm über Gefühle zu reden. Sie war doch verrückt geworden! Urian dachte einen Augenblick über ihre Worte nach. Er war ein Dämon, verdammt noch mal, er brauchte keine Frau. Er kannte kein anderes Leben und hatte dieses bisher immer genossen. Bis jetzt.
Einen warmen Frauenleib auf ihm sitzen zu haben und dabei mal nicht an die Seele oder Sex zu denken, war vollkommen neu für ihn. Doch wenn er sich vorstellte diese, und zwar genau diese Frau, rund um die Uhr bei sich zu haben, dann ja, dann wünschte er sich eine Frau an seine Seite.
„Kleine, ich habe von solchen Dingen keine Ahnung. Davon einmal abgesehen täte mir die Frau an meiner Seite leid. Ich bin kein Vorzeigetyp und verursache schnell mal Probleme“, antwortete er am Ende vollkommen ehrlich. Damit hatte Camael nicht gerechnet.
Weil sie nicht wusste was sie darauf erwidern sollte, schwieg sie einfach. Urian nutzte die Gunst der Stunde und versuchte, mehr aus ihr herauszubekommen.
„Was ist mit dir, Camael? Warum hat ein hübsches Mädchen wie du, keinen Mann an ihrer Seite?“
Camael blockte ab.
„Stell mir keine Fragen, hörst du? Wir gehen bald eh wieder getrennte Wege, da brauchst du dir keine Mühe zu geben.“
Urian versuchte, nicht aufzubrausen. Ihm war klar geworden, dass mit dieser Frau etwas nicht stimmte. Schon ein paar Mal hatte er diesen komischen Ausdruck in ihren Augen bemerkt. Sie war definitiv nicht wie andere Menschen. Doch noch gab er nicht auf.
„Wenn ich vor deinen Eltern den Freund mimen soll, muss ich aber ein paar Dinge über dich wissen. Also los, erzähl mir was.“
Camael seufzte als sie spürte, wie sein Griff wieder kurz fester wurde.
„Ich heiße Camael, bin fünfundzwanzig Jahre alt und komme aus Aberdeen. Mehr musst du nicht wissen“, war alles, was sie trotzig sagte. Urian zwickte sie.
„Mehr“, verlangte er, worauf sie ihn plötzlich mit einem stechenden Blick bedachte.
„Nur, wenn du mir im Gegenzug auch einiges über dich verrätst.“
Urian blinzelte. So hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt. Mist, was sollte er denn nun tun? Sie einfach fallen lassen und sich eine andere Seele suchen? Ach, was machte es schon, wenn er sich darauf einließ? Die Wahrheit würde sie so oder so nie erfahren, also warum sich nicht einen kleinen Spaß erlauben?
„Mir egal“, erwiderte er also mit einem Schulterzucken. Camael atmete tief durch, dann murrte sie leise.
„Also schön, was willst du wissen?“, murmelte sie dann.
Sie war nervös und wäre beinahe hin und her gerutscht, doch dann fiel ihr ein, dass sie ja noch auf seinem Schoß saß. Sie musste also stillhalten.
„Ich würde ja liebend gerne jedes noch so kleine und dreckige Geheimnis von dir erfahren, aber ich schätze, dass die einfachen und oberflächlichen Dinge erst einmal reichen müssen. Also, was treibst du so?“, antwortete er ihr, verdächtig gelassen.
Camael war vollkommen überfordert. Was sollte sie denn bitte darauf antworten? Sie dachte nach.
„Ich bin mal hier, mal da, halte mich mit einfachen Jobs über Wasser und habe eine kleine Wohnung am Rande der Stadt. Ich habe keine Freunde und bin lieber für mich alleine. Ich lese gerne, träume gerne vor mich hin und habe eine Schwäche für Süßigkeiten. Und mehr gibt es wirklich nicht zu wissen.“
Urian stutzte erneut. Lebte sie tatsächlich so abgeschottet?
„Süße, du bist eine bildhübsche Frau, also warum hast du keine Freunde?“, fragte er perplex.
Nebenbei wanderte er nahezu unbemerkt mit seiner Hand an ihren Po. Schnaubend wandte Camael den Blick ab.
„Regel Nummer eins: Vertraue niemandem, außer dir selbst“, sagte sie ganz leise.
Urian betrachtete ausgiebig ihr Profil. Sie sah auf einmal sehr nachdenklich aus, fast traurig, und schien an etwas vergangenes zu denken. Was mochte diese Frau wohl erlebt haben? Schmunzelnd zog Urian ihr Gesicht wieder in seine Richtung.
„Na sieh einer dann, dann sind wir uns ja doch ähnlicher als gedacht“, stellte er fest. Gleichzeitig spielte er mit dem Gedanken sie wieder zu küssen.
„Das ist ein sehr einsames Leben, Camael“, sagte er dann bedacht und strich mit dem Daumen über ihre geschwungenen Lippen.
Sofort sah er das Misstrauen in ihrem Blick.
„Ja, aber es geht nicht anders“, antwortete sie schließlich und presste die Lippen zusammen. Urian war genervt. Das Ganze nahm schon wieder eine unerwartete Wendung. War sie wirklich so gebrochen? Er hatte nun schon einige Schicksale der Menschen erlebt und fast alle davon hätten ein wahr gewordener Albtraum sein können, doch bei Camael war etwas anders. Nur konnte er nicht sagen, was genau das war. Um ehrlich zu sein, traute er sich auch nicht danach zu fragen. Für gewöhnlich interessierten ihn solche Dinge überhaupt nicht. Noch bevor er sich überlegen konnte, was er denn nun sagen sollte, riss die junge Frau das Wort an sich.
„Genug von mir. Was treibst du so? Außer unzählige Frauen aufzureißen, versteht sich.“
Wenn Camael ihn sich so ansah, wäre ihr glatt der Gedanke gekommen er wäre ein Nichtsnutz, der nichts zu bieten hatte außer gutes Aussehen und gute Qualitäten als Liebhaber. Doch sie wusste, dass sie nicht nur nach dem Aussehen gehen durfte.
„Ich habe einen Job als eine Art Lieferant, habe aber unglaublich viel Freizeit. Und was ich in der treibe, weißt du ja. Ansonsten gibt es da nichts mehr zu sagen. Ich bin ein ziemlich langweiliger Mensch, musst du wissen. Keine Hobbys, keine Interessen.“
Irgendetwas daran kam Camael komisch vor, doch sie hakte nicht nach. Sie wollte an ihrem Plan festhalten und sich nicht zu sehr auf diesen Mann einlassen. Sie schnaubte also leise.
„Je weniger wir voneinander wissen, desto besser“, murmelte sie. Dann schaffte sie es, sich aus seinem Griff zu befreien und sich endlich zu erheben.
„Ich gehe jetzt. Muss ich dir meine Nummer geben, oder spionierst du mir in deiner Freizeit einfach nach?“
Urian konnte nicht anders als auf ihre Worte hin zu lachen.
„Würde es dir Angst einjagen wenn ich dir sage, dass ich dich tatsächlich schon finden würde?“, grinste er sie an, worauf Camael die Augenbrauen hochzog. Seufzend beugte sie sich vor.
„Stift und Zettel bitte“, verlangte sie mit aufgehaltener Hand. Den Zettel mit seiner Nummer hatte sie ja in ihrem Glas versenkt. Selbstgefällig grinsend gab Urian ihr, wonach sie verlangte.
„Benimm dich einfach wie ein normaler Mensch“, murmelte sie und schrieb ihre Nummer auf. Ihr Verstand wollte sie noch irgendwie davon abhalten, doch als sie ihm den Zettel aushändigte, war es auch schon zu spät.
„Aber komm nicht auf die Idee, mich jetzt zu nerven“, brummte sie, dann war sie so dreist einen Geldschein auf den Tisch zu werfen und ohne eine Verabschiedung zu gehen.
Ohne den Blick zu heben, trat Urian von einem Fuß auf den anderen. Er konnte sich nicht erklären, warum er herbestellt worden war, doch dieses Geheimnis sollte sogleich gelüftet werden.
„Urian“, donnerte die tiefe und machtvolle Stimme dann auch schon von den steinernen Wänden wider. Besagter Mann hob den Blick, doch der Herrscher blieb im Schatten seines Reiches verborgen. Nur sehr selten hatte Urian diesen Mann gesehen, doch das stellte seine Autorität in keinsterweise infrage. Jeder hatte Angst vor diesem Mann, jeder seiner Befehle wurde ausgeführt und niemals auch nur angezweifelt oder gar missachtet. Auf seinen Befehl hin war Urian deshalb sofort in diese dunklen Gefilde zurückgekehrt.
Schweigend wartete der Dämon darauf, dass der Herrscher fortfuhr. Und das tat der Mann mit den vielen Namen dann auch.
„Seit geraumer Zeit gehen schon keine Seelen mehr auf dein Konto. Muss ich dir Feuer unter'm Arsch machen?“
Das Knurren in des Herrschers Brust wurde immer lauter, bis es ebenfalls von den Wänden widerhallte.
„Verzeiht“, antwortete Urian also leise und verneigte sich leicht. „Aber ich bin da an einer Frau dran“, gestand er.
Es hätte keinen Zweck gehabt den Herrscher anzulügen oder ihm etwas zu verheimlichen, er hatte seine Augen überall und fände es eh schneller heraus, als Urian lieb gewesen wäre. Als der Herrscher nun jedoch überraschend aus dem Schatten trat, hätte Urian beinahe gezuckt.
Er hielt die Luft an. Dämonen waren sinngemäß unglaublich schöne Wesen, wollten sie die Menschen doch verführen und zur Sünde verleiten, doch der Herrscher war der Verführer schlechthin. Er war ein großer Mann, gleichauf mit Urian und ebenso muskulös. Sein Gesicht war pure Männlichkeit, voller Ecken und Kanten und mit dutzenden hauchfeinen Narben überzogener Haut. Eine hohe Stirn, eine gerade Nase und volle Lippen, ohne jeden Schwung, umrahmt von goldenem Haar, welches ihm auf die Schultern fiel. Er sah aus wie ein Mensch, wären da nicht die riesigen Schwingen in seinem Rücken, die aus schwarzen Federn bestanden und von seiner Herkunft zeugten. In dieser Welt war er der einzige, der Flügel besaß und es war offensichtlich, wie gerne er sie deswegen zeigte.
Doch noch ungewöhnlicher waren seine Augen. Aus der Ferne dachte man sie wären von einem seltenen blau, doch bei genauerem Hinsehen wurde klar, dass einem tatsächlich wässrige, blassviolette Augen entgegen sahen.
„Eine Frau?“, murmelte der einstige Engel nun und durchbohrte Urian mit seinen Blicken. „Liegen dir die Frauen nicht eigentlich zu Füßen?“
Urian schluckte. Verdammt, er zeigte mehr Interesse als ihm lieb war.
„Genau das ist der Punkt. Ihre Seele scheint anders zu sein als andere, aber lange werde ich nicht mehr brauchen“, antwortete er so ausdruckslos, wie er nur konnte. Er wollte nicht, dass dieser Mann erfuhr, wie interessiert er wirklich an dieser Frau war. Unruhig beobachtete Urian, wie er näher kam. Verdammt, das war ganz und gar nicht gut.
„Ich gebe dir genau drei Tage, Urian. Wenn du dir bis dahin immer noch nicht ihre Seele unter den Nagel gerissen hast, werde ich mich ihrer selbst annehmen“, knurrte der Herrscher plötzlich leise.
Geschockt starrte Urian ihn an. War das sein Ernst? Soweit er wusste, hatte dieser Mann die Arbeit nie selbst verrichtet, sondern immer seinen Dämonen aufgetragen. Allerdings schien Urian mit seinen Worten den Mann nur neugierig gemacht zu haben. Mist, hätte er Camael doch nur nie erwähnt.
„Ich mach das“, murmelte Urian, dann machte er kehrt. Er wollte schleunigst von hier verschwinden, doch unglücklicherweise legte sich plötzlich die Hand des Herrschers auf seine Schulter.
„Urian!“, wurde er herrisch zurückgehalten. „Wie ist der Name dieser Frau?“, wollte der Mann hinter ihm wissen. Fuck!, ging es ihm durch den Kopf. Auf keinen Fall würde er ihm das sagen.
„Keine Ahnung. Für gewöhnlich habe ich nicht länger als ein paar Stunden mit irgendwelchen Frauen zutun“, erwiderte er lässig, worauf die Hand tatsächlich von seiner Schulter verschwand.
„Ja, das passt zu dir“, murmelte der Herrscher, dann machte Urian sich aus dem Staub.
Nachdenklich sah Camael aus dem Fenster, hinaus in den strömenden Regen. Sie hatte noch immer nichts von ihren Eltern gehört und fragte sich deshalb, ob dies wohl auch erst einmal so bleiben würde. Für gewöhnlich ließen sie keine Gelegenheit aus, Kontakt zu ihr aufzunehmen.
Urian musste sie wirklich geschockt haben. Unauffällig warf Camael einen Blick auf ihr Handy. Ihre schlimmste Befürchtung war, dass Urian sie gar nicht mehr in Ruhe lassen würde. Doch erstaunlicherweise hatte er sich bis jetzt noch nicht gemeldet. Mal ganz nebenbei, sie war sich nicht sicher, ob sie diese verrückte Idee wirklich mit ihm durchziehen sollte. Vertrauen tat sie diesem Kerl nämlich nicht. Warum sollte sie auch? Er hatte ja selbst zugegeben, dass er sich gerne die Zeit mit Frauen vertrieb. Was bitte wollte er da von ihr, wenn nicht Sex? Aber warum hatte er sie dann so unbedingt, für diesen einen Moment, auf seinem Schoß halten wollen?
Camael rieb sich die Stirn. Ihr brummte der Schädel von dem, was alles passiert war. Sie war solchen Trubel nicht gewöhnt und wollte eigentlich auch weiter in völliger Isolation leben. Nachdem, was sie alles erlebt hatte, war sie einfach nicht mehr in der Lage dazu, es lange mit anderen Menschen auszuhalten. Sie vertraue in der Tat niemandem mehr, außer sich selbst.
Plötzlich erschreckte sie ein lautes Bimmeln. Irritiert sah sie auf ihr Handy, doch es wurde unter einer ihr unbekannten Nummer angerufen. Das war doch nicht etwa...? Mit zitternden Händen nahm sie das Gerät zur Hand. Oh Gott, warum war sie denn auf einmal so nervös?
„Ja?“, meldete sie sich dann neutral.
„Camael?“, hakte daraufhin eine dunkle Männerstimme am anderen Ende der Leitung nach. Und es war tatsächlich Urian. Hatte der etwa ihre Gedanken gelesen, oder was?
„Wer sonst?“, erwiderte sie nun, fast schon schnippisch.
„Ich hab Langeweile. Lust auf ein Bier?“, fragte der Mann dann.
Camael war ein wenig perplex. Lud er sie etwa ein? Kurz biss die Frau sich auf die Lippe. Sie mochte zwar auch gelangweilt in ihrer Wohnung sitzen, aber sich deswegen mit Urian verabreden? Ob sie das wirklich wagen konnte? Nun gut, sie mussten ja nicht gleich Freunde werden.
„Na, meinetwegen“, erwiderte sie schließlich. „Wo steckst du?“
Am anderen Ende der Leitung wurde es kurz still. Scheinbar konnte auch er nicht glauben, dass sie wirklich zugestimmt hatte.
„Da, wo wir uns das erste Mal in die Arme gelaufen sind“, antwortete er dann leise.
Camael verdrehte die Augen, auch wenn er es genau genommen nicht sehen konnte.
„Wir sind uns nicht in die Arme gelaufen, du hast mich belagert“, erwiderte sie und schlüpfte nun gleichzeitig in ihre Turnschuhe.
Sie trug heute zwar nur Jeans und einen Kapuzen-Hoodie, doch sie hatte keine Lust sich umzuziehen. Davon einmal abgesehen waren ihre roten Locken ohnehin auffällig genug. Während Urian nun lachte, schnappte sie sich ihren Schlüssel und verließ ihre Wohnung.
„Also bitte, ja? Ich bin nur zu dir gekommen, weil ich gesehen habe, wie du mich heimlich beobachtest“, stichelte er und prompt spürte Camael, wie sich die Wärme auf ihrem Gesicht ausbreitete. Oh Gott, oh Gott, oh Gott!
„Ich habe dich nicht beobachtet“, protestierte sie lauter, doch Urians Lachen wurde nur noch lauter.
„Wirklich? Du lügst mich einfach so an? Dabei habe ich es doch ganz genau gesehen.“
Camael trat vor die Haustür und atmete erst einmal tief durch. Sie konnte gar nicht in Worte fassen, wie peinlich ihr das war.
„Du kannst so etwas gar nicht gesehen haben, dafür ist es da viel zu dunkel“, versuchte sie es auch weiter, während sie durch die Straßen hastete. Auf einmal brannte sie darauf ihn fertig zu machen, am Telefon funktionierte so etwas aber schlecht.
„Ich habe gute Augen“, erwiderte Urian gerade.
„Du spinnst“, sagte Camael und jetzt konnte auch sie sich ein Lachen nicht mehr verkneifen. Flirteten sie etwa gerade miteinander?
„Ernsthaft! Ich kann im Dunkeln verdammt gut sehen“, lachte Urian, viel lockerer als sie es für möglich gehalten hätte.
„Du kannst dir verdammt gut irgendwelchen Mist zusammen reimen“, widersprach sie. Sie musste feststellen, dass auch sie gerade viel entspannter wurde.
„Warum glaubst du mir denn nicht?“, wollte Urian gespielt beleidigt wissen, worauf Camael sich ein Grinsen verkniff.
„Wer würde einem Mann, der sich jede Frau zu willen macht, denn schon glauben?“
Urian stieß ein Schnauben aus.
„Reiß mir doch gleich mein Herz heraus!“
„Besitzt du überhaupt eines?“
…
Als Camael nach nur fünf Minuten in der Kneipe ankam und sich wegen Urian immer noch das Handy ans Ohr hielt, sah sie sich mit hochrotem Kopf um. Den ganzen Weg über hatten sie sich einen heftigen Schlagabtausch geliefert, nun wurde es Zeit, dass Camael sich diesen Mann zur Brust nahm.
„Wo steckst du?“, murmelte sie leise, da sie ihn nirgends entdecken konnte.
„Dreh dich um“, sagte er leise, worauf sie herumwirbelte. Sie konnte gar nicht so schnell reagieren, wie er sie an sich gezogen hatte. Schrecklich besitzergreifend legte er seine Hände an ihren runden Po.
„Du hast mich warten lassen. Und deinetwegen ist mein Ego angekratzt“, raunte er ihr ins Ohr, worauf Camael vergeblich versuchte, sich von ihm zu lösen.
„Deinem Ego geht es bestens, keine Sorge. Und nun lass mich los, ich bin nur wegen des Biers hier.“
Lachend ließ der Mann sie tatsächlich gewähren.
„Ist dir eigentlich bewusst, dass du ganz schön gemein sein kannst?“
Voller Selbstverständlichkeit zog er sie dafür aber an einen der hintersten Tische.
„Durchaus, aber leider scheint es bei dir nicht zu helfen“, murmelte sie.
Während Urian die Getränke für die Frau und sich besorgte, ließ er sie keine Sekunde lang aus den Augen. Sie war erneut sehr unauffällig angezogen, doch verdammt, merkte sie eigentlich, dass sie mit ihren Haaren und ihrem wunderhübschen Gesicht alle Blicke auf sich zog? Sämtliche Männer, die sich hier gerade aufhielten, hatten nur noch Augen für Camael. Das Schlimme war, dass Urian es ihnen nicht einmal verübeln konnte. Für einen Menschen war sie ungewöhnlich hübsch. Fast schon zu hübsch! Wenn der Herrscher der Finsternis sie erst einmal gesehen hatte, würde er sie auf jeden Fall für sich beanspruchen. Erst recht wenn er dann auch noch erfuhr, dass diese Frau den Namen eines Engels trug. Urian gab zu, dass er keine Ahnung hatte, wie er nun vorgehen sollte. Ihr Telefongespräch eben war sehr locker und ungezwungen gewesen, doch er sah ganz genau wie angespannt sie auf ihrem Platz saß. Es war unglaublich, doch sie vertraute ihm wirklich kein Stück!
Noch nie war ihm so etwas passiert. So wie es aussah, musste er sanft und vorsichtig sein, ansonsten würde er sie nur vergraulen.
Verdammt, dass passte ihm gar nicht. Er war noch nie ein vorsichtiger Typ gewesen. Und da er ein Dämon war, schien er es auch in seinem vorigen Leben nicht gewesen zu sein. Er musste auf jeden Fall etwas unternehmen, ehe der Herrscher in der Welt der Menschen auftauchte. Dummerweise blieben ihm nicht einmal zwei Tage. Mit zwei Bierflaschen in den Händen begab er sich zurück zum Tisch, wobei er von Camael mit Arugsaugen beobachtet wurde. So so, sie ließ ihn also auch nicht aus den Augen. Ob sie wohl ahnte, dass er nicht so war, wie sie?
„Du hattest also Langeweile?“, hakte sie misstrauisch und mit hochgezogenen Augenbrauen nach. Sieh an, sie glaubte ihm also nicht. Eines musste man ihr lassen, dumm war sie nicht.
„Soll vorkommen“, erwiderte er locker und nahm auch schon den ersten Schluck von seinem Bier. Camael schnaubte leise und starrte auf die Flasche in ihren Händen. Worauf hatte sie sich nur eingelassen?
„Warum hast du dir nicht ein neues Betthäschen angelacht? Dürfte dir doch nicht schwerfallen“, murmelte sie, allerdings eher zu sich selbst als zu ihm.
„Mir ist im Augenblick nicht danach“, antwortete Urian und sah sie dabei eindringlich an. „Mir war danach, Zeit mit dir zu verbringen.“
Als Camael überrascht aufsah, trafen sich ihre Blicke. Sie schluckte. Sie wollte mehr solcher Sachen hören, mehr als alles andere auf der Welt, doch sie zwang sich bei Verstand zu bleiben. Sie wusste schließlich, dass er ihr eiskalt ins Gesicht log. Sie sah es an seinen Augen. In ihnen war einfach kein Ausdruck, noch dazu waren seine Pupillen verdächtig klein.
„Und warum?“, fragte sie. Wie weit würde er mit seinen Lügen wohl gehen? Noch immer wich er ihrem Blick nicht aus. Mist, dieses kleine Ding war viel zu misstrauisch für seinen Geschmack.
„Weil ich dich unerwartet faszinierend finde. Und dich wirklich besser kennenlernen will“, antwortete er dennoch, auch wenn es ihm widerstrebte. Teufel, was brannten ihm diese Worte auf der Zunge. Doch noch immer starrte Camael ihn nahezu hasserfüllt an.
„Wozu? Ich will keine Freundschaften und erst recht keinen Mann. Spar dir die Mühe, hörst du? Selbst für eine schnelle Nummer bin ich nicht zu haben“, fauchte sie plötzlich schlecht gelaunt.
Nanu? Etwa ein wunder Punkt?
„Na und? Interessiert mich nicht. Bist du etwa so ein schlechter Mensch? Gib mir wenigstens eine Chance. Du kennst mich doch gar nicht. Vielleicht bin ich in Wirklichkeit ja ganz anders?“, kam es prompt von Urian zurück. Camael fletschte die Zähne. Das war ja wohl eine Frechheit, sie hier als böse darzustellen. Wollte er sie jetzt so lange bearbeiten, bis sie nachgab? Kopfschüttelnd umklammerte Camael ihr Bier fester.
„Du bist unmöglich“, murmelte sie, dann sah sie ihn zögernd an. „Würdest du verschwinden und mich in Ruhe lassen, nachdem wir miteinander gevögelt haben?“
Urian starrte sie an, voller Unglaube. Wie bitte? Wollte sie das wirklich tun, wenn er sie dafür in Ruhe ließ?
„Äh, ja, aber bist du dir wirklich sicher?“, antwortete er leise, worauf Camael sich vorbeugte und ihn am Kragen seines Shirts packte.
„Du bist ziemlich leichtgläubig, was? Du glaubst doch nicht etwa wirklich, dass ich mit dir in die Kiste springen würde“, zischte sie.
Urian fühlte sich, als hätte er einen heftigen Schlag auf den Kopf bekommen. Die Kleine führte ihn doch tatsächlich an der Nase herum. Und warum zur Hölle gefiel ihm das auch noch? Mit einem leisen Grollen packte er ihr Genick, dann küsste er sie grob, ganz so, wie es für einen Dämon, wie er es war, angemessen war. Camael hätte sich am liebsten wieder losgerissen, konnte doch aber nicht schon wieder einfach so nachgeben und ließ sich deshalb und nur ausnahmsweise darauf ein. Sie erwiderte den Kuss genauso forsch und biss ihn mehrmals, worauf Urian sie beinahe überrascht angesehen hätte. Na also, sie war ja doch nicht immer das brave Mädchen.
Verdammt, es wäre so leicht gewesen sie jetzt auf seinen Schoß zu ziehen und sie gefügig zu machen, doch so etwas zu erzwingen, konnte einer Seele einen erheblichen Schaden zufügen. Doch vielleicht ließ sie sich am Ende ja doch darauf ein? Da sie keinerlei Anstalten machte den Kuss zu unterbrechen, zog Urian an ihr, sodass sie dazu gezwungen war, näher an ihn heranzurutschen. Sie tat es, wenn auch im ersten Moment nur widerwillig. Es war vielleicht nur ein Kuss und den konnte sie auch problemlos erwidern, dennoch kam sofort Misstrauen in ihr auf, als Urian einen Arm um ihre Taille schlang und sie auf seinen Schoß zog. Als er den Kuss noch vertiefte und dann auch noch seine Hände wandern ließ, kam auf der Stelle auch noch Begehren in ihr auf. Natürlich war sie nicht immun dagegen.
Urian war außerdem eine ziemliche Sahneschnitte. Sie genoss das Gefühl seiner Muskeln unter ihren Fingern und zog für einen Moment in Erwägung, sich nicht einfach doch auf ihn einzulassen. Seit einer gefühlten Ewigkeit schon hatte sie keinen Sex mehr gehabt und sich auch nicht sonderlich begehrenswert gefühlt. Urian vermittelte ihr wenigstens das Gefühl, attraktiv zu sein. Doch als ihr wieder einfiel was beim letzten Mal passiert war, beschloss sie, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen. Auf diesen Moment jedoch ließ sie sich ein und so nahm Urian verblüfft zur Kenntnis, dass sie ihn nicht davon abhielt die Hände unter ihren Hoodie zu schieben. Camael erschauerte als sie spürte, wie rau sich seine großen Hände auf ihrer weichen Haut anfühlten. Und Himmel, seine Hände waren so groß. Aufgebracht löste Camael ihre Lippen von seinen.
„Du verschwendest aber auch wirklich keine Zeit, was?“, grummelte sie leise. Warum klang sie denn jetzt so aufgebracht? Urian suchte erneut ihren Mund.
„Nicht reden“, bat er, ehe er sie erneut küsste und mit den Händen ihre schmale Taille und ihren flachen Bauch erkundete. Jetzt verbietet er mir auch noch den Mund, dachte Camael sauer und überlegte sofort, wie sie es ihm heimzahlen konnte. Doch als Urians Hände plötzlich ihre Brüste fanden, setzte ihr Verstand aus. Machte er das wohl absichtlich? Seine Finger stahlen sich unter den Stoff ihres BHs und erkundeten erst die Rundungen ihres Busens, dann aber wagte er es doch tatsächlich, an ihren Nippeln zu spielen.
Sogleich stieß Camael ein ungewolltes Stöhnen aus. Sie verfluchte sich selbst, als sich auch eine verräterische Nässe zwischen ihren Beinen ausbreitete. Sie war schon immer leicht erregbar gewesen und auch wenn sie sich damit glücklich schätzen konnte, passte ihr das im Augenblick doch gar nicht. Urian hatte sie damit in der Hand, ob es ihr gefiel oder nicht. Als Urian ihren erstickten Laut hörte, zuckten seine Mundwinkel.
Ob es ihr passte oder nicht, ihrem Körper gefiel sein Tun. Von nun an hielt er sich also nicht mehr zurück. Während er mit einer Hand an ihrem Busen verweilte, wanderte er mit der anderen tiefer und öffnete rasch und geschickt den Knopf ihrer Jeans. Seine Finger stahlen sich absichtlich langsam unter den Stoff ihres Höschens und streichelten dann ausgiebig ihr bereits feuchtes Fleisch. Um ihn zu warnen biss Camael ihm erneut in die Lippe, doch es hatte keinen Zweck, sie bog sich ihm bereits entgegen und verlangte somit nach mehr. Als Urian spürte wie ihm ihr Saft über die Finger lief, stieß auch er einen kehligen Laut aus. Er war ebenfalls schon hart und mehr als bereit und es wäre durchaus ein leichtes für ihn gewesen, sie nun über den Tisch zu beugen und hart in sie zu stoßen. Es ständ nämlich in seiner Macht dafür zu sorgen, dass die Leute um sie herum es nicht sahen.
Doch er verfolgte einen anderen Plan. Er wollte, dass sie ihn anbettelte, wollte, dass sie von sich aus so weit gehen würde. Nicht umsonst war er, was er war. Sie sollte sich selbst in ihr Verderben stürzen. Also fingerte er sie weiter, amüsiert darüber, dass Camael schon dabei war einen Rhythmus auf seinem Schoß zu finden. Doch das kleine Mistding schien sein Handeln ausnutzen zu wollen, denn auf einmal traf ihn ihr provokanter Blick. Schlagartig zog er seine Finger zurück, worauf Camael ihn frech angrinste.
„Was denn, hast du es dir anders überlegt?“, stichelte sie. Urian verzog das Gesicht.
„Du verdammtes Biest“, knurrte er sie an, worauf die Frau nur lachte.
„Wenn du meinst mich ins Bett lotsen zu können, hast du dich geschnitten. Aber wo du dir doch so viel Mühe gibst, kann ich deine Fingerfertigkeiten doch nicht einfach ignorieren.“
Urian gab zu, dass diese Frau immer interessanter für ihn wurde. Langweilig wurde es mit ihr definitiv nicht. Camael sah verschiedene Regungen in seinem Gesicht. Seine Mundwinkel zuckten, doch gleichzeitig starrten seine Augen sie finster an. Er schien sauer und verblüfft zu sein, irgendwo vielleicht auch amüsiert. Um endlich einen Schlussstrich ziehen zu können, rutschte Camael von seinem Schoß herunter. Dennoch blieb sie so dicht bei ihm, dass ihre Schultern sich auch weiterhin berührten.
„Hattest du je mit einer Frau zutun, die sich so quergestellt hat wie ich?“, fragte sie schmunzelnd.
„Nein, und das gefällt mir ganz und gar nicht“, murmelte der Mann. Fast schon erschrocken beobachtete Camael, wie der Mann sich die noch feuchten und klebrigen Finger leckte. Dabei verzogen sich seine Lippen zu einem breiten Grinsen und als ob das nicht schon genügen würde, lehnte er sich wieder zu ihr, so als ob er sie schon wieder küssen wollen würde.
„Du schmeckst ungewöhnlich süß. Gefällt mir. Vielleicht sollte ich dich einmal ausgiebig lecken, vielleicht kriege ich dich dann dazu zu schreien, statt mich zu ärgern“, raunte er.
Bei der Vorstellung wie der Mann mit dem Kopf zwischen ihren Beinen verschwand, breitete sich sogleich neue Nässe zwischen ihren Schenkeln aus. Sogleich wurde sie rot.
„Bist du immer so pervers?“, fauchte sie leise, was Urian aber nur zum lachen brachte.
„Ich kann dir auch meinen Schwanz in seinen Mund stecken, hauptsache du bist still.“
Fassungslos starrte Camael ihn an. War das zu fassen?
„Meine Eltern würden dich hassen“, verkündete sie wie aus dem Nichts heraus, in der Hoffnung das Thema nun endlich irgendwie wechseln zu können. Zu ihrem Erstaunen ließ Urian sich sogar darauf ein und rückte ein Stück von ihr ab. Eingehend betrachtete er sein Bier.
„Erzähl mal, Kleine. Was hat es mit deinen Eltern auf sich? Waren sie schon immer so?“
Camael zögerte kurz. Über sich selbst wollte sie zwar nicht sprechen, doch vermutlich war es in Ordnung über die beiden zu reden.
„Soweit ich mich erinnern kann, ja. Ich kann mir nicht erklären,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 06.05.2018
ISBN: 978-3-7438-6776-5
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