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Prolog

Abermillionen von Sternen erleuchteten den Nachthimmel. Lichtverschmutzung war nicht mehr vorhanden, ebenso wenig wie andere Dinge, die diesen spektakulären Ausblick trüben konnten. Vogelschreie durchbrachen die Stille der Nacht und Insekten waren niemals stumm. Die Natur schlief nicht, egal wie finster es auch sein mochte.

Die Erde hatte sich erholt. War befreit vom Krieg und Hungersnot. Es gab keinen Stahl mehr und auch eine Chemie. Es existierte nur noch die Erde, das Gestein, Feuer, Wasser und Holz. Naturkatastrophen brachten neue Hoffnung, ließen Inseln entstehen, brachten verborgene Schätze ans Licht und neue Möglichkeiten, für all die Lebewesen. Auch sie profitierten davon. Die Könige dieser Welt, die an der Spitze der Nahrungskette standen.

Im Jahre 2100 gehörte der gesamte Planet fast ausschließlich ihnen. Lediglich einzelne Dörfer waren den Menschen zugesprochen, wenn sie sich aber doch mal aus ihren Revieren heraus wagten, drängten die Drachen sie sofort wieder zurück. Die meisten Menschen schienen sich damit abgefunden zu haben, doch es stand völlig außer Frage, dass sie irgendwann anfangen würden zu rebellieren. Doch die Drachen hatten sich einst geschworen, es nie wieder so weit kommen zu lassen. Dass stattdessen ein ganz anderes Problem auf sie zukam, ahnten sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht...

 

 

Kapitel 1

 

Er horchte auf. Sein Wald war still, dabei sollte es gar nicht so sein. Mitten in der Nacht herrschte hier im Urwald genau so viel Trubel, wie auch am Tage, doch heute Nacht war davon nichts zu merken. Seine schwarzen Augen suchten die Umgebung ab, fanden aber nichts. Der Amazonas und der dazugehörige Regenwald gehörten einzig und allein ihm, dies war sein Zuhause. Und wenn in seinem Zuhause etwas nicht stimmte, dann würde er es herausfinden. Wie ein Panther schlich er durch das Unterholz, auf direkten Wege zum Ufer des Flussverlaufes.

Er hatte Witterung aufgenommen, roch nicht heimisches Holz und den leichten Geruch von Blut. Irgendjemand oder irgendetwas war hier. Corvus duldete keine Eindringlinge in seinem Revier, egal ob Mensch oder Drache. Er mochte schon so einige Leben viel zu schnell beendet haben, doch aus genau diesem Grund wurde er respektiert. Schon seit Jahrhunderten hatte sich niemand mehr mit ihm angelegt. Täte es heute jemand, wäre er wohl erst einmal verwirrt.

Er schob diese Gedanken zur Seite und trat zwischen den Bäumen hervor. Schwarz, wie der lauernde Tod, lag der Fluss vor ihm, voller Leben, welches einem schnell mal zum Verhängnis werden konnte. Corvus blickte sich um, hielt sich dabei noch immer im Schatten und entdeckte knapp hundert Meter von ihm entfernt ein kleines Schiff, welches angelegt hatte. Ein lautes Knurren wollte in seiner Brust aufsteigen, doch er unterdrückte es.

Was, zur Hölle...? Schon seit Jahren war so etwas nicht mehr passiert, aber hatten es vielleicht doch noch ein paar Menschen bis hierher geschafft? Corvus reckte die Nase in die Luft und witterte erneut. Irritierenderweise schien kein Mensch mehr in der Nähe zu sein.

Scheiße! Sie waren doch nicht etwa auf direktem Wege zu seinem Anwesen? Er stieß ein Schnauben aus. Nein, so weit würden sie gar nicht kommen. Wenn sie nicht von einem Jaguar gefressen wurden, liefen sie direkt in seine Fallen. Oder aber er machte sie selbst kalt. Erst einmal galt es aber, dieses kleine verdammte Schiff zu zerstören. Und dabei würde er hoffentlich herausfinden, woher dieser eindringliche Blutgeruch kam.

Corvus wurde eins mit dem Schatten und pirschte sich geräuschlos an das hölzerne Schiff heran. Es war vollkommen still und kein Windhauch war zu verspüren, doch in der Luft war ein seltsames Kribbeln zu spüren. Irgendetwas war hier faul. Oder lauerte hier etwa jemand?

Corvus sah sich um und da er keinerlei Menschen spüren oder riechen konnte, gab er seine Deckung einfach auf. Er richtete sich auf und trat aus dem Schutz der Schatten, dann setzte er seinen Fuß auf den hölzernen Fallreep. Ein Knartschen ertönte, weshalb er kurz inne hielt, doch um ihn herum blieb es auch weiterhin vollkommen still. Das Ganze mochte Corvus nicht geheuer sein, doch er setzte sich wieder in Bewegung. Das Holz knarzte unter jedem seiner Schritte weiter, doch der Mann beachtete es nicht weiter und ließ den Blick schweifen. Auf diesem kleinen Schiff gab es keinerlei Lichtquelle. Die war jedoch gar nicht nötig, Corvus konnte sich recht schnell einen Überblick verschaffen. Auf dem Deck des Schiffes standen überall Kisten und...Käfige? Diese bestanden aus rostigem Stahl und waren nicht einmal so groß wie er. Wurde hier etwa Jagd auf etwas gemacht? Und wenn ja, worauf? Vielleicht auf all die hübschen und seltenen Tiere hier?

Durchaus denkbar, wenn man die Größe der Käfige bedachte. Aber irgendetwas passte nicht hierher. Vielleicht all das Blut, in das er nun hineintrat? Unter seinen Füßen plätscherte es leise, doch das war es nicht, was ihn inne halten ließ. Was ihn irritierte, war das Etwas, neben der Blutlache. Er ging in die Hocke und streckte die Hand nach dem Etwas aus, das wie ein großes, zerknülltes Stück Stoff aussah. Erschrocken stellte Corvus fest, dass es gar kein Stoff war. Es war warm und schwer in seiner Hand. Schmierig und blutig.

Es war Leder. Corvus richtete sich auf, wobei er den Atem anhielt und das Leder gegen das Mondlicht hielt, um mehr erkennen zu können. All das Blut und die Wärme... War irgendein Tier etwa gehäutet worden? Ihm gefror das Blut in den Adern. Dieses Leder war seltsam. Wies keinerlei Schuppen oder Muster auf, war vollkommen glatt und geschmeidig. Allerdings war es unglaublich dick und schwer und fühlte sich an wie... Drachenhaut, schoss es ihm durch den Kopf, dann ließ er das Leder fallen. Doch die Situation wurde noch absurder.

Ein leises Rasseln, in einer Ecke seitlich von ihm, erregte seine Aufmerksamkeit. Wachsam ging er auf einen verhüllten Käfig zu. Der Blutgeruch wurde hier stärker, weckte kurz seinen Jagdtrieb und ließ ihn dann aber vorsichtig werden. Dies hier mochte sein Territorium sein, aber noch wusste er nicht, womit er es hier eigentlich zutun hatte. Gefahr hin oder her, Corvus riss das schmutzige Laken mit einem Ruck von dem Käfig herunter und hielt dann angewurzelt inne. Was zum...?

In dem kleinen Käfig kauerte eine Frau, völlig verwildert und in dreckige Lumpen gehüllt. Die Haut an ihrem linken Arm fehlte ab der Schulter, weshalb sie in ihrem eigenen Blut saß. Um ihren schlanken Fußknöchel rasselte eine Eisenkette mit dicken Gliedern. Da sie ja nicht weg konnte nutzte Corvus die Gelegenheit, um sie ganz genau unter die Lupe zu nehmen.

Ihre polangen schwarzen Haare waren verknotet und verfilzt, umflossen sie aber wie Seide und lagen mit den Spitzen in ihrem eigenen Blut.

Ihre blauen mandelförmigen Augen stachen wachsam und feindselig aus ihrem schmutzigen Gesicht wie Aquamarine heraus. Das waren wirklich die beeindruckensten Augen, die er je gesehen hatte. Ihr blasses Gesicht war schmal, mit hohen Wangenknochen und einer ebenfalls schmalen Nase. Ihr Schmollmund wies keinerlei Schwung auf, doch so wie es war, passte es. Ihre dunklen Augenbrauen waren schmal und nur leicht geschwungen, was ihrem Gesicht etwas strenges verlieh. Ihre angewinkelten Beine machten klar, dass sie nicht sonderlich groß war. Nur in etwa einen Meter sechzig klein. Corvus sah genauer hin. Sie erinnerte ihn an eine Amazone. Üppige Oberweite, ausladende Hüften und ein praller Po. Nur ihre Taille war ungewöhnlich schmal. Auch ihre Hände und Füße waren sehr klein. Diese Frau war ungewöhnlich hübsch, nur leider völlig verwahrlost.

Konnte Corvus genau genommen egal sein. Als die Frau aber plötzlich die Zähne fletschte und ein drohendes Fauchen ausstieß, zog der Mann lediglich eine einzelne Augenbraue hoch. Säße sie nicht in diesem Käfig, wäre sie nun wohl auf ihn losgegangen. Corvus überlegte, was er tun sollte. Für gewöhnlich hätte er sie einfach hier sitzen gelassen, doch unter diesen Umständen...

Ihr gehäuteter Arm machte klar, dass dieses ungewöhnlich glatte Leder von dieser Frau kommen musste. Allerdings hatte er noch nie von einem Drachen ohne Schuppen gehört. Aufgrund der Geschehnisse in der Vergangenheit entschied er sich, ihr zu helfen. Doch sollte sie seinem Anwesen zu nahe kommen, würde er sie auf der Stelle töten!

Corvus ging nun in die Knie und nahm den Käfig unter die Lupe. Ein Schloss war nicht zu erkennen, doch um ehrlich zu sein, sah die Konstruktion ohnehin nicht besonders stabil aus. Offenbar hinderte sie nur diese Kette an einer Flucht. Wahrscheinlich war sie einfach zu schwach. Corvus blieb ganz entspannt und legte eine Hand an die eisernen Gitterstäbe. Ein gezielter Ruck, zusammen mit seiner Muskelkraft und ihr Gefängnis war mit einem dumpfen Klingen aufgebrochen. Doch das Blatt wendete sich. Corvus konnte gar nicht so schnell reagieren, wie die Frau plötzlich vor ihm stand und ihn schubste. Er taumelte, berappelte sich aber wieder und fuhr zu ihr herum. Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Moment, dann rannte sie auch schon los und verschwand im Urwald. Corvus knurrte leise. Naja, war ihm im Grunde genommen egal. Wichtiger war es nun, diese verdammten Menschen zu finden!

 

Ihr blieb die Luft weg. Was, zur Hölle, war das gerade gewesen?

Zea wollte schneller rennen, wollte bloß weit weg von diesem Ort, doch immer wieder stolperte sie über Wurzeln, Steine oder gar ihre eigenen Füße.

„Beschissener Urwald!“, fauchte sie, auch wenn sie eigentlich schon gar keine Luft mehr dafür hatte. Langsam aber sicher ebbte auch das Adrenalin in ihrem Blut ab und die höllischen Schmerzen drangen zu ihr durch. Sie musste schon so einige Verletzungen in ihrem Leben wegstecken, doch gehäutet zu werden, war noch einmal ein ganz anderes Kaliber. Ihr Arm brannte, als würde er in Flammen stehen und ihr war klar, dass ihr Körper viele Tage, oder gar Wochen benötigen würde, um diese Verletzung wieder in Ordnung zu bringen. Derbe Flüche lagen Zea auf der Zunge, doch sie sparte sich den Atem zum laufen.

Diese verdammten Bastarde! Genau aus diesem Grund hielt sie sich immer versteckt. Ihre Haut war selten und kostbares Gut auf dieser Welt. Aus ihrer Familie war sie die einzige Überlebende. All ihre Mühen sich zu verstecken sollten nicht umsonst gewesen sein.

Nicht nur die Menschen waren ihre Feinde, nein, auch andere Drachen hatten schon versucht, irgendwie an sie heranzukommen.

Man hatte durchaus schon versucht ihre Blutlinie irgendwie fortzuführen, doch Zea war clever und immer gut getarnt.

Plötzlich blieb ihr Fuß unter einer Wurzel hängen. Fluchend ging sie zu Boden, wobei ihr hautloser Arm direkt in einem dornigen Gestrüpp landete. Ein Schrei wollte sich schon ihrer Kehle entringen, da biss sie sich mit aller Wucht auf die Zunge. Stöhnend krümmte sie sich. Für einen kurzen Moment kam ihr in den Sinn, einfach hier liegen zu bleiben. In all den Büschen und Sträuchern würde man sie eh nicht finden. Doch dann kam ihr wieder dieser Mann in den Sinn. Auf einmal hatte sie sein Gesicht vor Augen. Pure Männlichkeit, aber doch sehr fein geschnitten. Seine hohe Stirn und die breite Kieferpartie schienen ungewöhnlich weich gezeichnet zu sein. Seine leicht gekrümmte Nase hatte erstaunlicherweise sehr gut hinein gepasst. Die Wangen waren hohl erschienen, ganz leicht nur, doch vielleicht hatte dies auch an der Dunkelheit gelegen. Schwarze Haare waren ihm bis ans Kinn gefallen und seine Haut war gut gebräunt gewesen. Seine Unterlippe war breiter als seine Oberlippe, doch sein ganzer Mund hatte einen faszinierenden Schwung aufgewiesen.

Doch das erschreckendste waren definitiv seine Augen gewesen. Tiefschwarz, wie zwei Onyxe. So schwarz und dunkel, dass sie sich selbst hatte darin sehen können. Und er war so unglaublich groß. Sie hatte sich wie eine kleine Maus gefühlt.

Die Schmerzen trieben Zea auf einmal Tränen in die Augen. Und wenn sie einfach versuchen würde zu schlafen? Nur ein bisschen?

Trotz der Schmerzen versuchte die Frau ruhig und flach zu atmen. Sie hatte keine Kraft mehr um aufzustehen, doch wenn sie ein bisschen geschlafen hätte, ging es ihr mit Sicherheit besser. Erschöpft fielen ihr dann auch schon die Augen zu.

Das letzte woran sie dachte, waren tiefschwarze Augen, die sie ausdruckslos gemustert hatten.

 

Blutverschmiert und mit wildem Blick trat Corvus zwischen den Bäumen hervor. Allmählich ging die Sonne auf. Die ganze Nacht lang war er auf der Jagd nach den Menschen gewesen. Fünf Männer hatte er ausfindig machen können, zwei davon hatte er nahezu zerfetzt. Kontrolle war an diesem wilden Ort nicht angebracht und so hatte er auch die anderen drei mit bloßer Schnauze auseinander gerissen. Corvus konnte nicht sagen ob er alle erwischt hatte, doch das würde die Zeit zeigen. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht herauszufinden wer diese Leute waren, hatte aber ohne zu zögern auch das Schiff zerstört. Hinweise hatte er dabei keine gefunden.

All die anderen Käfige waren leer gewesen also waren diese Kerle nur wegen dieser Frau hier gewesen? Apropos Frau. Die gerodete Fläche, auf der Corvus schon vor vielen hundert Jahren sein kleines Anwesen errichtet hatte, schien im Morgengrauen und dem leichten Nebel besonders friedlich zu sein, doch dann entdeckte er etwas, das seinen Instinkt wieder in Wallung brachte.

Die Frau, die er noch in der Nacht gerettet hatte, stand mitten auf der Lichtung und seinem Anwesen aus Holz und Stein gefährlich nahe. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und sah in der aufgehenden Sonne noch viel entstellter aus, als im Mondlicht. Von ihrem hautlosen Arm tropfte noch immer das Blut. Wollte es denn nicht anfangen zu heilen? Sie war doch ein Drache, oder etwa nicht? Die kleine Frau war voller Dreck und Schnittwunden und es sah aus, als wäre sie die ganze Nacht lang durch den Wald geirrt. Ohne ein Geräusch zu verursachen pirschte Corvus sich an die Frau heran. Sie hatte eine unsichere Haltung eingenommen und schien nicht recht zu wissen, was sie nun tun sollte. Doch er würde keine Rücksicht nehmen, so viel war sicher. Schon schlimm genug, dass er sie befreit hatte.

Naja, wenigstens war sie noch nicht in sein Anwesen eingedrungen. In einer blitzschnellen Bewegung umfasste Corvus den Nacken der Frau, dann drückte er zu. Erstaunt stellte er dabei fest, dass die Haare, die sich dabei unter seinen Fingern befanden, sich verdammt weich anfühlten. Die Frau zuckte zusammen und versuchte herumzuwirbeln, doch Corvus war schneller und packte ihren heilen Arm, um diesen auf den Rücken zu drehen. Er zwang sie in die Knie und verharrte dann auch schon mit den Zähnen direkt an ihrer Kehle.

„Keine Bewegung“, knurrte er mit tiefer Stimme. Die Frau zappelte unter seinem Griff wobei ihm klar wurde, dass sie gar nicht mal so schwach war. Im Gegenteil, er musste sich richtig anstrengen um sie zu fixieren.

„Halt's Maul!“, fauchte sie ihn plötzlich an. Ihre klare Stimme irritierte ihn dabei so sehr, dass es ihr tatsächlich gelang sich loszureißen. Sie fuhr herum und holte mit ihrem gesunden Arm aus, dann verpasste sie ihm eine Ohrfeige und wich sogleich mehrere Meter zurück. Das Dauergrollen in Corvus' Brust wurde immer lauter, dann war es endgültig um seine Selbstbeherrschung geschehen.

Was war denn los mit dieser Frau? Sollte sie ihm nicht dankbar sein? Er machte einen Satz, einen ganzen Sprung nach vorne, und packte sie, dann riss er sie zu Boden. Er nagelte sie am Boden fest, drängte mit einem Bein ihre auseinander und zog ihre Hände dann mit einem Ruck über den Kopf.

Corvus sah wie durch einen roten Schleier aus Wut und drückte ihre Handgelenke so fest zusammen, dass es begann zu knacken.

Die Frau stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus. Seine langen Finger bohrten sich in ihr nacktes Fleisch, welches unter diesen Bedingungen niemals beginnen würde zu heilen.

„Was willst du Bastard von mir?“, fauchte sie, stieß dann aber ein Wimmern aus als sein Griff fester wurde. Corvus knurrte. So respektlos war ihm gegenüber schon lange keiner mehr gewesen.

„Noch so ein unüberlegtes Wort und ich reiße dich in Stücke“, donnerte er.

Und siehe da, sie wurde ruhig und hielt auf einmal ganz still. Mit großen Augen starrte sie ihn an. Seine tiefe und durchdringende Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Wer, zur Hölle, war dieser Mann?

„Geh 'runter von mir“, zischte sie, nachdem sie ihre Gedanken geordnet hatte. Schon wieder starrte er sie mit diesen schwarzen durchdringenden Augen an. Er war so groß und muskelbepackt, dass sie unter ihm liegend nicht die geringste Chance hatte. Zea begann zu zittern als sein Atem plötzlich auf ihren nackten Hals traf.

„Dann benimm dich“, knurrte er, ehe er seinen Griff wirklich lockerte. Er stieg von ihr herunter, jedoch nicht, ohne ihren heilen Arm zu packen und sie mit einem Ruck auf die Beine zu ziehen. Aber auch danach ließ er sie nicht los, weshalb sie schon anfing zu zappeln.

„Ich habe dich zwar frei gelassen aber das heißt nicht, dass ich dich in die Nähe meines Anwesens lasse“, knurrte er plötzlich bedrohlich und starrte sie an, als ob er sie gleich fressen würde. Zea blinzelte perplex und starrte dann fassungslos das Anwesen an.

„Willst du mir allen ernstes sagen, dass das... Ding da, wirklich deins ist?“, hauchte sie und starrte ihn dann mit großen Augen an.

Corvus gab zu, ein wenig abgeschreckt zu sein. Diese Frau war nicht nur unglaublich wild und temperamentvoll, sondern schien auch noch gerne zu reden. Und das passte ihm natürlich so gar nicht.

„Es gehört mir, ja. Das ganze Land auf dem du dich bewegst ist mein Territorium. Du solltest froh sein, dass ich dich hier frei herumlaufen lasse“, grollte er und jagte ihr somit erneut einen Schauer über den Rücken. Dieser Mann sah aus wie eine Raubkatze.

Wie der Tod höchstpersönlich. Und doch war ihre Angst nicht so groß, wie sie vielleicht sein müsste. Die Frau sah mit einem Schlag nachdenklich aus, dann aber reckte sie das Kinn in die Höhe.

„Wenn das so ist, warum tötest du mich dann nicht?“, fragte sie provozierend, was so gar nicht zum hellen Klang ihrer Stimme passte. Drohend beugte Corvus sich ein ganzes Stück vor, damit er mit seinem Gesicht direkt vor ihrem verharren konnte. Knurrend fletschte er die Zähne.

„Legst du es darauf an? Denn diesen Gefallen kann ich dir gerne tun!“

Als sein heißer Atem auf ihr Gesicht traf, trat Zea zitternd einen Schritt zurück.

„Du bist ganz schön ungehobelt, weißt du das?“, fauchte sie ihn mit funkelndem Blick an.

Corvus' Geduldsfaden wurde immer dünner. Damit er nicht früher als gedacht explodierte, trat auch er einige Schritte zurück.

„Du hast eine ziemlich große Klappe. Aber nun gut. Verschwinde von hier, und zwar sofort. Ansonsten jage ich dich und dann geschieht mit dir das gleiche, wie mit diesen Typen“, forderte er sie auf. Die Augenbrauen der Frau hoben sich. Jagen? Das Gleiche wie mit den anderen? Wenn sie mal genauer darüber nachdachte wurde ihr klar, dass dies sein Aussehen erklären würde. Seine schwarze Jeans und sein schwarzes T-Shirt waren blutbesudelt und auch an seinem Hals lief es herunter. Mit seinen blutverschmierten Händen hatte er es auch an ihr hinterlassen. Verdammt noch mal, selbst in seinen Mundwinkeln erkannte sie noch Spuren davon. Hatte er diese Kerle etwa gefressen, oder was? Verhalten sah die Frau ihn nun an. Was sollte sie jetzt tun? Sie käme nicht einfach so von hier weg.

Sie wusste ja noch nicht einmal, wie lange ihre Beine sie noch tragen würden. Sollte sie sich diesem Mann gegenüber vielleicht ein bisschen hilfloser zeigen? Sie beschloss es zu riskieren und setzte ein gequältes Gesicht auf. Ihre Schultern hangen herunter, ihre Haltung war gekrümmt und auf Knopfdruck begann ihre Stimme zu zittern.

„Sieh mich an. Wie weit glaubst du, komme ich in diesem Zustand?“

Schnaubend wandte Corvus sich ab.

„Das ist dein Problem. Mir ist egal was du tust, aber hier bleiben wirst du nicht.“

Und dann ließ er sie stehen. Einfach so. Ihm war durchaus klar, dass sie versuchte an sein Mitgefühl zu appellieren, doch damit käme sie nicht weit. Corvus mochte noch immer ein Wächter sein, aber er war nicht verantwortlich für andere Drachen und deren Probleme. Fassungslos sah Zea dabei zu, wie der Mann in dem Haus verschwand. Was war das denn für ein Mistkerl? Wollte er sie wirklich einfach so hier stehen lassen? In einem gezischten Schwall entwich ihren Lungen die Luft. Na wenigstens ließ er sie laufen. Ihr war bewusst, dass er sie nämlich wirklich töten würde, läge sie es darauf an. Und da er die Menschen ja scheinbar erledigt hatte, konnte sie sich geschützt und unbesorgt in den Dschungel zurückziehen. Blieb zu hoffen, dass ihre Wunde ihr nicht noch Probleme bereiten würde.

 

 

 

 

 

Kapitel 2

 

Erbost und mit einem Brüllen schlug Corvus die Augen auf.

Das war doch nicht auszuhalten! Schon vor Stunden hatte er sich schlafen gelegt, zusammen mit der aufgehenden Sonne, doch selbst in seinen Träumen wurde er verfolgt von den Augen, die aussahen wie Aquamarine. Er wollte und würde sich definitiv keine Gedanken um diese jämmerlich winzige Frau machen, doch da er ein Wächter war, musste er wenigstens über diese fünf Menschen nachdenken. Er konte nur vermuten, doch anscheinend hatten sie Jagd nach dieser Frau gemacht und sie eingesperrt, nur um an ihre seltsame Haut heranzukommen. Bei diesem glatten und faszinierendem Leder gar nicht mal so unverständlich, doch wie, zur Hölle, waren diese Menschen überhaupt so weit gekommen? Das nächste Dorf lag an der Küste Brasiliens, sie mussten also lange unterwegs gewesen sein. Und warum waren sie ausgerechnet hierher gekommen?

Corvus konnte nicht verstehen, warum die Menschen solch ein großes Risiko eingingen. Sie wussten doch ganz genau, dass sie sich nicht all zu weit von ihren Dörfern entfernen durften. Waren sie nur wegen der Frau so mutig gewesen? Aber woher hatten sie überhaupt von ihr und ihrer Besonderheit erfahren? Sie konnte doch nicht wirklich so dumm gewesen sein, sich regelrecht zu präsentieren? Oder etwa doch? All die Fragen in seinem Kopf ließen ihn erneut brüllen und die Bettdecke zurückschlagen. Was kümmerte es ihn überhaupt? All das waren nicht seine Probleme, sondern die dieser Frau. Um sich nicht noch weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, schlenderte er in sein Badezimmer aus Marmor und stieg dort unter die Dusche. Das siedende Wasser würde ihn schon ablenken. Zumindest hoffte er es. Als Corvus die Augen schloss und sich mit beiden Händen durch's Haar fuhr, tauchte in seinen Gedanken wieder das Bild der Frau auf. Es war ihm gar nicht sonderlich aufgefallen, doch über ihre Mundwinkel hatte sich eine kleine Narbe gezogen.

Fluchend schlug er die Augen auf. Was sollte das? Was war bloß in ihn gefahren? Sie war doch bei weitem nicht die ersten schöne Frau, die er gesehen hatte. Corvus schob es auf die Umstände und konzentrierte sich dann ausschließlich auf die Körperhygiene.

 

Corvus stutzte. Damit hätte er rechnen müssen. Sein Kontrollgang durch das Dickicht fand ein jähes Ende, als er ans Flussufer kam und dort den leblosen Körper einer Frau liegen sah. Es mochte schon zu erwarten gewesen sein, dennoch fand er es erstaunlich zu sehen, dass sie doch noch ein ganzes Stück weit gekommen war. Ein paar Stunden hatten ihre Beine sie wohl noch getragen. Corvus wog die Situation ab. Er sollte sie hier liegen lassen. Bei all den Raubtieren hier, lägen in zwei Tagen nur noch ihre Gebeine hier. Er wollte sich bereits vom Flussufer abwenden, da rührten sich seine Füße plötzlich nicht mehr. Was war denn jetzt los? Warum gehorchte ihm sein Körper nicht mehr? Ein unerwarteter Gedanke kam in ihm auf. Diese Frau hatte lange und hart gekämpft, sollte ihre Mühe da wirklich umsonst gewesen sein? Selbst gegen ihn hatte sie noch versucht sich durchzusetzen.

Corvus wusste er würde es bereuen, doch er ging zu der leblosen Frau, schob seine Hände unter ihren Körper und hob sie dann hoch. Erschrocken stellte er fest, dass sie unglaublich leicht war. Doch bei ihrer winzigen Größe wohl nicht sonderlich verwunderlich.

Corvus seufzte leise, denn so schnell würde sie wohl nicht aufwachen. Sie wirkte durchscheinend und fahl wie ein Geist, noch dazu blutete ihr gehäuteter Arm kaum noch. Sie musste unglaublich viel Blut verloren haben, denn nicht einmal die Kratzer und Schürfwunden hatten mit der Heilung begonnen. Corvus fragte sich immer wieder, was er hier eigentlich tat. Wenn das Schicksal den Tod für sie wollte, dann würde sie so oder so sterben, ob er ihr half oder nicht. Leise knurrend brachte er sie in sein Anwesen.

Ausgerechnet an den Ort, von dem er sie eigentlich fernhalten wollte. Dort angekommen legte er sie unbeholfen in der Badewanne ab. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er nun tun sollte. Am besten kümmerte er sich erst einmal um ihren Arm, doch wie sollte er anfangen? Leise grummelnd und mit verschränkten Armen stand er vor der Badewanne. Dass Frauen aber auch immer so eine leichte Beute sein mussten. Andauernd steckten sie in Schwierigkeiten.

Erinnerungsfetzen blitzten in seinem Gedächtnis auf. Die Frau, die er Mutter genannt hatte, war sogar über ihre eigenen Füße gestolpert. Frauen waren so unglaublich verletzlich. Und jetzt lag auch noch eine in seiner Badewanne. Zum Teufel aber auch. Corvus neigte den Kopf. Er konnte den Arm dieser Frau nicht verbinden, der Stoff würde dabei nur in ihrem Fleisch hängen bleiben.

Ungeschützt konnte er aber auch nicht bleiben, denn durch das fehlende Blut, würde es partout nicht heilen. Hätte er das Leder auf dem Schiff doch bloß mitgenommen, dann hätte er ihren Arm wieder in Ordnung bekommen. Und wenn er ihrem Körper einfach Blut zukommen ließ? Würde ihr Körper dann mit der Heilung beginnen? Corvus schnaubte. Einen Versuch war es wert und eine andere Möglichkeit schien es ohnehin nicht zu geben. War die Frage, wo er das Blut herbekommen sollte. Besser wäre es, wenn es Drachenblut wäre. Aber das hieße ja, dass er selbst dafür herhalten musste und so weit wollte er eigentlich nicht gehen. Seufzend wandte der Mann sich ab. So wie es ausah, hatte er auch hier keine andere Wahl.

 

Der strenge Geruch von Chemikalien drang an ihr Bewusstsein, ebenso wie der schwere Duft von Blut. Etwas in ihren Körper kribbelte, doch sie konnte nicht ausmachen, von wo es kam. Sie konnte sich daran erinnern zurück zum Fluss gekommen zu sein, dort war sie dann zusammengebrochen.

Aber was war dann geschehen? Lag sie etwa noch immer dort, am Ufer? Sie fühlte sich nämlich alles andere als tot. Als dann aber plötzlich heftiger Schmerz durch ihren entkräfteten Körper schoss, hätte sie am liebsten laut geschrien. Aber alles was aus ihrem Mund kam, war ein schwaches Stöhnen. Überall an ihrem Körper zwickte und stach es und langsam aber sicher bekam sie wieder ein Gefühl in ihren Gliedern. Allem voran in ihrem Arm. Und scheiße, was tat es weh. Sie hätte sich am liebsten hin und her geworfen vor Schmerzen, doch so viel Kontrolle hatte sie noch nicht über ihren Körper. Aber sie schaffte es tatsächlich die Augen zu öffnen. Kaum, dass sie dies geschafft hatte, hätte sie die Augen am liebsten wieder zu gekniffen. Um sie herum war es so furchtbar grell, dass ihr auf der Stelle klar war, dass sie nicht mehr am Flussufer lag.

Auch war es unter ihr seltsam kalt und hart. Blinzelnd versuchte die Frau sich zu orientieren, dann hielt sie stockend inne. Sie befand sich tatsächlich in einem Badezimmer. Nicht wissend wie sie darauf reagieren sollte, warf sie zufällig einen Blick auf ihren Arm.

Er heilte! Es mochte ekelerregend anzusehen sein, wie sich langsam aber sicher wieder mehr Haut bildete, doch die Hauptsache war, dass sie ihren Arm demnächst wieder uneingeschränkt nutzen konnte. Doch sich einfach so regenerieren tat ihr Körper sich nicht, wie Zea nun irritiert feststellen musste. In ihrem Arm steckte eine Kanüle, die mit einer Blutkonserve verbunden war und ihren Körper mit Blut versorgte.

„Was zum...?“, krächzte sie mit heiserer Stimme und setzte sich ein wenig auf, dabei knackte ihr Rücken. Wie lange hatte sie denn hier gelegen? Und warum zur Hölle in einer Badewanne? Ihr wude schwindelig, wodurch sie gezwungen war inne zu halten.

Gott, was war ihr schlecht. Um es nicht noch schlimmer zu machen, lehnte sie sich wieder zurück und sah sich stattdessen einfach weiter um. Dieses Badezimmer war verdammt groß und vollkommen aus Marmor. Die Badewanne, in der sie lag, war riesig, ebenso wie die Dusche, direkt daneben. An der gegenüberliegenden Seite hing ein großer Spiegelschrank und neben dem großen Waschbecken hingen unglaublich flauschig aussehende Handtücher. Befand sie sich in einem Luxushotel, oder was? Wieder kam ein Stöhnen über Zeas Lippen. Ihr dröhnte der Schädel. Sie horchte und versuchte etwas auszumachen, doch außer ihrem donnernden Herzschlag und ihrem Atem hörte sie nichts. Nachdenklich fiel ihr Blick wieder auf die Kanüle in ihrem Arm. Ob sie sie wohl entfernen konnte? Oder würde ihr Körper dann nur wieder einen Schwächeanfall erleiden?

Mit zitternden Fingern umfasste sie die Nadel, dann aber öffnete sich plötzlich die hölzerne Tür des Badezimmers. Erschrocken zuckte sie zusammen, denn ein bekanntes Gesicht tauchte in der Tür auf. Und das mit nicht besonders freundlichem Ausdruck.

Im ersten Moment wusste Zea nicht, was sie sagen sollte, dann aber sah sie ihren unheimlichen Retter missbilligend an.

„Ernsthaft? Bist du wirklich so unsensibel und hast mich in einer Badewanne abgelegt?“, fauchte sie ihn an. Corvus' Blick verfinsterte sich, denn sein Geduldsfaden stand kurz vor dem Zerreißen. Er schmiss ihr wortlos ein paar Klamotten zu, die sie direkt im Gesicht trafen, dann drehte er sich um und rauschte aus dem Bad. Zea war sprachlos. Was für ein ungehobelter Mistkerl!

Zähneknirschend sah sie an sich herunter. Neue Klamotten waren allerdings gar keine schlechte Idee, sie trug noch immer diese zerfetzten und dreckigen Lumpen, die man ihr auf dem Schiff in den Käfig geworfen hatte. Aber wie sollte sie das Ganze nun angehen?

Sie konnte ihren Arm nicht so bewegen wie sie wollte, ein wenig Hilfe beim anziehen wäre gar nicht mal so schlecht gewesen. Doch dieser rücksichtslose Mann wäre ihr wohl keine Hilfe. Ob er wohl draußen vor der Tür stand und auf sie wartete? Zea fluchte leise. Sie käme ja nicht einmal aus der Badewanne heraus, ohne sich noch weiter selbst zu verletzen. Auf keinen Fall aber würde sie nach diesem Rüpel rufen. All ihre Kräfte zusammen nehmend stützte sie sich also auf und versuchte, in vorsichtigen Bewegungen aus der Badewanne zu kommen. Es gelang ihr, jedoch nicht ohne wegzuklappen. Keuchend setzte sie sich auf den Rand der Wanne, dann atmete sie erst einmal tief durch.

Erst jetzt begutachtete sie die Sachen in ihrer Hand genauer. Es handelte sich um ein kurzärmeliges Hemd und eine einfache Hose, beides weiß und aus Leinen. Bevor sie sich umzog wäre es besser, sie machte sich erst einmal frisch. Alleine wäre diese Aufgabe aber auch nicht so einfach zu bewältigen. Sie war noch immer voller Dreck und so begann sie, sich langsam und mit zittrigen Bewegungen am Waschbecken zu waschen. So schwierig war es am Ende gar nicht. Probleme bekam sie erst bei ihren Haaren. Sie war immer stolz auf ihre polange Mähne gewesen, jetzt aber war sie genervt und frustriert. Sie öffnete den großen Spiegelschrank und fand Gott sei Dank eine Haarbürste, mit der sie sich dann durch ihre Haare arbeitete. All den Dreck bekäme sie nur heraus, wenn sie duschen oder baden würde, dies war aufgrund ihres Armes aber nicht möglich. Sie musste also kreativ werden. Nach einigem Überlegen flocht sie sich die Haare zu einem langen Zopf, den sie am Ende mit einem Stück Zahnseide festband, welche sie ebenfalls im Schrank gefunden hatte. Bei der Gelegenheit sah sie sich dessen Inhalt einmal genauer an. Nur eine Haarbürste, Zahnseide, Zahnbürste, Zahnpasta, eine Feuchtigkeitscreme, Rasierer und Rasierschaum, Seife und Duschgel. Mehr war auf den ersten Blick nicht zu finden.

„Ein Mann ohne Schnick Schnack“, murmelte sie feststellend. Oh, das gefiel ihr!

Er war ein rücksichtsloser Rüpel aber diese einfache Ader, die er zu haben schien, gefiel ihr durchaus. Doch darum ging es nun nicht. Sie schloss den Schrank wieder und begann dann ganz vorsichtig damit, sich auszuziehen. Es war allerdings nicht so einfach wie gedacht und es dauerte eine Weile. Nach gut zehn Minuten stand sie dann in den Sachen aus Leinen im Badezimmer. Nun sollte sie ihm also wieder unter die Augen treten? Es war nötig, rief in ihr aber ein Gefühl der Panik hervor. Was, wenn er sie erneut in den Wald schicken würde?

Nervös öffnete Zea schließlich die Tür. Vorsichtig sah sie hinaus auf den Flur, doch von dem Mann fehlte weit und breit jede Spur.

Wirklich? Er ließ sie einfach so alleine? Das war ziemlich dumm von ihm, jedoch schien er nicht zu glauben, dass sie zu einer Gefahr werden könnte. Wie überheblich von ihm!

Zea verzog das Gesicht und setzte einen Fuß vor den anderen. Vor ihr breitete sich ein langer und düster wirkender Flur aus, auf dem nur ein paar Türen zu sehen waren. Keine Möbel und nur ein paar Lampen. Sie versuchte irgendwelche Geräusche auszumachen, doch sie hörte nichts. Vielleicht sollte sie einfach ihre Chance nutzen und einfach abhauen? Das wäre aber mehr als undankbar gewesen. Und wer wusste schon, ob er sie nicht noch einmal finden würde?

Just in diesem Moment ertönte hinter ihr ein leises Knurren. Zur Hölle, dass er aber auch immer wie aus dem Nichts heraus auftauchen musste.

„Schleich dich doch nicht so an mich heran“, keuchte sie und versuchte angestrengt, ihre Muskeln ein wenig zu lockern. Es war ihr unheimlich, doch er antwortete ihr nicht einmal. Stattdessen musterte er sie ausgiebig von oben bis unten.

„Du hast den Zugang entfernt“, stellte er mit rauer Stimme fest. Zea nickte und zuckte dann lässig mit den Schultern. Dass sie Schmerzen dabei hatte ließ sie sich aber nicht anmerken.

„Ja. Ich denke, mein Körper schafft es jetzt alleine“, erwiderte sie, glücklicherweise mit klarer und fester Stimme.

„Umso besser“, murmelte der Mann und machte kehrt. Wollte er sie jetzt etwa schon wieder alleine stehen lassen? Zea dachte gar nicht groß darüber nach und machte einen ausfallenden Schritt nach vorne, um nach seinem Arm zu greifen.

„Hey, hier geblieben“, fauchte sie und zog an ihm. „Was stimmt denn nicht mit dir? Willst du überhaupt nicht wissen, was los ist? Du hättest mir im Bad ja ruhig mal helfen können. Und nicht mal deinen Namen hast du mir verraten.“

Zea erkannte ihren Fehler erst, als in seiner Brust ein lautes Grollen aufstieg.

 

Corvus wusste nicht, welch Ausdruck in seinem Gesicht zu erkennen war, doch er brachte die Frau dazu ihn so rasch loszulassen, als ob sie sich verbrannt hätte.

„Du redest zu viel“, donnerte er.

Bei Gott, so schön und klar ihre Stimme auch sein mochte, bei so vielen Worten nervte sie einfach nur! Wie wär's, wenn sie sich einfach bedankte und ihm dann verkündete, dass sie auf der Stelle von hier verschwinden würde? Corvus hatte gehofft, dass sie jetzt wirklich mal den Mund halten würde, doch dann begann plötzlich ein Sturm in ihren Augen zu toben. Sie baute sich mit ihrer winzigen Größe vor ihm auf und sah ihn dann herausfordernd an.

„Was bist du denn bitte für ein Rüpel? Hast du wirklich kein bisschen Mitgefühl? Warum hast du mich nicht am Fluss liegen lassen, wenn ich dir anscheinend so sehr auf die Nerven gehe?“, begann sie zu keifen. Corvus machte einen Schritt, beugte sich vor und presste ihr dann die Hand auf den Mund.

„Das frage ich mich auch gerade“, knurrte er und fletschte dann die Zähne. Ernsthaft, was hatte er sich nur dabei gedacht?

„Bitte, ich flehe dich an, halt endlich den Mund! Wir gehen jetzt in die Küche, dort kannst du etwas essen. Aber ich möchte in den nächsten zehn Minuten nicht auch nur ein einziges Wort von dir hören, hast du das jetzt verstanden?“

Die Frau sah ihn mit großen Augen an, ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen und nickte langsam und bedächtig. Corvus wartete erst noch einen Moment, dann ließ er seine Hand langsam sinken. Siehe da, die Frau blieb wirklich still. Leise seufzend wandte Corvus sich erleichtert ab, damit er sie mit schnellen Schritten in seine kleine Küche führen konnte. Dass die kleine Frau dabei kaum mit ihm Schritt halten konnte, bemerkte er nicht. Stattdessen dachte er an das Fleisch, welches in seiner kleinen Küche wartete. Sein Kühlschrank war meistens leer und die Küche war eigentlich auch überflüssig, da er hauptsächlich auf die Jagd ging, doch in diesem Moment war er durchaus dankbar für die funktionierenden Herdplatten.

In der Küche angekommen deutete Corvus wortlos auf einen kleinen Tisch, an dem lediglich ein einzelner Stuhl stand. Die Frau nahm Platz und sah sich dann unsicher um. Die Küche war wirklich winzig, bot kaum Platz für diesen riesigen Mann. Er schien nicht oft hier zu sein, wirkte aber dennoch sehr sicher als er nun einen Teller aus einem Schrank nahm und nach ein paar Minuten begann, etwas in einer Pfanne zu braten. Der Geruch von Fleisch breitete sich in dem kleinen Raum aus, was Zeas Magen auf der Stelle laut knurren ließ. Mit gehobenen Augenbrauen sah Corvus kurz zu ihr zurück, dann aber ignorierte er sie wieder. Die Frau wurde rot.

Noch peinlicher als ihr Magenknurren, war ihr allerdings diese Stille zwischen dem Mann und sich.

„Mein Name ist Zea“, begann sie also ganz selbstsicher. Dass der Mann daraufhin ein Schnauben ausstieß sollte sie eigentlich nicht wundern, doch sie fand es einfach unverschämt und respektlos.

„Und du glaubst, das würde mich interessieren?“, grummelte er leise, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Zea stieß zum ersten Mal ebenfalls ein Schnauben aus.

„Manieren und Höflichkeit kann ich von dir wohl nicht erwarten, wie nett“, murmelte sie. Dann schlug sie aber einen optimistischen Tonfall an.

„Dann nenne ich dich von jetzt an rüpelhafter Mistkerl, in Ordnung?“

Es funktionierte. Corvus hielt erst still, dann drehte er sich mit finsterer Miene zu ihr um.

„Nenn mich Corvus. Und ich kann mich nicht daran erinnern, dass die zehn Minuten schon um sind“, erwiderte er regelrecht unfreundlich. Fragend sah Zea ihn an.

„Was ist so schlimm daran, wenn ich rede? Klinge ich denn so scheußlich?“, fragte sie, erstaunlicherweise mit einem zuckersüßen Lächeln. Corvus grummelte erneut.

„Nein, ganz im Gegenteil. Aber du redest einfach nur zu viel. Es nervt!“

Seine direkten Worte ließen Zea tatsächlich erst einmal verstummen. So etwas hatte man ihr wirklich noch nie gesagt. Und so viel reden tat sie jetzt nun auch wieder nicht. Oder etwa doch? Jetzt hatte er es wirklich geschafft sie zu verunsichern. Zea stieß ein Fauchen aus.

„Zur Strafe für deine ungehobelte Art, sollte ich erst recht anfangen zu plappern.“

Drohend beugte sie sich über den Tisch, doch Corvus ließ das völlig kalt.

„Wenn du scharf darauf bist deine Zunge zu verlieren, dann nur zu“, erwiderte er erstaunlich gelassen, funkelte sie dabei aber vielsagend an. Zea lehnte sich mit verschränkten Armen auf dem Stuhl zurück und musterte den Mann nachdenklich.

„Also meinetwegen, ich bin ruhig. Aber dann erklär mir bitte, warum du mir geholfen hast. Ich bin dir schließlich nur eine Last, wie es aussieht“, sagte sie dabei. Seufzend wandte Corvus sich mit der Pfanne in der Hand zu ihr herum. Ihr Fleisch war fertig. Dass es sich dabei um Krokodilfleisch handelte, verriet er ihr besser nicht.

„Wenn ich das nur wüsste. Aber ausgehend davon, dass du ein besonderes Merkmal zu besitzen scheinst, denke ich, dass es Verschwendung gewesen wäre dich diesen Tölpeln zu überlassen.“

Zea sagte daraufhin nichts mehr und widmete sich ihrem Essen. Dabei ließ Corvus sie nicht aus den Augen. Zea hieß sie also. Er gab zu, er war ein wenig beeindruckt. Er hatte bisher jeden noch so sturen und verbitterten Gegner einschüchtern können, nur diese Frau schien immun dagegen zu sein. Doch was kümmerte ihn das schon? Sobald sie in der Lage war von hier zu verschwinden, würde er sie in hohem Bogen von seinem Territorium entfernen. Allerdings war ihr Blick in diesem Moment so getrübt, dass er darauf aufmerksam wurde.

„Was hat es mit dieser Haut auf sich, Zea?“, fragte er deshalb völlig unerwartet. Die Frau hielt beim Klang ihres Namens inne und ließ die Gabel in ihrer Hand sinken.

„Warum sollte ich dir das erzählen, Corvus?“, erwiderte sie leise, aber todernst. Eindringlich sah der Mann sie an und fast hätte sie sich dabei in seinen Augen verloren.

„Weil ich einer der Wächter bin. Wenn ich von deinen Problemen weiß, kann ich dir möglicherweise helfen“, antwortete er trocken.

Zea zog die Augenbrauen hoch. Also so langsam bekam sie ein Gefühl dafür, wie sie mit diesem Mann umzugehen hatte.

„Nur weil du mir theoretisch helfen könntest, heißt das nicht automatisch, dass du es auch tun wirst“, sagte sie leise und wich seinem Blick dabei nicht aus. Corvus neigte wachsam den Kopf. Klug war sie definitiv. Aber es passte ihm nicht, so viel reden zu müssen. Leider hatte er gerade keine andere Wahl.

„Meinetwegen, dann behalt ruhig deine Geheimnisse. Kann ich durchaus verstehen. Aber dann lass mich eines klarstellen: Sobald deine Wunde auskuriert ist, verschwindest du von hier. Bis dahin wird es dir hier einigermaßen gut gehen“, entschied er, dann kehrte er ihr den Rücken zu. Zea schluckte, denn das schlechte Gewissen überkam sie. Sie konnte Corvus' Unfreundlichkeit insgeheim vollkommen verstehen. Kein Drache der Welt duldete einfach einen Fremden in seinem Revier. Und was hatte sie da vorhin aufgeschnappt? Er war ein Wächter? Verdammt, dass sie aber auch immer bei den falschen Leuten landen musste.

„Ich weiß es passt dir nicht, mich hier zu haben, aber danke“, sagte sie leise, obwohl es ihr widerstrebte, ein Wort des Dankes auszusprechen.

„Ich werde mich in deinem Revier und Zuhause selbstverständlich zurückhalten und wenn es sein muss, auch auf deine Befehle hören.“

Als Corvus sich plötzlich mit einem gefährlichen Ausdruck in den Augen zu ihr umdrehte, hätte sie schwören können, für den Bruchteil einer Sekunde ein Lächeln gesehen zu haben.

„Für ein Danke ist es zu früh. Du wirst auf der Couch schlafen.“

 

Kapitel 3

 

 

„Dieser Kerl ist ein echtes Monster. Wie kann er eine verletzte Frau nur auf dem Sofa schlafen lassen?“

Amüsiert hörte Corvus sich an, wie die Frau leise über ihn schimpfte. Sie konnte ruhig meckern, so viel sie wollte, aber ein Gästezimmer besaß er nicht und er würde sie mit Sicherheit nicht in seinem Bett schlafen lassen. Er bereute es auch nicht, kein Gästezimmer zu haben. Konferenzen wurden hier zwar abgehalten, jedoch blieb nie jemand über Nacht. Und das war auch besser so.

Corvus war jemand, der einfach nur seine Ruhe haben wollte. Dies wäre jetzt wohl erst einmal vorbei. Heimlich beobachtete er, wie Zea sich hinlegte und dabei tunlichst auf ihren Arm aufpasste.

Er wollte sich eigentlich schon längst zurückgezogen haben und lauschen war auch nicht sein Plan gewesen, doch er traute sich einfach nicht diese Frau alleine zu lassen. Vielleicht spielte sie ihm ja auch einfach nur etwas vor? Gab es vielleicht gar keinen anderen Ort, an den sie hätte gehen können? Und warum machte er sich überhaupt Gedanken darüber? Sobald ihr Arm wieder voll funktionsfähig war, würde er sie vor die Tür setzen und sie gingen getrennte Wege.

Corvus wurde aus seinen Überlegungen gerissen als Zea sich leise fluchend hin und her warf.

„Ich weiß jetzt schon, dass ich die ganze Zeit über kein Auge zu tun werde“, murmelte sie und starrte schließlich an die Decke des Wohnzimmers. In dem Raum war es aber eigentlich ziemlich gemütlich, denn im Kamin loderte ein kleines Feuer. Dennoch kam sie nicht zur Ruhe. Irgendwie konnte sie sich gut vorstellen, dass Corvus hier irgendwo lauerte und sie nicht aus den Augen ließ. Zumindest würde das dieses komische Gefühl erklären, welches sie schon die ganze Zeit über hatte.

„Komm 'raus und hör auf, mich zu beobachten“, sagte sie deshalb leise, in der Hoffnung er hätte wenigstens ein bisschen Anstand.

Erstaunlicherweise tauchten seine dunklen Umrisse tatsächlich in der Tür auf.

„Kannst du auch nicht schlafen?“, fragte sie dann leise, auch wenn sie damit riskierte ihm weiter auf die Nerven zu gehen. Er kam ihr näher, ließ sich dann aber gegenüber von ihr in einem Sessel nieder.

„Ich trau dir nicht“, erwiderte er so leise, dass sie es fast nicht verstanden hätte. Zea hielt es für klüger zu schweigen, doch dies wäre auf Dauer unangenehm für sie geworden. Also zuckte sie mit den Schultern, so gut es im Liegen eben ging.

„Kann ich verstehen. Aber ich glaube du weißt ganz genau, dass ich in meinem jetzigen Zustand nicht viel ausrichten könnte“, murmelte sie. Natürlich wusste er das und genau aus diesem Grund schwieg er. Zea fühlte sich mehr als unwohl, so wie er da saß und sie mit Argusaugen beobachtete. Er war noch immer definitiv nicht darauf aus, ein Gespräch anzufangen. Dumm wie Zea war, sprach sie gleich ihren ersten unvorsichtigen Gedanken aus.

„Du lebst ganz alleine hier, oder? Ist das nicht einsam?“, fragte sie leise. Seine darauffolgende Reaktion wunderte sie kein Stück. Er zog die Augenbrauen in die Höhe und sah sie dann missbilligend an.

„Ich mag es“, antwortete er dann ganz entschieden. Zea versuchte noch mehr in seinem hübschen Gesicht auszumachen, doch da war nichts.

„Du redest also nicht nur nicht gerne, sondern magst es also auch nicht, jemanden um dich herum zu haben. Warum?“, fragte sie und begab sich somit erst recht auf dünnes Eis.

Warum?, dachte Corvus zur gleichen Zeit. Sie fragte ernsthaft warum? Wie sollte er ihr denn darauf bitte antworten? Davon einmal abgesehen wollte er das auch gar nicht. Also erwiderte er einfach nur deutlich wütend ihren Blick. Fast wäre daraus ein kleiner Wettbewerb entstanden. Die Frau wich seinem Blick nämlich keineswegs aus. Dass ihre blauen Augen dabei auch noch so hübsch funkelten, brachte Corvus dann erst recht durcheinander.

„Verstehe, bei solchen Fragen ziehst du also die Grenze“, stellte sie dann mit einem kleinen Lächeln fest. Corvus hielt inne als er das sah. Er hätte nicht gedacht, sie in seiner Gegenwart einmal lächeln zu sehen. Er grummelte leise, denn es lag nicht in seiner Absicht ihr das Gefühl zu vermitteln, er wäre ein Freund.

„Erzähl erst einmal von dir, ehe du solche Fragen stellst“, wies er sie zurecht. Das Lächeln auf ihren Lippen verschwand, stattdessen sah sie ihn misstrauisch und auch ein wenig traurig an.

„Ich bin, wie du, immer alleine. Tut gut mal auf jemanden zu treffen, der mir nicht an den Kragen will. Zumindest solange, wie ich ihn nicht nerve“, erwiderte sie und sah in die Flammen des Kamins. Corvus ließ sie dabei noch immer nicht aus den Augen. Andere Schicksale interessierten ihn für gewöhnlich nicht, doch er hörte deutlich aus ihrem Tonfall heraus, dass sie es nicht sonderlich leicht hatte. Corvus biss sich kurz auf die Zunge und auch wenn er es ebenfalls bereuen würde, setzte er zu einer Antwort an.

„Liegt es an dieser Haut?“, fragte er unheimlich ausdruckslos. Ein wenig herablassend warf Zea ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu.

„Eine bessere Frage fällt dir wohl nicht ein, oder?“, fauchte sie bissig. Corvus' Augen schmälerten sich ein wenig.

„Pardon, hätte ich dich fragen sollen, wie du dich dabei fühlst?“, schoss er zurück. Zea hielt inne. Sieh an, Witze konnte er also auch reißen. Sie überlegte ob sie ihm das wirklich erzählen konnte. Dieser Mann traute ihr kein Stück und umgekehrt sollte es genauso sein, doch er hatte ihr geholfen. Und das nicht nur einmal. Seufzend sah sie zurück in die Flammen.

„Streng genommen ist es ein Gendeffekt. Tatsächlich gab es einmal sehr viele von uns, aber man hat Jagd nach uns gemacht. Ich bin die letzte und deswegen immer gut getarnt unterwegs. Mehr gibt es da nicht zu sagen“, erzählte sie und wurde vorsichtig als sie sah, wie Corvus die Beine übereinander schlug und wachsam den Kopf neigte. Warum sagte er denn nichts?

„Bitte sei nicht so still, das macht mich ganz nervös“, sagte sie dann leise. Ob er wohl überlegte sich ihr besonderes Merkmal zu eigen zu machen. Ja, es hatte schon Drachen gegeben, die sie wollten.

„Verzeihung“, sagte Corvus dann aber zu ihrem Erstaunen. „Aber das ist ziemlich faszinierend. Darf ich Nachforschungen anstellen?“

Zea war wie versteinert und starrte ihn mit großen Augen an.

„Ist das dein Ernst?“, flüsterte sie, dann sprang sie auch schon auf. Die Schmerzen die sie dabei durchzuckten ignorierte sie. „Wenn du auf die gleichen kranken Gedanken kommst, wie alle anderen, dann hau ich auf der Stelle ab. Da wärst du wahrscheinlich sogar froh darüber.“

All ihre Muskeln waren angespannt und ihr ganzer Körper bereit zur Flucht. Es sollte sie nicht wundern, doch Corvus blieb auch weiterhin ganz gelassen und deutete sogar mit einer Hand auf die Tür.

„Meine Gedanken sind durchaus gesund. Aber wenn du mir nicht glaubst und Angst hat, dann werde ich dich nicht aufhalten“, sagte er, erneut ohne Ton in der Stimme. Zea rührte sich nicht von der Stelle. Er würde sie gehen lassen? Also war er doch ein guter Kerl?

Eine gefühlte Ewigkeit lang blieb die Frau einfach so stehen, weshalb Corvus die Brauen hochzog.

„Du siehst verwirrt aus. Willst du dich nicht lieber hinlegen und schlafen?“

Provokant blickte er ihr entgegen. Damit verwirrte er sie aber nur noch mehr. Perplex starrte sie ihn an, dann ließ sie sich ganz langsam wieder auf das Sofa sinken. Sie zitterte, legte sich aber hin und schlug sich in die Decke ein.

„Es tut mir leid. Ich in total durcheinander, ich... Danke, für alles. Aber morgen werde ich von hier verschwinden, versprochen.“

 

Corvus wollte eigentlich in Ruhe die Drachenschrift durchgehen, wurde aber immer wieder von der unruhig schlafenden Zea abgelenkt. Kurz nachdem die Frau eingeschlafen war, hatte auch er ein kleines Nickerchen in dem Sessel gemacht. Er traute ihr noch immer nicht und konnte sie deswegen nicht alleine lassen. Es waren mittlerweile etliche Stunden vergangen, die Sonne ging schon wieder auf, und Zea schlief noch immer. Corvus war in der ganzen Zeit aber nicht untätig geblieben. Er hatte noch ein bisschen mehr von seinem Blut abgezapft und es Zea in ihrem Schlaf zukommen lassen. Ihr Arm war fast vollständig verheilt und sie hatte eine leichte und hübsche Röte auf ihren Wangen. Danach hatte Corvus seine Drachenschrift hervorgekramt, in der er nun versuchte, etwas über diesen angeblichen Gendeffekt herauszufinden. Bisher jedoch ohen Erfolg. Zugegeben, es klang schon verdammt seltsam, aber Corvus konnte sich durchaus vorstellen, dass es so etwas tatsächlich gab. Es kam ihr komisch vor, dass Zea angeblich die letzte ihrer Art sein soll, doch nach dem Krieg in der Vergangenheit könnte er sich gut vorstellen, dass auch hier die Menschen ihre Finger mit im Spiel hatten. Das Schiff und die fünf Menschen, die er getötet hatte, waren ohnehin ein handfester Beweis für diese Jagd. Ehrlich gesagt konnte Corvus den Grund für diese Jagd vollkommen nachvollziehen. Dieses Leder – ihre Haut – war von solch einem satten und glänzenden schwarz, dass er es gerne einmal an ihr selbst – ihrem Körper – gesehen hätte. Doch darum zu bitten kam für ihn nicht infrage. Zea hatte selbst gesagt, dass sie sofort von hier verschwinden würde, wäre sie aufgewacht. Doch Corvus war brennend daran interessiert, was sie dann tun würde. Sein Territorium war riesig, sie würde sich erst einmal Orientierung verschaffen müssen. Ein Drache der noch nie in einem Dschungel gewesen war, wurde schnell mal zur leichten Beute. Nicht, dass er Spaß daran gehabt hätte, doch so schnell würde er die Kleine wohl nicht mehr aus den Augen lassen. Auch, wenn sie einem gehörig auf die Nerven gehen konnte.

Ein Stöhnen von besagter Frau lenkte Corvus erneut ab. Er sah von seiner Schrift auf und beobachtete, wie Zea langsam aber sicher aufzuwachen schien.

„Oh Gott, mir brummt der Schädel“, stellte sie fest und setzte sich in einer geschmeidigen Bewegung auf. Dass sie ihren Arm dabei pausenlos belastete machte klar, dass er fast vollständig geheilt war.

„Könnte daran liegen, dass du nicht sonderlich gut geschlafen hast“, bemerkte Corvus neutral und senkte den Blick auch schon wieder. Irritiert sah Zea ihn an.

„Hast du etwa die ganze Zeit über hier gesessen?“, wollte sie perplex wissen.

„Du hast doch nicht etwa wirklich geglaubt, dass ich dich unbewacht hier lassen würde“, erwiderte er trocken. Zea schnaubte leise und reckte sich dann.

„Auch wieder wahr. Hey, mein Arm ist ja fast wieder ganz. Wie...“

Sie hielt mitten im Satz inne, nur um Corvus anzustarren. Hatte er etwa was damit zutun?

„Sieh mich nicht so an“, sagte er, ohne sie anzusehen. Herumdrucksend schlug Zea die Decke zurück.

„Ich weiß es ist viel verlangt, aber ist es in Ordnung, wenn ich mich schnell noch frisch mache?“

Jetzt hatte sie Corvus' Aufmerksamkeit. Wachsam sah er sie an.

„Nur zu“, erwiderte er, während er darüber nachdachte, ob sie es wirklich ernst meinte. Sie schien noch immer nicht zu wollen, dass er sich mit ihrer Besonderheit auseinander setzte. Dabei wäre es mit ihm ganz einfach. Da draußen wimmelte es schließlich nur so von Leuten, die weit weniger rücksichtsvoll wären als er. Weil Zea sich just in diesem Moment hilfesuchend umsah, deutete er mit der Hand auf die offene Tür des Raumes.

„Das Bad ist im Obergeschoss, dritte Tür links. Du hast in der Badewanne gelegen, falls du dich erinnerst“, bemerkte er. Zea verzog das Gesicht und stapfte an ihm vorbei.

„Danke für den Hinweis, du ungehobelter Klotz“, grummelte sie.

Machte er sich etwa über sie lustig? Hatte er solchen Spaß daran? Oder schätze sie ihn einfach nur falsch ein? Schließlich hatte er viel für sie getan. Wie ein Schatten und ohne ein Geräusch zu verursachen folgte Corvus ihr. Es wäre die Gelegenheit für sie gewesen, ein bisschen hier herumzuschnüffeln, doch sie dachte scheinbar nicht daran und ging auf direktem Wege ins Badezimmer. Als sie sich dort angekommen umdrehen wollte, um die Tür zu schließen, erschrak sie beim Anblick von Corvus. Doch nicht nur das, sie ärgerte sich auch weil er so groß war und sie ihm nicht einmal bis zu seiner Schulter reichte.

„Ich habe leider keine Frauensachen im Haus, du kannst diese also behalten. Was all die Handtücher angeht, kannst du dich aber bedienen“, erklärte er und sah sie ausdruckslos an.

Zea blickte ihn einfach nur stumm an. Er war ein ziemlich komischer Kauz, aber auf seine eigene verschrobene Art und Weise kümmerte er sich doch ganz gut um sie.

„Danke“, sagte sie, ehe sich ihre Augenbrauen hoben. „Willst du mich wieder bewachen oder gleich mit hereinkommen?“, fragte sie dann herausfordernd.

Sie wusste nicht was sie sich dabei dachte, doch sie empfand durchaus Spaß dabei ihn so zu reizen. Blieb die Frage, ob er das einfach so auf sich sitzen ließ. Vollkommen kalt sah er sie an, aber mittlerweile jagte ihr dies keinen Schauer mehr über den Rücken.

„Kein Interesse. Du bist nicht mein Typ“, erwiderte er, ehe er sich abwandte.

„Du Arsch!“, fauchte sie aufgebracht und schlug die Tür zu. Sollte das heißen, sie war hässlich?

Zea beruhigte sich aber recht schnell wieder. Sie wusste ganz genau, dass sie eine verdammt attraktive Frau war, wenn auch ein bisschen zu kurz geraten. Statt Corvus zu beleidigen sollte sie ihm lieber dafür danken, dass er ihr die Möglichkeit gab, sich noch einmal frisch zu machen. Ihr geheilter Arm erlaubte es ihr jetzt sogar zu duschen. Gott, so sehr hatte sie sich noch nie auf eine Dusche gefreut. Aber irgendetwas kam ihm komisch vor. Würde er sie wirklich einfach so gehen lassen? Für das unbefugte Eindringen hier sollte sie eigentlich bestraft werden, auch wenn es streng genommen nicht einmal ihre Schuld war. Sollte sie also vielleicht ein bisschen misstrauischer sein? Darüber konnte sie gleich wohl in Ruhe nachdenken, jetzt duschte sie erst einmal ausgiebig.

Dass sie dabei Männerduschgel benutzen musste, störte sie kein bisschen. Ganz im Gegenteil, der herbe Geruch gefiel ihr und gab ihr einen kleinen Einblick in Corvus' Leben. Sie konnte sich diesen Geruch tatsächlich sehr gut an ihm vorstellen, auch wenn sie ihn nicht kannte und ihm nicht sonderlich nahe gekommen war. Kurz hielt Zea inne. Eigentlich sollte sie ihre Dankbarkeit richtig zum Ausdruck bringen, schließlich war sie ein Drache, doch sie hatte keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte. Eigentlich war alles was sie tun konnte, von hier zu verschwinden. Oder aber sie stimmte seinem Vorschlag zu und ließ ihn Nachforschungen anstellen. Dies wäre ihr aber zu riskant. Woher sollte sie wissen, dass sie ihm wirklich vertrauen konnte? Die Frage war, ob sie sich sein ruppiges Verhalten wirklich geben wollte. Dafür, dass er scheinbar so neugierig war, konnte er ruhig ein bisschen freundlicher sein. Vielleicht ging sie ihm auf die Nerven, doch das war kein Grund, so gemein zu ihr zu sein. Doch warum regte sie sich eigentlich so auf? Sie war doch kein kleines Mädchen mehr, sie wusste ganz genau, dass einen nicht immer alle mögen konnten. So war das eben. Also duschte sie zu Ende, zog die Sachen an, die er ihr gegeben hatte und betrachtete sich kurz im Spiegel. Erneut flocht sie sich die Haare zum Zopf. Als sie damit fertig war, verließ sie das luxuriöse Bad. Corvus wartete schon, gegenüber an die Wand gelehnt und mit verschränkten Armen.

„Hat lange gedauert“, bemerkte er, wie immer monoton. Zea zuckte mit den Schultern. Das musste ihr keineswegs unangenehm sein.

„Ich hab das warme Wasser ausgenutzt, entschuldige“, erwiderte sie. Corvus stieß sich von der Wand ab und verzog dann fast unmerklich das Gesicht.

„Hast du auch ein Anwesen, in das du dich zurückziehen kannst?“, fragte er beiläufig. Zea musterte ihn. Das war unglaublich. Selbst bei solch einer Frage klang er völlig desinteressiert.

„Nein, das wäre zu gefährlich für mich. Ich bin immer auf Achse“, erklärte sie, womit sie einen eindringlichen Blick von Corvus erntete. Reiß dich zusammen!, dachte er insgeheim. Du wirst dich nicht dazu äußern, das ist ganz allein ihr Problem!

Lange sah Zea ihn einfach nur an, dann wandte sie sich ab. Sie rechnete damit, dass er ihr anbieten würde zu bleiben, doch wenn sie wirklich daran glaubte, wäre sie ziemlich dumm und naiv.

„Also, dann geh ich mal“, sagte sie schließlich und ging an ihm vorbei. Von diesem Mann konnte sie nicht einmal ein Wort des Abschieds erwarten, also wozu Zeit verschwenden? Sie brauchte nicht lange, um den Weg zur Eingangstür zu finden, hatte dann aber schon wieder Corvus im Nacken.

„Nochmals danke für deine Hilfe“, sagte Zea, weil sie nicht wusste was sie sonst sagen sollte.

„Schon gut“, war alles, was Corvus sagte.

Zea hätte ausflippen können. War das wirklich alles, was er dazu sagen wollte? Kein „Sei vorsichtig“? Noch nicht einmal „Mach's gut und pass auf dich auf“?

Kopfschüttelnd wandte sie sich ab.

„Du musst wirklich mal an deinen Manieren arbeiten“, murmelte sie, dann lief sie los.

 

 

 

 

Kapitel 4

 

Fassungslos trat Corvus zwischen den Bäumen hervor. Das war doch wohl ein schlechter Scherz! Wo zur Hölle kam denn dieses Schiff schon wieder her?

Das kleine hölzerne Schmuckstück war viel hübscher und hochwertiger als jenes, welches er bereits zerstört hatte. Auch waren keine Käfige darauf zu erkennen. Dafür waren ihm aber ein paar Waffen ins Auge gefallen. Was war denn hier los, verdammt noch mal?

Zwei Tage waren vergangen, seitdem Zea sein Haus verlassen hatte und seitdem hatte er sie nicht mehr ausfindig machen können.

Er war davon ausgegangen, dass sie gut zurecht kam, nun aber hatte er ein mulmiges Gefühl. Ließen diese Menschen wirklich nicht locker? Corvus hätte sich jetzt am liebsten in die Luft geschwungen, um so schnell wie möglich alle Menschen ausfindig zu machen, doch im Urwald des Amazonas hätte dies keinen Zweck. Die Wipfel der Bäume nahmen einem komplett die Sicht, noch dazu war ein Durchkommen durch dieses Blätterdach selbst für einen Drachen schwierig.

Corvus würde sich also ganz seinem Element hingeben. Dies hier war sein Zuhause und er kannte jeden noch so kleinen Winkel dieses Dschungels. Egal wie viele Menschen es waren, er würde sie finden und so schnell außer Gefecht setzen, dass sie nicht einmal mehr die Zeit hätten um zu schreien. Um keine Zeit zu verschwenden begann Corvus zuerst damit, auch dieses Schiff zu zerstören. In Drachengestalt war es ein Kinderspiel für ihn, mit seinen Pranken und seinem Schwanz das dünne Holz zum bersten zu bringen. In nicht einmal fünf Minuten war diese Angelegenheit erledigt. Corvus überlegte, sich zurück zu verwandeln, tat es aber nicht und verschwand in seiner wahren Gestalt wieder zwischen den Bäumen. Von jetzt an gäbe er sich seinen Instinkten hin. Er wurde eins mit der Natur und ließ sich von den Waldbewohnern leiten. All diese Lebewesen waren seine Freunde, die er beschützte und die ihn beschützten. Menschen gehörten einfach nicht hierher.

Der sanfte Windhauch der durch die Bäume blies, trug den Geruch von Blut zu ihm herüber. War einer der Menschen etwa verletzt?

Sein Jagdtrieb wurde durch den Blutgeruch geweckt, weshalb er noch schneller zwischen die Baumstämme hindurch preschte. Der Geruch wurde immer stärker, dabei hatte er nicht einmal das Gefühl näher zu kommen.

Er wurde eines besseren belehrt, als er plötzlich auf eine kleine Lichtung stieß. Er hielt augenblicklich inne als er einen Menschen mit Machete sah, der ein zerfetztes Bein aufwies. Vor ihm ein kleiner schwarzer Drache. Fasziniert und unbemerkt neigte Corvus den Kopf. War das etwa Zea? Der Drache war verhältnismäßig klein und schmal und erinnerte an eine kleine wendige Echse mit Flügeln.

Der lange dünne Schwanz lief spitz zu und erinnerte entfernt an eine Feder. Schuppen waren keine vorhanden, dafür nur sattes, glänzendes tiefschwarzes Leder. Der schmale Torso wies direkt hinter den fächerartigen, ebenfalls schwarzen Flügeln eine offene Wunde auf, die anscheinend von der Machete stammte. Die Klauen des Drachen waren klein, aber mit scharfen gebogenen Krallen ausgestattet. Hier war nirgendswo mehr eine Verletzung zu entdecken, auch nicht an ihren schlanken und muskulösen Beinen.

Ein langer, schmaler und biegsamer Hals machte Corvus aufmerksam. Perfekt zum hineinbeißen!, ging es ihm unerwartet durch den Kopf. Er vertrieb diesen Gedanken und betrachtete stattdessen den Kopf des weiblichen Drachen. Hut ab, das war ein sehr ungewöhnliches Aussehen. Die Schnauze war schmal und lief leicht spitz zu. Reißzähne waren absolut keine zu sehen, dafür nur mandelförmige, große eisblaue Augen, die aus all dem schwarz herausstachen.

Nur eine einzige Sache deutete darauf hin, dass auch sie eine Bestie war: Ihre langen, vollkommen geraden Hörner, die spitz und ohne auch nur eine einzige Krümmung leicht schräg nach hinten wuchsen. Doch es war nicht der Drache, der Corvus einschreiten ließ, sondern der Mensch. Deshalb stieß er ein lautes Brüllen aus.

 

Erschrocken wich Zea zurück, dann starrte sie irritiert den Drachen an, der plötzlich auf der Lichtung auftauchte. Was zum...? Was ein Monster, ging es ihr im ersten Moment durch den Kopf.

Der Drache vor ihr war ebenfalls schwarz, allerdings gigantisch groß. Er war breit und massig, mit Stacheln auf seinem Kopf und seinem dicken Schwanz. Mit den Fledermausflügeln und den vielen Reißzähnen sah er aus, wie eine Tötungsmaschine, doch seine geschmeidigen Bewegungen, seine geduckte Haltung und seine dunkle Färbung machten klar, dass er problemlos mit den Schatten verschmelzen konnte. Seine rauen Schuppen sahen brüchig aus, an einigen Stellen fehlten sie sogar und offenbarten tiefe und hässliche Narben. Und doch fand Zea ihn unglaublich schön. Ob es wohl an all der Muskelmasse lag, die unter seiner dicken Haut lauerte? Oder an den schwarzen Augen, die man kaum erkennen konnte? Was es auch war, es lenkte sie ab. Statt sich auf ihre Wunde oder deren Schmerzen zu konzentrieren beobachtete sie, wie der Drache kurzen Prozess mit dem Menschen machte. Ein einziger Schlag mit seiner riesigen Pranke und der Körper des Menschen war zertrümmert. Schnaubend wandte das riesige Ungetüm sich schließlich ihr zu. Eingeschüchtert trat Zea einige Schritte zurück, dann senkte sie langsam und ergeben den Hals. Wenn sie schon in ihrer wahren Gestalt im Revier eines anderen Drachen herumspazierte, dann hatte sie sich gefälligst ein bisschen demütig zu zeigen.

Da es sich bei ihrem Retter um Corvus handelte, ging sie davon aus, dass er sie abweisend behandeln oder gar fortschicken würde, doch die Überraschung folgte prompt. Vorsichtig stupste er ihren Hals an, womit er sie dazu brachte einen Schritt zur Seite zu machen.

Zum Vorschein kam eine frische Stichwunde. Noch immer vom Instinkt geleitet tat Corvus etwas, das für ihn völlig normal war. Er senkte den Kopf zu dem winzigen Drachen herab, schnupperte kurz an der frischen Wunde und leckte dann mit seiner Zunge darüber.

Erschrocken über diese Handlung und den scharfen Schmerz, zuckte Zea zusammen. Sie wollte zurückweichen und auf Abstand gehen, doch Corvus ließ sie wieder nicht, denn mit seinem langen Schwanz hatte er sie umschlungen. Was Zea nicht wissen konnte war, dass sein Speichel eine desinfizierende und beruhigende Wirkung hatte. Corvus wusste selbst nicht, warum dies so war, hatte aber schon als Kind von dieser Fähigkeit Gebrauch gemacht. Nachdem er sich provisorisch um die Wunde gekümmert hatte, trat er zurück und verwandelte sich. Zea musterte ihn erst argwöhnisch, tat es ihm dann aber nach. Sie blieb im ersten Moment auf Abstand, trat dann aber näher an ihn heran. Sie war verwirrt.

„Danke. Äh... Was machst du hier und warum...“

Sie stockte mitten im Satz und blickte erneut irritiert auf die Wunde an ihrem Brustkorb. Erstaunlicherweise hatte es aufgehört zu bluten und tat nicht mehr weh. Fast schon abweisend blickte Corvus zurück zu dem Menschen.

„Am Flussufer hat ein weiteres Schiff angelegt. Allerdings waren dort keine Menschen an Bord. Hast du noch jemanden gesehen außer ihn?“, knurrte er leise.

Zea verdrehte die Augen. Er war also so distanziert wie bisher. Dieses Verhalten sollte sie nicht wundern, tat es aufgrund seiner seltsamer Handlung gerade eben aber doch. Sie hatte noch nie davon gehört, wie ein Drache die Wunde eines anderen ableckte. Oder war so etwas von Drache zu Drache etwa unterschiedlich? Woran auch immer es lag, es schien für Corvus völlig selbstverständlich gewesen zu sein.

„Nein“, antwortete sie nun auf seine Frage. „Der hier ist wie aus dem Nichts heraus vor mir aufgetaucht. Gehört habe ich auch nichts.“

Als Corvus sie daraufhin lange und eingehend betrachtete, wurde sie nervös. Warum sah er sie denn so komisch an? Seufzend wandte er sich ab, dann machte er ihr mit einer Handbewegung klar, dass sie ihm folgen sollte.

„Du wirst bei mir bleiben. Ich kümmere mich darum, dass die Menschen nicht mehr bis hierhin vordringen können“, entschied er, ohne abzuwarten was Zea wohl dazu sagen würde. Die hätte nämlich nicht gedacht, dass Corvus sie ein weiteres Mal mit zu sich nehmen würde.

„Du willst mich wirklich bei dir alleine lassen?“, wiederholte sie deshalb leise und ungläubig.

Der Mann sah kurz zu ihr zurück, während er sie durch das dichte Gestrüpp führte und dabei ganz genau darauf achtete, ob irgendwo noch ein Mensch versteckt war. Nachher, wenn die Frau in Sicherheit war, würde er das ganze Gebiet durchkämmen.

„Ich glaube du weißt was dir blüht, wenn du auf dumme Gedanken kommst. Außerdem bist du so fertig, dass du ohnehin wieder sofort einschlafen dürftest“, erwiderte er.

Zea schnaubte. Hielt er sie wirklich für so schwach? Sie war empört. Sie war doch kein kleines Mädchen mehr, verdammt. Ja gut, sie war recht klein, aber das war kein Grund, gleich auch auf ihre Stärke zu schließen.

„Wie ist es den Menschen überhaupt gelungen, dich ausfindig zu machen?“, riss Corvus sie aus den Gedanken. Zea zuckte mit den Schultern.

„Ich war zuletzt in Mexico und bin dort auf ein kleines Dorf gestoßen. Dort müssen sie mich wohl bemerkt haben. Dabei habe ich mich so bemüht in meiner wahren Gestalt nicht gesehen zu werden“, erzählte sie. Erneut musste Zea sich bemühen mit ihm Schritt zu halten. Mit seinen langen Beinen gelang es Corvus problemlos, über all die Wurzeln und Sträucher hinweg zu steigen, Zea blieb allerdings plötzlich irgendwo mit dem Fuß hängen und verlor bereits ihr Gleichgewicht.

Ihr blieb die Luft weg als Corvus sie deshalb am

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 25.02.2017
ISBN: 978-3-7396-9970-7

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