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Guardian

 

 

Prolog:

 

Ununterbrochen war das kleine Mädchen nun schon weinen.
Da half es auch nicht, wenn der Mann sie auf den Arm nahm. Ahnte die Kleine vielleicht bereits, dass ihr Vater nicht von menschlicher Abstammung war?

„Kannst du sie nehmen?“, knurrte er und drückte der Frau das Baby in die Arme.
Augenblicklich wurde es ruhig in dem Zimmer. Das kleine Mädchen hörte auf zu schreien und blickte ihrer Mutter direkt ins Gesicht.

„Ihre goldenen Augen sind so wunderschön.“, hauchte die Frau ehrfürchtig. Sie lächelte, worauf auch das kleine Mädchen ein Glucksen von sich gab.

„Wie wollen wir sie nennen?“, fragte die Frau ihren Mann und sah auf. Der jedoch zuckte nur mit den Schultern.

„Nenn sie, wie du willst.“, murmelte er und stapfte aus dem Raum.
Die Frau lächelte ihr Kind an.

„Wenn das so ist, mein kleiner Engel, dann heißt du von nun an Aenna!“

 

 

__1__

 

Genüsslich nahm Bastien einen Zug von seiner Zigarette.
Die Barbesuche werden auch immer langweiliger., dachte er und beobachtete seine Kollegen dabei, wie sie einen Schnaps nach dem anderen kippten. Sein Glimmstängel glühte erneut auf.
Früher war er genauso gewesen wie sie. Immer auf das Eine aus. Doch mittlerweile hatte er die Schnauze voll. Die Zeiten änderten sich nun mal.
Bastien nahm einen Schluck von seinem Whiskey, wobei sein Blick auf ein junges Mädchen fiel, welches gerade die Bar betrat. Beinahe hätte er sich verschluckt. Was hatte so ein hübsches und anständiges Ding hier zu suchen? Wobei, so unschuldig sah sie eigentlich nicht aus. Ihre Bauchnabellangen Haare waren blutrot gefärbt und lockten sich leicht. Sie trug ein schwarzes Shirt mit Spaghettiträgern und eine schwarze, enge Jeans. Die kleinen Füße steckten in hohen, silbernen Schuhen, wodurch sie fast an die einen Meter fünfundsiebzig groß war. Doch so dunkel ihre Erscheinung auch wirken mochte, sie hatte ein engelsgleiches Gesicht. Schmal, mit vollen Lippen, kleiner Nase und großen Augen.
So sehr Bastien ihre weiblichen, üppigen Kurven gefielen und ihr dennoch zierlicher Körper ihn anzog, am faszinierensten fand er immer noch ihre Augen, die in einem satten goldton zu strahlen schienen. Er schluckte, in seiner Hose regte sich etwas.
Auch den anderen Männern hier, war die junge Frau nicht entgangen. Ihre Ausstrahlung war der Wahnsinn! Es schien, als würde sie wollen das man sie sah. Und es gelang ihr!
Mit ausdruckslosem Gesicht erwiderte sie nicht einen einzigen der Blicke, die man ihr zuwarf.
Vielleicht habe ich ja Glück?, dachte Bastien und behielt sie im Augenwinkel. Wie es der Zufall wollte, ließ sie sich nur wenige Plätze von ihm entfernt auf einem der Barhocker nieder. Als sie seinen Blick bemerkte, sah sie zu ihm und lächelte ihn an.

 

Aenna lächelte und nahm den Mann genauer in Augenschein.
Schon die ganze Zeit hatte er sie im Auge. Für gewöhnlich machte sie sich nichts daraus, doch sein Blick war anders als die anderen. Er erwiderte ihr Lächeln nicht, weshalb auch ihr Gesicht wieder ausdruckslos wurde. Der Blick des Mannes war überraschend leer und auch seine Körperhaltung ließ nicht darauf schließen, was er wohl gerade denken mochte.
Aenna wandte ihre Aufmerksamkeit dem Barkeeper zu, bei dem sie einen Gin Tonic bestellte. Sie zückte bereits ihr Geld, damit sie gleich schnell wieder abhauen konnte, als sich eine große Hand auf ihre Schulter legte.

„Lass nur, Kleine, der Drink geht auf mich.“, sagte der alte, bierbäuchige Knacker, der hinter ihr aufgetaucht war. Mit einem geschickten Griff befreite sie sich von seiner Hand.

„Lass stecken. Ich bin nicht auf das Geld alter, perverser Knacker angewiesen.“, fauchte sie. Augenblicklich trat der Kerl einen Schritt zurück. Hätten Blicke töten können, wäre er nun wohl tot umgefallen. Hut ab, mit dieser Angriffslust hatte keiner gerechnet. Auch Bastien nicht, dessen Mundwinkel beeindruckt zuckten.

Keine fünf Minuten später traute sich keiner mehr in die Nähe von Aenna, weshalb sie genussvoll ihren Gin Tonic trank. Sie war schließlich hergekommen, um ihre Ruhe zu haben. In einem unbeobachteten Moment, schielte sie wieder zu dem jungen Mann herüber. Dieser war gerade mit seinen Kumpels beschäftigt. 
Er war nicht sonderlich groß, wie sie an seinen Beinen erkannte. Vielleicht so groß wie sie, mit ihren hohen Schuhen. Er war eine ziemliche Kante, unglaublich muskulös. Seine Haare waren tiefschwarz und ziemlich kurz, nur der Pony hing schräg über seinem linken Auge.
Apropos Augen. Seine waren leicht grün und so leer, dass sie Aenna in den Bann zogen. Was seine Kleidung anging...Naja, die war genauso dunkel wie ihre eigene. Irgendwie...schienen sie sich ähnlich zu sein. Das hatte Aenna zumindest im Gefühl.
Kopfschüttelnd wandte sie ihren Blick ab. Sie hatte viel Schlechtes von der Welt gesehen. Und wer in einer Bar herum hing, wusste das. Sie seufzte. Gerne hätte sie diesen Mann angesprochen, doch für so etwas war sie zu schüchtern.

„Hey.“
Verdammt noch mal, sie war so in Gedanken gewesen, dass sie nicht gemerkt hatte, wie der Mann sich neben sie gesetzt hatte.

„Hey.“, erwiderte sie genauso tonlos. Nur kurz hob sie den Blick.

„Ein Mädchen sollte sich nicht an einem Ort wie diesen aufhalten.“, sagte er mit tiefer Stimme.
Aenna sah ihn an, wobei ihr Blick über seine vielen Piercings huschte. Augenbraue, Nase, Lippen und Ohren. All diese Stellen zierten teilweise mehrere, metallene Ringe oder Stäbe.
Er ist hübsch!, dachte sie und war erschrocken über die Selbstverständlichkeit, mit der sie das dachte. Doch es war so. Viele Menschen mochten ihn mit seinem Erscheinungsbild in irgendeine untere Schublade stecken, ihn für kriminell halten oder was auch immer. Doch Aenna sah genauer hin. Seine Gesichtszüge waren fein geschnitten, dennoch ausgeprägt und männlich. Und trotz seiner Muskeln konnte sie sich gut vorstellen, dass auch er mal in den Arm genommen werden wollte. Diese Vorstellung amüsierte sie, weshalb ihre Mundwinkel zuckten. Schnell verbarg sie das.

„Warum nicht?“, erwiderte sie forsch. „Glaubst du, ich bin ein kleines Mädchen welches nicht auf sich aufpassen kann?“
Sie dachte sie versah sich, doch nun zuckten auch seine Mundwinkel.

„Nein, das glaube ich keineswegs. Mir scheint, du bist nicht darauf aus jemanden aufzureißen, also warum kommst du in eine Bar, wo es nur so vor lüsternen Kerlen wimmelt?“
Neugier blitzte in seinen hellen Augen auf. Aenna zuckte mit den Schultern.

„Wer weiß. Ab und zu trifft man auch auf nette Menschen. So wie du einer bist!“
Sie lachte leise, weshalb Bastien inne hielt. Das raue Lachen dieses Mädchens ließ ihn vermuten, dass sie nicht oft lachte.

„Flirtest du etwa mit mir?“, erwiderte er leise, sodass nur sie es hören konnte. Gespielt bestürzt legte sie sich die Hand auf's Dekolleté.

„Ich? Oh, wo denkst du hin?“
Sie zwinkerte noch einmal, dann wandte sie den Blick ab.

„Verrate mir deinen Namen.“, verlangte er. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie ihn an.

„Aenna.“, sagte sie leise, fast atemlos.

„Bastien. Erfreut.“, erwiderte er. Sie schüttelten sich kurz die Hände, dann widmeten sich beide ihrem Drink.

„Bist mit deinen Kollegen hier, hm?“, begann sie leise das Gespräch. Sein Blick huschte zu seinen Freunden, die ihn neugierig beobachteten.

„Ja. Aber irgendwie ist es trotzdem langweilig.“, antwortete er.

„Dann bist du in der falschen Gesellschaft.“
Aennas Worte überraschten ihn. Dafür, dass sie noch jung zu sein schien, war sie sehr weise. In Bastien kochte etwas hoch.

„Tu' nicht so, als wüsstest du etwas über mich! Woher willst du wissen, welche Gesellschaft zu mir passt und welche nicht?“, schnauzte er. Aenna konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

„Sieh einer an, ein wunder Punkt.“, kicherte sie. Sie sah sofort, dass ihn das nur noch wütender machte. Er wollte bereits den Mund aufmachen, doch Aenna lächelte ihn fast schon liebevoll an.

„Verzeihung, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“, hauchte sie leise. Sofort wurde Bastien ruhiger. In diesen großen, goldenen Augen glitzerten so viele Gefühle, dass er ihr nicht böse sein konnte. Sie warf einen Blick auf die unauffällige Uhr an ihrem Handgelenk und erhob sich in einer geschmeidigen Bewegung.

„Tja, ich muss los. Hat mich gefreut, Bastien.“, hauchte sie. Sie strahlte ihn so aufrichtig an, dass er ihr Lächeln erwiderte. Dann trennten sich ihre Wege.

 

„Du hast die Kleine einfach so gehen lassen?“
Bastien sah seinen Kollegen an und nippte an seinem Glas.

„Ja. Das heißt aber nicht, dass ich es unversucht lasse!“
Seine Mundwinkel zuckten. Sein Kollege hatte ja Recht, eigentlich würde er alles dafür tun, um eine Frau ins Bett zu bekommen. Anders hatten sie es ja auch nicht verdient. Doch dieses Mädchen schien anders zu sein, als andere. Ihm kam ein Gedanke, der ihn selbst erschreckte.
Sie war noch nicht lange weg, vielleicht würde er sie noch erwischen? Und vielleicht würde er sie ja doch noch rumkriegen? Er sprang auf, verabschiedete sich eilig von seinen Freunden und hastete aus der Bar. Die Straße führte nur in eine Richtung, es war also ein leichtes sie zu verfolgen. Er lief also weiter, bis er weit entfernt eine Gruppe Jugendlicher ausmachen konnte. In deren Mitte eine zierliche Frau, mit üppigen Kurven. Bastien lief los, erkannte aber, dass Aenna ganz gut alleine klar zu kommen schien.

„Ach ja? Und was willst du nun tun?“, drang eine Jungenstimme an sein Ohr. Verdammt noch mal, die Typen schienen noch jünger zu sein als er. Er schubste einen der Typen zur Seite und legte Aenna einen Arm um die Schulter.

„Ich rate euch zu verschwinden, ansonsten gibt es Ärger!“
Mit hochgezogenen Augenbrauen und einer faltigen Stirn sah Aenna zu Bastien auf.

„Was bitte tust du hier?“, zischte sie leise.

„Dir den Arsch retten.“, raunte er wütend zurück.
Da war er so nett ihr aus der Patsche zu helfen und was kam zurück? Nicht die Spur Dankbarkeit! Sie seufzte und verdrehte die Augen, verkniff sich aber die Worte die ihr auf der Zunge lagen. Bastien realisierte erst jetzt, dass es gar nicht mal so wenige Jungen waren, die sie eingekreist hatten. Eins, zwei, drei...
Sieben., dachte er und fügte in Gedanken noch ein paar Flüche hinzu. Vielleicht konnte ja Aenna wirklich auf sich aufpassen, doch sieben Mann gegen zwei war schon eine zu große Nummer.
Zwei der Jugendlichen, scheinbar auch noch betrunken, traten ein paar Schritte vor und ließen die Fäuste knacken.

„Das will ich sehen!“, sagte einer der beiden, als Antwort auf seine vorigen Worte.
Aenna schluckte. Sie glaubte durchaus, dass Bastien kämpfen konnte und gewiss auch schon ein paar Straßenkämpfe hinter sich hatte, dennoch war das ganz allein ihre Misere. Sie stieß ihn also grob zurück, was ihn erst einmal mehr als nur überraschte, und trat selbst einen Schritt vor. Sie ergriff den ersten der zwei Burschen an der Hand und verdrehte ihm das Gelenk mit einem Ruck nach links, worauf ein deutliches Knirschen zu vernehmen war.
Mit einem Schrei fiel der Knabe auf die Knie. Diese Aktion ließ erst einmal ein paar der Jugendlichen zurückweichen. Drei jedoch kamen auf sie zu. Sie zögerte keine Sekunde, als sie die Klingen im Licht der Laterne aufblitzen sah. Sie ergriff den nächsten am Arm, zog ihn zu sich und verdrehte ihm den Arm so, dass sein eigenes Messer an seinem Hals lag.

„Wollt ihr immer noch kämpfen?“, knurrte sie. Ein paar der Jungen liefen bereits davon, in den Schatten der Nacht, auch der den sie fest im Griff hatte fing an zu zappeln, doch ihre Konzentration wurde untebrochen, als hinter ihr jemand keuchte.
Sie ließ den Jungen los und wirbelte herum, wo Bastien gerade versuchte seinen Angreifer loszuwerden. Was sich nicht als einfach erwies, da eine Klinge bereits einen langen Schnitt unterhalb seines Schlüsselbeins hinterlassen hatte. Sofort war sie Feuer und Flamme. Sie stürzte zu den beiden, entriss dem Typen sein Messer und schleuderte es ihm mit voller Wucht in den Fuß. Während er einen gequälten Schmerzensschrei ausstieß, packte Aenna Bastien an der Hand und zog ihn mit.

„Komm!“, hauchte sie.

„Jetzt halt schon still.“, murmelte Aenna leise.
Bedacht darauf ihm nicht all zu sehr weh zu tun, säuberte sie die lange Wunde, die glücklicherweise nicht all zu tief war.

„Das tut weh, verdammt!“, brüllte Bastien und umklammerte ihr Handgelenk fester, damit sie inne hielt. Er ist genauso kräftig wie vermutet., dachte sie und biss die Zähne zusammen. Doch Bastien hörte das leise Knacken ihres Gelenks.

„Selbst Schuld.“, erwiderte sie, als er sie losließ. „Was lässt du dich auch aufschlitzen?“
Bastien zog die Brauen hoch, dann brüllte er auch schon drauf los.

„Was soll das denn heißen? Es hätte genauso gut auch dich treffen können!“
Er war aufgesprungen, wodurch die Wunde weiter auseinander klaffte. Zischend ließ Bastien sich wieder fallen. Aenna seufzte und blickte ihm geradewegs in die Augen.

„Hat es aber nicht. Weil ich weiß, was ich tue. Im Gegensatz zu dir.“
Während er vor sich hin fluchte, lachte Aenna leise.

„Du wirkst nicht wie jemand, der schnell aufbrausend wird. Also was ist los mit dir?"
Sie erhob sich und ging zum Schrank, in dem sie alles aufbewahrte was nötig war, um eine Wunde zu versorgen. Bastien blieb beim Anblick der ganzen Utensilien die Luft weg. Scheinbar war sie in der Lage sämtliche Wunden zu versorgen, egal wie schwerschwiegend diese auch waren. Er atmete tief durch und rang sich zu einer vernünftigen Antwort durch.

„Wie soll man in so einer Situation denn ruhig bleiben?“, brummte er. Das er aus Angst, Sorge und Wut gehandelt hatte, verschwieg er. Für gewöhnlich war er kein Mann der großen Worte. Sie sah zu ihm hinüber und erkannte an seinem glasigen Blick sofort, dass er ihr etwas verheimlichte.

„In so einer Situation ist es aber wichtig ruhig zu bleiben. Sonst wird man verletzt. Aber das hast du ja bereits gemerkt.“, erwiderte sie ruhig. Mit Nadel, Faden, Handschuhen und einem feuchten Tuch kam sie zu ihm zurück. Als Antwort erhielt sie von ihm nur ein Schnauben.
Beim Anblick der Nadel sah Bastien misstrauisch zu Aenna auf.

„Was denn, keine Betäubung?“, murmelte er. Die Mundwinkel der jungen Frau zuckten.

„Betäubungen gibt es in diesem Haus nicht. Außerdem hast du das nicht nötig.“

Wieder schnaubte der Mann.

„Du willst so eine lange Wunde ohne Betäubung vernähen? Ich leide auch so schon Qualen!“
Das brachte Aenna dann wirklich zum lachen. Sie stellte die Sachen neben sich ab und zog die Handschuhe geschickt und in Windeseile an.

„Wie bereits gesagt, du bist selbst Schuld!“
Unruhig rutschte Bastien hin und her, doch als Aenna mit der Nadel immer näher kam, blieb ihm keine andere Wahl. Er musste still sitzen, leider war das nicht so einfach. Theatralisch stöhnend ließ das Mädchen die Hand sinken.
    „Meine Güte, jetzt reiß dich mal zusammen! Ich hab nicht mal angefangen!“, schnauzte sie.
Augenblicklich hielt er inne. Das sie ihn so anblaffte gefiel ihm gar nicht. Und genau deswegen zwickte er sie auch in den Arm. Nicht gerade zimperlich, um genau zu sein.

„Au!“, fauchte sie und schlug seine Hand weg.

„Schnauz mich nicht so an.“, sagte Bastien leise und wich ihrem Blick aus. In Gedanken stieß Aenna noch ein Seufzen aus. Aus diesem Typen wurde sie einfach nicht schlau! Eigentlich war sie verdammt gut darin Menschen einzuschätzen, nicht so jedoch bei ihm hier.

„Bin gleich wieder da.“, sagte sie leise, erhob sich und huschte aus dem Raum.
Was hat sie vor?, dachte Bastien und sah ihr nach, wobei sein Blick auf ihren Hintern fiel. Unwillkürlich musste er grinsen. Vielleicht war das ja die Gelegenheit?
Als sie zurückkam richtete sich sein Blick gespannt auf ihre kurvige Gestalt. Sie hielt etwas in der Hand, bei genauerem hinsehen identifizierte er es als Flachmann.

„Das ist zwar der Rest aber meinetwegen mach die Pulle nur leer.“, murmelte sie und drückte ihm das kühle Metall in die Hand. Er zögerte keine Sekunde und kippte die paar Schlucke hinunter. Mit einem klirren fiel die kleine Flasche auf die Fliesen.

„Hau rein.“, knurrte er und ließ den Kopf in den Nacken fallen.
Das ließ Aenna sich nicht zweimal sagen. Sie zückte Nadel und Faden und begann, die Wunde zu vernähen. Sie war überrascht. Dafür, dass er vorhin so kleinlich reagiert hatte, war er jetzt scheinbar umso gefasster. Es schien ihm nicht das geringste auszumachen. Nicht einmal die umliegenden Nerven seiner Verletzungen zuckten, was eher unüblich war.
Nach zehn Stichen machte Aenna einen Knoten und lehnte sich schwach lächelnd zurück. Sie griff nach dem feuchten Tuch und säuberte die Wunde noch einmal, als sie plötzlich einen stechenden Blick auf sich spürte. Vorsichtig sah sie auf, doch es war bereits zu spät. Bastien griff ihr ins Haar und zog ihren Kopf zurück. Grob und fordernd presste er seine Lippen auf ihre. Aennas Augen schlossen sich. Das hatte nichts mit einem Kuss zutun, lediglich mit einer Forderung. Nämlich der, ihn an sich ranzulassen. Doch sie stieß ihn nicht weg. Mitmachen tat sie aber auch nicht. Nach einigen Sekunden war es auch schon wieder vorbei.
Kalt sah sie ihn an und begann dann, mit ziemlicher Brutalität, seine frisch versorgte Wunde noch einmal zu desinfizieren.

„Der Alkohol bekommt dir offensichtlich nicht.“, sagte sie monoton. Bastien blinzelte. Der Alkohol hatte bei ihm gar keine Wirkung hinterlassen und der Kuss war auch keine Kurzschlussreaktion gewesen.

„Du bist nicht sauer?“, fragte er leise. Ohne ihn anzusehen räumte Aenna alles wieder weg.

„Ich gebe zu, dass mich das nicht ganz kalt lässt aber sauer bin ich nicht, nein.“, murmelte sie. Aenna warf ihm einen kurzen Blick zu. Also irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Er schien es gewohnt zu sein, dass Frauen, aus welchem Grund auch immer, sauer auf ihn waren. Sie rang sich zu einem schiefen Grinsen durch.

„Das du mich küsst signalisiert, dass du Interesse an mir hast. Was sollte daran denn bitte schlecht sein?“

„Lässt du dich denn darauf ein?“, fragte er mit einem Augenzwinkern.
Einen Moment lang sah Aenne den Mann stumm an, dann lachte sie leise.

„Mit so einem Kuss, der nicht einmal ein richtiger war, kriegst du mich nicht rum!“, kicherte sie.
Aenna hatte inzwischen alles verstaut und drehte sich nun ganz zu Bastien um. Der hatte sich aber still schweigend erhoben und stand nun direkt vor ihr. Langsam und herausfordernd beugte er sich vor.

„Und wie müsste ich dich küssen, damit du darauf anspringst?“, raunte er.
Mit einem Schnauben stieß sie den Mann zurück.

„Zieh dich an.“, verlangte sie barsch und stapfte aus dem Bad. In der Küche angekommen atmete sie erst einmal tief durch. Dieses Machogehabe gefiel ihr eigentlich gar nicht, doch bei Bastien faszinierte sie das irgendwie. Er behandelte Frauen sicher nicht ohne Grund so respektlos, blieb also die Frage, ob Aenna bereit dazu war herauszufinden, warum das so war.

„Wie alt bist du, Kleine.“
Sie sah über ihre Schulter zu dem Mann und zog die Brauen zusammen.

„Achtzehn.“, sagte sie leise. „Und du?“

„Zweiundzwanzig.“, kam es zurück. „Wohnst du alleine hier?“
Er sah sich um, Aenna nickte lediglich und suchte nach einer Tasse.

„Eigentlich würde ich dich ja rausschmeißen aber stattdessen biete ich dir einfach mal was zu trinken an. Wasser, Kaffe, Bier?“

„Bier, bitte.“, sagte Bastien.
Wenige Minuten später saßen die beiden in ihrem Wohnzimmer. Aenna hatte sich gegen den Tisch gelehnt, Bastien hatte sich auf dem Sofa ausgestreckt. Die zwei starrten sich eine halbe Ewigkeit lang an, dann seufzte Aenna.

„Warum bist du überhaupt hinter mir her gelaufen?“, fragte sie scharf.
Er zuckte mit den Schultern und zeigte ihr ein Lächeln, von dem sie nicht wusste was es zu bedeuten hatte.

„Du hast dich zu schnell aus dem Staub gemacht. Was, wenn ich noch plaudern wollte?“
Aenna zog einen Mundwinkel nach oben.

„Na gut, dann los. Plaudern wir.“

„Erzähl mir etwas über dich.“, verlangte er. Die Augen der jungen Frau schlossen sich für einen Moment.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe einen schwierigen Charakter, du solltest also aufpassen!“
Wieder starrten sie sich minutenlang an.
Das sollte eigentlich kein Wettkampf sein., dachte sie und verkniff es sich, die Augen zu verdrehen. Plötzlich grinste Bastien.

„Du tust zwar so als wärst du ein richtig taffes Mädchen, doch in Wirklichkeit bist du total schüchtern, stimmt's?“, hauchte er.
Aenna neigte den Kopf.

„Ich weiß schon, warum du das glaubst...“, murmelte sie. Sie stieß sich vom Tisch ab und ging zum Sofa, wo sie sich aufreizend vorbeugte und Bastien ihr Dekolleté präsentierte.

„Die hat zwar ein loses Mundwerk, doch das ist nur Show! Eigentlich ist sie total lieb, sie hat sich sogar um meine Verletzung gekümmert. Das ist es doch, was du denkst, hm? Aber es gibt kein Entweder Oder. Ich bin beides! Mein Verhalten hängt ganz allein von meinem Gegenüber ab.“
Bastien genoss den Anblick der sich ihm bot, doch zu schnell hatte sie ihm den Finger unter's Kinn gelegt und sein Gesicht angehoben.

„Sei nett zu mir, dann bin ich auch nett zu dir.“, hauchte sie und ließ ihn auch schon los.

„Geh mit mir aus!“
Aenna hielt inne und stolperte erst einmal einen Schritt zurück.

„Was?“, war alles, was sie heraus brachte.

„Du hast mich schon verstanden.“, erwiderte er und verschränkte die Arme.
Völlig perplex schüttelte Aenna den Kopf.

„Aber ich vertraue dir doch überhaupt nicht!“, wandte sie ein. Bastien grinste.

„Ich dir auch nicht. Aber das macht es doch nur interessanter, oder nicht?“

„Ich halte das für keine gute Idee.“, murmelte sie.
Der junge Mann erhob sich und drängte Aenna zurück.

„Was ist? Hast du Angst, du könntest dich in mich verlieben?“, lachte er.
Aenna schnaubte empört.

„Wie soll man sich denn bitte in jemanden, wie dich verlieben?“, zischte sie.

„Autsch, das tat weh.“, lachte Bastien und legte sich die Hand auf die Brust. Schwach lächelnd kam er ihr wieder näher.

„Na, komm schon. Wenn du dich sowieso nicht in mich verliebst, kannst du es doch wagen.“, sagte er leise. Leise fluchend sah Aenna ihn aus den Augenwinkeln heraus an.

„Was erhoffst du dir davon?“, murmelte sie leise.

„Dich besser kennezulernen.“, antwortete er und ergriff ihre Hand.

„Komm schon, sag ja.“, flehte er leise.
Aenna hatte ein Problem, und zwar ein gewaltiges! Sie hatte wirklich Interesse an diesem Mann. Sie war so neugierig auf ihn. Auf seine Geheimnisse, seine Stärken und auch auf seine Schwächen und Macken. Doch sie wollte nicht riskieren ihr Herz an ihn zu verlieren. Zu oft schon hatten andere es ausgenutzt, wenn sie ihr Herz verschenkt hatte. Sie wollte sich eigentlich auf niemanden mehr einlassen.
Dann musst du eben verhindern, dass er Zugang zu deinem Herzen bekommt., dachte sie und atmete tief durch.

„Also schön.“, sagte sie leise.
Bastien lachte siegessicher. Na, das war doch ein vielversprechender Anfang! Ohne abzuwarten was der Mann dazu zu sagen hatte, kramte sie einen Stift hervor. Sie packte Bastiens Hand und zog an dieser, damit er den Arm ausstreckte. Auf den schrieb sie dann ihre Handynummer.

„Hier hast du meine Nummer.“, murmelte sie, dann packte sie ihn am Kragen und schaffte ihn aus der Wohnung.

„Und nun verschwinde.“, sagte sie barsch und knallte ihm die Tür vor der Nase zu.
Lachend machte Bastien sich auf den Heimweg.

 

__2__

 

 

Nachdenklich betrachtete Bastien im Spiegel seine Wunde.
Aenna hatte sehr sauber gearbeitet. Überhaupt schien sie Ahnung von Medizin zu haben. Er fragte sich, ob sie wohl oft in Schwierigkeiten geriet.
Sie ist ein harter Brocken., dachte er, als er sich daran erinnerte wie sehr sie gezögert hatte. Das Spiel schien sie durchaus zu lieben, sein Machogehabe allerdings weniger. Komisch, sonst waren die Weiber alle scharf darauf gedemütigt zu werden. Vielleicht wurde sie zu oft erniedrigt, um sich das noch ein weiteres Mal gefallen zu lassen., dachte er besorgt. Aenna war sehr vorsichtig, irgendetwas musste sie also erlebt haben.
Vielleicht sollte Bastien von nun an eine Spur langsamer vorangehen. Wenn er so tat als wäre er verletzlich, würde vielleicht ihre Fürsorge durchkommen?

„So hilft mir doch jemand!“
Das aufgeregte Kreischen vor seinem Fenster ließ den Mann aufhorchen. Was war denn nun schon wieder los? Er ging zum Fenster und entdeckte seine Nachbarin, die aufgebracht und mit ausgestrecktem Arm auf eine alte Eiche zeigte. Dieser Baum stand schon seit er denken konnte im Vorgarten dieses Hauses. Auf genau diesem Baum saß nun die Katze seiner Nachbarin. Amüsiert beobachtete Bastien das rege Treiben auf der Straße, zu seinen Füßen, als plötzlich ein bekannter Rotschopf in sein Blickfeld trat. Beinahe hätte er drauf losgelacht. Angespannt verfolgte er das Gespräch zwischen seiner Nachbarin und Aenna.

„Sei vorsichtig, Mädchen! Sie ist sehr kratzbürstig!“, warnte Mrs Studebaker sie noch. Bastien schmunzelte. Das war noch untertrieben! Ein einziges Mal nur hatte Bastien Bekanntschaft mit diesem Vieh gemacht. Von den üblen Kratzern hatte er noch heute Narben an den Beinen...
Er beobachtete, ungesehen von seinem Fenster aus, wie Aenna mit Leichtigkeit auf den Baum kletterte und der Katze immer näher kam.
Sei bloß vorsichtig!, dachte er. Doch nach einigen Augenblicken traute er seinen Augen kaum. Als ob Aenna sie mit Futter anlocken würde, stolzierte das Mistvieh genau auf sie zu. Aenna hatte dabei nicht einmal die Hand ausstrecken müssen. Lachend hob sie die Katze auf ihren Arm, dann sprang sie vom Baum. Mal eben so, aus fünf Metern Höhe! Als Aenna die Katze ihrem Frauchen übergab, sagte sie noch etwas. Bastien konnte es jedoch nicht verstehen.

„Für gewöhnlich klettern Katzen nicht auf Bäume und bleiben Ewigkeiten lang dort sitzen.“, sagte Aenna dann deutlich.

„Gibt es vielleicht eine Veränderung in ihrem Umfeld? Oder könnte sie vor etwas Angst gehabt haben?“
Mrs Studebaker, auch Judie genannt, blickte zu seinem Fenster hoch, worauf Bastien sich duckte.
Scheiße!, dachte er noch, dann vernahm er auch schon Judies Stimme.

„Ich wette dieser Bengel steckt dahinter. Er konnte mein Baby noch nie leiden. Eigentlich würde ich ihn ja zur Rede stellen aber der kommt mir gefährlich vor, also lasse ich es lieber.“
Besser so!, dachte Bastien.

„Was Sie nicht sagen.“, hörte er die junge Frau noch einmal, dann wurde es ruhig. Als Bastien langsam wieder aufstand, verlor er vor Schreck das Gleichgewicht und fiel auf seinen Hintern. Aenna, die auf dem Fenstersims hockte, lachte lauthals drauf los.

„Wie bist du...“, keuchte der Mann und versuchte erst einmal, sich zu beruhigen.
Aenna sprang in die Wohnung und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen.

„Du wohnst lediglich im ersten Stock. Ich kann gut klettern und dachte mir, ich schau mal wer den Katzen anderer Leute Angst einjagt.“, lachte sie. Er knurrte leise.

„Damit habe ich nichts zutun. Ich kann Katzen nicht ausstehen, also gehe ich ihnen aus dem Weg.“
Aenna schmunzelte und bedachte den Mann mit einem wissenden Blick.

„Du wurdest mal von einer angefallen, stimmt's?“, sagte sie leise. Sie ließ den Blick schweifen und hätte vor Schreck beinahe ebenfalls das Gleichgewicht verloren.

„Wie sieht's denn hier aus?“, brüllte sie. Hals über Kopf machte sie sich ans's Aufräumen, auch wenn sie keine Ahnung hatte wo was hingehörte.

„W-Was machst du denn da?“, hakte Bastien irritiert nach und verfolgte sie mit seinen Blicken.

„Aufräumen!“, schnauzte sie ihn an. „Ich kann Unordnung nicht ausstehen! In geringem Ausmaß ertrage ich es noch aber das hier, ist an Chaos ja wohl nicht zu überbieten!“
Bastien ließ sich in seinen ledernen Sessel fallen.

„Bist du bescheuert?“, murmelte er.

„Nein, nur ein guter Mensch.“, antwortete Aenna flüsternd. Sie glaubte der Mann habe es nicht gehört, doch sie täuschte sich. Darauf antworten tat er allerdings nicht.
Ja, das bist du wirklich., dachte er lächelnd. Rückblickend gesehen, hatte sie nur gute Taten vollbracht. Sie hatte seine Wunde versorgt, ihm etwas zu trinken angeboten obwohl sie ihn eigentlich rausschmeißen wollte, einer Katze vom Baum geholfen und nun räumte sie sogar sein Appartment auf. Wer zum Teufel war diese Frau?

„Du hast mich noch nicht angerufen. Hast du es dir anders überlegt?“
Aennas Stimmte riss ihn aus den Gedanken.

„Wieso sollte ich? So hübsch wie du bist.“
Aenne hielt mitten in der Bewegung inne.

„Übertreib es nicht, Bastien!“, hauchte sie. Er war überrascht. Glaubte sie ihm nicht? War sie sich ihrer Schönheit nicht bewusst? Er erhob sich und ging zu ihr, um ihr den Wäschestapel aus der Hand zu nehmen.

„Ich meine es ernst, Kleines. Ich kenne nicht eine einzige Frau, die ungeschminkt so hübsch ist wie du!“
Amüsiert sah er dabei zu, wie sich ein leichter Rotschimmer auf ihre Wangen legte.

„Süßholzraspeln hilft dir bei mir auch nicht weiter, also versuch es erst gar nicht!“
Ihr Fauchen ließ ihn lachen.
Meine Güte!, dachte er. Ihr kann man aber auch wirklich nichts recht machen.

„Ich kam einfach noch nicht dazu dich anzurufen, das ist alles.“, griff er nun das vorige Thema wieder auf. Langsam schien sie sich zu beruhigen, die Röte verschwand aus ihrem Gesicht.
Bastien brachte den Wäschestapel in sein Schlafzimmer und zog danach die Tür wieder hinter sich zu. Wenn sie den Wohnraum schon unordentlich fand wäre es besser, sie würde das Schlafzimmer gar nicht erst zu Gesicht bekommen. Plötzlich stand sie auch schon vor ihm.

„Na, wo ich doch schon mal hier bin, können wir unsere Verabredung auch gleich beginnen.“, schlug Aenna selbstbewusst vor. Bastien stieß grinsend ein Schnauben aus.

„Wieso? Hast du es so eilig, Zeit mit mir zu verbringen?“
Ihre Stirn legte sich in Falten.

„Bist du panne? Ich will es bloß endlich hinter mir haben!“
Bastien konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

„Jetzt sei doch nicht so kratzbürstig. Ich wette, wir kommen ganz gut miteinander aus.“
Mit verschränkten Armen wandte sie den Blick von ihm ab. Bastien lächelte und stupste die junge Frau an.

„Weißt du was? Ich lade dich zum Essen ein. Geh nach Hause und such dir was schickes zum Anziehen aus. Ich hole dich dann heute Abend ab.“
Aenna blinzelte und neigte verwirrt den Kopf.

„I-Ist das dein Ernst?“, stotterte sie. Er nickte und deutete mit dem Kopf auf die Tür.

„Ja. Und nun geh schon, ehe ich es mir wieder anders überlege.“
Aenna starrte ihn noch einige Augenblicke lang an, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte aus seiner Wohnung. Seufzend fiel Bastiens Blick in den Spiegel, der ihm gegenüber an der Wand hing. Er musterte sich selbst. Sah ganz so aus, als müsste er mal wieder im Kleiderschrank wühlen...

 

Noch immer fassungslos starrte Aenna das Kleid an, welches sie auf ihr Bett gelegt hatte.
Ich hatte schon seit Jahren kein Kleid mehr an., dachte sie nachdenklich.
Eine Vierstelstunde später hatte sie das Kleid auch schon an. Seufzend sah sie in den Spiegel. Nicht zu fassen, dass Bastien sie zum Essen eingeladen hatte. „Das kleine Schwarze“ was sie nun trug schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihre und war tiefer ausgeschnitten, als ihre anderen Klamotten.

„Ob das vielleicht zu viel ist?“, murmelte sie und begann dann damit, ihre Haare hochzustecken.
Nachdem sie das geschafft hatte, steckte sie noch eine Schmetterlingsklammer hinein, dann war sie fertig. Zumindest die Haare. Sie schminkte sich die Augen noch ein bisschen schwarz, dann schlüpfte sie in ihre silbernen, hohen Schuhe. Kurz darauf griff sie nach ihrer kleinen Handtasche, worauf sie sich wieder vor den Spiegel stellte.

„Warum bin ich überhaupt so nervös?“, sagte sie zu sich selbst. „Dir liegt nichts an ihm. Also liegt dir auch nichts an diesem Essen!“
Dann klingelte es auch schon an der Tür. Aenna atmete tief durch, dann ging sie zur Tür und öffnete. Zum Vorschein kam Bastien, der sogar einen Anzug trug.

„Guten Abend, Kleines.“, sagte er leise und deutete eine Verbeugung an. Aenna kicherte hinter hervorgehaltener Hand.

„Tu das nicht! Das kann ich nämlich nicht ernst nehmen.“
Der Mann zog eine Augenbraue hoch und machte dabei ein so komisch Gesicht, dass Aenna nur noch lauter lachen musste.

„Wieso?“, erwiderte er. „Glaubst du nicht, dass ich auch ein Gentleman sein kann?“
Er ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss auf diese.

„Du siehst übrigens wunderschön aus.“
Aenna spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg, doch sie lächelte selbstbewusst und bedankte sich.
Sie ließ es sich vielleicht nicht anmerken, doch sie freute sich über das Kompliment. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal ein Kompliment bekommen hatte, das auch noch ernst gemeint war. Doch sie blickte in seine Augen und erkannte statt der sonstigen Leere, ein aufrichtiges Funkeln.

„Wollen wir?“, sagte Bastien und hielt ihr den Arm hin. Er strahlte sie an und sie beschloss, sich für diesen Abend komplett auf ihn einzulassen. Aenna nickte und ließ sich von ihm nach draußen führen, wo ein weißer BMW M 3 stand. Der jungen Frau blieb die Luft weg. War das etwa sein eigenes Auto?

„Für einen Chauffer fehlte mir dann doch das Geld. Es stört dich doch nicht wenn ich selbst fahre, oder?“, grinste er sie an. Sie verneinte.

Eine halbe, stille Stunde Autofahrt später, hielt Bastien nicht weit entfernt von einem Restaurent. Was für eines hatte Aenna leider nicht erkennen können.

„Du redest für gewöhnlich nicht viel, oder?“, riss Bastien sie aus den Gedanken.

„Nein.“, hauchte Aenna und schüttelte den Kopf. Der Mann neben ihr zwinkerte.

„Gefällt mir!“

Aenna konnte sich die Worte auf ihrer Zunge nicht verkneifen.

„Hauptsache willig, was?“, zischte sie.
Schlagartig war ihm das Grinsen vergangen. Er fühlte sich ertappt, zugeben würde er das aber sicher nicht. Es stimmte, bei ihm hatten sie Frauen bisher nur willig sein müssen, alles andere war egal gewesen. Doch bei Aenna war ihm während dieser Autofahrt klar geworden, dass er es tatsächlich mochte wenn sie etwas wortkarger war. Als ob sie seine Gedanken gelesen hätte, zog die Frau neben ihm spöttisch einen Mundwinkel hoch.

„Verzeihung, dieser Kommentar war nicht angebracht.“
Wortlos stieg Bastien aus, ging um's Auto herum und hielt Aenna dann die Tür auf. Dankend nickte sie. Ihr war dabei nicht entgangen, dass seine Augen wieder so komisch leer geworden waren. Es wäre richtig gewesen Aenna würde sich entschuldigen, doch das tat sie nicht. Das Bastien nicht darauf geantwortet hatte bewies, dass an ihren Worten etwas dran sein musste. Doch sie machte sich nichts daraus. Nach diesem Abend würden sie hoffentlich wieder getrennte Wege gehen.
Mittlerweile waren sie beim Restaurent angekommen. Aenna blieb beinahe die Luft weg.

„Ein drei-Sterne-Restaurent?“, hauchte sie. Ehrfürchtig starrte sie den Mann neben sich an. Anscheinend gehörte er in die obere Schicht der Gesellschaft. Bastien zeigte ein schwaches Lächeln, welches seine Augen aber nicht erreichte.

„Wenn wir schon Essen gehen, dann richtig.“, war alles, was er dazu sagte. Dann hielt er ihr auch schon die Tür auf.
Vielleicht ist er doch ein guter Kerl?, dachte Aenne mit schlechtem Gewissen. Drinnen angekommen stellte sich heraus, dass Bastien bereits reserviert hatte. Als sie an ihren Tisch geführt wurden, richteten sich einige Blicke auf Aenna. Kaum saßen sie an ihrem Tisch, zog Bastien die Brauen hoch.

„Glaubst du mir immer noch nicht, dass du hübsch bist?“
Aenna senkte den Blick.

„Es fällt mir wirklich schwer das zu glauben. In meiner Kindheit wurde mir schließlich immer eingetrichtert, ich sei hässlich.“
Bastien wollte gerade einen Schluck Wasser nehmen, doch er hielt inne und knurrte leise.

„Ich weiß schon, warum ich Kinder hasse.“
Aenna brachte ein schwaches Lächeln zustande.

„Nicht nur du.“, murmelte sie.
Überrascht sah der Mann sie an, doch keiner konnte mehr etwas sagen, da der Kellner an ihren Tisch trat. Nur vage bekam Aenna mit, wie er ihnen Wein anbot und sie selbst wie verständlich nickte. Kurz darauf hatten sie auch ihre Bestellungen aufgegeben. Nun hob sie das Weinglas an ihre Lippen. Bastien neigte neugierig den Kopf.

„Wie war deine Kindheit sonst so? Bis auf...naja, du weißt schon.“
Aenna zögerte. Sollte sie diesem Mann wirklich von ihrer Vergangenheit erzählen? Sie nahm noch einen Schluck von dem süffigen Wein, dann setzte sie das Glas ab.

„Ziemlich einsam. Keine Freunde, nicht gerade liebevolle Eltern...Ich habe oft Schule geschwänzt und hatte deswegen natürlich nur schlechte Noten, dumm war ich aber nicht, was die Lehrer allerdings anders dargestellt haben.“
Gebannt hörte Bastien zu.

„Und du hattest nie Freunde?“, hauchte er leise.
Aennas Mundwinkel zuckten.

„Doch, schon aber die haben mich irgendwann fallen lassen. Keine Ahnung was ich ihnen getan habe aber sie haben es geschafft, mir selbst meine letzten Freunde wegzunehmen.“
Aenna hielt inne, denn der Kellner trat wieder an ihren Tisch und servierte ihnen ihr Essen. Aenna lächelte beim Anblick des Fischfilets auf ihrem Teller.

„Du isst gerne Fisch?“, fragte der Mann ihr gegenüber und wechselte somit das Thema.
Die junge Frau nickte.

„Ja, Fleisch ist nämlich nicht so mein Ding.“
Bastien zog die Brauen hoch und als ihr Blick auf seinen Teller fiel, wusste sie auch wieso. Auf seinem lag nämlich ein Steak. Aenna lachte leise.

„Naja, ich esse es natürlich aber es ist einfach nicht mein Fall.“
Nun lachte auch Bastien. Beide fingen an zu essen.

„Was ist mit dir? Wie war deine Kindheit?“, fragte die Frau mittendrin. Der Mann schluckte und hielt einen Moment inne.

„Normal. Nur war ich lange Zeit lang übergewichtig, deswegen musste ich auch so einiges einstecken. Ansonsten gibt es da nicht viel zu sagen.“
Aenna schwieg. Sie war schon immer eine Frau gewesen, die bei allem anfing sich ein genaues Bild zu machen. Das war der Grund dafür, warum sie sich Bastien als kleinen, pummeligen Jungen vorstellte, der von anderen ausgelacht und beschimpft wurde.

„Kinder sind grausam.“, murmelte sie, mit verhärtetem Gesichtsausdruck und der Erinnerung an ihre eigene Kindheit. Wie oft hatte sie weinend im Bett gelegen?

„Wie viele Freunde hattest du eigentlich schon?“, riss Bastien sie aus den Gedanken. Schon wieder so ein aprubter Themenwechsel., dachte Aenna überrascht, ging aber darauf ein.

„Keinen.“, antwortete sie also ausdruckslos und hielt seinem stechenden Blick stand. Bastien lachte.

„Verarsch mich nicht.“, sagte er.
Trotz seiner Ausdrucksweise hatte er so leise gesprochen, dass nur sie ihn hörte.

„Das ist die Wahrheit.“, sagte sie, völlig ernst. „Ich hatte noch keinen festen Freund.“
Bastien verstummte und kippte den letzten Rest seines Weines hinunter.

„Irgendwelche lockeren Sachen? Bettgeschichten, kleine Liebeleien, wildes Geknutsche?“
Warum fällt es ihm so schwer, das zu glauben?, dachte sie und schüttelte stumm den Kopf. Bastiens Augen wurden immer größer.

„Nicht einmal ein Kuss?“, hauchte er.
Wieder ein Kopfschütteln von Aenna. Der Mann schüttelte ebenfalls den Kopf.

„Ich fass es nicht!“, murmelte er. „Du bist so hübsch und...wurdest noch nicht einmal geküsst? Heißt das, du bist auch noch Jungfrau?“
Aenna verdrehte die Augen und nahm wieder einen Schluck Wein.

„Halt's Maul, verdammt! Ich hab schon genug Sprüche deswegen ertragen müssen!“, fauchte sie.
Mit Wucht stellte sie das Glas ab, worauf der tiefrote Inhalt beinahe überschwappte. Bastien hielt verblüfft inne und legte ihr eilig seine Hand auf ihre.

„Warte mal! Du glaubst doch nicht etwa, dass ich mich darüber lustig mache?“
Aenna kniff die Augen zusammen.

„Dein Unglaube spricht Bände.“, zischte sie. Der Mann lächelte, fast schon liebevoll und zog seine Hand zurück.

„Hör zu, ich gebe zu das ich auf reifere Frauen stehe. Aber eine unberührte Frau ist viel wertvoller.“
Schnaubend griff Aenna nach ihrer Handtasche.

„Mir reicht's! Ich gehe!“
Mit einem lauten Rumpeln des Stuhls erhob sie sich, dann rauschte sie auch schon nach draußen.
Bastien ließ den Kopf in die Hände fallen. So hatte er das eigentlich nicht gemeint.

 

__3__

 

Nackt und außer sich vor Wut sprang Aenna unter die Dusche. Tränen vermischten sich mit dem heißen Wasser. Ein leises Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf. Sie konnte sich denken das Bastien das nicht böse gemeint hatte, doch hätte er nicht wenigstens vorher nachdenken können?

„Unberührte Frauen sind viel wertvoller, tz. Ich bin doch keine Ware, verdammt!“, brüllte Aenna und schlug mit der Faust gegen die Kacheln. Schmerz durchfuhr ihre Hand, doch das ihr ihr egal.

Hilflos ließ sie den Kopf gegen die Fliesen fallen. Zwei Möglichkeiten: Entweder Bastien würde sie nach dieser Nummer nicht wieder sehen wollen oder er würde sich entschuldigen. Letzteres wäre hoffentlich nicht der Fall, denn sie hatte keine Ahnung ob sie so etwas verzeihen wollte oder nicht.

Ein Sturmklingeln an ihrer Haustür riss sie aus den Gedanken. Laut fluchend stellte sie das Wasser ab, band sich ein Handtuch um und lief zur Haustür. Nachdem sie die geöffnet hatte, knallte sie sie auch schon wieder zu. Naja, sie versuchte es zumindest, denn Bastien schob seinen Fuß vor.

„Bitte warte.“, sagte er leise.
Aenna konnte kein Gefühl aus seiner Stimme heraushören, weshalb sie ausdruckslos blieb.

„Hau einfach ab, hörst du? Ich wusste von Anfang an, dass das keine gute Idee ist.“, fauchte sie.

Bastien wurde lauter, was sie dann doch dazu brachte die Tür ein Stück weit aufzumachen.

„Verdammt noch mal, du weißt ganz genau das ich das nicht so gemeint habe! Lass es mich dir erklären, okay?“

„Was, wenn ich deine Erklärung nicht hören will?“, erwiderte Aenna, zog die Tür aber noch ein Stück weiter auf. Der Mann verstand die Geste und betrat die Wohnung.

„Dann werde ich es dir trotzdem sagen.“, erwiderte er und marschierte ins Wohnzimmer.

Dort ließ er sich auf's Sofa fallen.

„Lass es mich in eigenen Worten erklären.“, bat er.

Noch immer nur von einem Handtuch umwickelt, verschränkte Aenna die Arme.

„Gehen wir mal davon aus, dass ich dich als meine Freundin will.“, begann Bastien.

„Klar, eine erfahrene Freundin wäre super, allerdings sind das meist irgendwelche Schlampen, die es mit jedem treiben würden. Du hingegen hast keinerlei Erfahrung. Ich könnte die alles zeigen und beibringen und dich somit zu meiner perfekten Liebhaberin machen. Außerdem wäre ich wahnsinnig stolz darauf, der erste zu sein den du an dich ranlässt. Und nur damit du es weißt, ich finde deine Unerfahrenheit um ehrlich zu sein wahnsinnig niedlich! Also glaub nicht, dass ich dich deswegen aufziehe.“

Eindringlich sah er sie an. Aenna schluckte. So aufrichtig konnte er also sein.

„Ich weiß nicht, ob ich mit dieser Erklärung zufrieden sein soll.“, murmelte sie.

Bastien erhob sich und stellte sich direkt vor sie.

„Ich bin ein verschwiegener Mann, Aenna aber dafür ehrlich! Du kannst mir glauben. Außerdem...war das eine rein hypothetische Erklärung, also hast du nichts zu befürchten.“

Seufzend kehrte sie ihm den Rücken zu.

„Tja, dann sollte ich mich wohl auch entschuldigen. Ich neige dazu, jede Kleinigkeit ernst zu nehmen und schnell die Beherrschung zu verlieren.“
Bastien grinste und fasste ihre Oberarme, um sie wieder umzudrehen.

„Das macht nichts. Damit kann ich umgehen. Und notfalls auch Paroli bieten.“, lachte er.

„Als Entschädigung kannst du ruhig noch ein bisschen hierbleiben. Ich habe uns schließlich den Abend versaut.“, verkündete sie und lief aus dem Zimmer.

„Ich bin gleich wieder da, ich ziehe mir nur eben was an.“

Bastien sah ihr nach.

Mit hochrotem Gesicht musterte Aenna sich im Spiegel. Sie hatte völlig vergessen, dass sie lediglich von einem Handtuch verdeckt vor Bastien gestanden hatte.

Bin ich eigentlich bescheuert?, dachte sie. Ich habe mich total von ihm einlullen lassen!

Seufzend und darüber nachdenkend was sie nun tun sollte, ging sie zum Kleiderschrank.

Und während sie einfach nur ein übergroßes Shirt überwarf, hoffte sie das Bastien keinen Blödsinn in ihrer Wohnung anstellte. Ihr Blick fiel auf die Zimmertür. Oder besser gesagt, auf dessen Schlüsselloch. Er war doch hoffentlich nicht auf die Idee gekommen, zu spannen? Sie kniff die Augen zusammen und ging zur Tür, um diese dann aufzureißen. Siehe da, ein Bastien mit erhobener Hand stand da. Scheinbar um zu klopfen. Aenna zog die Brauen hoch und wartete gespannt auf seine Erklärung.

„Du hast so lange gebraucht. Alles in Ordnung?“, fragte er leise.

Aenna räusperte sich.

„Alles bestens.“, sagte sie und ging an ihm vorbei. „Wir können uns einen Film ansehen, wenn du magst.“, schlug sie auf dem Weg ins Wohnzimmer vor.

„Du scheinst plötzlich nicht mehr gegen meine Anwesenheit abgeneigt zu sein.“, bemerkte der Mann hinter ihr.

„Interpretier da nicht zu viel hinein.“, murmelte sie und sah kurz über ihre Schulter.

„Du siehst übrigens noch immer wunderschön aus.“

Die gehauchten Worte ließen sie inne halten.

„Ich habe lediglich ein Shirt an, welches mir zu groß ist. Gammellook nennt man sowas.“, antwortete sie und ließ sich fassungslos auf's Sofa fallen, nachdem sie einfach irgendeine DVD angeworfen hatte.

„Bei dir sieht das niedlich aus.“, kam es von Bastien zurück.

Aenna verdrehte die Augen. In letzter Zeit tat sie das bedenklich oft.

„Was ist das für ein Film?“, fragte er nun und ließ sich neben sie fallen.

„Keine Ahnung. Gleich wissen wir es.“

Eine halbe Stunde später war klar, dass es sich um einen Psycho-Thriller handelte. Für gewöhnlich konnte man Aenna keine Angst einjagen, doch dieser Film war so spannend, dass er sie mitriss. Sie machte sich wirklich Sorgen um sich selbst, denn sie wollte sich in Bastiens Nähe nicht erschrecken. Und das er ihr so nahe war, machte es auch nicht besser. Sie träumte oft davon, sich an jemanden anzukuscheln und dieser Mann wäre das perfekte Zielobjekt. Doch diesen Gefallen wollte sie ihm nicht tun! Auf keinen Fall würde er eine Schwäche von ihr zu sehen bekommen. Leider kam es dann doch ganz anders. An einer Stelle des Films erschreckte sie sich doch, weshalb sie zuckte.

Genau in diesem Moment ergriff Bastien ihre Hand und streichelte mit dem Daumen ihren Handrücken. Aenna starrte zwar auf ihre Hand, sagte aber nichts. Vielleicht sollte sie das stören, doch das tat es nicht. Im Gegenteil, es gefiel ihr sogar! Seine Hand war so schön warm und umschloss ihre wie ein Beschützer, der nichts anderes im Sinn hatte. Sie ließ ihre Hand an Ort und Stelle und konzentrierte sich wieder auf dem Film. Leider wurde der immer schlimmer.

„Verdammt noch mal!“, fluchte Aenna, als sie erneut ein Zucken nicht verhindern konnte.

Bastien lachte leise und ließ ihre Hand los. Irritiert stellte die junge Frau fest, dass sich eine unangenehme Kälte in ihr ausbreitete. Was war das nur? Glücklicherweise hielt die Kälte nicht lange an, denn völlig unerwartet legte Bastien den Arm um sie und drückte sie an sich.

„Komm her.“, sagte er leise.

Wie selbstverständlich hielt er sie nah bei sich.

„Du gehst ja ganz schön ran.“, bemerkte Aenna, nahezu vorwurfsvoll.

„Willst du lieber weiter zittern oder dich an jemanden kuscheln?“, erwiderte er grinsend.

„Ich hasse es das zuzugeben aber du hast wohl Recht.“, murmelte sie.

Offensichtlich zufrieden seufzte der Mann leise.

So ein Mann bewirkt wahre Wunder., dachte Aenna. Sie hörte auf zu zittern und nicht eine einzige weitere Szene des Films konnte ihr Angst einjagen. Lediglich dieses leichte Flattern ihres Herzens blieb.

„Sag mal...bist du eigentlich reich?“, fragte Aenna irgendwann, mitten im Film.

Perplex sah der Mann auf sie herab, Aenna ließ ihm keine Zeit nachzuhaken.

„Du hast mich in ein drei-Sterne-Restaurent ausgeführt. Kannst du dir das überhaupt leisten?“

Bastien lachte.

„Ich bin Fachlagerist vom Beruf und verdiene ganz gut aber reich werde ich niemals sein.“, antwortete er.

„Verstehe.“, murmelte Aenna. „Ich bin übrigens eine gelernte Verkäuferin in einer Bäckerei.“

Der Mann sah interessiert auf sie herab.

„Doch nicht etwa dein Traumberuf?“, schmunzelte er.

Aenna lachte leise.

„Nein, sicher nicht. Aber es ist praktisch, über Lebensmittel Bescheid zu wissen. Man lebt automatisch gesünder.“

„Du bist echt knuffig!“

Erstaunlicherweise brachten seine Worte sie ebenfalls zum lächeln. In ihrem Kopf herrschte ein reges Treiben. Das war doch verrückt! Wie konnte sie bloß anfangen, diesem Mann zu mögen? Er war doch viel zu sehr von sich überzeugt und meinte es doch sowieso nicht ernst, also was tat sie hier? Aennas Blick fiel auf Bastiens Mund. Warum nur waren diese Lippen so sinnlich? Zu gerne hätte sie ihn geküsst, ganz flüchtig nur, doch das ginge zu weit. Aber diese Neugier! Eisern wandte sie den Blick ab. Solche Gedanken würde sie möglichst schnell verbannen müssen!

„Hey.“, riss sie ihn auch schon wieder aus den Gedanken. „Hast du mich nur angesprochen, weil...ich hübsch bin?“

Für einen kurzen Augenblick war nichts in Bastiens Gesicht zu erkennen, dann lächelte er.

„Ja aber ich habe gemerkt, dass du mehr zu bieten hast als nur ein hübsches Gesicht.“, antwortete er. Aenna fragte sich, ob er wohl die Wahrheit sagen mochte. Der Abspann des Filmes lief bereits, weshalb Aenna rücksichtsvoll von Bastien zurückwich und die Beine heimisch anzog.

„Hast du Lust zu zocken?“, fragte sie neugierig.

„Du zockst gerne?“, kam es überrascht zurück.

„Gerne wäre untertrieben.“, lachte Aenna.

Sie betrachtete seine Antwort als ein Ja und sprang auf. Sie kniete sich vor den TV-Tisch und kramte in einer Schublade, bis sie ein aufwendiges Ballerspiel heraus zog.

„Alleine kommt man hier nicht weit. Also, was hältst du davon?“, fragte sie.

Bastien lachte, als er das mädchenhafte Funkeln in ihren Augen sah. Normalerweise sah man das nur, wenn eine Frau mal wieder ein paar tolle Schuhe entdeckt hatte. Kaum zu glauben, dass man es bei Aenna sah, wenn sie ein Ballerspiel in der Hand hielt.

„Ich bin dabei.“, grinste er.

Schon hatte die junge Frau ihm den Controller der Konsole zugeworfen.

„Na, dann zeig mal was du kannst!“

Lachend lehnte Aenna sich zurück.

„Hast du gesehen, wie sie geflüchtet sind? Wie verängstigte Karnickel!“

Bastien lehnte sich ebenfalls zurück und lächelte zufrieden.

„Ich gebe zu, du bist gut. Verdammt gut sogar!“

Neugierig beugte er sich zu ihr hinüber.

„Was hast du noch so für Hobbys?“, fragte er leise.

Aenna zuckte mit den Schultern.

„Ich zeichne gerne, spiele mehrere Instrumente und träume auch gerne mal vor mich hin. Naja...und ich lese total gerne.“

Sie lächelte, worauf Bastien schmunzelte.

„Also die typischen Hobbys eines schüchternen Mädchens. Naja, von dem Zocken mal abgesehen.“

Ein wenig peinlich berührt zuckte Aenna mit den Schultern.

„Was ist mit dir, hm? Was treibst du so in deiner Freizeit?“

Bastien ließ den Kopf ein wenig in den Nacken fallen.

„Och, nichts Besonderes um ehrlich zu sein. Zocken, hin und wieder mit Freunden feiern. Wenn ich nichts zutun habe lese ich auch ein bisschen. Oder ich schlafe einfach...“

Aenna lachte.

„Du zählst Schlafen zu deinen Hobbys? Sowas hört man auch nicht jeden Tag. Kann ich dir was zu trinken anbieten? Wein oder ein Glas Likör?“

Bastien lachte schallend.

„Willst du mich etwa abfüllen?“

Aenna zeigte ein strahlendes Lächeln.

„Nein, keine Sorge. Aber wir sind gerade so entspannt, warum sollte man sich da nicht etwas gönnen?“, erwiderte sie.

„Was hast du denn da?“, fragte der Mann.

Aenna erhob sich und ging zur hölzernen und abgeschlossenen Vitrine. Sie öffnete diese und offenbarte Bastien somit ein ganzes Sortiment an vollen Flaschen Alkohol.

„Du hast die freie Auswahl.“, grinste sie.

Bastiens Mundwinkel zuckten.

„Wenn das so ist hätte ich gerne ein Glas Amaretto.“, bat er.

Keine zehn Minuten später saßen die beiden entspannt und mit gefüllten Gläsern in der Hand zusammen.

„Wie viele Freundinnen hattest du eigentlich schon, hm?“, fragte Aenna leise.

Sie wollte eigentlich nicht aufdringlich sein aber er hatte ihr schließlich die gleiche Frage gestellt. Bastien hielt einen Moment lang inne.

„Richtige Beziehungen? Vier. Drei davon allerdings...“

Er wurde ruhig und wandte den Blick demonstrativ von ihr ab.

„Du bist ein sehr verschwiegener Mann, nicht wahr Bastien?“, sagte sie leise und lächelte traurig.

„Ja.“, war des Mannes eiskalte Antwort.
Aennas Lächeln war bitter.

„Keine Sorge, ich vertraue auch niemandem. Wir sind also gar nicht mal so verschieden.“

Nur mit Vorsicht richtete Bastien seinen Blick wieder auf die junge Frau.

„Du bist ziemlich seltsam. Wie kann man nur gleichzeitig fürsorglich und doch so...misstrauisch sein? Du bist ein einziger Widerspruch!“

Das klingt wie ein Vorwurf!, dachte Aenna von einer Spur Trauer überwältigt. Sie ging nicht darauf ein und wechselte einfach das Thema.

„Bist du auf eine Beziehung aus?“, fragte sie direkt.

„Nein. Zu einer Beziehung bin ich momentan nicht einmal in der Lage.“, antwortete er monoton.

Aenna wollte nicht weiter nachbohren, auch wenn sie das gerne getan hätte. Bastien seufzte leise.

„Weißt du was? Du hast es verdient, dass ich dir die Wahrheit sage.“

Angst kroch Aenna das Rückgrat hoch. Was kam jetzt? Wollte er ihr sagen, dass er sie von Anfang an nur verarscht hatte? Das er gleich abhauen würde und gar nichts mit ihr zutun haben wollte? Unauffällig ballten sich ihre Hände zu Fäusten.

„In drei der vier Beziehungen wurde ich betrogen. Deshalb habe ich mit etlichen Frauen gevögelt, um ihnen dann das Herz zu brechen. So hatten sie es verdient, dachte ich. Mit einer Frau wollte ich es noch einmal versuchen, aber der Knacks in meinem Kopf hat es verhindert. Bei jeder Kleinigkeit wurde ich eifersüchtig und vertrauen konnte ich auch nicht richtig. Am Ende hat sich dann herausgestellt, dass wir doch zu verschieden waren.“

Aenna war sprachlos. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Die fürsorgliche Frau in ihr kam zum Vorschein. Sie lehnte sich vor und küsste den Mann auf die Wange.

„Ich bin mir sicher, dass du kein Mitleid willst aber auch wenn du einige Fehler in deinem Leben gemacht hast glaube ich nicht, dass diese einmal auf dich zurückfallen werden.“

Ungläubig starrte der Mann sie an.

„Ich erzähle dir mal eben so, dass ich reihenweise Mädchen flachgelegt habe und das mit ziemlicher Grobheit und du küsst mich auf die Wange? Du bist doch nicht normal!“

Lächelnd lehnte Aenna sich zurück.

„Du glaubst doch nicht etwa, dass ich dich deswegen verurteile? Hör zu, ich kann dich verstehen. Dein Vertrauen wurde auf übelste Weise missbraucht, ist doch klar das du denkst, dass du andere dann genauso behandeln kannst. Du wusstest dir nicht anders zu helfen und so ist es zu deinem Schutz geworden.“

Bastien starrte sie an, unfähig etwas zu sagen. Aennas Blick trübte sich noch mehr.

„Ich gebe zu, ich habe ein wenig Mitleid mit dir. Aber ich kann dich nur zu gut verstehen. Ich weiß genau wie das ist. Du hast den Personen, die du geliebt hast, vertraut und sie nutzen es aus und missbrauchen es. Das tut verdammt weh und genau deswegen habe ich es aufgegeben, nach Freunden oder gar einem Mann zu suchen.“
Die junge Frau ließ den Kopf in den Nacken fallen.

„Hast du dich auch an Jungfrauen vergriffen?“, fragte sie leise und warf Bastien vorsichtig einen Blick zu. Sein Blick war leer und nun wusste sie auch, warum. Er lächelte bitter.

„Ja. Mir war vollkommen egal was für eine Frau ich vor mir hatte. Allerdings war es nie gegen ihren Willen.“

Lange Zeit lang hielt Aenna inne, dann konnte sie sich nicht mehr zusammenreißen. Sie lehnte sich zu ihm hinüber und küsste ihn sanft auf die Stirn.

„Ich glaube wirklich, dass du nichts falsch gemacht hast, Bastien. Du bist nun mal auch nur ein Mensch.“, hauchte sie.

Sie erschrak leicht als Bastien plötzlich die Arme um sie legte, doch sie ließ es zu. Aenna erschauerte als er seinen Kopf auf ihrer Schulter ablegte und sein Gesicht an ihrem Hals vergrub. Lächelnd legte sie ihre Hand auf seinen Kopf. Diese Vertrautheit hätte auch ein erotischer Moment sein können, doch in diesem Augenblick war es nur Geborgenheit und Verständnis, welche Bastien Aenna so hilflos umarmen ließ. Der Mann schloss die Augen und atmete ihren Geruch nach leichtem Regen tief ein. Er war noch immer fassungslos. Sie kannten sich gerade mal zwei Tage und doch waren sie schon so vertraut miteinander. Bastien hatte ihr etwas erzählt, was er eigentlich für immer für sich behalten wollte. Einmal hatte er es schon erzählt. Die Frau war völlig ausgerastet und hatte ihn als Monster dargestellt, was ihn ungemein getroffen hatte. Er wusste nur zu gut, dass der Großteil der Menschen genauso reagieren würde wie sie, doch nun hatte er tatsächlich eine Frau getroffen, die ihm keine Schuld gab. Wenn es noch mehr so gute Menschen gab wie sie, waren die dann auch so verständnisvoll?

„Aenna.“, murmelte er heiser. „Tu' bitte so, als hätte ich das nie erzählt, ja?“, bat er.

Die Frau zwinkerte.

„Zu spät.“, erwiderte sie. „Aber keine Sorge, glaub nicht das du deswegen eine Sonderbehandlung von mir bekommst!“

Bastien erwiderte ihr Lächeln, wenn auch schwach.

„Entschuldige die Frage aber ich bin sehr neugierig. Wie waren die ganzen Weiber so, mit denen du geschlafen hast?“

Aenna konnte es sich nicht erklären, doch sie war eifersüchtig. Sie war ihm zwar nicht böse, doch es machte sie wütend das er begehrt zu sein schien. Bastien blinzelte.

„Keine Ahnung. Hässlich waren sie natürlich nicht. Und was den Charakter angeht, das konnte ich bei keiner sagen. Ich wollte es auch eigentlich gar nicht wissen.“

Die junge Frau schmunzelte.

„Ist wohl besser so, hm?“

Bastien antwortete nicht darauf und sah sie stattdessen schief von der Seite an.

„Sag mal, was ist eigentlich mit dir? Bist du wirklich so ein guter Mensch, wie du vorgibst zu sein? Oder hast du dir auch was zu Schulden kommen lassen?“

Aenna lachte leise.

„Oh nein, so unschuldig bin ich nicht! Wie bereits gesagt, ich war eine bekannte Schulschwänzerin, habe hier und da auch mal was mitgehen lassen und bin, was mich selbst irritiert, noch immer auf Rache aus. Ich...bin verdammt egoistisch und gönne meinen Feinden ihr Glück nicht. Würde ich mich da hineinsteigern, wäre ich wahrscheinlich in der Lage einen von ihnen umzubringen!“

Bastien lachte laut auf, musste sich sogar den Bauch halten vor Lachen.

„Sollte ich jetzt Angst haben?“

Aenna stimmte in sein Lachen ein.

„Ach, Quark. Solange du nicht auf die Idee kommst meine Fürsorge und Gutherzigkeit auszunutzen, hast du nichts zu befürchten!“

Bastiens Lachen wurde lauter.

„Das riskier ich lieber nicht.“

Nach einiger Zeit verfielen beide in nachdenkliches Schweigen. Aennas Blick fiel wie beiläufig auf die Uhr.

„Es ist echt spät geworden. Willst du hier pennen?“, sagte sie leise. Als sich ihr Blick auf ihn richtete stellte sie fest, dass er die Augen geschlossen hatte. Er schien sich wohlzufühlen, ob das an ihr oder lediglich an seinem Umfeld lag, konnte sie nicht sagen. Nachdem sie verstummt war, schlug er prompt die Augen auf.

„Du lässt einen Fremden einfach so bei dir übernachten?“, fragte er entsetzt.

Aenna zwinkerte wieder.

„Natürlich nicht! Aber ich bereits angefangen dir zu vertrauen. Wahrscheinlich wirst du sagen das du mir nicht vertraust aber du hast mir ein...naja, Geheimnis verraten, ein klitzekleines bisschen Vertrauen muss also da sein. Außerdem ist es um diese Zeit gefährlich in dieser Gegend, es würde mich beruhigen zu wissen, wenn du hier bleibst.“

Der Mann schnaubte.

„Ich kann auf mich aufpassen, verdammt!“, brummte er.

Aenna lachte und deutete auf seine Verletzung.

„Das sehe ich anders. Also, nimmst du das Angebot an?“

Sie zog erwartungsvoll eine Augenbraue hoch. Skeptisch sah Bastien sie an.

„Ich will dir keine Umstände bereiten.“, murmelte er.

Aenna stieß ihn mit der Schulter an.

„Na, komm! Gib dir einen Ruck. Wir schauen noch ein paar Filme, essen Pizza oder so und falls einer müde ist, pennt er einfach auf der Couch.“

Sie zuckte mit den Schultern und lachte fröhlich. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte mal so ausgelassen war. Ein schwaches Lächeln umspielte Bastiens Mundwinkel, doch seine Augen blieben leer.

„Du bist echt wahnsinnig aber wie du willst. Schmeiß einen Film an und die Pizza in den Ofen und dann kann es losgehen.“, antwortete er und grinste sie kurz an.

Erfreut über seine Entscheidung erhob Aenna sich, legte einen Splatterfilm in den DVD-Player ein und schlenderte dann in die Küche, wo sie die scharfe Pepperonipizza aus der Tiefkühltruhe in den Ofen schob.

„Ich hoffe du verträgst scharfes Essen!“, rief sie laut ins Wohnzimmer.

Als Bastien antwortete, hörte sie das breite Grinsen aus seiner Stimme heraus.

„Wie es der Zufall will, liebe ich scharfes Essen! Also tu dir keinen Zwang an, noch einmal nachzuwürzen!“

Aenna lachte, dann stahl sich ebenfalls ein breites Grinsen auf ihre Lippen. Auf Zehenspitzen schlich sie sich zurück ins Wohnzimmer. Dort angekommen legte sie Bastien von hinten die Hände auf die Augen.

„Scheinst ja auf scharfe Dinge zu stehen.“, hauchte sie ihm ins Ohr und lachte laut auf, als Bastien unter ihren Händen erschauerte. Der junge Mann tadelte sie mit dem Finger.

„Du bist wirklich nicht so unschuldig, wie du tust.“, murmelte er und bedachte sie dann mit einem eindeutigen Blick.

„Aber du hast Recht, einiges lässt mich wirklich nicht ganz kalt.“

Nun war es an ihr, zu erschauern. Er zog sie ja geradezu förmlich mit seinen Blicken aus.

Aenna wusste nur zu gut, dass er mit ihr spielte, doch sie ging darauf ein und streckte sich lasziv.

„Dir scheint zu gefallen, was du siehst.“, hauchte sie.

Bastiens Kiefer malmten. Nun ging sie zu weit! Hatte sie auch nur den Hauch einer Ahnung, was sie damit anrichtete? Teils wütend, teils erregt erhob Bastien sich und ging zu ihr. Grob zog er sie an sich, nur um dann vorsichtig mit seinen Händen ihr Shirt hochzuschieben. Die Haut an ihren Schenkeln war glatt wie Seide und ihre Augen begannen zu strahlen.

Wie gut sich seine rauen Hände anfühlen!, dachte Aenna.

Immer wieder kamen sich ihre Lippen nahe, doch zu einem Kuss kam es nicht. Als Bastiens Hände ihre Taille erreicht hatten, schlossen sich seine Augen. Diese Frau war mit einem Geparden vergleichbar. So schlank sie auch war und unglaublich zarte Haut er auch ertasten mochte, als sie erstarrte konnte er die trainierten Muskeln spüren, die unter dieser cremeweißen Haut lauerten. Schlank, durchtrainiert und doch so unglaublich weiblich! Aenna atmete tief durch und legte bestimmend ihre Hand auf seine Brust.

„Wir sollten besser aufhören, ehe wir beide auf dumme Gedanken kommen.“, murmelte sie und wandte den Blick von ihm ab. Bastien ergriff ihr Kinn und drehte ihren Kopf wieder zu ihm.

„Was wäre falsch daran?“, fragte er leise.

Fast schon verbittert sah Aenna ihn an.

„Ich kann nichts körperliches mit jemandem anfangen, wenn ich keine Gefühle für denjenigen habe.“, versuchte sie zu erklären.

„Kannst du nicht oder willst du nicht?“, erwiderte Bastien.

Aenna zuckte mit den Schultern, worauf der Mann ihre Wange küsste und dann von ihr abließ.

„Wenn du nicht willst das ich dir nahe komme, solltest du aufhören dich so lasziv vor mir zu räkeln.“

Mit diesen Worten ließ er sich wieder aufs Sofa fallen.

„Du hast doch angefangen.“, schmollte sie und schlurfte zurück in die Küche, um nach der Pizza zu sehen. Bastien sah über seine Schulter. Das war verdammt gefährlich gewesen! Beinahe hätte er die Kontrolle verloren. Zu gerne hätte er sie ein wenig bedrängt, sie hätte sich sicher darauf eingelassen. Das eben war der Beweis gewesen. Doch sie war ein gutes Mädchen, welches nicht auf Gefühle verzichten wollte. Und das würde er respektieren! Zugegeben, ein wenig naiv war sie dennoch. Für sie waren die Gefühle dabei unverzichtbar, dabei konnte man auch einfach nur so tolle Dinge miteinander anstellen. Vielleicht sollte er ja versuchen, ihr das zu erklären? Während er seinen Gedanken nachging, ließ Aenna sich in der Küche auf einen Stuhl sinken.

Was war das eben?, dachte sie und rieb sich die Schläfen. Er hatte zwar angefangen, doch war möglicherweise doch nur sie zu weit gegangen? Wie von selbst glitt ihre Hand zu ihrer Brust, wo ihr Herz noch immer wie wild schlug. Verzweiflung ließ Aenna unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschen. Warum hatten sich seine Hände auf ihrer Haut so gut angefühlt? Und warum hatte ihr Körper nach mehr verlangt? Die junge Frau schielte ins Wohnzimmer. Eigentlich wäre es richtig gewesen sie hätte ihn rausgeschmissen, doch das konnte und wollte sie nicht. Allerdings würde es ziemlich peinlich werden, wenn sie gleich wieder hinein ging. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder würden sie sich gleich unangenehm anschweigen oder Bastien, vielleicht sogar auch sie selbst, würde das Ganze ins lächerliche ziehen. Aenna ließ den Kopf in den Nacken fallen.

Sie wusste ganz genau, worauf er aus war. Aber was wäre, wenn sie sich darauf einließ? Nachdem sie 'ne Nummer geschoben hätten, wäre er weg und sie hätte Erfahrung gesammelt. Das Ganze hatte halt nur einen Haken. Sie verband das alles mit Gefühlen! Würden sie also miteinander schlafen, hätte Aenna hinterher zumindest ein bisschen für Bastien übrig. Und aus seiner Sicht würde sich sicher nichts ändern. Er betrachtete sie eben nur als eine Frau von vielen. Oder?

Als sie den Blick hob stand Bastien plötzlich vor ihr.

„Alles in Ordnung, Kleines? Hätte ich das eben vielleicht nicht tun sollen?“
Behutsam legte er seine Hand an ihre Wange. Diese Geste irritierte sie, doch sie ließ es zu.

„Es verwirrt mich ziemlich, das ist alles.“, murmelte sie.

Bastien grinste und zog seine Hand zurück.

„Daran merkt man, dass du nur ein kleines, unerfahrenes Mädchen bist.“

Aenna schnaubte über diese Bemerkung, insgeheim war sie ihm aber dankbar. Seine Provokationen würden sie ablenken, darauf war auch er gekommen.

„Ich glaube, unser Essen ist fertig.“, riss er sie aus den Gedanken und warf einen demonstrativen Blick auf den Ofen. Aenna erhob sich hastig, holte ihr Essen aus dem Ofen und schlenderte dann, gemeinsam mit Bastien wieder ins Wohnzimmer.

„Es wundert mich, dass du bei so einem Film essen kannst.“, murmelte der Mann nachdenklich, als im Film jemandem der Kopf abgeschlagen wurde. Aenna sah ihn belustigt aus den Augenwinkeln heraus an.

„Also bitte, ja? Du dürftest doch mittlerweile gemerkt haben, dass ich in vielen Dingen nicht wirklich zimperlich bin.“, erwiderte sie, mit vollem Mund.

Dieser Anblick amüsierte Bastien, weshalb er anfing zu lachen.

„Das habe ich in der Tat gemerkt!“

 

__4__

 

Zwei Stunden später lag Bastian mit dem Kopf auf Aennas Schoß. Er war einfach eingeschlafen und hatte sich, völlig unbewusst, an Aenna gekuschelt. Lächelnd strich die junge Frau ihm übers Haar. Wenn er schlief, sah er aus wie ein kleiner, unschuldiger Junge. Aennas Lächeln verschwand, stattdessen trübten sich ihre Augen.

„Wenn du dich mir gegenüber ein bisschen öffnen würdest, könnten wir vielleicht Freunde werden. Oder sogar mehr!“, flüsterte sie.
Noch immer schlug ihr Herz in schneller und freudiger Erwartung. Warum nur reagierte ihr Körper so extrem? Sie grübelte immer weiter, doch irgendwann schaffte sie es nicht mehr die Augen offen zu halten. Und schlief ein...

Als Bastien aufwachte stellte er irritiert fest, dass er auf Aennas Schoß lag. Seine Hände hielten ihre fest umschlossen, so als ob er nicht losgelassen werden wollte. Er legte den Kopf in den Nacken und stellte fest, dass Aenna im Sitzen eingeschlafen war.
Wie süß und unschuldig sie aussieht!, dachte er und richtete sich langsam auf, bemüht sie nicht aufzuwecken. Auf dem Tisch vor ihm standen noch immer die dreckigen Teller und der Fernseher lief auch noch, doch immer wieder ging sein Blick zurück zu Aennas Gesicht. Sie war so hübsch und hatte noch nie einen Freund gehabt? Das war doch absurd! Doch er konnte sie verstehen. Ihr Vertrauen wurde anscheinend ebenfalls so oft missbraucht, dass sie einfach keine Lust mehr darauf hatte dieses Risiko noch einmal einzugehen. Statt darauf zu hoffen das es jemanden gab, der für sie da sein würde, lebte sie einfach so dahin, ohne auch nur einen Menschen zu haben, auf den sie sich verlassen konnte. Bastiens Blick fiel auf die Digitaluhr an der Wand. Es war Montagmorgen und bereits nach zehn. Der Mann bekam einen Schreck. Er müsste jetzt eigentlich auf der Arbeit sein! Schweren Herzens weckte er Aenna, in dem er sie sanft an der Schulter schüttelte.

„Aenna, wach auf.“, sagte er leise.
Die junge Frau verzog die Stirn zu großen Falten.

„Hmm?“, brummte sie schlaftrunken, dann blickten ihn ihre goldenen Augen an.

„Ich muss schon längst auf der Arbeit sein, ich muss sofort los!“, hauchte er und sprang bereits auf. Aenna rieb sich den Schlaf aus den Augen und beobachtete benommen, wie Bastien bereits zur Tür stolperte. Sie erhob sich und folgte ihm zur Tür, welche er mit gnadeloser Brutalität aufriss. Er wollte schon die Treppen runter, da kam er noch einmal zurück und umfasste Aennas Gesicht mit beiden Händen.

„Du siehst echt süß aus, wenn du schläfst!“, hauchte er und küsste sie, kurz und zärtlich.
Dann machte er kehrt und sprang den gesamten Treppenabsatz hinunter, welcher aus sechs Stufen bestand. Zurück blieb Aenna, verwirrt und mit hochrotem Kopf.

 

„Es hat begonnen.“, sagte sie leise und sah ihre Freundin an, dessen volle Lippen sich zu einem breiten Grinsen verzogen.

„Sieht ganz so aus.“, erwiderte sie und setzte sich in Bewegung.
Von nun an, würden sie dem Mann folgen.

„Mir gefällt er schon jetzt.“, sagte Fraya, mit den vollen Lippen.
Sie strich sich eine Strähne ihres schwarzen Haars aus dem Gesicht und lachte leise. Caya, ihre Freundin seufzte.

„Weil er ein Arsch zu sein scheint?“, erwiderte sie besorgt.
Fraya lachte lauter.

„Ganz genau. Aenna kann nämlich genauso sein!“
Caya blickte kurz gen Himmel.

„Du weißt ganz genau, dass sie jemanden wie ihn nicht verdient hat. Sie braucht jemanden, der sich um sie kümmert.“
Schon begann eine Diskussion zwischen den beiden Frauen. Fraya ließ Bastien nicht aus den Augen. Die Aura die ihn umgab war unverkennbar.

„Vielleicht kann er das ja auch? Sieh genau hin, Caya. Du siehst diese Aura genauso gut wie ich! Gold, für die gute Seite. Schwarz, für die Böse. Ob du es nun warhhaben willst oder nicht, dieser Mann entscheidet über Aennas Schicksal.“

 

Um Ordnung in ihren Kopf zu bringen, vertrat Aenna sich nun die Beine. Nun hattten sie sich also doch geküsst. Beziehungsweise, er hatte sie einfach überfallen. Sie war erstaunt gewesen wie anders dieser Kuss gewesen war als der vorige. Naja, der davor zählte ja eigentlich gar nicht. Er war sanft gewesen und vorsichtig. Ein zärtlicher Kuss der davon zeugen wollte, dass Bastien sie nicht zerbrechen wollte. Warum nur hatte er das getan? War ihm nicht klar, was er damit angerichtet hatte? Wie von selbst berührten ihre Fingerspitzen ihre Lippen. Seine Lippen waren so weich gewesen und nicht das kleinste bisschen fordernd, wie zuvor. Eigentlich...hat es sich so angefühlt, als würden sie sich ergänzen. Ganz genau konnte sie das nicht sagen, sie hatte nicht einmal auf den Kuss reagieren können. Doch um ehrlich zu sein fühlte sie sich nicht schlecht, nur ein bisschen überfordert. Aenna ließ den Kopf fallen. Ob er sich wohl noch mal bei ihr melden würde? Oder war das alles wirklich nur ein Spaß und er hatte genug von ihr? Vielleicht hatte er sich ins Fäustchen gelacht, als er gegangen war?
Die junge Frau bog in eine Gasse ein. Vielleicht würde ihr ein Gläschen Scotch dabei helfen, den Kopf wieder frei zu kriegen? Aenna blieb stehen, denn vor ihr bot sich ihr eine gewaltige Kulisse.
Eine Frau, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, wurde von einer Gruppe dunkler Gestalten umzingelt. Fast jeder von ihnen hielt eine Waffe oder ein Messer in der Hand. Aenna hielt den Atem an. Die Frau war bereits verletzt, ihre Lippe war aufgeplatzt und auch an ihrer Stirn war eine Platzwunde zu erkennen. Die Haltung der Männer ließ erkennen, dass sie geübt in solchen Dingen waren. Aenna zögerte. Es war nicht so, dass sie Angst hatte einzugreifen, viel mehr überlegte sie, wie sie vorgehen sollte. Sie konnte sich höchstens auf zwei der Angreifer konzentrieren. Würde sie also überstürzt handeln, hätten die vier anderen Männer die Chance sie zu verletzen. Und wenn das passierte, hatte sie verloren. Aenna war nicht sehr schmerzempfindlich, deswegen auch die vielen Tattoos an ihrem Körper, aber eine Verletzung am Hals, an der Brust oder an den Obeschenkeln könnte verheerende Folgen haben. Sie musterte ihre Umgebung. In der dünnen Gasse war es nahezu stockfinster, trotz der Sonne weit oben am Himmel. Eine Feuerleiter war weiter hinten zu erkennen und auch ein breiter Müllcontainer fehlte nicht. Aenna hatte gute Chancen sich an der Gruppe Männer vorbeizuschleichen. Sie könnte zwei von hinten außer Gefecht setzen. Die übrigen vier würden ihr dann zwar Schwierigkeiten bereiten, doch eine andere Möglichkeit hatte sie mit so wenig Spielraum nicht. Sie zog sich die Kapuze ihres schwarzen Sweaters über den Kopf und beugte sich vor, um das Messer aus ihrem Schnürstiefel zu ziehen. Sie trug es so gut wie immer mit sich herum, versteckt an ihrem Körper. Zu oft schon war sie in Gefahr geraten und das war ihr eine Lehre gewesen! Sie sah nach oben. Wenige Meter hinter den Angreifern war eine Wäscheleine in der Luft zu erkennen. Die könnte sie vielleicht gebrauchen...
Was für eine beschissene Rettungsaktion., dachte sie genervt.
Sie setzte sich in Bewegung und kam den Männern langsam immer näher. Die waren so dermaßen auf die, ziemlich attraktive Frau wie Aenna nun feststellte, fixiert und hätten Aenna selbst nicht bemerkt, wenn es hier hell gewesen wäre!
Was für Idioten!, dachte sie und schlich weiter. Nach wenigen Minuten hatte sie die Feuerleiter erreicht. Sie musste ziemlich hoch springen um an diese ranzukommen, doch nach ein paar Anläufen klappte es. Nachdem sie ein paar der Sprossen hoch geklettert war, drehte sie sich vorsichtig um. Sie war jetzt ein Stück höher wie die Wäscheleine. Blieb zu hoffen, dass sie diese mit einem Sprung auch erreichte. Was ihr noch mehr Sorgen bereitete war allerdings der Lärm, den sie dabei anrichten konnte.
Hoffentlich geht das gut!, dachte Aenna besorgt. Das waren gut vier oder fünf Meter. Sie hatte keine Ahnung ob sie sicher auf den Beinen landen würde, gut möglich das sie sich bei einer falschen Landung mehrere Knochen auf einmal brechen würde. Und dann wäre sie erst recht geliefert!
Aenna holte noch einmal tief Luft, dann sprang sie. Ihre Hände erreichten die Leine und hielten diese fest, dann fiel Aenna. Die Leine riss und blieb wo sie war, nämlich in ihren Händen und nach nur wenigen Sekundenbruchteilen landete die junge Frau sicher auf ihren Füßen. Zischend wich die Luft aus ihren Lungen. Ihre Hände umgriffen die Leine fester. Sie war ziemlich dick, sicher einen Finger breit und ziemlich reißfest. Aennas Mundwinkel zuckten. Die Männer waren so vertieft in ihr Tun, dass sie selbst aus Luft bestehen zu schien. Am Anfang der Gasse entdeckte sie einen Umriss. Da stand doch irgendjemand. Beinahe hätte sie gefaucht. Statt zu helfen glotzten die Leute lieber blöd, das kannte sie nur zu gut. Aenna fand, dass sie genug Zeit vertrödelt hatte. Sie beschloss endlich einzugreifen, und machte drei große Schritte, ehe sie zwei der Männer erreicht hatte.
Sie schlug die Leine über die Köpfe der zwei hinweg und zog mit einem Ruck daran.
Mit einem Gurgeln flogen die beiden nach hinten. Aenna zögerte keine Sekunde, sie spürte sofort die Kraft der zwei Muskelprotze unter ihr. Sie zog die Leine stramm, bis sie in die Hälse der zwei Typen schnitt, und machte einen festen Knoten. Keiner der beiden wäre in der Lage, den Knoten zu lösen. Sie mussten sich darauf konzentrieren ruhig und flach zu atmen und nicht herumzuzappeln, ansonsten hätten sie keine Chance.
Natürlich blieb ihr Eingreifen nicht unbemerkt. Die Frau nutzte die Chance und huschte aus dem, nun nicht mehr vollständigen Kreis, um sich hinter der Mülltonne zu verstecken.
Die übrigen vier Männer wandten ihre Aufmerksamkeit nun ihr zu. Aenna fauchte leise.
Nun wurde es gefährlich. Sie alle vier waren bewaffnet, sie selbst hatte nur ein Messer, mit dem sie sich in dieser Lage nur dürftig verteidigen konnte.

„Was fällt dir ein, du Schlampe?“, zischte einer von ihnen. Es war der größte, mit gut einen Meter neunzig. Aenna setzte einen spöttischen Blick auf und schob die Kapuze zurück.

„Hat ja lange gedauert, bis ihr mich bemerkt habt.“, stachelte sie und hielt ihr Messer geschickt so, dass sie es nicht sahen. Der Große kam auf sie zu, immer näher, bis sie die Wärme spüren konnte die von ihm ausging.
„Jetzt pass mal auf! Zieh gefälligst Leine oder du wirst die Nächste!“, fuhr er sie an und verkrallte sich in ihren Haaren. Er wollte bereits ihren Kopf zurückreißen, da holte Aenna mit dem Arm aus.
Mit Wucht schlitzte sie mit der Klinge ihres Messers die schwarze Jacke ihres Angreifers auf.
Dies war voerst nur eine Warnung! Der Typ begriff sofort und ließ sie augenblicklich los.
Er trat war einen Schritt zurück, ließ es aber sogleich auf einen neuen Versuch ankommen. Sicherlich würde dieser mehr Erfolg haben. Der Lauf seiner Waffe richtete sich auf sie.
Regungslos wartete sie ab.

„Na, immer noch mutig?“, thronte er.
Aenna zog die Augenbrauen hoch und sah ihm skeptisch entgegen.

„Also bitte! Wenn du mich erschießen willst, mach das gefälligst und fang bloß nicht an, irgendeine Scheiße von dir zu geben.“, sagte sie gelangweilt und machte eine vage Geste mit der Hand. Die Augen des Mannes verengten sich. Seine Hand begann zu zittern und Aenna sah die Wut in seinen blassblauen Augen aufblitzen. Sein Finger am Abzug zuckte und Aenna reagierte blitzschnell. Sie duckte sie und trat mit ihrem Fuß eines seiner Beine weg, worauf er wegknickte und die Waffe fallen ließ. Mit schnellen Fingern krallte sie sich die Pistole, welche sich als Desert Eagle herausstellte. Sofort richtete sie sich wieder auf. Mit ausdruckslosem Gesicht war nun sie diejenige, die zielte.

„Gute Waffe.“, sagte sie beeindruckt und musterte die Knarre. Sie lag verdammt gut in der Hand.
Nun gingen auch die anderen Männer um sie herum in Position. Zwar hatte noch ein weiterer von ihnen eine Waffe, die schien er jedoch völlig vergessen zu haben.

„Hauen wir ab!“, sagte er leise und warf seinen Kollegen einen Blick zu.

Froh darüber endlich seine Pause zu haben, schlenderte Bastien durch die Straßen.
Er hatte sich nur schlecht auf der Arbeit konzentrieren können. Die ganze Zeit über hatte er an Aenna denken müssen, die er wortlos im Treppenhaus hatte stehen lassen. Naja, ein bisschen Mitleid hatte er dann doch. Für sie war das Ganze sicherlich immer noch ein Schock. Der erste Kuss von ihm schien für sie nur eine Kurzschlussreaktion gewesen zu sein. Er zählte in ihren Augen ja nicht einmal richtig, so ähnlich hatte sie es zumindest formuliert. Doch der letzte Kuss war ihr offizieller erster gewesen. Zwar war er genauso schnell gekommen, wie er geendet war, doch er zählte! Bastien war immer noch verblüfft. Ihre Lippen hatten sich wirklich so weich angefühlt, wie sie aussahen.
Der Mann blinzelte als er auf der anderen Straßenseite einen bekannten roten Haarschopf entdeckte.
Aenna hatte sich die Haare zwar zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, doch anhand ihrer auffälligen Figur erkannte er sie. Sie bog in eine, ziemlich gefährlich aussehende Gasse ein, weshalb Bastien beschloss, ihr zu folgen. Irgendwie hatte er ein schlechtes Gefühl...
Er ging also auf die andere Straßenseite und spähte vorsichtig um die Ecke des alten Hauses, welche der Anfang der Gasse war. Dunkelheit schlug ihm entgegen, doch er konnte genug erkennen. Aenna war stehen geblieben und zog sich nur wenige Sekunden später die Kapuze ihres Sweaters über die auffällige Haarpracht. Sie wollte doch nicht etwa...
Die Gruppe Männer sah gefährlich aus, jedoch war die Frau in ihrer Mitte wirklich in Gefahr.
Bastien bewunderte diese Frau! Sie war so verdammt jung und hatte doch so viel Courage.
Er blinzelte. Hatte er etwa ein Augenproblem? Etwas weißes flackerte hinter Aenna auf. Er rieb sich die Augen, doch dieses weiße Licht blieb. Sie schlich um die Gruppe herum und Bastien schluckte, als er den Umriss von weißen, strahlenden Flügeln ausmachen konnte.
Ich muss wirklich ein Problem mit den Augen haben oder mein Hirn wurde von einem Tumor überfallen!, dachte er, nahezu panisch und rieb sich erneut die Augen. Immer klarer wurden diese Flügel, bis sie schließlich imposant hinter Aenna aufragten.

„Du hast nichts an den Augen, Junge.“, sagte plötzlich jemand hinter ihm.
Ruckartig wirbelte er herum und erblickte zwei Frauen. Die eine so groß wie Aenna, mit schwarzen langen Haaren und blitzenden, fast schon schwarzen Augen. Die andere etwas kleiner, mit weißblonden Haaren und hellen, durchscheinenden grauen Augen. Die etwas tiefere und raue Stimme die ihn eben erschrocken hatte, kam von der Großen.

„Sie besitzt diese Flügel wirklich.“, sagte sie nun und deutete mit dem Kopf wieder auf die Gasse.
Bastien schluckte, sprachlos und wandte sich wieder dem Geschehen in der Gasse zu.
Dort musste er mit ansehen, wie Aenna sich mit einer Leine in den Händen an zwei der Männer anschlich. Plötzlich, Bastien glaubte wirklich er träumte, färbten sich Aennas Flügel schwarz. Als ob man sie mit schwarzer Tinte übergossen hätte...

„Sie weiß nichts davon, also halt besser den Mund.“, sagte die Frau hinter ihm wieder.
Er antwortete nicht. Stattdessen starrte er gebannt Aenna an, die inzwischen eine Waffe in der Hand hielt.
Sie ist in Gefahr!, dachte er dennoch. Auch wenn sie nun die Waffe in der Hand hielt, solche Typen waren zu allem in der Lage, Bastien wusste das!

„Hauen wir ab!“, hörte er einen der Typen sagen.
Bastiens Sicherungen brannten durch. Er rannte los, scheiß egal ob Aenna was dagegen haben könnte. Ihre Augen weiteten sich, als sie ihn erkannte, doch sie senkte die Waffe in der Hand nicht.

„Vergiss es, Freundchen! Ihr bleibt schön hier!“, verkündete Bastien und legte dem Typen den Arm um die Schulter. Und zum zweiten Mal würde Bastien Aenna aus der Patsche helfen. Vorausgesetzt, er würde sich nicht wieder verletzen lassen. Aennas Blick schien ihn genau darauf hinweisen zu wollen. Sie scheute sich auch nicht, das Thema offen anzusprechen.

„Bist du wahnsinnig? Du weißt, was letztes Mal passiert ist!“, zischte sie und funkelte ihn wütend an. Bastiens Augen verengten sich, als er sie musterte. Das Messer was sie durch ihren Gürtel geschoben hatte, blitzte bei ihrer kurzen Bewegung auf.

„Wenn ich mit einem Messer bewaffnet durch die Straßen laufen würde, so wie du, dann könnte ich mich auch verteidigen! Und nun lass uns zusehen, dass wir diese Kerle loswerden!“, knurrte er.
Aenna lachte laut auf. Aber es klang eher bitter wie amüsiert.

„Was hast du vor? Willst du sie umbringen?“
Die Typen zuckten allesamt, was Aenna nur noch mehr belustigte. Sie lachte lauter und auch Bastiens Mundwinkel fingen an zu zucken.

„Wenn es sein muss!“, raunte er verheißungsvoll, worauf Panik die sechs Männer überkam.
Hals über Kopf flüchteten sie und es war ihnen völlig egal, das die Waffe noch immer gefährlich in der Luft schwebte. Ein wenig irritiert sah Aenna ihnen nach.

„Na, das war ja einfach.“, murmelte sie und ließ die Waffe nun endlich sinken.

„Was machst du schon wieder hier? Unbewaffnet in so einen Konflikt zu stürmen, kann einem das Leben kosten!“, sagte sie leise.
Besorgt musterte sie den Mann. Er schien durch die Straßen geschlendert zu sein, also hatte er wohl Pause. Bastien reagierte nicht auf ihre Worte, stattdessen stürmte er auf sie zu und riss sie in seine Arme.

„Du bist völlig wahnsinnig, weißt du das?“, brüllte er sie an. „Redest immer nur davon, dass andere verletzt werden können. Dabei bist du diejenige, die immer in Lebensgefahr gerät!“
Völlig entgeistert starrte sie ihn an. Was war denn in ihn gefahren? Sie war sich ziemlich sicher, dass er sonst nicht so beherzt irgendwen anbrüllte. Sie fasste den Mann also bei den Schultern und schob ihn ein wenig zurück.

„Jetzt hör mir mal zu! Ich bin kein Mensch der sich versteckt, wenn es zur Sache geht! Ich sehe nicht zu, wenn jemand in Gefahr ist. Ich habe schon einige Straßenkämpfe hinter mir, ich weiß also was ich tue. Wenn ich mein Leben riskiere, dann mache ich es freiwillig.“
Benommen trat Bastien einen Schritt zurück. Noch immer konnte er die riesigen Schwingen in ihrem Rücken erkennen, jedoch waren sie wieder weiß. Er sah über seine Schulter, doch die zwei Frauen die er versuchte ausfindig zu machen, waren verschwunden. Zum Teufel, was war hier eigentlich los? Aenna schien in der Tat nichts zu wissen, also beschloss er wirklich die Klappe zu halten. Sollte er diesen zwei geheimnisvollen Frauen noch einmal begegnen, würde er sie darauf ansprechen.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Aenna plötzlich liebevoll und riss ihn somit aus den Gedanken.
In einer beruhigenden Geste legte sie ihm die Hand auf den Arm. Er nickte, eilig und richtete seinen Blick dann auf die Frau, die hinter dem Müllcontainer hervor kam.

„S-Sind sie weg?“, stotterte sie ängstlich und mit spanischem Akzent.
Sie war ziemlich attraktiv, wie nun auch Bastien feststellen musste. Aenna nickte.

„Ja, Sie brauchen keine Angst mehr zu haben.“, sagte sie leise und lächelte die Frau an.
Offensichtlich war sie eine Spanierin. Nicht nur ihr Akzent verriet das, sondern auch ihre Erscheinung. Ihre schwarzen Locken waren brustlang und ihre Augen fast genauso dunkel.

Sie hatte wie Aenna eine gute Figur, ganz an die junge Frau kam sie aber nicht heran.

„H-Haben Sie vielen Dank! Ohne Sie wäre ich verloren gewesen!“

Die Frau nahm Aennas Hände und schüttelte diese dankbar, dann nickte sie auch Bastien zu.

„Verzeihen Sie mir meine Unverschämtheit aber ich möchte nicht zur Polizei gehen! In zwei Tagen kehre ich wieder in meine Heimat zurück.“, erklärte sie.
Aenna fand das zwar feige und nicht richtig, doch es war ihre Entscheidung, also nickte sie nur und beobachtete, wie die Frau aus der Gasse stürmte.

„Ziemlich dumm in dieser Montur durch die Stadt zu stiefeln. Irgendjemand wird ihr schon die Polizei auf den Hals hetzen, wenn diese sie nicht selbst finden.“, murmelte Aenna und starrte dann auf die Desert Eagle.

„Ich glaube, die behalte ich.“, sagte sie dann und lächelte schwach.
Bastien musterte die junge Frau. Sie wirkte abwesend, nahezu benommen und hatte einen leeren Blick. Scheinbar war sie nur während dieses Kampfes bei klarem Verstand gewesen. Behutsam hob Bastien mit einem Finger ihr Kinn an.

„Aenna? Ist bei dir denn alles in Ordnung?“, fragte er vorsichtig.
Die Frau rieb sich kurz über die Augen, dann sah sie ihm zögernd in die Augen.

„Du kannst mich doch nicht einfach so küssen.“, hauchte sie. „Und mich dann auch noch da stehen lassen! Warum hast du das getan?“
Ein wenig verlegen kratzte Bastien sich am Hinterkopf.

„Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Ich...musste wissen wie du dich anfühlst.“
Aenna konnte nicht glauben, was sie da hörte. Aus seinem Mund klang das echt lächerlich!

„Wenn du unbedingt wissen willst wie ich mich anfühle, dann küss mich noch mal.“, hauchte sie und sah ihn eindringlich an.

Caya und Fraya tauschten einen Blick aus.

„Tja, mit einem Kuss hat es eben angefangen.“, murmelte Fraya.
Caya seufzte. Die Anziehungskraft war von Anfang an zwischen den beiden vorhanden gewesen und bemerkbar gemacht hatte sie sich ebenfalls deutlich. Aenna war schon immer begierig darauf neue Erfahrungen zu sammeln, dass es auch nun so war wunderte keine der beiden Frauen.
Auch Bastien musste sich eingestehen, dass etwas anders war wie sonst. Für gewöhnlich waren ihm die Frauen egal, nicht so Aenna. Dabei kannten sie sich erst seit wenigen Tagen. Er wollte und würde es sich nicht eingestehen, doch diese Frau zog ihn an und er wollte mehr von ihr. Das Gleiche galt für die junge Frau. Sie würde alles daran setzen diesen Mann in ihren Besitz zu bringen, nur wusste sie noch nichts davon.

„Der arme Junge, sie überfordert ihn total.“, hauchte Fraya, mehr als amüsiert und beobachtete grinsend, wie Bastiens Augen ein Gefühl nach dem anderen widerspiegelten.

„Nicht sie überfordert ihn, lediglich ihre Erscheinung tut das.“, erwiderte Caya ausdruckslos.
Sie gab das nur ungerne zu, doch ihre Freundin hatte Recht. Aennas imposante Schwingen, die sie ohne es zu merken im Rücken zusammengefaltet hatte, waren der Grund dafür warum der junge Mann so neben der Spur war. Er hatte sich bereits nach Caya und ihr selbst umgesehen, jedoch waren sie für ihn nicht mehr zu erkennen gewesen. Sie würden ihm später noch alles erklären. Doch erst einmal war es wichtig, den beiden Zeit zu geben.
Von nun an würde er ihre Flügel immer sehen können, das war sein Schicksal. Sie waren sich sicher, dass er sich schnell damit abfinden würde. Und falls er ihnen nicht glauben würde, würde Fraya ihm schon klar machen, wie die Dinge wirklich waren. Bastien Enver war ein Guardian.

Fassungslos starrte Bastien sie an, unfähig etwas auf ihre Worte zu erwidern. Meinte sie das ernst?
Ihr Blick gab ihm die Antwort. Sie wollte das wirklich! Mit erhobenem Haupt stand sie vor ihm, den Kopf leicht geneigt, womit sie ihren Hals präsentierte. Ihre Schlagader, eine der wohl empfindlichsten Stellen ihres Körpers. Bot man einem diese Stelle an, war alles erlaubt.
Bastien schluckte und trat einen Schritt vor. Vorsichtig umfasste er mit seinen Händen Aennas schmales Gesicht. Sie zitterte ein wenig, doch nach wenigen Augenblicken legte sich das.
Ihre goldenen Augen blickten ihn erwartungsvoll an und ihre vollen Lippen öffneten sich leicht.
Ihr heißer Atem traf auf sein Gesicht und verursachte auch bei ihm ein verheißungsvolles Zittern.
Nur mit Mühe konnte er das unter Kontrolle halten. Nur langsam und zögernd kamen seine Lippen ihren näher. Für gewöhnlich küsste er Frauen einfach so, zu zögern war nicht sein Ding. Doch sie wollte es so, vielleicht ließ ihn ja das inne halten?
Aennas Herz schlug in freudiger Erwartung immer schneller. Nur noch wenige Millimeter trennten ihre Lippen voneinander. Sie konnte nicht mehr länger warten. Voller Ungeduld lehnte sie sich vor, wodurch ihre Lippen aufeinander trafen. Aenna seufzte leise. Ja, seine Lippen waren noch immer so weich. Sie hörte auf zu denken und passte sich Bastiens Bewegungen einfach an. Beiden wurde schnell klar, dass sie so schnell nicht voneinander lassen konnten. Bastien legte seine Arme um ihre Taille, um sie dich an sich ranzuziehen. Aennas Arme hingegen schlossen sich um seinen Hals.
Für andere mochten sie nun wohl wie ein Paar aussehen, doch ob sie das je werden würden war ungewiss. Aenna war sich ja nicht einmal sicher, ob sie überhaupt Gefühle für diesen Mann hatte.
In diesem Moment wusste sie nur, dass Bastien sich verdammt gut anfühlte. Sein Körper schien dafür geschaffen zu sein, ihren zu beschützen. Doch ein normaler Kuss war Aenna zu langweilig. Sie wollte noch ein bisschen mehr von dem, was sie zuvor noch nicht kennenlernen durfte. Vorsichtig und zaghaft stieß sie mit ihrer Zunge voran. Bastien hielt kurz inne, doch dann trafen ihre Zungen plötzlich zusammen. Ein neckisches Katz und Maus Spiel begann. Einer der beiden zog sich immer zurück, worauf der andere sich sehnsüchtig auf die Suche nach ihm machte.
Aenna konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken, als Bastiens Hände sich in ihren Hosenbund schoben. Die ganzen Sinneseindrücke überwältigen sie!
Sein Geruch erinnerte sie an eine warme Sommernacht, auch wenn es bescheuert klingen mochte. Doch auch sein Aftershave konnte sie wahrnehmen. Bastien schmeckte bitter, nach Zigaretten und Alkohol, doch irgendwie störte es sie nicht, im Gegenteil, sie wollte mehr! Er war so schön warm und wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie sich noch dichter an ihn gedrängt.
Bastien war in diesem Moment genauso aufgewühlt wie Aenna. Er hatte schon lange nichts mehr mit einer Frau gehabt, umso aufgeregter war er nun. Aenna war anders als andere Frauen, vielleicht rührte seine Nervosität auch daher?
Ihr weicher, kurviger Körper schmiegte sich schutzsuchend an ihn und sorgte dafür, dass sengende Hitze ihn ihm aufstieg. Zu gerne hätte er mit seinen Händen ihren Körper erkundigt, doch er war sich ziemlich sicher, dass ihr das zu weit ginge. Oder sollte er es einfach auf einen Versuch ankommen lassen? Er beendete den leidenschaftlichen Kuss und sah ihr stattdessen tief in die Augen. Sie war bereits außer Atem und ihre Lippen waren geschwollen. Still schweigend wartete sie auf seine Handlung.

„Wenn ich zu weit gehe sagst du es, alles klar?“, sagte er leise, ebenfalls schwer atmend.
Sie nickte lediglich und ließ zitternd zu, dass seine rauen Hände sich unter ihren Sweater schoben. Aenna erschauerte, denn Bastien senkte seinen Kopf und drückte seine Lippen auf ihren Hals. Sachte knabberte er an ihrer zarten Haut, worauf sie leise stöhnend den Kopf in den Nacken fallen ließ. Dieser Kuss fühlte sich ganz anders an als der, auf den Lippen. Eine heiß, glühende Welle ging durch ihren Körper und verankerte sich zwischen ihren Beinen. Das alles war ihr so fremd, verdammt! Aennas Atem ging in ein rasselndes Keuchen über. Bastiens Mundwinkel zuckten. Immer wieder erzitterte sie unter seinen Händen, welche vorsichtig vom Bauch aus zur Taille wanderten und schließlich bei ihren Brüsten ankamen.
Was hat er vor?, fragte sie sich im Stillen. Der Stoff ihres BH's störte ihn, kurzerhand öffnete er ihn also, um seine Hände darunter zu schieben. Er seufzte leise als er ihre vollen und prallen Brüste in den Händen hielt.
Sicher ein C-Körbchen., dachte er und leckte ihr über die Halsschlagader. Erneut erschauerte sie.
Beinahe hätte er gelacht. Sie war wie flüssiges Wachs in seinen Händen.
Was geschieht hier nur?, fragte sie sich. Was würde er noch mit ihr anstellen? Sie fühlte sich hilflos und auch ein wenig überfordert, doch gleichzeitig war sie sich sicher, in Bastiens Armen in Sicherheit zu sein. Sie biss sich auf die Lippen um einen Schrei zu unterdrücken, denn Bastien zwickte ihre Nippel. Ihre Beine waren bereits dabei nachzugeben, doch der Mann drängte sie gegen die Wand, worauf sie wieder einen festen Stand hatte.

„Alles okay?“, raunte er ihr ins Ohr.
Sie war nicht in der Lage zu antworten, weshalb sie einfach nur nickte.
Bastiens Selbstkontrolle geriet immer mehr ins Wanken. Er wollte sie hier auf der Stelle nehmen, doch er musste sich zusammenreißen. Bastiens Hände erkundeten ihren Körper ohne Gande.
Kurz darauf schob Aenna seine Hände weg und sah ihm mit heißen Blick in die Augen.

„Nicht hier!“, hauchte sie, völlig vernebelt. „Du wohnst doch hier in der Nähe, also lass uns zu dir gehen.“
Bastien stieß ein Knurren aus.

„Ich muss gleich wieder zur Arbeit, verdammt! So viel Zeit hab ich nicht.“
Aenna schluckte. Sie wollte von ihm berührt werden und das nicht nur oberhalb der Gürtellinie.
Kurzerhand zog sie sich also den Sweater über den Kopf und ließ ihn zu Boden fallen.

„Dann eben hier und jetzt!“, zischte sie, fasste seine Hände und führte sie zu ihrer Hose.

„Berühr mich!“, flehte sie und zeigte ihm, wie er die Hose zu öffnen hatte.
Bastien zögerte natürlich keine Sekunde und zog ihr die Jeans mit einem Ruck bis zu den Knien runter. Er hätte weinen können, so schön war der Anblick ihres zarten Körpers, der zitterte und nur noch von einem schwarzen Spitzenhöschen verdeckt wurde. Mit einem Schlag wurde ihm wieder klar, dass er es mit einer Jungfrau zutun hatte.
So wird es auch für's erste bleiben!, dachte er. Doch das hieß nicht, dass er es ihr nicht trotzdem besorgen konnte. Er stellte sich also dicht vor sie und fasste ihr mit einer Hand zwischen die Beine. Mit der anderen fasste er ihren Nacken, um sie zu küssen. Ohne Widerstand zu leisten ließ sie sich fordernd küssen, während Bastien ihren Slip zur Seite schob und dann mit dem Daumen über ihr bereits feuchtes Fleisch strich. Sie stöhnte in seinem Mund auf und biss ihm auf die Lippe, als er mit einem Ruck seinen Finger in sie schob. Ewig lang quälte er sie so, ohne sie zu erlösen, bis sie mit einem leisen Schrei kam und in sich zusammen sackte.
Was tun wir hier bloß?, fragte sie sich und schloss die Augen, während ihr Höhepunkt noch immer leichte Wellen schlug. Voller Inbrunst ließ Bastien seinen Kopf auf ihre Schulter sinken.

„Du bist so wunderschön!“, hauchte er und küsste ihren Hals.

„Du hast schon so viele Frauen gehabt und ausgerechnet ich soll schön sein?“, erwiderte sie und ließ den Kopf gegen die Wand hinter sich fallen. Der Mann drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen.

„Nicht eine der ganzen Frauen war so wie du! Und ich verteile nicht oft Komplimente, du kannst dich also geehrt fühlen.“
Für ein paar Minuten standen die beiden noch eng umschlungen so da, bis Aenna ihre Sachen ergriff und sich eilig anzog.

„Ich hoffe, deine Pause war dir das wert. Du musst sicher wieder los, oder?“, witzelte sie und funkelte ihn an. Bastien küsste sie erneut.

„Und wie es mir das wert war! Und du hast Recht, so langsam muss ich wirklich los. Ich ruf dich an, ja?“
Nicht viel später stand Aenna alleine in der Gasse. Verzweifelt stolperte sie nach Hause.

 

__5__

 

„Ich schäme mich, euch zugesehen zu haben.“, nuschelte Caya bedrückt und friemelte am Saum ihres leichten Sommerkleides. Fraya lachte, unterhalten und amüsiert.

„Das war verdammt heiß, Junge! Vielleicht sollte ich dich warnen, so schnell wird sie dich nämlich nicht vergessen.“
Bastien blieb ruckartig stehen. Er war mitten in der Arbeit, doch darauf konzentrieren konnte er sich nicht. Wie auch, diese zwei Weiber hatten ihn in der Gasse nicht aus den Augen gelassen. Und er wusste immer noch nicht, wer sie überhaupt waren. Was wollten sie von ihm? Und warum zum Teufel bildete er sich ein, Aenna mit Flügeln sehen zu können? Bastien wirbelte herum und fletschte die Zähne.

„Wer zum Teufel seid ihr überhaupt? Und wieso hat Aenna Flügel?“
Er glaubte noch immer, er bildete sich das alles nur ein. Wahrscheinlich existierten diese zwei komischen Frauen auch nicht. Er würde definitiv zum Arzt gehen müssen, um sich durchchecken zu lassen! Die Frau mit den schwarzen Haaren grinste füchsisch.

„Nein, Süßer. Du fantasierst nicht. Caya hier und ich existieren wirklich, genauso wie Aennas Flügel.“

Bastien lehnte sich gegen das Regal des Lagers und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Hättet ihr die Ehre, mir das alles auch zu erklären?“, knurrte er und schloss die Augen. Fraya ging zu ihm, mit wiegenden Hüften, was ihn verdammt stark an Aenna erinnerte. Nur, dass Aenna noch viel heißer war als die beiden hier zusammen.

„Du, mein Hübscher, bist kein gewöhnlicher Mensch. Du besitzt die Gabe Aennas wahres Wesen zu erkennen. Was hast du gesehen, Bastien? Verrate es mir!“
Sie lehnte sich vor und raunte ihm diese Worte ins Ohr. Er erschauerte.

„Einen Engel. Und einen Dämon.“, erwiderte er mit rauer Stimme.
Zufrieden lehnte Fraya sich zurück.

„Schlaues Bürschchen.“, kicherte sie. Doch schlagartig wurde sie wieder ernst. „Das ist Aennas wahres Wesen. Engel und Dämon zugleich. Das Ganze ist sicher verdammt verwirrend für dich aber...mit der Tatsache das du auch kein normaler Mensch bist, musst du dich abfinden.“
Ruhig und mit einem undeutbaren Blick wartete Fraya auf Bastiens Reaktion. Der seufzte und rieb sich die Schläfen. Sie hatte Recht, er war völlig durcheinander. Sie konnte ihm doch nicht erzählen, dass es nicht nur Menschen gab, sondern auch noch Engel, Dämonen und wer weiß was noch?

„Ich bin also kein Mensch? Genauso wie Aenna und ihr wahrscheinlich auch?“, murmelte er und hob nur vorsichtig den Blick. Fraya setzte neu an, doch Caya drängte sich dazwischen und riss das Wort an sich.

„Meine Freundin hat es leider immer etwas eilig, tut mir leid. Aber sie sagt die Wahrheit, ihr seid keine Menschen. Was Aenna betrifft...ihre Eltern waren keine Menschen, deswegen ist sie auch keiner. Ihre Mutter war eine Heilige, ein Engel, der sich dazu bereit entschieden hat, auf der Erde zu leben. Ihr Vater hingegen ist ein Lebewesen aus der Unterwelt, aus Walhalla, und ist ein Dämon. Ihre Nachfolgin, Aenna, vereint das Blut der beiden in einem Körper. Sie ist in der Lage auf beide dieser speziellen DNAs in ihrem Blut zurückzugreifen. Sie ist deswegen ein wenig Charaktergespalten. Greift sie auf die Gene ihrer Mutter zurück, sind ihre Flügel weiß und sie wird zu einer liebenswürdigen und gefühlvollen Frau. Sie setzt alles daran andere zu beschützen und ich wünschte wirklich, sie wäre immer so. Doch in brenzligen Situationen kocht ihr Blut schnell mal. Einmal in Rage beruhigt sie sich nicht so schnell. Dank der DNA ihres Vaters kann sie verdammt gut kämpfen. Verletzungen kuriert sie flott aus. Sie lässt sich kaum noch etwas gefallen und ich weiß nicht, was ich davon halten soll...“
Caya verstummte und Fraya übernahm wieder das Wort.

„Es ist besser so, Caya. Sie war früher zu grün hinter den Ohren. Sie wusste nicht, wie es in der Welt zugeht. Jetzt weiß sie es und sie kommt prima zurecht. Ohne das Blut ihres Vaters würde sie noch immer hinter ihren falschen Freunden herrennen. Sie war so unglaublich dumm und naiv. Ich bin froh, dass sie so bedacht geworden ist.“
Schweigen breitete sich auf. Bastien hatte mit diesen Informationen zu kämpfen. Sollte das wirklich der Wahrheit entsprechen? War Aenna wirklich Engel und Dämon zugleich? Stöhnend rutschte er an dem Regal zu Boden.

„Und welche Rolle spiele ich jetzt bei dem Ganzen?“, knurrte er und sah die beiden an. Frayas Mundwinkel zuckten.

„Du, mein Lieber, bist ein sogenannter Guardian. Du hast Aennas Schicksal in den Händen.“
Bastien verstand kein Wort.

„Und was heißt das nun?“, brummte er.
Mitleidig ging Caya vor dem Mann in die Hocke.

„Wir wissen bereits, dass du mit Aenna auf dem Weg zu einer Beziehung bist. Diese Beziehung musst du nutzen, um auf sie aufzupassen. Du wirst dich entscheiden müssen, mit welcher Seite sie ihr Leben führen wird. Es ist ziemlich kompliziert aber ich versuche es so zu erklären, dass du es verstehst. Aenna kann nicht immer ein Mischling bleiben. Für eine Seite wird sie sich entscheiden müssen. Engel oder Dämon. Und jetzt kommst du ins Spiel. Du musst ihr in Zukunft bei dieser Entscheidung helfen. Du musst sie diskret dazu bringen, sich zu entscheiden.“
Bastien hatte die Schnauze voll. Mit einem Satz sprang er auf und brüllte die zwei Frauen an.

„Ihr meint das ernst, oder? Ihr verlangt ernsthaft von mir, dass ich euch glaube?“
Caya und Fraya tauschten besorgt einen Blick aus. Die Frau mit den blonden Haaren fasste den Mann an der Hand.

„Vielleicht solltest du nach Hause gehen und drüber schlafen?“, schlug sie leise vor.

„Ich habe da keine Zeit für, verdammt!“, brüllte er und schlug ihre Hand weg.
Fraya schritt ein und packte den Mann am Kragen.

„Jetzt hör mir mal zu, du Weichei! Aenna wird früher oder später den Verstand verlieren, wenn du keine Entscheidung triffst, also reiß dich gefälligst zusammen und akzeptiere dein Schicksal!“, schnauzte sie ihn an. Verblüfft hielt Bastien inne.

„Was soll das heißen, sie verliert den Verstand?“, hauchte er.
Fraya seufzte leise.

„Wir hatten eigentlich nicht vor dir davon zu erzählen aber was soll's.“, murmelte sie und verschränkte die Arme.

„Wie bereits gesagt, Aenna kann nicht immer ein Mischling bleiben. Irgendwann wird eine ihrer Hälften die Oberhand gewinnen wollen und das wird sie in den Ruin treiben. Aenna denkt ohnehin, sie sei nicht ganz richtig im Kopf, was soll denn dann passieren, wenn ihre zwei Hälften in einen schlimmen Konflikt geraten? Sie muss auf den richtigen Weg gebracht werden. Und was der richtige Weg ist, liegt ganz allein bei dir.“

Fassungslos ließ Bastien Kopf und Schulter hängen.

„Es gibt also kein drum herum, richtig?“, hauchte er.
Fraya nickte.

„Ist leider die einzige Möglichkeit.“
Bastien nickte, verzweifelt.

„Dann muss ich mich mit diesem Gedanken wohl anfreunden.“, hauchte er und ließ zu, dass Caya wieder seine Hand ergriff.

„Komm, wir gehen nach Hause.“, sagte sie leise und beruhigend.

„Und was soll ich jetzt tun?“, murmelte er geistesabwesend.

„Erst mal gar nichts.“, meldete Fraya sich wieder zu Wort. „Versuch, eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Sie muss dir vertrauen, sonst wird das nichts.“
Fraya marschierte einige Schritte voraus, worauf Caya und Bastien zurückfielen. Die Blondine lehnte sich zu dem Mann hinüber und zupfte ihm leicht am Ärmel.

„Solltest du versuchen wollen Aennas dämonische Hälfte auszustechen, dann musst du sie davon abhalten die Kontrolle zu verlieren.“, wisperte sie.
Bastien fasste sich an die Stirn.

„Lass gut sein, okay?“, fauchte er und stieß sie weg.
Schmollend trottete sie zu Fraya.

„Ich glaube, er kann uns nicht leiden.“, sagte sie leise und frustriert. Fraya schmunzelte.

„Spielt keine Rolle. Solange er Aenna leiden kann, ist alles im Lot.“
Mit blitzenden Augen sah sie über ihre Schulter.

Aenna ließ sich in ihr Bett fallen. Ihre Augen schlossen sich und sie konnte nicht verhindern, dass ihre Hand zwischen ihre Beine glitt. Erneut wallte Hitze in ihr auf. Als ob sie sich verbrannt hätte, zog sie die Hand weg.

„Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?“, murmelte sie und legte sich den Arm über die Augen. Langsam setzte sie sich auf, um dann in den Spiegel ihr gegenüber zu sehen. An ihrem Hals prangte ein dunkler, rot violetter Fleck. Aennas Fingerspitzen glitten darüber. Die Stelle war zwar empfindlich, tat aber nicht weh. Die junge Frau schüttelte wie wild den Kopf.

„Er hat mich...gefingert!“, keuchte sie entsetzt.
Eilig riss sie sich die Kleidung vom Leib, um dann unter die Dusche zu springen. Sie inspizierte ihren Körper und konnte kaum eine Veränderung ausmachen. Dennoch sah sie etwas. Ihre Brustwarzen waren rot und geschwollen und auch zwischen ihren Beinen hatte sich eine verdächtige, tiefrote Färbung zu erkennen gegeben. Ihr tat nichts weh, doch ihr Körper war wie elektrisiert. Die kleinste Berührung und sie erzitterte.

„Was mache ich nun?“, murmelte sie und ließ den Kopf gegen die Fliesen fallen. Sie konnte sich unmöglich darauf einlassen! Er wollte keine Beziehung und Gefühle hatte er sicher auch keine für sie. Aenna lächelte. Dennoch hatte sie für einen kurzen Moment die Führung übernommen. Sie hatte ihm erlaubt, Hand an sie zu legen. Nach dem duschen legte Aenna sich wieder in ihr Bett.
Einigermaßen zufrieden kuschelte sie sich in ihre Decke. Sie hatte tatsächlich angefangen Vertrauen zu Bastien zu fassen. Noch wusste sie nicht, ob sie das wirklich tun sollte. Höchstwahrscheinlich würde es sich als Fehler erweisen, doch nach einigen Überlegungen entschied sie, dass sie es herausfinden musste. Dieses Risiko würde sie eingehen müssen.
Es dauerte gut zehn Minuten, dann war sie eingeschlafen.

 

„Ist das richtig?“, murmelte Bastien und betrachtete die schlafende Frau. Mehrere Stunden lang hatte er sich den Kopf über das Ganze zerbrochen. Nun stand er in Aennas Schlafzimmer und musterte die Frau. Caya und Fraya standen hinter ihm. Die Dämonenfrau grinste diabolisch.

„Keine Sorge, wenn sie schläft kann sie nichts aufwecken.“
Bastien ging zum Bett und setzte sich auf dessen Kante.

„Kannst du sie sehen?“, flüsterte Caya und trat ein wenig dichter an Bastien.
Der Mann neigte den Kopf. Dieser Anblick überwältige ihn.

„Ja!“, hauchte er. „Sie ist wunderschön.“
Er betrachtete die riesigen Flügel, die weiß schimmerten und Aenna quer über die Matratze ausgebreitet hatte. Kein Wunder, dass sie ihm bei ihrer ersten Begegnung so ins Auge gefallen war. Sie hatte nicht nur ein engelsgleiches Gesicht, sie war ein Engel! Naja, zur Hälfte zumindest.

„Was wollen wir denn hier?“, murmelte er.

„Du müsstest in der Lage sein ihre Seele zu erkunden. Also, versuch es mal.“
Fraya stieß ihm gegen die Schulterm worauf er nach vorne gedrückt wurde und beinahe auf Aenna fiel.

„Und wie soll das gehen?“, knurrte er und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Fraya entblößte ihre spitzen Reißzähne.

„Sowas gehört leider nicht zu meinem Repertoir, du musst es also selbst herausfinden.“
Beim Anblick ihrer langen und spitzen Eckzähne erschauerte Bastien zwar, doch er sagte nichts dazu. Ein wenig überfordert richtete er seinen Blick wieder auf die schlummernde Frau. Ihre Seele erkunden? Wo saß denn die Seele eines Lebewesens? Im Herzen? Bastien hatte keine Ahnung, doch ohne sich von Caya und Fraya irritieren zu lassen, legte er Aenna die Hand zwischen die Brüste.

Er atmete tief ein und konzentrierte sich auf den kräftigen und gleichmäßigen Herzschlag unter seinen Fingern. Eins, zwei, Pause. Eins, zwei, Pause. Seine Hand wurde warm und fing an zu kribbeln, doch mehr passierte nicht.

„Nichts.“, hauchte er und sah kopfschüttelnd zu Fraya. Die neigte den Kopf.

„Dann versuch es eben auf einen anderen Weg. Caya und ich schauen uns in der Zeit etwas hier um.“
Die Frau packte ihre Freundin an der Hand und zog sie aus dem Schlafzimmer. Bastien atmete erleichtert auf. Die zwei machten ihn ganz verrückt, wenn sie so still hinter ihm standen. Vorsichtig ergriff er Aennas Hand. Dann beugte er sich vor und küsste sie auf die Stirn.

„Komm schon, Aenna.“, flüsterte er. „Zeig mir deine Seele:“
Aenna seufzte im Schlaf und regte sich ein wenig. Bastien blinzelte und plötzlich befand er sich in einem weißen Nichts. Hektisch sah er sich um, doch er konnte nichts und niemanden entdecken. Wie hatte er das gemacht? Und wo war er hier? Plötzlich verfärbte sich eine Hälfte des saalartigen Raums pechschwarz und Aenna tauchte direkt in der Mitte auf.

„Aenna.“, hauchte Bastien, doch anscheinend konnte sie ihn nicht hören. So wie es aussah konnte sie ihn nicht einmal sehen, sie starrte einfach in die Luft. Links, im weißen Teil tauchte noch eine Aenna auf. Jedoch mit Flügeln und einem wallenden Kleid. Rechts, in der schwarzen Hälfte, tauchte ebenfalls eine weitere Aenna auf, jedoch mit schwarzen Flügeln und Lederklamotten.
Ist das etwa ihre Seele?, fragte Bastien sich und beobachtete die Szene.

„Na, komm schon her, Kleine. Du hast doch genug davon immer das brave Mädchen zu spielen, oder nicht? Also warum sträubst du dich so sehr vor deinem wahren Ich?“
Die Worte kamen von der dämonischen Aenna, welche ein listiges Funkeln in den Augen hatte. Aenna, die in der Mitte, schloss die Augen und antwortete verbittert auf diese Worte.

„Auf keinen Fall! Du bist nicht mein wahres Ich. Du bist lediglich ein Teil von mir.“
Die himmlische Frau mischte sich ein.

„Komm zu mir, Aenna. Du weißt ganz genau, dass das dahinten nicht du bist. Du bist ein guter Mensch und das weißt du. Sie dahinten gehört nicht zu dir.“
Die wahre Aenna fauchte.

„So gut wie du tust, bist du nicht! Wärst du ein guter Mensch, würdest du mich selbst entscheiden lassen.“
Bastien schluckte.

„Du bist kein Mensch, Aenna.“, flüsterte er.
Nun erkannte er ihr wahres Wesen. Sie war mit sich selbst im Zwiespalt. Vielleicht schon ihr ganzes Leben lang? Was sollte er nun tun? Zu ihr gehen und versuchen, Kontakt mit ihr aufzunehmen? Er beschloss, es zu riskieren. Seine Schritte verursachten nicht das kleinste Geräusch als er zu ihr ging. Nach wenigen Augenblicken stand er schließlich vor ihr, doch sie schien durch ihn hindurchzusehen..

„Aenna.“, sagte er leise und ergriff ihre Hand. Sie neigte den Kopf und ihre Augen verengten sich.

„Bastien.“, stellte sie irritiert fest und musterte ihn.

„Was hat das zu bedeuten?“, murmelte sie und ließ den Blick schweifen.

„Was hast du hier zu suchen, Bastien?“, hauchte sie dann.
Er zögerte. Was sollte er ihr sagen? Mit der Wahrheit konnte er nicht herausrücken, er musste sich also etwas anderes überlegen. Auch er sah sich um.

„Das scheint ein Traum zu sein. Ist die Frage, wessen Traum.“, murmelte er und richtete seinen Blick wieder auf Aenna.

„Wer sind diese beiden? Deine Zwillinge?“
Er schmunzelte, worauf Aenna beschämt den Blick senkte.

„Die beiden...sind ein Teil von mir. Glaube ich. Sie sind immer da und streiten sich. Sie...wollen anscheinend die Oberhand über mich gewinnen, aber ich weiß nicht wieso. Kannst du es mir sagen, Bastien?“
Bittend sah sie zu ihm auf. Der Mann hielt erneut inne. Er hätte es ihr sagen können, Caya und Fraya hatten es ihm ja erklärt. Doch Aenna durfte es nicht erfahren, also was nun?

„Warum streiten die beiden sich? Warum übernehmen sie nicht einfach beide einen kleinen Part? Warum für eines entscheiden, wenn man beides haben kann?“, erwiderte er.
Aenna senkte den Blick.

„Im Moment ist es tatsächlich so. Sie beide übernehmen einen Teil aber es genügt ihnen nicht. Sie wollen die komplette Kontrolle über mich. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte!“
Mitgefühl stieg in Bastien auf. Sie war wirklich verzweifelt und so langsam begriff er, warum sie irgendwann den Verstand verlieren würde. Es zerfraß sie regelrecht. Der Mann legte vorsichtig seine Hände an ihr Gesicht und beugte sich vor, um mit seinen Lippen ihre zu streifen.

„Hör auf dich selbst unter Druck zu setzen, Süße. Du bist eine starke und selbstbewusste Frau, die auch mitfühlend und sensibel ist. Du musst selbst entscheiden, wer du wirklich sein willst und du darfst dich nicht beeinflussen lassen.“
Tränen stiegen ihr in die Augen, was ihn nur noch mehr berührte.

„Aber sie hören nicht auf! Sie sind einfach nicht ruhig.“
Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf, weshalb der Mann sie in seine Arme zog.
Verdammt!, dachte er. Sie war jetzt schon völlig am Ende.

„Lass sie gefälligst los!“, brüllte ihre dämonische Hälfte. „Das hat sie nicht nötig!“
Auch ihre himmlische Hälfte sagte etwas, doch er verstand es kaum.

„Haltet die Schnauze! Alle beide!“, brüllte Bastien, worauf beide Frauen erschrocken einen Schritt zurück taumelten und vor sich hin schmollten. Auch Aenna in seinen Armen hatte sich erschrocken und sah ihn nun geschockt an. Mit einem Schlag war die Kulisse verschwunden und er saß wieder auf Aennas Bettkante. Die Frau starrte ihn an.

„Bastien? Was machst du hier?“, hauchte sie.
Der Mann hielt inne. Scheiße!

„Ich wollte dich sehen. Du hast vergessen die Tür zuzumachen, sie war offen.“, erklärte er leise.
Das er genau genommen hier eingebrochen war, behielt er für sich. Verwirrt neigte Aenna den Kopf.

„Die Tür war offen? Komisch, das ist mir ja noch nie passiert.“
Bastien beschloss, eilig das Thema zu wechseln.

„Hast du schlecht geschlafen?“, erkundigte er sich fürsorglich.
Sie schüttelte den Kopf und wirkte nun erst Recht benommen.

„Nein, nicht schlecht. Ich hatte nur einen komischen Traum und...du kamst auch drin vor.“, murmelte sie.

„Inwiefern komisch?“, bohrte er weiter nach.
Aenna setzte sich auf und sah ihn nachdenklich an.

„Es kam mir so vor, als hättest du mein Inneres erforscht. Du...hast mich irgendwie beschützt. Mehr kann ich dazu nicht sagen, tut mir leid...“, hauchte sie.
Bastien lächelte und neigte sich nach vorne, um ihre Stirn zu küssen.

„Du hast Recht, das war kein schlechter Traum.“
Erneut hielt er inne, dann sah er zur Tür.

„Ich wusste nicht, dass du schon schläfst. Soll ich wieder gehen?“
Schlagartig schüttelte sie den Kopf.

„Du...kannst gerne wieder hier übernachten, wenn du magst.“, nuschelte sie.
Der Mann schmunzelte. Nicht zu fassen wie süß sie sein konnte.

„Wenn dir das nichts ausmacht? Kann ich eben dein Bad benutzen?“
Er erhob sich, Aenna nickte.

„Mach nur.“, murmelte sie und sah ihm nach.

 

„Und?“
Neugierig sah Fraya ihn an. Bastien seufzte und sah über seine Schulter um sich zu vergewissern, dass Aenna nicht plötzlich hinter ihm stand.

„Sie ist kaputter als gedacht. Ich glaube wirklich, dass ich gut auf sie aufpassen muss. Ich werde die Nacht hier verbringen, dann sehen wir weiter.“
Caya und Fraya verabschiedeten sich wenig später von Bastien und verschwanden.

 

Aenna neigte verwirrt den Kopf. Was war hier eigentlich los? War sie wirklich so benommen gewesen, dass sie nicht einmal die Tür richtig zugemacht hatte? Naja, eigentlich ja nicht aber sie war wirklich total neben der Spur gewesen. Also war es durchaus möglich. Aber warum war Bastien hier einfach so reinmarschiert? Er sagte, er wollte sie sehen aber das klang lächerlich! Doch vielleicht war er einfach nur ehrlich gewesen und meinte wirklich das, was er gesagt hatte? Die Frau stierte die Tür auch weiterhin an. Und wieso zum Teufel hatte sie von ihm geträumt? Wenn das überhaupt ein Traum gewesen war. Die Kulisse in der sie sich befunden hatten, war ihr Inneres gewesen. Vielleicht ihr Herz oder ihre Seele. Ihre verschiedenen Charakterzüge hatten wie immer um sie gekämpft. Das verwirrende war jedoch, dass Bastien es geschafft hatte, die anderen zwei Frauen zum Schweigen zu bringen. Das Ganze hatte sich nicht wie ein Traum angefühlt, sondern wie die Realität. Doch das war unmöglich, oder? Die Tür ihres Schlafzimmers ging wieder auf und Bastien kam herein. Er blickte kurz in den Spiegel ihres Kleiderschrankes und sah sie dann stirnrunzelnd an. Aenna begriff sofort.

„Schau mal in meinen Schrank, da müssten noch ein paar Shirts von alten Schulkollegen liegen. Eines davon wird dir sicher passen.“, sagte sie hastig und senkte den Blick, während er ihren Schrank öffnete.

„Wieso sind solche Shirts noch in deinem Besitz?“, fragte er leise.
Aenna zuckte mit den Schultern.

„Ein paar Kollegen haben hin und wieder hier gepennt aber sie hielten es nicht für nötig ihren Krempel aufzuräumen, geschweige denn ihn mitzunehmen. Die meisten Sachen von ihnen habe ich behalten.“, erklärte sie leise. Mittlerweile stand der Mann in Shirt und Boxershorts vor ihr, nun kam er zu ihrem Bett und setzte sich.

„Alles okay? Du bist blass.“
Sie lächelte ihn schwach an.

„Alles bestens, keine Sorge. Du...kannst, wenn du willst mit mir in meinem Bett schlafen. Wär doch hart, wenn ich dich auf's Sofa schicken würde!“
Überrascht erwiderte Bastien ihren Blick.

„Ist das dein Ernst? Bist du dir sicher?“
Ihr Lächeln wurde breiter.

„Ja, ich bin mir sicher.“
Mit diesen Worten machte sie es sich mit ihrem Kissen bequem. Sie drehte sich zu Bastiens Seite und beobachtete ihn dabei, wie er ebenfalls unter ihre Decke kroch.

„Wer hätte gedacht, dass wir uns in so kurzer Zeit so nahe kommen?“, murmelte Aenna und schloss, irgendwie entspannt und zufrieden die Augen. Wie zufällig streiften sich ihre Hände.

„Hast du immer so kalte Hände?“, murmelte er.
Aenna murmelte etwas von schlechter Durchblutung, weshalb Bastien sie kurzerhand an seinen Körper zog.

„Was machst du?“, hauchte sie verwirrt.

„Dich wärmen.“, antwortete Bastien und war überrascht, wie selbstverständlich ihm das vorkam.

„Wenn dich das nicht stört...“, fügte er noch hinzu.

„N-Nein.“, stotterte Aenna und legte dem Mann die Hände auf die Brust.
Sie war überrascht als sie merkte, wie schnell sein Herz doch schlug. War er etwa aufgeregt?

„Dein Herz rast ja.“, sagte sie dann laut.

„Natürlich, das hier lässt mich ja auch nicht kalt.“, erwiderte er und es klang, als wäre er bereits im Halbschlaf. Aenna lächelte und sagte nichts mehr dazu. Die wohlige Wärme und die Geborgenheit die Bastien ihr vermittelte, ließ auch sie schnell einschlummern.

Caya und Fraya beobachteten die zwei schlafenden Gestalten in dem Bett. Kein Zweifel das diese beiden zusammen gehörten, man sah es sofort. Bastien hielt die Frau beschützend in den Armen und drückte sie instinktiv dichter an sich, wenn sie anfing unruhig zu werden.

„Ich fand deine Beschreibung ziemlich verwirrend.“, hauchte Caya und sah ihre Freundin eindringlich an. Diese schüttelte jedoch den Kopf.

„Ist es eigentlich nicht. Denk doch mal nach. Gemischtes Blut fließt durch ihre Adern und sorgt für zwei unterschiedliche Charaktere. Und diese zwei Charaktere versuchen in ihrer Seele, die alleinige Herrschaft über sie übernehmen. Klingt dich logisch, oder nicht? Aenna versucht sich nicht davon beeinflussen zu lassen, doch in manchen Momenten kommt eine Hälfte dann eben doch durch.“
Nachdenklich betrachtete sie Bastien, der schlafend völlig harmlos aussah.

„Von nun an ist es seine Aufgabe, Aenna zu beschützen und davon abzuhalten, auf wirklich dumme Gedanken zu kommen. Das merkwürdige ist...das es schon eine sehr enge Beziehung zwischen den beiden zu geben scheint. Dabei hatten sie gar keine Gelegenheit, diese aufzubauen. Es ist, als wären sie schon seit Jahren vertraut miteinander und ich frage mich, woher das kommt.“
Caya trat an ihre Seite und warf ihr einen kurzen, nachdenklichen Blick zu.

„Vielleicht rührt das daher, dass Bastien Zugang zu ihrer Seele hat? Würde Aenna ihm nicht vertrauen, hätte er nicht die kleinste Chance gehabt ihre Barrikaden zu überwinden.“
Fraya sah auf. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Sie musste Recht haben, daran lag es sicher.

„Dann hoffen wir, dass er nichts tut was Aenna verletzten könnte. Denn sonst hat er wirklich schlechte Karten.“, murmelte sie.
Caya ließ sich auf der anderen Seite des Bettes nieder.

„Nicht zu fassen, dass sie überhaupt noch in der Lage ist jemandem zu vertrauen, bei dem was sie durchgemacht hat.“
Nun versank auch die Dämonin in ihren Erinnerungen.

„Sie geht freiwillig immer wieder ein neues Risiko ein. Aber immer nur bei den Personen, bei denen sie ein gutes Gefühl hat. Sie will endlich jemanden haben auf den sie sich verlassen kann und das treibt sie dazu an, die Hoffnung nicht aufzugeben. Sie ist eine wirklich starke Frau und ich bewundere es, dass sie nicht so verbittert ist wie andere in ihrer Situation. Sie glaubt bei einzelnen Menschen nämlich immer noch an das Gute an ihnen.“
Fraya deutete mit dem Kopf auf die Tür.

„Lass uns verschwinden, Caya. Lassen wir die beiden in Ruhe und schauen in ein paar Tagen noch mal vorbei.“
Caya nickte und sie verschwanden.

 

__6__

 

Aenna schlug nur zaghaft die Augen auf. Ruhig und gleichmäßig atmete der Mann an ihrer Seite, weshalb sie davon ausging das er tief und fest schlief. Doch als sie den Kopf in den Nacken legte musste sie feststellen, dass er sie, scheinbar amüsiert beobachtete. Nahezu liebevoll sah er sie an.

„Guten Morgen.“, sagte er leise und lächelte.
Schüchtern erwiderte sie es.

„Morgen.“, hauchte sie und gähnte herzhaft.
Nun waren sie beide zwar wach, doch keiner von ihnen dachte daran sich aus der innigen Umarmung zu lösen. Aenna fühlte sich pudelwohl in der wohligen Wärme von Bastien.

„Hast du gut geschlafen?“, fragte er.
Die Frau grinste ihn an.

„Wie ein Stein. Ich hoffe, dir war es nicht zu unbequem?“, erwiderte sie.
Bastien drückte sie fester an sich und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel.

„Nicht im geringsten, Süße. Mit dir zusammen könnte ich den ganzen Tag lang im Bett verbringen.“
Aenna war solche Worte nicht gewohnt. Sie konnte deutlich spüren, wie sich die Hitze in ihrem Gesicht ausbreitete.

„Nein, wie süß, du wirst ja rot!“, lachte Bastien.
Aenna presste die Lippen zusammen und um ehrlich zu sein machten diese Sticheleien es nur viel schlimmer, doch sie wollte nichts erwidern. Nicht, dass sonst noch ein Spruch von ihm kam.

„Und was passiert, wenn ich...“
Er ließ den Satz offen in der Luft hängen und ließ stattdessen Taten sprechen. Mit den Händen griff er um sie herum, um sie dann auf ihren Hintern zu legen. Aenna stieß mit einem Mal die Luft aus ihren Lungen, ließ diese Handlung aber zu. Noch fester drückte er sie an sich, bis ihr Unterleib gegen seinen stieß. Bastiens Augen schlossen sich und er stieß ein wohliges Seufzen aus.

„Hast du eine Ahnung, wie gut du dich anfühlst?“, hauchte er und schmiegte sich an sie.

„Du hattest schon lange keine Frau mehr, hm?“, sagte sie leise, als sie etwas hartes an ihrem Unterleib spüre. Mit einem Schlag war Bastiens Gesicht wieder hart und ausdruckslos.

„Stimmt. Und eigentlich sollte das auch so bleiben.“

„Aber?“, hakte Aenna nach, als sie den eigenartigen Unterton in seiner Stimme wahrnahm.

„Aber dann kamst du.“, murmelte er und zog seine Hände von ihr weg.
Die Frau setzte sich auf und ergriff eine seiner Hände.

„Sieh mich an.“, verlangte sie in grobem Tonfall, worauf Bastien augenblicklich den Kopf hob.

„Wenn du auf nichts Festes aus bist, musst du mir das sagen. So, wie es gerade ist bin ich zufrieden. Und wenn du das auch bist, ist es gut.“, sagte sie nun leiser und auch rücksichtsvoll.
Bastien war irgendwie gerührt. Er wusste nur zu gut, dass sie sich wirklich eine feste Beziehung wünschte, doch wenn er das nicht wollte, würde sie nie ein Wort darüber verlieren. Sie würde einfach so mit ihm weitermachen, wie bisher auch. Bastien schluckte und rutschte an sie heran, dann umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und sah ihr eindringlich in die Augen.

„Ich will das hier.“, hauchte er und küsste sie kurz.

„Und das hier auch!“
Ein Kuss auf ihr Dekolleté folgte.

„Und das hier auch.“
Wieder griff er ihr an den Po, fester dieses Mal.

„Und auch weitaus mehr! Nur weiß ich nicht, ob ich zu einer Beziehung in der Lage bin. Ich mag dich ziemlich aber...mehr kann ich nicht sagen.“, schloss er ab und ließ seine Hände sinken.
Aenna griff wieder nach ihnen und legte sie dann um ihre Taille.

„Du kannst das alles haben, Bastien. Ich mag das! Es gefällt mir. Also sehe ich nichts, was gegen dieses körperliche Ding zwischen uns spricht.“
Aenna verschwieg wie aufgewühlt sie in Wirklichkeit war. Seit ihrem ersten Kuss schon hatte sie dieses flaue Gefühl im Magen und diese weichen Knie. Sie hatte schon gelesen, dass ein Kribbeln im Magen, permanente Gedanken um eine Person und auch weiche Knie zum Verliebtsein gehörten, doch es konnte unmöglich sein, dass sie sich nach so kurzer Zeit in diesen Mann verliebt hatte!
Erst recht nicht, wenn das Ganze nicht mal auf eine Beziehung hinauslief. Doch das eben hatte der Wahrheit entsprochen. Sie wollte von ihm berührt werden und gerne würde sie auch ihre Jungfräulichkeit an ihn verlieren, also warum nein sagen? Bastien überwältigte sie, indem er sich auf sie stürzte und stürmisch küsste.

„Du bist eine unglaubliche Frau, Aenna! Und ich verspreche dir, dass du es nicht bereuen wirst hierzu ja gesagt zu haben. Du kannst mir vertrauen!“, brachte er zwischen den Küssen hervor.
Ein kurzer Stich machte sich in Aennas Herzen bemerkbar.

„Du willst das ich dir vertraue, kannst mir aber nicht vertrauen? Logisch ist das nicht gerade.“, bemerkte sie, wenn auch nicht ganz so streng wie sie es eigentlich hatte sagen wollen. Doch sie wollte ihm keinen Vorwurf machen. Er hatte genauso viel erlebt wie sie und trotz der Tatsache das die beiden sich sehr ähnlich waren in vielen Dingen, ging er eben doch ganz anders mit der Sache um. Sie gab ihm Zeit und wer wusste schon, ob aus den beiden nicht doch irgendwann mal etwas werden würde? Denn eines stand fest, Aenna war bereits dabei sich in ihn zu verlieben.

„Ich weiß aber...bitte!“, hauchte er.
Aenna lächelte und küsste ihn liebevoll auf die Stirn.

„Keine Sorge, ich gebe mir Mühe, so wie du sicherlich auch.“
Nach diesen Worten ging es zwischen den beiden richtig zur Sache.
Sie ärgerten sich gegenseitig, lachten viel und bissen sich sogar, bis Aenna Bastien schließlich stöhnend unterlag und eine wahre Folter über sich ergehen lassen musste.
Mit den Fingern stimulierte er sie, drang gnadenlos kraftvoll mit dem Finger in sie ein und aus, bis sie kurz vor dem Höhepunkt stand. Und dann hörte er wieder auf, bis sie sich beruhigt hatte und er von neuem anfing.

„Genug!“, brüllte sie, stieß ihn zurück und setzte sich rittlings auf ihn drauf.

„Du hast mich genug gequält!“, hauchte sie und griff nach seinem Schwanz, der bereits hart war.

Langsam ließ sie sich auf ihm nieder. Immer tiefer ließ sie ihn eindringen, bis sie ihn schließlich ganz aufgenommen hatte. Beide stießen einen tiefen, kehligen Laut aus. Aenna musste feststellen, dass sich das Ganze als verdammt einfach herausgestellt hatte. Sie hatte nicht einmal Schmerzen und dabei hatte sie solche Angst davor gehabt. Sie genoss dieses Gefühl. In diesem Moment gab sie den Ton an und vielleicht war das auch ganz gut so. Schließlich hatte sie keinerlei Erfahrung. Doch von diesem Moment an, war sie keine Jungfrau mehr.
Auch Bastien war beeindruckt. Das sie sich mal eben so auf ihn gesetzt hatte war schon überraschend gewesen, doch dass sie ihn auch noch einfach so eindringen ließ, machte ihn sprachlos. Doch augenblicklich überkamen Aenna massenhaft Zweifel. Was sollte sie nun tun? Wie war sie überhaupt auf diese Idee gekommen?

„Du musst mir helfen.“, sagte sie leise und legte ihm die Hände auf die Brust, welche sich hektisch hob und sank. Bastien nickte leicht und legte seine Hände dann an ihren Hintern. Langsam hob er sie hoch.

„Beweg dich.“, sagte er leise und half ihr dabei, einen gleichmäßigen Rhythmus zu finden.
Langsam glitt Aenna auf und ab. Es fühlte sich komisch an, wie sie gedehnt wurde und sich dann wieder alles zusammen zog. Doch...es gefiel ihr! Sie beschloss nicht weiter nachzudenken und ließ sich von den Wellen davontragen...

Nachdem Aenna aufgewacht war, konnte sie nicht anders als sich aus Bastiens Umarmung zu lösen, aufzustehen und quer durchs Zimmer zu laufen. Oh, sie bereute es keineswegs diesen Schritt gegangen zu sein, doch was hatte sie nur dazu getrieben? Nachdenklich betrachtete Aenna den schlafenden Mann. Was er nun wohl von ihr dachte?
Ihr erstes Mal war wunderschön gewesen! Die ganze Zeit über hatten sie sich in die Augen gesehen. Das Problem war nur, dass Aenna nichts in Bastiens Augen hatte erkennen können. Völlig ausdruckslos hatte er sie die ganze Zeit über beobachtet. Warum nur war das so gewesen? War das lediglich ein Schutz, hinter dem er sich zu verbergen versuchte? Oder hatte ihm das Ganze einfach nichts bedeutet? Zärtlich hatte sie ihm die Hand an die Wange gelegt und ihm gesagt, er solle mal mehr Gefühle zeigen. Doch dazu hatte er geschwiegen. Warum hielt er sie so innig in seinen Armen, wenn er in seinen Augen nicht einmal das kleinste Gefühl erkennen ließ?
Mit ihm stimmt genauso wenig etwas, wie mit mir., dachte sie deprimiert lächelnd und begann, sich anzuziehen. Und was nun? Sah ganz so aus, als wäre er eine richtige Schlafmütze.

„Worauf habe ich mich bloß eingelassen?“, flüsterte sie und horchte einen Moment lang auf ihr Inneres, wo ihr Herz wie wild klopfte und sich einfach nicht beruhigen wollte.

„Bereust du es?“
Mit einem Schlag starrte Bastien sie an.
Gott, wie peinlich!, dachte sie. Er hat mich sicher die ganze Zeit gehört.

„Nein!“, antwortete sie selbstbewusst und lächelte ihn an.

„Warum hüpfst du dann so aufgeregt hier herum?“, fragte der Mann leise und setzte sich auf.
Ein Ziehen machte sich in Aennas Unterleib breit. Bastien war noch immer nackt und so verschlafen sah er ausgesprochen sexy aus. Dadurch wurde ihre Libido wieder zum Leben erweckt.

„Ich hab noch nicht so ganz realisiert, was passiert ist.“, murmelte sie und lachte nervös.
Der Mann schmunzelte, sagte aber nichts mehr dazu. Aenna wandte den Blick ab. Irgendwie war ihr dieser Moment total peinlich.

„Aenna.“
Sie zuckte zusammen und richtete ihren Blick nur zögerlich auf Bastien. Vollkommen ernst sah er sie an.

„Nimmst du die Pille?“
Wie ein Peitschenhieb schlug sein Tonfall ihr ins Fleisch. Einen Moment lang war sie wie erstarrt und brachte keinen Ton heraus, dann nickte sie.

„J-Ja.“, stammelte sie.

„Gut.“, kam es von Bastien zurück.
Mit einem Schlag wurde es Aenna klar. Sie hatten kein Kondom benutzt!

„Wir hätten vorher darüber reden müssen.“, nuschelte sie, nun noch beschämter.
Bastien nickte zwar, einen Moment lang lächelte er aber.

„Keine Sorge, ich habe keine Krankheiten. Und solange du die Pille nimmst, ist alles in Ordnung.“
Die junge Frau spürte, wie sich die Hitze in ihrem Gesicht ausbreitete. Wäre sie nicht so verdammt voreilig gewesen, hätten sie sicher noch einmal darüber sprechen können. Während Aenna vor sich hin ins Leere starrte, stieg Bastien aus dem Bett und ging zu ihr, um ihr dann in einer zärtlichen Geste über den Kopf zu streichen.

„Hey, mach dir keine Gedanken mehr. Ist doch alles noch mal gut gegangen.“, sagte er leise.

„Warum nimmst du überhaupt die Pille, wenn du doch noch nie einen Freund hattest?“, fragte er dann. Aenna verschränkte die Arme und versuchte, den Mann nicht anzustarren.

„Medizinische Gründe.“, war alles, was sie dazu sagte.
Vor ein paar Jahren litt sie unter einer Zyste am Eierstock, die entfernt werden musste. Und damit so etwas nicht noch einmal passierte, wurde ihr die Pille verschrieben. Sprich, eigentlich hätte Aenna die Pille noch gar nicht. Der Zyste sei Dank also! Froh darüber war sie dennoch nicht. Wie hatte sie nur so blöd sein können? Ein wenig feindselig sah sie zu dem Mann auf.

„Warum hast du denn nichts gesagt?“
Er zuckte mit den Schultern.

„Für gewöhnlich benutze ich nur Kondome, wenn ich mit fremden Frauen schlafe. Bei meinen Freundinnen hab ich demnach also nie welche benutzt.“, erklärte er.
Aenna zog die Brauen hoch.

„Dir ist aber schon klar, dass ich nicht deine Freundin bin?“
Verschmitzt grinste Bastien sie an.

„Bei dir brauche ich mir keine Sorgen zu machen, Kleines. Ich bin schließlich der erste der dich so sieht und berührt.“
Die Frau seufzte leise.

„Auch wieder wahr.“

„Dann wäre das ja geklärt. Wenn wir es treiben, benutzen wir keine Kondome.“, lachte der Mann.
Aennas Stirn legte sich in Falten.

„Wer sagt denn, dass wir es noch einmal treiben?“, trällerte sie.
Für einen kurzen Moment entglitten Bastien die Gesichtszüge, dann fing er schallend an zu lachen.

„Ach komm, du fandest das doch genauso geil wie ich.“
Er zog sie in seine Arme und wieder einmal stieg ihr die Schamesröte ins Gesicht.

„Das hat damit aber nichts zutun.“, nuschelte sie, selbst nicht einmal überzeugt.

„Sieh mich an, Mistvieh!“
Mit einem Mal war sein Tonfall wieder ganz ernst. Aenna legte den Kopf in den Nacken und sah ihm in die Augen.

„Wenn du das nicht willst, dann sag es. Ansonsten sehe ich nichts, was dagegen sprechen würde.“
Aenna nickte.

„Du hast ja Recht. Ich will es ja aber mein Verstand will mir weismachen, dass du mich sowieso bald wieder fallen lässt.“, murmelte sie. Normalerweise war sie nicht so ängstlich. Sie hasste es, dass sie so unerfahren war. Bastien grinste sie an und küsste dann ihren Hals.

„Vergiss es, Kurze! Dich behalte ich. Du bist einfach zu knuffig.“
Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet, doch sie ließ das unkommentiert. Nicht, dass sie es sich wieder anders überlegte. Meinte er das denn ernst?
Oder wollte er sie nur auf die Schippe nehmen? Fakt war, dass er es schaffte sie völlig durcheinander zu bringen. Und das gefiel ihr nicht im Geringsten! Doch sie konnte nicht anders, sie musste sich einfach darauf einlassen. Bastien hielt inne als er sah, wie sich Aennas schemenhafte weiße Flügel tiefschwarz verfärbten. Mit einem tödlichen Blick sah die Frau zu ihm auf.

„Ich warne dich, Bastien. Solltest du auf die Idee kommen mich zu verarschen, solltest du besser um dein Leben rennen!“, hauchte sie.
Oh, Bastien zweifelte kein bisschen daran, dass Aenna ihre Drohung wahr machen würde. Eine Frage stellte er sich jedoch. Wenn sie in Wirklichkeit gar kein Mensch war, sondern eine Mischung aus Engel und Dämon, hatte sie dann auch Fähigkeiten die ihm zum Verhängnis werden konnten? Von Vampiren und Werwölfen und all diesen anderen Wesen hieß es ja auch immer, dass sie darauf aus waren Menschen zu töten. Also warum sollte das bei Aenna anders sein? Allem voran wegen ihrer dämonischen Abstammung.

„Keine Sorge.“, erwiderte er nun endlich. „Das ist nicht meine Absicht.“
Bastien sah ihr in die Augen und wusste sofort, dass sie ihm nichts antun würde, auch wenn sie konnte. Das galt natürlich nur solange, wie Bastien sie auch gut behandelte. Nach dieser Antwort waren Aennas Schwingen wieder weiß.

„Ich hoffe es.“, murmelte sie und lehnte sich an ihn.

„Was ist das Ganze hier eigentlich?“, fragte sie dann und legte den Kopf zurück in den Nacken. Der Mann zuckte mit den Schultern.

„Naja...meine Freundin bist du zwar nicht aber dafür meine Geliebte.“
Aennas Augen verengten sich.

„Ein schönerer Begriff ist dir nicht eingefallen, oder? Das klingt echt scheiße.“
Der Mann seufzte leise.

„Warum muss man das überhaupt benennen? Solange wir wissen, was wir aneinander haben ist doch alles in Ordnung.“
Aenna schwieg. Irgendwie hatte er ja Recht. Man musste nicht für alles einen Namen haben. Dennoch hätte sie dem Ganzen gerne einen Namen gegeben, damit sie wusste worauf sie stolz sein konnte. Bastien bemerkte ihre gedankliche Abwesenheit, weshalb er sie zwang ihn anzusehen.

„Hey, zerbrich dir nicht unnötig den Kopf darüber, okay? Genieß es einfach.“
Innerlich seufzte sie zwar, doch sie nickte. Der hatte leicht reden. Sie hatte keinerlei Erfahrung und war auf eine Beziehung aus. Er war das komplette Gegenteil. Wie sollte sie etwas ohne nachzudenken genießen, wenn keiner sagen konnte ob das nicht ein böses Ende nahm?
Wie gerne hätte sie jemanden gehabt, dem sie davon berichten konnte, den sie um Rat fragen konnte. Doch sie vertraute kenem, wie sollte sie da also jemanden um einen Rat bitten?

„Dann werde ich es genießen.“, murmelte sie und behielt ihre Ängste und Zweifel für sich.

 

 

 

__7__

 

„Und? Wie geht es voran?“
Ein halbes Jahr später saßen Caya und Fraya auf Bastiens Sofa und sahen den Mann gespannt an.
Nachdenklich und auch ein wenig verträumt blickte Bastien in sein Schlafzimmer, wo Aenna noch seelenruhig schlief.

„Wir wissen mittlerweile so viel voneinander.“, murmelte er, jedoch mehr zu sich selbst als zu den zwei Frauen.

„Hast du dich schon entschieden?“, kam Fraya sogleich zur Sache.

„Nein.“, antwortete der Mann klipp und klar. Er entschied über jemand anderes Leben, solch eine Entscheidung traf man doch nicht nur innerhalb eines halben Jahres!
Frayas Augen verengten sich.

„So langsam solltest du mal in die Pötte kommen. Hast du mal wieder einen Blick auf ihre Seele geworfen? Du solltest wissen, dass wir ihre Seele jederzeit ohne Probleme erkennen können. Und um ehrlich zu sein, sieht es ziemlich schlimm aus.“
Bastien schluckte bei diesen Worten. Er hatte es die ganze Zeit geahnt, doch er hatte sich nicht getraut noch einmal einen Blick auf ihre Seele zu werfen. Zu groß war die Angst, dass sie schon wahnsinnig sein konnte. Doch sie verhielt sich so wie immer, also schien alles in Ordnung zu sein. Hoffte er zumindest.

„Woher soll ich denn wissen, was gut für sie ist?“, murmelte er und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Caya konnte ihn verstehen. Es war schon so viel Zeit vergangen, doch er hatte sich noch immer nicht mit der Situation abgefunden.

„Du musst auf dein Herz hören, Bastien. In dieser Angelegenheit gibt es niemanden den du um Rat fragen könntest. Zu welcher Seite tendierst du denn? Engel oder Dämon?“

Der Mann zuckte mit den Schultern. Er liebte Aennas Unerfahrenheit, doch genauso liebte er auch ihr Selbstbewusstsein, was sie gerne mal im Bett oder auch auf der Straße auslebte. Er konnte sich nicht entscheiden! Er liebte das Zusammenspiel ihrer beiden Hälften. Wieso nur würde sie dadurch den Verstand verlieren? Sie war doch gut so wie sie war! Es kam doch auf die richtige Mischung an, oder nicht?

„Was passiert eigentlich, wenn Aenna sich für eine Seite entschieden hat?“, fragte er leise.
Die zwei Frauen tauschten einen Blick miteinander aus. Der Mann konnte nicht sagen, was der wohl zu bedeuten hatte.

„Fraya und ich lassen dich in Ruhe und du und Aenna werdet möglicherweise ein Leben lang zusammen bleiben.“, murmelte Caya, alles andere als beruhigend.
Auf der Stirn des Mannes bildeten sich Falten.

„Im Sinne von...Mann und Frau oder einfach nur...wegen diesem Schicksal?“, hauchte er leise.
Fraya grinste zwar, doch Caya wandte den Blick von ihm ab.

„Das liegt ganz an dir. Lass dir gesagt sein, dass eine Beziehung zwischen euch nur funktioniert, wenn...“

„Bastien? Was ist hier los? Kaffeeklatsch?“

Drei Augenpaare richteten sich auf Aenna, die verdutzt die beiden Frauen in Augenschein nahm. Munter lächelten die beiden Aenna an, Bastien hingegen wurde blass. Fraya ergriff das Wort.

„Wir sind zwei alte Schulkolleginnen von Bastien und dachten uns, wir statten ihm mal wieder einen Besuch ab. Das hier ist Caya und ich bin Fraya, freut uns!“

Etwas perplex schlurfte Aenna ins Wohnzimmer, um sich dann neben Bastien zu setzen.

„Ähm...Ich bin Aenna. Es ist ziemlich früh.“
Die junge Frau erwartete keine Antwort, die zwei Frauen grinsten sie einfach frech an. Innerlich schob Bastien Panik, doch als ob nichts wäre legte er den Arm um Aenna. Fraya sah Bastien eindringlich an. Es dauerte nur wenige Sekunden, da vernahm der Mann ihre Stimme in seinem Kopf.

Keine Panik, Süßer! Außer dir kann keiner unsere Flügel oder unsere anderen „typischen“ Merkmale sehen. Auch Aenna nicht. Naja...noch nicht.

„Ihr zwei seid echt hübsch!“, riss Aenna plötzlich alle aus den Gedanken.
Die zwei Frauen ihr gegenüber blinzelten verwirrt. Caya wurde rot, Fraya grinste erneut. Beide bedankten sich jedoch. Die dämonische Frau ging gleich wieder in die Offensive.

„Und du, Aenna? Wer bist du?“, hauchte sie mit scharfer Zunge.
Für einen kurzen Moment legte sich eine leichte Röte auf Aennas Wangen. Auch ihr Blick war für einen Sekundenbruchteil hilflos. Doch dann schien sie sich eine Maske aufzusetzen. Eiskalt blickte sie Fraya in die Augen.

„Ich bin eine sehr enge Freundin von Bastien.“, war alles, was sie dazu sagte.
Sie behielt für sich, dass der Mann uns sie eine Affäre miteinander hatten. Naja, eigentlich war es nicht einmal eine Affäre. Es waren nämlich Gefühle mit im Spiel...
Die Frau funkelte sie amüsiert an, fing aber dann einen Plausch mit Bastien an. Aus diesem Grund widmete Aenna sich auch ihren Gedanken. Ein halbes Jahr war vergangen und Aenna hatte das Gefühl, dass Bastien und sie noch immer keinen Schritt weiter waren. Er wusste ganz genau, dass sie auf eine Beziehung aus war, doch genauso gut wusste sie, dass er dazu nicht so schnell kommen würde. Und das, obwohl schon so viel Zeit vergangen war. Mittlerweile hatte Aenna akzeptiert, dass sie ihn liebte. Allerdings hatte sie keine Ahnung, ob er diese Gefühle erwiderte. Ein einziges Mal hatte sie ihn darauf angesprochen. Ihn gefragt, ob sie denn überhaupt weiterkämen. Verblüfft hatte er reagiert. Sie perplex angesehen und gesagt, dass er an der jetzigen Situation eigentlich nicht vorhatte etwas zu verändern. Wie nicht anders erwartet hatte sie bei diesen Worten einen schmerzhaften Stich verspürt. Doch dazu hatte er noch etwas gesagt. Nämlich das er durchaus glaubte, dass sie weitergekommen seien. Darauf hatte Aenna dann doch aufgeatmet.

„Wie sehr magst du mich überhaupt? Ich kann das kein bisschen einschätzen.“
Auch das hatte sie ihm an den Kopf geworfen. Bastien hatte darauf mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass er sie ziemlich mochte, da er sich sonst nicht an ihr „austoben“ würde. Aenna war frustriert gewesen. Wenn sie das Wort ziemlich benutzen würde, meinte sie damit ihr Verliebtsein. Doch wer wusste schon, ob die Definition bei Bastien die Gleiche war? Vielleicht meinte er mit ziemlich auch einfach nur ziemlich? Wenn Aenna eines gelernt hatte, dann dass Männer alles so meinten, wie sie es sagten. Hinter ihren Worten versteckten sich nicht noch welche, so wie häufig bei Frauen. War die Frage, ob Bastien auch zu diesen Männern gehörte. Im hinteren Teil ihres Herzens hoffte Aenna, dass Bastien sie auch liebte und sich nur einfach noch nicht eingestehen wollte. Oder konnte, das spielte keine Rolle. Doch noch immer hatte sie Angst davor, dass er sie von einem Tag auf den anderen abservieren würde. Auch wenn er gesagt hatte, dass er sie behielt. Allerdings hatte diese komplizierte Beziehung zwischen ihnen auch Vorteile. Immer wieder sagte Bastien ihr, wie hübsch er sie fand. Aenna hatte ihm immer widersprochen, doch insgeheim glaubte sie ihm! Sie fühlte sich selbstbewusster als je zuvor und sie fühlte sich auch hübsch! Sie machte sich keine Gedanken mehr darum hässlicher zu sein als andere, so wie früher. Insgeheim war sie diesem Mann dankbar dafür, dass er ihrem Selbstbewusstsein so sehr auf die Sprünge geholfen hatte. Und auch ihrer Seele tat das gut. Sie schminkte sich inzwischen sogar und das hatte sie vorher nie großartig getan.
Unbewusst lehnte sie sich während ihrer Grübeleien an Bastiens Schulter, worauf der sie automatisch fester in seine Arme schloss. Ein verträumtes Lächeln hatte sich auf Aennas Lippen gelegt, weshalb Fraya sie amüsiert beobachtete. Zugleich war sie aber auch besorgt.
Hatte der Mann auch nur eine Ahnung, was er mit dieser Frau alles anstellen konnte? Oder besser gesagt, was er schon alles mit ihr angestellt hatte.

„Alles okay, Aenna?“, sagte sie also laut. „Du siehst irgendwie verliebt aus.“
Die junge Frau zuckte zusammen und anhand ihrer plötzlich roten Wangen war zu erkennen, dass sie sich ertappt fühlte.

„Oh, nein. Keinesfalls! Ich bin momentan nur irgendwie glücklich, deswegen starre ich gerne mal verträumt Löcher in die Luft.“, erklärte sie, offensichtlich ein wenig verunsichert. Bastiens Blick, der sich auf sie richtete verunsicherte sie noch mehr. Um ehrlich zu sein wusste sie selbst nicht, was sie da für einen Schwachsinn von sich gab, doch nach einigen Augenblicken in denen sie genauer darüber nachgedacht hatte wurde ihr klar, das es stimmte! Sie war glücklich und das schon nur, wenn sie lediglich ihre Zeit bei Bastien und in dessen Armen verbringen durfte. Sie liebte so vieles an ihm. Seine Küsse, die sowohl fordernd als auch liebevoll sanft sein konnten, seine Arme die sie grob oder sanft umschließen konnten. Nicht zu vergessen seine Hände, die sie vor Glück schreien lassen konnten.

„Du bist glücklich?“, hakte der Mann neben ihr irritiert nach. Mit ihren riesigen und traumhaften Augen sah Aenna zu ihm auf.

„Wenn ich genauer darüber nachdenke, ja.“, sagte sie leise, in der Hoffnung die zwei Frauen ihr gegenüber würden nicht all zu viel von dem Gespräch mitbekommen.

„Warum?“, murmelte Bastien.

„Was genau ist an der jetzigen Situation so besonders, dass du glaubst glücklich zu sein?“
Noch bevor Aenna darauf antworten konnte, meldete Caya sich zu Wort.

„Sollten wir besser gehen?“, fragte sie leise.

„Ja!“, knurrte Bastien.

„Nein!“, rief Aenna bestürzt. Beide ihre Stimmen ertönten gleichzeitig.
Die zwei tauschten einen Blick aus, doch keiner musste mehr ein Wort sagen. Fraya erhob sich und riss ihre Freundin gleich am Kragen mit hoch.

„Alles klar, wir sehen uns.“, sagte die Dämonin noch ausdruckslos, dann waren die zwei Frauen auch schon zur Tür hinaus. Nur zaghaft hob Aenna wieder den Blick. Mit undurchdringlicher Miene sah er ihr in die Augen. Dennoch war dieses fragende Glitzern in seinen blassgrünen Augen zu erkennen. Aenna überlegte ganz genau, ob sie die Worte aussprechen sollte die ihr durch den Kopf gingen. Sie wusste nämlich ganz genau, dass er schnell mal was falsch aufschnappte. So vieles hatte sie in ihrem Leben gelernt. Unter anderem, dass man auch mal etwas riskieren musste um das zu bekommen, worauf man es abgesehen hatte. Wie hieß es doch so schön, wer nicht spielt, kann auch nicht gewinnen. Das galt erst Recht, wenn es das Herz eines Menschen betraf. Aenna hatte einen Teil von Bastiens wahrem Wesen schon erkannt. Er war nicht in der Lage noch einmal etwa zu riskieren. Zu groß war die Angst davor, wieder etwas oder jemanden zu verlieren. Die junge Frau beschloss, wahrheitsgemäß zu antworten. Ein wenig verträumt und doch selbstbewusst ergriff sie seine großen Hände.

„Es macht mich schon glücklich, nur in deiner Nähe zu sein. Erst recht, wenn du mich näher an dich heran lässt. Ich dachte, das hättest du schon gemerkt?“
Hoffnungsvoll blickte sie ihm in die Augen. Er musste zugeben, dass er ein wenig überfordert war. Solange da diese Sache war, mit ihrem wahren Wesen und so weiter, konnte er sich nicht richtig auf Aenna konzentrieren. Zumindest nicht so, wie er es gerne würde. Ja, er wollte eine Beziehung, das stand gar nicht erst zur Debatte! Doch daran konnte er momentan nicht denken. Zu wichtig war die Tatsache, dass sie langsam aber sicher wahnsinnig wurde. Was hatte Caya gesagt? Das ein Leben zusammen nur möglich wäre, wenn Aenna sich für eine Seite entschieden hatte? Naja, das genau hatte sie nicht gesagt, doch er konnte es sich denken. Das war doch der ausschlaggebende Punkt, oder nicht? Es würde einfach nicht möglich sein. Nicht, solange nicht alles geklärt war. Bastiens Blick trübte sich und allmählich holten ihn seine Zweifel doch ein. Was, wenn Caya und Fraya gar nicht so unschuldig waren, wie sie vorgaben zu sein? Konnte er den beiden überhaupt wirklich vertrauen? Vielleicht war alles nur ein Trick und Bastien selbst wäre am Ende der Gearschte? Er hatte das schließlich schon oft genug in seinem Leben erlebt. Was, wenn die Lösung in Wirklichkeit eine ganz andere war? Und dazu noch eine ganz einfache?

Er betrachtete die kleine Frau, die noch immer seine Hände hielt und diese auch scheinbar nicht loslassen wollte. Was, wenn sie nur eine Kleinigkeit in ihrem Leben benötigte? Etwas, das eigentlich jeder Mensch besaß? Aennas Geschichten zufolge gab es oft etwas, das in ihrem Leben massiv gefehlt hatte. Nämlich Liebe! Sie tat es immer mit einem Schulterzucken ab, doch inzwischen wusste er, dass das Fehlen von Liebe und Zuneigung sie so dermaßen geprägt hatte.
Er vermutete, dass vor ein paar Jahren etwas in ihrem Leben passiert war.
Vielleicht hatte es sogar mit ihren Eltern zutun? Über die hatte sie bisher nämlich noch nicht gesprochen. Also, was war los in ihrem Leben? Und warum hatte Bastien sich bisher so wenige Gedanken darüber gemacht? Überhaupt war ihm da etwas aufgefallen. Er machte ihr oft Komplimente. Sagte ihr, dass sie hübsch war und wenn sie nackt war, stundenlang betrachten könnte. Sie widersprach ihm immer und wurde dabei leicht rot, doch es tat ihr definitiv gut!
Sie hatte angefangen sich ausgiebig zu schminken, was sie eigentlich nicht nötig hatte und sie ging noch aufrechter durch die Welt, als sonst. Wenn das überhaupt noch möglich war, hieß es!
Sie war ja so schon verdammt selbstbewusst, doch jetzt würde das nichts und niemand mehr toppen können. Und auch wenn sie noch mal rot wurde oder man sie verlegen machte, dies änderte nichts mehr an ihrer Stärke.
Ohne Vorwarnung umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie. Erst stürmisch und ohne Hemmungen, dann zärtlich und vorsichtig, so als würde er es bereuen so grob gewesen zu sein. Aenna war überrumpelt von dieser Reaktion, hielt ihn aber nicht von der Tat ab.

„Wofür war der?“, wollte sie fragen, doch er ließ sie gar nicht zu Wort kommen.

„Es freut mich, dass du glücklich bist, Kleines! Wirklich! Und wenn es etwas gibt, das dich stört dann zögere nicht und sag es mir. Ich werde es ändern!“
Aennas Herz zog sich zusammen. Wie konnte er das nur sagen? Wieso war er so darauf fixiert, ihr alles recht zu machen? Er musste doch auch mal an sich denken!
Wie gerne hätte sie ihm die Wahrheit gesagt...Ihm gesagt, was sie stört. Zum Beispiel, dass er sich nicht immer vor ihr zurückziehen sollte. Das er ihr auch mal seine Gedanken mitteilen sollte und seine Gefühle. Doch dann wäre es vorbei, dessen war sie sich sicher. Jede Kleinigkeit konnte zu viel sein, dass wusste sie von sich selbst nur zu gut! Sie hatte Bastien einmal geschworen ihn niemals zu belügen und bisher war ihr das auch gelungen. Sie wollte und würde nicht einmal eine Notlüge für ihn erfinden, Das wäre völlig gegen ihre Moral!

„Daran habe ich keinen Zweifel!“, hauchte sie also lediglich und begann ebenfalls einen Kuss.
Sie durfte seine Gefühle auf keinen Fall mit ins Spiel bringen, dann sprach er nämlich gar nicht mehr mit ihr. Diese Erfahrung hatte sie mit ihm leider auch schon einige Male gemacht. Von nun an wechselten die beiden kein Wort mehr miteinander.
Sie rissen sich geradezu die Kleider vom Leib und stolperten ins Schlafzimmer, wo Bastien Aenna hochhob und sie auf's Bett schmiss. Mehr als zufrieden über den Anblick der sich ihm bot, stieß er ein tiefes Knurren aus.

„Wie ich diesen Anblick liebe!“
Die Frau krümmte mehrmals den Finger, damit Bastien zu ihr kam. Genau das ließ der Mann sich natürlich nicht zweimal sagen.
Wie sehr ich dich liebe..., dachte Aenna ein wenig deprimiert. Wie gerne sie ihre Gedanken doch laut ausgesprochen hätte! Doch sie musste geduldig sein.
Ungeduldig drängte sie sich an ihn. Er war immer so schön warm! Bastiens Finger glitten bereits tiefer, doch blitzschnell ergriff Aenna seine Hand und schob sie wieder hoch.

„Oh nein, mein Freund! Dieses Mal wirst du mir unterlegen sein!“, hauchte sie mit rauchiger Stimme. Etwas irritiert ließ Bastien sich zurück schieben.
Aenna hatte bisher nie groß Erfahrung in solchen Dingen gemacht und genau deswegen hatte Bastien immer die Führung beim Sex und dem ganzen Drumherum übernommen. Das sie nun in die Offensive ging, verwirrte ihn.

„Mach die Augen zu!“, befahl sie ihm lächelnd. „Und nicht wieder aufmachen.“
Bastien hasste es, wenn man ihm Befehle gab. Und so richtig vertrauen konnte er auch nicht. Doch in diesem Moment würde er es wohl riskieren müssen. Nur zögernd schloss er die Augen.

„Wenn du sie auf machst, verbinde ich sie dir, also benimm dich.“, hauchte sie und grinste ihn verschwörerisch an. Beunruhigt hielt er inne. Was hatte sie vor?
Nachdem Aenna glaubte er würde nicht schummeln, strich sie mit ihren Fingerspitzen über seine Brust. Bereits jetzt erschauerte er, was ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
Er war wir Wachs in ihren Händen. Sie kostete diesen Moment voll und ganz aus, weswegen sie ohne Umschweife fortfuhr. Langsam, um Bastien zu quälen, ließ sie ihre Hände tiefer wandern.
Richtung Bauchnabel, über seinen Glückspfad, bis hin zu seinem Schwanz.
Bastien konnte es sich nicht verkneifen und öffnete seine Augen ein Stück. Ausgiebig betrachtete er sie. Hell leuchteten ihre schemenhaften Flügel auf. Sie bemerkte nicht wie sehr er sie mit seinen Blicken fixierte und das, obwohl sie ihn noch ermahnt hatte, die Augen bloß nicht zu öffnen.
Er schmunzelte. Sie war so vertieft in ihr Tun, dass sie wirklich nichts mitbekam. So sehr er den Anblick auch genoss der sich ihm bot, doch er konnte nicht anders als ein tiefes Grollen auszustoßen, als Aenna seinen Schwanz in den Mund nahm. Für einen kurzen Moment ließ die Frau von ihm ab, jedoch nur um ein leises Laches hören zu lassen. Augenblicklich konzentrierte sie sich wieder auf ihre Aufgabe. Sie schien es zu genießen Macht über ihn zu haben, Bastien erkannte es an ihren Augen. Dennoch merkte er an ihren Händen, wie unsicher sie sich noch war. Eine Hand hatte sie regungslos neben sich abgelegt, mit der anderen umfasste sie sein Glied. Wieder kam er nicht drum herum einen animalischen Laut von sich zu geben.

„Gott, ich liebe deine Zunge.“, murmelte er und fuhr sich, fast schon verzweifelt mit der Hand durch sein Haar. Bastien ahnte, dass Aenna ihn nun ansah, vorsorglich hatte er seine Augen also wieder geschlossen. Für einen kurzen Augenblick hielt Aenna inne.

„Ich weiß ganz genau das du mich beobachtest, Bastien.“, hauchte sie tadelnd.
Frech grinste Bastien sie an. Zu gerne hätte er nun nach seiner Bestrafung gefragt, doch er verkniff es sich. Aennas Augen verengten sich, doch ihre Lippen umschlossen ihn erneut.
Ihre Mundwinkel zuckten. Sie leckte, saugte und liebkoste ihn, bis er tief in ihren Mund stieß. Sie sah bereits, wie er anfing sich zu verkramfen und genau deswegen hörte sie auf. Leise lachend lehnte Aenna sich zurück. Schlagartig schlug der Mann die Augen auf.

„Du kannst doch jetzt nicht einfach aufhören!“, keuchte er.

„Du siehst doch, das ich es kann.“, provozierte sie ihn grinsend.
In Bastiens Augen trat ein undefinierbarer Ausdruck, der Aenna um ehrlich zu sein ein wenig Angst einjagte. Ein animalisches Knurren stieg in seiner Kehle auf, als er sich aufrichtete, sie packte und in Position brachte. Das alles ging so schnell, dass Aenna aufschrie als Bastien von hinten tief und rücksichtslos in sie stieß.

„Das hast du dir selbst zuzuschreiben, Süße.“, hauchte er ihr ins Ohr.
Die Frau stieß mit jedem seiner Stöße ein lautes Stöhnen aus. Doch es dauerte nicht lange, da kam er zum Stillstand.

„Verzeihung.“, flüsterte er plötzlich und bedeckte ihren Rücken mit vielen kleinen Küssen.

„Ich hatte mich nicht unter Kontrolle.“, fügte er hinzu.
Aenna lächelte, auch wenn das eben ein bisschen plötzlich kam.

„Schon gut, Süßer. Es geht mir gut.“, beteuerte sie.
Bastien zog sich aus ihr heraus und drehte sie dann zu sich herum.

„Du wirst mutig.“, lobte er die Frau und streichelte ihre Wange.
Ein leichter Rotschimmer legte sich auf ihr Gesicht, als sie mit den Schultern zuckte.

„Ich wollte dir auch mal etwas Gutes tun.“, murmelte sie.
Bastien lächelte und gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.

„Du tust mir schon gutes, indem du mir nur Gesellschaft leistest.“, sagte er leise.
Für einen ziemlich langen Augenblick glaubte Bastien, er habe zu viel verraten. Auch Aenna war verblüfft über diese Worte. Das war das erste Mal, dass er ihr so etwas sagte. Liebevoll lächelte sie erst, dann küsste sie ihn sanft auf die Stirn.

„Sei nicht albern. Ich mach doch gar nichts!“
Bastien begann einen leidenschaftlichen Kuss, um nichts mehr dazu sagen zu müssen. Die Frau wusste ganz genau, was er damit bezwecken wollte, doch es störte sie nicht. Für ihn war das einfach notwendig. Bastien schweifte, trotz des innigen Kusses mit den Gedanken ab. Aenna war fast immer bei ihm, sobald sie weg war fehlte ihm etwas. Sie führten keine Beziehung und doch fühlte er sich bei ihr so wohl, wie bei keiner anderen Frau zuvor. Sie war die erste Frau, die ihm etwas gab anstatt nach etwas zu verlangen. Es war so verdammt ungewohnt. Seine Exen hatten sich oft Geld geliehen, wollten das er ihnen alles bezahlte, sollte sie schick ausführen und romantisch sein. Immer hatte er ihnen jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Er hatte nicht vor, dass noch einmal durchzumachen, doch bei Aenna würde das niemals zu einem Problem werden. Sie war liebevoll und fürsorglich, hilfsbereit und zuvorkommend. Sie machte sich sofort Sorgen wenn er sich anders benahm als sonst. Und was er besonders an ihr mochte? Unter anderem ihre ganze Art! All diese Frauen, die ohne Punkt und Komma redeten waren nicht sein Ding. Aenna hingegen genoss die Ruhe zwischen ihnen genauso sehr, wie er selbst. Wie oft lagen sie einfach nur da, in seinem Bett, aneinander gekuschelt und ohne etwas zu sagen? Bastien schloss die Arme enger um die Frau.
Ja, er mochte sie ziemlich. Er würde sogar so weit gehen zu sagen, dass er sie liebte. Aber er konnte nicht. Denn von da an würde alles ernst werden. Sicher würde Aenna dann eine Beziehung ansprechen. Konnte er das jetzt schon riskieren? Sie war so ein liebes Mädchen und würde sich sofort Hoffnungen machen, wenn Bastien seine Gefühle erwähnte. Und auf keinen Fall würde er sie verletzen! Weder was das psychische noch das physische Wohlbefinden betraf. Fast schon verzweifelt löste Bastien den Kuss, um ihr Gesicht mit beiden Händen zu umfassen.

„Sieh mich an!“, keuchte er und fixierte ihr Gesicht. Sein Tonfall jagte Aenna einen Schauer über den Rücken. Es schien, als hätte ihm irgendetwas Angst eingejagt.

„Was ist los?“, fragte sie augenblicklich besorgt und legte ihm in einer zärtlichen Geste die Hand an die Wange. Eine gefühlte Ewigkeit lang sah er ihr einfach in die Augen, mit rasselndem Atem.

„Nichts.“, hauchte er. „Es ist nichts.“
Aenna löste seine Hände liebevoll von ihrem Gesicht und küsste die Innenseite seiner linken Hand.

„Wenn etwas ist, sag es mir bitte sofort. Sonst mache ich mir Sorgen!“
Eindringlich sah sie ihn an.

„Unkraut vergeht nicht, Kleines.“, schmunzelte er.
Die Frau zog die Brauen hoch.

„Schon mal was von Pestiziden gehört?“, murmelte sie und küsste ihn flüchtig.

„Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“, murmelte er.
Aenna biss sich auf die Lippe. Hätte er nicht etwas anderes sagen können? Mit diesen Worten hatte er nämlich Recht!

 

__8__

 

„Aenna!“
Bastien drängte sich zwischen die Frau und ihren Angreifer. Leider musste er dafür einen ziemlich üblen Kinnhaken einstecken. Sein Kiefer ließ zwar ein Knacken hören, Schmerzen hatte er aber keine.

„Bastien!“, vernahm er Aennas besorgte Stimme.
Zu gerne hätte er ihr versichert, dass alles in Ordnung war doch er hatte sich auf seinen Angreifer zu konzentrieren. Dieser kam schon wieder auf ihn zu, mit erhobenen Fäusten. Aennas Blut fing an zu kochen. Wenn es jemanden gab der Bastien schlug, dann wäre nur sie das und kein anderer! Sie hatte bereits etwas eingesteckt, ein weiterer Schlag würde da auch nichts machen. Erneut ging sie dazwischen. Sie schubste den Mann zur Seite und holte selbst mit der Faust aus, um dem Typen ihr gegenüber einen Schlag in die Magengrube zu verpassen. Augenblicklich krümmte sich der Mann. Er schien begriffen zu haben, dass er ab jetzt keine Chance mehr haben würde, denn nach kurzer Zeit schon machte er kehrt und lief davon. Aenna sah dem schmächtigen Typen hinterher, als sie plötzlich an den Schultern gepackt und herum gerissen wurde.

„Was fällt dir eigentlich ein?“, brüllte Bastien sie an. „Du kannst nicht einfach eine Prügelei anfangen!“
Aenna zuckte, dann kam ihre aufbrausende Seite zum Vorschein.

„Als ob ich angefangen hätte!“, schnauzte sie und trat einen Schritt zurück.

„Das habe ich auch nicht gesagt. Aber eine normale Frau würde versuchen wegzulaufen und sich nicht auf ihre Fäuste verlassen.“, kam es prompt von Bastien zurück.
Wütend starrte Aenna ihn an. Eine Diskussion würde bei ihm nichts bringen, doch irgendwie würde sie sich trotzdem gerne darauf einlassen.

„Ich kann doch nicht einfach weglaufen, Bastien! So etwas lasse ich mir schon lange nicht mehr bieten!“, versuchte sie es erneut. Sie hatte einen verletzlichen Tonfall angeschlagen, vielleicht würde das ja helfen? Bastien seufzte und zog die Frau dann in seine Arme.

„Er hat dich geschlagen. Deine Lippe ist aufgeplatzt.“, stellte er fest und wischte ihr das Blut von der Lippe.

„Halb so wild.“, murmelte sie leise.
Zweifelnd sah der Mann sie an.

„Du bist keine Schlägerbraut, Kleines. Was ist los mit dir?“
Aenna schwieg. Nein, sie war keine Schlägerbraut aber immer nur das liebe Mädchen war sie auch nicht. Bastien lächelte schwach.

„Glaub mir, ich mag deine rebellische Ader genauso sehr wie deine liebevolle Seite aber bitte, keine Schlägereien mehr, ja?“
Bittend sah er sie an. Aenna überlegte einen Augenblick, dann nickte sie ergeben.

„Ich kann nichts versprechen aber ich geb mein Bestes.“
Das genügte Bastien. Er drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel.

„Lass uns gehen.“, murmelte er und zog sie mit. Dann jedoch blieb er stehen und sah sie wieder an.

„Was machst du überhaupt in dieser Gegend?“

„Ich dachte mir, ich geh mal wieder einen Trinken. Was machst du denn in dieser Gegend? Deine Wohnung liegt in die entgegengesetzte Richtung und deine Arbeit auch.“

Bastien konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

„Sieht so aus, als hätten wir den gleichen Gedanken gehabt.“, lachte er und drückte ihre Hand.

Eine Viertelstunde später saßen die beiden in einer Bar. In der Bar, in der sie sich kennengelernt hatten. Aenna schlug Bastiens Hand von ihrem Gesicht weg.

„Schluss jetzt. Eine aufgeplatzte Lippe ist keine lebensgefährliche Verletzung.“, fauchte sie.

„Du hast auch etwas abgekriegt.“, sagte sie nun liebevoller und umfasste sein Gesicht mit beiden Händen.

„Tut dein Kiefer weh?“, fragte sie und tastete die Knochen ab.
Bastien schüttelte leicht den Kopf.

„Nein. Ich schätze ich hab noch mal Glück gehabt.“, murmelte er.

„Er hat dich wohl nicht richtig getroffen.“, dachte Aenna laut und ließ ihn los.

„Auf den Schreck erst mal 'nen Drink.“, sagte Bastien zum Wirt.
Eine Minute später stand vor beiden ein Glas Bourbon. Aenna stürzte den Inhalt ihres Glases in einem Zug hinunter.

„Du hast mir auch einen ganz schönen Schrecken eingejagt! Du kannst dich nicht einfach unüberlegt in eine Prügelei einmischen. Das hatten wir schon mal, oder hast du das etwa vergessen?“
Böse funkelte sie ihn an. Bastien musste zugeben, dass es weniger ihr Blick war der ihm Angst einjagte, sondern viel mehr die tiefschwarzen Flügel die hinter ihrem Rücken aufragten. Frech grinste er Aenna an, doch er wusste ganz genau das sie diese Situation nicht lustig fand.

„Wie könnte ich diese hübsche Narbe vergessen?“, grinste er und legte sich die Hand auf die Stelle, wo damals ein langer Schnitt geklafft hatte. Aennas Blick trübte sich und sie wurde nachdenklich.

„Es ist ein kleines Wunder, wie gut die Wunde verheilt ist.“, hauchte sie.
Bastien stieß sie an.

„Sie ist lediglich so gut verheilt, weil du sie so gut versorgt hast.“
Die Frau lächelte, wandte den Blick aber ab als sie eine verräterische Hitze in ihrem Gesicht spürte.

„Bastien!“
Die zwei wurden unterbrochen denn Jason, ein Kollege von Bastien tauchte neben den beiden auf. Sein Blick fiel auf Aenna, die ein ausdrucksloses Gesicht aufsetzte.

„Na, sieh mal einer an. Ist das nicht die Kleine von damals?“
Er reichte ihr die Hand und grinste.

„Ich bin Jason.“
Aenna ließ seine Hand unbeachtet.

„Aenna.“, erwiderte sie ausdruckslos.
Der Mann lachte, trotz der Abweisung.

„Genauso stolz wie damals.“
Er wandte sich an Bastien.

„Seid ihr etwa zusammen? Oder ist das dein übliches Palaver?“
Aenna wurde hellhörig. Übliches Palaver?

„Wir sind ein Paar.“, erwiderte Bastien todernst. Beinahe hätte die Frau sich an ihrer eigenen Spucke verschluckt. Auch Jason schien mit diesen Worten nicht so ganz zurecht zu kommen.

„Ernsthaft? Wie lange schon?“, murmelte er und ließ sich auf dem Barhocker neben Aenna nieder.

„Seit ein paar Monaten erst.“, sagte Bastien leise und wandte den Blick von seinem Kollegen ab.

„Na, dann herzlichen Glückwunsch euch beiden.“
Aenna hörte sofort aus Jasons Stimme heraus, das er seine Glückwünsche nicht wirklich ernst meinte.

„Was ist mit dir, Jason? Hast du eine Freundin?“, fragte Aenna, aus reiner Höflichkeit.
Überrascht sah der Mann sie an.

„Ich? Um Gottes Willen, nein! Beziehungen sind nicht mein Ding. Lieber ein paar One-Night-Stands.“
Aenna nickte lediglich. So etwas hatte sie sich schon gedacht. Die drei plauderten noch ein wenig, dann verschwand Jason auch schon wieder.

„Was war das eben?“, hauchte Aenna, mit gefährlichem Unterton in der Stimme.
Wenn in ihrem Rücken nicht immer noch diese schwarzen Flügel aufragen würden, hätte Bastien nun einen Witz gerissen. Doch er blieb ernst und sah die Frau eindringlich an.

„Wenn Jason oder einer der anderen Jungs erfährt, dass wir gar nicht zusammen sind würden sie alles dafür tun, um dich ins Bett zu kriegen. Und glaub mir, mit meinen Exen ist es ihnen gelungen. Eigentlich war gar nicht geplant gewesen, dass einer von ihnen dich kennenlernt...“, murmelte er.
Aennas Augen wurden glasig. Waren da etwa Tränen dran Schuld? Mit einem Schlag waren ihre Flügel wieder weiß. Und das strahlender als je zuvor!

„Scheiße, Bastien!“, flüsterte sie und ergriff mit festem Druck seine Hände.

„Ich glaube du hast gemerkt, dass ich keine Frau bin die groß ein Auge auf die Männer um sie herum wirft. Es würde völlig gegen meine Moral verstoßen, zwei Männer gleichzeitig zu haben. Allein schon der Gedanke daran jemanden zu betrügen, jagt mir einen Schauer über den Rücken.“
Verbittert sah der Mann sie aus den Augenwinkeln heraus an.

„Du glaubst ja gar nicht, wie oft ich das schon gehört habe, Aenna.“, knurrte er.
Ein ungutes Gefühl stieg in Aenna auf.

„Ich würde es nicht wagen, dich zu belügen.“, flüsterte sie.
Einen Augenblick lang hielt sie inne, dann senkte sie den Blick.

„Ich bin außerdem nicht wie andere Frauen. Ich habe dich, Bastien. Ich muss andere Typen nicht einmal mehr ansehen. Wozu auch, wenn ich in deine traumhaften grünen Augen blicken kann?“
Bastien versuchte noch es zurückzuhalten, doch nachdem er sich auf die Lippe gebissen hatte brach das Lachen aus ihm heraus.

„Süße, wenn jemand traumhafte Augen hat dann du, und nicht ich!“, gluckste er.
Aenna stieg die Röte ins Gesicht, sie schwieg. Es dauerte zwar, doch irgendwann hatte Bastien sich wieder beruhigt. Mit einer nicht zu übersehenden Ernsthaftigkeit in den Augen, erwiderte er ihren Blick.

„Ich gebe mein Bestes um dir zu vertrauen, Kleines. Ehrlich! Aber der Knacks in meinem Kopf wird bleiben. Leider.“
Aenna lächelte schwach, beugte sich vor und drückte dem Mann einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.

„Das kriegen wir auch noch in den Griff.“, versprach sie.
Bastien vertiefte den Kuss. Er wäre zu keiner Beziehung fähig aber behalten würde er diese Frau trotzdem! Und genau das sagte er ihr auch.

„Du gehörst mir!“, hauchte er und legte ihr die Hand in den Nacken.
Spielerisch biss er ihr in die Lippe, doch erst als sie leicht zuckte fiel ihm wieder ein, dass sie ja verletzt war.

„Entschuldige.“, sagte er leise und wich sofort zurück. Dann sah er sie schief an. „Mir ist aufgefallen, dass du ständig in so gefährliche Situtationen gerätst.“
Seufzend lehnte die Frau sich zurück.

„Ich weiß auch nicht aber ich scheine ein Magnet für solche Sachen zu sein. Das wievielte Mal war es nun schon, dass du in solch einen Moment eingeschritten bist? Das dritte, vierte Mal?“
Mit einer wegwerfenden Handbewegung tat sie die Sache ab.

„Ich hab mich daran schon gewöhnt, Bastien. Mach dir keine Gedanken.“
Aus den Augenwinkeln heraus sah sie ihn an. Oh, sie erkannte anhand seiner Augen ganz genau, wie sehr ihm das nicht passte. Doch schon seit ihrer Kindheit geriet sie ständig in irgendwelche Straßenkonflikte.

„Was ist mit deinen Eltern, Aenna. Du hast mir zwar erzählt wie dein Leben als Kind so war aber nie, wie dein Umfeld war. Und ein Wort über deine Eltern hast du auch noch nie verloren.“, erwiderte der Mann und kam ihr wieder näher. Aenna verkniff es sich ein Fauchen auszustoßen. Doch statt zickig zu werden wurde sie ausdruckslos.

„Ich habe nie über sie geredet, weil es da nichts zu sagen gibt.“, war alles, was sie dazu sagte.
Sie konnte nicht einmal reagieren, da hatte er auch schon ihr Kinn ergriffen und ihr Gesicht in seine Richtung gedreht. Ohne zu blinzeln sah er ihr in die Augen.

„Vielleicht lügst du mich nicht an aber du verheimlichst mir etwas.“
Er wollte eigentlich streng klingen, dich er brachte es nicht übers Herz. Bittend sah er sie an und es dauerte nicht lange, da gab Aenna mit einem Seufzen nach.

„Was meinen Vater betrifft...er ist abgehauen, als ich ein kleines Kind war. Meine Mutter war deswegen zwar verletzt, doch irgendwie hat sie das dazu angespornt, sich umso besser um mich zu kümmern. Aber je älter ich wurde, desto verbitterter wurde sie. Oft war sie nicht einmal mehr ansprechbar, so depressiv war sie. Doch helfen lassen wollte sie sich nie, deswegen habe ich schon vor Ewigkeiten aufgehört, eine Beziehung zu ihr aufbauen zu wollen. Irgendwann bin ich dann von Zuhause ausgezogen. Seitdem habe ich auch nie wieder etwas von meiner Mutter gehört.“
Nachdenklich blickten die beiden sich gegenseitig an.

„Deine Mutter hat also irgendwann einfach aufgehört, sich um dich zu kümmern, habe ich das richtig verstanden?“, hakte Bastien nach.
Die Frau nickte lediglich, der Mann fuhr fort.

„Man kann also sagen, dass du dich selbst großgezogen hast.“, murmelte er.
Aennas Mundwinkel zuckten.

„Sozusagen. Ich habe mir mein Essen immer selbst gemacht, habe versucht anhand der Menschen um mich herum zu lernen, wie ich mich richtig benehme. Niemand hat mir beigebracht Bitte und Danke zu sagen. Du hast ja keine Ahnung wie unfair es war, dass alle Kinder draußen spielen durften und ich mich um mein Essen kümmern musste. Aber ich hatte keine Wahl. Meine Mutter hat nun mal keinen Finger mehr krumm gemacht.“

Aenna wurde ruhig und auch Bastien schwieg. Nun war ihm klar, warum sie nie nach etwas verlangt hatte. Anders kannte sie es gar nicht.

„Und du hast nie daran gedacht, mal nach deiner Mutter zu sehen?“, murmelte er dann.
Aennas goldene Augen schienen dunkler zu werden.

„Doch, natürlich. Aber bisher habe ich immer gekniffen. Ich hatte einfach Angst, dass sie mich gar nicht sehen will. Sie war damals eine wunderschöne Frau und ich war so an ihre spätere, ruppige Art gewöhnt, dass ich es jetzt wahrscheinlich nicht ertragen würde zu sehen, wie sehr sie gefallen ist.“
Als Bastien das Wort gefallen hörte, biss er sich auf die Zunge. Sie hatte sicher keine Ahnung, wie sehr dieser Begriff zu passen schien. Er neigte leicht den Kopf. Vielleicht war dieses himmlische Wesen doch viel mehr in ihr verankert, als angenommen?

„Und was, wenn ich mich dazu bereit erklären würde, dich zu deiner Mutter zu begleiten?“, sagte er leise. Zweifelnd wich Aenna seinem Blick aus.

„Ich weiß dein Angebot zu schätzen.“, antwortete sie schmunzelnd. „Aber ich weiß nicht, ob ich dazu schon bereit bin.“
Bastien ergriff ihre Hand.

„Lass dir nicht all zu viel Zeit, Kleines. Irgendwann könnte es zu spät sein.“

Aenna schluckte. Sie wusste ja, dass Bastien Recht hatte aber bisher hatte sie es sich nicht eingestehen wollen.
Ich muss irgendwie mit ihr voran kommen. Und da ihre Eltern nicht menschlich sind, sind die ein guter Anhaltspunkt., dachte Bastien und beobachtete, wie Aenna deutlich sichtbar schluckte.

„Vielleicht hast du Recht.“, hauchte sie.
Sie winkte den Wirt heran und bestellte sich einen doppelten Scotch, den sie ebenfalls in einem Zug herunter stürzte.

„Ich fass es nicht, dass ich mich tatsächlich von dir beeinflussen lasse.“, knurrte sie und sah Bastien dann an.

„Also gut, ich mach's. Aber sollte etwas Schlechtes dabei heraus kommen, wirst du mich am Ende trösten müssen, nur damit das klar ist!“, drohte sie mit erhobenem Finger.
Bastien alchte leise, ergriff ihre Hand und küsste jeden einzelnen Finger.

„Das Risiko gehe ich gerne ein. Wollen wir dann?“
Aenna nickte und sie bezahlten ihre Drinks. Kurz darauf machten sie sich auf den Weg zum Rande der Stadt, zu dem Haus in dem Aenna schon seit Jahren nicht mehr gewesen war.

 

 

__9__

 

 

„Was willst du hier?“
Die Frau versuchte wütend zu klingen, doch es ging nicht. Sie hatte diesen Mann schließlich geliebt.

„Ich habe lange nicht mehr vorbei geschaut.“, murmelte Dragan und sah sich kurz um.

„Was macht das Mädchen?“, fügte er hinzu. Auch, wenn es ihn genau genommen nicht interessierte. Celeste, die Frau, zuckte gelangweilt mir den Schultern.

„Genau genommen ist sie kein Mädchen mehr, sondern eine Frau. Und ich habe keine Ahnung was sie macht. Sie ist schon seit Jahren weg.“
Dragan horchte auf.

„Was soll das heißen, sie ist weg?“, knurrte er mit dunkler Stimme.
Die Frau verdrehte die Augen und warf sich ihre langen blonden Haare über die Schulter zurück.

„Sie ist schon vor ein paar Jahren ausgezogen. Völlig überstürzt und ohne etwas zu sagen, versteht sich.“
Mit einem lauten Grollen stürzte Dragan auf sie zu.

„Willst du mich verarschen? Sie ist gerade mal achtzehn Jahre alt, verdammt!“
Nun hatte auch Celeste genug. Sie sprang auf und stieß den Mann zurück.

„Was interessiert dich das überhaupt?“, schrie sie. „Du hast dich nicht einmal um sie gekümmert und jetzt beschäftigt sie dich auf einmal?“
Eigentlich hatte sie Recht, doch natürlich hatte Celeste nicht weitergedacht. Und genau deswegen konnte Dragan sich auch nicht beruhigen.

„Ist dir eigentlich klar, was dieses Kind alles anstellen kann? Wir wissen schließlich nicht, ob sie ihren Guardian schon gefunden hat.“
Celeste war es gewohnt das der Mann sie anschrie, dennoch stiegen ihr nun die Tränen in die Augen.

„Du bist ihr Vater, Dragan. Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass ich alleine mit ihr fertig werde.“
Fassungslos starrte er die Frau an. Ihm war nicht klar gewesen, wie groß das Loch inzwischen war, welches zwischen ihnen klaffte.

„Mutter, was ist das hier los?“
Erschrocken drehten sie beiden sich um. Es dauerte nur Sekundenbruchteile, da hatten ihre Augen Aenna erfasst.

„Aenna.“, hauchte Celeste mit glasigen Augen.
Die junge Frau neigte den Kopf und nahm zuerst ihre Mutter genauer in Augenschein.

„Du siehst nicht mehr so depressiv aus, wie vor ein paar Jahren.“, murmelte sie und richtete ihre goldenen Augen dann auf den Mann. Sie war sich ziemlich sicher, sich nicht verhört zu haben. Dieser Mann sollte also ihr Vater, oder besser gesagt ihr Erzeuger sein? Er war groß gewachsen, sicher über einen Meter neunzig und mit tiefschwarzen, wie Seide glänzenden Haaren.
Als ihr Blick auf seine Augen fiel, hielt sie für einen Augenblick die Luft an. Sie waren von einer undefinierbaren Farbe! Schwarz, wie die Nacht und doch mit Einschlüssen, die die Farbe ihrer Augen hatte. Nämlich gold. Nichts war in den Tiefen dieser Augen zu erkennen und genau das jagte der jungen Frau solche Angst ein.

„Na, so ein Zufall aber auch.“, murmelte Dragan.
Bastien, der neben Aenna stand, war alarmiert. Sie hatten fast das Ganze Gespräch mitverfolgt. In einer besitzergreifenden Geste legte er ihr den Arm um die Taille und zog sie dicht an sich heran.

„Das ist nicht für deine Ohren bestimmt, Aenna. Wir gehen.“, befahl er.
Er zog bereits an ihr, dich sie wehrte sich gegen seinen Griff.

„Nein! Ich will wissen, was hier los ist!“, zischte sie und funkelte den Mann wütend an. Ein wenig bestürzt erwiderte Bastien ihren Blick.

„Ich erkläre dir alles später aber glaub mir, es ist besser wenn wir jetzt gehen.“

„Nicht so schnell!“, knurrte Dragan und trat einige Schritte vor. Langsam aber sicher kam er immer näher, bis er schließlich vor seiner Tochter stand und diese erst einmal genau in Augenschein nahm. Er hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie ein Baby gewesen war. Kein Wunder also, dass er nun umso beeindruckter über ihr Antlitz war. In beängstigender Dunkelheit ragten ihre schwarzen Flügel hinter ihr auf. Das war also sein Blut, welches in ihr floss. Feindselig starrten ihre goldenen Augen zu ihm auf. Wie ein dunkler Racheengel stand sie vor ihm und plötzlich war er neugierig darauf, wie sie wohl aussehen würde wenn Celestes Blut dominieren würde.

„Das ist also meine Tochter Aenna.“, begann Dragan gedehnt und ging einmal um sie herum. Die junge Frau zischte leise, verharrte ansonsten aber regungslos.

„Eine wahre Augenweide.“, murmelte der Mann.
Vor ihr blieb er wieder stehen. Frech grinste er sie an, dann deutete er eine Verbeugung an.

„Verzeih mir meine Unhöflichkeit und erlaube mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Dragan und ich bin dein werter Vater.“
Aennas Stimme blieb ausdruckslos.

„Was du nicht sagst.“
Sein Blick fiel immer wieder für einen kurzen Moment auf Bastien.

„Scheint, als würdest du nichts wissen. Dein kleiner Freund hier allerdings schon.“
In des Mannes Augen blitzte der Schalk auf. Bastien fletschte die Zähne. Ihm war die Situation genauso wenig geheuer, wie Aenna. Mit einem Mal lächelte Dragan seine Tochter liebevoll an. Er hob beide Hände und legte diese an Aennas Gesicht. Entgeistert starrte sie den Mann an.

„Du hast sicher viel erlebt, Kleines. Erzähl mir von deiner Kindheit.“
Aenna kam nicht mit. Alle drei anwesenden, außer ihr selbst, hatten ein Geheimnis. Keiner von ihnen dachte auch nur ansatzweise daran, ihr etwas zu verraten. Natürlich war da ja noch ihr Vater. Nicht ein einziges Mal hatte er sich blicken lassen, geschweige denn mal angerufen, und nun stand er vor ihr, lächelte sie liebevoll an und wollte von ihr wissen, wie denn ihre Kindheit war.
Aenna verspürte Hass gegenüber ihrem Erzeuger. Ein Teil von ihr wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen, um ihm mit bloßen Händen den Kopf abzureißen. Doch ein anderer Teil in ihr wollte sich in seine Arme werfen und sich ausweinen. Dieses kleine Mädchen in ihr wollte einfach nur einen Vater haben. Ihre Mutter hatte schließlich versagt. Mit einem hasserfüllten Blick auf ihre Mutter und ausdrucksloser Stimme erzählte Aenna ihrem Vater also das, was sie auch Bastien erzählt hatte. Fassungslos hörte Dragan sich ihre Geschichte an, bis sie verstummte und er sich schließlich wutentbrannt zu Celeste umdrehte. Die sah voller Desinteresse aus dem Fenster.

„Ich fass es nicht.“, hauchte er perplex. „Weißt du eigentlich wie sehr deine Augen gestrahlt haben, als du Aenna früher in den Armen gehalten hast? Ich kann nicht glauben, dass du das Dasein als Mutter aufgegeben hast. Du warst doch so überzeugte davon, eine gute Mutter für unsere Kleine zu sein, also was ist passiert?“
In Aenna zog sich etwas zusammen.
Warum verteidigt er mich auf einmal?, fragte sie sich.
Celeste stieß ein Schnauben aus.

„Du hast leicht reden. Du bist ja auch abgehauen! Kannst du mir mal sagen wie ich ein Kind großziehen soll, das weder wie du, noch wie ich ist?“, zischte sie.
Aenna horchte auf. Was hatte das schon wieder zu bedeuten? Hilflos sah sie von einem zum anderen. Bastien ergriff ihre Hand. Würde jetzt alles rauskommen?

„Bastien, was läuft hier?“, flüsterte sie und sah ihn misstrauisch an.

„Das kann ich dir auch nicht sagen.“, flüsterte der Mann zurück.
Dragan sah kurz seine Tochter an, dann glitt sein Blick zurück zu Celeste.

„Willst du mich verarschen? Du kannst doch Aenna nicht für unsere Fehler bestrafen!“
Die Frau fauchte ihn an, worauf Dragan laut seufzte.

„Es kommt mir so vor, als hätten wir die Rollen getauscht.“
Der Blick des Mannes ruhte auf Bastien.

„Bist du ihr Guardian?“, fragte er geheimnisvoll leise.

„Leider ja.“, antwortete Bastien und nickte.
Aenna schnaubte laut.

„Ich habe zwar keine Ahnung worum es geht aber das Leider hättest du weglassen können.“, murmelte sie.
Dragan ignorierte seine Tochter und sprach weiter.

„Wie lange weißt du schon davon?“

„Ein halbes Jahr.“, erwiderte Bastien.

„Und du bist keinen Schritt weiter gekommen, stimmt's?“, hakte Dragan nach.
Bastien nickte, während Aenna immer unruhiger wurde. Was meinte er mit diesem halben Jahr? Das war schließlich die Zeit, die sie sich schon kannten. Dragan seufzte und kratzte sich am Hinterkopf.

„Eigentlich sollte Aenna das Folgende nicht hören aber wir haben keine Zeit, um so kleinlich zu sein. Es gab schon viele von...Aennas Sorte aber nur wenige, die ihr fünfundzwanzigstes Lebensjahr erreicht haben. Mehr als die Hälfte von ihnen haben den Verstand verloren. Der Rest von ihnen wurde entweder ermordet oder hat Selbstmord begangen.“
Bastien wurde kreidebleich.

„Was passiert, wenn sie den Verstand verlieren? Und...wer bitte ermordet sie?“, flüsterte er.
Aenna verstand kein Wort. Ging es hier um sie? Sie schüttelte den Kopf und ging zu dem alten, dunkelbraunen Sofa, auf dem sie sich immer gelangweilt hatte. Sollten sie das doch einfach unter sich ausmachen. Sie würde solange ein wenig dösen. Und dabei war ihr völlig egal, ob ihre Mutter sie mit Argusaugen beobachtete, oder nicht.

„Wie geht es dir, Aenna.“, riss ihre Mutter sie plötzlich aus den Gedanken.

„Was interessiert dich das?“, murmelte die junge Frau und schloss genervt die Augen.
Statt mit ihrer Mutter zu plaudern konzentrierte sie sich lieber auf das Gespräch zwischen Bastien und ihrem Vater. Die Stimme von Dragan wurde dunkler und äußerst beunruhigend, wie Aenna fand.

„Wenn sie den Verstand verlieren, verlieren sie auch jegliche Kontrolle über sich. Sie fangen an zu randalieren und es ist ihnen völlig egal, ob sie dabei jemanden verletzen oder nicht. Ihre zwei Hälften reißen sich abwechselnd den Verstand unter den Nagel, weshalb der eigentliche Charakter nichts mehr zu melden hat. Genau das ertragen sie nicht, weshalb viele nur den Tod als Ausweg sehen. Und was die Ermordungen angeht...Solche Mischlinge kommen in der Natur eigentlich nicht vor. Viele Himmlische sind also gegen ihre Existenz und tun deswegen alles, um sie loszuwerden.“
Dragans Blick fiel auf Aenna, die ebenfalls den Augenkontakt suchte.

„Bist du schon öfter in Gefahr geraten, Aenna? Irgendwelche Straßenkämpfe oder andere Auseinandersetzungen?“
Statt Aenna, antwortete Bastien an ihrer Stelle.

„Sie gerät ständig in Gefahr. Aber ich glaube, sie ist selbst Schuld.“, murmelte er.
Der dämonische Mann fuhr fort.

„Höchstwahrscheinlich war der ein oder andere Engel dabei. Nur hatten sie sicher keine schönen Absichten.“
Bastien schluckte. Bei solchen klaren Worten musste Aenna es doch begreifen, oder? Wie auf's Stichwort setzte das Mädchen sich ruckartig auf.

„Mischling, Engel...“, hauchte sie. „Seid ihr verrückt oder bin ich die einzig Verrückte hier?“
Nachdenklich blickten alle drei anwesenden sie an.

„Aenna, wenn du wüsstest...“, murmelte Bastien.
Dragan legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter.

„Und nun kommst du ins Spiel, mein Junge. Als Guardian ist es deine Aufgabe eine Entscheidung zu treffen, die Aenna selbst nicht treffen kann. Tust du das nicht, wird möglicherweise nicht nur Aenna leiden.“
Flehend sah Aenna die beiden Männer an.

„Bitte sagt mir doch, was Sache ist.“
Bastien ging zu ihr, ging in die Hocke und küsste sie flüchtig.

„Das sagst du so. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das gar nicht hören willst.“
Interessiert neigte Dragan den Kopf.

„Wie ich sehe, seid ihr beiden euch schon näher gekommen. Wenigstens eine gute Neuigkeit...“
Aenna vertiefte den Kuss.

„Ich will wissen, worum es hier geht. Ich häng da schließlich mit drin.“, murmelte sie zwischendrin.

„Kleines, es geht hauptsächlich um dich.“, erwiderte Bastien.
Dragan lachte verbittert.

„Wenn einer von uns dir dieses Geheimnis verrät, könnte mein Boss oder der von deiner Mutter dafür sorgen, dass wir alle einen Kopf kürzer sind. Also, wollen wir dieses Risiko eingehen?“
Nacheinander sah er Bastien und Celeste an.

„Lasst es.“, funkte Aenna dazwischen, noch bevor einer der beiden antworten konnte. Überrascht sah Dragan seine Tochter an.

„Du willst es nicht hören?“, hakte er irritiert nach.
In Aennas Augen blitzten die unterschiedlichsten Gefühle auf.

„Nein! Nicht, wenn es Bastien umbringen könnte. Dann muss ich eben von allein darauf kommen.“, erklärte sie. Dragans Stirn legte sich beeindruckt in Falten.

„Sieht ganz so aus, als wäre meine Tochter zu einer ehrvollen Frau herangewachsen.“, murmelte er. Dann nickte er.

„Also gut, Kleines, dann verraten wir es dir nicht.“
Für einen kurzen Augenblick herrschte Ruhe, dann sah Aenna zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater hin und her.

„Ich glaube, ich fange an meinen Vater mehr zu mögen, als meine Mutter.“, hauchte sie.
Dragan grinste, Celeste schnaubte.

„Blöde Göre.“, fauchte sie.
Aenna lächelte verbittert.

„Weißt du, was ich am meisten gehasst habe, Mutter?“
Sie betonte das Wort Mutter und fletschte kurz die Zähne.

„Während die anderen Kinder draußen gespielt haben, musste ich mich irgendwie versorgen. Als Mutter hast du komplett versagt!“
Dragan stieß ein lautes Lachen aus.

„Das gefällt mir!“, lachte der Dämon. „Komisch, wo du dich doch so auf dein Kind gefreut hast.“
Es war nicht zu übersehen, dass Celeste sich am liebsten auf den Mann gestürzt hätte.

„Das habe ich auch! Bis du mich verlassen hast.“, kreischte sie.
Aenna rieb sich die Schläfen.

„Meine Güte, wie viele Jahre ist das denn jetzt her? Achtzehn, wenn ich mich nicht täusche. Du solltest darüber hinweg sein, Mutter.“, murmelte sie.
Auch Dragan neigte missmutig den Kopf. Celeste fauchte.

„Du solltest gar nicht existieren!“, schnauzte sie ihre Tochter an. „Selbst die Beziehung zwischen deinem Vater und mir hätte es nicht geben dürfen!“
Die Luft war zum Schneiden dick. Gefühle waren innerhalb von Sekundenbruchteilen verletzt worden.

„Bastien, wir gehen.“, befahl Aenna und ging zur Tür. „Ich habe dir ja gesagt, dass es ein Fehler ist herzukommen.“
Dragan folgte seiner Tochter und dessen Begleiter.

„Das hättest du nicht sagen sollen.“, sagte er noch zu Celeste, dann hatten alle drei das Haus verlassen.

 

 

__10__

 

„Aenna.“
Die Frau reagierte nicht. Seit zwei Stunden saßen die drei schon bei Bastien Zuhause und genau so lange hatte Aenna auch kein Wort mehr gesagt. Stattdessen starrte sie Bastien einfach wütend an, in der Hoffnung er würde endlich das sagen, was sie hören wollte. Dragan widerholte ihren Namen und sie war so gütig, ihn wenigstens anzusehen.

„Nimm es deiner Mutter nicht übel.“, sagte er leise.
Die junge Frau verkniff es sich, ihren Vater anzuschnauzen. Er wollte sie verteidigen? Wenn ja wäre es besser, er würde sich jetzt aus dem Staub machen. Sie antwortete nicht und stierte stattdessen wieder Bastien an. Der seufzte und öffnete endlich den Mund.

„Es tut mir leid, Aenna. Ich hätte dich nicht dazu drängen dürfen.“, sagte er leise.
Aenna atmete tief ein.

„Schön, dass du das einsiehst. Ja, es war eine beschissene Idee von dir. Aber du hättest ja nicht ahnen können, was da auf uns zukommt.“, erwiderte sie zwar gereizt, jedoch ruhig.
Für ein paar Augenblicke herrschte Ruhe, dann seufzte Aenna gequält und ihr Blick fiel auf ihren Vater.

„Es stört mich genau genommen nicht, dass Mutter diese Worte ausgesprochen hat. Ich habe schon vor Jahren mit ihr abgeschlossen.“
Dragan und Bastien konnten das nicht so ganz glauben, doch sie sagten nichts dazu. Sie beide konnten sie verstehen. Eine Mutter musste nicht unbedingt fürsorglich sein. Es würde reichen, wenn sie ihrem Kind ein bisschen Aufmerksamkeit schenken würde. Und das hatte Celeste nie getan. Sie war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um ein Auge auf ihre Tochter zu werfen. Einerseits war Dragan stolz auf seine Tochter. Sie war zu einer stolzen und selbstständigen Frau herangewachsen, die sich nicht von ihrer Vergangenheit beeinflussen ließ. Andereseits jedoch bereute er es, Celeste damals verlassen zu haben. Wegen Aenna hatte er die Beziehung beendet. Mit Kindern hatte er nie etwas anfangen können. Er war schließlich ein Dämon und die zogen keine Kinder groß. Doch nun bereute er es seine Tochter in den Armen von Celeste gelassen zu haben. Er konnte nicht verhindern dafür nachzudenken, wie Aenna nun wohl wäre, wenn er sie großgezogen hätte. Vielleicht wäre sie ein unschuldiges Kind, welches noch immer keine Ahnung von der Welt hatte. Dragan schluckte.

„Es tut mir leid, Aenna. Das du eine schlechte Kindheit hattest liegt einzig und allein daran, dass ich deine Mutter damals verlassen habe.“, sagte er leise.
In Aennas Augen blitzte der Schalk auf.

„Wieso entschuldigst du dich? Was wäre, wenn du sie nicht verlassen hättest? Vielleicht hätte sie dich verlassen und du wärst nun an ihrer Stelle?“
Das stimmte den Dämon nachdenklich. Theoretisch wäre das durchaus möglich, doch er bezweifelte das dies wirklich jemals passiert wäre. Doch es ging einfach nur um's Prinzip.
Er überlegte sich was er getan hätte, wenn Celeste ihn wirklich mit Aenna hätte sitzen lassen.

Vermutlich hätte ich sie umgebracht., dachte er ein wenig beschämt. Und ja, dazu wäre er durchaus fähig gewesen.

„Was hättest du an ihrer Stelle getan?“, riss Aenna ihn wie auf's Stichwort aus den Gedanken.
Eindringlich sah sie ihn an und Dragan beschloss, ihr die Wahrheit zu sagen.

„Vermutlich hätte ich dich nicht am Leben gelassen.“, sagte er gerade heraus. Aenna zog die Brauen hoch und tauschte einen Blick mit Bastien aus. Der Dämon zuckte jedoch lässig mit den Schultern.

„Eigentlich kann ich Kinder nicht ausstehen und ich mache auch keinen Hehl daraus. Du bist erwachsen Aenna und ich glaube, du hast nur wenige Augenblicke gebraucht um herauszufinden, wie dein Vater so drauf ist, habe ich Recht?“
Seine Tochter seufzte und verschränkte die Arme.

„Um ehrlich zu sein, kann ich dich nur minimal einschätzen. Du scheinst eine fiese Ader zu haben und ein wirklicher Grobian zu sein aber dennoch hast du sowohl mich, als auch meine Mutter in Schutz genommen. Außerdem muss es Gründe geben, warum Mutter dich mal geliebt hat. Was für Gründe das auch immer sein mögen.“
Innerlich stieß Dragan ein Knurren aus. Niemals hätte er es für möglich gehalten sich das einzugestehen, doch er hatte bereits Gefühle für seine Tochter. Stöhnend ließ er sich auf das Sofa fallen, dann vergrub er das Gesicht in den Händen. Er wollte niemals ein Kind. Er war ein Dämon, verdammt noch mal und die hinterließen keine Nachkommen. Erst Recht nicht mit einer Himmlischen! Doch es war passiert. Nicht ein einziges Mal in den vergangenen achtzehn Jahren hatte er sich Gedanken um dieses Kind gemacht und nun fühlte er sich tatsächlich für Aenna verantwortlich. Was war das denn für eine verrückte Welt, in der sie lebten?

„Alles okay bei dir? Du bist blass!“
Erneut riss seine Tochter ihn aus den Gedanken. Der Dämon sah auf und blickte Aenna direkt in die Augen.

„Was hältst du von mir, Aenna?“, murmelte er mit rauer und kratziger Stimme.
Die junge Frau überlegte einen Augenblick.

„Ich war sauer, weil du dich nicht ein einziges Mal hast blicken lassen. Ansonsten weiß ich noch nicht, was ich von dir halten soll. Ich war es gewohnt keinen Vater zu haben, von daher hat es mir auch nichts ausgemacht. Dir nun gegenüber zu stehen ist ein komisches Gefühl.“, erklärte sie.
Bevor noch jemand etwas sagen konnte eilte sie in die Küche, um ein Glas Wasser zu holen. Schließlich ließ sie sich neben ihrem Vater nieder und drückte ihm das Glas in die Hand. Irritiert sah Dragan seine Tochter an. Lächelnd mischte sich nun auch Bastien ein.

„Sie ist eigentlich eine gute Seele. Sie hilft jedem, wo sie nur kann.“
Dragan zog die Brauen hoch.

„Nicht zu fassen.“, murmelte er. „Und das von jemanden, der mein Blut in sich trägt.“
Er atmete tief durch, dann sah er seine Tochter voller Inbrunst an.

„Tut mir leid, dass ich dir bisher so ein schlechter Vater war. Aber vielleicht kann ich das ändern.“
Aenna sagte im ersten Moment nichts, dann nickte sie ergeben.

„Ich kann es nicht fassen aber ich glaube dir. Dein Blick sagt mir, dass du es wirklich bereust damals abgehauen zu sein.“, murmelte sie, hob dann aber drohend den Finger.

„Aber komm bitte nicht auf die Idee, mich von nun an zu bemuttern! Das habe ich nämlich nicht nötig.“
Der Dämon lachte.

„Dann sind wir ja einer Meinung.“
Bastien lächelte. Aenna mochte ihre Mutter nun zwar verloren haben, dafür hatte sie aber ihren Vater gefunden. Und mit dem kam sie erstaunlicherweise sogar zurecht.
Eine halbe Stunde später saßen die beiden zusammen und plauderten angeregt miteinander.
Bastien wurde durch ein Klingeln an der Haustür aus den Gedanken gerissen.
Eigentlich erwartete er niemanden, umso überraschte war er, als Celeste plötzlich vor ihm stand. Er wollte gerade etwas sagen, zum Beispiel woher sie wusste wo er wohnte, da stieß sie ihn zur Seite und rannte zu Aenna und Dragan ins Wohnzimmer. Bastien stürmte hinterher.
Im Wohnzimmer angekommen zeigte Celeste mit dem Finger auf ihre Tochter.

„Glaub nicht, dass du ungeschoren davon kommst. Du hast schließlich alles kaputt gemacht!“, schrie sie. Bastien starrte auf ihre Hände. Glühten die etwa?
Vermutlich ja., dachte er, da er auch Aennas Flügel sehen konnte. Ganz zu schweigen von denen von Dragan, Fraya, Caya und auch Celeste. Der Dämon stellte sich schützend vor seine Tochter.

„Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du Aenna nicht für unsere Fehler bestrafen kannst!“, brüllte er zurück. Aenna schluckte und linste hinter ihrem Vater hervor. Sah ganz so aus, als hätte ihre Mutter nun völlig den Verstand verloren. Die junge Frau war irritiert. Hatte sie ein Augenleiden oder warumg laubte sie, die Hände ihrer Mutter glühten?

„Geh mir aus dem Weg, Dragan“, brüllte Celeste. „Ansonsten verlierst du auch dein Leben!“
Aenna versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Ihre Mutter wollte sie doch tatsächlich umbringen? Angst schnürte ihr die Kehle zu und doch ließ der Zorn ihr Blut in Wallung geraten. Gott sei Dank würden ihr Vater und Bastien sie beschützen. Doch konnte sie nicht eigentlich alleine auf sich aufpassen? Eine Waffe hatte Celeste schließlich nicht, soweit sie sehen konnte, also was sollte schon passieren? Sie schluckte und trat einen Schritt hinter ihrem Vater hervor.

„Du hast mein Leben zerstört und behauptest, ich wäre Schuld an deiner Misere? Dafür bist du ganz allein verantwortlich, Mutter! Vielleicht hätte Vater dich nicht sofort verlassen dürfen aber deswegen musst du nicht plötzlich aufhören, dich um mich zu kümmern! Und wieso hast du es ausgerechnet jetzt auf mich abgesehen? Wir haben uns schließlich Jahre nicht gesehen!“
Celeste war anzusehen, dass sie kurz vor einem Tobsuchtsanfall stand. Gefährlich schimmerte der Wahnsinn in ihren Augen. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, tauchten Caya und Fraya im Raum auf. Mit tödlichem Blick sah Caya Celeste an.

„Das lässt du lieber, Schätzchen. Oder willst du, dass eine ganz bestimmte Person davon erfährt?“
Augenblicklich erstarrte Celeste. Ihre Kiefer malmten. Zufrieden schwieg auch Caya nun, stattdessen ergriff ihre Freundin das Wort.

„Dragan, hallo. Wir haben uns lange nicht gesehen.“
Frayas Augen blitzten und ihr Blick ging für einen kurzen Augenblick zu Aenna.

„Ich hätte dich hier wirklich nicht erwartet.“
Seufzend rieb Aenna sich die Stirn.

„Ich hatte schon so ein Gefühl, dass ihr zwei nicht nur zwei alte Schulkolleginnen von Bastien seid.“, murmelte sie. Fraya lächelte, für einen Moment sogar liebevoll.

„Leider nicht, Süße. Weißt du Bescheid oder konnten deine Eltern die Klappe halten?“, wollte sie wissen. Aennas Augen verengten sich.

„Sie hätten es mir wohl gesagt aber ich wollte es nicht wissen. Ich glaube, das Ganze würde sonst gefährlich werden.“
Fraya lachte. Sie war überrascht.

„Oh, du bist scharfsinnig und vernünftig. Hör zu, Kleines. Sowohl Caya und ich, als auch dein Vater und deine Mutter haben Befehlen zu folgen. Und glaub mir, missachten wir diese, kostet uns das möglicherweise sogar unseren Kopf. Ein besonders fataler Fehler könnte selbst Bastien das Leben kosten.“
Mit einem Mal war die Anspannung Aller greifbar. Aenna begann auf und ab zu laufen, bis sie nacheinander allen einen Blick zuwarf.

„Das Ganze ist so verdammt komplex und übersteigt den menschlichen Verstand um weitem. Ihr alle seid gar keine Menschen, oder?“
Sie hielt kurz inne, dann ging ihr ein Licht auf.

„Und ich vermutlich auch nicht.“, fügte sie flüsternd hinzu.
Bastien strahlte sie an.

„Überraschung!“, hauchte er.
Fraya lachte und deutete auf Bastien.

„Als er es erfahren hat, wäre er beinahe zusammen gebrochen.“
Der junge Mann stieß ein leises Knurren aus, Aenna ein tiefes Seufzen.

„Schön. Wir sind also alle keine Menschen. Und nun? Was wollt ihr alle noch hier? Haut ab, damit ich in Ruhe über alles nachdenken kann.“
Schnaubend stürmte Celeste aus der Wohnung. Lachend machten sich dann auch Caya und Fraya auf den Weg. Dragan blieb über.

„Das war wohl alles ein bisschen viel, hm?“, lächelte er sie an.
Aenna nickte lediglich. Zuversichtlich legte er seiner Tochter die Hand auf die Schulter.

„Solltest du mal meine Hilfe brauchen, sag einfach laut meinen Namen. Und schon bin ich hier, alles klar?“
Aenna nickte wieder und sie musste sich eingestehen, dass sie über diese plötzliche Fürsorge gerührt war.

„Alles klar.“, war alles, was sie mit einem Kloß im Hals herausbrachte.
Dann, von einer Sekunde auf die andere war ihr Vater verschwunden. Zurück blieben Aenna und Bastien.

 

„Jetzt geht es richtig zur Sache.“, lachte Fraya und sah von außen in die Wohnung.
Bastien und Aenna konnten sie nicht sehen, auch ihre ausgebreiteten Flügel nicht. Caya verfolgte die Lippenbewegungen der beiden, die sich noch immer im Wohnzimmer befanden.

„Ich weiß nicht, ob Aenna mit dem Ganzen klar kommt. Bastien will mit ihr reden aber sie blockt total ab.“
Fraya wandte den Blick ab.

„Wen wundert's?“ Sie wird ein paar Tage brauchen. Wenn nicht, sogar mehrere Wochen. Aber glaub mir eins, Caya. Wir werden die zwei von nun an noch besser im Auge behalten müssen. Celeste wird sicher auch weiterhin Rachepläne schmieden. Und Dragan traue ich auch nicht über den Weg. Er ist schließlich nicht umsonst einer, der gefürchtetsten Dämonen Walhallas.“
Caya sah ihre Freundin erschrocken an.

„Und dieses kleine Detail erzählst du mir erst jetzt?“, fauchte sie.
Mit einem furchteinflößenden Blick sah Fraya sie an.

„Glaub mir, Kleine. Es gibt eine Menge, das ich dir verschweige und das ist auch besser so. Du würdest sonst davon laufen.“
Caya stieß ein tiefes Schnauben aus, was eher an eine Dämonin als einen Engel erinnern würde.

„Wie gut, dass auch ich dir nicht alles erzählt habe.“, murmelte sie.
Doch so sehr sie auch hoffte Fraya hätte es nicht gehört, schoss ihr Kopf bereits in ihre Richtung.

„Was soll das heißen?“, fauchte die Frau.
Caya hatte bereits befürchtet, dass Fraya es irgendwie herausbekommen würde. Also spielte es keine Rolle, wenn sie nun einfach mit der Tür ins Schloss fiel.

„Sowohl dein Boss, als auch meiner lassen uns in diesem Moment nicht aus den Augen. Um ehrlich zu sein, haben sie uns schon die ganze Zeit über im Visier.“
Die Augen der Dämonin verengten sich.

„Spinn nicht rum. Die beiden haben viel zu viel zutun, um Zeit für uns oder Aenna zu verschwenden.“
Cayas Mundwinkel zuckten.

„Ich habe schon damit gerechnet, dass du mir das nicht glauben wirst. Aber es ist die Wahrheit. Aenna ist keine normale Mischlingsfrau und das wissen mittlerweile einige. Nicht umsonst gerät sie so oft in Gefahr.“
Langsam aber sicher kochte etwas in Fraya hoch.

„Verdammt, Caya! Du erklärst mir jetzt besser alles, bevor ich noch die Kontrolle verliere.“, fauchte sie. Lachend schlug die Engelsfrau mit den Flügeln, um dann auf dem glatten Asphalt unter ihnen zu landen. Fraya tat es ihr nach und ihre Freundin ließ sogleich eine Erklärung hören.

„Aenna ist nicht so, wie andere Mischlinge. Satan und mein Herr haben das schon längst gemerkt aber beide können sie nicht sagen, woran genau das wohl liegen könnte. Sie haben beschlossen uns nicht aus den Augen zu lassen und genau deswegen halte ich es für besser, dass wir genau aufpassen was wir tun und sagen.“
Caya setzte sich in Bewegung und schlenderte über den Gehweg. Fraya stieß ein leises Knurren aus und packte ihre Kollegin mit einem groben Griff an der Schulter.

„Warum hast du mir das nicht schon gesagt, nachdem man uns diesen Auftrag ausgehändigt hat?“
Caya blieb stehen und sah mit hochgezogenen Brauen über ihre Schulter.

„Du bist eine Dämonin, Fraya. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dir zu diesem Moment vertraut habe.“
In der Stimme des Engels erklang ein gefährlicher Unterton und die Dämonin musste sich eingestehen, dass sie Caya doch falsch eingeschätzt hatte. Es sah ganz so aus, als wäre sie nicht so harmlos wie sie immer tat. Fraya überkam ein ungutes Gefühl. Was sie nicht ahnte, es war schon längst zu spät!

 

In Gedanken versunken ließ Aenna das Handtuch zu Boden fallen. Sie konnte es noch immer nicht glauben, doch sie hatte einen Streit mit Bastien gehabt. Er hatte sie bedrängt und wollte, dass sie offen für alles war und sich wegen dem Ganzen nicht verrückt machen sollte. Allerdings hatten die beiden völlig aneinander vorbei geredet. Aenna hatte sich nämlich um gänzlich andere Dinge Gedanken gemacht. Sie hatte ihm vorgeworfen, dass er nur wegen ihrer Abstammung etwas mit ihr hatte und ansonsten überhaupt nichts mit ihr zutun hätte. Bastien hatte verneint und versucht ihr zu erklären, dass er selbst von allem keine Ahnung hatte. Zumindest nicht von Anfang an. Doch stur wie sie war, hatte Aenna ihm gar nicht glauben wollen. Der Streit hatte sich hingezogen, bis sie schließlich einfach abgehauen war. Tja, hier stand sie nun. Nackt und mit schlechtem Gewissen. Mit einem leisen Seufzen griff Aenna in ihren Schrank und zog einen frischen String heraus. Nachdem sie diesen angezogen hatte, betrachtete sie sich ausgiebig im Spiegel.
Aenna war sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen und ihre Augen wiesen keinerlei Glanz mehr auf. Ihre Mundwinkel sackten nach unten. In den letzten Monaten hatte sie immer gestrahlt. Es war verblüffend wie schnell sich das Erscheinen eines Menschen, äh, einer Frau verändern konnte.

„Ich muss mich ablenken...“, murmelte Aenna und riss erneut die Schranktüren auf.
Eine Viertelstunden später stand die junge Frau geschminkt und in freizügiger Montur wieder vor dem Spiegel.

„Du warst schon lange nicht mehr alleine in einer Bar.“, sagte sie leise zu sich selbst.
Dadurch das sie ihre Augen schwarz umrandet hatte, schienen sie wieder wie flüssiges Gold zu strahlen.

„Wenigstens sieht man mir nicht an, wie kaputt mein Leben ist.“, hauchte sie und wandte den Blick ab.
Ein paar Stunden später saß sie in einer Bar, fernab ihrer Wohnung. Ihre geladene Aura sorgte dafür, dass sich keiner in ihre Nähe traute. Mit einer Ausnahme.

„Guten Abend, junges Fräulein.“
Irritiert über die Ausdrucksweise dieser Worte, hob Aenna den Blick. Mit leeren Augen sah sie über ihre Schulter, wo ein groß gewachsener Mann aufgetaucht war. Seine eisblauen Augen blitzten in dem schwachen Licht. Ohne etwas zu sagen deutete Aenna mit einer unscheinbaren Bewegung auf den Hocker neben sich. Der Mann ließ sich mit zuckenden Mundwinkeln nieder.

„Eine junge, hübsche Frau sollte sich nicht alleine in einer schäbigen Bar aufhalten.“, hauchte er mit rauer Stimme. Aenna schnaubte und nippte kurz an ihrem Glas, welches mit Bourbon gefüllt war.

„Tut mir leid, falls ich den Anschein erweckt habe ich könnte mich nicht verteidigen.“, murmelte sie ausdruckslos. Das Lachen des Mannes war rau und heiser, ähnlich wie ihres. Sah ganz so aus, als hätte auch er nicht oft etwas worüber er lachen konnte.

„Deine Name ist Aenna, nicht wahr?“, ließ er das Thema plötzlich fallen.
Die Augen der jungen Frau verengten sich, während sie den Mann musterte. Seine aschblonden Harre waren lang und im Nacken zusammengebunden. Sein Gesicht war unglaublich männlich, kantig, und die Narbe über seinem linken Auge verlieh ihm etwas wildes, verwegenes und gefährliches. Er war schlank aber unglaublich muskulös. Um seine vollen Lippen spielte ein gefährliches Lächeln. Aenna konnte sich gut vorstellen, dass dieser Typ ebenfalls kein Mensch war. Was auch immer er dann sein mochte... Seine Aura gefiel ihr nicht. Nun erst rang Aenna sich zu einer Antwort durch.

„Da du meinen Namen kennst wäre es nur fair, wenn du mir auch deinen nennst.“, verlangte sie.
Der Mann schmunzelte.

„Ich habe mehrere Namen. Such dir einen aus. Lucian, Luce, Lu, wie auch immer.“
Für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als wäre er gelangweilt.
Ein komischer Mann., dachte Aenna durchaus fasziniert. Und sicher verdammt gefährlich!
Aenna konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, weshalb den Blick bewusst abwandte.

„Lucian ist ein schöner Name. Aber ich möchte wetten, dass du selbst ihn nicht leiden kannst.“, erwiderte sie, nun wieder beherrschter. Die klaren Augen von Lucian trübten sich immer mehr, bis sie weit in die Ferne zu sehen schienen.

„Weißt du...einst war der Name wirklich schön. Er war ehrenvoll und rein. Aber heute sieht das Ganze schon wieder anders aus.“
Aennas Mundwinkel zuckten, als sie ihm sein Glas reichte.

„Mach dir nichts draus. Zeiten ändern sich, davon kann ich auch ein Lied singen.“
Lucian nahm die Frau ganz genau in Augenschein, als er ihr das Glas aus der Hand nahm. Er war beeindruckt, sie ließ sich wirklich nichts anmerken. Ihre Augen waren klar und ließen nicht das kleinste Gefühl erkennen. Ihn interessierte wirklich, was sie wohl gerade denken mochte.
Ihre Blicke trafen sich und der Mann platzte einfach mit der Wahrheit heraus.

„Es sind einige hinter dir her, Aenna.“, hauchte er.
Sie blinzelte, dann starrte sie auf das Glas in seiner Hand.

„Ich weiß.“, erwiderte sie leise. „Aber ich weiß nicht warum.“
Der Mann konnte es kaum glauben, doch Mitleid stieg in ihm auf. Und das, obwohl...

„Warum weißt du es nicht?“, bohrte er weiter nach.
Mehrere Sekunden lang sah Aenna ihn an. Oh, sie spürte ganz genau das dieser Mann gefährlich war. Und doch verspürte sie das Bedürfnis mit jemandem zu reden.

„Weil es mir keiner von ihnen sagen will. Oder kann.“, murmelte sie und schloss die Augen.
    „Vielleicht hat das seine Gründe?“, schlug der Mann vor.
Nachdenklich und frustriert stützte Aenna den Kopf auf der Hand auf.

„Hat es auch. Aber warum sollte es Geheimnisse geben, wenn es ausschließlich um mich geht? Keiner von ihnen spricht Klartext und das passt mir gar nicht.“, fauchte sie.
Lucian lachte leise in sich hinein. Da war es! Ihr Temperament. Bedrohlich ragten ihre schwarzen Flügel auf. Von außen war nicht zu erkennen ob ihre dämonische oder ihre himmlische Hälfte die Oberhand hatte, doch ihre Flügel waren Antwort genug. Sie war geladen und in diesem Moment legte man sich besser nicht mit ihr an.

„Das ist nicht das einzige, was dir Sorgen bereitet, stimmt's? Dein Guardian, oder besser gesagt Bastien bereitet dir Kummer, nicht wahr?“
Lucians blaue Augen blitzten, Aenna stieß ein leises Fauchen aus.

„Ich habe keine Ahnung wer du bist aber offensichtlich ein ziemlich großer Fisch. Du weißt also über alles Bescheid.“
Der Mann lachte. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Lucian sah ihr an, dass sie gerne einen weiteren, bissigen Kommentar abgegeben hätte, jedoch schien sie zu ahnen, dass das keine gute Idee war. Verlangen stieg in ihm auf. Es war das erste Mal, dass er sie live zu sehen bekam. Und doch wusste er schon so einiges über sie. Sie war klug, schlagfertig, stark, selbstbewusst und doch auch liebevoll, fürsorglich und verantwortungsbewusst. Nicht zu vergessen war sie eine verdammt heiße Frau. Und genau all das war der Grund für sein Verlangen. Er beugte sich vor, bis seine Lippen nur noch wenige Millimeter von ihren entfernt waren.

„Oh ja, ich weiß über alles Bescheid!“, hauchte er nun.
Aenna schluckte, deutlich sichtbar. Sie kam ihm noch näher, stand kurz davor ihn zu küssen, und sah ihm mit stahlhartem Blick in die Augen.

„Dann sag mir, wer ich bin!“, verlangte sie heiser.
Lucians Atem beschleunigte sich und als sein Blick auf ihr Dekolleté fiel sah er, dass auch sie nicht so ruhig war, wie sie vorgab zu sein. Ihr Busen hob und sank sich rasch und drohte, ihre dunkelgrüne Corsage zu sprengen. Sein Spieltrieb wurde geweckt. Doch er wusste ganz genau, dass er sich die Finger verbrennen konnte. Diese Frau gehörte eigentlich jemand anderem. Genau genommen hatte er kein Problem damit, sie ihm wegzunehmen.
Ein Blitzen tauchte wieder in seinen Augen auf.

„Du solltest dich mir nicht so freizügig präsentieren, Aenna. Du könntest es bereuen!“, raunte er und deutete auf ihren verlockenden Busen. Plötzlich stahl sich ein listiges Lächeln auf ihre Lippen.

„Ohh.“, hauchte sie gedehnt. „Aber ich steh doch so drauf, sämtliche Männer scharf zu machen.“
Und mit diesen Worten streiften ihre Lippen spielerisch die seine. Nun war es um Lucians Selbstbeherrschung geschehen. Mit einem animalischen Knurren packte er ihr Genick um es zu festigen, dann presste er forsch seine Lippen auf ihre. Sie war warm und weich und schmeckte süß, trotz des Boubon den sie getrunken hatte.
Aenna überlegte für einen Sekundenbruchteil, ob sie das beenden sollte. Der Gedanke verflog jedoch. Auch Bastien nahm einen Teil ihrer Gedanken in Beschlag. Doch sie musste feststellen, dass ihre Gefühle für ihn mit einem Schlag abgeflaut waren. Das hatte mehrere Gründe, doch darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken. Lucian galt jetzt all ihre Aufmerksamkeit. Der Kuss war forsch und fordernd, nach einiger Zeit jedoch wurde er zärtlich und sorgte dafür, dass ihre Knie weich wurden. Aenna beschloss, in die Offensive zu gehen. Sanft biss die ihm in die Lippe, damit er ihr Einlass gewährte. Womit sie nicht gerechnet hatte war, dass er den Spieß umdrehte.
Mit seiner Zunge teilte er ihre Lippen, um ihren Mund zu erforschen. Als ihre Zungen aufeinander trafen konnten beide ein Stöhnen nicht unterdrücken. Lucian hatte Blut geleckt. Er wollte mehr!
Seine Arme schlangen sich um Aennas Teile, seine Hände schoben sich unter ihren Po. Mit einem Ruck hob er sie auf seinen Schoß. Ein Ziehen breitete sich in Aennas Unterleib aus, weshalb sie wohlig in seinen Mund hinein seufzte. Mit einem Knurren beendete Lucian den Kuss.

„Weißt du eigentlich, was du hier tust?“, knurrte er und starrte sie finster an.
Aenna ließ mit gemischten Gefühlen den Kopf in den Nacken fallen.

„Oh ja. Und ich bereue es nicht. Es gefällt mir sogar.“, hauchte sie.
Sie war nicht so verzweifelt, wie zu Anfang des Kusses. Feuer floss durch die Adern des Mannes. Da war die Dämonin in ihr! Kümmerte Bastien sie wirklich so wenig, wie sie tat?

„Du willst also wissen, wer oder was du bist?“, wechselte er schlagartig das Thema.
Aenna rutschte unruhig auf seinem Schoß hin und her.

„Ja.“, sagte sie ausdrucksstark.
Grob stieß Lucian sie von seinem Schoß, um sich dann zu erheben.

„Na dann, komm mit.“, hauchte er, krümmte den Finger und rauschte aus der Bar.

 

Bastien hämmerte gegen die Tür, doch es blieb ruhig.

„Verdammt noch mal!“, fluchte er und ließ ein letztes Mal seine Faust auf das Holz der Tür krachen. Er hatte versucht Aenna anzurufen, doch natürlich war sie nicht dran gegangen. Nun stand er vor ihrer Tür. Zwei Möglichkeiten. Entweder wollte sie ihn weder sehen, noch hören oder sie war gar nicht Zuhause. Beides war möglich.

„Dragan.“, knurrte er, in der Hoffnung ihr Vater würde auftauchen. Natürlich vergebens.

„Caya, Fraya!“, fauchte er dann.
Zu seiner Verblüffung tauchten die beiden tatsächlich neben ihm auf.

„Was willst du?“, fauchte die Dämonin.
Fast schon hilflos und doch unglaublich wütend sah Bastien Fraya an.

„Ich kann Aenna nicht erreichen.“, knurrte er.
Fraya stöhnte theatralisch.

„Hör auf, so ein Theater zu machen. Sie will wahrscheinlich nur ihre Ruhe.

„Ich hoffe, du hast Recht.“, brummte der junge Mann und wandte sich zum Gehen.

 

__11__

 

„Wohnst du hier?“, fragte Aenna und ließ beeindruckt den Blick schweifen.
Lucian hatte sie in ein unglaublich großes Appartment geführt. Es befand sich in irgendeinem Hochhaus und das so weit oben, dass man durch die Glasfront die ganze Stadt überblicken konnte.
Es war unglaublich modern eingerichtet und dazu so prunkvoll, dass es unübersehbar war, das dieser Mann reich war.

„Nur, wenn ich in der Stadt bin.“, kam es von Lucian zurück.

„Ein viel beschäftigter Mann, hm?“, schmunzelte Aenna.
Lucian lächelte ihr zu, dann winkte er sie an sich heran.

„Komm her, Kleines.“, befahl er.
Aenna war zwar kein Fan von Befehlen, tat aber wie ihr geheißen und trat neben ihn, an die Wand aus Glas.

„Was siehst du?“, fragte er und deutete auf die Kulisse der Stadt.

„Nur eine Stadt.“, erwiderte sie ausdruckslos. Sie wollte sich nicht anmerken lassen, wie beeindruckt sie in Wirklichkeit war. Lucian musterte die junge Frau. Noch sah sie lediglich die Stadt, doch das würde sich gleich ändern. Seine Mundwinkel zuckten.

„Du bist in der Lage mehr zu sehen, Aenna. Du bist im Besitz vieler Fähigkeiten, du hast sie nur noch nicht entdeckt.“
Mit hochgezogenen Brauen warf Aenna im einen Blick aus den Augenwinkeln zu.

„Und du willst sie mit jetzt zeigen, stimmt's?“, murmelte sie.
Lachend nickte er, dann warf er einen Blick in ihr Innerstes. Für einen Augenblick blieb ihm die Luft weg. Alles in ihr war durcheinander. Gefühle, Gedanken, Sinneseindrücke. Nicht zu vergessen die zwei Hälften ihrer Seele, die auch jetzt um sie stritten. Lucians Mundwinkel zuckten, als er ihre Gefühle genauer unter die Lupe nahm. Sie war verwirrt über ihr Verlangen, das sie ihm gegenüber verspürte. Und sie war überrascht darüber, dass ihre Liebe für Bastien verdammt nachgelassen hatte. Lucians Blick trübte sich. Das war seltsam. Eigentlich sollten sich der Guardian und sein Schützling nicht so voneinander distanzieren. Und streiten sollten sie sich auch nicht. Irgendetwas stimmte nicht. Für gewöhnlich waren Guardian und Mischling so eng miteinander verbunden, dass sie sich gar nicht streiten konnten. Also hatte der Herr, weit oben im Himmel möglicherweise einen Fehler gemacht? Lucian empfand seltsamerweise soetwas wie Hoffnung. Vielleicht...
Er schob all seine Gedanken beiseite und grub sich tiefer in ihr Bewusstsein. Da!
Dort schlummerte etwas in ihr. Etwas großes und mächtiges. Lucian hatte keine Ahnung was es war, doch mit seinen imaginären Händen packte er es und zog daran. Es sollte sich nicht in ihrer hintersten Ecke verstecken. Es sollte zugänglich sein!
Aenna keuchte und legte sich die Hand auf's Dekolleté.

„Was war das?“, hauchte sie und sah zu Lucian auf.

„Ein Teil deiner Kraft, vermute ich. Und nun sieh hinaus.“
Der Mann deutete wieder auf die Stadt. Aenna zögerte einen Augenblick. Ihr war ein wenig mulmig zumute, doch sie war Lucian dankbar dafür, dass er aus nichts ein Geheimnis machte. Sie hatte keine Ahnung was er gerade angestellt hatte, geschweige denn wie er es hatte, doch als sie nach draußen blickte, sah sie unzählige Engel durch die Lüfte fliegen. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals. Engel existierten also. Aenna schluckte, als der Mann seine Hand auf ihre Schulter legte.

„Das ist nur der Himmel, Aenna. Sieh nach unten.“
Fast schon ängstlich richtete die Frau ihren Blick auf die Gehwege, viele hundert Meter und ihnen. Roter und schwarzer Nebel waberte zwischen den Menschen umher und jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

„Was ist das?“, hauchte sie.
Lucians Stimme wurde rauer und dunkler.

„Dämonenrauch. Ist er sichtbar, sind Dämonen in der Nähe. Aber gib Acht, manche Dämonen sind so mächtig, dass sie in der Lage sind diesen Rauch zu unterdrücken.“

„Du meinst, so wie du?“, erwiderte sie ausdruckslos, ohne den Blick von den Straßen abzuwenden.
Sie sah genauer hin und erkannte die Dämonen. Sie besaßen ebenfalls Flügel, die jedoch schwarz waren und an Fledermäuse erinnerten. Außerdem hatten einige von ihnen Hörner auf dem Kopf.

„Allerdings. Und nun sieh mich an!“
Sein gebellter Befehl ließ Aenna inne halten. Sollte sie gehorchen? Oder doch lieber ihrem Instinkt vertrauen und schnellstmöglich das Weite suchen? Sie beschloss, das zu tun was er gesagt hatte.
Langsam richtete sie ihren Blick auf seine Füße. Ihr Blick glitt höher, über seine langen Beine, seine schmale Taille, bis hin zu seiner breiten Brust und Schulterpartie, bis sie ihm schließlich in die Augen sah. Doch auf diese eisblauen Tiefen konnten sie sich nicht konzentrieren. Ihr Blick fiel auf seine dämonischen Flügel, die mit einer Spannweite und Höhe von geschätzten drei Metern hinter ihm aufragten. Lucian lächelte und entblößte dabei zwei spitze Eckzähne.

„So, und nun sieh hinter dich.“, verlangte er leise.
Als Aenna über ihre Schulter sah, erschrak sie. Auch in ihrem Rücken ragten Flügel auf. Allerdings bestanden ihre aus Federn, die dunkelgrau schimmerten. Sie hatte bereits einiges begriffen, weshalb sie sich mit diesem Anblick nicht all zu lange aufhielt.

„Wenn ich ein Engel wäre, wären sie weiß.“, stellte sie fest und sah wieder hinaus, gen Himmel.

„Und wenn ich eine Dämonin wäre, würden sie so aussehen wie deine. Also, was bin ich?“, murmelte sie nachdenklich. Lucian trat näher an sie heran und legte ihr die Hand an die Wange. Es war verrückt! Er fühlte sich doch tatsächlich zu ihr hingezogen.

„Du bist etwas Besonderes, Aenna. Du bist ein Mischling und trägst das Blut zwei verschiedener Rassen in dir.“, erklärte er leise.
Mit neugierigen Augen sah sie zu ihm auf.

„Das meine Mutter ein Engel ist und mein Vater ein Dämon, hat sich also auf mich übertragen.“, murmelte sie. Lucian lächelte zufrieden.

„Schlaues Mädchen. Sowohl die Gene deiner Mutter, als auch deines Vaters konnten sich beide nicht durchsetzen. Und statt himmlischer oder dämonischer Abstammung, hast du einfach beide.“
Die Wärme an Aennas Wange sorgte dafür, dass sie nicht mehr klar denken konnte.

„Soweit habe ich das verstanden. Aber...warum hängt Bastien da mit drin? Und was ist mit Caya und Fraya?“, wisperte sie.
Ihre Stimme zitterte und ihre Flügel färbten sich heller, bis sie ein dreckiges weiß aufwiesen.
Lucian seufzte, trat einige Schritte zurück und ließ sich dann auf seinem Ledersofa nieder. Er winkte sie an sich heran, dann erklärte er ihr den Sinn und Zweck eines Guardian.

Fassungslos betrachtete Aenna die Stadt.

„Und ich dachte immer, ich wäre verrückt.“, murmelte sie und ließ ihre Stirn gegen das Glas fallen. Ihre Augen verdunkelten sich, als sie sich zu Lucian umdrehte.

„Warum kann ich nicht selbst entscheiden, wer ich sein will? Warum brauche ich dazu jemand anderen?“
Der Mann lehnte sich zurück. Sie hatte gelassener reagiert als erwartet. Und in ihrem Blick lag noch immer diese unverkennbare und kindliche Neugier. Lucian zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Es ist einfach schon immer so gewesen. Mischlinge sind eben etwas Besonderes und erfordern besondere Maßnahmen. Irgendwann könntest du den Verstand verlieren, Aenna. Willst du das wirklich riskieren?“, raunte er mit gefährlichem Unterton in der Stimme.
Aenna wandte sich von der Stadt ab, um sich selbstbewusst vor Lucian aufzubauen.

„Ich habe schon so viel erlebt, da werde ich das auch irgendwie schaffen!“, schimpfte sie voller Überzeugung. Lucian lachte leise und zog sie mit einem Ruck auf seinen Schoß.

„Du bist ein beeindruckendes kleines Mädchen, Aenna. Ich würde es zu schätzen wissen, wenn du dich für die Dämonin in dir entscheiden würdest.“, hauchte er an ihren Lippen.
Er macht es mir wirklich nicht leicht., dachte sie und widerstand dem Verlangen ihn zu küssen. Aenna schluckte.

„Angenommen ich würde es riskieren und mich meiner inneren Dämonin überlassen, was würde dann mit meiner „guten“ Hälfte passieren? Ich meine...wäre ich dann nicht mehr hilfsbereit und fürsorglich, wenn es darauf ankommt?“
Lucian neigte den Kopf.

„Das weiß ich nicht, Kleines. Ich weiß schließlich nicht, wie bösartig deine Dämonenhälfte ist. Man mag es kaum glauben aber es gibt auch Höllenbewohner von denen man glaubt, sie seien von himmlischer Abstammung.“
Aenna schwieg. Das Ganze war ihr eine Nummer zu hoch. Dann blickte sie dem Mann wieder in die Augen. Dieses kristallklare blau zog sie einfach in ihren Bann.

„Wir haben jetzt die ganze Zeit über mich gesprochen aber was ist mit dir? Du bist nicht irgendein Dämon, nicht wahr?“
Lucian konnte nicht anders, er stieß ein tiefes und kehliges Lachen aus.

„Oh nein, meine Liebe. Ich bin nicht nur irgendein Dämon, sondern deren Anführer, ihr König! Wäre ich das nicht, hätte ich dir das alles gar nicht verraten dürfen.“
In Aenna zog sich etwas zusammen, doch sie zwang sich ruhig zu bleiben.

„Dann bist du Satan.“, sagte sie ausdruckslos.
Das Lächeln auf seinen Lippen war aber keineswegs furchteinflößend.

„Höchstpersönlich.“, versichterte er und schlang seine Arme um sie, damit sie nicht auf die Idee kam zu flüchten. Aenna war über sich selbst überrascht. Sie hatte keine Angst vor diesem Mann und einschüchtern ließ sie sich auch nicht.

„Zeig mir die Hölle.“, verlangte sie und hob sein Gesicht bestimmend mit den Händen an.
Ein Funkeln trat in Lucians Augen.

„Ganz schön furchtlos.“, murmelte er.
Er musste sich eingestehen, dass er mit solch einer Reaktion nicht gerechnet hatte.

„Warum?“, wollte er dann wissen und kam ihren Lippen wieder gefährlich nahe. Sie schmunzelte.

„Weil ich neugierig bin. Ich will wissen, wie es da so zugeht. Vielleicht könnte ich mir vorstellen, dort eines Tages zu leben.“, erklärte sie wahrheitsgemäß.
Des Teufels spitze Zähne blitzten auf, als er lachte und seine Hände an ihren Hintern legte.

„Du sitzt auf dem Schoß des Teufels, präsentierst ihm großzügig deinen verlockenden Körper und willst dich von ihm auch noch nach Walhalla führen lassen. Was würde Bastien nur dazu sagen?“
Mit einem Schlag war Aennas Gesicht ausdruckslos, ebenso wie ihre Augen.

„Lucian.“, sagte sie monoton. „Ich fühle mich ihm gegenüber nicht das kleinste bisschen schuldig und das, obwohl ich dachte ich würde ihn lieben. Ist das richtig?“
Der Mann schluckte. Solche Gespräche sollte er eigentlich nicht führen, und doch tat er es nun.

„Ich weiß es nicht. Warum bist du auf einmal so schlecht auf ihn zu sprechen?“
Die junge Frau stieß seine Arme beiseite und erhob sich. Langsam lief sie durchs Zimmer, wobei sie das gleich unter die Lupe nahm.

„Wir...haben uns eben gestritten. Ich hab ihm einige Dinge an den Kopf geworfen, die nicht nett waren. Wahrscheinlich war ich zu stur, um mir seine Worte anzuhören aber irgendiwe...will ich sie gar nicht hören. Bisher hat er nie so reagiert, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich wollte wirklich eine Beziehung aber ich schätze, das ich einfach nicht das was er will. Jetzt jedenfalls ist es zu spät und...was soll's, Gefühle ändern sich nun mal.“

Lucian neigte den Kopf. Das war nicht richtig so. Sie sollten sich beide abgöttisch lieben und nicht irgendwann getrennte Wege gehen. Doch diese Angelegenheit war etwas, auf die er keinen Einfluss nehmen konnte. Wenn Aenna keine Gefühle mehr für Bastien haben würde, könnte niemand etwas daran ändern. Vielleicht würde er sie wieder zur Besinnung bringen?

„Glaubst du nicht, dass Bastien sich Sorgen um dich macht und versucht, dich zu erreichen?“, sagte er leise. Aenna sah ihn an. Ihre Augen trübten sich.

„Natürlich weiß ich, dass er sich Sorgen macht. Aber ich werde in nächster Zeit viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt sein, um...mit Bastien alles auszudiskutieren.“
Nachdenklich lehnte Lucian sich vor.

„Du bist keine einfache Frau, Aenna. Aber wie du willst. Ich zeige dir die Hölle und danach sehen wir weiter.“
Mit diesen Worten erhob er sich und öffnete ein Portal nach Walhalla.

 

„Caya.“
Die Frau drehte sich nach ihrer Freundin um und zog die Brauen in die Höhe.

„Hm?“
Der ernste Ausdruck in den Augen von Fraya beunruhigte die Engelsfrau.

„Ich werde für ein paar Tage nicht erreichbar sein. Ich bin zurückgerufen worden.“, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. Caya dachte erst sie hätte sich verhört, dann rang sie sich aber zu der Frage durch, was das zu bedeuten hatte. Fraya zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Vielleicht soll ich einfach nur Bericht erstatten. Vielleicht haben wir aber auch etwas falsch gemacht, wofür Satan mich jetzt bestrafen will.“, murmelte sie kleinlaut.
Caya lächelte aufmunternd, obwohl ihr nicht danach zumute war. Irgendetwas lief momentan einfach schief.

„Ach was. Vermutlich sollst du wirklich einfach nur Bericht erstatten.“, munterte sie ihre Freundin auf. Fraya lächelte schwach.

„Vermutlich.“, murmelte sie und machte auf dem Absatz kehrt.

„Man sieht sich, Kleine.“, sagte sie noch, dann war sie aus Cayas Blickfeld verschwunden.

„Mylord.“, murmelte Fraya ausdruckslos und ging für einige Augenblicke auf die Knie.

„Du hast dich lange nicht blicken lassen, Fraya.“, erwiderte Lucian mit eisiger Stimme.
Als ob die Frau ein Insekt wäre, sah er auf sie herab.

„Meistens war ich verhindert.“, erklärte Fraya, jedoch nur mit schwacher Überzeugung.

„Verstehe.“, sagte Satan und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Es wird mal wieder Zeit für einen Bericht, findest du nicht auch?“
Die Frau nickte und richtete sich dann wieder auf.

„Naja...es gibt ein paar Probleme.“, begann sie zaghaft.
Lucians Augen verengten sich.

„Was soll das heißen?“
In Fraya wallte Angst auf, doch sie ließ sich nichts anmerken. Was sie nicht wusste war, dass der Teufel sie schon längst durchschaut hatte.
Sie ist genauso naiv und stur wie Aenna., dachte er belustigt. Fraya schluckte und ergriff erneut das Wort.

„Aenna weiß, dass sie kein Mensch ist, denn...Celeste und Dragan sind auf der Bildfläche erschienen. Celeste hegt Mordgedanken gegenüber ihrer Tochter und Dragan ist überraschend fürsorglich geworden. Außerdem ist erschwerend hinzu gekommen, dass Aenna und Bastien sich voneinander distanziert haben. Und das größte Problem von allen ist, dass...Aenna ohne einen Hinweis verschwunden ist.“
Innerlich brach Lucian in schallendes Gelächter aus. Seit ein paar Tagen befand sich Aenna nun schon in Walhalla, natürlich wusste er das. Er wusste so einiges, doch was ihm neu war, war der Teil mit ihren Eltern. Nun gut, Dragan würde er jetzt mal außen vor lassen. Viel wichtiger war nun ihre Mutter.

„Celeste hegt Mordgedanken? Seid ihr dem nachgegangen?“, brummte er geladen.
Fraya nickte.

„Natürlich. Wirklich seltsam benommen hat sie sich aber erst, wenn jemand ihre Tochter erwähnt hat. Allerdings...ist sie irgendwann plötzlich verschwunden. Caya dachte, sie hätte sich vielleicht ins Himmelsreich zurückgezogen und hat das überprüft aber sie hat nichts herausgefunden. Tja, dann kamen wir darauf, dass sie sich vielleicht an Aenna vergriffen haben könnte. Wir sind auf der Suche nach den beiden, kommen aber nicht weiter...“
Nachdem sie verstummt war, begann sie auf ihrer Lippe herumzukauen. Die Stille behagt ihr nicht. Sie war sich sicher, dass der Satan so gut wie über alles Bescheid wusste, kein Wunder also das ihr diese Berichte immer peinlicher wurden.
Nach einigen, ewigen Augenblicken zuckten Lucians Lippen schließlich.

„Keine Sorge. Celestes und Aennas Verschwinden hängen nicht zusammen. Aenna geht es gut, ihr braucht euch also keine Sorgen zu machen. Bastien hingegen sollte lieber den ein oder anderen Gedanken verschwenden...“
Mit diesen Worten wedelte er mit der Hand und schickte Fraya zurück in die Menschenwelt. Seufzend erhob Lucian sich. Nun hatte er eine leise Ahnung, was Aenna hier wollen könnte.

„Dragan.“, murmelte er und steuerte auf die Tür zu.

 

„Stör ich?“
Dragan sah erschrocken zur Tür, an der Aenna lehnte, die frech grinste. Etwas wildes blitzte in ihren Augen auf, als ihr Blick auf den der Frau auf seinem Schoß traf.

„Ein Spielzeug?“, hauchte sie amüsiert.
Mit einem Schnauben sprang die Blondine auf.

„Freche Göre!“, fauchte sie und stürmte davon.
Mit einem Schlag war Aennas gute Laune verflogen.

„Was, in drei Teufels Namen machst du bitte in Walhalla? Und wie bist du überhaupt hergekommen?“, knurrte er und kam geradewegs auf sie zu.
Sie zwinkerte ihm zu.

„Wer weiß. Ich habe meine Geheimnisse.“, hauchte sie.
Ihr Vater neigte den Kopf.

„Also gut, lassen wir das mal so stehen. Was möchstest du von mir?“
Aenna nahm den Mann ganz genau in Augenschein. Auch ihr Vater hatte diese dämonischen Flügel, die sie schon bei Lucian zu Gesicht bekommen hatte. Allerdings waren die von Dragan um einiges kleiner. Auch beeindruckten sie Aenna kaum. Dennoch erkannte sie an seiner Aura, wie mächtig er war.

„Ich weiß Bescheid, Vater.“, verkündete sie. „Über alles.“
Dragan hielt inne. Verdammt noch mal, wer hatte die Klappe nicht gehalten? Er wollte doch so gerne derjenige sein, der ihr die Wahrheit erzählte. Seine Augen verengten sich. Moment. Dann konnte sie ja seine Flügel sehen! Aber wieso war ihr Gesicht dann so ausdruckslos? Sollte sie nicht beeindruckt sein oder ein wenig Angst verspüren? Seine Flügel gehörten mit über zwei Metern Spannweite zu den größten! Naja, ob es noch größere gab wusste er nicht. Des Teufels Schwingen zum Beispiel hatte er noch nie gesehen. Dragan schluckte.
Aennas Flügel waren allerdings auch verdammt imposant. Naja, für Mischlinge waren die Maßstäbe sowieso ein wenig anders definiert...

„Wer hat dich eingeweiht?“, knurrte er und packte ihre Schultern.

„Das war ich.“, ertönte eine raue und kratzige Stimme hinter ihm.
Aennas Mundwinkel zuckten, aus zwei Gründen. Zum einen freute sie sich Lucian zu sehen, auch wenn ihr das unbegreiflich war. Zum anderen fand sie es lustig zu sehen, wie sehr Lucian ihren Vater verunsicherte. Augenblicklich zog Dragan seine Hände von ihr weg.

„Aber warum?“, knurrte der Dämon. „Warum wird bei uns so eine große Nummer daraus gemacht, wenn du es ihr so einfach sagen kannst?“
Seine Stimme ging in ein Brüllen über. Schmunzelnd schob Lucian Dragan zur Seite, um vor dessen Tochter zu treten und deren Kinn zu ergreifen. Er beugte sich vor, bis sein heißer Atem auf ihre Lippen traf und sie mit einem innerlichen Seufzen erschauerte.

„Na, wer würde bei diesen wunderhübschen Augen schon Nein sagen können?“, hauchte er und zwinkerte Aenna zu. Beide konnten es nicht fassen, doch ein zarter Rotschimmer legte sich auf ihre Wangen. Ein lautes Knurren von Dragan riss die beiden wieder aus dem innigen Moment.
Lucian drehte sich zu seinem Lakaien um und stieß Aenna dabei leicht zurück.

„Ich glaube es ist besser, wenn wir uns unter vier Augen unterhalten.“, verkündete er.
Aenna verstand und machte auf dem Absatz kehrt.

„Bis später.“, hauchte sie, unklar für die Männer wen sie damit gemeint hatte.
Kaum das sie weg war, widmete Lucian sich wieder Dragan.

„Ich kann deine Gedanken lesen, mein Lieber, du solltest also aufpassen.“, raunte er.

„Der Grund, warum Aenna deine Flügel nicht beeindrucken ist folgender.
Ohne noch etwas zu sagen oder gar mit der Wimper zu zucken, breitete Lucian seine riesigen Schwingen aus. Dragan hielt den Atem an. Seine Flügel waren noch einmal mit Abstand um einiges größer als seine. Nun konnte Dragan verstehen, warum der Teufel seine Schwingen immer verbarg.

„Warum hast du dich meiner Tochter offenbart?“, hauchte der Dämon.
Nun erst wurde ihm klar, wie weit er unter dieser Mann stand.

„Weil ich in der Lage dazu bin.“, erwiderte Lucian mit gebieterischer Stimme.
Als er den Zorn und die Sorge in des Vaters Augen sah, wurde er ein bisschen nachsichtiger.

„Dragan.“, begann er ernst. „Ich wollte mir zuerst nur einen Spaß erlauben aber ich glaube inzwischen wirklich, dass es so besser für Aenna ist. Ich glaube auf diese Weise kommt sie am besten damit klar, als wenn sie es von einer nahestehenden Person erfahren hätte. Sie scheint in Ruhe über alles nachzudenken und ernsthaft zu überlegen, zu welcher Seite sie gehören will. Und genau deswegen halte ich das Ganze für keine schlechte Idee.“
Dragan neigte den Kopf. So war das also.

„Und wie lauten deine Befehle?“, murmelte er, leider treu ergeben und verneigte sich leicht.
Lucians Miene wurde undruchdringlich.

„Halt dich fern von Aenna. Das gleiche gilt für Celeste, Caya und Fraya. Sorge dafür!“
Dragan hatte keine Wahl. Er nickte, murmelte ein „Wie Ihr befiehlt.“ und machte sich dann schleunigst aus dem Staub. Aus tiefster Seele lachend setzte auch Satan sich in Bewegung.

 

__12__

 

Genießerisch schloss Aenna die Augen und legte den Kopf in den Nacken.
Das heiße Wasser half ihr leider auch nicht dabei, den Kopf frei zu kriegen. Mehrere Tage befand sie sich nun schon in Walhalla und sie hatte feststellen müssen, dass es hier gar nicht mal so schlimm war. Sie hatte inzwischen einige Dämonen kennengelernt und hatte gemerkt, dass viele von ihnen gar nicht so bösartig waren, wie man vielleicht vermuten würde. Vielleicht hatte sie auch einfach nur Glück gehabt, keine Ahnung.

„Nicht alles ist, wie es scheint.“, murmelte sie und schlug die Augen auf.
Es gäbe sicher eine Möglichkeit, alleine über ihr Schicksal zu entscheiden. Dann würde sie Bastien nicht mehr brauchen. Bastien. Sie verspürte einen Stich im Herzen, konnte sich diesen aber nicht erklären. Es wäre anständig gewesen sie hätte mit ihm gesprochen und sich entschuldigt, doch sie konnte nicht. Dafür tat es ihr zu wenig leid. Sie sah über ihre Schulter und betrachtete für einen kurzen Moment die tiefschwarzen Flügel, die pitschnass herunterhingen und so schwer waren, dass sie drohten Aenna in die Tiefe zu ziehen. Lucian hatte ihr das mit dem Farbwechsel erklärt...
Sie wandte den Blick wieder ab und dachte erneut an Bastien. Wo war die Liebe für ihn hin? Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ihre Empfindungen Bastien gegenüber ihren Verstand völlig lahmgelegt hatten.
Bastien und sie hatten so viele Gemeinsamkeiten und obwohl sie das toll gefunden hatte, wurde ihr nun klar, dass sie genau das verdammt langweilig fand. Oder warum sonst sollte die Gefahr, was Lucian betraf sie so sehr reizen? Seine Kristallaugen kamen ihr in den Sinn, weshalb sie stöhnend den Kopf in den Nacken fallen ließ.

„Ich muss wahnsinnig sein. Was stimmt nicht mit mir?“, murmelte sie.
Die Gefahr die von ihm ausging reizte sie. Ließ sie sich deshalb darauf ein oder steckte womöglich mehr dahinter? Mit einem energischen Kopfschütteln stellte sie das Wasser ab und griff blind nach dem Handtuch. Mit flinken Fingern band sie es sich um, dann stieg sie aus der Dusche.
Sie lebte zurzeit in Lucians Residenz und sie musste zugeben, dass ihr das verdammt noch mal gefiel. Es mangelte nämlich an nichts!
Als sie den groß gewachsenen Mann bemerkte erschrak sie und stolperte einen Schritt zurück, worauf die das Gleichgewicht verlor. Aenna konnte nicht einmal blinzeln, da stand Lucian auch schon vor ihr und hatte die Arme um sie gelegt, um zu verhindern das sie fiel und sich womöglich noch den Kopf anhaute. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.

„Ich muss gestehen, dass ich mich eben am liebsten zu dir gesellt hätte aber ich hatte den Anstand, es nur beim Zuschauen zu belassen.“, kicherte er.
Aenna brachte nicht mehr Zustande, als ein angsterfülltes Keuchen. Sie hatte sich wirklich und ernsthaft erschreckt, das erkannte nun auch Lucian. Behutsam und lächelnd strich er über ihre nassen Haare.

„Verzeihung, das war keine Absicht.“, sagte er leise.

Mit einem kurzen Nicken versicherte sie ihm, dass alles in Ordnung war. Lucians Lächeln schwand, doch er dachte nicht daran Aenna loszulassen. Intensiver als zuvor spürte er ihren weichen Körper und ihre üppigen, anschmiegsamen Kurven an seinen stahlharten Muskeln. Und alles was ihn von diesem köstlichen Fleisch trennte, war dieses verdammte, dünne und pitschnasse Handtuch.

„Was machst du hier?“, hauchte sie.
Dieses Knistern in der Luft war ihr nicht entgangen, doch sie wagte es nicht zu glauben, dass es wirklich vorhanden war. Plötzlich ließ sich Lucians Gesichtsausdruck nicht mehr deuten.

„Ich weiß es nicht.“, hauchte er. „Ich bin dabei, es herauszufinden. Stört es dich?“
Sein stechender Blick verursachte bei ihr Gänsehaut.

„Nein.“, flüsterte sie und legte ihm die Hände auf die Brust.
Beinahe hätte sie wohlig geseufzt, als sie seine Muskeln spürte.

„Um ehrlich zu sein hatte ich gehofft, dass du zu mir kommst.“
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, begann sie sein schwarzes Hemd aufzuknöpfen.
Eine Welle des Verlangens strömte durch ihre beiden Körper. Zufrieden grinsend beobachtete der Mann, wie sie mit fliegenden Fingern sämtliche Knöpfe öffnete.

„Was machst du nur mit mir?“, murmelte sie.
Lucian hob ihr Gesicht mit beiden Händen an.

„Diese Frage habe ich mir auch schon einige Male gestellt.Aber ich habe noch immer keine Antwort darauf.“
Noch bevor Aenna etwas darauf erwidern konnte, versiegelte er ihre Lippen mit einem Kuss.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, da hatten beide ihre Beherrschung verloren. Aenna riss Lucian das Hemd vom Leib und kurz darauf folgte auch seine Jeans, die ihm tief auf den Hüften saß.

„Ich nehme an du weißt, dass du wie ein Adonis aussiehst, deswegen binde ich es dir nicht auf die Nase.“, hauchte sie und biss ihm während eines innigen Kusses auf die Lippe. Sein tiefes und kehliges Lachen was darauf folgte, verursachte ein Ziehen zwischen ihren Beinen. Nicht zu fassen, wie sehr sie ihn begehrte! Lucian beendete den Kuss und sah ihr mit Ehrfurcht in die Augen.

„Du willst doch nicht etwa außen vor lassen, dass du den Körper einer Göttin hast?“
Während er das sagte, löste er mit vorsichtigem Griff das Handtuch von ihrem Körper. Er hoffte sie würde es nicht sofort bemerken, doch ihr rechter hochgezogener Mundwinkel bewies das Gegenteil.
Sobald es mit einem leisen Rascheln zu Boden gefallen war, hielt der Mann einen Augenblick inne.
Diesen Moment wollte er auskosten und genießen, denn er hatte etwas magisches.
Ihre nasse, wohlgeformte Brust hob und sank sich rasch unter seinem stechenden Blick.
Ihr ganzer Körper war noch nass. Lucians Augen folgten den Bewegungen der Wassertropfen, die in der Rinne zwischen ihren Brüsten hinunterliefen. Sein Blick glitt über jede Kurve ihres Körpers, ihre schmale Taille, den flachen Bauch unter dessen Haut die Muskeln lauerten, die ausladenden Hüften und den wieder schlanker werdenden Schenkeln. Ihre cremefarbene Haut, die glatt wie Seide zu sein schien bettelte förmlich darum, von seiner Zunge erforscht zu werden.
Sein Blick fiel zwischen ihre Beine, seine Mundwinkel zuckten. Fast alle Frauen mit denen er geschlafen hatte, hatten weiche und verführerische Locken an dieser Stelle gehabt. Nicht immer viele aber einen kleinen Teil. Nicht so Aenna. Nur zarte und rosige Haut war dort zu erkennen und es kribbelte in Lucians Schwanz, sie auch dort zu lecken. Zu guter Letzt richteten sich seine Augen auf ihre Flügel. Statt hoch aufzuragen gingen sie schwer herunter. Jede einzelne Feder hatte sich mit Wasser vollgesorgen und verdoppelte das Gewicht der riesigen Schwingen. Genau aus diesem Grund sah man keinen Engel bei Regen oder auch anderen Unwettern fliegen. Die Last in ihrem Rücken war einfach zu groß.
Lucian entblößte seine spitzen Fänge. Wie ein dunkler Racheengel stand sie vor ihm, in ihrem Gesicht flüssiges Gold, welches zum Niederknien verleitete. Kein Wunder also, dass sein Schwanz senkrecht stand. Scheiße, wie verrückt war das? Er musste sie nicht einmal berühren, geschweige denn berührt werden um bereit zu sein. Es genügte, wenn er sie ausgiebig betrachtete!
Ein Wassertropfen lief in die Kuhle ihres Halses, was seinen Blick fesselte. Zu gerne hätte er sich nun auf sie gestürzt, um an dieser verführerischen Kehle zu knabbern.
Sie konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken.

„Dafür, dass du mich solange angestarrt hast, darf ich das aber auch. Also runter damit!“, kicherte sie und deutete auf seine Boxer, nachdem er ihr wieder in die Augen sah.

„Sei dir gestattet.“, raunte er und ließ auch das letzte Stück Stoff zu Boden fallen.

Aenna genoss diesen Anblick. Sie war froh mittlerweile Erfahrung zu haben, dank Bastien wohlgemerkt, ansonsten wäre ich das nun verdammt peinlich gewesen.

Sie leckte sich über die Lippen. Seine blasse Haut spannte sich über seine stahlharten Muskeln und luden dazu ein, mit der Zunge erforscht zu werden.

„Ich könnte dich ewig so betrachten.“, murmelte sie und betrachtete ihn noch einmal ausgiebig von oben bis unten. Sie grinste beim Anblick seiner aufgerichteten Pracht. Doch bei sich selbst hatte sie auch eine verräterische Feuchtigkeit zwischen den Beinen verspürt und die rührte sicher nicht vom Wasser her.

„Und nun?“, hauchte sie und streckte verführerisch die Brust raus.
Lucian stieß ein tiefes Knurrena us und schritt auf sie zu.

„Wenn du so weiter machst, ist gleich alles ganz schnell wieder vorbei.“
Er zog sie an sich und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals, wobei ihm der Duft ihres Shampoos in die Nase stieg. Zärtlich knabberte er an ihrem Hals, worauf sie leise lachte.

„So viel Zärtlichkeit hätte ich dem Teufel gar nicht zugetraut.“, hauchte sie.
Plötzlich war dieses angenehme Gefühl an ihrem Hals verschwunden.

„Eigentlich bin ich nicht so.“, antwortete er mit dunkler Stimme. „Dir muss bewusst sein, dass ich nicht der liebe Kerl bin den du vielleicht gerne hättest, Aenna. Ich bin ein anderes Kaliber!“
Aenna lachte leise und streichelte mit einem Finger seinen Rücken.

„Ich weiß.“, flüsterte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Schulter. „Du wirst mich zur Weißglut treiben und doch dafür sorgen, dass ich mich nach dir verzehre. Es wird auf pure Verzweiflung hinauslaufen und...“

„Und doch gehst du dieses Risiko ohne zu zögern ein.“, beendete Lucian ihren Satz.
Er wich ein Stück zurück und sah sie misstrauisch an.

„Warum?“
Aennas Blick veränderte sich und mit einem Mal schien es, als wäre sie nicht mehr so selbstbewusst.

„Keine Ahnung. Vielleicht ist das einfach die Dämonin in mir. Vielleicht will ich auch einfach nur herausfinden, wie das Ganze enden wird.“
Für einen Moment fletschte Lucian die Zähne.

„Wehe, du beschwerst dich am Ende, wenn es nicht nach deiner Nase geht.“, knurrte er.

Aenna verdrehte die Augen. Hieß so viel wie „Wehe du heulst dir die Augen aus, wenn du mich mit einer anderen Frau erwischst!“

„Auf meine eigene Verantwortung.“, versicherte sie.
Dann befanden sich beide schon wieder in einem innigen Zungenkuss. Lucian hatte schon mit vielen Frauen gleichzeitig was gehabt, doch bei Aenna hatte er irgendwie nicht dieses Bedürfnis.
Im Moment wollte er gar keine Frau, außer Aenna.
Der Mann packte sie an den Oberschenkeln und hob sie hoch, um sie dann ins Schlafzimmer zu bringen, in dem er sie untergbracht hatte. Es befand sich in der Nähe seines Zimmers, was er ganz praktisch fand. Dort angekommen warf er sie erst mal auf's Bett, um sie genauer unter die Lupe zu nehmen. Erst jetzt nahm er ihre Tattoos in Augenschein.
An ihrem linken Fußknöchel war ein kleines Kreuz, sehr unscheinbar, er hätte es fast übersehen.

„Dreh dich um.“, befahl er.
Sie gehorchte und drehte sich auf den Bauch. Lucians Mundwinkel zuckten.
Eine Krähe auf ihrem Schulterblatt, ein kleines Herz in ihrem Nacken und über ihrem Steiß ein Herz, von Stacheldraht umringt. Alle Motive waren schwarz, nirgends Farbe. Der Mann lachte leise.
Ja, das passte zu ihr. Ein rosafarbenes Herz hätte ihn irgendwie verärgert.
So wie sie da lag, gefiel sie ihm! Er kletterte zu ihr ins Bett und legte seine Hände auf ihren runden und knackigen Hintern. Dann fing er an, ihren Rücken zu küssen. Mit der Zunge zog er die Konturen ihrer Tattoos nach, worauf sie gar nicht mehr aufhörte zu zittern.

„So kitzelig?“, lachte er und pustete zusätzlich über die Stelle, die er eben geleckt hatte.
Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus als sie erwiderte: „Bild dir bloß nichts darauf ein!“
Lucian lachte leise und drückte ihre Beine auseinander, um dann die Innenseite ihrer Schenkel zu küssen.

„Na, dann wollen wir mal sehen, wie empfindlich du wirklich bist!“

Als Aenna aufwachte, lag Lucian selig schlummernd unter ihr. Ihre Mundwinkel zuckten als sie, ohne ein Geräusch zu verursachen aus dem Bett stieg.
Oh, dieser Mann war begnadet, keine Frage! Und so sehr sie dieses kleine Abenteuer auch genoss, so machte sich nun doch das schlechte Gewissen bei ihr bemerkbar. Sie würde mit Bastien reden müssen, und das am besten sofort.

„Du hast einen ziemlich tiefen Schlaf.“, hauchte Aenna, nachdem sie sich angezogen hatte und sich nun über Lucian beugte. Sie drückte ihm einen zarten Kuss auf die Lippen und schlich dann aus dem Zimmer. Vor der Tür wurde ihr bewusst, dass sie gar nicht in der Lage war von hier zu verschwinden. Sie konnte keine Portale öffnen.
Einen Augenblick lang überlegte sie Lucian zu wecken, dann schüttelte sie den Kopf und stapfte davon. Nein, sie würde ihn schlafen lassen. Se würde schon jemanden finden, der ihr dabei helfen würde. Ihr Vater zum Beispiel. Oder Fraya. Wenn sie denn hier war, hieß es.
Sie erkundete also das Anwesen, bis sie eine Frau fand, die alleine an einem großen Tisch in einem Saal saß. Freundlich wirkte sie nicht aber Aenna zuckte mit den Schultern und ging zu hr.
Es hatte ewig gedauert bis sie diese Frau gefunden hatte, noch länger wollte sie nicht hier herum irren.

„Hey, du.“, sagte sie laut.
Die Frau zuckte kurz zusammen, dann hob sie den Blick.

„Was willst du, Kind?“, fauchte sie und funkelte Aenna wütend an. Die junge Frau zog die Brauen hoch. Holla, die war wohl mehr als nur wütend. Sie würde ihr sicher nicht helfen aber sie konnte es ja trotzdem mal versuchen.

„Weißt du, wie man ein Portal in die Menschenwelt öffnet?“, fragte sie und stemmte die Hände in die Hüften. Die Frau musterte sie und rümpfte dann die Nase.

„Was hat ein Mischling in Walhalla zu suchen?“, murmelte sie.
Aenna lächelte, allerdings ein wenig feindselig.

„Ja, genau deswegen brauche ich ein Portal. Weil ich hier nichts zu suchen habe!“
Wieder musterte die Frau Aenna abschätzig.

„Du hast Glück, dass ich mich nicht für dich interessiere. Ja, ich bin in der Lage ein Portal zu öffnen. Lässt du mich in Zukunft in Ruhe, wenn ich es dir beibringe?“

„Nichts leichter als das.“, versicherte Aenna.
Sie bekam einen Blick aus den Augenwinkeln zugeworfen, als die Frau an ihre Seite trat.

„Mein Name ist Eiren und ich hoffe für dich, dass wir uns in Zukunft nicht noch einmal begegnen werden.“
Aenna lachte leise.

„Kannst du mich nicht leiden, weil ich ein Mischling bin oder knüpfst du generell nicht gerne neue Kontakte?“
Ein leises Knurren stieg in der Brust von Eiren auf.

„Vermutlich beides. Und jetzt lass uns das Ganze schnell zu Ende bringen, damit ich mich wichtigeren Dingen widmen kann.“
Aenna sagte nichts mehr und ließ sich kommentarlos von Eiren zeigen, wie man ein Portal öffnete. Die Frau zog als erstes ein kleines Stück schwarze Kreide aus ihrem Auschnitt hervor.

„Magische Kreide.“, kommentierte sie. „Auf dem Boden ist sie nicht sichtbar, lediglich in der Luft. Mächtige Wesen sind in der Lage mit einem Fingerschnippen ein Portal zu öffnen, wir müssen uns hiermit begnügen.
Sie verstummte und begann, mit der Kreide ein kompliziertes Muster in der Luft zu ziehen.
Aenna sah genau hin. Links, dann rechts, dann ein Schwung nach unten. Mehrere Augenblicke lang musste sie sich anstrengen und genau hinsehen, dann leuchtete ein schwarzer, keltischer Knoten in der Luft. Er verblasste, dann tat sich ein Riss in der Luft auf und das Portal war geöffnet.

„Wenn du dieses Zeichen beim nächsten Mal nicht schaffst, hast du Pech gehabt. Und nun husch, husch.“
Eiren wedelte mit der Hand und kehrte Aenna den Rücken zu. Die junge Frau nahm das Portal misstrauisch unter die Lupe, fasste aber Vertrauen und setzte einen Fuß hinein.

„Danke, Eiren. Ich heiße übrigens Aenna.“

„Das will ich gar nicht wissen, verdammt!“, fauchte Eiren und wirbelte herum.
Doch Aenna war bereits verschwunden und mit ihr das Portal.

 

Gedankenverloren starrte Bastien auf seine Hände.
Aenna hatte sich noch immer nicht blicken lassen. Ein Knurren stieg in seiner Brust auf.
Er hatte bisher nicht darüber nachgedacht, doch nun musste er sich eingestehen, dass es Zeit wurde. Bastien hatte Aenna geliebt, doch er hatte festgestellt, dass da keine Liebe mehr war. Irgendwie hatte dieser eine Streit zwischen ihnen alles geändert. Um nicht zu sagen, zerstört. Er hatte sich nicht im Unrecht gesehen, doch Aenna hatte auf ihre Ansichten bestanden. Bastien musste sich darüber klar werden, was er nun wollte. Aenna gehörte doch ihm, oder nicht? Wollte er sie jetzt wirklich einfach so aufgeben?
Bastien ließ den Kopf in den Nacken fallen. Sie gehörte zwar ihm aber was, wenn er sie eigentlich gar nicht mehr wollte?
Ein Klopfen am Türrahmen riss ihn aus den Gedanken. Nur langsam sah er zur Tür.

„Hey.“, sagte Aenna leise und ausdruckslos.
Augenblicklich bildeten sich tiefe Falten in Bastiens Stirn. Er schwieg. Zorn wallte in ihm auf, deswegen hielt er es für besser wenn er schwieg.

„Wir müssen reden.“, verkündete die Frau und betrat den Raum.
Davon wollte der Mann jedoch erst mal nichts wissen.

„Kannst du mir mal sagen, wo du warst? Wir haben uns Sorgen gemacht!“
Nun verzog auch Aenna das Gesicht.

„Nein, kann ich nicht. Du musst nicht alles wissen.“, fauchte sie und blieb einige Meter vini hm entfernt stehen. Somit wurde dem Mann klar, wie sehr sie sich wirklich voneinander entfernt hatten.
Aenna holte tief Luft und verschränkte die Arme.

„Bastien, ich glaube...das mit uns...nimmt ein besseres Ende, wenn wir es beenden.“
Stille. Die Frau schluckte. Niemals hätte sie gedacht, mal mit jemandem Schluss zu machen. Und dann auch noch mit jemandem, der eigentlich für sie bestimmt war. Fassungslos sah Bastien sie an. Er konnte nicht glauben, dass sie diese Worte ausgesprochen hatte.

„Du willst es also beenden?“, hauchte er und erhob sich.
Mit einem Mal waren seine Knie weich wie Pudding. Auch Aennas Haltung veränderte sich. Es schien, als wäre sie sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie gerade das richtige tat.

„Ich...halte es für besser, ja.“, sagte sie leise und ließ sich an seiner Stelle auf's Sofa fallen.

„Der Streit zwischen uns hat alles verändert. Ich hatte Gefühle für dich aber irgendwie sind da jetzt keine mehr. Und ich sehe dir an, dass du ähnlich denkst.“
Bastien sah mit trübem Blick auf sie herab.

„Ja, es geht mir in der Tat ähnlich aber...ich bin dein Guardian, hat das denn gar keine Bedeutung?“
Aenna spürte einen Stich in ihrem Herzen. Irgendwie tat es ihr weh, Bastien verletzt zu sehen.

„Weißt du...von dieser ganzen Sache halte ich nicht viel. Ich möchte selbst entscheiden, wer ich einmal sein werde. Dementsprechend...hat es keine Bedeutung für mich, nein.“, erklärte sie.
Bastien stieß ein Knurren aus. Autsch, das hatte gesessen. Und dessen war Aenna sich bewusst. Sie erhob sich, griff nach seiner Hand und küsste ihn auf die Wange.

„Tut mir leid, Bastien. Aber das war's.“, hauchte sie.
Ein Klingeln unterbrach den Moment, doch keiner der beiden rührte sich. Das war auch gar nicht nötig, denn Caya und Fraya konnten sich mühelos Zugang verschaffen. Mit diesem Klingeln kündigten sie sich lediglich an. Schon standen sie auch schon im Wohnzimmer und beobachteten die Szene mit großen Augen.

„Aenna.“, hauchte Caya fassungslos. „Wo warst du denn die ganze Zeit?“
Die Frau antwortete nicht und wandte sich stattdessen wieder an Bastien.

„Ich halte es ebenfalls für bessern, wenn wir den Kontakt zueinander abbrechen.“, sagte sie leise.
Ohne eine Antwort abzuwarten wandte sie sich ab, drängte sich an Caya und Fraya vorbei und stürmte aus der Wohnung. Bastien sank auf's Sofa. Natürlich wichen die beiden Frauen nun nicht von seiner Seite.

„Ich kann mir denken, dass sie es beendet hat. Aber warum?“, fragte Fraya und ließ sich an Bastiens Seite nieder. Verzweifelt und doch irgendwie befreit ließ er den Kopf in die Hände fallen.

„Wir haben uns doch gestritten.“, murmelte er. „I-Ich habe sie geliebt und sie mich aber...jetzt ist da nichts mehr. Sie hält es für besser, wenn...“
Er verstummte und sah Fraya verbittert an.

„Ist das möglich?“, knurrte er. „Das Guardian und Schützling sich eineinander leben und...irgendwann nichts mehr miteinander zutun haben?“
Die beiden Frauen tauschten einen Blick miteinander aus. Caya setzte sich links neben Bastien und sah ihn mitfühlend an.

„Um ehrlich zu sein, kann so etwas noch nie vor.“, sagte sie leise.
Dann riss Fraya das Wort wieder an sich.

„Wenn Aenna das Ganze beenden will, dann müssen wir das akzeptieren. Wir können sie schließlich nicht dazu zwingen, den Kontakt zu die zu pflegen. Du kannst natürlich versuchen, die Fäden weiterhin aus dem Hintergrund zu ziehen aber das nur auf eigene Gefahr. Es bleibt dir überlassen, was du nun tun willst. Vielleicht kommt Aenna ja wieder zu Verstand?“
Bastiens Augen schlossen sich. Nein, er würde nicht handeln. Für ihn war es nun vorbei, auch wenn es schmerzte. Einzig und allein der Allmächtige würde an der jetzigen Situation noch etwas ändern können.

 

 

__13__

 

Lucian war nicht sonderlich überrascht, als er alleine in dem Bett aufwachte. Entweder hatte Aenna die Panik überkommen oder sie nahm das Ganze einfach nicht ernst. Der Mann lachte und stieg aus dem Bett. Es war ihm unerklärlich, doch er mochte diese Frau wirklich.
Und ihn interessierte wirklich, was sie wohl gerade treiben mochte. Er zog sich an und nicht viel später saß er auf seinem Thron und ließ nach einigen Dämonen rufen.
Als schließlich vier vor ihm standen, neigte er noch immer amüsiert den Kopf.

„Findet heraus, wo sich das Mischlingsmädchen mit den roten Haaren befindet.“, befahl er.
So komisch die Dämonen das auch fanden, sie fragten nicht nach. Sie wussten, dass das keinen Sinn hatte. Sie teilten sich bereits auf, nur ein Dämon blieb an Ort und Stelle. Eine Frau, um genau zu sein.

„Eiren, was gibt’s?“, verlangte Lucian zu wissen.

„Ihr Name ist nicht zufällig Aenna, oder?“
Des Teufels Augen blitzten auf.

„Du bist ihr also begegnet.“, stellte er fest.
Die Frau verzog das Gesicht.

„Allerdings. Sie ist in der Menschenwelt. Sie wollte wissen, wie man ein Portal öffnet.“
Lucian seufzte.

„Und du hast es ihr natürlich gezeigt, nicht wahr?“, murmelte er.
Eiren nickte, Lucian konnte ein Schmunzeln nicht verhindern. Die Dämonin gab sich zwar kratzbürstig, war in Wirklichkeit aber eine gute Seele, für eine Dämonin verstand sich, und hatte Aenna selbstverständlich gezeigt wie man ein Portal öffnet.

„Das macht Aenna noch unkontrollierbarer.“, murmelte Lucian und rieb sich die Stirn.

„Ich nehme an, sie hat dir nicht gesagt, was sie da will?“, fragte er.
Eiren zog die Brauen hoch.

„Natürlich nicht! Wer bin ich denn, dass ich mir Lebensgeschichten anhöre?“, fauchte sie.
Lucian lachte.

„Stimmt, das wäre wirklich zu viel für dich. Also gut, Eiren, danke dir. Sag den anderen, das Ganze hat sich erledigt. Ich kümmere mich selbst darum.“
Eiren nickte, dann huschte sie davon. Lucian erhob sich.

„Sie flüchtet also schon wieder in die Menschenwelt.“, murmelte er. „Ich hoffe, sie stellt keinen Blödsinn an.“

 

Mit vollem Kopf ließ Aenna sich an der Bar nieder. Es war ihr gar nicht aufgefallen aber sämtliche Lokale waren voll von Dämonen.
Irgendwie wundert mich das nicht., dachte sie und bestellte beim Wirt ein Bier.
Ihr Blick fiel auf ein Pärchen, nur wenige Meter von ihr entfernt. Eigentlich ja nichts besonderes, wären da nicht die Flügel in ihrem Rücken.
Zwei Mischlinge., dachte sie perplex. Und dann auch noch ein Liebespaar.
Die Flügel des jungen Mädchens schimmerten gräulich, die des Jungen waren schwarz.

„Ich danke dir, dass du mir die Augen geöffnet hast, Lucian.“, murmelte Aenna.
Hätte Lucian ihr nicht die wahre Welt gezeigt, wäre für sie noch immer heile Welt mit Bastien.
Dabei ging es hier um sehr viel mehr! Aenna war klar, dass diese zwei noch von nichts wussten.
Doch was wäre, wenn sie sich einfach ins Schicksal einmischen würde? Aenna blickte sich um. Ihr fiel auf, dass einige Dämonen sie im Blick zu haben schienen. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie wussten das sich gerade drei Mischlinge hier aufhielten. Was hatte ihr Vater damals zu Bastien gesagt? Das man es auf Mischlinge abgesehen hatten, weil sie einfach „unnatürlich“ waren?
Ein gehörnter Dämon, mit tiefschwarzen Augen, erschien in Aennas Augen besonders bedrohlich.
Er stierte eine Weile lang nur sie an, dann hatte er das Pärchen im Visier. Aenna lächelte in sich hinein. Sie war nicht mehr das kleine, schüchterne Mädchen von früher. Sie war erwachsen geworden und es wurde Zeit, dass sie sich auch so benahm. Sie erhob sich, mit ihrem Bier in der Hand und ging selbstbewusst zu dem Dämon, der seinen Blick nun wieder auf sie richtete.
Mit herausfordernem Blick setzte sie sich ihm gegenüber.

„Also gut.“, begann sie gedehnt und leckte sich über die Lippen. „Gibt es einen speziellen Grund, warum du mich und die anderen beiden so im Visier hast?“
Der Mann mit den schwarzen Augen musterte sie von oben bis unten, dann entblößte er für einen kurzen Moment seine Reißzähne.

„Du kennst die zwei dort drüben nicht aber ich rate dir, so schnell wie möglich mit ihnen von hier zu verschwinden. Ich bin nicht der einzige, der sich jetzt am liebsten auf euch stürzen würde.“
Seine Stimme war ein einziges Knurren, tief und dunkel und weitaus unangenehmer als die von Lucian oder Dragan. Sie verursachte ein Kratzen auf der Haut, welches bei ihr Gänsehaut verursachte. Natürlich sorgte Aenna dafür, dass er es nicht sah, dennoch neigte sie nun interessiert den Kopf. Sie dachte nicht im Traum daran jetzt aufzustehen, die beiden sich Liebenden zu unterbrechen und sie mitzuzerren, hinaus in den lauen Abend.

„Wieso seid ihr gegen uns, hm?“, raunte sie. „Ist es wegen der Natur? Sind wir euch einfach zuwider? Oder fühlt ihr euch einfach nur bedroht?“
Was auch immer der Auslöser dafür war, der Dämon stieß ein lautes Knurren aus und griff blitzschnell über den Tisch. Seine Hand, oder besser gesagt seine Klaue, angesichts der langen und spitzen Fingernägel, verkrallte sich im Kragen ihres enganliegenden Tops. Man konnte deutlich hören, wie der Stoff an einigen Stellen riss. Der Mann zog ihr Gesicht an seines heran und bleckte die Zähne.

„Ist dir eigentlich klar, wen du hier vor dir hast?“, zischte er.
Aenna nahm aus den Augenwinkeln heraus wahr, dass fast alle Anwesenden das Schauspiel beobachteten.

„In der Tat.“, knurrte sie. „Aber deswegen krieche ich nicht zu Kreuze. Also, sagst du mir nun, warum ihr uns nicht ausstehen könnt?“
Kaum zu glauben aber der Dämon ließ sie los und lehnte sich langsam und schnaufend zurück.

„Freche Göre.“, knurrte er.
Aenna schmunzelte.

„Du kannst gar nicht so grausam sein. Du hast mich schließlich vorgewarnt.“
Als sie verstummte, ließ sie den Blick schweifen, dann senkte sie Stimme und Tonlage ein wenig.

„Mir ist aufgefallen, dass die Dämonen sich hier generell ziemlich zurück halten. Hat das einen bestimmten Grund?“
Wieder musterte der Mann ihr gegenüber sie.

„Sie haben Angst.“, hauchte er mit kratziger Stimme.
Das überraschte sie dann doch.

„Angst? Aber wovor denn?“
Sie musterte die unzähligen Dämonen, konnte aber nichts in ihren Augen erkennen.

„Vor dir, Mädchen.“, raunte der Mann.
Aennas Augen weiteten sich und sie deutete mit dem Finger auf sich selbst. Der Dämon nickte.

„Aber warum?“, murmelte sie.
Der Mann lehnte sich zurück und betrachtete Aennas Rundungen eine Weile zu lang.

„Keine Ahnung. Du hast etwas an dir. Du strahlst etwas aus, das sich nicht benennen lässt.“
Um ehrlich zu sein konnte Aenna das nicht so ganz glauben, doch insgeheim gefiel ihr das. Spöttisch lächelnd nahm sie einen Schluck von ihrem Bier.

„Wenn ich jetzt mit den beiden von hier verschwinde, würde ich somit Schwäche beweisen. Ich bleibe also schön hier.“
Ihr Blick ging zu dem Pärchen. Ihr kamen einige Ideen. Es gab Engel, die alle an einem Ort lebten. Dämonen, die alle an einem Ort lebten. Und Mischlinge, die teilweise alleine auf der Welt umherwandelten. Das war doch ungerecht, oder nicht? Engel und Dämonen wurden angeführt, Mischlinge hingegen mussten in Angst vor womöglichen Mordversuchen leben. Was, wenn es einen Anführer für die Nephilim geben würde? Jemand der sie beschützte und sich für sie einsetzte, wenn es darauf ankam. Der Dämon ihr gegenüber stupste sie mit dem Fuß an und riss sie somit aus den Gedanken.

„Dein Blick gefällt mir nicht, Kleine. An was denkst du?“
Aenna lächelte.

„Ach, ich war nur in Gedanken versunken. Wie heißt du eigentlich?“

„Roy.“, knurrte der Mann leise und hängte ein Seufzen dran.
Jetzt ließ er sich doch tatsächlich auf einen Plausch mit der Kleinen ein.

„Hallo, Roy.“, erwiderte Aenna mit einem strahlenden Lächeln. „Mein Name ist Aenna. Solltest du Lucian sehen, richte ihm aus, es geht mit gut.“

„Das wird nicht nötig sein.“, ertönte es von links.
Lucian ließ sich frech grinsend neben Aenna nieder und packte sie dann, um sein Gesicht an ihrem Hals zu vergraben und leicht daran zu knabbern. Ein Schauer überlief sie und ließ sie kurz erzittern.

„Lucian.“, hauchte sie überrascht. Die Frage was er hier zu suchen hatte, wollte ihr nicht über die Lippen kommen.

„Mylord.“, hauchte Roy und neigte sein Haupt ein wenig. Dann betrachtete er wieder Aenna.

„Kein Wunder, dass Ihr den Dämonen Angst einjagt.“, sagte er zu ihr. „Der Herr hat euch markiert.“
Aenna hielt inne. Warum spraach er sie auf einmal so förmlich an? Schlagartig sah sie den König der Dämonen an.

„Was soll das heißen, du hast mich markiert?“, murmelte sie.
Sie war zwar auf hundertachtzig, wollte sich alles aber erst einmal erklären lassen. Vielleicht verstand sie ja auch einfach nur etwas falsch? Lucian neigte den Kopf und musterte seinen Untertan eingehend.

„Ich weiß damit leider auch nichts anzufangen.“
Diese indirekte Aufforderung ließ Roy unruhig auf seinem Platz hin und her rutschen. Sein Blick wanderte zwischen den beiden hin und her.

„Sie haben mit ihr geschlafen. Die Frau, mit der sie etwas hatten strahlt immer eine gewisse Macht aus. Wir nennen das einfach „Markierung“.“
In Aenna zog sich etwas zusammen. Irgendwie gefiel ihr diese Tatsache gar nicht. Außerdem war es ihr peinlich das nun jeder Anwesende Dämon wusste, dass sie mit dem Teufel im Bett gelandet war. Lucian zuckte gelangweilt mit den Schultern und wandte sich wieder Aenna zu.

„Erst einmal würde ich gerne anmerken, wie überraschend es war ein leeres Bett vorzufinden. Und mir ist zu Ohren gekommen, dass du jetzt in der Lage bist Portale zu öffnen.“
Aenna grinste breit und sprach folgende Worte besonders mädchenhaft aus.

„Tut mir leid, dass ich dich nicht geweckt habe aber so tief schlafend sahst du einfach zu niedlich aus!“
Spielerisch knuffte sie ihm in die Seite und wie nicht anders erwartet, verzog er das Gesicht. Aenna lachte und fuhr dann ziemlich ernst fort.

„Ja, ich kann jetzt Portale öffnen. Eiren war wohl offensichtlich so nett, dir von allem zu berichten.“

Neugierig verfolgte Roy das Gespräch zwischen den beiden. Der Teufel hatte mit einer Nephilim geschlafen! War das überhaupt erlaubt? Würde sich da der Allmächtige nicht einmischen? Offensichtlich nicht. Lucian antwortete nicht auf Aennas Worte, stattdessen betrachtete er sie mit einem undeutbaren Blick.

„Du bist anders als andere Mischlinge, Aenna. Und ich will wissen, woran das liegt.“, knurrte er.
Die junge Frau neigte den Kopf und tiefe Furchen bildeten sich in ihrer Stirn.

„Wie kommst du jetzt bitte darauf?“, murmelte sie.
Eine Antwort erwartete sie allerdings nicht. Ärger stieg in ihr auf, als sie den Teufel einige Augenblicke lang ansah.

„Warum bist du mir überhaupt gefolgt? Ich hatte gehofft, mal meine Ruhe zu haben.“
Damit ich ungestört über dieses ganze Mischlings-Ding nachdenken kann., fügte sie in Gedanken hinzu und nahm noch einen Schluck von ihrem Bier.

„Ich will einfach wissen, was du nun vor hast.“, antwortete Lucian. „Und glaub nicht, dass ich dich so schnell in Ruhe lassen werde.“
Insgeheim erfreuten diese Worte Aenna dann doch. Lucian interessierte sich offensichtlich für sie und das verursachte bei ihr ein aufsteigendes Machtgefühl.

„So scharf auf mich, Satan?“, raunte sie dem Mann zu und lächelte verheißungsvoll.
Roy räusperte sich und erhob sich dann eilig.

„Nun dann, Mylord. Ich mache mich dann mal wieder auf den Weg.“
Ohne eine Antwort abzuwarten verneigte er sich auch vor Aenna, dann verschwand er. Aenna blickte sich ein weiteres Mal um. Mit einem Mal schien es, als wären Lucian und Aenna gar nicht vorhanden. Sie wurden einfach nicht beachtet! Plötzlich fasste Lucian ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu seinem. Nur wenige Atemzüge befanden sich seine Lippen von ihren.

„Ich sehe dir an, dass du etwas planst, Aenna. Raus mit der Sprache, was hast du vor?“, knurrte er.
Sein heißer Atem schlug ihr ins Gesicht und mit einem Schlag erinnerte sie sich an die Dinge, die die zwei schon miteinander getrieben hatten. Eins musste man diesem Mann lassen, er hatte von so gut wie allem eine Ahnung! Und er schien ganz genau zu wissen woran sie dachte, denn er grinste breit und knabberte mit seinen Fangzähnen an ihrer Unterlippe.

„Oh, kleiens Mädchen du bist so einfach gestrickt.“, hauchte er und biss fester zu.

„Ich könnte dich jetzt packen und direkt auf diesem Tisch nehmen. Direkt vor den Augen aller anderen. Und ich wette, es würde dir sogar gefallen.“
Aenna schluckte. Das deutliche Ziehen zwischen ihren Beinen machte ihr klar, dass sie das tatsächlich erregend fand. Allerdings war sie sich ziemlich sicher, es nicht so weit kommen zu lassen.

„Könntest du aufhören, ständig das Thema zu wechseln?“, murmelte sie mit zitternder Stimme.
Lucian lachte leise und kehlig.

„Vergiss es.“, flüsterte er und küsste sie nun vollständig und mit inniger Leidenschaft.
Ein leises Raunen war um sie herum zu vernehmen. Wahrscheinlich kam es von den Dämonen.
Nicht zu fassen aber ich habe eine Affäre mit dem Teufel am laufen., dachte Aenna und verwickelte den Mann in einen Zungenkuss. Von einer Sekunde auf die andere packte er ihren Nacken und beendete den Kuss.

„Vorsicht!“, drohte er und bleckte die Zähne.
Aenna lächelte.

„Oh, nun willst du also die Kontrolle, hm?“
Sie wusste ganz genau, dass sie mit dem Feuer spielte. Und sie drohte sogar, sich zu verbrennen. Aber scheiße, es turnte sie einfach zu sehr an. Für den Bruchteil einer Sekunde fiel ihr Blick auf das Mischlingspaar. Mit denen würde sie sich wohl später beschäftigen müssen. Sie sah Lucian wieder an und schnappte mit den Zähnen nach seinem Mund, trotz der riesigen Pranke in ihrem Nacken.

„Als ob ich Angst vor dir hätte.“, kicherte sie.
Der Mann knurrte. Nun hatte sie es zu weit getrieben. Mit einer wegwerfenden Handbewegung verschwamm die Umgebung um sie herum. Sie konnten alles und jeden sehen, nur sie waren und blieben für alle unentdeckt.

„Was hast du gemacht?“, hauchte Aenna.

„Sie können uns nicht sehen.“, antwortete Lucian, dann war seine Freundlichkeit und seine Rücksicht verschwunden. Er packte die Frau grob an den Hüften, dann blieb Aenna für einen Augenblick die Luft weg. Sie blinzelte und stellte fest, dass er sie auf den Tisch drückte.
Er riss ihr Jeans und Höschen bis zu den Knien hinunter und drängte sich zwischen ihre Beine.
Ein Keuchen entwich aus ihren Lungen als er seine Hand an ihr Fleisch presste, welches bereits feucht war. Lucian grinste.

„Willst du, dass sie uns sehen?“, raunte er ihr ins Ohr, nachdem er sich über sie gebeugt hatte.

„Nein!“, sagte sie klipp und klar. Sie wollte das nicht und doch wäre sie noch feuchter geworden, wenn er es trotzdem darauf hätte ankommen lassen.

„Wie du willst.“, flüsterte er.
Er schnippte gegen ihre empfindlichste Stelle, worauf sie einen Schrei austieß.

„Ich hab dir ja gesagt, du sollst vorsichtig sein.“, knurrte Lucian.
Aenna sah es nicht, doch sie hörte wie er sich an seiner Hose zu schaffen machte.

„Ist das jetzt meine Bestrafung?“, flüsterte sie.

„Oh ja!“, brüllte Lucian.
Mit einem Stoß war er in ihr und das kam so überraschend, dass Aenna einen weiteren Schrei ausstieß. Hart und brutal stieß er immer wieder in sie. Es dauerte nicht lange, da spürte die Frau dieses bekannte Zittern in ihrem Unterbauch.

„Härter!“, verlangte sie brülltend, nicht wissend ob das überhaupt möglich war.
Lucian verkrallte sich in ihrem Haar und riss ihren Kopf ein Stück zurück.

„Sieh an, das gefällt dir also!“, lachte er.
Doch all zu gemein wollte er nicht sein, weshalb er noch fester und tiefer in sie stieß.
Mit einem animalischen Schrei brach der Höhepunkt wie eine Welle über Aenna zusammen.
Knurrend und nur langsam kam sie zur Ruhe. Lucian bewegte sich weiter in ihr, dann sackte er auf ihr zusammen und schmiegte sich an sie.

„Du stehst auf so harte Nummern, oder?“, keuchte sie und sah über ihre Schulter zu ihm zurück.
Nachdenklich und droch schmunzelnd strich Lucian ihr durchs Haar.

„Das war noch harmlos, Süße.“, nuschelte er an ihrer Haut.
Er verpasste ihr einen kräftigen Schlag auf den Po, was ihr ein tiefes Stöhnen entlockte.

„Das tut echt weh.“, stellte sie fest und schob die Unterlippe vor.
Lucian richtete sich auf, knabberte aber noch einmal an ihrem Ohr.

„Und doch sorgt es dafür, dass du wieder feucht wirst, nicht wahr?“
Aenna schluckte. Sie hoffte wirklich, dass sie folgende Worte nicht bereuen würde.

„Ich will nächstes Mal noch weiter gehen. Mit dir!“
Lucian hielt inne, dann lachte er lauthals.

„Das lässt sich einrichten.“, lachte er und küsste sie so zärtlich, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. Er zog den Reißverschluss seiner Hose zu und wartete, bis auch Aenna ihre Hose hochgezogen hatte, ehe er wieder einen Wisch mit der Hand machte.

„Ich muss los, Aenna. Aber ich habe dich im Auge, also stell keinen Unsinn an!“, raunte er ihr ins Ohr, dann wandte er sich ab. Nachdenklich sah Aenna ihm nach, dann nahm sie wieder Platz.
Zwischen ihren Beinen pulsierte es noch immer, was ihr das Denken ziemlich erschwerte.
Reiß dich zusammen, Weib!, dachte sie.
Als ihr Blick auf das des Mischlingspaares traf stellte sie fest, dass die beiden sie im Visier hatten und nun direkt auf sie zu kamen. Gespannt auf das, was folgen würde lehnte Aenna sich zurück.

„Entschuldige aber wir haben dich gerade beobachtet.“, begann das Mädchen mit den blassblauen Augen.

„Du hast sie beobachtet.“, murmelte der Junge seufzend.

„Was war das gerade für eine komische Situation?“, plapperte das Mädchen auch schon drauf los.
Aennas Mundwinkel zuckten. Vielleicht erwies sich das Ganze doch als einfacher, als gedacht.
Sie zog die Brauen hoch, worauf auch ihr Gegenüber inne hielt.

„Oh, Verzeihung. Mein Name ist Cess. Das hier ist Bryan.“
Aenna musterte die beiden. Cess schien ziemlich naiv zu sein, Bryan hingegen sehr vorsichtig.

„Ich bin Aenna.“, stellte sie sich vor und lächelte schwach. Ein bisschen Freundlichkeit würde ihr bei den beiden sicher helfen.
Augenblicklich rutschte Cess näher an sie heran.

„Vielleicht hältst du mich für verrückt aber das eben war eine verdammt unheimliche Situation. Irgendetwas ging hier vor sich, stimmt's?“, hauchte sie.
Aenna überlegte, wie weit sie gehen sollte. Lucian hatte ihr schließlich gesagt, er würde sie im Auge behalten. Sie nahm nicht an, dass die beiden ihre Guardians schon getroffen hatten. Andererseits...man wusste ja nie. Bastien und sie waren schließlich auch nicht ununterbrochen zusammen gewesen. Sie grinste und bedeutete Cess mit dem Finger, noch näher zu kommen.

„Ja, hier geht etwas vor aber das ist jetzt nicht so wichtig. Du...bist ein ängstliches Mädchen, nicht wahr? Fürchtest dich vor dem, was alles kommen könnte. Und doch neigst du zu...kleinen Ausbrüchen. In manchen Situationen bricht es aus dir heraus. Du lässt dir nichts gefallen, wirst vorlaut und frech und mehr als selbstbewusst. Du glaubst, du bist verrückt. Psychisch gestört. Hast einen gespaltenen Charakter.“
Nachdem Aenna verstummt war, wich Cess ein Stück zurück.

„W-Woher weißt du davon?“, hauchte sie ängstlich.
Aenna lächelte verständnisvoll.

„Weil du genauso bist, wie ich es bin. Oder besser gesagt, wie ich war.“
Cess schüttelte den Kopf, dann schickte sie Bryan fort. Sie wollte alleine mit Aenna sprechen.

„Aber woher weißt du, das ich so bin?“, murmelte sie.
Sie war verunsichert. Sie hatte nie jemandem davon erzählt, was ini hr vorging. Auch Bryan nicht. Sie hatte einfach Angst, dass man sich über sie lustig machen würde. Aenna nahm ihre Hand und drückte diese leicht.

„Ich sehe es dir an, Cess. Du bist nämlich etwas Besonderes.“
Das Mädchen schluckte.

„Ich hab Angst, Aenna. Was soll das heißen?“, flüsterte sie.
Aenna erhob sich und gab ihr das Zeichen, ihr zu folgen. Auch Bryan folgte ihnen, allerdings mit ein paar Metern Abstand. Sie verließen das Lokal und wanderten durch die dunklen Straßen.

„Du und Bryan, ihr geratet des Öfteren in Gefahr, stimmt's?“, begann Aenna und warf Cess einen Blick zu. Diese schluckte.

„Ja, irgendwie geraten wir andauernd in irgendwelche Auseinandersetzungen.“
Sie sparte sich die Frage, woher Aenna das wusste. Aenna zögerte einen Augenblick, dann sah sie wieder das Mädchen an.

„Das ihr so oft in Gefahr geratet liegt daran, dass man es auf euch abgesehen hat.“
Gespannt wie sie wohl darauf reagieren würde, wartete sie auf ihre Reaktion. Das Mädchen blieb stehen.

„Du lügst!“, fauchte sie.
Aennas Mundwinkel zuckten. Damit hatte sie schon gerechnet. Sie schüttelte fies grinsend den Kopf.

„Nein, ich lüge nicht.“, hauchte sie.
Nur langsam setzte Cess sich wieder in Bewegung.

„Wieso sollte man es auf uns abgesehen haben?“
Hilflos sah sie zu Bryan, der nun an ihre Seite trat.

„Das Ganze hört sich wirklich...Naja, es klingt eben nicht nach der Wahrheit.“, bemerkte er.
Aenna schnaubte und ging immer weiter.

„Sie sind nicht hinter euch her, weil ihr irgendetwas angestellt habt. Auch handelt es sich bei diesen Leuten nicht einfach um irgendwelche Kriminellen oder auf Jugendliche die auf Radau aus sind.“
Aenna rang mit sich. Sie ahnte, dass sie all das eigentlich gar nicht erzählen durfte.

„Warum sind sie dann hinter uns her?“, schrie Cess und griff nach ihrem Arm.
Aenna schmunzelte. Dieses Mädchen war nicht sonderlich kräftig, es wäre ein leichtes gewesen, sie zurückzustoßen.

„Weil ihr keine Menschen seid.“, zischte Aenna und ließ die Bombe somit platzen. Sie konnte sich jedoch denken, dass die beiden ihr nicht glauben würden. Bryan zog seine Freundin mit einem Ruck zurück.

„Cess, ich halte es für besser wenn wir verschwinden. Das ist bestimmt nur irgendeine Irre.“, raunte er dem Mädchen leise zu. Aenna konnte es allerdings hören. Sie lachte leise.

„Wenn du mit Irre einen gespaltenen Charakter meinst, dann ja. Dann ist deine kleine Freundin aber auch irre.“
Sie wartete gar nicht auf die beiden, sondern ging einfach weiter. Innerlich ärgerte sie sich aber gewaltig. Vielleicht hätte sie es doch langsamer angehen lassen sollen.

„Ich habe das Ganze auch für verrückt gehalten aber es ist die unheimliche Wahrheit.“, sagte sie leise. Plötzlich tauchte Cess wieder neben ihr auf.

„Ich glaube dir.“, hauchte sie und sah sie mit großen Augen an. „Erzähl mir mehr!“
Verblüfft hielt Aenna inne.
Sie glaubt mir also tatsächlich., dachte sie und lächelte.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dir das alles gar nicht erzählen darf aber ich kann einfach nicht anders. Es steht so viel auf dem Spiel...“
Natürlich war Cess beunruhigt über ihre Worte aber Bryan machte das Ganze noch nervöser.
Er stieß ein Schnauben aus.

„Wisst ihr was? Macht doch, was ihr wollt. Ich verzieh mich.“
Ohne sich von seiner Freundin zu verabschieden ergriff er die Flucht. Cess' Gesichtsausdruck verriet, wie sehr sie das verletzte. Aenna lächelte sanft und legte dem Mädchen den Arm um die Schulter.

„Mach dir nichts draus, Kleine. Er wird merken, dass er einen Fehler gemacht hat.“, versicherte sie ihr.

„Bist du sicher?“, murmelte sie unsicher.
Aenna nickte.

„Ja.“
Eine Weile lang liefen die beiden stumm nebeneinander her, dann sah Cess zu Aenna auf. Sie war ein ganzes Stück größer wie sie.

„Was meintest du damit als du sagtest, wir sind keine Menschen?“, fragte sie nach.
Aenna überlegte, wie sie das Ganze formulieren sollte.

„Naja, ihr seid...Mischwesen.“, sagte sie leise und ließ Cess gar keine Chance, darauf etwas zu erwidern. „Glaubst du an Gott, Cess?“
Das Mädchen überlegte einen Moment.

„Ich wurde gläubig erzogen und ich glaube durchaus, dass Gott existiert.“
Aenna lächelte. Das war gut. Sogar sehr gut!

„Es gibt ihn, Cess. Und was schlussfolgerst du daraus?“
Das Mädchen blieb einen Moment ruhig, dann weiteten sich ihre Augen.

„Aber wenn Gott existiert, dann muss doch auch...“
Aenna unterbrach sie mit einem Nicken.

„Ganz genau. Natürlich existiert auch ein Gegenstück. Gott und seine Engel, Satan und seine Dämonen, all diese Wesen sind vorhanden und befinden sich zu jedem Zeitüunkt unter uns. Ich kann sie zwar erst seit kurzem sehen aber es ist der pure Wahnsinn, wie viele von ihnen unter uns sind. Also, Cess, was glaubst du passiert, wenn Engel und Dämon sich vereinigen?“
Aenna wurde immer leiser, bis sie das Mädchen mit finsterem Blick aussah und schließlich verstummte. Doch Cess schwieg, weshalb Aenna ihr auf die Sprünge half.

„Wenn sie Sex haben, Kleine. Was könnte möglicherweise passieren?“

„Sie kriegen Kinder?“, hauchte sie fragend.
Aenna lächelte verbittert.

„Ganz genau, Cess. Und wir sind diese Kinder.“

 

 

__14__

 

Als Lucian sich auf seinem Platz niederließ, trat Fraya vor ihn. An sich nichts ungewöhnliches, wäre da nicht die Tatsache das Caya an ihrer Seite stand. Mit gehobenen Augenbrauen sah Satan seine Dämonin fordernd an.

„Ein Engel in Walhalla? Ich nehme an, ihr habt eure Gründe warum ihr zusammen hergekommen seid.“, sprach er ausdruckslos.
Fraya erschauerte. Anhand seiner Stimme konnte sie mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass ihm dieser Anblick nicht gefiel. Er musste nicht erst fragen was das zu bedeuten hatte, Fraya fiel direkt mit der Tür ins Schloss. Es handelte sich schließlich um eine ernste Angelegenheit, da hatte sie keine Zeit, um um den heißen Brei herumzureden.

„Aenna hat Bastien den Laufpass gegeben.“, verkündete sie.
Lucians Mundwinkel zuckten, allerdings war ihm gar nicht nach Lach zumute. Es blieb natürlich Aennas Entscheidung ob sie Bastien weiterhin sehen wollte oder nicht aber er fragte sich, ob dies die richtige Entscheidung war. Der Allmächtige hatte sich bisher noch nicht eingemischt, es schien also alles seine Richtigkeit zu haben. Lucian hatte geahnt, dass Aenna sehr eigensinnig sein würde aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihren Guardian gleich in den Wind schießt. Und das, wo die beiden doch etwas am laufen hatten. Für einen Moment kam ihm der Gedanke, dass sie das vielleicht nur wegen ihm selbst getan hatte. Lucian verkniff es sich, den Kopf zu schütteln.
Nein, auf gar keinen Fall. Sie hatte selbst gesagt, dass sie keine Gefühle mehr für diesen Jungen hatte, er hatte also nichts damit zutun.

„Ach, ist das so?“, antwortete er nun auf Frayas Worte.
Die Frauen konnten seinen Tonfall nicht deuten, sehr zu ihrem Nachteil. Sie konnten sich denken, dass er schon davon wusste aber dennoch galt es immer, so zu tun als wären es die neuesten Ereignisse. Caya nickte.

„Das ist nicht das eigentliche Problem. Das Problem ist, dass sie keinen Sinn darin sieht den Kontakt zu Bastien zu halten. Er kommt nicht damit klar und ist ziemlich außer sich. Wir befürchten, er könnte auf dumme Gedanken kommen.“
Lucians Miene blieb unbewegt. Er sah Fraya an, dass sie gerne etwas sagen würde aber scheinbar traute sie sich nicht. Weil er nicht antwortete, tauschten die beiden Frauen beunruhigt einen Blick aus. Dann verdunkelten sich seine Augen.

„Vergesst Bastien, er wurde von Aenna Schachmatt gesetzt. Was dich betrifft, Caya, deine Aufgabe ist hier für's erste vorbei. Geh zurück ins Himmelsreich und erstatte Bericht. Vielleicht bekommst du ja eine neue Aufgabe, was Aenna betrifft, auch wenn ich es bezweifle.“
Cayas Augen begannen zu glänzen, doch Lucian glaubte nicht, dass das an Freude oder ähnlichem lag. Es waren wohl eher Tränen. Die Frau wandte sich an Fraya und nahm der ihre Hände in ihre.

„Tja, dann ist es nach den ganzen Jahren jetzt wohl vorbei.“, sagte sie traurig, lächelte aber.
Lucian traute seinen Augen nicht, doch scheinbar fiel auch Fraya der Abschied nicht ganz so leicht.
Sie umarmte den Engel und lächelte ebenfalls traurig.

„Sieht ganz so aus. Lass dich nicht ärgern, Kleine.“
Nur wenige Minuten später waren Lucian und Fraya alleine. Der Gesichtsausdruck der Frau hatte sich wieder verhärtet. Ihr war wohl wieder eingefallen, dass sie ja beobachtet wurden.

„Was dich betrifft, Fraya.“, begann Lucian nachdenklich. „Du wirst dich wieder in die Menschenwelt begeben und Aenna suchen. Wenn du sie gefunden hast, lässt du sie nicht aus den Augen. Du berichtest mir bitte sofort, wenn es etwas Neues gibt.“
Fraya verschränkte misstrauisch die Arme unter der Brust.

„Ich kann doch nicht jedes Mal hier antanzen, wenn ich etwas bemerke.“, fauchte sie.
Lucian grinste.

„Dafür habe ich schon eine Lösung.“, sagte er leise und erhob sich.
Fraya hatte keine Ahnung was er vorhatte, doch es gefiel ihr gar nicht wie er so bedrohlich auf sie zukam. Ihr war nie aufgefallen, dass er sich mit der Anmut einer Raubkatze bewegte. Mit tödlicher Sicherheit bekam er sicher immer das was er wollte. Fraya wäre liebend gerne einen Schritt zurückgetreten, doch in Sekundenbruchteilen hatte Lucian es verhindert.
Er schlang den Arm um sie und zog sie ein Stück näher an sich heran, dann sah er ihr tief in die Augen. Fraya beobachtete fasziniert, wie sich die eisblauen Tiefen seiner Augen langsam immer dunkler färbten, bis sie schwarz loderten. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe Frayas Kopf in den Nacken fiel und sie nicht mehr bei Sinnen war. Lucian hob ihren Kopf an und betrachtete für einen Moment die glasigen Augen, die ihm leer entgegenstarrten.

„Fraya.“, bellte er und sie kam wieder zu Verstand.

„Geht's wieder?“, fragte er, nicht wirklich ernst gemeint.
Fraya nickte verwirrt, sagte aber nichts.

„Du weißt Bescheid, oder?“, fragte er dann, worauf sie erneut nickte.
Lucian lächelte zufrieden und schickte sie fort. Von nun an konnte er alles sehen, was sie sah.

 

„Caya, was machst du hier?“

„Camael.“, murmelte sie Frau und betrachtete den Erzengel. Sie verneigte sich vor der Frau und senkte reudig den Blick.

„Ich glaube es ist besser, wenn Ihr Eure Geschwister herholt. Ich habe etwas zu berichten.“
Der Erzengel musterte die Frau. Sah ganz so aus, als wäre etwas passiert.

„Also gut.“, sagte sie und deutete auf den Palast der Engel. „Finde dich im großen Konferenzsaal ein, ich und meine Brüder werden gleich da sein.“
Caya nickte und setzte sich sofort in Bewegung.

„Kann sich von euch jemand daran erinnern, wann wir so etwas das letzte Mal hatten?“
Die Blicke richteten sich auf Zadkiel, von dem die Worte stammten. Camael sah wieder Caya an.

„Du kannst ruhig gehen, Caya. Ruh dich aus, wir lassen nach dir rufen, sollte es einen neuen Auftrag für dich geben.“
Caya nickte, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Saal. Zadkiel, ein Erzengel der immer ruhig und gelassen blieb, egal in welcher Situation, rieb sich angesannt die Stirn.

„Es kam bisher nicht vor, dass ein Guardian und dessen Schützling den Kontakt zueinander abgebrochen haben und deswegen brauchen wir gar nicht groß darüber zu sprechen, welche Ursachen das wohl haben könnte. Da finden wir nämlich keine Antwort drauf. Also was haltet ihr davon, wenn wir den Guardian einfach herholen und uns anhören, was er dazu zu sagen hat?“
Javiel, der herrischste unter den Erzengeln mischte sich ein.

„Nachdem was Caya erzählt hat glaube ich nicht, dass der Junge sich so einfach hierher bringen lassen würde. Außerdem müssen wir an das Mädchen denken.“

„Und was schlägst du vor?“, hakte Camael nach.

„Zwei von uns begeben sich in die Menschenwelt. Der eine schaut nach dem Jungen, der andere macht das Mädchen ausfindig. Wir sammeln so viele Informationen wie möglich und tauschen uns später dann darüber aus.“
Die Erzengel tauschten tiefe Blicke miteinander aus.

„An sich keine schlechte Idee aber wer von uns hat schon Lust, sich unter die Menschen zu begeben?“, murmelte Zadkiel.
Camael hob schüchtern die Hand.

„Ich melde mich freiwillig. Ich bin neugierig auf das Mädchen.“

„Vielleicht ist es besser, wenn sich eine Frau um das Mädchen kümmert.“, murmelte Zadkiel schmunzelnd. Nachdem die Erzengel ein paar Minuten lang miteinander diskutiert hatten, konnten sie sich darauf einigen das Javiel sich um Bastien kümmern würde.
Drei Stunden später standen Camael und Javiel an der Himmelspforte.

„Wie lange ist es her, dass einer von uns bei den Menschen war?“, sagte die Engelsfrau leise und warf ihrem Bruder einen kurzen Blick zu. Dieser schüttelte ahnungslos den Kopf.

„Ich weiß es nicht, geliebte Schwester. Aber ich hoffe, dass es nicht all zu schlimm wird. Ich habe noch nie viel von den Menschen gehalten.“, erwiderte er mit ausdrucksloser Stimme.

„Ich weiß, Javiel.“, flüsterte Camael, dann breiteten sie ihre Flügel aus und stürzten in die Tiefe.

 

„Warum hast du mir das alles erzählt? Bringt das nicht irgendwie...alles durcheinander?“, hauchte Cess und neigte verwirrt den Kopf. Aenna fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

„Ich weiß es nicht.“
Cess schwieg und trat an die Glasfront. Fasziniert betrachtete sie die Kulisse der Stadt.

„Wo sind wir hier überhaupt?“, fragte sie und sah über ihre Schulter zu Aenna.
Diese grinste und warf einen kleinen Schlüssel einige Male in die Luft.

„Ich habe einem guten Freund den Schlüssel stibitzt. Ich frage mich, wann er es bemerkt.“, lachte sie leise. Es schien Cess nicht zu stören, dass Aenna den Schlüssel genau genommen geklaut hatte, denn sie ging nicht darauf ein. Nachdenklich blickte sie auf die Kulisse der Stadt.

„Wie kommt es, dass du Engel und Dämonen sehen kannst und ich nicht? Ich meine, wir sind doch beide Nephilim.“
Aenna war ebenfalls nachdenklich.

„Lucian...Er hat irgendetwas mit mir gemacht. Er sagte, ich hätte viele Fähigkeiten und das ich sie noch nicht entdeckt hätte. Und auf einmal konnte ich alles sehen.“
Ihre goldenen Augen richteten sich auf Cess.

„Ich bin sicher, du kannst sie auch sehen. Vorausgesetzt du öffnest dich gegenüber all diesen Dingen. Geh mal einen Moment lang in dich, Kleines. Stell dir deine eigene Macht vor, tief in dir und hole sie nach vorne. Sie muss greifabar sein. Du musst jederzeit auf sie zurückgreifen können.“
Cess fand, dass sich das Ganze verdammt lächerlich anhörte, doch sie vertraute Aenna und wollte es wenigstens versuchen. Sie schloss also die Augen und stellte sich ihre Macht vor, tief in ihr und in einen Käfig gesperrt. Sie öffnete diesen imaginären Käfig und schlug die Augen dann wieder auf. Wie nicht anders erwartet, hatte sich nichts verändert.

„Bringt nichts.“, murmelte sie enttäuscht. Aenna lächelte.
    „Immer mit der Ruhe, das kommt schon noch.“
Innerlich war sie aber nicht ganz so überzeugt. Vielleicht sollte sie Lucian um Hilfe bitten? Andererseits würde er dann sicher wissen wollen, was Aenna eigentlich plante. Und das wollte sie erst einmal nicht verraten. Sie konnte sich nämlich nicht sicher sein, ob es überhaupt funktionieren würde. Cess stellte endlich die entscheidene Frage.

„Warum hast du mir das überhaupt alles erzählt? Warum bringst du dich absichtlich in Gefahr, Aenna?“
Die junge Frau erhob sich langsam und schlenderte zur Glasfront.

„Die Sache ist die, Cess...Engel und Dämonen werden von Gott und dem Teufel beschützt, sie gehören alle einer Gemeinde an. Nur wir Nephilim sind auf uns allein gestellt. Müssen um unser Überleben kämpfen und könnten...jederzeit den Verstand verlieren. Ich weiß, niemand kann etwas für unseren psychischen Zustand aber warum lässt man uns alleine? Ich finde das furchtbar ungerecht! Wir kriegen einen Guardian an die Seite gestellt, früher oder später aber anstatt uns zu helfen, zwingen sie uns unbemerkt etwas auf. Ich will, dass sich das ändert. Und genau deswegen habe ich dir das erzählt.“
Cess trat an ihre Seite.

„Was genau willst du denn dagegen tun?“, hauchte sie.
Sie stellte sich das Ganze nicht so einfach vor. Aennas Blick wurde klarer und sie nahm eine entschlossene Haltung ein.

„Ich will, dass sich alle Nephilim zusammen schließen. Und wenn das geschehen ist, sollen sie einen Anführer auswählen. Jemand, der sich um sie kümmert und sie beschützt. Alle Mischlinge sollen selbst über sich entscheiden dürfen.“
Cess war gerührt, weshalb sie Aenna die Hand auf die Schulter legte.

„Das ist sehr ehrenvoll von dir, Aenna. Wie es aussieht, hast du das Bedürfnis dich um die Nephilim zu kümmern. Ich glaube, du wärst die geborene Anführerin.“
Perplex sah Aenna das Mädchen an.

„Was sagst du denn da? Ich bin so grün hinter den Ohren, wie du! Ich gebe zu, ich würde gerne alles ins Rollen bringen aber ich habe keine Ahnung, wie ich vorgehen soll. Alle Nephilim müssen davon erfahren aber wie soll das funktionieren? Unsere Reichweite geht nicht über das Land hinaus.“
Cess war ein mitfühlendes Mädchen. Sie wollte Aenna helfen, das Ganze schien ihr unglaublich viel zu bedeuten. Ihr kam eine Idee, allerdings hatte sie keine Ahnung als wie gefährlich sich diese herausstellen würde.

„Was, wenn wir uns dämonische oder himmlische Hilfe holen? Engel oder Dämonen kommen doch sicher über die ganze Welt. Sie können deine Nachricht weltweit verbreiten!“
Aenna blinzelte, dann begann sie auf ihrem Nagel herumzukauen.

„Die Idee an sich ist nicht schlecht. Das Ganze dürfte allerdings verdammt gefährlich werden.“
Cess ergriff ihre Hand.

„Keine Sorge, Aenna, ich helfe dir. Nachdem du mir die ganze Geschichte erzählt hast, bin ich davon überzeugt das du das Richtige vorhast. Du kannst dich vollstens auf mich verlassen.“
Um Aennas Herz wurde es warm. Zum ersten Mal in ihrem Leben glaubte sie, eine Freundin gefunden zu haben. Sie umarmte das Mädchen.

„Danke, Cess.“, hauchte sie.

 

Bastien unterbrach den Kuss. Diese Frau schmeckte bitter. Ihr Geschmack war so ganz anders...
Aennas süße Küsse fehlten ihm, wie er zugeben musste. Um ehrlich zu sein tröstete er sich jetzt nur mit den ganzen Frauen, weil er Aenna vermisste. Und Caya und Fraya hatten sich auch nicht mehr blicken lassen. Ob wohl etwas passiert war? Er verkniff es sich, den Kopf zu schütteln.
Das Ganze war vorbei! Er wollte alles so schnell wie möglich vergessen, leider half ihm das Weib auf seinem Schoß auch nicht weiter.

„Sorry, wir machen ein anderes Mal weiter, ja?“
Er stieß sie von sich und es dauerte nur wenige Augenblicke, da war er wieder alleine mit seinem Vodka. Plötzlich ließ sich jemand neben ihm nieder. Er hob den Blick und hätte vor Schreck beinahe das Gleichgewicht verloren. Neben ihm saß ein Engel und dieser schien nicht nur irgendein Engel zu sein.

„Hallo, Bastien.“, sprach er mit tonloser Stimme.
Bastien stieß ein Knurren aus.

„Was willst du von mir?“
Der Engel verneigte sich leicht.

„Mein Name ist Javiel und ich gehöre zum Kader der Erzengel. Ich bin hier, um mit dir zu reden.“
Der Junge seuzfte.

„Ich kann mir denken, worüber. Dabei ist mit alles andere als nach reden zumute.“
Javiel legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Das kann ich mir vorstellen, Junge aber es ist leider wichtig. Es kam bisher nicht vor, dass Guardian und Schützling sich voneinander getrennt haben also, was ist passiert?“
Bastien klang verbittern, als er sich dem Erzengel zuwandte.

„Aenna will keinen Guardian. Sie hat deswegen den Kontakt komplett abgebrochen. Sie will alleine über ihre Zukunft entscheiden.“
Javiel rieb sich das Kinn.

„Woher weiß das Mädchen überhaupt von ihrer Abstammung?“
Ein gefährlicher Unterton klang in seiner Stimme mit. Scheinbar glaubte er, Bastien habe ihr alles erzählt. Der Junge schnaubte.

„Wenn ich das nur wüsste. Sie wollte es mir nicht sagen. Wir hatten einen Streit und dann war es das.“
Der Erzengel hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte. Auch halfen ihm diese Informationen nicht weiter.

„Und du hast absolut keinen Kontakt mehr zu ihr?“, fragte er.
Bastien schüttelte den Kopf.

„Nein, schon seit ein paar Wochen nicht mehr.“
Für eine Weile herrschte Ruhe zwischen den beiden und Bastien widmete sich wieder seinem Glas.
Er fragte sich, warum sich nun die Erzengel einmischten. Und ob sie Aenna wohl auch ausfindig machen würden? Vielleicht würde Aenna es sich nach einem Gespräch ja wieder anders überlegen und zu ihm zurückkommen? Und ihn vielleicht auch noch um Verzeihung bitten?

„Für welche Seite an ihr, hast du dich entschieden?“, riss Javiel ihn plötzlich aus den Gedanken.

„Ich konnte mich nicht entscheiden.“, erwiderte er leise. „Aber das spielt ja jetzt eh keine Rolle mehr.“
Er umklammerte sein Glas fester, dann sah er den Mann neben sich aus den Augenwinkeln heraus aus.

„Was habt ihr Erzengel vor? Könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?“
Javiel hielt inne. Er hatte nicht erwartet, dass der Guardian so down sein würde. Es schien ihn ziemlich zu belasten, nichts mehr mit der Nephilim zutun zu haben. Allerdings wusste Javiel genauso gut wie seine Geschwister, dass sie nichts an dieser Tatsache ändern konnten.

„Wir wollen herausfinden woran es liegen könnte, dass dein Mädchen sich plötzlich von dir abgewendet hat. Daran ändern können wir vermutlich aber nichts. Wir sammeln Informationen, das war's aber auch schon. Ich lasse dich gleich wieder in Ruhe, keine Sorge.“, erklärte er.
Bastien trank sein Glas in einem Zug aus und knallte es dann auf den Tresen.

„Weißt du was? Aenna interessiert mich nicht mehr. Das Caya und Fraya sich ebenfalls nicht mehr melden macht wohl deutlich, dass sich das Ganze erledigt hat. Schönen Abend noch.“
Mit diesen Worten bezahlte er und rauschte aus der Bar.

„Na, das lief ja wunderbar.“, murmelte Javiel.

 

Cess war nach Hause gegangen. Sie hatte ihr versichert, sie würde mit Bryan reden und ihm alles erklären. Vorausgesetzt, er wollte es überhaupt hören. Ihre Idee hatte Aenna überzeugt, nur gab es da einen kleinen Haken. Aenna konnte Mischlinge sehen, Cess jedoch nicht. Also wie wollte sie die Nephilim ansprechen, wenn sie sie nicht einmal sehen konnte? Aenna hatte ihr geraten, öfters Mal zu versuchen ihre Kräfte zu entdecken, allerdings bezweifelte sie das dies funktionieren würde.
Aenna und sie hatten sich noch ein wenig unterhalten, wobei Aenna erfahren hatte das Cess gerade mal dreizehn Jahre alt war. Zugegeben, sie hatte sie für wenigstens ein paar Jahre älter gehalten aber das sie noch so jung war? Aennas Herz zog sich bei dem Gedanken an die unzähligen, kleinen Nephilim zusammen. Ahnten sie schon, dass da etwas auf sie zukam?
Sie versuchte nicht all zu viel darüber nachzudenken, doch das war leichter gesagt als getan.
Als sie an einer Gasse vorbei kam, blieb sie stehen. Ihr war aufgefallen, dass seitdem sie wusste wer sie war, sie nie in Schwierigkeiten geraten war. Ob das wohl irgendwie zusammen hing?

„Aenna.“
Als sie ihren Namen hörte drehte sie sich um, konnte aber erst einmal niemanden entdecken.
Komisch., dachte sie. Eingebildet hatte sie sich das sicher nicht. Sie blickte in die Finsternis der Gasse und entdeckte dann zwei Schatten. Die Umrisse eines Mannes uns einer Frau waren zu erkennen. Die beiden traten aus der Dunkelheit und stellten sich als Roy und Eiren heraus.
So klein ist die Welt., dachte sie und betrachtete die beiden. Es schien, als würden die beiden sich gut verstehen.

„Ihr seid nicht bei Lucian?“, fragte Roy und verneigte sich leicht vor ihr.
Ohje., dachte sie. Das würde er wohl in Zukunft auch noch tun. Eiren schien das Ganze ebenfalls komisch zu finden.

„Wieso verneigst du dich vor ihr?“, raunte sie ihm zu und stieß ihm dabei den Ellenbogen in die Niere.

„Weil Mylord sie markiert hat.“, raunte er zurück und richtete sich wieder auf.
Eiren zog die Brauen hoch und musterte sie kommentarlos. War wohl auch besser so, Aenna würde nur zu schnell explodieren.

„Du musst dich wirklich nicht vor mir verneigen.“, murmelte Aenna und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

„Nein, ich bin nicht bei Lucian.“, fuhr sie fort. „Hör mal, kann ich dich...euch um einen Gefallen bitten?“
Natürlich wollte Eiren diese Worte gar nicht hören. Sie klopfte ihrem Kollegen auf die Schulter und verschwand in der Dunkelheit.

„Ich bin dann mal weg.“
Roy sah ihr nach, Aenna kümmerte das nicht. Sie hatte um ehrlich zu sein schon damit gerechnet. Aber das sollte ihr recht sein, Eiren um einen Gefallen zu bitten käme ihr sowieso komisch vor.

„Um was für einen Gefallen handelt es sich?“, fragte Roy nun.
Aenna setzte sich in Bewegung und bedeutete dem Dämon, ihr zu folgen. Es war kaum noch ein Mensch unterwegs, weshalb sie in normaler Lautstärke zu ihm sprach.

„Es geht um die Nephilim.“, begann sie.
Aenna führte ihn in den Stadtpark, in dem die nur wenigen Laternen schon brannten.
Sie erzählte ihm von ihren Plänen und bat ihn, niemandem etwas davon zu erzählen. Außer den Mischlingen natürlich. Er wusste erst nicht so recht, was er davon halten sollte. Nach genauerem Nachdenken jedoch fand er, dass ihre Idee wirklich tugendhaft war. Roy würde es niemals zugeben doch auch er fand, dass es ungerecht gegenüber den Mischwesen war. Alle anderen hatten schließlich einen Gott. Warum sollten sie dann nicht auch einen haben.

„Was, wenn du sie alle hier versammelt hast? Glaubst du wirklich, dass einer von euch in der Lage ist sie weltweit zu beschützen?“, fragte er am Ende leise.
Aenna zuckte mit den Schultern.

„Möglich ist alles. Vielleicht müsste man eine Rangordnung aufstellen oder vielleicht sollten Kämpfe bestritten werden, in denen der Stärkste dann als Anführer ausgewählt wird.“, murmelte sie nachdenklich. So genau hatte sie sich darüber noch keine Gedanken gemacht. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, dass sich ihr Plan so schnell in die Realität umsetzen lassen würde.

„Oder die Nephilim wählen einen Kader, so wie es auch unter den Erzengel gemacht wurde.“, schlug Roy vor. Aenna hob den Blick.

„Du weißt über die Erzengel und deren...Praktiken Bescheid?“
Der Dämon nickte und zeigte ein geheimnissvolles Lächeln.

„Wir Dämonen müssen doch über unsere Feinde Bescheid wissen. Okay, Aenna, ich erkläre mich dazu bereit, dir bei deinem Vorhaben zu helfen. Sollte ich einen Nephilim sehen, werde ich ihm deine Nachricht überbringen. Wie lautet die überhaupt?“
Die junge Frau war ihm wirklich dankbar. So unheimlich sie den Mann zu Anfang auch gefunden hatte, so war er in Wirklichkeit doch eine recht gute Seele. Für den Moment sei mal dahingestellt, dass er Lucians Befehlen zu folgen hatte. Aenna dachte einen Moment lang nach, dann diktierte sie ihm die Worte, die er allen Mischlingen ausrichten sollte. Es war eine ziemlich lange Nachricht, weshalb Roy sie sich lieber aufschrieb. Er wollte sich bereits auf den Weg machen, als Aenna seinen Arm zu fassen bekam.

„Danke, Roy!“, sagte sie aufrichtig. „Sorge dafür, dass Lucian nichts davon erfährt, ja? Ich mache mir Sorgen, wie er darauf reagieren mag.“
Roy versicherte ihr den Mund zu halten und machte sich dann unverzüglich auf den Weg. Was sie nicht ahnte war, dass Lucian es dennoch in den Hals bekommen würde...

 

__15__

 

Gelangweilt kickte Fraya mit dem Fuß eine zertretene Coladose weg. Schon seit Wochen war sie auf der Suche nach Aenna aber die schien wie vom Erdboden verschluckt.
Ohne irgendwelche Neuigkeiten brauchte sie sich gar nicht bei Lucian blicken zu lassen.
Er hatte ihr einige Male eine Nachricht überbringen lassen, leider waren die alles andere als freundlich gewesen. Er wollte endlich Resultate sehen. Was auch immer er darunter verstand.
Fraya war schon in etlichen Bars und Kneipen gewesen, in der Hoffnung Aenna dort irgendwo anzutreffen, leider war das Glück nicht auf ihrer Seite.
Raues Gelächter erregte ihre Aufmerksamkeit und ließ sie den Blick heben. Sie sah auf die andere Straßenseite und entdeckte Bastien, mit einer Frau an seiner Seite.
Fraya blieb stehen und versuchte, ihren aufsteigenden Ärger zu unterdrücken. Er schien mit Aennas Verlust wohl keinerlei Probleme mehr zu haben. Am liebsten hätte Fraya sich jetzt auf ihn gestürzt, doch das konnte sie nicht bringen. Scheinbar hatte er damit abgeschlossen und wenn dem so war, sollte auch sie das ganze schnell vergessen.
Also trottete sie weiter, wobei ihre innere Dämonin ein lautes Fauchen ausstieß. Sie musste sich selbst zur Ruhe ermahnen. Sie würde nur wieder in Schwierigkeiten geraten, wenn sie ihrem Instinkt nachgeben würde.
Fraya kam in ein abgelegenes Viertel und entdeckte, verborgen im Dunkel der Nacht, eine Gruppe Mischlinge. Sie neigte den Kopf. Bisher hatte sie nie so viele Nephilim an einer Stelle gesehen. Irgendwie kam ihr das komisch vor. Vor ihnen entdeckte sie ein bekanntes Gesicht.
Es war Roy, der mit ihnen sprach. Fraya ging näher heran, bedacht darauf nicht von ihnen entdeckt zu werden. Hinter einem Hausvorsprung ging sie in Deckung, dann lugte sie um die Ecke.
Die Worte ihres dämonischen Kollegens ließen sie erstarrten.

„Ich bin im Auftrag einer jungen Frau hier, ihr Name ist Aenna.“, begann er.
Er erklärte ihnen die Situationen, sagte ihnen einfach wer sie waren und so wie es aussah, schienen einige von ihnen es bereits zu wissen.
Das Gleichgewicht ist verdammt aus den Fugen geraten., dachte Faya verzweifelt. So viele Nephilim wussten um ihr Schicksal, warum ist das nie jemandem aufgefallen?
Die, die es nicht wussten glaubten ihm auf's Wort oder ließen sich von ihren Freunden versichern, dass er die Wahrheit sagte.
Wahrscheinlich haben sie sich vorher untereinander schon ausgetauscht., dachte sie nachdenklich und lauschte weiter.

„Ich habe eine Nachricht an euch, sie stammt von Aenna, einer weiteren Nephilim.
Meine lieben Geschwister, Nephilim, Mischlinge von Engeln und Dämonen geboren, ich bitte euch hört mir zu. Mein Name ist Aenna und ich bin eine von euch. Ich habe die Schnauze voll davon, dass über mich bestimmt wird. Engel und Dämonen, sogar die Menschen werden beschützt, nur wir Nephilim sind auf uns allleine gestellt. Ich bitte euch, versammelt euch in Lafayette, im Dabaillon Park, meiner Heimat. Lasst uns einen Anführer wählen der uns genauso schützt, wie Gott seine Engel und Satan seine Dämonen. Lasst uns kämpfen, für uns und unseren freien Willen!“
Frayas Kehle war wie zugeschnürt, sie bekam kaum noch Luft. War das sein, oder besser gesagt ihr Ernst?

„Das Ganze ist echt übel, Lucian.“, hauchte sie.
Einer der Nephilim, ein Junge, scheinbar um die fünfundzwanzig, neigte den Kopf.

„Die Kleine scheint mir als Anführerin gut zu taugen, wenn sie den Mumm hat solche eine Idee verwirklichen zu wollen. Wir kennen einige Mischlinge, die dieses Leben mit ihrem Guardian satt haben, ich bin einer von ihnen. Wann soll dieses besagte Treffen stattfinden?“
Roy zuckte mit den Schultern.

„Erst einmal gilt es, so vielen Mischlingen davon zu berichten. Am besten gebt ihr diese Nachricht auch weiter, dann geht es schneller. Wann genau dieses Treffen stattfinden soll, hat sie nicht gesagt aber ich behalte die Situation hier in der Stadt im Auge. Sollten also genug Nephilim anwesend sein, werde ich ihr Bescheid geben und sie wird sich darum kümmern.“
Die Gruppe nickte und es dauerte nicht lange, da war Roy bereits wieder in der Dunkelheit verschwunden. Fraya trat einige Schritte von der Wand zurück.
Besser sie würde Aenna schnell finden, ehe Lucian sie sich unter den Nagel riss.
Doch es war bereits zu spät...

 

„Camael? Ist alles in Ordnung?“

„Nein, nichts ist in Ordnung! Ich kann dieses Mädchen einfach nicht finden! Es ist, als würde sie nicht einmal existieren. Ich habe mich in der Stadt umgehört aber keiner konnte mir etwas sagen.“
Javiel trat an die Seite seiner Schwester und sah diese besorgt an.

„Wollen wir zurück? Ich konnte auch nicht viel von dem Jungen in Erfahrung bringen.“, sagte er leise.
Camael war mehr als nur betrübt. Was würden denn ihre Brüder sagen, wenn sie ihnen von ihrem Versagen erzählte? Javiel konnte erahnen, welche Gedankengängen sie gerade folgte, weshalb er ihre Hand ergriff.

„Komm, meine Liebe. Die anderen werden schon alles verstehen.“

„Glaubt ihr, sie versteckt sich?“, knurrte Zadkiel leise und blickte in die Runde.
Die meisten seiner Geschwister hatten keine Antwort darauf, lediglich Camael meldete sich flüsternd zu Wort. Sie war noch immer mitgenommen, weil sie keinerlei Infos in Erfahrung hatte bringen können.

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Woher hätte sie wissen sollen, dass wir sie ausfindig machen wollen? Ich habe mich wirklich in jedem Winkel umgehört aber keine konnte oder wollte mir etwas sagen.“

„Möglicherweise, versuchen sie das Mädchen zu decken.“, mischte sich nun Mikael ein. „Vielleicht hat sie etwas vor und will sich nicht erwischen lassen.“

„Das ist schon wieder zu hoch gegriffen. Was hast du in Erfahrung brinngen können, Javiel.“, sagte Zadkiel nun und richtete seinen Blick auf den Mann, schräg gegenüber von ihm.

„Der Junge war nicht wirklich wortgewand. Er scheint selbst nicht zu wissen, was genau passiert ist. Er sagt sie habe den Kontakt komplett zu ihm abgebrochen. Und er weiß auch nicht, woher sie von ihrer Abstammung weiß. Glaubt ihr, es gibt jemanden der es den Nephilim sagt?“
Eine Weile ging jeder Erzengel seinen eigenen Gedanken nach. Solche Probleme hatten sie nie gehabt, logisch das sie nun total überfordert waren. Zugeben würde es aber nicht einer von ihnen.
Camael fuhr sich mit der Hand durch ihre kinnlangen, weißblonden Haare.

„Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Nie hat uns jemand in diesen Dingen Probleme bereitet, warum sollte es nun auf einmal so sein?“
Mikael stieß ein tiefes Seufzen aus. Er sprach nicht viel, was vielleicht an seiner beängstigenden und gefährlichen Aura lag, doch in diesem Thema musste auch er seine Meinung vertreten.

„Wir können Aenna, oder wie sie auch heißen mag nicht dazu bringen zu ihrem Guardian zurückzukehren und an sich könnte uns das auch egal sein, wäre da nicht die Tatsache, dass es eventuell Nachzügler geben könnte. Was, wenn die kommenden Generationen ebenfalls auf ihren Guardian verzichten wollen? Liegt es nicht an uns, das irgendwie zu verhindern? Schließlich würde es das Gleichgewicht durcheinander bringen. Die Beschützer der Nephilim existieren schließlich nicht ohne Grund.“
Die Erzengel gaben zu, dass ihr Bruder Recht hatte. Eigentlich mussten sie diesen Wandel stoppen, egal wie ihnen das auch gelingen mochte. Camael machte ihre Brüder auf sich aufmerksam und nur wenige Sekunden später ruhten ihre Blicke auf ihr.

„Was, wenn die Nephilim sich weiterentwickeln?“, hauchte sie.
Diese Worte verstand keiner.

„Was meinst du damit?“, hakte Javiel nach.
Camael war sich nicht sicher ob sie diese Gedanken laut aussprechen sollte, doch in dieser Angelegenheit wollte sie nichts unversucht lassen. Sie mussten sich jetzt an jeden noch so schmalen Strohhalm klammern.

„Was, wenn die Nephilim sich in all den Jahren weiterentwickelt haben? Und es vielleicht auch weiterhin tun? Vielleicht gibt es ja mittlerweile einige, die sich von ihrem Guardian getrennt haben und den Verstand nicht verloren haben.“

„Sozusagen eine neue Spezies?“, fasste Mikael zusammen.
Seine Schwester nickte.

„Ja. Aber gehen wir noch ein Stück weiter. Was wäre, wenn diese Nephilim, die ihren Verstand nicht verloren haben, sich miteinander fortpflanzen würden? Vielleicht wäre diese Generation dann komplett „geheilt“? Zugegeben, dass Ganze klingt als wäre es noch ziemlich weit entfernt aber so abwegig finde ich es nicht. Seit Jahrtausenden existiert die Kombination von Guardian und Nephilim nun schon, wäre es da nicht an der Zeit für neue Entwicklungen?“
Zadkiel war beunruhigt und funkelte Camael zornig an. Vielleicht mochte ein Teil dieser Ansicht ja korrekt sein aber das würde auch eine Menge Gefahren bereithalten.

„Du willst also, dass wir uns nicht einmischen? Bist du sicher, dass wir zulassen sollen das alles was du eben gesagt hast, seinen Lauf nehmen soll? Was, wenn du dich irrst und es statt besser nur schlimmer wird? Stell dir doch mal die unzähligen Nephilim vor, die ihren Verstand verlieren und irgendwann auch die Menschen in Gefahr bringen würden. Können wir das riskieren?“
Er sah seine Geschwister der Reihe nach an, erkannte in ihren Augen aber nichts. Solch eine Entscheidung musste jeder für sich treffen. Am Ende würden sie wieder einmal untereinander abstimmten, welche Entscheidung für sie die richtige war. Wenn es in dieser Angelegenheit denn ein Richtig oder Falsch gab, hieß es.
Sie lösten die Konferenz auf, trafen sich nach einigen Stunden jedoch wieder. Jeder von ihnen hatte die Zeit gehabt über alles in Ruhe nachzudenken. Jeder hatte eine Entscheidung getroffen, nun galt sich untereinander zu einigen. Nachdem alle auf ihren Plätzen saßen erhob sich Camael und richtete ihr Wort an alle.

„Meine lieben Brüder, ihr alle hattet Zeit über meine Worte nachzudenken. Nun müsst ihr eine Entscheidung getroffen haben. Nennt mir eure Ansichten.“
Mikaels stahlgraue Augen schlossen sich für einen Moment.

„Im Moment bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Im Fall von Aenna und ihrem Guardian kommen wir nicht weiter. Ich halte mich an dich Camael und behalte die Situation lediglich im Auge.“
Die Frau nickte ihrem Bruder zu und bedankte sich auf diese Weise, dann richtete sich ihr Blick auf Zadkiel.

„Es tut mir leid, Camael aber ich halte das Ganze für zu gefährlich. Es stehen zu viele Leben auf dem Spiel als das ich mich darauf einlassen könnte.“, verkündete er.
Erneut nickte Camael und ihr Blick wanderte weiter.
Es dauerte gut zwanzig Minuten, dann hatte jeder der Erzengel seine Meinung vertreten.

„Dann gewinnt also die Mehrheit. Wir werden nichts tun und die Situation lediglich im Auge behalten.“, verkündete Camael das Ergebnis und ließ sich zufrieden auf ihren Platz sinken.
Mehr oder weniger zufrieden nahmen die anderen Erzengel dieses Tatsache zur Kenntnis.

 

Zufrieden über die momentanen Entwicklungen schlenderte Aenna ins Wohnzimmer des Appartments. Sie wusste nicht wieso, doch seitdem sie Bastien den Laufpass gegeben hatte, hielt sie sich ausschließlich in Lucians Wohnung auf. Irgendwie fühlte sie sich hier wohler, auch wenn sie sich das nicht erklären konnte. Doch, oh Schreck lass nach.
Im Wohnzimmer angekommen entdeckten ihre Augen einen Mann, der sie wütend anstierte.
Sie hätte sich unter dem Blick seiner schwarzen Augen in Asche verwandelt, wüsste sie nicht, dass sie das schon irgendwie wieder hinbekommen würde.

„Kannst du mir mal sagen, wo du diesen Schlüssel her hast?“, knurrte Lucian und kam direkt auf sie zu. Wie ein Raubtier bewegte er sich auf sie zu, mit nahezu tödlicher Präzision.

„Aus deiner Tasche?“, grinste sie, wenn auch kleinlaut.
Sie zog die Schultern zwar erst ein Stück ein, doch als er dann vor ihr stand reckte sie trotzig das Kinn vor. Allmählich wusste sie, wann sie sich auf ihr Gefühl verlassen konnte, also sprach sie ihre Gedanken laut aus. In der Hoffnung, ihr Gefühl würde erneut Recht behalten.

„Du würdest dich niemals wegen eines banalen Schlüssels aufregen, Lucian. Also worüber regst du dich so auf?“, sagte sie leise.
Erst nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte fiel ihr auf, wie unpassend ihr Tonfall gewesen war. Das sollte sie auch noch schmerzhaft zu spüren kriegen. Lucian verkallte sich in den Haaren an ihrem Hinterkopf und riss ihren Kopf zurück. Bedrohlich beugte er sich über sie, wobei er mal wieder seine spitzen Fänge entblößte.

„Ich hatte dir doch gesagt, dass du keinen Unsinn anstellen sollst? Also was hast du dir dabei gedacht, sämtliche Nephilim in der Stadt zu versammeln?“
Er weiß es?, dachte sie panisch und versuchte nun, sich aus seinem Griff zu befreien.
Er gestattete es und ließ sie los, worauf sie erst einmal ein paar Schritte zurück wich.

„Hat Roy es dir erzählt?“, hauchte sie und rieb sich den Hinterkopf, der gefährlich spannte.
Kurze Haare wären jetzt wirklich vom Vorteil gewesen, allerdings hing sie an ihren langen Locken.
Lucian schüttelte den Kopf. Aenna konnte an seiner Körperhaltung sehen, dass er sie nun am liebsten zu Boden geworden hätte. Und das nicht, um es dann mit ihr zu treiben...

„Nein, Fraya.“, erwiderte er mit monotoner Stimme.
Aennas Augen weiteten sich und langsam aber sicher spürte sie, wie ihr Blut zu kochen begann.

„Was? Fraya?“
Wie kann sie es nur wagen?, dachte sie.
Lucian drang für einen kurzen Augenblick in ihr Innerstes. Momentan war nichts von ihrer gespaltenen Persönlichkeit zu merken, sie dachte nur angestrengt über Fraya nach. Und das waren sicher keine Komplimente.

„Sie hat dich nicht verraten, Aenna. Ich habe ihr den Auftrag erteilt, dich nicht aus den Augen zu lassen.“, erklärte er, nun eine Spur milder. Er wollte nicht, dass sie wütend auf ihn war.
Und normalerweise war er genau darauf aus. Nämlich, dass alle Welt ihn verabscheute. Nur sie sollte das nicht...

„Aber warum?“, kam es aufgebracht von ihr zurück.
Er trat wieder näher an sie heran.

„Weil ich mir schon gedacht habe, dass du auf dumme Gedanken kommst.“
Er hielt einen Augenblick lang inne, dann schlang er seine Arme um sie und zog sie an seine Brust.
Im ersten Moment widerstrebte ihr das, und zwar gewaltig, aber je länger er sie fest in den Armen hielt, umso ruhiger wurde sie. Schließlich schmiegte sie sich an ihn. Vielleicht tat es ihr ja leid?

„Hör zu, Kleines. Ich bewundere deinen Mut, ehrlich. Aber du scheinst zu vergessen, dass du jederzeit deinen Verstand verlieren könntest. Und nur aus diesem Grund will ich nicht, dass du sämtliche Nephilim hier einberufst. Das andere Mischlinge die Menschen in Gefahr bringen ist mir völlig egal aber der Gedanke daran, dass du eines Tages plötzlich nicht mehr du selbst bist, behagt mir ganz und gar nicht, so ungerne ich das auch zugeben muss.“
Aenna war gerührt und geschockt zugleich. Sie legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den Mann, der scheinbar nicht einmal daran dachte sie wieder loszulassen. Konnte es sein, dass er sie irgendwie liebgewonnen hatte und sie ihm etwas bedeutete?
War das nicht paradox? Der Teufel hatte offensichtliches Interesse an einem Wesen, welches wider der Natur war und eigentlich gar nicht existieren sollte. Ihr Leben war eigentlich zum Tode verurteilt, egal ob durch Selbstmord oder Mord aber die Überlebenschance schien ihr mittlerweile äußerst gering zu sein. Sie erinnerte sich an die Worte ihres Vaters. Entweder verlor ein Nephilim seinen Verstand, oder er brachte sich um. Vorausgesetzt er wurde noch nicht ermordert.
Also warum verhinderte man nicht einfach gleich, dass solche Wesen überhaupt geboren worden?
Sie lächelte schwach und küsste Lucian auf die Wange.

„Ich weiß deine Sorge zu schätzen, Lucian. Aber ich habe mittlerweile nicht mehr das Gefühl, irgendwann den Verstand zu verlieren. Ich muss gestehen, dass ich mich momentan sogar besser fühle als je zuvor.Und meine beiden Hälften scheinen im Moment auch ruhiger geworden zu sein.
Ich habe keine Angst davor, irgendwann einmal den Verstand zu verlieren. Ich möchte, dass die Nephilim eine eigenständige Rasse werden so wie deine Dämonen und die Engel auch.
Es ist zu meinem Traum und Ziel geworden, meinesgleichen zu helfen und ich nehme gerne einige Risiken dafür in Kauf. Und wenn das bedeutet, irgendwann einmal nicht mehr ich selbst zu sein.“
Lucian war beeindruckt. Er hätte nicht geglaubt, dass sie so sehr auf ihre Ansichten bestehen würde.
Scheinbar war ihr das wirklich wichtig. Doch der Gedanke an das, was ihr alles bevorstehen könnte, bereitete ihm Alpträume. Erst jetzt wurde ihm klar, wie wichtig sie ihm eigentlich war.
Von einem Moment auf den anderen wechselte er das Thema. Vielleicht sollte er ihr diesen Freiraum gewähren. Sie sollte ruhig versuchen, ihre Träume zu verwirklichen. Aber sollte er merken, dass es ihr schlechter ging oder das sich ihr Verstand langsam verabschieden würde, würde er alles daran setzten ihren Guardian in die Finger zu kriegen, damit er dieses Problem beheben konnte. Wer weiß, vielleicht würde Lucian sich auch selbst darum kümmern?

„Möchtest du hierbleiben?“, fragte er leise und blickte ihr in die Augen, die auf einmal zu strahlen begannen.

„Das würdest du mir erlauben?“
Lucian nickte.

„Wenn du dich hier wohlfühlst, kannst du gerne hier wohnen. Unter einer Bedingung.“
Misstrauisch neigte Aenna den Kopf. Er war nicht umsonst der Teufel, sie bereitete sich also auf das schlimmste vor. Total Kontrolle, vielleicht? Ständige Aufsicht? Keine waghalsigen Aktionen?

„Du gehst mit mir essen.“
Hätte Lucian sie nun nicht in den Armen gehalten, hätten ihre Beine nun nachgegeben.
Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Sie sollte mit ihm essen gehen? So, als wären sie normale Menschen? Unwillkürlich musste sie daran denken, was passiert war als sie mit Bastien essen war. Das war schließlich nach hinten losgegangen.

„Hältst du das für eine gute Idee, Lucian? Ich...habe schon schlechte Erfahrungen gesammelt, was das angeht.“, sagte sie leise.
Nahezu liebevoll lächelte der Mann.

„Keine Sorge, ich Sorge dafür das es ein schöner Abend wird.“
Ach, was soll's. So schlimm kann es nicht werden., dachte Aenna und erwiderte sein Lächeln.

„Also gut, wie du willst. Dann darf ich den Schlüssel also behalten?“
Er nickte und gab ihr einen Klaps auf den Po.

„Ich hole dich morgen Abend ab. Ich schicke dir Roy vorbei, er bringt dir deine Sachen. Und was dein Ziel angeht...darüber unterhalten wir uns dann morgen.“

 

Skeptisch betrachtete Lucian sich im Spiegel. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte mal einen Anzug anhgehabt hatte. Dieser förmliche Stil hatte nichts mit seinem Leben zutun.
Genau aus diesem Grund hatte er das Sakko auch offen gelassen. Auch die obersten Knöpfe seines weißen Hemdes hatte er offen gelassen. Ganz zu schweigen von der Krawatte, die er nicht richtig festgezogen hatte. Unterm Strich sah es so aus, als wäre er aus lauter Eile nicht mit dem anziehen fertig geworden.

„Warum tue ich mir das an?“, fragte er sein Spiegelbild, auch, wenn er die Antworte darauf schon längst kannte. Er wollte Aenna besser kennenlernen, nur deswegen hatte er sie zum Essen eingeladen.
Ein Blick auf die Uhr verriet, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Gezwungenermaßen wandte er den Blick von seinem Spiegelbild also ab. Er war gespannt darauf, wie Aenna ihn wohl empfangen mochte. Vielleicht in einem Kleid, welches viel Haut zeigte? Oder vielleicht etwas elegantes?

„Ihr geht aus?“
Fraya war vor ihm aufgetaucht und verneigte sich. In letzter Zeit war sie seltsam abwesend geworden. Ob das wohl an seinen Befehlen lag? Er nickte.

„Ja. Etwas dagegen?“, raunte er bissig.
Eilig schüttelte die Frau den Kopf.

„Nicht doch.“, hauchte sie.
Erst im Nachhinein wurde Lucian klar, wie verdammt nervös er war. In einem ruhigere Tonfall wandte er sich wieder an die Dämonin.

„Bitte behalt hier alles im Auge, Fraya. Ich möchte diesen Abend nicht mehr gestört werden.“
Sie nickte, murmelte noch das sie sich darum kümmern würde und war dann verschwunden.
Seufzend machte auch Lucian sich auf den Weg.

Vor der Tür seines Appartments atmete er erst einmal tief durch. War er jemals so nervös gewesen? War er überhaupt einmal nervös gewesen?
Nach wenigen Augenblicken, noch bevor er die Gelegenheit hatte an seine eigene Tür zu klopfen, wurde diese plötzlich geöffnet.
Aennas goldene Augen strahlten ihn an.

„Ich hatte auf einmal das Gefühl, dass du da bist.“, hauchte sie.
Lucian grinste.

„Na, da habe ich wohl einen bleibenden Eindruck hinterlassen.“
Aenna bedeutete ihm mit einer Armbewegung die Wohnung zu betreten.

„Das hast du allerdings.“, murmelte sie leise und sah dann über ihre Schulter.

„Ich bin noch nicht ganz fertig. Gib mir zwei Minuten.“
Lucian nickte, dann verschwand sie in ihr, oder besser gesagt in seinem Schlafzimmer.
Roy war so nett gewesen, ihre Sachen alle herzubringen. Er musste ehrlich zugeben, das er nicht erwartet hatte sie in solchen Kleidern zu sehen.
Sie huschte ab und zu durch den Flur, wobei die Haut ihres Rückens immer wieder zum Vorschein kam. Ihr Kleid war schwarz, knielang und hatte einen tiefen Ausschnitt, der ihr pralles Dekolleté entblößte. Zusätzlich war es rückenfrei, was ihn nahezu wuschig werden ließ. Ja, ein schöner Rücken konnte auch entzücken!
Einen Augenblick lang passte er nicht auf, dann stand sie auch schon wieder vor ihm.
Ihm blieb die Luft weg, als er sie eingehend studierte.
Sie hatte ihre Haare hochgesteckt, nur wenige Locken umrahmten noch ihr Gesicht.
Ihre Augen waren schwarz umrandet wodurch das Gold richtig hervorstach, und ihre Lippen schimmerten in einem hellen rot. Dann glitt sein Blick über ihre schlanke und kurvige Silhouette.
Ihre Füße steckten in glitzernden, silbernen Pumps und machten sie noch größer.
Er erhob sich und breitete die Arme aus.

„Du siehst atemberaubend aus.“, hauchte er.
Die Frau strahlte ihn an.

„Danke.“, murmelte sie verlegen, dann musterte auch sie ihn. „Ich muss gestehen, dass dein Anblick mich auch nicht ganz kalt lässt.“
Er sah sexy aus. Wild und unbezähmbar. Nicht zu vergessen diese kristallklaren Tiefen, die sie anvisierten. Lucian ergriff ihre Hand und lächelte sie charmant an.

„Wollen wir dann?“, fragte er dann.
Sie nickte und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Restaurant.

 

„Ich kann mir vorstellen, dass du eine schwierige Kindheit hattest.“, murmelte Lucian und beobachtete Aenna dabei, wie sie ihr Fischfilet aß. Sie hielt inne.

„Woher willst du das wissen? Etwa nur, weil ich ein Mischling bin?“
Lucian lachte leise und schüttelte den Kopf.

„Würdest du nichts erlebt haben, wärst du nun nicht so eine starke Frau.“, antwortete er leise.
Aenna schluckte, dann nickte sie und erzählte ihm einen Teil ihrer Vergangenheit.
Doch statt nach ihrer Erzählung zu schweigen, lächelte sie ihn an.

„Was ist mit dir, Lucian? Wie war dein Leben so vor...vielen Jahrhunderten? Erzähl mir deine Geschichte!“, verlangte sie.
Für einen langen Augenblick schwieg der Mann. Er hatte nie groß irgendjemandem erzählt, was damals passiert war und warum ausgerechnet er der Teufel war. Es war ohnehin Wissen, welches für jeden zugänglich war.

„Bist du mit der Bibel vertraut?“, fragte er leise und nahm einen Schluck von seinem Wein.
Aenna schluckte einen weiteren Bissen und neigte dann den Kopf ein Stück nach vorne.

„Ja. Ich war nie besonders gläubisch aber ich kenne die ganzen Geschichten.“, antwortete sie dann leise und wartete gespannt darauf, was Lucian ihr nun wohl erzählen würde.
Das Gesicht des Mannes wurde ausdruckslos, als er begann zu erzählen. Auch seine Augen nahmen dabei einen seltsam glasigen Blick an.

„Viele Dinge die damals niedergeschrieben wurden, entsprechen der Wahrheit. Genauso vieles haben sie sich aber auch aus den Fingern gesaugt.“
Er hielt inne, dann schlossen sich seine Augen. Er erinnerte sich nicht gerne zurück...

„Ob du es glaubst oder nicht aber ich gehörte mal zum Kader der Erzengel. Als du mich damals nach meinem Namen gefragt hast, musste ich wieder daran denken. Wie sehr meine Brüder mich geliebt und geschätzt hatten. Aber...trotz all der Liebe, nichts konnte etwas daran ändern, dass mir ein fremder Wille aufgezwungen wurde.“
Lucian sprach so leise, dass Aenna sich vorbeugen musste um ihn zu verstehen.

„Als Erzengel hast du alles! Liebe, Macht, Besitztum, Frauen oder Männer. Doch für mich hatte das alles keinen Sinn. Ich musste das tun, was gesagt wurde. Damals herrschten andere Zeiten, wie du dir denken kannst. Es ging darum, die Erde und mit ihr alles andere perfekt zu machen.
Aber ich habe diese ewigen Befehle gehasst. Nie konnte ich etwas tun, das mir gefallen hätte.
Als Erzengel ist man in Ketten gelegt und ich glaube selbst heute, wissen das nicht alle.
Ich habe mich aufgelehnt, sämtliche Befehle missachtet und wurde dafür bestraft. Man riss mir meine Flügel raus, auf brutalste Art und Weise und warf mich ins Fegefeuer. Ja, es existiert wirklich. Eigentlich hätten mich die Flammen dort verschlingen müssen aber der Allmächtige hatte Gnade. Er beauftragte mich damit, die Dämonen der Welt unter Kontrolle zu halten. Dies war mein letzter Befehl und bis heute führe ich ihn aus.“
Aenna hätte gerne noch mehr gehört. Zum Beispiel was er damals gedacht oder gefühlt hatte, doch sie ahnte das sie sich mit diesen Informationen zufrieden geben musste. Andererseits war dieses Essen die Gelgenheit, mehr über diesen Mann in Erfahrung zu bringen.

„Hast du dich nie gefragt, ob du damit denn das Richtige tust?“, fragte sie leise.
Nur zaghaft hielt sie seinem Blick stand, der sich nun ohne Gefühl auf sie richtete.

„Doch, schon. Nachdem ich mich damals von den Qualen erholt hatte, war ich dankbar überhaupt noch am leben gewesen zu sein. Natürlich habe ich mich diesem Befehl nicht widersetzt.
Irgendwann kam mir aber der Gedanke es doch zu beenden. Wozu sollte ich das Ganze damals durchlebt haben, wenn ich am Ende dann doch wieder Befehle ausführen müsste? Ich habe wirklich überlegt es zu beenden aber nachdem ich mich eine Weile mit meinem Sein als Teufel beschäftigt hatte, wurde mir klar das es definitiv schlimmeres gab. Ich hatte nun einen freien Willen. Kann tun und lassen was ich will und ich halte die Dämonen nicht nur unter Kontrolle. Ich verwalte die Seelen der Menschen und befinde darüber, ob sie den Himmel verdient haben oder ob sie doch lieber im Fegefeuer schmoren sollen.“
Jetzt hat er sicher mehr verraten, als er eigentlich wollte., dachte Aenna und biss sich auf die Lippe, um ein Kichern zu unterdrücken.

„Ich hab noch nie gehört, dass der Teufel über die Seelen der Menschen entscheidet.“, murmelte die junge Frau, nun doch fasziniert.

„Sind da nicht die Engel für zuständig?“
Lucian lächelte, wodurch wieder Leben in sein Gesicht zurückkehrte.

„Nein, das ist ganz allein meine Aufgabe. Ich entscheide über sie, die Engel geleiten sie lediglich zur Himmelspforte.“, erwiderte er.
Aennas Augen verengten sich und sie machte eine Geste mit der Hand. Sie musste sich selbst eingestehen, dass Lucian und sein Job sie in den Bann zogen.

„Wie funktioniert das? Jede Minute stirbt irgendwo auf der Welt ein Mensch, wie kannst du über ihre Seelen richten, wenn du doch hier sitzt und mir beim Essen zusiehst?“
Lucian verzog das Gesicht ein wenig. Auch der Teufel hat seine Geheimnisse., hätte er nun am liebsten gesagt. Doch etwas in ihm drängte ihn dazu, ehrlich zu dieser Frau zu sein.

„Das ist etwas, was mir nicht gefällt. Jede Seele ist...wie eine Glühbirne in meinem Kopf. Sie leuchtet auf. An, aus, an, aus. Solange, bis ich ihnen Beachtung schenke. Ich weiß nicht, wie es funktioniert aber in sekundenschnelle kann ich erkennen, um was für einen Menschen es sich gehandelt hat. Danach brauche ich nur einen gedanklichen Befehl auszusprechen, durch den die Seele davongejagt wird. Ins Fegefeuer oder ins Jenseits, je nach dem.“
Diese Worte musste Aenna erst einmal schlucken. Er war also zu jedem erdenklichen Zeitpunkt beschäftigt? Um nicht zu sagen, abgelenkt? Eine Woge von Gefühlen brach über sie herein.
Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch.

„Dann hast du also nie auch nur einen Moment für dich? Selbst jetzt nicht?“, flüsterte sie.
Lucian lächelte, glücklich wirkte es in ihren Augen aber nicht. Dennoch zeigten seine Augen eine Spur Verwegenheit.

„Keine Sorge, Süße. Für dich finde ich immer genug Zeit. Es läuft ganz automatisch ab. Im Unterbewusstsein, kann man sagen. Wenn ich mich wirklich darauf konzentriere kriege ich alles mit, ansonsten kriege ich nicht wirklich etwas mit. Du kannst also ganz beruhigt sein.“
Kaum zu glauben aber sie beruhigte sich tatsächlich ein wenig. Dennoch machte sie sich Sorgen um ihn. Kam er denn dann überhaupt zur Ruhe?

„Was siehst du mich so komisch an?“, knurrte Lucian plötzlich und musterte sie argwöhnisch, wobei der den Kopf schräg legte. Er musterte die Frau. Ihre Flügel waren mit einem Schlag reinweiß und schienen somit zu leuchten. Nur gut, dass die Menschen dieser Anblick verwehrt wurde.
Es wäre besser, wenn uns die Menschen nun nicht sehen könnten., dachte Aenna mit einer Entschlossenheit, die dafür sorgte das die Umgebung um sie herum verschwamm. Sie selbst war verblüfft wie einfach es zu sein schien, sich von der Außenwelt abzuschirmen. Lucian schien es jedoch nicht mitbekommen zu haben. Aennas Gesicht war ausdruckslos als sie sich erhob und um den Tisch herum ging. Lediglich in ihren Augen glomm etwas auf, jedoch konnte Lucian es nicht benennen. Fassungslos ließ er zu, dass die Frau ihre Hände an sein Gesicht legte, sie sich vorbeugte und ihn sanft auf die Stirn küsste.

„Du solltest aufhören, immer den starken Mann zu spielen.“, flüsterte sie und strich über seine Wange, die glatt rasiert war.

„Die ein oder andere Frau würde es zu schätzen wissen, wenn du ihr im richtigen Moment dein Herz zeigst.“
Sie wollte bereits zurück weichen, doch Lucians Arm schnellte hervor und ergriff ihr Handgelenk.

„Was tust du?“, knurrte er, fassungslos darüber was sie gerade gesagt hatte.
Für einen winzigen Augenblick fragte Aenna sich, ob das eben richtig gewesen war. Doch ihre eigene Antwort überzeugte sie.

„Ich folge meinem Instinkt, Lucian. Das habe ich schon immer getan und ich hatte nicht vor, je etwas daran zu ändern.“
Nur mit Mühe schaffte der Mann es, ihr Handgelenk loszulassen. Mit einem füchsischen Lächeln fasste er ihr Kinn und zog sie näher an sich heran.

„Ich muss zugeben, dass du mich beeindruckst, Aenna. Selbst dem Teufel gegenüber schaffst du es, deine Fürsorge zum Ausdruck zu bringen.“, hauchte er.
Sie war seinen Lippen so nahe das sie überlegte, ob sie ihn küssen sollte, für's erste würde sie es aber bei nur einer Antwort belassen.

„Es kommt nicht darauf an wen ich vor mir habe, sondern wie sehr ich diesen jemand mag.“, hauchte sie, dann befreite sie sich rasch aus ihrem Griff. Ohne eine Antwort abzuwarten ließ sie sich wieder auf ihrem Platz nieder.
Vielleicht ist es besser, wenn ab jetzt wieder alles für die Öffentlichkeit sichtbar ist., dachte sie nun.
Nur wenige Sekundenbruchteile später war alles wie vorher. Aenna aß in Ruhe zu Ende und Lucian nippte wieder an seinem Wein. Mit gesenkten Lidern sah die Frau immer mal wieder zu ihm.
So wie es aussah, zerbrach er sich nun den Kopf über ihre Worte.
Gut so., dachte sie. Jetzt hatte auch sie die Gelegenheit in Ruhe nachzudenken. Schweren Herzens musste sie sich eingestehen, dass ihr dieser Mann mehr bedeutete als für sie gut gewesen wäre.
Mochte ja sein, dass sie sich im Bett gut verstanden aber das hieß nicht, dass er an Gefühlen interessiert war. Der Grund warum Lucian sie faszinierte war sein Wesen. Sie war sich sicher, dass er nie jemanden in sein Innerstes gelassen hatte. Sie wollte die Erste sein! Er gab sich so, wie man sich den Teufel vorstellte. Gefährlich und brutal, immer offen für neue Spiele und darauf aus, Grenzen auszutesten. Doch Aenna wollte seine andere Seite entdecken. Diese liebevolle Art, mit der er sie schon geküsst hatte. Der Blick mit dem er sie beim Essen beobachtet hatte, war ebenfalls tiefer gewesen als bisher nur diese oberflächliche Kälte.
Vielleicht wollte er seinen Ruf nicht verlieren? Oder es gab bisher einfach niemanden, den es interessiert hatte wie Lucian wirklich war? Sie wollte noch mehr über ihn erfahren!

„Warst du auch mal ein Kind, Lucian?“, riss sie den Mann aus den Gedanken.
Fast schon erschrocken blinzelte er sie an. Dann schüttelte er den Kopf.

„Nein. Kein Engel der vom Allmächtigen erschaffen wurde, hatte eine Kindheit. Das betrifft also mich und die Erzengel.“
Auch diese Tatsache musste Aenna erst einmal verarbeiten. Er war also nie ein Kind gewesen? Dann hatte er unglaublich viel verpasst! Gut, ihre Kindheit hätte auch schöner sein können. Aber es gab Dinge, die jeder wenigstens einmal in seinem Leben gemacht haben sollte. Zum Beispiel im Regen spielen. In Pfützen springen oder Regenwürmer einsammeln, einfach nur aus Spaß!

„Dann hast du nie erleben dürfen, wie viel Spaß es macht wenn man eine andere Person zum Beispiel mit einem Schneeball bewirft?“, hauchte sie.
Lucian zog die Brauen hoch und schwieg.
Der arme Kerl hat echt eine Menge verpasst., dachte sie traurig.

„Hast du später noch etwas vor?“, fragte sie nun und lächelte ihn an. Er schüttelte den Kopf und wartete darauf, dass sie fortfuhr.

„Dann lass uns doch später noch ein bisschen Zeit miteinander verbringen. Wir könnten Dinge tun, die du bisher noch nicht gemacht hast.“

Aenna war klar wie zweideutig sich das angehört haben musste, doch sie überspielte es mit einem charmanten Lächeln.

„Und was genau soll das sein?“, murmelte Lucian.

„Lass dich überraschen!“, hauchte sie.

 

__16__

 

„Du ziehst dich um?“, fragte Lucian und folgte Aenna ins Schlafzimmer.

„Ich hatte nicht vor, dieses Kleid die ganze Zeit anzubehalten.“, antwortete sie und begann, den Knoten in ihrem Nacken zu lösen. Doch noch bevor der Stoff nach unten rutschen konnte, hüpfte sie zum Bett und griff nach einem Kissen. Mit Wucht pfefferte sie es dem Mann ins Gesicht.

„Jetzt glotz doch nicht so!“, sagte sie, zwinkerte ihm dabei aber zu.
Verdutzt sah Lucian das Kissen an, welches er nun in der Hand hielt.

„Was soll das?“, murmelte er.

Aenna konnte es nicht unterdrücken, sie brach beim Anblick seines Gesichtsausdruckes in schallendes Gelächter aus.

„Das nennt man Kissenschlacht. Man bewirft sich gegenseitig einfach mit Kissen.“, kicherte sie und wischte sich unauffällig die Tränen aus den Augenwinkeln.

„Und wieso?“, murmelte der Mann.

„Weil es Spaß macht.“, antwortete Aenna und deutete auf das Kissen in seiner Hand.

„Na los, probier es aus!“
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, traf das Kissen sie direkt im Gesicht. Die Wucht mit der es sie getroffen hatte, ließ sie ins Taumeln geraten. Als sie ein Kichern vernahm, hob sie irritiert den Blick. Lucian hielt sich die Faust vor den Mund und lachte leise.

„Du hast Recht, es ist lustig.“, stellte er fest und kam auf sie zu. Aenna schob die Unterlippe vor.

„Na warte!“, knurrte sie und stürzte auf ihn zu. „Du kannst nicht deine teuflische Kraft benutzen, das ist unfair!“, schmollte sie, während sie mit dem Kissen auf ihn eindrosch.
Lucian schnappte sich schallend lachend das zweite Kissen, damit er ihr etwas entgegensetzen konnte.

„Na hör mal, dann wäre es doch langweilig.“
Patsch! Schon traf er Aenna im Gesicht. Sie schnaubte. Puff! Dieser Schlag ließ Lucian im Bett landen. Ihr Kissen hatte ihn mit einer unerwarteten Kraft getroffen. Blitzschnell kletterte sie auf den Mann, ihr Kissen schwebte gefährlich über seinem Gesicht.

„Gibst du auf?“, fragte sie außer Atem.
Lucian neigte den Kopf und legte seine Hände an ihre Taille.

„Also wirklich, Kleines. Glaubst du wirklich, dass du je eine Chance gegen mich hättest?“
Er konnte deutlich sehen, wie sie schluckte. Neugierig auf das was passieren würde, ließ er seine Hände langsam auf und ab wandern. Jedes Mal wenn seine Hände wieder nach oben fuhren, glitten seine Finger immer ein Stück weiter höher. Aenna erzitterte, schien aber nichts gegen seine Berührungen einzuwenden zu haben. Lächelnd zog er den Stoff ihres Kleides bis zum Bauch herunter, worauf ihre blanken Brüste sich ihm keck entgegen reckten.
Aennas strahlend weiße Flügel raschelten leise, als sie sie ein Stück weiter anhob.
Was für eine stolze Frau!, dachte er.
Aufgrund ihrer weißen Flügel, legte Lucian die Hände an ihr Gesicht und zog sie zu sich herunter. Vielleicht sollte er so zärtlich zu ihr sein, wie sie es zu ihm gewesen war? Einen Augenblick lang verharrte er mit seinen Lippen vor ihren. Er betrachtete sie ganz genau. Ihre goldenen Augen funkelten ihn an, über ihnen wölbten sich ihre schmalen und geschwungenen Augenbrauen. Ihm war vorher nicht aufgefallen, dass sie relativ hohe Wangenknochen hatte, weshalb er nun über ihre Haut an dieser Stelle strich. Ihre Haut war glatt und weich, genau wie der Rest ihres Körpers.
Ihm wurde klar, wie atemberaubend hübsch diese Frau wirklich war.
Lucian sah ihr wieder in die Augen, worauf sie sich plötzlich bewegte und die Hand hob.
Sachte fuhr sie mit dem Finger über die Narbe an seinem Auge.

„Woher stammt die?“, flüsterte sie und sah ihn dabei fragend an.
Er zuckte leicht mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Ich habe so viele Kämpfe bestritten, sie könnte aus jedem von denen stammen.“
Aenna sagte nichts mehr dazu und fuhr stattdessen mit ihren Lippen sanft über die vernarbte Haut.
Diese zärtliche Geste rührte Lucian. Er schlang seine Arme um den Leib der Frau und drückte sie an sich, worauf er ein wohliges Seufzen von sich gab. Sie war so schön warm!

„Lucian.“, hauchte sie und legte ihm die Hände auf die Brust. „Ich würde mich jetzt gerne umziehen.“
Der Mann ließ die Arme sinken.

„Nur zu.“, sagte er lächelnd.
Aenna erwiderte es und stieg von ihm herunter. Sie hätte erwartet, dass sie übereinander herfallen würden und es miteinander treiben würden aber anscheinend war Lucian diesen Abend gar nicht darauf aus. Gedankenverloren suchte sie sich bequeme Sachen aus dem Schrank.
Warum hatte er sie eben so komisch angesehen? Ohne es wirklich mitzukriegen rieb sie sich die Wange. Statt irgendeinen frechen oder unpassenden Kommentar von sich zu geben, hatte er sie nur ganz genau gemustert.

„Wollen wir uns einen Film ansehen?“, fragte sie leise.
Sie wagte es nicht, jetzt über ihre Schulter zu sehen. Sie konnte ganz genau spüren, wie er sie von oben bis unten musterte.

„Wenn dir das nicht zu langweilig ist?“, kam es zurück.
Aenna schmunzelte.

„Oh, ich bin sicher mit dir wird es alles andere als langweilig.“, murmelte sie.
Sie griff nach ihrem Lieblingsshirt, welches ihr einige Nummern zu groß war. Sie warf es sich über und ging dann auf die Tür zu.

„Wieso hast du Roy alle meine Sachen herbringen lassen? Die Filme und der ganze Kram wären eigentlich nicht nötig gewesen.“
Lucian stieg ebenfalls aus dem Bett und folgte ihr ins Wohnzimmer.

„Ich wollte einfach, dass du dich so wohl wie möglich fühlst.“, sagte er leise.
Aenna lächelte sanft und sah über ihre Schulter zu ihm zurück.

„Du bist fürsorglicher als du selbst vielleicht denkst. Danke, Lucian.“
Verblüfft hielt der Mann inne. Sie bedankte sich? Wofür denn genau? Naja, auch egal. Soweit er wusste, hatte sich schon lange keiner mehr bei ihm bedankt. Lucian ließ das einfach unkommentiert.

Eine halbe Stunde später saßen die beiden auf dem Sofa und sahen sich einen Film an. Lucian entging nicht, dass Aenna zu frieren schien. Kurzerhand zog er sie also einfach auf seinen Schoß.

„Komm her.“, sagte er leise und umschlang sie mit seinen Armen.
Aenna schwelgte in Gedanken. Sie tat mit Lucian genau das Gleiche, wie mit Bastien und doch fühlte es sich mit Lucian ganz anders an. Viel...wärmer und...angenehmer!

„Aenna.“, murmelte er plötzlich und drückte sie fester an sich. „Ich habe noch nie eine Frau einfach nur in den Armen gehalten, ohne einen Hintergedanken dabei zu haben.“
Die Frau hielt einen Augenblick inne.

„Und wie fühlt es sich an?“, fragte sie schließlich.

„Irgendwie warm.“, antwortete er, offensichtlich irritiert darüber.

„Vermutlich fühlst du dich geborgen?“, hauchte sie leise und legte ihre Hände auf seine.

„Da könnte ich mich dran gewöhnen.“, hauchte er.
Aenna schwieg und kuschelte sich an ihn ran. Kaum zu glauben, dass er solch einfache Dinge nicht kannte.

„Du hast eine Frau bisher einfach nur als Objekt betrachtet, oder?“, sagte sie leise. „Dir ging es nur um deine eigene Befriedigung, stimmt's?“
Es war Lucian nie peinlich gewesen, sich seiner Lust hinzugeben. Das nun Aenna gegenüber zuzugeben, ließ Verlegenheit in ihm brennen.

„Ja, anders habe ich es nie gekannt.“, murmelte Lucian.
Aennas Stirn legte sich in Falten. Sie drehte sich auf seinem Schoß um und legte ihm die Hand an die Wange.

„Ich weiß, du bist der Teufel aber du kannst dir doch von mir nehmen, was du brauchst. Sowohl Befriedigung...als auch alles andere.“
Lucian schluckte. Ihre großen Kulleraugen sahen ihn voller Gefühle an. Er konnte selbst nicht glauben, dass er folgende Worte tatsächlich aussprach. Er legte seine Hand auf die von Aenna und schloss mit krausgezogener Stirn die Augen.

„Wenn ich dich so ansehe, Aenna, muss ich an die jungen und unschuldigen Engel im Himmelsreich denken, die mir damals den Rücken gekehrt haben. Bist du dir sicher, dass du das tun willst, Kleines?“
Aenna fiel auf, dass der Mann sehr verletzt klang, weshalb auch ihr Herz schmerzte.

„Glaubst du, du hättest es nicht verdient eine zuverlässige Frau an deiner Seite zu haben?“, flüsterte sie. Lucian war vollkommen durcheinander. Was war das hier? Worauf lief das Ganze hier hinaus? Spöttisch und auch ein wenig verzweifelt schüttelte der Mann den Kopf.

„Ich bin Satan, Liebes. Glück oder Freude ist mit nicht einfach so gegönnt. Ich bin mein ganzes Leben lang gezeichnet.“
Aennas Herz wurde bei diesen Worten immer schwerer.

„Selbst der Teufel hat Liebe, Glück oder Freude verdient. Ich weiß nicht was das ist, was ich für dich fühle aber das, was du mir über dein vergangenes Leben erzählt hast, verursacht mir Schmerzen. Ich will dir etwas von dem geben, was du bisher nicht hattest. Du hast schon genug gelitten, Lucian.“
Ohne auf seine Antwort zu warten, versiegelte Aenna seine Lippen mit ihren. Es war kein Kuss, wie einer zuvor. Er war zärtlich und voller Gefühle. Aenna glaubte nicht, dass sie Lucian liebte. Und doch fühlte sich dieser Kuss so an, als ob sie es tun würde. Lucian seufzte in ihren Mund hinein.
Für gewöhnlich würde er diesen Kuss vertiefen und leidenschaftlicher werden, doch dieser zarte Kuss gefiel ihm viel zu sehr, als das er ihn beenden könnte. Endlich hatte er mal eine Frau auf dem Schoß, die ihm nicht den Rücken aufkratzte, sondern zärtlich seine Wangen streichelte.
Früher wäre ihm das zuwider gewesen. Zärtlichkeiten gab es schließlich nur, wenn Gefühle im Spiel waren. Und darauf war Lucian eigentlich nie aus gewesen. Er konnte nicht verstehen, warum bei Aenna alles anders war. Nachdenklich beendete er den Kuss.
Hast du das etwa geplant?, dachte er und sah hinaus, auf das Panorama der Stadt.

„Süß.“, murmelte er dann. „Dieser Kuss war süß.“
Aenna neigte den Kopf. Ihr war das auch aufgefallen. Dieser Kuss warnicht nur irgendein Kuss gewesen. Er war der Beweis tiefer Gefühle, nur würden beide das nicht einsehen wollen.

„Aenna, ich hab nur diesen Abend ungestört verbringen können. Ab morgen wird alles wieder beim Alten sein.“, wechselte Lucian das Thema.
Die junge Frau lächelte und lehnte sich gegen den Mann.

„Das macht nichts. Ich tauche einfach ab und zu auf und sorge dafür, dass du eine Verschnaufpause bekommst. Und sollten deine lieben Dämonen, oder wer auch immer, das nicht dulden, werde ich ihm Feuer unter'm Arsch machen.“
Die beiden lachten zusammen, doch so entspannt sie auch gewesen sein mögen, nach einigen Augenblicken spannte Aenna sich ein bisschen an.

„Wir wollten noch über die Sache mit den Nephilim reden. Willst du das jetzt tun oder lieber ein ander'n mal?“, fragte sie leise.
Lucians Blick trübte sich und er drückte die Frau wieder fester an sich. Ihr warmer Körper spendete ihm Trost und gab ihm Geborgenheit. Es würde schwierig werden, wenn er Aenna in ein paar Stunden wieder allein lassen würde. Wer wusste schon, was sie alles anstellte wenn sie alleine war?

„So ungerne ich das auch tun will aber das machen wir wohl besser jetzt.“
Er lehnte sich ein Stück zurück und musterte die Frau auf seinem Schoß.

„Du willst die Nephilim also vor ihrem Leid bewahren.“, stellte er fest. Aenna nickte.

„Ja. Ich will nicht, dass jemand anderes über mein Leben entscheidet, also warum sollte ein anderer Mischling das wollen? Wäre es für sie nicht besser, wenn sie jemanden wie dich oder Gott haben, der auf sie aufpasst und sich um alles kümmert?“
Besorgt sah Lucian dem Mädchen in die Augen.

„Du hast bereits sämtliche Nephilim zusammen getrommelt aber hast du dir mal Gedanken um mögliche Konsequenzen gemacht? Was, wenn einige von ihnen bereits kurz davor stehen den Verstand zu verlieren? Du weißt doch gar nicht, was diese Leute für eine Einstellung haben. Vielleicht sind einige von ihnen schon glücklich mit ihrem Guardian zusammen?“
Seine Worte stimmten sie zwar nachdenklich, brachten sie aber nicht von ihren Plänen ab.
Ein wenig verstimmt erwiderte sie Lucians Blick.

„Ich glaube, es gibt eine Menge Nephilim die mir ähnlich sind. Viele von ihnen wollen sicher gar nichts mit ihrem Guardian zutun haben. Lucian, ich weiß, es gibt dutzende Faktoren die irgendwelche Konsequenzen haben könnten aber ich muss es wenigstens versuchen. Was hab ich denn schon zu verlieren?“
Bitter stieß Lucian auf.

„Deinen Verstand, Kleines.“, knurrte er.
Aenna hatte schon damit gerechnet, dass er das sagen würde.

„Darüber haben wir doch schon gesprochen, Lucian. Es hat ich wirklich fertig gemacht zu wissen, dass ich zwei Persönlichkeiten habe aber momentan geht es mir mehr als gut! Meine zwei Hälften haben sich immer nur gestritten aber im Moment kommen sie sehr gut miteinander aus. Ich glaube wirklich nicht, dass sich so schnell etwas daran ändern wird.“, erklärte sie.
Lucian atmete tief durch. Ihm würde nichts anderes übrig bleiben, als der jungen Frau zu vertrauen.

„Sag mit bitte sofort Bescheid, sollte dir an dir selbst etwas auffallen.“
Aenna kicherte.

„Das klingt echt lächerlich aber meinetwegen. Wenn du dich dann besser fühlst.“
Lucian stieß ein leises Knurren aus.

„Ich wollte dich eigentlich bitten, keinen Blödsinn anzustellen aber das kann ich mir wohl sparen, nicht wahr?“
Aenna küsste ihn sanft auf die Stirn.

„Keine Sorge. Eigentlich bin ich ein braves Mädchen, vorausgesetzt man lässt mich leben und versucht nicht, mich in einen Käfig zu sperren.“
Lucian seufzte leise und ließ zu, dass das Mädchen es sich auf seinem Schoß bequem machte. Keiner der beiden sagte etwas und es dauerte nicht lange, da war Aenna eingeschlafen. Kein Wunder, bei dem beruhigenden und kräftigen Herzschlag unter ihren Händen.
Lucian schmunzelte und machte es sich ebenfalls bequem. Er gönnte sich einen Moment der Ruhe und noch bevor er es verhindern konnte, war auch er eingeschlafen. Mit dem Mädchen in seinen Armen.

 

„Verdammt, wo steckt er nur?“, fauchte Fraya und stemmte die Hände in die Hüften.
Sie war gerade in der Menschenwelt und wenn sie Lucian hier nicht finden würde, dann wüsste sie auch nicht weiter. Dann sollte er sich doch selbst um seinen Terminkalender kümmern.
Sie machte sich auf dem Weg zum Tower, indem sich sein Appartment befand. Hier musste er doch sicher sein! Noch immer fragte sie sich, mit wem der Mann gestern unterwegs gewesen war. Er hatte schon seit Jahrhunderten keinen Anzug mehr angehabt, es schien also wichtig gewesen zu sein. Wahrscheinlich irgendeine Frau. Andererseits gab er sich mit Frauen nie Mühe. Er nahm sie sich und ließ sie am Ende auch genauso schnell wieder fallen. Während Fraya darüber nachdachte, betrat sie ohne Umschweife Lucians Appartment.

„Lucian?“, rief sie.
Sie warf einen Blick in die Küche, dann ins Bad, dann ins Schlafzimmer.

„Nanu?“, murmelte sie beim Anblick der Klamotten, die quer im Zimmer verteilt waren.
Definitiv eine Frau. Und irgendwie kamen ihr diese Sachen auch bekannt vor. Wo hatte sie die nur schon einmal gesehen?

„Lucian?“, rief sie erneut und marschierte ins Wohnzimmer. Dort angekommen blieb sie angewurzelt stehen. Ihr Blut fing an zu kochen, doch anstatt auszuflippen beließ sie es bei einem lauten Räuspern. Statt aufzuschrecken öffnete Lucian blinzelnd die Augen.

„Fraya?“, murmelte er verschlafen. Dann wurde ihm klar, wer da im Raum stand.
In einer beschützerischen Geste legte Lucian die Arme um Aenna, die noch immer seelenruhig schlief.

„Ihr schmeißt euch an Aenna 'ran?“, fauchte sie laut, worauf Lucians Augen böse zu funkeln begannen.

„Sei gefälligst leise, verdammt! Und nein, ich schmeiße mich nicht an sie 'ran. Was willst du überhaupt hier?“
Fraya verschränkte wütend die Arme. Sie konnte nicht glauben, was sie sah. Aenna war hinterhältiger, als vermutet. Komisch, dabei waren ihren Flügel strahlend weiß...

„Euch ist schon klar, dass Ihr Termine habt?“, fauchte sie.
Lucian seufzte.

„Ich weiß. Ich mache mich gleich auf den Weg, danke Fraya.“
Die Frau nickte, machte aber keine Anstalten zu verschwinden. Lucian ahnte, worauf das hinauslief.
Erneut stieß der Mann ein Knurren aus.

„Du wirst Aenna nicht anrühren, Fraya. Und pass auf, was du sagst!“
Die Frau schnaubte lediglich.

„Aenna, wach auf.“, sagte Lucian leise und stieß Aenna leicht an. Die Frau stöhnte und umschlang ihn mit den Armen.

„Ich will nicht.“, nuschelte sie.
Lucian legte ihr die Hand auf den Kopf und beugte sich vor, bis seine Lippen an ihrem Ohr lagen.

„Es wäre aber besser, Kleines. Fraya ist hier.“
Augenblicklich saß Aenna kerzengerade auf seinem Schoß. Mehrere Augenblicke lang starrten die beiden Frauen sich einfach nur an.
Scheiße., dachte Aenna. Sie hatte gehofft weder die beiden Frauen, noch Bastien noch einmal zu sehen und nun stand Fraya vor ihr. Ausgerechnet Fraya! Hätte es nicht Caya sein können?
Keiner der beiden sahte etwas und sie hatten auch nicht vor, das zu ändern.

„Du musst los, hm?“, sagte Aenna leise und sah Lucian wieder an.
Er nickte, weshalb Aenna von seinem Schoß kletterte.

„Dann will ich dich nicht aufhalten.“, murmelte sie.
Einen langen Augenblick sahen die zwei sich in die Augen. Beide drängte es, sich zum Abschied noch einmal sanft zu küssen, doch sie rührten sich nicht. Schließlich war Aenna diejenige, die sich abwandte. Lucian verstand das unausgesprochene Zeichen. Scheinbar wollte Aenna Fraya keine Angriffsfläche bieten. Lucian erhob sich und wandte sich zum Gehen.

„Fraya?“, fragte er irritert, als die Dämonin sich noch immer nicht bewegte.

„Ich habe noch etwas zu erledigen, Mylord. Ich komme gleich nach.“, murmelte sie leise, den Blick dabei fest auf Aenna gerichtet. Aenna starrte feindselig zurück. Lucian blieb stehen und überlegte, was er nun tun sollte.

„Aenna?“, fragte er also und sah fragend das Mädchen an.

„Ich komme klar, Lucian, danke.“, sagte sie mit einem Nicken, als Zeichen das er verschwinden konnte. Der Mann seufzte in sich hinein und nickte ebenfalls, dann war er weg.

„Ich hätte nicht erwartet, dass du so hinterhältig bist.“, fauchte Fraya und eröffnete somit das Wortgefecht.

„Ich weiß nicht, was du meinst.“, sagte Aenna und zuckte mit den Schultern. „Ich habe den Kontakt zu Bastien abgebrochen, weil ich einfach keine Gefühle mehr für ihn habe. Ich weiß also nicht, was du von mir willst.“
Erwartungsvoll sah die junge Frau Fraya an. Diese seufzte und trat näher an sie heran.

„Aber er ist dein Guardian.“, murmelte sie.
Aenna wurde aufmerksam. Sieh einer an, Fraya hatte also auch eine weiche Seite.

„Was bringt mir das, wenn ich keine Gefühle für diesen Mann habe?“
Die Dämonin ließ sich neben ihr nieder.

„Ach, du hast ja Recht.“, hauchte sie. „Bastien tröstet sich auch schon mit anderen Weibern. Also entschuldige meine Feindseligkeit.“
Einen Augenblick lang hielt sie inne, dann fletschte sie die Zähne.

„Aber Lucian? Konntest du dir keinen anderen aussuchen?“
Aenna schmznelte und rieb sich die Hände.

„Ich wusste erst nicht, wer er war. Wir sind uns nahegekommen, ja aber du hast nichts zu befürchten.“
Aenna schämte sich nicht, Fraya so kackendreist angelogen zu haben. Es ging die Dämonin nicht einmal etwas an, mit wem sie etwas am laufen hatte. Fraya sah sie zwar skeptisch an, cshieni hr aber zu glauben.

„Also gut. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Lucian ist gefährlich, Aenna. Er ist nicht umsonst der Teufel. Es ist seine Spezialität andere an der Nase herumzuführen und zu verarschen.“
Aennas Mundwinkel zuckten. Sie hatte also keine Ahnung von Lucians Hintergründen.
Ob das wohl besser so war?

„Vielleicht hast du Recht.“, sagte sie leichthin. „Ich werde vorsichtig sein.“
Für eine Weile herrschte Ruhe zwischen den beiden. Komisch, dabei dachte Aenna das Fraya ihr eine Szene machen würde. Aber wenn Bastien das ganze auch nicht weiter kümmerte, schien das ganze Thema wohl durchgewesen zu sein. Aenna seufzte und ergriff dann das Wort.

„Also gut, Fraya. Ich ahne, dass du gerne über alles mit mir sprechen würdest aber ich will mit der Sache abschließen, okay?“
Das war Fraya zwar nicht recht, doch sie nickte. Eine Wahl hatte sie nicht. Wenn sie Aenna nicht in Ruhe lassen würde, würde Lucian schon dafür sorgen, dass sie die Nephilim nicht mehr zu Gesicht bekam.

„Wie du willst. Ich verschwinde dann mal. Sonst kommt Lucian mich noch holen.“
Wenige Minuten später war Aenna alleine.

 

__17__

 

„Ich frage mich, was er will.“, murmelte er und machte sich auf den Weg zum Saal, in dem Lucian sicher schon ungeduldig auf ihn wartete. Und so war es dann auch.

„Wurde auch Zeit das du kommst, Roy.“, donnerte auch schon die Stimme des Teufels durch den Saal. Vor Lucian angekommen, verneigte der Dämon sich.

„Ihr habt gerufen?“, murmelte er untergeben. Der Mann vor ihm nickte und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, wieder auf die Beine zu kommen.

„Sind bereits sehr viele Nephilim in der Stadt?“, fragte er und ließ zu, dass Roy seine Neugier bemerkte. Scheinbar behagte ihm das nicht, wenn er trat unsicher von einem Fuß auf den anderen.

„Ja. Ich wollte mich in einigen Stunden auf den Weg zu Aenna machen.“, antwortete er nun.
Lucians Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, doch er war sich noch immer nicht mit seiner Entscheidung sicher.

„Sehr gut, denn darüber wollte ich mit dir reden.“
Er hielt kurz inne, dann wurde sein Blick ernst.

„Von nun an hast du für mich nichts mehr zu erledigen. Du wirst an Aennas Seite bleiben und sozusagen ihr Assistent werden. Ich glaube, sie kann ein bisschen Unterstützung gebrauchen.“
Roy blinzelte. Was war denn in Lucian gefahren? Er wäre nie auf die Idee gekommen, einen seiner Dämonen an die Seite eines anderen zu stellen, also was war los mit ihm?

„Seid Ihr Euch sicher?“, fragte er also vorsichtshalber noch einmal nach.
Lucian zog missmutig eine Augenbraue hoch.

„Pardón, habe ich mich nicht klar ausgedrückt? Ab sofort stehst du unter Aennas Befehl. Du kannst dich direkt auf den Weg zu ihr machen.“
Der Dämon verschwendete keine Zeit.

„Wie Ihr befiehlt.“, murmelte er und verneigte sich. Dann drehte er sich um und lief rasch aus dem Saal. Lucian sah ihm nach. Es waren mittlerweile also einige Nephilim in der Stadt versammelt. Es wäre besser er hätte selbst ein Auge auf die Situation, möglicherweise unterschätzte Aenna die Situation doch und verlor am Ende noch die Kontrolle. Seufzend erhob er sich.
Er würde lediglich aufpassen müssen, dass das Mädchen ihn nicht ertappte. Sonst würde sie wohl noch einen Aufstand machen und von ihm verlangen, dass er ihr gefälligst mehr vertrauen sollte. Nur langsam machte er sich schließlich auf den Weg.

 

„Mylady.“
Irritiert über die Stimme, die hinter ihr sprach, drehte Aenna sich um.
Es dauerte einige Sekunden bis ihre Augen Roy erfasst hatten und sie die Situation analysiert hatte.

„Roy, sei gefälligst nicht so förmlich. Was machst du überhaupt hier? Gibt es etwas Neues?“, erwiderte sie, nun recht aufmerksam. Der Dämon nickte und trat näher an sie heran.

„Allerdings. Ab sofort stehe ich unter Eurem Befehl. Lucian selbst hat das angeordnet, er hält es für besser.“
Aenna dachte über diese Worte nach. Wollte Lucian nur, dass sie einen Aufpasser hatte oder ging es hier nur um die Angelegenheit mit den Nephilim? Roy hatte ihr schließlich sehr geholfen.

„Das wird zwar komisch werden, aber nun gut. Wenn Lucian es dir befohlen hat. Gibt es noch etwas, das ich wissen müsste?“
Wieder nickte er.

„Ja. Mittlerweile sind dutzende Nephilim in der Stadt angekommen. Soll ich sie im Park versammeln?“
Aenna blinzelte, dann sah sie aus dem Fenster. Das Ganze hatte sich als einfacher erwiesen, als sie für möglich gehalten hatte. Lächelnd nickte sie.

„Ja. In zwei Nächten, um Mitternacht. Dann liegt die gesamte Stadt im Schlaf und wir haben unsere Ruhe. Ich könnte ein paar Dämonen gebrauchen, die sich zu diesem Zeitpunkt um die Cops kümmern. Kriegst du das hin?“
Roy konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Er nickte.

„Ja.“
Diese Frau war ziemlich vorausschauend, das hatte Roy nicht erwartet. Sie schien nicht einmal zu bemerken, wie schlau sie eigentlich war. Sie hielt das alles für selbstverständlich.

„Also gut, Mylady. Ich sorge dafür, dass kein menschliches oder himmlisches Wesen in der Lage sein wird, dich zu unterbrechen. Ihr seid doch in der Lage, eine Barriere zu errichten, nicht wahr?“, fasste Roy zusammen. Aenna war ein Rätsel woher Roy wusste, dass sie in der Lage war eine Barriere zu errichten, aber sie bestätigte es.

„Sehr gut.“, sagte der Dämon dann. „Es wäre hilfreich, wenn Ihr in der Nacht die Nephilim abschirmen würdet, um alles andere kümmere ich mich dann.“
Aenna nickte und wandte sich dann von ihrem Diener ab.

„Alles klar. Dann bist du jetzt entlassen, Roy.“
Zehn Minuten später stand das Mädchen vor dem Spiegel. Sie würde also vor dutzenden Ihresgleichen treten und zu ihnen sprechen. Sie musterte sich. So wie sie jetzt aussah, konnte sie unmöglich vor die Nephilim treten.
Ihre Flügel hingen schlaff herunter, weshalb Aenna sich anstrengte und ihre Schwingen anhob, bis diese imposant hinter ihr in die Höhe ragten. Erst jetzt fiel ihr ein, dass sie diese Flügel ja noch nie benutzt hatte. Ob sie wohl fliegen könnte? Sie legte den Kopf in den Nacken und versuchte abzuschätzen, wie hoch der Raum war. Aenna seufzte. Mehr als drei Meter waren das sicher nicht. Angenommen, sie würde sich wirklich in die Luft hiefen können, würde sie sicher mit dem Kopf gegen die Decke knallen.

„Meine Güte, das Ganze klingt so lächerlich.“, flüsterte sie und lief ein paar Mal auf und ab. Sie würde fliegen lernen müssen, ansonsten würde sie bei den Nephilim keinen Eindruck erwecken können.

„Aber alleine werde ich das wohl nicht schaffen.“, murmelte sie.
Aenna schüttelte den Kopf und ließ sich auf's Bett fallen.

„Und ich sollte mir Gedanken darüber machen, was ich zu ihnen sage. Apropos sagen, ich muss wirklich aufhören, Selbstgespräche zu führen.“
Ihre Augen schlossen sich. Nur noch zwei Tage.

 

Verzweifelt ließ Lucian den Kopf gegen die Fliesen fallen. Das heiße Wasser färbte seine Haut tiefrot, doch auch dieser brennende Schmerz konnte ihn nicht von Aenna ablenken.
Sein Blick glitt nach unten und wie zum Beweis, ragte ihm sein Glied entgegen. Er brauchte nur kurz an diese Frau zu denken und schon verlor er alle Hemmschwellen.
Lucian drehte sich um, um sich mit dem Rücken an die Fliesenwand anlehnen zu können.

„Ich hoffe doch sehr, dass du gerade an mich denkst.“
Lucian riss beim sinnlichen Klang der Stimme die Augen auf.

„Aenna.“, knurrte er.

„Hallo, Lucian.“, hauchte sie lächelnd und trat zu ihm. „Soll ich dir Gesellschaft leisten?“
Schließlich stand sie vor ihm und ließ ihre Fingerspitzen über seine Bauchmuskeln wandern, die auf der Stelle erzitterten.

„Wenn du nicht hier und jetzt auf der Stelle durchgenommen werden willst, lässt du das besser.“, knurrte der Mann und packte ihr Handgelenk. Verführerisch lächelte sie ihn an.

„So verlockend das auch klingt aber deswegen bin ich nicht hier. Zieh dich an, Lucian. Ich würde dich gerne um einen Gefallen bitten.“
Ohne eine mögliche Antwort zu warten, ließ sie ihn stehen. Sie ging in sein Schlafzimmer, ließ sich auf seinem Bett nieder und überschlug die Beine. Es war verblüffend, wie schnell Lucian am Ende bei ihr war.

„Was gibt es, meine Schöne!“, fragte er und baute sich vor ihr auf.

„Kannst du mir helfen?“, sagte Aenna und zeigte sich nun handzahm. Sie deutete auf ihre Flügel.

„Deine Flügel?“, murmelte er.
Ihre Mundwinkel zuckten.

„Wozu habe ich Flügel, wenn ich sie nicht benutzen kann? Sei so lieb und bring mir das Fliegen bei, ja?“
Lucian lachte und zog sie auf die Beine.

„Ich hab mich schon gefragt, ob du überhaupt mal vorhattest das Fliegen zu lernen.“, kicherte er.

„Ist das ein Ja?“, hauchte Aenna gespannt, worauf der Mann nickte.

„Ja. Komm mir, wir können direkt anfangen.“

„Setz all deine Muskeln ein, verdammt!“, brüllte Lucian sie an.
Sie war zwar in der Luft, doch nach einigen Metern kam sie einfach nicht mehr höher. Je länger Aenna mit den Flügeln schlug, desto unerträglicher wurde der sengende Schmerz ihrer Muskeln. Lucians Drill störte sie nicht, im Gegenteil er spornte sie sogar nur an. Aenna war kaum einen Moment abgelenkt, schon verkrampfte sich ein Muskel in ihrer rechten Schwinge und sie stürzte auf den Boden zu. Sie machte sich auf einen harten und schmerzhaften Aufprall gefasst, doch dieser blieb aus. Stattdessen spürte sie etwas weiches unter sich. Zögernd nur schlug Aenna die Augen auf, nur um dann festzustellen, dass sie Lucian unter sich begraben hatte.

„Verdammt, alles in Ordnung?“, murmelte sie verlegen und verlagerte ihr Gewicht, um ihm nicht weiter die Luft abzuschnüren. Lucian sah auf uns...brachte keinen Ton heraus.
Wie ein unschuldiges, kleines Kind saß sie auf ihm und blickte ihm mit großen Kulleraugen entgegen. Ihm entging nicht, dass ihre Wangen ein tiefes rot angenommen hatten.

„Alles in Ordnung.“, versicherte er ihr und legte ihr die Hand an die Wange, welche glühte.
Dann setzte er sich auf und umschlang ihre Taille dabei mit dem anderen Arm.

„Nichts passiert.“, sagte er noch einmal und gab ihr einen sanften Kuss auf den Mund. Ihm war aufgefallen, dass ihm diese zarten Küsse viel besser gefielen, als all die anderen Zungenspiele.

„Ein paar Stunden habe ich noch Zeit für dich, Aenna. Also hoch mit dir.“
Das ließ sich die junge Frau natürlich nicht zweimal sagen. Voller Elan sprang sie auf, nur um dann am Ende mit krampfenden Flügeln wieder abzustürzen.

 

„Javiel, Ihr glaubt nicht, was ich herausgefunden habe.“, keuchte Caya, als sie in den Saal gestürzt kam, in dem der Mann als einziger auf seinem Platz saß. Fordernd und neugierig zog er die Brauen hoch, worauf Caya ohne Umschweife fortfuhr.

„Irgendjemand hat sämtliche Nephilim in einer Stadt der Menschenwelt versammelt. Informationen zufolge, treffen sie sich alle morgen um Mitternacht in einem Park.“
Der Erzengel horchte auf, sämtliche Muskeln in seinem Körper spannten sich an.

„Woher weißt du davon? Wir haben dir keinen Auftrag erteilt.“, knurrte er.
Er stand kurz davor aufzuspringen und sie bei den Schultern zu packen.

„Ich war auf der Erde und habe dort zufällig eine Gruppe Mischlinge entdeckt. Das kam mir komsich vor, also habe ich gelauscht.“, erklärte sie.
Sie wusste ganz genau, dass sie für diese ungefragte Aktion keinen Ärger bekommen würde. Sie hatte schließlich wichtige Informationen einholen können.
Die Augen des Mannes ihr gegenüber verengten sich.

„Hast du in Erfahrung bringen können, wer der Verusacher des Ganzen ist?“, donnerte er.
Caya schüttelte den Kopf.

„Nein. Die Nephilim scheinen zu ahnen, dass sie beobachtet werden. Sie erwähnen mit keinem Wort irgendwelche Namen.“

„Ich bezweifle, dass sie wissen das sie beobachtet werden. Ansonsten wären sie nicht so nachlässig mit der Information umgegangen, dass sie sich um Mitternacht im Park treffen wollen. Ich danke dir, Caya. Du bist zwar ungefragt losgezogen aber dabei ist dann doch was gutes herausgekommen. Du kannst dann gehen.“
Javiel schickte Caya fort und versammelte auf der Stelle seine Geschwister.

„Was ist denn los?“, fragte Camael genervt, die noch immer nasse Haare aufgrund ihrer Dusche hatte. Auch Mikael und Zadkiel waren unglaublich verstimmt.

„Was willst du denn schon wieder?“, knurrte Mikael und ließ sich auf seinen Platz fallen.
Mit knurrender Stimme berichtete Javiel ihnen von den Ereignissen auf der Erde. Das Ganze dauerte nur wenige Sekunden, dann hatten sich bereits alle Erzengel wieder erhoben.

„Vergesst die niederen Engel auf ihren Wachposten.“, brüllte Zadkiel. „Wir schwärmen selbst aus und verschaffen uns ein Bild über die Lage!“
Camael war beunruhigt, weshalb sie zu ihrem Bruder ging und ihm die Hand auf die Schulter legte.

„Hältst du das für eine gute Idee, Zadkiel? Irgendjemand muss sich um die Probleme hier kümmern. Wir können uns nicht alle sofort auf den Weg machen.“, gab sie ihre Bedenken Preis.
Der Blick der von ihrem Bruder folgte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Dieses trübe Blitzen in den Augen hatte sie schon einige Male gesehen, und immer bedeutete es etwas schlechtes.

„Gut, dass du mitdenkst. Genau aus diesem Grund wirst du hierbleiben. Wir stellen Caya an deine Seite, zusammen habt ihr dann ein Auge auf das Himmelsreich. Das dürfte doch kein Problem für dich sein, oder Camael?“
Zadkiels spöttischer Tonfall ließ Camaels Blut kochen. Seit Jahrtausenden nun schon gehörte sie zum Kader der Erzengel und dieser Mann behandelte sie wie ein Kind. Und das, obwohl sie noch nicht mal eines gewesen war! Doch als sie die Blicke ihrer Brüder sah wurde ihr schnell klar, dass mal wieder sie das schlechte Los gezogen hatte. Ihr würde nichts anderes übrig bleiben als hierzubleiben und zusammen mit Caya über ihre Heimat zu wachen. Die Männer wollten die einzigen sein, die sich um die Sache mit den Nephilim kümmerten.

„Also schön.“, knurrte sie und kehrte den Männern den Rücken zu. „Aber kommt nicht auf die Idee, euch in den nächsten Tagen bei mir zu melden.“
Mit diesen Worten rauschte Camael aus dem Saal. Und diesen würde sie für's erste auch nicht mehr betreten.

 

Nervös lief Aenna vor dem Panoramafenster auf und ab. Lucian stand mit verschränkten Armen Abseits und musterte die junge Frau. Sie hatte sich mittlerweile umgezogen und trug nun eine tiefschwarze Corsage, die sie wie einen Racheengel aussehen ließ. Ihre Brust hob und sank sich so dermaßen schnell, dass Lucian befürchtet ihr Brustkorb würde den festen Stoff sprengen.
Besorgt trat er an sie heran und legte seine Hände auf ihre Schultern.

„Hey, jetzt atme mal tief durch. Wofor hast du denn solche Angst?“, sagte er leise und strich in einer beruhigenden Geste über die seidenen Federn ihrer Schwingen.
Sie erschauerte und entspannte sich ein wenig unter seinen Berührungen.

„Es ist keine Angst, sondern Sorge! Ich bin beunruhigt, ich weiß schließlich nicht, zu was diese Nephilim in der Lage sind. Vielleicht hätte ich deinen Worten doch ein bisschen mehr Beachtung schenken sollen...“, murmelte sie und wich seinem Blick aus.
Lucian hob lächelnd ihr Kinn an und küsste sie auf die Stirn.

„Ich halte mich im Hintergrund, Kleines. Sollte das Ganze doch außer Kontrolle geraten, greife ich sofort ein.“
Aennas Miene blieb nachdenklich.

„Ich hoffe, dein Eingreifen wird nicht von Nöten sein. Glaubst du, die Nephilim werden mir zuhören?“
Unsicher sah sie zu ihm auf. Lucian strich ihr fürsorglich übers Haar.

„Du bist eine starke und selbstbewusst Frau, Aenna. Und allein schon mit deinem Aussehen schaffst du es, Eindruck zu schinden. Du solltest aufhören, dir so viele Gedanken darüber zu machen.“
Das weiß ich selbst!, dachte sie ein wenig genervt. Aber er hatte ja Recht. Sie hatte nicht fliegen gelernt, nur um sich am Ende wieder zu verstecken. Sie hatte ein Ziel, verdammt und sie würde alles tun, um das auch zu erreichen. Nach einigen ruhigen Augenblicken, sah sie wieder hinaus auf die Stadt.

„Warum hilfst du mir so, Lucian?“, fragte sie leise und sah ihn aus den Augenwinkeln heraus an.
Eine gefühlte Ewigkeit lan antwortete Lucian nicht, stattdessen sah er sie einfach nur an.

„Schätze, ich mag dich einfach.“, murmelte er leise.
Aenna hielt inne. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der Mann ihr eine ehrliche Antwort geben würde. Aenna lächelte, wandte sich ihm zu und legte ihm die Hände ans Gesicht. Dann zog sie ihn zu sich herunter und küsste ihn.

„Wer hätte gedacht, dass ich mich so gut mit dem Teufel verstehe?“
Wer hätte gedacht, dass ich jemals ernsthaftes Interesse an einer Frau habe., dachte Lucian. Und dazu noch eine Nephilim.
Nachdem Aenna den Kuss beendet hatte, löste sie sich kichernd aus seinen Armen.

„Du hast immer nur den strengen Herrscher raushängen lassen, nicht wahr?“, sagte sie und ging zum Sofa, um sich darauf niederzulassen.

„Ziemlich. Aber warum kommst du jetzt darauf zu sprechen?“, antwortete Lucian und blieb weiterhin am Fenster stehen. Was würde das nun schon wieder für ein Gespräch werden?

„Ich hab mit Fraya gesprochen. Sie ahnt, dass zwischen uns was läuft und hat mir deshalb gesagt, dass ich mich besser von dir fernhalte.“
In Lucians Kehle stieg ein leises Lachen auf, doch er unterdrückte es und funkelte Aenna stattdessen amüsiert an.

„Hättest du auf sie gehört, wenn wir uns nicht schon so nahe stehen würden?“
Auch das Mädchen konnte ein Lachen nicht verhindern.

„Natürlich nicht! Ich lasse mir nur ungerne Befehle erteilen. Und eine andere Person lasse ich erst recht nicht entscheiden, mit wem ich Kontakt habe und mit wem nicht.“, antwortete sie.

„Damit habe ich gerechnet.“, murmelte Lucian und warf einen Blick auf die Uhr.
Nur noch zwei Stunden. Mittlerweile war kaum noch etwas in der Stadt los, dennoch hatte Lucian ein ungutes Gefühl. Aenna war in der Lage ein Barriere zu errichten und würde es auch tun und zusätzlich würde Roy einige Dämonen an den richtigen Stellen platziere, dennoch blieb eine unsichtbare Gefahr. Sicher hatte der Kader schon alles mitbekommen. Blieb die Frage, ob sie sich im Hintergrund halten und alles beobachten würden oder lieber eingriffen und dem Ganzen ein Ende setzten. Genau aus diesem Grund hielt Lucian es für besser, ebenfalls dabei zu sein.
Eigentlich hatte auch er vorgehabt, sich im Hintergrund zu halten aber all zu sehr konnte er sich nicht darauf verlassen.

„Lucian, alles in Ordnung?“
Aennas Stimme und ihre Hände, die sich erneut an sein Gesicht lagen, rissen ihn aus den Gedanken.

„Alles bestens.“, murmelte er und drückte ihre Hände nieder. „Ich war nur in Gedanken versunken.“
Aenna glaubte ihm auf's Wort. Doch sie bezweifelte das er mit der Wahrheit herausrücken würde, hätte sie ihn danach gefragt.

„Willst du dich schon auf den Weg machen?“, fragte er nun und sah das Mädchen erwartungsvoll an. Einen Augenblick schien sie zu überlegen, dann nickte sie.

„Ich schätze, das wäre besser.“
Und so kam es, das die beiden sich nur zwanzig Minuten später im Park befanden, in dem Aenna die Nephilim versammelt hatte.

 

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich bei dem vor uns nur um einen Bruchteil der Nephilim handelt, die noch hier auftauchen werden.“, murmelte Mikael und betrachtete die dutzenden Mischlinge, die sich in einem Park getroffen hatten und nun auf die Person warteetn, die sie zusammen gerufen hatte. So wie die Erzengel das sahen, gab es keinen Nephilim, der nicht freiwillig hier zu sein schien. Im Gegenteil, sie alle wirkten neugierig und wollten wohl wissen, was genau diese geheminissvolle Person ihnen wohl sagen würde.
Zadkiel, der sich zusammen mit Mikael auf einem Dach in der Nähe postiert hatte, stieß diesen nun leicht an.

„Mikael, ich sage das nur ungerne.“, begann er. „Aber was, wenn der Nephilim der all diese anderen hier zusammengetrommelt hat, schon längst den Verstand verloren hat? Stell dir vor er ist wahnsinnig und steckt diese, noch unschuldigen Wesen mit diesem Wahnsinn an?“
Mikaels Kehle schnürte sich zu. So weit hatte er noch gar nicht gedacht. Da könnte in der Tat etwas dran sein. Es dauerte einen Moment, bis er sich zu einer Antwort durchringen konnte.

„Wenn dem wirklich so ist liegt es an uns denjenigen aufzuhalten. Es geht hier schließlich um etliche Leben, die in Gefahr sind. Allerdings sollten wir erst einmal abwarten, was derjenige zu verkünden hat.“
Mit diesen Worten richtete er seinen Blick wieder auf die Menge. Er musste sich eingestehen, dass so gut wie keiner dieser Nephilim so wirkte, als hätte oder würde er den Verstand verlieren. Aber ganz genau konnte er das natürlich nicht sagen. Die Stunden und Minuten verstrichen, bis irgendwo in der Ferne ein Glockenturm ertönte und die Geisterstunde ankündigte.
Mit einem Schlag wurde es ruhig unter den Nephilim. Sie alle wandten sich einem großen, alten Baum im Zentrum des Parks zu. Sie schienen zu ahnen, dass jede Sekunde jemand dort auftauchen würde.

„Zadkiel.“, murmelte Mikael und deutete auf die Barriere, die in diesem Augenblick jemand errichtete. Gespannt und neugierig richteten auch sie ihre Blicke auf den großen Baum, auf den nun eine junge Frau mit roten Harren auf einen der Äste auftauchte. Mit den riesigen, dreckig grauen Flügeln hielt sie ihr Gleichgewicht.

„Eine Nephilim.“, murmelte die Erzengel unisono.

 

__18__

 

Beeindruckt ließ Aenna den Blick schweifen. Das waren in der Tat nicht wenige Nephilim, die sich hier versammelt hatten. Sie alle blickten zu ihr auf und warteten gespannt darauf, dass sie etwas sagen würde. Sie ließ den Blick weiter schweifen. Aenna konnte Lucian zwar nicht sehen, doch sie spürte sine Anwesenheit. Dieses verheißungsvolle Kribbeln, wenn er in der Nähe war.
Es ließ sie lächeln. Dieser Mann war sogar jetzt für sie da!

„Nephilim!“, begann sie nun laut, worauf augenblicklich Totenstille herrschte.

Sie lächelte schwach.

„Erst einmal danke, dass ihr alle so zahlreich erschienen seid. Mein Name ist Aenna und ich bin wie ihr, ein Mischling. Der Grund, warum ich euch hergerufen habe ist folgender. Ich habe vor kurzem von dem traurigen Schicksal unserer Rasse erfahren. Uns wird ein Guardian an die Seite gestellt, der über unser zukünftiges Leben entscheiden soll. In uns sind zwei Wesen präsent, die sich unseren Verstand unter den Nagel reißen wollen. Für uns gibt es nicht all zu viele Überlebenschancen. Man jagt nach uns, trachtet nach unserem Leben, weil wir angeblich gegen die Natur sind. Oder wir verlieren den Verstand, weil unser Guardian versagt und reißen andere deswegen in den Tod. Aber ich will etwas dagegen unternehmen! Ich habe ein Problem damit, das ein anderer über mein Leben entscheiden soll. Also habe ich den Kontakt zu meinem Guardian abgebrochen.“
Als Aenna den Satz beendet hatte, schnappten einige Nephilim hörbar nach Luft.

„Aber was ist mit deinem Verstand?“, keuchte ein Mädchen, welches noch keine fünfzehn zu sein schien. Aenna lächelte.

„Dem geht es besser denn je, keine Sorge. Wisst ihr...All die Engel und Dämonen haben einen Gott. Oder den Teufel. Aber sie alle werden beschützt. Selbst die Menschen werden behütet, wie kleine Schafe. Nur wir Nephilim sind auf uns allein gestellt. Sie wollen uns umbringen, verdammt und aus diesem Grund, will ich das wir uns gemeinsam jemanden suchen, der für uns sorgt. Einen Anführer, der für Recht und Ordnung sorgt und auf uns aufpasst, so wie Gott auf seine Engel. Meinetwegen auch mehrere Leute. So, wie es den Kader der Erzengel gibt.“
Wieder verstummte das Mädchen. Ein junger Mann trat aus der Menge hervor und sah trotzig zu ihr auf.

„Deine Ansichten gefallen mir, Kleine. Wie es der Zufall will, habe auch ich mich von meinem Guardian abgewendet. Meinen Verstand habe ich gut unter Kontrolle, so wie du. Aber wie willst du das Ganze umsetzen? Was ist mit den Nephilim, die ihren Verstand bereits verloren haben?“
Aenna sprang von dem Ast herab und winkte den jungen Mann an sich heran.

„Wie ist dein Name?“, verlangte sie zu wissen.

„Kiran.“, antwortete er und reichte ihr die Hand. Aenna ergriff diese und schüttelte sie.

„Du gefällst mir, Kiran. Du scheinst sehr ehrlich und direkt zu sein. Sehr gute Eigenschaften für eine Situation wie diese.“
Aenna wandte sich wieder an die sämtlichen Nephilim.

„Hier ist mein Anliegen an euch. Ich möchte, dass ihr alle einen Nephilim wählt, von dem ihr glaubt das er einen guten Anführer abgibt. Bezieht euch nicht nur auf Freunde oder Bekannte, sondern auf alle Nephilim die ihr kennt! Die fünf Nephilim, die die meisten Stimmen erhalten bilden einen Kader. Und dieser Kader kümmert sich dann um die Nephilim.“
Ein Murmeln ging durch die Menge. Plötzlich tauchte ein bekanntes Gesicht vor Aenna auf.

„Und wer wertet die Wahl aus?“, fragte Cess und stemmte die Hände in die Hüften. „Es muss eine neutrale Person sein!“

„Das werde ich übernehmen.“, meldete Roy sich zu Wort und trat an Aennas Seite.
Aenna nickte Cess zu, dann richtete sie ihren Blick wieder auf die Nephilim.

„Also, was sagt ihr? Seid ihr einverstanden?“
Ein unsicheres Raunen ging durch die Menge. Kiran trat neben Aenna. Seine Aura war überwältigend wie sie fand und scheinbar dachten das auch alle anderen Mischlinge, denn sie traten allesamt einen Schritt zurück.

„Kommt schon, Leute! Wir alle haben genug davon, immer in irgendwelche Schlägereien zu geraten. Und fast allen von uns passt es nicht, einen Guardian zu haben. Also lasst uns diese Scheiße verdammt noch mal durchziehen!“, brüllte er und reckte die Faust in die Luft.
Mit lautem Gegröle und Jubelschreien stimmten die Nephilim zu. Aenna lächelte und sah Kiran an.

„Danke. Eine überzeugende Stimme wie deine habe ich gebraucht.“, sagte sie leise.
Kiran legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Ich danke dir, Aenna. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Mehrheit von uns deinen Wunsch teilt. Wir haben nur jemanden gebraucht, der dieses Problem in Angriff nimmt. Nicht alle Nephilim der Welt sind hier aber ich versichere dir, dass diese Neugigkeiten sich rasendschnell verbreiten werden.“

„Aenna!“
Der Blick der Frau fiel auf Cess, die zusammen mit den anderen Nephilim wieder ruhiger wurde.

„Wann findet die Wahl statt?“, fragte sie, von neugierigen Blicken begleitet.
Aenna wurde ernst.

„Eine Woche habt ihr Zeit, um eure Entscheidung zu treffen.“
Sie deutete auf Roy.

„Roy wird hier im Park bleiben, bei ihm könnt ihr einen Zettel mit eurer Entscheidung abgeben. Ich bitte euch, diese Nachricht weiterzugeben, damit auch wirklich jeder Nephilim davon erfährt. Und wenn noch jemand Fragen hat, kann er gerne zu mir kommen.“


Eine Stunde später lehnte sich Aenna neben Roy an den Baum.

„Tut mir leid, dass ich dir das aufgebrummt habe.“, sagte sie leise und sah ihn entschuldigend an.

„Schon gut. Du bist der Boss, da habe ich momentan sowieso nichts anderes zutun.“
Aennas Blick fiel auf seine linke Hand, die schon einige Papierfetzen festhielt.

„Schon einen Blick darauf geworfen?“, fragte sie neugierig und sah wiede rihn an.
Ihr entging nicht, dass seine Mundwinkel aufingen zu zucken.

„Allerdings.“
Aenna fragte nicht weiter nach. Sie wollte sich selbst von dem Ergebnis überraschen lassen.

„Aenna.“
Plötzlich legte ihr jemand von hinten die Hände auf die Augen. Doch die Dunkelheit hatte nicht den gewünschten Effekt.

„Lucian.“, hauchte das Mädchen, dann spürte sie auch schon seine Lippen auf ihren. Es war ein langer, zärtlicher Kuss und unglaublich innig.

„Ich bin stolz auf dich.“, hauchte der Mann, als er zurückwich.
Mit funkelnden Augen sah sie schließlich zu ihm auf.

„Ich will ehrlich sein, Aenna. Ich hab schlimmes erwartet! Ich habe damit gerechnet, dass einige Nephilim dabei sind, die keine Kontrolle mehr über sich haben. Aber jemand hat deine Pläne wohl abgesegnet.“
Trotz seiner Worte sah Aenna unsicher zu Boden.

„Mach mir nicht zu viele Hoffnungen. Vielleicht kommt die Kathastophe noch.“, hauchte sie.
Lucian hob ihr Kinn an und drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen.

„Keine Sorge, meine Schöne. Du hast einen eisernen Willen, das wird alles funktionieren. Und nun mach ich mich aus dem Staub. Ich glaube, dass noch jemand anderes mit dir sprechen will.“
Aenna konnte nicht danach fragen was er meinte, er drehte sich bereits um und ging. Ohne zurückzublicken.

„Weißt du, was er damit meint?“, fragte sie und sah stattdessen zu Roy auf.

„Ich ahne es.“, murmelte er und richtete seinen Blick auf zwei Männer in der Ferne. Aenna folgte seinem Blick.

„Engel?“, hauchte sie beim Anblick der imposanten und reinweißen Flügel.

„Erzengel um genau zu sein. Ich hau ab, ehe ich noch ins Kreuzfeuer gerate. Bis später, Chefin.“
Puff, schon war er weg. Aenna lachte bitter auf.

„Elender Feigling.“
Tja und schon kamen die Männer auf sie zu.

 

„Ich hab mich nicht verguckt oder? Das war ein Dämon.“
Zadkiels Mundwinkel zuckten bei den Worten seines Bruders.

„Allerdings. Glaubst du, die Dämonen haben das Mädchen auf diese Idee gebracht?“, erwiderte er, während sie sich der jungen Frau näherten. Diese wartete bereits geduldig.

„Möglich aber unwahrscheinlich.“, antwortete Mikael. „Nach dem, was Caya uns erzählt hat zumindest. Warten wir ab, was sie zu sagen hat.“
Dann standen sie auch schon vor ihr.

„Aenna.“, sagte Zadkiel und neigte sein Haupt. „Ich bin Zadkiel, das hier ist mein Bruder Mikael. Sicher hast du einen Moment für uns, oder?“
Aenna lächelte, was auf die Erzengel ziemlich herzlich wirkte.

„Wenn ihr nicht auf Ärger aus seid, stehe ich gerne für ein Gespräch zur Verfügung.“
Klare Worte wie die Männer fanden aber sie war wenigstens ehrlich.

„Wie bist du auf diese...Idee gekommen?“, fragte Mikael ganz direkt.
Aenna zog die Brauen hoch.

„Weil ich es unfair finde, wie wir Mischlinge behandelt werden. Auch wir brauchen Recht und Ordnung, nicht nur Engel und Dämonen.“
Mikaels Stirn legte sich in Falten.

„Also dein Sinn für Gerechtigkeit ist wirklich beeindruckend. Aber hast du dir mal Gedanken über die möglichen Konsequenzen gemacht?“
Aenna seufzte tief und machte einen Wink mit der Hand.

„Ja, natürlich. Genau das wird mir schon die ganze Zeit vorgehalten. Aber ich weiß, was ich tue, keine Sorge. Außerdem habe ich Unterstützung.“
Diese Worte ließen die Männer aufmerksam werden.

„Von Dämonen?“, fragte Zadkiel ganz direkt.
Aenna hielt inne und überlegte einen Augenblick. Mit der Wahrheit herauszurücken, könnte sich als fataler Fehler erweisen. Sollte sie das also wirklich riskieren?
Scheiße!, dachte sie und biss sich auf die Zunge.

„Sozusagen.“, antwortete sie schließlich.
Aenna konnte ja wohl schlecht sagen, dass sie eine Affäre mit dem Teufel hatte. Aber wie, verdammt noch mal sollte sie das Ganze sonst erklären? Die Männer ihr gegenüber zogen die Brauen hoch und forderten sie somit auf, das Ganze zu erklären. Sie seufzte und machte eine vage Geste mit der Hand.

„Ich habe durch Zufall einen Dämon getroffen, der meine Idee nicht schlecht findet, deshalb hat er mir ein bisschen geholfen.“, erklärte sie.
So genau stimmte das zwar nicht aber das mussten die beiden ja nicht wissen.

„Wie genau geholfen?“, bohrte Zadkiel weiter nach.
Aenna ahnte, dass die beiden nicht so schnell locker lassen würde. Im Gegenteil, sie gingen ihr bereits jetzt auf die Nerven.

„Indem er sämtlichen Nephilim von meiner Idee berichtet hat. Hört zu ihr beiden, ich weiß euch erscheint das zu gefährlich aber ich versichere euch, dass ich alles unter Kontrolle habe. Meinetwegen schaut ein andern Mal vorbei aber ich muss jetzt langsam los.“
Sie hatte mit Widerworten gerechnet, doch erstaunlicherweise tauschten sie beiden nur stumm einen Blick aus.

„Wir sehen uns.“, sagte sie schnell, hob zum Abschied die Hand und machte sich schleunigst vom Acker. Hoffentlich gab das keinen Ärger...

 

Mit einem aufsteigenden Gefphl der Verzweiflung ging Lucian leise ins Schlafzimmer.
Es dauerte nur wenigen Sekundenbruchteile, bis seine Augen die schlafende Aenna erfasst hatten.
Es war verrückt, doch er sehnte sich nach der Wärme dieser Frau. Außerdem hatte er sie seit zwei Tagen nicht mehr gesehen, weil er so viel um die Ohren hatte.
Kurzerhand kletterte er also zu ihr ins Bett und schmiegte sich an sie. Leider blieb das nicht unbemerkt.

„Lucian?“, hauchte Aenna, war aber zu müde um die Augen zu öffnen.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken.“, flüsterte er und legte seine Arme um sie.
Bei der Hitze die von ihr ausging stieß er ein wohliges Seufzen aus. Er wollte sie nie wieder loslassen!

„Wo warst du die letzten zwei Tage?“, murmelte Aenna.
Lucian horchte auf. Das klang, als hätte sie ihn wirklich vermisst.

„Ich hatte viel um die Ohren, Kleine, tut mir leid. Hast du mich vermisst?“
Lucian hatte das eigentlich nicht ganz ernst gemeint, doch Aenna schwieg. Also hatte sie es offensichtlich doch ernst genommen...Er dachte bereits sie würde nicht antworten, doch dann seufzte sie leise.

„Ja.“, hauchte sie. Das war dann aber auch alles. Jedoch schmiegte sie sich dichter an ihn und umschlang ihn mit den Armen.

„Wenigstens bist du jetzt da.“, hauchte sie zufrieden.
Jede andere Frau hätte ihn mit diesen Worten in die Schlucht schlagen können, nicht so Aenna.
Irgendwie machte ihn das...glücklich.

„Soll ich bleiben?“, fragte er leise auch wenn er ahnte, dass sich das nicht so einfach umsetzen lassen würde.

„Wenn dir das möglich ist.“, flüsterte sie.
Aenna verkniff es sich, erneut zu seufzen. Nun war sie hellwach. Lucian schien das zu ahnen, denn er rollte sich auf den Rücken und zog sie dabei auf seinen Bauch.

„Ich geb mein Bestes.“, antwortete er leise und strich ihr behutsam übers Haar. Nachdenklich blickte Lucian an die Decke. So sehr er die Wärme der Frau auch genoss, an Schlaf war nicht zu denken. Dafür ging ihm zu viel durch den Kopf. Aenna stützte sich auf.

„Was hast du die letzten Tage genau getrieben?“, fragte sie.
Lucian hielt beim Anblick ihres usnchuldigen Gesichts den Atem an. Wie konnte sie nur gleichzeitig so unschuldig und gefährlich sein?

„Ich musste mich um einige Dämonen kümmern, die Ärger gestiftet haben. Wie sich herausgestellt hat, haben alle unter einer Decke gesteckt. Und das herauszufinden hat so lange gedauert.“
Aenna küsste den Mann erst auf die Stirn, dann auf den Mund.

„Du bist mir keine Rechenschaft schuldig. Hauptsache du bist jetzt hier.“
Lucian ließ das Thema fallen und schloss die Augen.

„Die Erzengel waren bei dir, oder? Du riechst nach ihnen.“
Die junge Frau riss die Augen auf.
Ich rieche nach ihnen?, dachte sie ein wenig schockiert. Das sollte sie wohl nicht überraschen.

„Ja, sie sind aufgetaucht, nachdem du abgehauen bist. Du hast gewusst, dass sie kommen oder?“, antwortete sie nun. Der Mann seufzte leise.

„Ich dachte es mir schon, ja. Haben sie...das mit uns herausgefunden?“
Aenna hielt inne, dann legte sie den Kopf auf seiner Brust ab.

„Das mit uns nicht, nein. Aber sie wissen, dass ich Kontakt zu Dämonen habe. Das schienen ihnen nicht zu gefallen.“
Lucian stieß zur Antwort ein bitteres Lachen aus.

„Natürlich gefällt ihnen das nicht. Ihnen gefällt nichts, was mit mir zutun hat. Ich hoffe, du bist meinetwegen nicht in Schwierigkeiten?“
Aenna schüttelte leicht den Kopf.

„Nein. Noch nicht, zumindest. Ich habe eine geblümte Erklärung abgegeben und hab mich dann aus dem Staub gemacht. Ich schätze, früher oder später kommen sie wieder.“
Der Teufel sah Aenna tief in die Augen.

„Willst du mit in meine Residenz kommen? Dort würden sie die Erzengel dich nicht finden.“
Aenna musterte ihn. Seine Stimme klang ausdruckslos und auch sein Gesicht schien keine Regung zu zeigen, allerdings war in seinen Augen ganz deutlich etwas liebesvolles zu erkennen. Etwas, von dem Aenna sich nicht sicher war, ob sie es sehen sollte. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

„Das ist ein süßes Angebot, ehrlich aber ich hatte nicht vor, mich zu verstecken.“, erwiderte sie.
Lucian verzog das Gesicht.

„Ich hab mir schon gedacht, dass du das sagen würdest. Bist du dir sicher, Kleines? Es würde vielleicht einiges einfacher machen.“
Aenna schmunzelte und legte einen undefinierbaren Gesichtsausdruck auf. Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und zeichnete mit einem Finger unsichtbare Muster auf Lucians Brust.

„Kann es sein, dass du mich vielleicht einfach nur in deiner Nähe haben willst?“
Sie konnte deutlich spüren, wie seine Muskeln sich anspannten. Er drehte sein Gesicht zur Seite und stieß ein leises Knurren aus, was ihr ein leises Lachen entlockte. So wie es aussah, wollte er das nicht offen zugeben. Sie lehnte sich ein Stückchen weiter vor und knabberte sacht an seinem Ohr.

„Weißt du was?“, hauchte sie. „Ich komme mit.“
Ohne etwas zu sagen, legte er die Arme wieder um sie.
Sie würde definitiv in seinem Bett schlafen müssen. Nur würde er ihr das jetzt noch nicht sagen...

 

„Was machen wir jetzt?“, murmelte Mikael und warf Zadkiel einen Blick zu.
Sie hatten ihren Geschwistern alles erzählt, doch auch die waren ratlos.
Camael kam gerade in den Saal geschlendert. Wütend warf sie ihren Brüdern einen Blick zu.
Sie war immer noch sauer, weil sie hatte hier bleiben müssen.

„Ich hab euch doch gesagt, dass die Nephilim sich weiterentwickeln.“, knurrte sie.
Camael ließ sich auf ihren Platz nieder und überschlug die Beine.

„Ich bin immer noch dafür, dass wir uns nicht einmischen.“
Ein wütendes Funkeln trat in Zadkiels Augen.

„Hältst du das für eine gute Idee? Immerhin hat das Mädchen diesen Fortschritt nur Dämonen zu verdanken. Das Ganze ist also nicht so harmlos, wie es scheint. Ich bin der Meinung, dass wir das unterbinden müssen.“
Bei seinen Worten kochte in Camael etwas hoch. Mit der Faust schlug sie auf die Armlehne ihres Throns.

„Was, wenn das eine natürliche Entwicklung ist und der Allmächtige sie sogar heraufbeschwören möchte?
Sämtliche Erzengel hielten die Luft an. Bisher hatte sie die Dämonen gehasst und verabscheut, natürlich auch getötet, wenn ihnen einer über den Weg lief. Nie wären sie auf die Idee gekommen, das der Herr sie für einen seiner Pläne benutzen würde. Javiel msichte sich ein. Sein Gesichtsausdruck war finster und verhieß nichts Gutes.

„Was, wenn es nicht nur irgendwelche Dämonen sind, die dem Mädchen geholfen haben? Was, wenn unser Bruder dahintersteckt?“
Zadkiel sprang wutentbrannt auf.

„Dieser Mann ist nicht mehr unser Bruder!“, brüllte er.
Keiner der Erzengel beachtete ihn. Camael ergriff gelassen das Wort.

„Wie kommst du auf Lucian, Javiel?“
Ihr Bruder sah sie an und machte eine vage Geste mit der Hand.

„Warum sollten irgendwelche Dämonen einer Nephilim helfen wollen? Die meisten von ihnen sind eigentlich darauf aus, die Mischlinge zu töten. Sinnvoller wäre da Lucian.“, erklärte er.
Mikael riss das Wort an sich, worauf alle ihn ansahen.

„Aber wieso sollte Lucian den Nephilim helfen wollen?“
Nicht den Nephilim. Nur einer., dachte Camael mit einem Verdacht.

„Das gilt es herauszufinden.“, sagte sie laut und erhob sich bestimmend. „Und diesmal kümmere ich mich darum!“

 

Aenna lehnte sich gegen den Baum. Sie wollte Roy ein bisschen Gesellschaft leisten. Ihr Blick ging zum wolkenverhangenen Himmel, wo hin und wieder der Mond aufblitzte.
Nicht einmal mehr ein Tag und Roy würde das Ergebnis verkünden. Sie war wirklich gespannt, was dabei herauskam. Dennoch musste sie zugeben, immer noch ein ungutes Gefühl zu haben.
Sie war sich ziemlich sicher, dass es noch lange nicht vorbei war.

„Aenna, ich glaube ich sollte verschwinden.“
Roys Stimme riss aus den Gedanken, weshalb sie den Blick senkte. Sie wollte gerade fragen wieso, doch sie sparte es sich und griff nach seinem Arm, damit er nicht einfach verschwinden konnte, so wie er es das letzte Mal auch getan hatte.
Dann stand auch schon jemand vor ihnen. Aenna musterte die Frau.
Sie hatte keine Ahnung warum sie das wusste, doch offensichtlich handelte es sich um einen Erzengel. Sie hatte diese komische Aura. Nicht zu vergessen, diese reinweißen Flügel wie die Männer neulich sie hatten.

„Aenna?“, fragte die Frau wobei sich herausstellte, das sie eine glockenklare Stimme hatte.
Die junge Frau nickte, worauf der Engel ihr gegenüber fortfuhr.

„Mein Name ist Camael. Kann ich dich unter vier Augen sprechen?“
Aennas Lippen zuckten, als sie ihren Blick auf Roy richtete.

„Sieht so aus, als könntest du doch verschwinden.“, sagte sie und unterdrückte ein Kichern.
Das ließ der Dämon sich nicht zweimal sagen. Nur Sekundenbruchteile später war er verschwunden. Aennas Blick richtete sich wieder auf Camael.

„Camael, also. Liege ich mit meiner Vermutung richtig? Gehörst du zum Kader der Erzengel?“
Die Frau lächelte leicht und nickte dann.

„Lass uns doch ein Stück gehen.“, schlug sie vor und wies mit der Hand auf die Fläche des Parks.
Aenna fragte sich, was die Frau vorhatte, willigte aber ein. Gemeinsam liefen sie also über das Gras.

„Du arbeitest also mit Dämonen zusammen?“, fragte Camael irgendwann ganz direkt und warf Aenna einen Seitenblick zu. Diese seufzte leise. Aha, darum ging es also. Doch die Frau schien anders zu sein als ihre Brüder, vielleicht wäre es besser wenn sie demnach auch anders an das Ganze rangehen sollte.

„Irgendwie schon. Es war aber nicht geplant.“, antwortete sie schließlich und wartete darauf, was als nächstes kommen würde. Camael sprach weiter.

„Meine Brüder haben von den Geschehnissen berichtet aber mir schien, als wären sie zu forsch an die Sache herangegangen. Deswegen will ich mich darum kümmern.“
Aenna blieb stehen und verschränkte misstrauisch die Arme. Sie kniff die Augen zusammen.

„Es gefällt euch nicht, dass ich Kontakt zu Dämonen habe, nicht wahr?“, murmelte sie.
Der Erzengel blieb ebenfalls stehen und sah Aenna fast schon mitleidig an.

„Naja, ich bin nicht ganz so verbissen wie meine Brüder. Noch hast du keinen Ärger gemacht.
Mich würde eher interessieren, wie du an die Bewohner Walhallas herangeraten bist. Dämonen sind den Nephilim gegenüber eher abgeneigt.“
Aenna rieb sich die Stirn. Es kam ihr so vor, als ahnte diese Frau etwas. Also sollte sie mit der Wahrheit herausrücken oder lieber nicht?
Camael legte ihr die Hand auf die Schulter, wodurch Aenna aus ihren Gedanken gerissen wurde.

„Na komm schon, Aenna. Ich weiß, du traust uns nicht aber ich bin als einzige aus dem Kader auf deiner Seite. Wenn ich dich bei meinen Brüdern weiterhin verteidigen soll, muss ich die Wahrheit wissen.“
Aenna stieß ein kurzes und fast schon bitteres Lachen aus, bevor sie antwortete.

„Du ahnst schon, was los ist, oder Camael? Du willst es lediglich bestätigt haben.“
Das die Frau nicht antwortete, war ihr Antwort genug. Sie sah dem Erzengel in die Augen und musste leider erkennen, dass sie die Wahrheit zu sagen schien. Sie seufzte und ließ ergeben den Kopf hängen.

„Das eben war Roy. Und er hatte wirklich was gegen mich. Aber...als er rausgefunden hat mit wem ich Kontakt habe, hat sich seine Meinung geändert.“
In Camaels Augen trat ein Funkeln und sie lächelte.

„Was läuft zwischen dir und Lucian, hm?“
Aenna verkniff es sich zu seufzen. Sie hatte es also doch gewusst.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete sie wahrheitsgemäß.
Der Erzengel blieb stehen und wurde ernst.

„Was auch immer das zwischen euch ist, Aenna, Lucian wird dir nicht ohne Grund so helfen. Bist du dir sicher, dass du ihm trauen kannst?“
Diese Worte warfen die Nephilim völlig aus der Bahn. Wie kam Camael auf so etwas? Genau genommen war es gar nicht Lucian der ihr half, es war Roy. Und wenn Lucian den nicht an ihre Seite gestellt hätte, hätten die beiden das Ganze alleine und heimlich durchgezogen. Blinzelnd sah sie Camael an.

„Ich glaube, du hast einen ganz falschen Eindruck von Lucian.“, begann sie ein wenig forsch.
Sie riss sich zusammen und schlug einen sanfteren Tonfall an.

„Wir sind uns zufällig in einer Bar begegnet. Natürlich hatte ich keine Ahnung wer er war und gesagt hat er es mir erst recht nicht. Als er von meinen Plänen erfahren hat, wollte er mich davon abbringen. Es ist nicht so, als hätte er mich auf die Idee gebracht oder dazu angestiftet. Im Gegenteil, ich glaube er würde noch immer wollen das ich es lasse.“
Camael zog bei diesen Worten überrascht die Augenbrauen hoch.

„Sprechen wir hier über denselben Lucian? Bist du dir sicher, Aenna?“
Selbstsicher reckte das Mädchen das Kinn vor.

„Wenn ich mir einer Sache sicher bin dann der, dass Lucian mich nicht angelogen hat. Man könnte fast schon sagen, dass er sich um mich kümmert. Aber wenn dich das so sehr verwirrt, erzählst du mir wohl besser warum das so ist.“
Nachdenklich sah Camael Aenna an. Nun hatte dieses Mädchen ihr die Wahrheit gesagt, vielleicht sollte sie ihr dann besser auch die Wahrheit sagen.

„Kennst du einen Ort, an dem uns niemand stören wird?“, fragte sie leise und sah sich unauffällig um. Aenna schien zu überlegen.

„Hm, es dürfte im Moment keiner dort auftauchen, also komm mit.“, murmelte sie schließlich und brachte sie zum Appartment.

 

 

__19__

 

„Das sieht mir ganz nach Lucian aus.“, murmelte Camael und sah sich um.
Aenna ließ sich auf's Sofa fallen.
Seinen Geschmack scheint sie zu kennen., dachte sie, nicht sicher was sie davon halten sollte.

„Keine Sorge, er wird nicht hier auftauchen. Also, was gibt es so wichtiges was keiner mitbekommen sollte?“
Sie bedeutete der Frau Platz zu nehmen, was diese dann auch tat. Genau wie sie selbst auch überschlug sie die Beine.

„Deinen Worten zufolge scheint Lucian sich in deiner Gegenwart ganz anders zu zeigen, als ich und meine Geschwister es kennen. Hat er dir erzählt, warum er zum Teufel geworden ist?“
Camael nahm nicht an, dass das Mädchen über seine Vergangenheit Bescheid wusste. Umso überraschter war sie natürlich, als Aenna plötzlich nickte.

„Er hat mir von seinem Widerstand erzählt, ja. Und von der Strafe, die er dafür erhalten hat.“

„Na, sieh mal einer an.“, murmelte Camael, räusperte sich aber dann. „Naja, ich weiß du möchtest das wahrscheinlich nicht hören aber Lucian ist wirklich gefährlich. Das er sich damals andauernd widersetzt hat war nicht schön aber das eigentliche Problem dabei war, dass andere dadurch zu Schaden gekommen sind. Nur weil er nicht gehorcht hat, sind Engel verletzt worden und genau deswegen sind die meisten meiner Brüder schlecht auf ihn zu sprechen.“
Aenna verkniff es sich, zu seufzen. Was sollte das hier? Waren die Erzengel darauf aus, Aenna irgendwie von Lucian wegzubekommen?

„Du willst doch nicht etwa die ganze Zeit über Lucian reden, oder?“, sagte Aenna leise.
Ihre Miene hatte sich verfinstert. Camael lächelte und hoffte, dass sie die Situation wieder auflockern würde können.

„Nein, natürlich nicht. Jetzt ist Zeit für Klartext. Hör zu, Aenna. Meinen Brüdern gefällt es gar nicht, dass du vorhast einen Kader für die Nephilim zu bilden. Sie glauben, dass ohne die Guardians viele von ihnen den Verstand verlieren und deshalb glaube ich, dass sie alles daran setzen werden dies zu verhindern.“, begann sie.
Aenna schüttelte leicht den Kopf.

„Das habe ich mittlerweile verstanden. Aber warum bist du als ihre Schwester nicht auf ihrer Seite? Solltest du dann nicht genauso besorgt sein, wie sie? Ich könnte schließlich auch den Verstand verlieren. Wer weiß, vielleicht habe ich das bereits.“
Ein gefährlicher Unterton schwang in ihrer Stimme mit, doch Camael ließ sich nicht täuschen.

„Hättest du deinen Verstand verloren, wärest du nicht in der Lage solch kluge Worte auszusprechen wie du es bisher immer getan hast. Ich sagte doch, dass ich auf deiner Seite bin. Ich bin deiner Meinung, die Nephilim können nicht ermordet werden nur weil sie nicht ganz in den Verlauf der Natur passen. Und das andere über ihre Leben entscheiden ist auch nicht richtig, bisher ließ es sich aber nicht vermeiden. Ich habe da so meine Vermutungen, weißt du? Ich glaube, dass ihr Nephilim euch weiterentwickelt. Du und auch einige andere haben sich von ihren Guardians abgewendet und sollten schon längst nicht mehr sie selbst sein, dennoch seid ihr es und es scheint euch besser denn je zu gehen. Vielleicht seid ihr die neue Generation? Ich halte es für eine gute Idee, solch Fortschritte heraufzubeschwören wollen. Außerdem besteht auch die Möglichkeit, dass der Allmächtige dein Vorhaben abgesegnet hat.“
Aenna dachte in Ruhe über diese Worte nach, bis sie schließlich die Haltung veränderte und sich entspannt zurücklehnte.

„Du glaubst also, die Nephilim entwickeln sich weiter?“
Die Frau ihr gegenüber nickte.

„Die Menschen haben es in all den Jahrhunderten ja schließlich auch getan. Warum dann nicht auch die Nephilim? Ich wünschte, wir Engel hätten auch solche Fortschritte gemacht aber leider regieren wir noch immer nach veralteten Methoden und Gesetzen.“
Die Nephilim seufzte nun doch leise und verschränkte die Finger ineinander.

„Nehmen wir einmal an, dass alles klappt und in ein paar Monaten oder Jahren, der Kader die Nephilim erfolgreich im Griff hat. Glaubst du wirklich, dass die anderen Engel in der Lage sein werden uns in Ruhe zu lassen?“
Camael stieß ein leises Knurren aus.

„Ich fürchte, genau das wird sich noch zu einem echten Problem erweisen. Meine Brüder sind verdammt stur. Sie wollen einfach nicht wahrhaben, dass ihr Nephilim keine Probleme mehr bereiten könntet. Sie wollen euch partout nicht aus den Augen lassen. Klar, sie sind besorgt aber ihre Sorge artet in Gewalt und Brutalität aus. Nicht umsonst lernen die jungen Engel, wie man erfolgreich euresgleichen tötet. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass euer Kader und der unsere, mal in einen Krieg geraten könntet. Und wenn Lucian wirklich auf deiner Seite ist, dann wird er dich auch zu diesem Zeitpunkt unterstützen. Und dann könnte dieser Krieg ein ungeahntes Ausmaß annehmen.“
Aenna sprang auf und machte eine entschiedene Geste mit den Armen.

„Schluss jetzt! Jetzt mal den Teufel mal nicht an die Wand! Wir wissen doch noch gar nicht, was die Wahl morgen ergeben wird. Vielleicht geht das Ganze auch in die Hose und sie lehnen sich gegen alles uns jeden auf, einfach nur um frei zu sein?“
Daran hatte Camael nicht gedacht. Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit, doch insgeheim glaubte sie nicht daran. Laut Mikael und Zadkiel hatten die Nephilim ihre Idee schließlich für gut befunden, oder nicht?

„Aenna, wir müssen noch einmal über Lucian reden. Was soll ich meinen Brüdern erzählen, wenn ich ihnen später Bericht erstatte? Wenn ich ihnen sage, dass ihr Kontakt zueinander habt werden sie alles daran setzen, das zu ändern.“

„Dann erzähl es ihnen nicht.“, sagte Aenna ohne Umschweife.
Bedrückt erwiderte Camael ihren Blick. Wenn es nur so einfach wäre.

„Das kann ich nicht, Aenna. Jemanden zu belügen ist nicht meine Art.“, sagte sie leise.
Aennas Gesicht verriet nichts.

„Dann sag es ihnen. Aber wenn deine Brüder glauben, sie müssten eingreifen dann wird Lucian das früher oder später auch tun. Ich weiß, dass er auf meiner Seite ist, auch wenn ich meine Angelegenheiten lieber selber klären würde.“
Ohne das es einer der beiden hätte ahnen können, legte sich plötzlich ein Arm um Aennas Schulter.
Sanft drückten sich Lucians Lippen auf Aennas Schläfe.

„Wie niedlich du bist wenn du fester Überzeugung bist, dass ich auf deiner Seite bin.“, hauchte er leise lachend, worauf sie zusammenzuckte und sich deutlich eine Gänsehaut auf ihren Armen ausbreitete. Augenblicklich war Camael auf den Beinen. Mit aufgerissenen Augen starrte sie den Mann an.

„Lucian!“, hauchte sie, nicht wissend was sie außer seinem Namen noch sagen sollte.
Mit gequälter Miene sah auch Aenna Lucian an. Hoffentlich würde Camael nicht unüberlegt handeln. Und überhaupt, hatte Lucian sie beobachtet? Hatte er gewusst, dass die beiden zusammen hierher unterwegs gewesen waren?

„Lange nicht gesehen, Camael.“, murmelte der Mann und musterte nun den Erzengel.

„Mehrere Jahrtausende, um genau zu sein.“, hauchte die Frau und ließ sich angespannt wieder auf's Sofa sinken. Lucian zog die Brauen hoch.

„Was denn, du gehst nicht auf mich los?“, fragte er irritiert und ließ sich langsam und aufmerksam neben Aenna nieder. Letztere beschloss, erst einmal ruhig zu sein. Dieser Moment erschien ihr zu gefährlich. Doch so wie sie Lucian mittlerweile kannte, ahnte sie das er sie sogleich ins Gespräch mit einbeziehen würde. Argwöhnisch kniff Camael die Augen zusammen.

„Nachdem was Aenna mir erzählt hat, ist es wohl besser ich urteile nicht zu vorschnell.“, sagte sie leise. Lucian lachte leise und lehnte sich entspannt zurück.

„Ich bitte dich, Camael. Schieb Aenna nicht für deine Gutherzigkeit vor. In diesem Moment ist es sowieso besser, wir lassen sie außen vor.“
Aenna biss sich auf die Lippe. Was war hier los? Vertauschte Rollen, oder was? Obwohl Lucian das sagte, legte er wieder den Arm um sie.

„Selbst wenn die Kleine nicht hier wäre, wärst du nicht auf Streit aus. Du bist nicht so misstrauisch wie deine Brüder, es würde mich also interessieren, ob du mir in diesem Moment vertraust oder nicht.“
Aenna stieß ihn an. Er fiel einfach so mit der Tür ins Schloss? Das konnte er doch nicht bringen. Doch er ließ sich nicht ablenken und hielt seinen Blick weiterhin auf den Erzengel gerichtet.
Diese konnte seinem Blick jedoch nicht standhalten, weshalb sie ein paar Mal zu Aenna hinüber blickte.

„Ich vertraue dem Mädchen, also werde ich wohl auch dir vertrauen müssen. Aber ich wüsste gerne, was du von ihr willst.“
Wieder fiel ihr Blick auf Aenna. Die stieß ein leises Knurren aus. Es passte ihr gar nicht, dass die beiden miteinander sprachen als wäre sie gar nicht vorhanden. Lucian entlockte ihr Verhalten ein leises, fast unhörbares Lachen. Er drückte sie fester an sich und spielte mit einer Hand an ihren Haaren. Er liebte ihre Haare, aber davon wusste sie natürlich nichts. Nachdenklich sah er sie an, während er über Camaels Frage nachdachte.

„Keine Sorge.“, begann er gedehnt. „Ich habe keine...dämonischen Hintergedanken. Aenna fasziniert mich einfach und irgendwie...komme ich nicht von ihr los.“
Schweigen. Camael war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Sie war überrascht wie ehrlich Lucian geantwortet hatte. Ob er die Wahrheit sagte oder nicht konnte sie natürlich nicht sagen aber es sah ganz danach aus, als hätte er sie nicht angelogen.
Auch Aenna war überrascht über diese Worte. Sie legte den Kopf ein Stück in den Nacken, um Lucian mit großen Augen anzusehen. Sie bekam kein Wort über die Lippen, ihre Kehle war wie ausgedörrt. Camael wechselte schlagartig das Thema. Naja, nicht vollkommen aber besagtes ließ sie einfach in der Luft hängen.

„Hat sie Recht, Lucian? Wirst du an ihrer Seite sein, wenn meine Brüder auf dumme Gedanken kommen?“, fragte sie leise.
Eine lange Zeit lang sagte keiner etwas, auch Lucian nicht. Dann zog er Aenna mit einem Ruck auf seinen Schoß und umschlang mit seinen Armen ihre Taille. Camael konnte nicht glauben, wie entschlossen der Mann sie ansah.

„Ja, das werde ich. Und da ich annehme, dass du dich nun sofort wieder auf den Weg machen wirst richte deinen Brüdern doch bitte Folgendes aus. Sollten sie es wagen Aenna auch nur ein Haar zu krümmen, werde ich für einen Moment wohl meine Selbstbeherrschung vergessen müssen!“
Aenna erschauerte beim Klang seiner Stimme. Ihr wurde klar, dass er es bitter ernst meinte. Und auch Camael rutschte beunruhigt hin und her. Sie erhob sich langsam und trotz der eben ausgesprochenen Warnung, brachte sie ein Lächeln zustande.

„Ich werde es ihnen ausrichten. Das eben war zwar ein komisches Gespräch aber es war trotzdem schön, dich mal wieder gesehen zu haben. Sieht ganz so aus, als hättest du dich zumindest ein bisschen geändert.“
Sie verabschiedete sich von Aenna, dann war sie zur Tür hinaus.

„Was siehst du mich so an?“, knurrte Lucian leise und richtete seinen Blick auf Aenna, die ihn immer noch mit großen Augen anstarrte.

„Entschuldige.“, murmelte sie und senkte nun endlich den Blick. „Solch Worte hätte ich von dir nur nicht erwartet.“
Lucian hielt inne und bedachte sie mit einem finsteren Blick.

„Etwa, weil ich der Teufel bin?“, burmmte er.
Aenna zuckte mit den Schultern. Irgendwie war die Stimmung gekippt. Bereute Lucian es, so ehrlich gewesen zu sein?

„Lucian.“, sagte sie leise und erhob sich.
Irritiert ließ der Mann zu, dass die junge Frau ihn umarmte.

„Danke.“, hauchte sie ihm ins Ohr.
Lucians Brust schnürte sich zu, als er zögernd die Arme um sie legte. Nicht zu fassen, dass er Camael die Wahrheit gesagt hatte. Aber es stimmte, wenn es darauf ankam wäre er an ihre Seite. Und auch seine Drohung hatte er ernst gemeint. Aenna bedeutete ihm etwas, wie er sich längst hatte eingestehen müssen. Vermutlich würde er wirklich die Beherrschung verlieren, sollte es jemand wagen Hand an sie zu legen. Noch immer wusste er nicht, warum dieses Mädchen ihm so wichtig war. Es war einfach so, ob er es nun wollte oder nicht. Aenna wich ein Stück zurück und legte ihm die Hände auf die Brust.

„Camael und die anderen denken wirklich schlecht von dir, Lucian.“, sagte sie leise.
Ein spöttisches Lächeln umspielte mit einem Mal seine Mundwinkel.

„Natürlich tun die das, Kleines. Ich bin Satan. Außer dir bekommt mich so gut wie niemand nett zu sehen.“
Aenna legte bei diesen Worten den Kopf schief.

„Und trotzdem hast du dich gerade irgendwie zu mir bekennt.“, hauchte sie leise.
Lucian wich ihrem Blick aus.

„Ja. Allerdings lag das Camael. Wäre Zadkiel an ihrer Stelle gewesen, wäre solch Gespräch alles andere als ruhig verlaufen.“
Aenna löste sich von ihm und trat unsicher einige Schritte zurück.

„Meinst du nicht es wäre besser, wenn wir uns in der Öffentlichkeit zurückhalten?“
Fasziniert beobachtete Lucian, wie sie auf ihrer Lippe herumkaute. Es dauerte einen Moment, bis er sich zu einer Antwort durchringen konnte.

„Es wäre besser, ja. Aber würdest du das auch wollen?“
Durchdringend sah er sie an. Das Mädchen schluckte.

„Ich würde es nicht wollen, nein. Aber wenn es uns beide schützt, dann...“
Lucian unterbrach sie, indem er ihr den Finger auf die Lippen legte.

„Ich will es auch nicht, Aenna. Also ändern wir auch nichts, in Ordnung?“, knurrte er
Aenna biss sich wieder auf die Lippe um zu verhindern, dass sich ein breites Grinsen auf ihr Gesicht stahl. Schon komisch. Es war, als wären die beiden ein Paar. Er stand zu ihr und würde ihr Verhältnis zueinander nicht verstecken.

„In Ordnung.“, hauchte sie.
Lucian schnaubte und gab ihr einen Klaps auf den Po.

„Und nun lass uns gehen. Du solltest dich noch ein bisschen ausruhen.“

 

„Könntest du jetzt endlich mit der Sprache herausrücken?“, knurrte Javiel laut.
Camael saß auf ihrem Platz und knetete gedankenverloren ihre Hände. Sie wollte ihre Brüder wirklich nicht anlügen aber wie zum Teufel sollte sie ihnen erklären, dass Lucian und Aenna scheinbar etwas am laufen hatten?

„Camael!“, sagte Mikael laut. „Steckt Lucian wirklich hinter allem, oder nicht?“

„Nein!“, sagte die Frau nun entschieden. Das war keine Lüge! Lucian war nicht der Drahtzieher. Mikael lächelte schmallippig.

„Aber irgendetwas macht dir zu schaffen, also würdest du jetzt bitte mit der Wahrheit herausrücken?“

„Lucian und Aenna haben Kontakt zueinander.“, murmelte sie.
Wie nicht anders zu erwarten gefiel den Erzengeln das gar nicht.

„Nicht mehr lange.“, knurrte Zadkiel und steuerte bereits auf die Tür des Saales zu. Camael reagierte blitzschnell und verperrte ihrem Bruder den Weg.

„Wenn du das machst, lernst du Lucian kennen! Das sollte ich euch ausrichten. Ihr sollt dem Mädchen nicht zu nahe kommen.“

„Du hast mit ihm gesprochen?“, knurrte Javiel atemlos.
Camael legte Zadkiel beruhigend die Hände auf die Brust und schob ihn zurück zu seinem Platz.

„Allerdings.“, sagte sie nun. „Und dabei durfte ich eine ganz andere Seite an ihm kennenlernen.“
Nachdem Zadkiel wieder einigermaßen ruhig auf seinen Buchstaben saß, ließ auch die Frau sich wieder auf ihrem Platz nieder. Von neugierigen Blicken begleitet erzählte Camael von ihren Eindrücken. Was wirklich zwischen Aenna und Lucian zu laufen schien, behielt sie aber erst einmal für sich.

„Glaubst du ihm? Bist du dir wirklich sicher, dass er nichts im Schulde führt?“, murmelte Mikael, nun ebenfalls nachdenklich. Er und auch seine Brüder konnten sich nicht vorstellen, dass Lucian auch eine ruhige Seite hatte. Camael seufzte leise.

„Ich hatte auch meine Zweifel aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er die Wahrheit gesagt hat.“

„Und was hast du nun vor?“, brummte Javiel.
Camael war überrascht. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass man ihr diese Entscheidung überlassen würde.

„Ich halte es für richtig, Lucian und das Mädchen in Ruhe zu lassen. Wir sollten einfach abwarten und sehen, wie sich die Dinge entwickeln.“
Mikaels Augen schlossen sich für einen Moment.

„Wir können uns alle nicht mit deiner Idee anfreunden, Camael aber im Moment werden wir dir wohl einfach vertrauen müssen. Wir werden also erst einmal nicht handeln.“
Erleichtert atmete die Frau auf. Das war gerade noch mal gut gegangen...

 

„Fraya?“
Irritiert sah die Dämonin sich um. Im ersten Augenblick sah sie nur die dutzenden Nephilim, dann tauchte ein ihr bekanntes Gesicht in der Menge auf.

„Caya!“, hauchte sie überrascht und ging auf eine Umarmung mit der Engelsfrau ein.

„Was machst du hier?“, fragte Fraya.
Caya wirkte angespannt, doch ihre Freude darüber die Dämonin wiederzusehen war unübersehbar.

„Ich bin auf Befehl hier und soll alles im Auge behalten. Aber was machst du hier?“, erwiderte sie.
Fraya grinste frech und ihre alte und Caya vertraute Seite kam wieder zum Vorschein.

„Ich bin ebenfalls auf Befehl hier und soll auch ein Auge auf alles werfen. Auch wenn ich nicht weiß wieso, da mein Boss selbst hier ist.“
Fraya deutete mit dem Finger auf Lucian, der neben Aenna an dem großen Baum stand. Caya zog perplex die Brauen hoch.

„Was ist das zwischen den beiden?“, hauchte sie.

„Allem Anschein nach eine Affäre.“, murmelte Fraya so leise, dass es keiner außer Caya verstehen konnte. Fast schon traurig sah der Engel die Dämonin an.

„Wo wir gerade beim Thema sind...“, hauchte sie und deutete auf das Ende der Masse.

„Hast du ihn schon gesehen?"
Als Fraya Bastien am Rande des Parks entdeckte, und das mit einer Frau an seiner Seite, wäre sie beinahe in die Luft gegangen.

„Was treibt dieses Arschloch hier?“, fauchte sie leise und wandte den Blick schnell wieder ab.

„Wenn ich das nur wüsste.“, murmelte Caya. „Es ist mit ein Rätsel, wie er von der ganzen Sache hier erfahren hat. Meinst du, er pflegt Kontakte zu anderen Nephilim?“
Fraya zuckte mit den Schultern.

„Um ehrlich zu sein, ist mir das völlig egal.“
Nach diesen Worten verfielen die beiden in Schweigen.

 

„Aennas, was ist los?“
Nur am Rande bekam die junge Frau mit, wie Lucian ihr die Hand auf die Schulter legte.

„Er ist hier.“, murmelte sie und hörte auf, auf und ab zu laufen.

„Wer?“
Aenna blinzelte als der Mann plötzlich ihr Kinn ergriff und ihr Gesicht anhob. Er hatte sich leicht vorgebeugt und sah ihr ohne zu blinzeln in die Augen.

„Bastien.“, sagte sie schließlich ausdruckslos und blickte ihm ebenfalls in die Augen.
Augenblicklich verhärtete sich Lucians Miene. Seine Kiefer malmten als er sich aufrichtete und den Blick schweifen ließ.

„Er kommt genau auf dich zu, Kleines.“, knurrte er und legte besitzergreifend den Arm um ihre Taille. Mental bereitete Aenna sich darauf vor, Bastien gleich gegenüber zu stehen. Was er wohl von ihr wollte? Für einen kurzen Moment ging sie in sich. Mittlerweile klang es in ihren Ohren völlig absurd, dass sie Bastien mal geliebt hatte. Es kam ihr immer noch komisch vor, dass er sich so dermaßen verändert hatte. Am Anfang hätte er alles für sie getan aber je dringender die Sache mit ihrem Verstand wurde, desto dringender hatte er versucht sie zu kontrollieren. Dabei hatte sie nie Probleme verursacht.

„Aenna.“
Mit leeren Augen sah sie auf und begegnete den, ebenfalls ausdruckslosen Augen von Bastien.
Für den Bruchteil einer Sekunde richteten sich ihre glanzlosen goldenen Augen auf die Frau an seiner Seite. Groß, schlank mit üppigen Kurven und lange blonde Haare. Ihr Gesicht war allerdings nicht ganz so hübsch. Viel zu sehr geschminkt um schön zu sein. Dennoch erkannte Aenna sich in ihr wieder. Ihre Ausstrahlung war mit ihrer eigenen vergleichbar und irgendwie machte sie das wütend. Auch Lucian schien so etwas in der Art aufgefallen zu sein, denn er trat vor sie.

„Du machst dich besser vom Acker, Junge. Es gefällt mir nicht, dass du in ihrer Nähe bist.“, knurrte er mit seiner dunklen Stimme. Aenna ahnte, dass Bastien sich das nicht bieten lassen würde.
Und so war es dann auch. Der Guardian trat ebenfalls einen Schritt vor und sah mit blitzenden Augen zu Lucian auf.

„Willst du mir etwa Befehle erteilen?“, bellte er.
Aenna seufzte leise und legte Lucian eine Hand auf die Schulter, um ihn zurückzuziehen.

„Ich kümmere mich selbst darum, Lucian, danke.“, sagte sie leise und hob nun das Kinn, als sie Bastien wieder ansah.

„Was willst du, Bastien?“, fauchte sie. „Hatte ich mich nicht klar ausgedrückt? Ich will nichts mehr mit dir zutun haben.“
Der Mann überging diese Bemerkung einfach und trat näher an sie heran. Fast berührte ihre Brust schon seine und als er sprach, konnte sie seinen heißen Atem im Gesicht spüren.

„Kannst du mir mal verraten, wer das ist?“, knurrte er leise.
Aus den Augenwinkeln heraus nahm das Mädchen war, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte. Auch zitterte er und das sicher nicht, weil ihm kalt war.
Ist er vielleicht doch noch nicht darüber hinweg?, dachte sie, im hintersten Winkel ihres Kopfes.
Diesen Gedanken verbannte sie jedoch so schnell wie möglich. Nicht, dass sie hinterher wieder Schuldgefühle überkamen. Sie wollte gar keine Gefühle mehr für Bastien übrig haben.
Sie war solch ein emotionales Wesen, sich würde sich da nur wieder hereinsteigern.

„Das willst du gar nicht wissen, glaub mir.“, wisperte sie schließlich feindselig.
Sie hatte gar keine Zeit um zu reagieren, Bastien packte ihren Nacken und fixierte sie, dann lagen seine Lippen auch schon auf ihren. Aenna war wie erstarrt. Bitte tu' mir das nicht an!, schienen seine Augen zu sagen. Sie musste feststellen, dass dieser Kuss weit weniger zählte als der allererste, den er ihr in ihrem Badezimmer gegeben hatte.
Für einen kurzen Augenblick blieb ihr die Luft weg. Lucian hatte sie zurückgerissen, wodurch sie ihr Gleichgewicht verlor und auf ihrem Hintern landete. Fassungslos sah sie auf, nur um mit anzusehen wie Lucian Bastien an der Kehle packte und ihn von den Füßen riss.
Ein animalisches Knurren drang aus seiner Brust und ließ Aenna klar werden, wie ernst die Lage war. Sofort war sie wieder auf den Beinen, auch wenn sich diese anfühlten wie Pudding.
Ihr Mund öffnete sich, doch es kam kein Ton heraus. Wie von selbst berührten ihre Fingerspitzen ihre Lippen. Nein, sie würde nicht einschreiten. Bastien hatte es nicht verdient, dass sie ihn in Schutz nahm. Sollche Lucian mit ihm doch machen, was er wollte.
Das Knurren in Lucians Brust wurde immer lauter. Blut quoll an den Stellen hervor, an denen seine Krallen sich in Bastiens Haut bohrten.
Was tue ich hier eigentlich?, fragte er sich.
Als ob er sich verbrannt hätte, ließ er den Jungen los. Der fiel zu Boden und rang keuchend nach Luft. Lucian berachtete seine Hand, an deren Fingerspitzen das Blut hinablief und anschließend zu Boden tropfte. War er etwa eifersüchtig? Dieser Stich in seiner Brust machte es ihm schmerzlich bewusst. Er ertrug es nicht wenn irgendjemand Aenna zu nahe kam. Selbst Roy würde er an der kurzen Leine halten, wäre er nicht sein Diener gewesen, der ja nun an ihrer Seite stand.
Wütend leckte er sich das Blut von den Fingern. Der Junge hatte Glück, dass er sich noch einigermaßen unter Kontrolle hatte. Ansonsten hätte er mit seinem Leben für diesen Kuss bezahlt.
Zwei Hände umfassten plötzlich sein Gesicht und rissen ihn ins Hier und Jetzt zurück.

„Reiß dich zusammen, Lucian. Die Nephilim sind schon auf dich aufmerksam geworden.“, hauchte Aenna und drängte ihn so weit zurück, bis er den Baum in seinem Rücken spürte.
Zähnefletschend warf er den Kopf zur Seite.

„Entschuldige.“, knurrte er schließlich.
Aenna konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken.

„Du entschuldigst dich nicht oft, hm?“
Aenna stellte sich auf Zehenspitzen und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Mundwinkel.
Plötzlich ertönte ein leises Knurren hinter ihr. Langsam drehte sie sich um, nur um erneut in Bastiens Antlitz zu blicken.

„Sagtest du nicht, du wärst nicht wie andere?“, sagte er leise und starrte sie verbittert an.
Aenna versuchte ihr schmerzendes Herz zu ignorieren. Es tat ihr leid, dass Bastien so sehr unter ihrem Benehmen litt aber er war auch nicht ganz unschuldig. Lucian legte ihr von hinten die Hände an die Hüften. Er hatte sich noch immer nicht beruhigt aber er schaffte es mit ruhiger Stimme zu sprechen.

„Das ist sie auch nicht, Bastien. Direkt nachdem wir uns das erste Mal begegnet sind, hat sie dir den Rücken gekehrt. Sie hätte auch einfach so weitermachen können wie bisher aber sie hat es nicht getan, aus Respekt dir gegenüber.“
Aenna überlegte einen Moment, dann schob sie sanft aber bestimmend Lucians Hände nieder.

„Er hat Recht, Lucian. Am Ende bin ich doch wie all die anderen Frauen, die er hatte. Ich habe zu ihm gehört und dennoch habe ich mich von dir faszinieren lassen. Und das viel zu sehr.“, sagte sie ausdruckslos. Sie wagte es nicht den Mann hinter ihr anzusehen, sie ahnte bereits das sich blankes Entsetzen auf seinen Zügen widerspiegelte.

„Was sagst du denn da? Verdammt, Aenna, willst du mir sagen das du zu ihm zurückkehren willst?“, knurrte eine bedrohliche Stimme hinter ihr.
Nein!, dachte sie. Sagen tat sie es aber nicht.
Langsam drehte sie sich um. Wie machte sie ihm nur verständlich, was sie vorhatte? Sie konnte es ihm nicht sagen, Bastien würde es hören.
Ich will nur seinen Schmerz lindern, Lucian., dachte sie angestrengt, in der Hoffnung ihre Gedanken würden den Mann irgendwie erreichen. Doch vergebens. Er umfasste mit seinen Klauen ihr Gesicht und beugte sich herab.

„Wenn du gehst, wird er wieder versuchen deinen Verstand unter Kontrolle zu bringen. Und das, obwohl mit dem alles in Ordnung ist. Du wolltest keinen Guardian mehr haben, schon vergessen?“, hauchte er und strich mit seinen Lippen über ihre. Als Aenna den Schmerz in seinen Augen sah, schluckte sie. Unfreiwillig gab er gerade zu erkennen, wie wichtig sie ihm war.
Sie erwiderte den federzarten Kuss. Sie bemühte sich, so leise wie möglich zu flüstern. Bastien durfte das auf keinen Fall hören!

„Ich will ihm nur den Schmerz nehmen!“, hauchte sie an seinen Lippen. „Wenn ich ihm sage, dass er Recht hat, beruhigt er sich vielleicht.“
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen stieg ein Knurren in Lucians Brust auf. Grob stieß er sie zurück, dann war er verschwunden. Aenna blinzelte irritiert.
Was war das denn?, fragte sie sich, bemühte sich aber um ein ausdrucksloses Gesicht, als sie sich wieder zu Bastien umdrehte.

„Da hast du's. Hättest du nun den Anstand zu gehen? Wie du siehst habe ich hier etwas zu klären.“, erklärte sie monoton und deutete auf die Masse der Nephilim. Bastien kam ihr wieder näher und verkallte sich mit seinen Fingern in ihrem Haar.

„Es verlangt mich immer noch nach dir aber lass dich ja nie wieder bei mir blicken! Geh doch wieder zurück zu diesem schmierigen Typen, eine wie dich finde ich überall!“, schnauzte er und stieß sie ebenfalls zurück. Jedoch mit weitaus mehr Gewalt als Lucian zuvor.
Aenna schnaubte. Sie musste zugeben, dass sie das verletzt hatte aber es war besser so. Vielleicht hatte er ja nun endlich mit der Sache abgeschlossen? Ohne ihr wirklich ins Gesicht zu sehen machte Bastien mit der Frau kehrt und verschwand. Sie blickte ihm nach, nur wenige Augenblicke später sah sie Fraya und Caya, die ihn in die Mangel zu nehmen schienen. Sie wandte den Blick ab. Darum konnte sie sich jetzt nicht scheren. Aenna war mit den Gedanken bei Lucian.
Sie hatte sich seine Reaktion nicht erklären können. Hatte ihr Plan ihn verägert. Wollte er nicht, dass Aenna es dem Guardian ein bisschen angenehmer machte? War er verletzt, weil sie dem Jungen noch etwas Gutes hatte tun wollen?

„Roy.“, sagte sie ausdruckslos, worauf augenblicklich ihr Diener neben ihr stand.

„Ihr habt nach mir gerufen?“, sagte er mit einem Knicks.

„Du hast fünf Minuten Zeit um Lucian zu finden und ihm in den Arsch zu treten. Er soll sofort wieder herkommen.“, knurrte sie leise.
Der Mann neben ihr zog die Brauen hoch, nickte jedoch und löste sich sofort in Luft auf.
Sie bezweifelte das er Lucian finden würde. Sicher hatte er sich verkrochen, um ungestört seine Wut hinausschreien zu können.

„E-Entschuldige aber sollte der Mann von eben nicht das Ergebnis verkünden?“
Aenna blickte sich um und entdeckte eine junge Frau, die scheinbar sehr schüchtern war, wenn man nach dem Klang ihrer Stimme zu urteilen vermochte. Sie kaute an ihrem Fingernagel.
Aenna rang sich ein schwaches Lächeln ab.

„Keine Sorge, er ist gleich wieder da.“, erwiderte sie.
Die Frau sah so aus als wolle sie noch etwas sagen, doch scheinbar wollte es nicht über ihre Lippen kommen. Aenna ergriff erneut das Wort.

„Ich bin verblüfft, wie viele heute hier sind. Ich hätte nicht gedacht, dass euch das so sehr interessiert.“, sagte sie nachdenklich.
Die junge Frau strahlte sie an.

„Was hast du denn gedacht? Viele von uns haben die gleichen Ansichten wie du. Aber nie hat sich jemand getraut etwas zu sagen, geschweige denn etwas ändern zu wollen. Natürlich gab es auch einige, die gar nichts von deiner Idee gehalten haben aber du hast sie zum nachdenken angeregt und schlussendlich sind die meisten von ihnen zu der gleichen Erkenntnis gekommen.“
Aenna konnte nicht anders, sie erwiderte ihr strahlendes Lächeln. Das es so gut laufen würde, hätte sie dann doch nicht für möglich gehalten. Plötzlich verfinsterte sich der Gesichtsausdruck der jungen Frau.

„Eines bereitet mir dann aber doch Sorgen.“, sagte sie leise.
Aenna neigte den Kopf, worauf ihr Gegenüber näher an sie heran trat.

„Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich einen Nephilim gesehen, der seinen Verstand eingebüßt hat.“, flüsterte sie.
Aenna wurde hellhörig und sah die Frau eindringlich an.

„Wie wollt ihr solche Nephilim stoppen? Sie sind in diesem Zustand völlig außer Rand und Band.“

„Wie würdest du einen solchen Nephilim beschreiben?“, hakte Aenna nicht nach.
Solch einen Mischling hatte sie schließlich noch nie gesehen, demnach konnte sie also nicht sagen wie sie solche zu stoppen vermag. Die Frau schüttelte sich.

„Du hast sicher schon mal einen Zombiefilm gesehen, oder? So einen, wo die Untoten super schnell sind und alles und jeden fressen, der nicht schnell genug laufen kann. So in etwa darfst du dir einen verrückten Nephilim vorstellen. Nur, dass sie zusätzlich noch den Drang haben alles zu zerstören. Ich schwöre dir, sei froh das du so etwas noch nicht mit ansehen musstest! Ich kenne nichts und niemanden was jemals so brutal sein könnte!“
Aenna zog die Brauen hoch. Ein Nephilim der den Verstand verloren hat, führt sich also auf wie ein Zombie. Gut zu wissen.

„Wie heißt du?“, fragte sie, nicht auf das Thema eingehend.

„Bradie.“, antwortete die Frau.
Aenna lächelte.

„Hast du noch mehr solcher Information? Zum Beispiel, was einem verrückt gewordenen Nephilim etwas anhaben kann?“
Noch bevor Bradie antworten konnte, legte sich eine Hand auf Aennas Schulter.

„Die Nephilim werden unruhig.“, verkündete Kiran, der nun an ihre Seite trat. „Es wäre besser, wenn dein Freund so schnell wie möglich wieder hier auftaucht.“

„Er wird gleich hier sein.“, murmelte Aenna in Gedanken und legte den Kopf in den Nacken, um in den Himmel zu schauen. Die Barriere die sie errichtet hatte war milchiger als wie beim letzten Mal. Roy hatte ihr erklärt, dass sie stärker geworden zu sein schien.
Sie erinnerte sich ein Gespräch, das sie mal mit Lucian geführt hatte. Angeblich hatte jeder Nephilim verborgene Kräfte. Die würden aber erst erwachen, wenn der Nephilim ausgewachsen war. Wann genau das war, war bei jedem Mischling anders. Neugierig hatte sie ihn gefragt, was für Fähigkeiten das waren, doch darauf hatte er ihr keine Antwort geben können. Er hatte zu wenige Nephilim gesehen, die das Erwachsenenalter erreicht hatten. Viele von ihnen starben vorher. Egal ob Mord, Selbmord oder lediglich an einem Unfall. Als Aenna den Blick wieder sank und sich umsah musste sie feststellen, dass tatsächlich alle hier versammelten noch sehr jung zu sein schienen. Mit leeren Augen betrachtete sie ihre Hand. Ihre Hände waren schon immer klein und zartgliedrig gewesen. Als sie die Hand zur Faust ballte wurde ihr klar, dass sie nicht schwach war wie es vielleicht manchmal schienen mochte. Schon mehrmals hatte diese Faust Knochen gebrochen oder andere Schandtaten begangen. Für wenige Augenblicke dachte sie daran, was wohl passieren würde wenn sie einmal den Verstand verlor. Würde sie mit diesen Händen auch Lucian angreifen?

„Nichts. Es sei denn, man enthauptet sie. Aber indem man ihnen Arme oder Beine entreißt lassen sie sich für kurze Zeit stoppen.“, riss Bradie sie nun aus den Gedanken.

„Was?“, murmelte sie und richtete ihren Blick auf die Frau. Dann fiel ihr ein, dass sie ja danach gefragt hatte, wie man einen wahnsinnigen Nephilim stoppen konnte.

„Achso, äh, ja. Moment...Wieso nur für kurze Zeit? Dürfte es nicht schwierig sein, mit nur einem oder vielleicht gar keinem Bein jemanden zu verfolgen, oder so?“, hakte sie nach.
Kiran konnte sich ein Kichern bei ihrer dümmlichen Art zu sprechen nicht verkneifen.
Bradie zog die Brauen hoch.

„Die Gliedmaßen wachsen ihnen leider wieder nach.“, erklärte sie.
Beinahe hätte Aenna sich an ihrer eigenen Spucke verschluckt.

„Natürlich...“, sagte sie sarkastisch. „Sie wachsen ihnen wieder nach.“
Fahrig strich sie sich durchs Haar. Darüber musste sie später unbedingt mit jemandem reden.

„Aenna.“
Sie sah auf und entdecke Roy, der mit entschuldigendem Blick in ihre Richtung kam. Ihr entwich ein Seufzen.

„Hast du ihn nicht gefunden oder wollte er einfach nicht mitkommen?“, fragte sie deprimiert.
Roy antwortete nicht, doch das war auch gar nicht nötig. Ein wenig traurig sah sie zu Boden.

„Vermutlich trifft beides zu.“
Plötzlich ergriff der Mann ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. Diese Geste hätte sie von ihm nicht erwartet, weshalb sie ihn mit hochgezogenen Brauen überrascht ansah.

„Kopf hoch. Es wird Zeit.“
Und mit diesen Worten deutete er auf die Nephilim. Erhobenen Hauptes nahm Aenna seine Worte zur Kenntnis. Sie schritt zurück zum Baum, mit Roy an ihrer Seite und richtete ihr Wort an die Masse. Lächelnd sahen Fraya und Caya zu ihr auf. Auch Kiran und Bradie sahen sie ermutigend an.

„Nephilim!“, begann Aenna laut.
Fasziniert sahen die Mischlinge dabei zu, wie sich ihre Flügel von dreckigem grau, zu strahlendem weiß färbten. Ihre goldenen Augen blitzten.

„Ich danke euch erneut dafür, dass ihr alle hier erschienen seid! Es sind weit über Tausende Stimmen zusammengekommen, von denen Roy sich die Mühe gemacht hat sie alle auszuwerten.
Es erfüllt mich mit stolz zu wissen, dass ihr alle es ernst genommen habt und nicht eine einzige ungültige Stimme dabei war. Auch danke ich euch dafür, dass ihr meine Nachricht weitergetragen habt. So wissen nun hoffentlich alle Nephilim Bescheid.“
Aenna machte eine Pause, in der sie mit Roy einen Blick austauschte und ihm bedeutete, einen Schritt vorzutreten. Dann wandte sie sich wieder an Ihresgleichen.

„Wie ihr kenne auch ich das Ergebnis dieser Wahl nicht, ich wollte mich selbst überraschen lassen.
Wenn ihr dann alle soweit seid, wird Roy uns jetzt die fünf nennen, die die meisten Stimmen erhalten haben.“
Sie deutete auf Roy und blieb stumm. Der Mann verneigte sich sowohl vor Aenna, als auch vor der Menge.

„Gestatten, mein Name ist Roy und ich bin...Aennas Diener. Ich muss ehrlich zugebenen, dass es mich überrascht habt das ihr alle diese Wahl so ernst nehmt. Von daher konnte ich akzeptieren, all diese Stimmen auszuwerten. Was mich ehrlich gesagt einiges an Zeit gekostet hat. Aber ich danke euch dafür genauso sehr, wie Aenna.“
Roy hielt einen Zettel in die Luft, den selbst die Nephilim in der hintersten Reihe erkennen konnten.

„Auf diesem Zettel stehen die fünf Namen, die am häufigsten genannt wurden. Ich hoffe doch sehr, dass alle von ihnen anwesend sind.“
Er senkte den Zettel und richtete dann seinen Blick darauf. Einige Sekunden verstrichen, dann öffnete er den Mund und nannte den ersten Namen.

„Aenna.“
Die Nephilim klatschten und jubelten teilweise auch, Aenna hingegen konnte sich erst einmal nicht rühren.
Irgendwie überrascht mich das nicht., dachte sie. Dennoch hatte sie einen Kloß im Hals. Sie hätte nicht für möglich gehalten, dass sie direkt an erster Stelle stehen würde.

„Würdest du dich bitte an die Seite stellen?“, sagte Roy und deutete auf eine Stelle, zwei Meter von ihm entfernt. Aenna nickte und stellte sich genau dort hin.
Lächelnd bedeutete sie dem Mann fortzufahren. Dies tat er dann auch.

„Rasvan.“
Die Nephilim sahen sich in der Menge um, in der ein bulliger Typ auftauchte und einige Schritte vortrat. Klatschen. Roy deutete neben Aenna, der Mann nickte und stellte sich neben die Frau.
Alle nahmen sich die Zeit, ihn ein wenig zu mustern. Er war ungefähr so groß wie Lucian, ragte also über Aenna auf und war ein Muskelprotz, wie man ihn oft vor irgendwelchen Clubs sah.
Sein schwarzes Haar war kurzgeschoren, sein Blick wild und alles andere als berechenbar.
Seine Arme waren bedeckt von Tattoos und am Ende kam Aenna nicht umhin, leise zu lachen.

„Beruhigend zu wissen, dass man der Wahl der Nephilim vertrauen kann.“, sagte sie leise.
Der Mann warf ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu.

„Beruhigend, dass es Nephilim gibt die sich noch etwas trauen. Du hast meinen vollsten Respekt, Kleine. Du hättest tot sein können.“
Seine Stimme war dunkel und rau und Aenna wusste sofort, dass er nicht sehr gesprächig war.
Auch schien er ein Einzelgänger zu sein.

„Wer nicht spielt, kann auch nicht gewinnen.“, murmelte sie und richtete ihren Blick wieder auf Roy.

„Adalia.“, las der nun den nächsten Namen vor.
Einen Augenblick lang schien es, als wäre niemand der auf diesen Namen hörte anwesend. Dann aber trat ein Frau vor, vielleicht im gleichen Alter wie Aenna. Ihre blonden Locken wippten bei jedem Schritt den sie machte auf und ab. Aenna stellte fest, dass sie unglaublich hübsch war. Sie fühlte sich im Vergleich zu ihr sogar wie ein hässliches Entlein! Jedoch verriet die ganze Schminke in ihrem Gesicht, wie arrogant sie doch war. Wieder zollten die Mischlinge ihr unter Klatschen den nötigen Respekt. Adalia stellte sich an Aennas linke Seite, bedachte sie jedoch mit keinem Blick.

„Deine Augen verraten, dass du eine gute Späherin bist. Liege ich richtig?“, sagte Aenna leise, wagte es aber nicht sie anzusehen. Mit ausdrucksloser Stimme antwortete Adalia ihr.

„Ich bin in der Tat bekannt dafür, ein gutes Auge zu haben.“

„Enu.“, riss Roy sie alle wieder aus den Gedanken.
Komischer Name., dachte Aenna, während sie sich fragte ob es sich wohl um einen Mann oder eine Frau handelte. Ein Mann., stellte sie fest, als besagter aus der Menge trat.
Er war etwas kleiner und hatte eine knabenhafte Gestalt, doch die Brille und sein ernster Blick ließ erkennen, wie er wirklich zu sein schien. Nämlich ein verdammt kluger Kopf. Er schien zu überlegen an wessen Seite er sich hinstellen sollte und entschied am Ende, sich neben Rasvan zu stellen. Neben dem wirkte er allerdings ein wenig verloren, was er selbst auch zu bemerken schien.
Aufmunternd lächelte Aenna ihm zu.

„Und zu guter letzt, Bradie Cay.“, verkündete Roy nun auch den letzten Namen.
Sowohl Bradie als auch Aenna war überrascht.
Wenige Sekunden später standen alle fünf nebeneinander und tauschten Blicke aus.
Keiner traute sich etwas zu sagen, doch das war auch gar nicht nötig, denn Roy nahm das Wort wieder an sich. Zu den Nephilim sprechend deutete nacheinander auf alle fünf.

„Aenna, die Frau die sich wohl als Anführerin erweisen wird. Rasvan, der starke und treue Kämpfer. Adalia, die schöne Späherin. Enu, der kluge Kopf und Stratege. Und Bradie, die Friedensbotin. Ihr fünf wurdet ausgewählt, den Kader der Nephilim zu bilden.“
Der Mann hielt einen Schlüssel in die Luft.

„Dies hier ist der Schlüssel für euren zukünftigen Wohnsitz. Sein Standort wird außer euch niemandem bekannt gegeben. Ihr werdet euch sofort an die Arbeit machen und Regeln und Gesetze erstellen, die ich am Ende bekannt geben werde. Ihr könnt euch mehrere Nephilim aussuchen, die euch helfen. Zum Beispiel um Nachrichten zu verbreiten oder um die einzufangen, die Unsinn anrichten. Ihr setzt die Grenzen, also bleibt bedacht.“
Er warf Aenna den Schlüssel zu, worauf plötzlich lautes Gejubel ausbrach.

„Meine Damen und Herren, der Kader der Nephilim!“, rief Aenna und deutete auf die vier neben sich und sich selbst.

 

__20__

 

Knurrend lief Lucian auf und ab. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Warum bedeutete dieser Wicht Aenna noch etwas? Natürlich hatte er ihre letzten Worte verstanden. Sie wollte Bastien den Schmerz nehmen aber er verstand nicht warum! Hatte sie nicht gesagt, sie wollte nichts mehr mit ihm zutun haben? Und dennoch war sie so verständnisvoll zu ihm.
Lucian stieß ein Brüllen aus und ließ seine Faust auf den Tisch krachen. Dieser brach darauf hin durch. Und das, obwohl er aus massivem Marmor war.

„Diese verdammte Eifersucht!“, brüllte er und ließ sich auf den Boden sinken. Knurrend glitten seine Hände über die Marmorsplitter, die seine Haut aufritzten. Blut tropfte zu Boden.

„Ich war schon lange nicht mehr in dämonischer Gestalt.“, murmelte er, als er spürte wie sein Teufelsschwanz hin und her zuckte. Das er sich in seine wahre Gestalt verwandelte geschah nur, wenn er wirklich außer sich war und seine menschliche Fassade nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Seine Klauen ballten sich zu Fäusten.
Und dann hatte Aenna es auch noch gewagt, ihm Roy hinterher zu schicken. Dieses dumme Ding! War ihr nicht klar, mit wem sie es zutun hatte? Hatte sie ernsthaft geglaubt, er würde sich von Roy zurück schleifen lassen? Mit einem animalischen Knurren erhob er sich. Mochte ja sein das Aenna ihm etwas bedeutete aber solch ein Verhalten ihm gegenüber duldete er nicht!
Sie würde seine Wut noch zu spüren bekommen. Er bitteres Lächeln stiehl sich auf seine Lippen.
Oh, er hatte schon eine Idee. Sie würde es spüren! Oder besser gesagt, sie würde nichts spüren...

 

„Roy, kannst du mir mal verraten, was das hier ist?“
Brüllend packte Aenna den Mann am Kragen, um ihn zu sich zu ziehen. Er war vorausgegangen, um ihnen den Weg zu ihrer Residenz zu zeigen. Das sie sich nun jedoch in einem unterirdischen Palast befanden war zu viel für die Frau.

„Euer neues Zuhause?“, erwiderte der Mann mit hochgezogenen Brauen.
Aennas Blick verfinsterte sich immer mehr, weshalb er lachend ihre Hand von seinem Hemd löste.
Mit einem kurzen Blick auf die anderen vier Nephilim hinter Aenna, wies er auf die steinernden Wände des alten Gemäuers.

„Dies ist ein alter Wohnsitz von Lucian. Er war schon ewig nicht mehr hier und da er auch nicht bemerkt hat, dass ich ihm den Schlüssel stibitzt habe, gehe ich nicht davon aus das er noch einmal hier auftauchen wird.“
Knurrend stieß Aenna ihn zurück.

„Hast du sie nicht mehr alle? Lucian ist schon wütend genug, wegen meiner Nummer mit Bastien! Wenn er rausfindet, dass ich seinen Schlüssel habe bringt er mich um! Ich habe ihm schon einmal einen Schlüssel genommen und es hat keinen verdammt Tag gedauert, bis er es herausgefunden hat!“
Verblüfft über diesen Ausbruch starrten alle Anwesenden sie an. Schnaubend kniff sie sich in die Nasenwurzel.

„Du bist lebensmüde wenn du glaubst, Lucian würde es nicht merken.“, murmelte sie.

„Ähm.“ Bradie räusperte sich. „Entschuldige, Aenna, aber wer ist Lucian?“
Mit finsterem Blick drehte Aenna sich um.

„Der mächtigste Dämon überhaupt. Um nicht zu sagen, der Leibhaftige.“
Die vier Nephilim starrten sie an, als wäre sie selbst der Teufel, weshalb sie ein Lachen nicht unterdrücken konnte.

„Keine Sorge, er wird euch nichts tun. Ich bin die einzige, die er umbringen wird.“
Sie steckte den Schlüssel in ihre Hosentasche und bedeutete Roy weiterzugehen.

„Also gut, wenn du mich schon in Lebensgefahr bringst hast du mir gefälligst auch zu zeigen, aus welchem Grund ich das tue.“, knurrte sie.
Der Mann lachte ebenfalls leise und führte sie durch das gesamte Anwesen, was insgesamt mehr als eine Stunde dauerte.

„Platz ist jedenfalls genug.“, murmelte Enu, als sie alle schließlich in einem riesigen Saal saßen.

„Schätze, das wird dann unser...Thronsaal, oder so ähnlich.“, murmelte Bradie unsicher und sah sich um. Der Saal war rechteckig und riesig, allerdings waren Wände und Decken niedrig.
Feuerfackeln hingen an den Wänden und spendeten düsteres und unheimliches Licht.
Roy deutete auf die fünf Plätze hinter ihnen.

„Ich habe mir die Mühe gemacht, alles für euch vorzubereiten. Die Audteilung der Zimmer und alles andere Persönliche, müsst ihr jedoch unter euch ausmachen.“
Sein Blick richtete sich auf Aenna.

„Ich sehe besser mal nach Lucian. Wenn Ihr etwas braucht, ruft einfach nach mir.“
Aenna nickte, doch noch bevor der Mann verschwand lächelte sie ihn an.

„Danke, Roy.“

Der Mann nickte, dann war er fort. Nacheinander suchten sich die fünf Nephilim ihren Thron aus, um sich darauf niederzulassen. Da sie aus Stein waren, waren die allerdings nicht sonderlich bequem.

„Okay, womit fangen wir an?“, meldete Adalia sich zum ersten Mal zu Wort.
Aenna seufzte leise, dann sah sie nacheinander alle an.

„Also erst einmal vorweg; Ich bin gewillt Freundschaft zu schließen aber bitte lasst uns unsere Zimmer so weit wie möglich auseinander halten. Dann hat jeder seine Ruhe.“
Rasvan brach plötzlich in raues Gelächter aus. Erschrocken richteten sich die Blicke auf ihn.

„Ich fange wirklich an dich zu mögen, Aenna. Man weiß nie, was du als nächstes machst.“
Aenna grinste, ging aber nicht weiter darauf ein. Es gab schließlich einiges zu klären.

„Ich bin damit einverstanden.“, sagte Enu ruhig.
Nacheinander stimmten schließlich auch die anderen zu.

„Gut, dann wäre das ja geklärt.“, murmelte Aenna. Dann ließ auch sie den Blick schweifen.

„Als nächstes schlage ich vor, dass wir uns dieses ganze Ding hier mal vornehmen. Es wird zwar lange dauern aber wir müssen unbedingt etwas an der Einrichtung hier tun.“
Ihr Blick fiel auf Bradie.

„Ich möchte wetten du hättest Angst, wenn du nachts mal auf's Klo musst.“
Wieder konnte Rasvan sich ein Lachen nicht verkneifen, doch auch Enu und Adalia stimmten diesmal mit ein. Lediglich Bradies Wangen färbten sich tiefrot.

„N-N-Na und? Es ist nun mal ein finsterer O-Ort!“, stotterte sie.
Zufrieden fing auch Aenna an zu lachen. Das sie sich alle so gut miteinander verstanden war ein gutes Zeichen. Gemeinsam würden sie diesen Ort hier in ihr Zuhause verwandeln. Naja, den Saal würde sie vielleicht so lassen wie er ist. Dann hätten Besucher wenigstens ein bisschen Angst vor ihnen. Oder besser gesagt Respekt. Mehrere Stunden lang saßen sie zusammen und klärten alles, was es zu klären gab. Jeder von ihnen suchte sich einen Raum, in dem er leben würde.
Überraschenderweise hatte jedes dieser Zimmer ein angrenzendes Bad, welches riesig war.
Dann gab es noch eine riesige Küche, welche sehr modern eingerichtet war und eine Art Aufenthaltsraum. Nicht zu vergessen die Bibliothek, in der abertausende Bücher in deckenhohen Regalen untergebracht worden waren. Zuletzt hatten sie sich auch eine Art Keller angesehen, wo es mehrere Zellen gab.

„Leute!“
Aenna sah zurück zu Bradie, die irgendwie einen verstörten Eindruck machte. Alarmiert liefen die anderen zu ihr zurück. Sie stand vor einer Tür aus massivem Eisen, die weit offen war und einen Blick auf Grausames gewährte.

„Ich dachte, Lucian wäre lange nicht mehr hier gewesen?“, murmelte Adalia mit verächtlichem Blick. Aenna trat in den kleinen Raum ein und verursachte dabei ein lautes Knacken, als sie auf einen knöchernen Brustkorb trat. Es roch nach Tod, Blut und Verwesung.

„Das muss nichts heißen.“, sagte Aenna nachdenklich und ging zum Tisch in der Mitte.
Er war ebenfalls aus Metall. An ihm waren Manschetten und Ketten befestigt. Offensichtlich sind hier mal Leute gefoltert worden. Wachsam ließ Aenna ihre Finger durch das Blut gleiten.
Es war angetrocknet, doch es blieb an ihren Fingern haften.

„Frisch ist es nicht mehr aber all zu lange kann es noch nicht her sein, dass jemand hier...“
Sie unterbrach sich selbst als sie hinter sich jemanden würgen hörte. Sie drehte sich um und wieder war es Bradie, die in ihr Blickfeld fiel. Adalia trat einen Schritt zur Seite, um nicht in die Galle zu treten.

„Du Arme verträgst nicht viel, hm?“, murmelte sie, alles andere als mitfühlend.
Ohne etwas zu sagen verließ Adalia den Raum. Aenna schmunzelte.

„Wenn sie abhaut ist ihr das wohl auch zu viel.“, sagte sie leise zu Rasvan und Enu.
Enu war allerdings auch ziemlich blass um die Nase. Er schien aber mehr zu vertragen. Was sie nicht überraschte war, dass Rasvan dieser Anblick völlig kalt zu lassen schien.

„Wir beiden werden dann wohl diejenigen sein, die hier klar Schiff machen, hm?“, fragte sie an ihn gewandt und zwinkerte ihm zu.

„Ich bring Bradie dann mal von hier weg.“, verabschiedete sich Enu und verschwand mit der jungen Frau. Die zwei übrig gebliebenen tauschten einen Blick aus.

„Glaubst du, dieser Lucian war wirklich für länger nicht hier?“, fragte Rasvan und sah Aenna ernst an. Diese senkte den Blick wieder auf das Blut an ihren Fingern.

„Ich glaube nicht, dass er hier war. Er war oft bei mir. Andererseits...er hat mir mal gesagt er müsste sich um irgendwelche Dämonen kümmern. Vielleicht hat er das damit gemeint.“

„Erwischt.“
Die beiden drehten sich um und entdeckten einen Dämon. Sein Schwanz zuckte hin und her, seine Hörner ragten spitz auf und seine Fangzähne blitzten auf.

„Lucian.“, hauchte Aenna.
Rasvan neigte den Kopf.

„Das ist Lucian?“, hauchte er, worauf besagter ihn dämonisch angrinste.
Aennas Kehle schnürte sich zu. In dieser Gestalt hatte sie Lucian noch nie gesehen. Offensichtlich war er mehr als wütend, ob auf Aenna wegen ihrer Handlung auf die Tatsache das sie den Schlüssel hatte, sei jetzt mal dahingestellt. Doch Angst hatte sie nicht vor ihm oder seiner Erscheinung. Um ehrlich zu sein faszinierte dieser Anblick sie sogar. Zu gerne hätte sie gewusst, wie sich dieser Schwanz anfühlte. Ob er wohl genauso ledern war, wie seine Fledermausflügel?
Der Mann schritt auf sie zu und blickte ausdruckslos auf sie herab. Ein Stich in ihrem Herzen machte sich bemerkbar. Noch nie hatte er sie so...kalt angesehen. War er wirklich so nachtragend?

„Ich gratuliere zur Geburt eures Kaders. Es tut mir leid, dass dieser Ort noch so hässliche Schatten der Vergangenheit vorzuweisen hat. Ich sorge dafür, dass ihr nichts mehr davon merkt.“
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen drehte er sich um und ging zur Tür hinaus.

„Lucian.“, wisperte Aenna.
Es war, als würde der Mann wie Sand durch ihre Finger rinnen. Sekunden verstrichen, dann rannte Aenna los.

„Lucian!“, schrie sie, als sie um die Ecke bog. Doch er war weg.

 

„Verdammt, wo steckt dieses Weib schon wieder?“, knurrte Rasvan, als er in den Saal gestürmt kam.

„Konntest du sie wieder nicht finden?“, fragte Enu ruhig und schob seine Brille ein Stück hoch.
Außer sich schüttelte der Mann den Kopf.

„Nein! Verdammt noch mal, wir haben hier die Kacke am dampfen und dieses Kind treibt Unfug!“
Adalia saß auf ihrem Platz und betrachtete ihre Fingernägel. Sie sagte nichts dazu. Aenna und sie waren bisher noch nicht wirklich warm miteinander geworden und irgendwie hatte sie auch nicht das Bedürfnis, etwas daran zu ändern. Hinter Rasvan betrat Braiden den Saal.

„Sie treibt keinen Unfug. Sie ist in ihrem Zimmer und kann sich nicht dazu motivieren, aufzustehen.“, erklärte ihr und ließ sich auf ihrem Platz nieder.

„Aber was ist denn los? Du hast uns noch nicht gesagt, was passiert ist.“
Rasvan knurrte und lief auf und ab. Sechs Monate waren vergangen. In dieser Zeit hatten die fünf sämtliche Regeln und Gesetzte erschaffen, an die sich von nun an jeder Nephilim zu halten hatte.
Unter anderem lautete eines der Gesetze, sich sofort zum Kader bringen zu lassen sollte sich bemerkbar machen, dass der eigene Verstand sich verändert hat. Bei den kleinsten Anzeichen des „Wahnsinns“, würde der Kader denjenigen sofort unter die Lupe nehmen. Sie entschieden dann, was mit dem Betreffenden passieren sollte.
Bisher hatte der Kader solch einen Fall noch nicht gehabt, doch allmählich gerieten die Dinge ins Rollen.

„Augenzeugen zufolge soll es einen Nephilim geben, der in einer Stadt nicht weit von hier angefangen hat zu randalieren. Er soll grundlos Menschen und Nephilim attakiert haben, zum Glück ist aber keiner ernsthaft verletzt worden, die meisten konnten sich in Sicherheit bringen. Außerdem heißt es, dass er nur Nachts unterwegs ist.“
Die anderen drei hielten bei Rasvans Worten die Luft an.

„Sieht ganz so aus, als hätte er den Verstand verloren.“, ertönte es plötzlich von der Tür.
Aenna betrat mit ausdruckslosem Gesicht den Saal und sah der Reihe nach alle an. Die anderen vier musterten sie. Ihre langen Haare hatte sie zu einem einfachen Knoten im Nacken gebunden und unter ihren Augen hatte sie dunkle Schatten. Keine Frage, es schien ihr nicht gut zu gehen. Doch bisher wusste keiner warum. Rasvan jedoch ahnte es. Er würde sie später noch einmal darauf ansprechen.

„Bisher hat sich noch keiner getraut das auszusprechen.“, erwiderte er nun.
Neben ihm blieb sie stehen.

„In einer Stunde schlägt die Uhr Mitternacht. Vielleicht sollten wir zwei uns auf den Weg machen und uns das mal genauer ansehen.“, schlug sie vor.
Ihre schwarzen Flügel raschelten leise als sie an ihre Hüfte griff und plötzlich ein schmales Langschwert zog. Die Augen der anderen weiteten sich. Bradie sprang verängstigt auf.

„Wo hast du das her? Und wie hast du das gemacht?“, keuchte sie und lief auch schon auf sie zu.
Sie nahm Aennas Hüfte genau in Augenschein, doch es gab keinen Gurt oder eine sonstige Scheide, an oder in der sie das Schwert hätte befestigen konnte.

„Er hatte damals Recht.“, murmelte Aenna und musterte ebenfalls das Schwert in ihrer Hand.

„Wir alle haben irgendwelche Kräfte, die in uns verborgen liegen. Wir entdecken sie erst, wenn wir das Erwachsenenalter erreicht haben. Ich hab mich ein wenig mit mir selbst beschäftigt und weiß mittlerweile was ich kann. Also Rasvan, was ist? Kommst du mit?“
Herausfordernd sah die Frau ihn an.

„Scheiße, ja!“, knurrte er und machte auch schon auf dem Absatz kehrt.

„Wir melden uns, wenn es etwas Neues gibt.“, sagte Aenna noch, dann folgte sie ihm.

 

Nachdenklich sahen die drei in die Nacht hinaus.

„Aennas Entwicklung gefällt mir gar nicht.“, murmelte Adalia und blickte zum Mond.
Bradie warf ihr einen kurzen Blick zu.

„Mach dir keine Sorgen um sie, sie wird schon wieder. Ich glaube, sie hat Liebeskummer.“
Enu und Adalia sahen sie schlagartig an.

„Hat sie mit dir darübe gesprochen?“, murmelte Enu, nicht sicher was er von dieser Tatsache halten sollte. Die junge Frau schüttelte den Kopf.

„Nein. Aber eine Frau merkt, wenn eine andere solche Sorgen hat.“
Demonstrativ sah sie wieder die Blondine an.

„Aber du hast anscheinend kein Gespür für so etwas.“
Adalia zuckte mit den Schultern. Die Sorgen anderer waren ihr eigentlich egal. Dieses Mal dachte sie nur darüber nach, weil es vielleicht gefährlich werden konnte wenn Aenna unachtsam war.
Sie hatte schon längst bemerkt, dass der Kader und damit sie alle selbst ins Visier von Feinden geraten waren.

„Wir sollten aufhören uns um Aenna Gedanken zu machen, sondern stattdessen lieber daran arbeiten, unsere Kräfte zu entdecken. Wir könnten uns eine Scheibe von ihr Abschneiden.“, sagte Enu nun und kehrte den Frauen den Rücken zu. Auch Adalia drehte sich um.

„Du hast Recht. Lass uns gehen.“
Zurück blieb Bradie, die nachdenklich gen Himmel sah. Sie selbst hatte ihre Fähigkeiten schon entdeckt. Nur würde sie den anderen noch nichts davon sagen. Der Grund, warum sie von Aennas Sorgen wusste war ihre Emphatie. Auch wusste sie, dass Adalia neidisch auf Aenna war.
Aennas war hübsch, dadurch fühlte sie sich bedroht. Auch war sie eifersüchtig darauf, dass immer alle Aennas Ansichten teilten. Sie wäre gerne diejenige, die den ganzen Ruhm abbekommt.
Doch sie muss sich mit ihrem jetzigen Platz zufrieden geben. Was Enu betraf, er war wirklich ein kluger Kopf. Doch er machte sich auch viele Sorgen. Seine einzige Sorge war, dass irgendwas schieflaufen würde. Was auch immer das sein möge. Und Rasvan...Nunja, den hatte sie noch nicht ganz durchschaut. Aber sobald sie seine Gefühle lesen konnte wusste sie, dass ihre Fähigkeiten gut waren.

„Passt auf euch auf, ihr zwei.“, murmelte sie und breitete ihre Flügel aus.

 

Er faltete seine Flügel zusammen und sprang auf das nächste Dach, um näher an sie heranzukommen. Er hoffte nur, dass sie ihn nicht bemerken würde. Sie war verdammt gut geworden. Am Rande des Daches angekommen ging er in die Knie, damit er ihren Worten folgen konnte.

„Aenna, was ist los mit dir?“, sagte der Mann, der damals mit ihr im Folterkeller gestanden hatte.

„Was meinst du?“, sagte sie ausdruckslos und faltete ihre Flügel im Rücken zusammen.
Sie hatten die ganze Stadt überflogen. Aenna hatte sich wirklich verbessert. Naja, wie sollte es auch anders sein. Es war viel Zeit vergangen seit ihren ersten Flugversuchen.

„Ich bitte dich, jeder kann sehen, wie schlecht es dir geht. Willst du nicht mit jemandem darüber reden?“
Lucian lauschte. Er hatte Recht. Sie sah schlecht aus. Ihre blasse Haut war fahl und durchscheinend, sie hatte abgenommen und dunkle Ringe waren unter ihren Augen zu erkennen.
Mit einem Schlag wurde die riesige Flamme in seinem Inneren kleiner. Lucian schluckte. Ja, er hegte noch immer einen Groll. Und sie hatte es durchaus verdient mal ein bisschen zu leiden. Doch nun wurde ihm klar, dass er zu weit gegangen war. Dennoch fragte er sich, ob wirklich er der Grund für ihr Aussehen war. Es waren Monate vergangen, für ihn nur ein Bruchteil, sicher hatte sie ihn schon längst aus ihren Gedanken verbannt.

„Es gibt nichts, worüber ich reden müsste.“, sagte Aenna nun und hielt plötzlich inne.

„Wir werden beobachtet.“, knurrte sie plötzlich mit ihrer rauen Stimme.
Rasvans Muskeln spannten sich an.

„Wie...“ Mehr brachte er nicht hervor.
Lucians Mundwinkel zuckten als Aenna wie aus dem Nichts ein Schwert zog.

„Ich weiß nicht wer es ist, geschweige denn wo er sich befindet aber ich kann es fühlen. Und...irgendetwas kommt mir bekannt vor.“, murmelte sie.
Lucian richtete sich auf. Nun wurde es gefährlich. Er erinnerte sich an ihre Worte, die sie mal zu ihm gesagt.

Du kannst mich nicht mehr erschrecken, Lucian. Dieses Kribbeln in meinem Nacken verrät dich.“
Lucian hatte sich damals von hinten an sie herangeschlichen und eigentlich hätte er sie erschrecken müssen, so wie schon einige Male zuvor. Doch offensichtlich hatten sie zu diesem Zeitpunkt zu viel Zeit miteinander verbracht. Dieses besagte Kribbeln brachte sie immer mit ihm in Verbindung.
Ob sie es wohl auch jetzt spürt?, fragte er sich. Oder hatte sie dieses Gefühl schon längst wieder vergessen? Sein Schwanz zuckte aufgregt hin und her.
In der Zeit in der er sie gemieden hatte war ihm klar geworden, was er wirklich für diese Frau fühlte. Sie war zu einem Teil von ihm geworden, den er unbedingt wiederhaben wollte! Und zwar so schnell wie möglich. Doch ihm war klar, dass sie ihn möglicherweise nicht mehr wollte.
Oh, sie hatte durchaus ihr Wort von damals gehalten. Sie hatte ihm das gegeben, was andere ihm nie geben konnten. Nämlich Gefühle und tiefe Empfindungen. Aber er fragte sich, ob er das jetzt nicht bereute. Was, wenn sie sich von ihm abwenden würde? Lucian hatte keine Ahnung, was dann passieren würde. Vermutlich würde alles in ihm zerspringen. Doch was noch viel schlimmer wäre, er würde dafür sorgen, dass keiner der ihm zu nahe kam überleben würde. Und genau das jagte ihm Angst ein. Seit sie keinen Kontakt mehr zueinander hatten war er nicht einmal mehr in der Lage, seine menschliche Form anzunehmen. Gut, die Hörner konnte er verbergen aber alles andere nicht.
Klauen, Reißzähne, Schwanz, Flügel, all das war jederzeit für jeden sichtbar. Selbst den Menschen würde das nicht verborgen bleiben!

„Glaubst du, es ist der Nephilim?“, riss Rasvan ihn nun aus den Gedanken.

„Nein.“, erwiderte Aenna. „Und genau deswegen müssen wir wachsam bleiben. Wir haben keine Zeit uns mit diesem Beobachter auseinanderzusetzen. Wir müssen den Nephilim finden, ehe noch jemand zu schaden kommt.“
Lucian trat einige Schritte von der Dachkante zurück. Der Nephilim also. Ja, auch Lucian hatte davon gehört. Ein Mischling, der anscheinend den Verstand verloren hat und nun andere in Gefahr brachte. Lucian brachte ein wehmütiges Lächeln zustande. Wie sehr er sich davor gefürchtet hatte, dass Aenna das gleiche Schicksal erleiden würde. Doch wenn er diese starke Frau jetzt so sah wurde ihm klar, dass er sich keine Sorgen machen musste. Sie war erwachsen geworden. Hatte ihre Kräfte und ihren Verstand unter Kontrolle. Er war sich sicher, dass sie den Kader gute Dienste leisten würde. Sie war die geborene Anführerin!
Ein lautes Brüllen riss alle drei aus den Gedanken.

 

„Hast du eine Waffe?“, fragte Aenna und grinste Rasvan an.
Der hielt zwei Eagle Eyes in die Höhe.

„Ich hoffe, die werden reichen.“, murmelte er.
Er gab das nicht gerne zu aber er fühlte sich in diesem Moment schwach und hilflos. Beide wussten nicht, womit sie es zutun hatten. Irgendwo in der Nähe wurden Mülltonnen umgestoßen, also liefen die beiden, um Schatten bleibend, los. Sie kamen an einer Gasse an, die stockfinster war.
Das Mondlicht kam nicht an sie heran. Mit der Hand bedeutete Aenna dem Mann, sich an der linken Wand zu halten. Sie selbst würde sich rechts halten. Dann machten die beiden vorsichtig einen Schritt nach dem anderen. Aennas Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an die Finsternis gewöhnt hatten, dann erfassten sie den Umriss eines Mannes. Oder besser gesagt eines Jungen.
Giftgrün blitzten seine Augen in der Nacht auf.
Er hat uns noch nicht bemerkt., teilte Aenna Rasvan per Gedanken mit. Sie konnte nicht erkennen ob der Mann sich über die Art ihrer Kommunikation erschrocken hatte, allerdings war sie überrascht als sie eine Antwort bekam.
Sollen wir ihn töten?
Aenna dachte nach. Sie wollte ihn eigentlich nicht töten, sondern ihn mit zum Quartier nehmen. Vielleicht würde man ihm irgendwie helfen können. Allerdings hatte sie keine Ahnung wie sie ihn zur Residenz bringen sollten. Er würde sich sicher nicht beruhigen lassen.
Nein., antwortete sie nun. Versuch ihn zu Boden zu bringen. Ich schlage ihm Arme und Beine ab und verbinde ihm dann die Augen. Dann gilt es, ihn so schnell wie möglich zum Quartier zu bringen und ihn einzusperren. Ich sage das nur ungern aber wir müssen mehr über diesen Wahnsinn herausfinden und dazu brauchen wir ihn lebend.
Von Rasvan kam keine Antwort. Sicher war er geschockt von ihren Worten, doch eine andere Möglichkeit hatten sie nicht. Er schien es einzusehen, denn irgendwann kam ein „In Ordnung.“ als Antwort zurück.
Auf drei!., dachte sie. Eins, zwei drei!
Dann sprangen beide vor, Rasvan schlang seine Arme um den Körper des Jungen und brachte ihn zu Fall. Ein lautes Brüllen ertönte. Die umgestoßenen Mülltonnen neben ihnen wiesen darauf hin, dass er den Müll durchwühlt hatte. Warum sollte jetzt egal sein.

„Beeil dich!“, knurrte Rasvan und versuchte verzweifelt, den Nephilim am Boden zu halten. Das stellte sich jedoch als recht schwierig dar. Er trat und schlug um sich, traf Rasvan mehrmals am Kopf und schaffte es schließlich, die Oberhand der Rangelei zu gewinnen. Der Junge rollte sich herum und drückte Rasvan zu Boden, die widerwärtigen Krallen an seiner Kehle.

„Fuck!“, fluchte Aenna und machte einen Satz nach vor.
Sie hatte keine Zeit um lange über ihre Entscheidung nachzudenken, sie umfasste den Griff ihres Schwertes fester und stach mit der geschliffenen Klinge durch die Mitte des Jungen.
Ein Keuchen ertönte, dann ein Gurgeln. Rasvan stieß ebenfalls ein Keuchen ein. Er spürte bereits die Spitze der Klinge an seinem Bauch, doch Aenna schien ein gutes Gefühl für ihr Schwert zu haben. Sie hatte den Jungen über ihm durchbohrt und es geschafft, die Klinge rechtzeitig innehalten zu lassen.

„Scheiße.“, knurrte er und half der Frau, den Jungen auf die Beine zu hiefen.
Blut lief aus dem Mund des Nephilim, doch noch immer versuchte er mit seinen Klauen, einen der beiden zu erwischen.

„Sieht so aus, als würde ihn das nicht töten.“, murmelte Aenna und ruckelte ein paar Mal an ihrem Schwert. Bei jeder Bewegung floss mehr Blut aus der Schnauze des Nephilim.

„Er sieht nicht mehr aus, wie...“, hauchte Rasvan und betrachtete den Jungen nun ganz genau.
Sein Gesicht hatte sich deformiert, sah nun mehr aus wie die Schnauze eines...was auch immer.
In seinem Mund befanden sich hauptsächlich scharfe und lange Zähne, die mit denen von Haien vergleichbar waren. Seine Augen glühten in einem giftigen grün und mit seinen Klauen hatte er ja bereits Bekanntschaft gemacht.

„Fällt dir etwas auf.“, murmelte Aenna und sah Rasvan an.
Dieser schüttelte den Kopf.

„Er hat keine Flügel mehr.“
Sie deutete auf seinen Rücken, wo in der Tat keine Flügel mehr vorhanden waren, wie Rasvan nun feststellte.

„Darum kümmern wir uns später. Wie kriegen wir ihn zum Quartier?“, erwiderte er nachdenklich.
Der schnellste Weg wäre es zu fliegen aber das ging, aufgrund der Klinge die ihn durchbohrte, nicht.

„Das...tut weh.“, keuchte der Junge plötzlich.
Aenna zog langsam an ihrem Schwert.

„Ras, du darfst mir gerne eine knallen sollte ich das bereuen...“, sagte sie leise und zog das Schwert schließlich ganz aus dem Nephilim heraus. Der sackte daraufhin zusammen.
Rasvan fing ihn auf.

„Beeilung. Ehe er wieder die Kontrolle verliert.“, bellte Aenna und schwang sich in die Lüfte.
Seufzend folgte der Mann ihr, den Nephilim über die Schulter geworfen.

 

__21__

 

„Wo willst du hin?“, rief Enu ihr nach.
Aenna sah über ihre Schulter.

„In der Zeit wo Adalia sich um Jays Wunden kümmert, gehe ich mich duschen und umziehen. Und nach Rasvan sehe ich auch besser mal.“, rief sie zurück.
Nachdenklich machte sie sich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Nur wenige Stunden waren vergangen. Nachdem Aenna das Schwert weggesteckt hatte, war der Junge wieder einigermaßen bei Bewusstsein. Er hieß Jay und wusste selbst nicht einmal, wie es um ihn stand. Adalia wollte sich um seine Wunden kümmern und nachdem sie ihn zwei Nächte lang beobachtet hätten, würden sie entscheiden wie sie vorgehen. In ein paar Stunden wollten sie sich alle im Saal treffen, um alles weitere zu besprechen. Nun galt es aber erst einmal, zu duschen.
Kaum in ihrem Zimmer angekommen, entledigte sie sich ihren Sachen. Das Blut des Jungen war durch ihr Top und durch ihre Hose gesickert und klebte nun an ihrer Haut.
Seufzend schlenderte sie ins Bad, wo sie das Heißwasser aufdrehte. Sobald sie darunter stand, entwich ihren Lippen ein Stöhnen. Ohne sichzu regen blieb sie stehen, dann begann sie sich zu waschen. Tiefrotes Wasser floss in den Abfluss. Aenna begutachtete ihren Körper mit skeptischen Blicken. Richtig verletzt war sie nicht, auch wenn Jay sie ein paar Mal mit seinen Klauen erwischt hatte. Glücklicherweise hatte sie nur ein paar Blessuren davongetragen, die anfingen sich violett zu verfärben. Als sie auf die Flecken drückte, zischte sie. Also weh tat es. Während sie weiter das heiße Wasser genoss, versank sie in Gedanken.
Irgendjemand hatte sie beobachtet und irgendetwas an dem Gefühl, welches sie dabei gehabt hatte, kam ihr verdammt bekannt vor. Aber sie kam nicht drauf! Es war, als würde jemand mit seinen Fingernägeln über die Haut in ihrem Nacken kratzen. Ein widerliches Gefühl, welches sie beinahe dazu gebracht hätte, sich zu verstecken.
Ein paar Minuten später drehte Aenna das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Rasch band sie sich ein Handtuch um, dann postierte sie sich vor dem Spiegel. Leere Augen blickten ihr entgegen. Schon lange hatten diese goldenen Tümpel keinen Glanz mehr. Tiefe Schatten lagen unter ihnen. Seufzend strich sie ihre nassen Haare zurück. Allmählich ging es ihr ein wenig besser. Sie sah so schlecht aus, seit...sie diesen Mann nicht mehr gesehen hatte. Ob sie ihn vermisste? Ja, das hatte sie. Es hatte ihr ehrlich gesagt das Herz zerrissen, als er mit kaltem Blick vor ihr gestanden hatte. Seitdem hatte sie ihn nie wieder gesehen. Auch Roy hatte sie seitdem nicht mehr zu Gesicht bekommen. Doch ein halbes Jahr war vergangen und viel hatte sich verändert.
Was ihre Gefühle betraf...die waren erstorben. Und zwar alle. Sie hatte Freundschaft mit den anderen aus dem Kader geschlossen aber mehr war da nicht. Kein glücklich sein mehr, keine Trauer oder Wut. Nur Leere und ganz weit hinten, im hinsterten Winkel ihrer Seele saßen ihre zwei Hälften und versuchten verzweifelt, den klitzekleinen Rest ihrer Gefühle zu verwahren.
Als Aenna sich wieder im Spiegel betrachtete, machte sich ein ähnliches Gefühl wie Hass in ihr bemerkbar.

„Was bin ich nur für ein Monster geworden?“, hauchte sie und betrachtete ihre Hände.
Sie hatte ohne zu zögern ihr Schwert durch einen Jungen gejagt und das ohne auch nur ansatzweise darüber nachzudenken, ob es richtig war. Sie war sich sicher, dass sie ihn ebenfalls ohne zu zögern getötet hätte. Aber seit wann befand sie sich an diesem Punkt? Damals hätte sie nie daran gedacht, jemanden einfach so zu verletzen. Ob ihr grausames Verhalten wohl von...ihm herrührte?

„Vielleicht sind das Anzeichen für...du weißt schon?“
Das leise Stimmengemurmel ließ Aenna aufmerksam werden. Das schien vom Flur vor ihrem Zimmer zu kommen. Schnellen Schrittes huschte sie zur Tür, um zu lauschen. Das eben hatte nach Adalia geklungen, jetzt war es Rasvan, der antwortete.

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich hätte es gemerkt, als wir in Gedanken miteinander gesprochen haben. Da war nichts! Reine Ordnung, nichts verwirrendes oder eine Spur von Verzweiflung. Wir sollten uns nicht so viele Gedanken um sie machen, sie ist...“
Die Stimmen entfernten sich, weshalb Aenna ein paar Schritte von der Tür zurücktrat.

„Sie scheinen ihre Fähigkeiten langsam zu entdecken.“, murmelte sie und ließ das Handtuch fallen. Besser wäre es, sie würde schnell nach dem Jungen sehen. Dann konnte sie vielleicht, und hoffentlich, mit Tatsachen in die Versammlung gehen. Gesagt, getan.
Sie zog ein frisches, bauchfreies Top und eine kurze Jeans an, dann schlüpfte sie in Turnschuhe und strich sich noch einmal die Haare zur Seite. Dann zog sie auch schon die Tür hinter sich zu.

Jay wich zurück, worauf Aenna langsam in die Hocke ging.

„Keine Sorge, ich tu' dir nichts.“, sagte sie leise und streckte wie zum Beweis die leeren Hände aus. Der Junge stieß ein Schnaufen aus.

„Das sagst du, nachdem du mich mit einem Schwert durchbohrt hast?“, murmelte er.
Aenna schmunzelte.

„Tut mir leid aber das ging nicht anders. Wie fühlst du dich? Kannst du einigermaßen klar denken?“
Der Junge schien einen Augenblick lang nachzudenken.

„Ich hab das Gefühl, dass...alles in mir zu eng ist. Als ob da etwas wäre, das hinaus will. Ich kann es nicht erklären.“
Aenna richtete sich wieder auf und begann, auf und ab zu laufen.

„Ich weiß nicht ob Adalia oder einer der anderen es dir schon gesagt hat und auch ich sage es dir nur ungern aber es scheint, als würdest du zu den Nephilim gehören, due den Verstand verlieren.“
Mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete sie, wie die Augen des Jungen sich weiteten.

„Niemals!“, hauchte er.
Aenna schenkte ihm ein trauriges Lächeln.

„Doch, leider schon. Wir haben beschlossen dich eine Weile hierzubehalten, um ein Auge auf dich zu werfen. Wir wissen zu wenig über diesen Wahnsinn, deswegen...“
Sie schaffte es nicht den Satz zu beenden, das übernahm an ihrer Stelle Jay.

„Benutzt ihr mich als Forschungsobjekt.“, murmelte er.
Mit einem Seufzen nickte Aenna.

„Tut mir leid. Aber es geht nicht anders. Den Gerüchten zufolge sollst du nur Nachts randaliert haben, deswegen haben wir uns sofort auf den Weg gemacht. Du...hättest vermutlich alles getan um Rasvan und mich zu verletzen und aus diesem Grund habe ich dich kurzerhand mit dem Schwert aufgespießt!“
Ohne etwas zu sagen senkte der Junge den Blick. Aenna kehrte ihm den Rücken zu.

„Ich schau später noch mal mit jemandem vorbei. Wir sehen uns, ja?“
Dann war die Tür der Zelle zu.
Ohne zurückzublicken lieg Aenna durch den langen Gang. Doch irgendetwas war komisch. Sie blieb stehen und horchte, doch es war nichts zu hören. Bis auf ihr eigener Herzschlag, der plötzlich laut in ihren Ohren hämmerte. Da war es wieder, dieses Kratzen in ihrem Nacken. Als würde jemand mit seinem Fingernagel über ihre Haut schaben. Ein leises Knurren stieg in ihrer Brust auf.
Wer ist da?, hätte sie am liebsten geschrien. Doch sie schwieg. Wer auch immer da war, früher oder später würde er sich zu erkennen geben.

„Aenna.“
Dieses leise Raunen ließ sie herumfahren. Atemlos und mit großen Augen starrte sie Lucian an. Das erste was ihr an ihm auffiel, waren seine Augen. Sie waren nicht leer und kalt, so wie beim letzten Mal. Nahezu weich sahen sie sie an. Sie blitzen voller Gefühle auf, es wäre ihr unmöglich gewesen all die zu nennen, die sie gesehen hatte. Schwach lächelte er. Aenna neigte ein Stück den Kopf.
Warum war er mittlerweile immer in dämonischer Gestalt? Sein Schwanz zuckte hin und her, lediglich seine Hörner blieben ihr dieses Mal verborgen. Doch auch seine jetzige Gestalt hielt sie nicht davon ab, sich in Bewegung zu setzen. Er machte nicht den Anschein als wolle er verschwinden, dennoch beschleunigte Aenna und stürzte auf ihn zu.
Bei ihm angekommen riss sie ihre Hand hoch und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Verdattert starrte er auf sie herab, doch das kümmerte Aenna herzlich wenig. Sie packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich herunter, dann drückte sie forsch seine Lippen auf seine.
Lucian kam im ersten Moment nicht mit, dann schlang er die Arme um die Frau und erwiderte den Kuss.

„Du verdammtes Arschloch!“, schluchzte sie zwischen den Küssen. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“
Lucian umfasste ihr Gesicht mit den Händen und beendete den Kuss, wobei er ein paar Tränen von ihren Wangen wischte.

„Du hast es nicht anders verdient, Weibsstück!“, knurrte er.
Wieder versanken die beiden in einen leidenschaftlichen Zungenkuss.
Ich wusste es, du wolltest dich nur rächen!, dachte sie anklagend.
Als Lucian erschrocken einen Schritt zurückwich konnte sie nicht anders, als böse zu grinsen und sich über die Lippen zu lecken. Oh, was hatte sie seinen bitteren Geschmack vermisst! Langsam trat er wieder näher an sie heran.

„Du hast dich wirklich gemacht.“, murmelte er und zog sie in seine Arme.
Mit einem Schlag veränderte sich die Stimmung. Es war keine Feindseligkeit mehr zu spüren. Auch keine Kälte oder Distanz. Nur Wärme und Geborgenheit. Aenna umschlang Lucian ebenfalls.

„Ich hab dich vermisst.“, hauchte sie. „Es tut mir leid, dass ich mich für einen kurzen Moment so abweisend dir gegenüber verhalten habe. Ich wusste nicht, dass dich das so verletzen würde.“
Lucian drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel.

„Nein, tut mir leid, Kleines. Ich wollte dir eins auswischen und habe dich absichtlich schmoren lassen. Ich hatte ja keine Ahnung, wie schlecht es dir dadurch ging.“
Eine Weile sahen sich die beiden ohne etwas zu sagen in die Augen. Dann seufzte der Mann und senkte bedauernd den Kopf.

„Aenna...niemals würde ich das einem anderen gegenüber zugeben aber ich bin verdammt eifersüchtig auf die Männer in deiner Nähe. Ich will dich für mich alleine haben! Ich bin so fertig, ich schaff es nicht einmal mehr meine menschliche Form anzunehmen.“
Verblüfft hielt die Frau inne. Mit solchen Worten hatte sie dann doch nicht gerechnet. Nachdem sie einen Moment lang kein Wort herausbrachte, lächelte sie schließlich.

„Du warst ehrlich zu mir, also bin ich ehrlich zu dir! Als du mich vor einem halben Jahr in der Folterkammer so kalt angesehen hast, ist ein kleiner Teil in mir zerbrochen. Aber als du mir dann einfach den Rücken gekehrt hast und nicht mehr wiedergekommen bist, ist alles in mir zersprungen. Sieh mich an, Lucian! Ich sehe scheiße aus. Versprich mir, dass du mir das nicht noch einmal antust! Und im Gegenzug sorge ich dafür, dass du keinen Grund mehr haben wist eifersüchtig zu sein.“
Eindringlich sah sie ihm in die Augen. Lucian musste gar nicht groß überlegen, dennoch ließ er sich Zeit mit seiner Antwort.

„Ich war stinksauer, Süße! Aber du hast Glück, dass ich dich...“
Aenna hielt die Luft an. Sie wusste genauso gut wie Lucian selbst, was er da gerade hatte sagen wollen.

„Willst du's mir nicht sagen?“, stichelte sie und lächelte kokett.
Mit einem mal sah sie die Unsicherheit in seinen Augen aufblitzen.

„Ich weiß nicht.“, murmelte er. „Ich hab das vorher nie gespürt. Was, wenn ich es dir sage aber es in Wirklichkeit gar nicht stimmt?“
Mit einer faltigen Stirn sah er auf sie herab.

„Du wirst es erst wissen, wenn du es gesagt hast.“, ermutigte sie ihn.
Doch er schwieg. Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen, worauf Aenna sofort die Chance ergriff. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, umschlang mit ihren Armen seinen Hals und knabberte zärtlich an seinem Ohr.

„Ich liebe dich, Lucian. Das hast du mir schmerzlich bewusst werden lassen.“
Kaum hatte sie ihm das ins Ohr geflüstert, ließ sie ihn auch schon wieder los und rannte los.
Lucian sah ihr perplex nach, dann rannte er auch erlos.

„Bleib gefälligst stehen!“, knurrte er, doch Aenna sah nur lachend über ihre Schulter und lieg weiter. Doch es war von vorneherein klar, dass sie keine Chance hatte. Der Mann hatte schließlich längere Beine als sie. Als sie am großen Saal vorbei kamen, holte Lucian Aenna ein. Wie ein Stahlkäfig hielten seine Arme die Frau gefangen, welche erst einmal ein beherztes Lachen hören ließ.

„Ich liebe dich auch, verdammt!“, knurrte Lucian und erstickte ihr Lachen mit einem Kuss.
Schluss mit der Zärtlichkeit. Grob packte Lucian sie, um sie gegen die Wand zu drängen. Aenna biss ihm auf die Lippe, auch wenn sie gerne noch weitergemacht hätte.

„Ich muss zur Versammlung, Honey. Warte in meinem Zimmer!“, keuchte sie.

„Vergiss es!“, raunte Lucian und ergriff ihre Hand.
Aenna versuchte noch ihn aufzuhalten, doch er stieß bereits die Tür zum Saal auf. Geschockte Blicke richteten sich erst auf ihn, dann auch Aenna.

„Hältst du es für klug, ihn zuhören zu lassenß“, murmelte Rasvan und bedachte Lucian mit einem leicht feindseligen Blick. Aennas Mundwinkel zuckten als sich der Griff an ihrer Hand verstärkte. Lucian hielt die ganze Zeit über ihre Hand und es schien, als würden Rasvans Worte ihm nicht gefallen.

„Ich vertraue ihm. Ihr werdet mir also vertrauen müssen.“, antwortete Aenna nun todernst.
Lucian blickte sie an. Er hätte nicht gedacht, dass sie das anderen gegenüber so offen zugeben würde. Wobei, ihre Liebe hatte sie ihm schließlich auch aus dem Nichts heraus gestanden. Also wunderte ihn nichts mehr. Bradie lächelte, wenn auch als einzige.

„Seid doch nicht so feindselig.“, sagte sie zu den anderen. „Wir sollten uns lieber darüber freuen, dass es ihr wieder besser geht. Wenn ich daran denke, wie sie hier durch die Gänge gewandelt ist.“
Sie erschauerte.

„Wie ein Geist!“, murmelte sie.
Wieder spürte Aenna Lucians Blick auf sich ruhen. Sie konnte deutlich fühlen, wie sehr er seine Entscheidung bereute. Es tat ihm wirklich leid!

„Ist ja jetzt egal.“, beendete sie dieses Gespräch. „Wir sitzen nicht umsonst hier. Also, Adalia. Was hast du aus Jay heraus bekommen?“
Die Blondine strich sich die Locken zurück.

„Nichts.“, brummte sie. „Ich hab mich um seine Wunden gekümmert, habe dafür aber nicht einmal ein Danke zu hören gekriegt.“
Rasvan lachte.

„Na, was hast du denn erwartet? Wir haben ihn ja auch aufgespießt!“
Adalia zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Aenna.

„Die da hat ihn aufgeschlitzt! Da habe ich überhaupt nichts mit zutun. Der Junge kann froh sein, dass ich ihn überhaupt beachtet habe.“
Aenna schmunzelte. Jaja, typisch Adalia. Der Blick der jungen Frau richtete sich auf Bradie, die unter ihrem dämonischen Blick zusammen zuckte.

„Bradie, tut mir leid das ich diese Bombe platzen lasse aber du bist doch Empathin. Was kannst du mir über den Jungen sagen?“
Sämtliche Blicke richteten sich auf die Frau, die unsicher am Saum ihres Shirts nestelte.

„Seit wann bist du bitte Empathin?“, murmelte Enu, erwartete aber keine Antwort.
Auch Bradie selbst ging auf die ganzen Kommentare der anderen nicht ein, sie sprach an Aenna gewandt.

„Der Junge ist verwirrt über sich selbst. Ich konnte seine zwei Seelenhälften nicht ausmachen, es scheint so als wären sie miteinander verschmolzen und besetzen nun den Verstand des Jungen.“
Aenna lächelte.

„Ich bin beeindruckt, Bradie. Deine Fähigkeiten sind weitaus besser, als ich sie eingeschätzt hätte.“, lobte sie die Frau, auf deren Wangen nun ein Hauch rot zu erkennen war.

„Danke.“, hauchte sie leise, dann wurde sie wieder ernst. „Du warst doch aber auch bei ihm, oder? Hast du etwas herausgefunden?“
Aenna zuckte mit den Schultern.

„Naja, schon. Aber sonderlich hilfreich ist es nicht. Er sagt, alles in ihm fühlt sich zu eng an. So, als ob etwas hinaus will. Er kann sich an seine nächtlichen Eskapaden nicht erinnern und er wollte es auch gar nicht glauben, als ich es ihm erzählt habe. Er weiß, dass er aus...Forschungszwecken hier festgehalten wird. Ich glaube, er wird sich uns nicht widersetzen.“

„Na, das ist doch was.“, erwiderte Rasvan und lächelte nachdenklich. „Er kann sich also nicht erinnern. Damit sind wir schon mal einen Schritt weiter.“
Der Druck an Aennas Hand verstärkte sich wieder.

„Wie lange wollt ihr ihn hier festhalten?“, mischte Lucian sich ein.
Die Nephilim tauschten Blicke untereinander aus.

„Solange, wie es nötig sein wird.“, erwiderte Adalia und grinste.
Eine Weile lang sagte keiner etwas, dann sprach Aenna ein Machtwort.

„Eines muss euch klar sein, Leute. Sollte es keine Möglichkeit geben dem Jungen zu helfen, wird einer von uns ihn töten müssen.“
Keiner sagte etwas. Die Luft im Saal war zum zerschneiden dick. Irgendwann meldete sich Enu zu Wort.

„Das wirst dann wohl du sein.“, entschied er, mit Blick auf Aenna.
Die zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Warum denn ich?“, knurrte sie.
Seit langer Zeit sahen die Nephilim Enu mal wieder lachen.

„Adalia würde sich nie die Hände schmutzig machen. Bradie ist zu empfindlich für so etwas. Außerdem kann sie kein Blut sehen, schon vergessen? Ich komme auch nicht infrage. So etwas ist nicht mein Ding. Was Rasvan betrifft...Er kann zwar kämpfen und das auch verdammt gut. Aber nicht töten! Dafür ist sein Herz doch zu weich. Also bleibst nur noch du. Und um ehrlich zu sein glauben wir alle hier, dass du perfekt dafür geeignet bist. Wir bilden zwar gemeinsam einen Kader, Aenna aber die Anführerin von uns bist und bleibst du. Du warst die erste von uns, die ihre Kräfte entdeckt hat. Und nur du hast den Willen, um jemanden zu töten. Wir würden uns selbst in pure Verzweiflung stürzen. Ich und auch die anderen bezweifeln, dass wir damit klar kommen würden, jemanden auf dem Gewissen zu haben.“
Aennas Blut fing an zu kochen, doch sie zwang sich ruhig zu bleiben. Wütend sah sie der Reihe nach alle anderen an.

„Soll das heißen, ihr haltet mich für die perfekte Auftragskillerin? Das ist doch lächerlich!“
Rasvan sah sie fast schon traurig an.

„Aenna, versuch bitte ruhig zu bleiben. Sieh dich doch mal um. Betrachte unsere Flügel und dann sieh dir deine an. Alle unsere Schwingen sind weiß, vielleicht auch dreckig grau. Und wenn wir wütend sind natürlich auch schwarz. Aber deine waren in den letzten Monaten ununterbrochen schwarz. Du bist launisch und wir alle können damit umgehen, gar keine Frage. Wir alle, selbst Adalia können dich gut leiden, dies ist also kein Angriff unsererseits. Du bist eine Kämpfernatur und schaffst es ohne Probleme, dein Denken und Fühlen auszuschalten. Wenn jemand in der Lage ist, Nephilim aus solch wichtigen Gründen zu töten, dann du.“
Aenna senkte nach dieser Ansage den Blick. Wie so oft betrachtete sie ihre Hände. Ihr war selbst aufgefallen, was aus ihr geworden war. Aber es von anderen zu hören tat weh. Da tröstete es sie auch nicht, dass Lucian ihr die Hand aufs Haar legte. Ohne noch etwas zu sagen erhob sie sich, und schlenderte aus dem Saal.

„Aenna!“, rief Bradie und sprang auf.

„Lass sie.“, donnerte Lucian.
Nachdem die Frau sich unsicher wieder niedergelassen hatte, wurde Lucians Blick verständnisvoller.

„Aenna braucht Zeit. Sie wird damit klar kommen, sie muss sich nur erst daran gewöhnen.“

 

__22__

 

„Was machst du?“
Der Federhalter in Aennas Hand kam zum Stillstand.

„Ich erweitere das Protokoll.“, murmelte sie und blickte auf.
Neugierig beugte Lucian sich über den Tisch.

„Welches Protokoll?“
Aenna antwortete nicht und drehte das DIN A5 große, dicke Buch vor ihr um. Lies selbst., schien ihr Blick zu sagen. Lucian blätterte ein paar Seiten zurück, bis er auf der ersten Seite angekommen war. Auf den ersten zwei Seiten waren die Gesetze niedergeschrieben.

„Ich wusste nicht, dass du so eine schöne Handschrift hast.“, murmelte Lucian beim Anblick der verschnörkelten und sauber gezogenen Buchstaben. Nicht einen einzigen Tintenklecks konnte er ausfindig machen. Auch schienen keine Rechtschreibfehler vorhanden zu sein. Ebenso wenig wie Grammatik-, Ausdrucks-, oder Satzzeichenfehler.
Aenna ging nicht auf diesen Kommentar ein und ließ ihn weiter lesen. Er blätterte weiter, bis er bei der Überschrift „Nephilim die den Verstand verloren haben“ angekommen war. Er überlegte, ob er das folgende wirklich lesen sollte, doch er tat es.

 

Nephilim, die den Verstand aufgrund ihrer zwei Seelenhälften verloren haben, gelten als wahnsinnig. Dieser Wahnsinn wird vom Kader als Krankheit bezeichnet.

Bei jedem noch so kleinen „Symptom“ gilt es, den Kader aufzusuchen.

Nephilim, die vom Wahnsinn befallen sind, besitzen eine Reihe auffallender Merkmale, die hier aufgelistet werden.

 

  1.  Ihre Körper deformieren sich. Ihre Gesichter verformen sich zu einer Art Schnauze, ihre Zähne lassen       sich mit Säbeln vergleichen. Lang und spitz und viele Reihen hintereinander, wie man sie von Haien           kennt.
         Ihre Hände verwandeln sich in Klauen, mit denen ein Hieb schon fatale Folgen haben kann.

  2. Ihre giftgrünen Augen, die bei Mondlicht zu leuchten scheinen, sind ihr auffälligstes Merkmal.

  3. Abgetrennte Gliedmaßen wachsen ihnen wieder nach.

  4. Ihr Herz wird zum Überleben nicht benötigt.

  5. Sie lassen sich nur töten, wenn man ihnen den Kopf abschlägt.

  6. Sie kennen keinen Schmerz.

  7. Feuer jagt ihnen Angst ein.

  8. Am Tage benehmen sie sich, wie normale Nephilim. Der Wahnsinn macht sich erst in der Nacht    bemerkbar.

  9. Sobald die Nacht vorbei ist, erinnern sie sich an nichts mehr.

  10. Ein Nephilim, der vom Wahnsinn befallen ist, verhält sich wie ein Vampir. Er will Blut und es scheint, als würde er es auch zum Überleben brauchen. Zumindest in der Nacht.

  11. Sie können nicht schwimmen.

  12. Ihre zwei Seelenhälften verschmelzen miteinander und besetzen den Verstand. Dadurch scheint der Wahnsinn ausgelöst zu werden.

 

Lucian zog die Brauen hoch, als er das Buch wieder zu ihr schob.

„Der arme Junge. Er scheint eine Menge mitmachen zu müssen.“, murmelte er.
Nachdenklich legte Aenna den Federhalter zur Seite.

„Das lässt sich leider nicht vermeiden. Wenn wir gegen diesen Wahnsinn vorgehen wollen, müssen wir auch alles über ihn wissen.“, sagte sie leise und lehnte sich nun in ihrem Stuhl zurück.
Lucian fragte sich, ob das überhaupt möglich war. Gegen den Wahnsinn vorzugehen, meinte er.
Sie konnten unmöglich all diese Nephilim ausfindig machen und sie töten. Vorbeugen könnte man diese „Krankheit“ ebenfalls nicht. Noch nicht zumindest. Vielleicht fanden sie ja eines Tages tatsächlich eine Lösung für all die Probleme. Mit einem Fingerschnippen riss Aenna Lucian aus den Gedanken.

„Komm her!“, verlangte sie und krümmte mehrmals den Finger.
Der Mann ging um den Tisch herum und sah sie fragend an. Blitzschnell schoss Aennas Arm hervor. Ihre Finger verkrallten sich in seinem Hemd, dann zog sie ihn herunter und küsste ihn.

„Wir haben uns ein paar Tage nicht gesehen, also begrüß mich gefälligst auch!“, knurrte sie, nachdem sie den Kuss beendet hatte. Lucian grinste.

„Verzeihung aber du siehst einfach zum anbeißen aus, wenn du so nachdenklich in deine Aufgaben vertieft bist. Ich hätte diesen Anblick gerne noch ein bisschen genossen!“, hauchte er.
Aenna lächelte, worauf Lucian wieder das Funkeln in ihren Augen entdeckte.
Es waren nur wenige Wochen vergangen, doch es hatte sich mehr denn je zwischen den beiden getan. Aenna war glücklich, ebenso wie Lucian. Er hatte ihr versprochen, nicht noch einmal so eine miese Nummer abzuziehen. Und auch Aenna hielt ihr Wort, sie blieb mit anderen Männern auf Distanz. Rasvan und sie jedoch waren gute Freunde geworden, die viel miteinander lachten.
Doch das störte Lucian nicht. Aenna brauchte auch mal Spaß und den würde Lucian ihr alleine nicht bieten können. Ein einziges Mal hatten Rasvan und er sich ruhig miteinander unterhalten.
Lucian hatte ihn darum gebeten, dafür zu sorgen das Aenna nicht zu ernst wurde, wenn Lucian nicht da war. Rasvan hatte ihm versichert, er würde sie im Auge behalten.
Lucian wusste mittlerweile nur zu gut, dass Aenna sich sofort abschottete wenn Lucian weg war und die anderen sie ebenfalls in Ruhe ließen. Wenn sie zu viel nachdachte, wurde sie nur wieder emotionslos. Seit diesem Gespräch unter Männern kamen die beiden auch besser miteinander klar.
Gut, beste Freunde wurden sie jetzt nicht aber sie verspürten beide nicht mehr das Bedürfnis, den anderen töten zu wollen.
Lucian lächelte. Er hatte es nicht bereut Aenna gesagt zu haben, dass er sie liebte. Jedes Mal wenn sie sich küssten, strahlte sie ihn an. Und es gab nichts, was Lucian dann glücklicher machen konnte.
Er brauchte nur in ihre goldenen Augen zu blicken um zu wissen, dass es ihr gut ging und was sie fühlte.
Noch immer war ihm bisher niemand begegnet, der auch nur ansatzweise eine ähnliche Augenfarbe hatte wie Aenna. Er fragte sich, ob das einen Grund hatte.

„Hast du all deine Aufgaben erledigt, König der Dämonen?“, sagte sie nun, noch immer mit diesem füchsischen Lächeln im Gesicht. Lucians Gesichtsausdruck veränderte sich.

„Nein.“, sagte er ernst und beugte sich wieder vor. „Aber weil ich dich vermisst habe, war ich nett genug mir selbst eine Pause zu geben.“, hauchte er dann und küsste ihre Wange.

„Das höre ich gern!“, sagte Aenna leise.
Es war verblüffend, wie sehr dieser Mann sich verändert hatte. Er war nicht mehr kalt oder abweisend zu ihr. Es gab niemanden, der sie je besser behandelt hatte als er nun! Er sagte ihr was er fühlte und dachte, ohne zu zögern. Er sprach nicht um den heißen Brei herum und genau das gefiel Aenna. Außerdem konnte sie bei ihm sie selbst sein. Sie konnte launisch sein, Dinge nach ihm werfen oder ihn anschreien. Doch jedes Mal lachte er nur, zog sie in seine Arme und küsste sie. Und diese Dinge waren es, die ihr Kraft gaben, sie ruhiger werden und weitermachen ließen.
Am Ende lachte sie doch. Und das nur, weil er ihr ihre Launen nicht übel nahm. Umgekehrt war es genauso. Sie fühlte sich nicht ungeliebt, nur weil er ihr gegenüber mal lauter oder grob wurde.
Sie provozierte ihn, bis auch er am Ende lachend in ihre Arme sank.
Es war verrückt! Der Teufel war der Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hatte. Schon oft hatte sie heimlich zu Gott gesprochen und ihn gefragt, ob er das geplant hatte. Doch bis heute hatte sie keine Antwort darauf erhalten.
Der Moment wurde von einem Knarren der Tür unterbrochen. Beide sahen bei diesem Geräusch auf und richteten ihre Blicke auf Enu, der in die Bibliothek kam.

„Schlechte Nachrichten, Aenna.“, keuchte er außer Atem.
Sofort war die Frau auf den Beinen. Sie fragte gar nicht erst, sondern ließ Enu direkt das Wort.

„Es gibt einen weiteren Fall vom Wahnsinn.“, verkündete er.
In Aenna zog sich etwas zusammen. Sie alle wussten, was das bedeutete.

„Weiß Rasvan Bescheid?“, fragte sie und setzte sich in Bewegung.
Lucian und Enu folgten ihr.

„Ja.“, antwortete der Mann zu ihrer Linken. „Er wartet bereits auf dem Dach auf dich.“
Aenna nickte.

„Gut, sag ihm, dass ich gleich da bin.“
Enu nickte, dann lief er los. Aenna blieb währenddessen stehen und wandte sich dem Mann zu ihrer Rechten zu.

„Die Arbeit ruft.“, murmelte sie und sah zu ihrem Geliebten auf.
Der ergriff ihre Hände und küsste sie auf die Stirn.

„Du schaffst das, meine Kleine. Und nun los! Zeig der Welt, was für eine starke Frau du geworden bist!“
Entschlossen nickte Aenna, dann machte sie kehrt und rannte los.

 

Giftgrüne Augen blitzen in der Dunkelheit auf.
Das Fleisch unter den Klauen schmatzte, als es auseinander gerissen wurde. Sehnen und Muskeln rissen, wie zu trocken gewordener Kaugummi. Das Plätschern von Blut war eine Zeit lang das einzige Geräusch weit und breit. Still und regungslos hockte Aenna auf dem Dach.
Rasvan würde ihm Hintergrund bleiben und nur dann eingreifen, wenn er sah das Aenna in Gefahr war. Wenn Aenna den Dreh einmal raus hatte, würde sie sich in Zukunft alleine zu diesen Missionen auf den Weg machen. Sie war nicht wirklich scharf darauf das jemand aus dem Kader zu sehen bekam, wie sie jemanden umbrachte. Jemanden den Kopf abzuschlagen war nämlich alles andere als eine schöne Art jemanden zu töten.
Sie ließ den Blick schweifen, konnte ihren Kameraden in der Dunkelheit aber nicht ausfindig machen. Dann betrachtete sie den Nephilim zu ihren Füßen. Sein Opfer war ein Mann, scheinbar ein Obadachloser, wenn sie nach seiner Kleidung zu verurteilen mochte.
Offensichtlich war es nur ein Mensch gewesen, der da tot und zerfetzt am Boden lag.
Muss sicher weg getan haben., dachte sie bestürzt und zugleich wütend.
In ihr kam der Wunsch auf, den Mann zu rächen. Doch diese Rache würde ihr nichts bringen, sie würde den Nephilim so oder so töten. Ob sie nun wollte oder nicht. Doch sie sah ein, dass diese Mischlinge einfach zu gefährlich waren. Solange sie keinen Weg gefunden hatten diesen Verfall des Verstandes zu stoppen, würden sie weiterhin ihresgleichen abschlachten müssen. Herzlos und einfach nur hart aber definitiv fair.
Wie lange willst du dir noch Zeit lassen?, erreichten sie Rasvans Gedanken.
Hey, ich hab die ganze Nacht Zeit, oder nicht?, erwiderte sie, belustigt.
Was sie Rasvan nicht erkennen ließ war, dass ihre Belustigung nur dazu diente, zu täuschen.
Sie fühlte sich miserabel und das Wissen, gleich jemanden umzubringen machte es auch nicht besser. Von ihrem Kameraden kam keine Antwort mehr, weshalb sie ihr Schwert fester umgriff.
So langsam wurde es aber wirklich Zeit. Die Dämonin in ihr äußerte den Wunsch, noch ein wenig mit dem Nephilim zu spielen. Doch dieses Mal hörte Aenna auf den Engel in ihr. Sie würde es schnell und schmerzlos beenden. Auch, wenn dieser Nephilim genau genommen keinen Schmerz verspüren konnte. Sie breitete also ihre Flügel aus und stürzte in die Tiefe. Sobald sie in Reichweite des Nephilim war, welcher übrigens eine Frau war, schwang sie ihr Schwert.
Es war grauenhaft. Als würden die gesamten fünf Sekunden sich über mehrere Stunden erbrücken. Sie hörte erst das Reißen von Haut, dann das Schmatzen vom Fleisch. Blut spritzte und traf sie teilweise im Gesicht. Dann durchschnitt die Klinge Sehnen und Muskeln. Sie konnte deutlich hören, wie sie auseinander rissen. Dann traf das Metall auf Knochen.
Die Halswirbel., dachte Aenna, geschockt von dem was sie gerade tat.
Doch die Klinge war geschliffen. Und die Kraft mit der sie das Schwert schwang, sorgte ebenfalls dafür, dass die Klinge den Kopf wie Butter vom Rumpf des Nephilim trennte.
Ein Platschen ertönte, dann rollte der Kopf ihr vor die Füße. Was den kopflosen Körper betraf...
Naja, die Nerven zuckten vor sich hin, so wie genau genommen der ganze Rumpf, dann sackte er zu Boden und blieb reglos. Aennas Atem kamen mittlerweile nur noch stoßweise.
Auch sie zitterte, doch indem sie ihre Fäuste ein paar Mal ballte, bekam sie es einigermaßen unter Kontrolle.

„Alles in Ordnung?“, meldete sich Rasvan leise hinter ihr zu Wort.

„Schätze schon.“, murmelte sie und wischte sich mit der Hand das Blut aus dem Gesicht.
Doch eine rote Spur zog sich auch weiterhin über ihre Wange.

„Und wir dürfen natürlich auch den Müll entsorgen.“, brummte Rasvan und machte sich daran zu schaffen, die entstellten Leichen wegzuschaffen.

„Hast du dir schon etwas überlegt?“, hakte Aenna nach und beobachtete ihn dabei, wie er den „Müll“ in zwei Säcke beförderte. Enu hatte Recht gehabt. Außer ihr und Rasvan konnte diesen Anblick keiner ertragen. Der Mann vor ihr antwortete nicht, er war zu sehr damit beschäftigt darauf zu achten, sich nicht schmutzig zu machen. Doch Aenna würde jetzt hartnäckig bleiben.

„Sag mal, Rasvan.“, begann sie leise und trat zu ihm, um ihm dabei zu helfen die Fleischklumpen verschwinden zu lassen.

„Hatte Enu Recht? Könntest du...wirklich nie jemanden umbringen?“
Sie versuchte dem Mann in die Augen zu sehen, doch er verbarg sein Gesicht vor ihr.
Ist okay., dachte sie und spielte bereits mit dem Gedanken, nicht weiter nachzufragen.
Doch dann ertönte seine raue Stimme.

„Der Grund warum ich niemand mehr umbringen kann, ist...“
Er seufzte leise und ließ den Sack fallen. Blut lief aus ihm, doch das interessierte jetzt keinen der beiden.

„Ich habe die Frau umgebracht, die ich geliebt habe.“
Diesen Satz musste Aenna erst einmal schlucken und verdauen. Sie traute sich nicht nachzufragen.
Sie hielt Rasvan gewiss nicht für einen Mörder und das würde sie auch nie.
Vielleicht war es ein Unfall., überlegte sie, tief im hintersten Winkel ihrer Gedanken.
Vielleicht musste es aber auch sein. Mochte ja sein, dass er keine Wahl gehabt hatte.
Aenna trat in die ausgetretene Blutlache, als sie zu Rasvan ging und die Arme um ihn legte.

„Ich weiß, du willst kein Mitleid. Aber es tut mir wirklich leid. Es wäre besser gewesen, ich hätte nicht nachgefragt.“, sagte sie leise und trat sogleich auch wieder einige Schritte zurück.
Wieder ertönte das leise Plätschern unter ihren Füßen.

„Ist schon okay. Wir sollten im Kader nicht all zu viele Geheimnisse voreinander haben.“, erwiderte der Mann und rang sich zu einem Lächeln durch. Aenna erwiderte es, auch wenn sie sah das es seine Augen nicht erreichte. Mit einem Mal wirkte Rasvan viel gelassener.

„Enu hat Tatsachen ausgesprochen, nicht wahr? Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie du dieses Weib hier erledigt hast. Das scheint dir irgendwie im Blut zu liegen.“
Unglücklicherweise ahnte der Mann nicht, dass er mit diesen Worten einen wunden Punkt bei ihr traf.

„Das ist nichts, worauf ich stolz bin, Rasvan. Aber...danke für das, irgendwie schräge Kompliment.“
Ohne sich auf ein weiteres Gespräch mit dem Mann einzulassen, machte Aenna damit weiter die Leichenreste in den Sack zu befördern. Als sie sah, dass Rasvan eine Blutprobe nahm hielt sie inne.
Er bemerkte ihren Blick und sah sie schwach lächelnd an.

„Vielleicht gibt es Ähnlichkeiten zwischen dieser und Jays DNA. Wir sollten nichts unversucht lassen.“
Aenna kommentierte das nur mit einem Nicken. Das würde dann wohl in Enus Bereich fallen.
Ein leises Knurren hinter ihr, ließ sie aufmerksam werden. War das ein Tier? Sie sah sich um, konnte aber nichts und niemanden entdecken. Und Rasvan schien es gar nicht mitzubekommen.
Plötzlich blieb ihr die Luft weg. Sie wurde zu Boden geworfen und noch bevor sie erkennen konnte er da auf ihr hockte, riss ihr derjenige scheinbar den Brustkorb auf. So fühlte es sich zumindest an.
Aenna stieß einen Schrei aus aber nicht, weil sie solche Schmerzen hatte, sondern weil sie sich erschrocken hatte. Sie konnte hören wie ihr eigenes Fleisch aufriss. Rasvan rief ihren Namen, doch sie nahm es kaum war. Mit einem kräftigen Tritt beförderte sie ihren Angreifer in die Luft, dann war sie auch schon auf den Beinen. Der Schmerz in ihrer Brust war schier unglaublich, doch darum konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen. Sie sah grüne Augen aufblitzen, weshalb sie nur umso schneller ihr Schwert zog. Mit nicht zu beschreibender Brutalität trieb sie dem Typen vor ihr das Schwert durch die Brust. Doch das war erst der Anfang. Wie in einem Rausch sorgte sie erst dafür, dass er nicht mehr nach ihr Schlagen konnte. Seine Arme fielen mit einem dumpfen Schlag auf den Boden, nicht viel später folgte auch ein Bein. Erst zum Schluss zwang Aenna sich dazu, auch den Kopf vom Rumpf zu trennen.
Fassungslos stand Rasvan einige Meter Abseits. Das alles war in Sekundenbruchteilen passiert.
Wie konnte das sein? Er hatte nie schlechte Augen gehabt doch alles was er jetzt gesehen hatte, hatte er mit seinen Augen kaum erfassen können. Mit rasselndem Atem glitt Aenna zu Boden.

„Aenna!“, brüllte der Mann und lief zu ihr. Er half sich aufrecht hinzusetzen, wodurch die tiefe Wunde in ihrer Brust weiter auseinanderklaffte.

„Kannst du dich bewegen?“, fragte er und versuchte, sie irgendwie auf die Beine zu kriegen.
Aenna biss sich auf die Zunge, um ein Stöhnen zu unterdrücken und schaffte es tatsächlich, aufzustehen. Ich Atem wurde schwerer.

„Meine Flügel sind nicht verletzt, wenn ich mich anstrenge schaffe ich es bis zum Quartier.“, murmelte sie und senkte nun den Blick. Beim Anblick der tiefen Fleischwunde drehte sich ihr der Magen um.

„Das ist Wahnsinn, Aenna! Du verlierst so viel Blut, es ist offensichtlich, dass es sich um eine tödliche Verletzung handelt!“, knurrte Rasvan und versuchte, sie hochzuheben.
Doch sie ließ es nicht zu und breitete ihre Flügel aus.

„So schnell kriegt man mich nicht klein, Rasvan. Aber danke für deine Fürsorge. Ich schaff das schon, keine Sorge.“, keuchte sie und hiefte sich in die Lüfte.
Weit mehr als beunruhigt tat Rasvan es ihr nach. Wenn sie fiel und er sie nicht auffangen würde können, wäre sie tot. Sie blickte dem Tod bereits jetzt ins Auge, nur tat sie so als wäre es ihr bester Freund.

„Verdammt, Lucian bringt mich um wenn er sieht, dass ich nicht auf dich aufpassen konnte.“, knurrte er und hielt sich dich an ihrer Seite, um einen möglichen Sturz verhindern zu können.

 

Verzweifelt griff er nach ihrer Hand. Doch das würde sie auch nicht dazu bringen aufzuwachen, das wusste er. Verdammt, er war so wütend. Dabei hatte Rasvan keinen Fehler gemacht.
Es war Aennas Sturheit gewesen, die sie in Lebensgefahr gebracht hatte. Hätte sie sich nicht einfach von Rasvan helfen lassen können? Lucians Erinnerung reichte zurück, bis vor fast zwei Tagen, wo Aenna vor dem Quartier gelandet und zusammen gebrochen war.
Geschockt hatte er die Wunde betrachtet, die sie zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich schon die Hälfte ihres Blutes gekostet hatte. Nachdem sie ausreichend versorgt worden war, hatte Rasvan ihnen von allem berichtet. Mit welcher Sicherheit sie dem ersten Nephilim das Leben genommen hatte. Als ob es einfach ihr wahres Wesen wäre. Dann hatte er ihnen erzählt, dass sie bei dem zweiten Nephilim völlig außer sich gewesen sein. Aber das passte zu Aenna. Sie war nun einmal aufbrausend. Lucian konnte sie verstehen, er wäre auch ausgeflippt, wenn ihn jemand von hinten attakiert und ihn so schwer verletzt hätte.
Tja, hier saß er nun. Beeindruckt über das kleine Mädchen und doch stocksauer aufgrund ihrer Blödheit. Wie hatte sie mit dieser Verletzung nur fliegen können? Das grenzte an ein Wunder!
Er selbst hätte sich das nicht zugetraut. Zu groß war das Risiko, von einem Feind entdeckt und entgültig getötet zu werden. Aber solche Gedanken schien Aenna ja nicht gehabt zu haben.
Bradie hatte für ihn einen Blick in ihr Inneres geworfen und festgestellt, dass allein der Gedanke an Lucian sie angetrieben hatte. Sie schien während dem Flug nur an ihn gedacht zu haben. So tat sie es wohl auch jetzt, in ihrer Bewustlosigkeit.
Aenna würde auch weiterhin noch auf die Jagd nach den wahnsinnigen Nephilim gehen. Er war sich sicher, dass dies nicht die letzte Verletzung wäre, die sie davontragen würde. Lucian ertrug den Gedanken nicht, ihr nicht helfen zu können. Sie hätte einem Feind ausgeliefert sein können und er war nicht in der Nähe gewesen. Er hatte es nicht einmal geahnt, so optimistisch wie sie ihn angestrahlt hatte, war das auch kein Wunder gewesen.
Er musste etwas dagegen unternehmen. Er wollte wissen, wenn es Aenna schlecht ging. Und dabei wollte er sich nicht nur auf ihr Wort verlassen. Er wusste ganz genau, dass sie ihm nicht immer sagte ob und warum es ihr schlecht ging.
Er hatte schon eine Idee, doch er war sich ziemlich sicher, dass Aenna nicht damit einverstanden war. Lucian war sich im Klaren darüber, dass er diesen Schritt nie wieder rückgängig machen würde können. Er musste sich also zu hundert Prozent sicher sein, ob er das auch wollte. Solange Aenna noch schlief, hätte er genug Zeit um darüber nachzudenken.

 

Ausnahmsweise waren ihr zwei Seelenhälften in Einklang. Sie stritten sich nicht, im Gegenteil sie hatten sich versöhnt und versuchten nun mit aller Gewalt, sie wach zu kriegen.
Du musst aufwachen, verdammt“, schrie die Dämonin in ihr.
Auch der Engel rüttelte verzweifelt an ihrem Bewusstsein.
Los, Kleine! Wach auf!, verlangte sie.
Aenna regte sich. Sie hörte ein tiefes Stöhnen und begriff nicht sofort, das es von ihr selbst kam. In ihren Lungen brannte etwas, wie Feuer und sie merkte, dass es bei jedem Atemzug zu spüren war.
Ich bin verletzt., dachte sie und erinnterte sich vage daran, dass ihr direkt nach ihrer Landung vor dem Quartier, schwarz vor Augen geworden war.

„Lucian.“, hörte sie sich selbst sagen.
Sie schaffte es nicht die Augen zu öffnen, doch sie hatte Gefühl in ihren Händen, also tastete sie sich mit denen ein bisschen vor. Sie lag wohl in ihrem Bett, das war dann aber auch schon alles, was sie feststellen konnte.
Komm schon!, dachte sie gereizt und zwang sich, die Augen zu öffnen. Es gelang ihr.
Es war recht dunkel in ihrem Zimmer, es schien also Abend oder Nacht zu sein. Sie versuchte sich aufzusetzen, doch es überraschte sie nicht, dass sie das nicht schaffte.
Sie widmete sich stattdessen dem Mann, der neben ihrem Bett kniete, mit dem Rücken zu ihr.

Er schien zu schlafen, doch Aenna streckte die Hand aus und ließ ihre Fingerspitzen über seinen Nacken gleiten.

„Was machst du denn hier?“, flüsterte sie mit kratziger Stimme. „Du kannst doch nicht ununterbrochen bei mir bleiben.“
Aenna war gerührt über seine Fürsorge. Lucian hatte auch seinen Job zu erledigen und dennoch saß er hier und passte auf sie auf. Noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, regte er sich.

„Aenna?“, murmelte er und drehte sich um. Lächelnd sah die Frau ihn an.

„Hallo!“, hauchte sie.
Sie konnte nicht einmal blinzeln, da war er auf den Beinen und fiel ihr um den Hals.
Aenna stöhnte aufgrund des Schmerzes, der wie eine Welle durch sie hindurch schoss.

„Entschuldige.“, hauchte der Mann und küsste sie. „Aber du warst mehrere Tage nicht bei Bewusstsein! Wie fühlst du dich?“
Er musterte sie besorgt.

„Müde, erschöpft, ich hab Schmerzen und ärgere mich gerade, dass ich mehrere Tage außer Gefecht gesetzt war.“
Auf ihre letzten Worte hin verfinsterte sich Lucians Miene.

„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, mit dieser Verletzung zu fliegen? Du hättest dir von Rasvan helfen lassen müssen!“
Aenna seufzte. Sie hätte sich denken können, dass Lucian deswegen Theater machen würde.

„Rasvan wäre nicht in der Lage gewesen, meine Wunde gut genug zu versorgen. Außerdem hatte ich noch genug Kraft, um zu fliegen. Ich hätte diese Entscheidung nicht getroffen, wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre, dass ich es schaffe.“
Mehrere Minuten lang sagte keiner der beiden mehr etwas, dann ließ Lucian sich neben Aenna nieder.

„Ich würde die ganze Geschichte gerne noch einmal von dir hören. Ich bin sicher, du hast sie gänzlich anders erlebt als Rasvan.“
Aenna fragte sich, was Rasvan wohl erzählt haben mochte. Doch sie zögerte nicht und schoss ohne Umschweife los.

„Den ersten Nephilim hab ich schnell erledigt. Das Ganze hat nur wenige Sekunden gedauert aber es kam mir ewig lang vor. Ich war danach so in ein Gespräch mit Rasvan vertieft, dass ich den zweiten Nephilim nicht bemerkt habe. Als ich dann ein Knurren gehört habe, war es zu spät. Ich lag plötzlich auf dem Boden und der Typ war auf mir. Die Schmerzen der Wunde waren halb so wild, viel mehr habe ich mich erschreckt. Ich hab irgendwie die Kontrolle verloren und...“
Aenna hielt inne und vergrub das Gesicht in den Händen.

„Nicht zu fassen, wie kaltblütig ich in dem Moment war!“
Lucian schloss sie in die Arme und drückte sie an seine Brust.

„Denk nicht weiter darüber nach, Liebes. Du warst wütend und ich an deiner Stelle hätte mich in diesem Falle auch nicht beherrschen können. Außerdem hatte er den Verstand verloren. Da wird es dir keiner übel nehmen, dass du ihn auseinander genommen hast.“
Der Mann verstummte und schob Aenna ein Stück zurück. Ernst und ohne eine Regung zu zeigen, sah er ihr in die Augen.

„Ich hatte echt Angst um dich und...deshalb würde ich dir sehr gerne etwas vorschlagen, was mir am Herzen liegt.“
Verunsichert aber doch mit wachsender Neugier erwiderte Aenna seinen Blick.

„Und was soll das sein?“, sagte sie leise.
Sie schluckte. Ihre Stimme klang noch immer wie ein Reibeisen, dabei hatte sie keine Grippe sondern eine Fleischwunde. Einen langen Moment schien Lucian mit sich zu ringen, dann wich er ihrem Blick aus.

„Außer, dass wir wissen das wir uns einander lieben, hat sich nichts verändert, oder?“, fragte er, worauf sie leise zustimmte. Er fuhr fort.

„Aber ich würde sehr gerne etwas daran ändern. Ich will...eine Bindung zu dir eingehen.“
Aenna war verblüfft, ließ sich das aber nicht anmerken.

„Naja, ich nehme an nur Freund und Freundin zu sein, reicht dir nicht aus. Also an was hast du gedacht?“, erwiderte sie und ergriff seine Hand.
Sie liebte seine Hände. Groß, beschützend und mit langen Fingern, als wäre er ein Pianist.
Seine Augen richteten sich wieder auf sie und schienen eine Spur dunkler geworden zu sein.

„Das, was ich mir mit dir wünsche hat keinen Namen, Aenna. Ich muss es dir zeigen aber...wenn es erst einmal geschehen ist, lässt es sich nicht mehr rückgängig machen!“
Vielleicht sollte ihr das Angst machen, doch das tat es nicht. Trotz ihres Zustands lächelte sie ihn strahlend an.

„Dann tu' es!“, hauchte sie.
Lucian war sich nicht sicher, ob er damit die richtige Entscheidung traf, doch er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und ließ seine Lippen über ihre gleiten. Aenna erzitterte als sie spürte, wie anders dieser zarte Kuss war. Eine unheimliche Kälte kroch ihr über die Wirbelsäule, dann wurde ihr warm, nahezu heiß.

„Was ist das?“, keuchte sie, als sie dieses...Etwas in ihrem Innreren bemerkte.
Es war riesig und...warm und...warum nur hatte sie das Gefühl, Lucian in ihrem Inneren zu tragen?
Lucian lächelte als er ihr mit den Fingerspitzen über die Wange strich. Seine Fingerkuppen verharrten an ihren Mundwinkel.

„Das ist ein kleiner Teil meiner Seele, Aenna. Pass gut auf ihn auf!“, hauchte er.
Er erhob sich und kehrte ihr den Rücken zu, doch Aenna griff nach seiner Hand, um ihn zurückzuhalten.

Es ist mehr eine seelische Verbindung, als eine körperliche., schien seine Stimme in ihr zu flüstern.

Dadurch, dass du einen Teil meiner Seele in dir trägst, bist du in der Lage zu sehen wie und was ich fühle. Gleichzeitig können wir jederzeit Kontakt zueinander halten. Ich werde sofort spüren, wenn es dir schlecht geht, Aenna. Umgekehrt genauso!
Aenna hielt die Luft an. Wenn das kein Beweis seines Vertrauens war, dann wusste sie auch nicht.
Sie hatte eigentlich nie gewollt das jemand mitbekam, wie sie sich wirklich fühlte oder was sie dachte. Es hätte sie auch bei Lucian stören sollen, das das tat es nicht! Im Gegenteil, sie freute sich über diesen Schritt. Das er ihr einen Teil seiner Seele eingeflößt hatte, war der größte Liebesbeweis den er überhaupt hätte machen können! Sie zog an seinem Arm, da sie ja nicht aufstehen konnte, und reckte sich ein wenig in die Höhe, um ihn an den Schultern zu packen und hinunter zu ziehen.

„Von nun an werden wir keine Geheimnisse mehr voreinander haben, Lucian. Ich hätte nicht gedacht das ich das sage aber...ich bin stolz auf dich. Und ich bin froh, dass du diesen Schritt gewagt hast!“, murmelte sie, dann küsste sie ihn.
Von nun an wäre klar, dass sie keine getrennten Wege mehr gehen würden!

 

 

__23__

 

 

„Darf ich fragen, wo du schon wieder hin willst?“
Camael blieb stehen und drehte sich zu ihrem Bruder um.

„Ich wollte dem Kader der Nephilim einen Besuch abstatten? Was dagegen?“, fauchte sie und blitzte Javiel an. Der Mann ahnte, dass seine Schwester schlecht gelaunt war, also winkte er ab und machte auf dem Absatz kehrt.

„Schon gut. Geh nur. Aber vergiss nicht, uns Bericht zu erstatten.“
Dann war er auch schon verschwunden. Camael biss sich auf die Lippe um zu verhindern, dass sie grinste. Natürlich hatte sie keine schlechte Laune. Ganz im Gegenteil, sie war gut gelaunt.
Doch gelogen hatte sie nicht, sie war in der Tat auf dem Weg zum Kader. Allerdings nicht, um zu sehen was aus den fünf geworden war, sondern um zu sehen was mittlerweile zwischen Aenna und Lucian lief. Leise vor sich hin summend breitete sie an der Himmelspforte schließlich ihre Flügel aus.
Es war viel Zeit verfangen, in der Camael sich viele Gedanken gemacht hatte. Sie war erleichtert, da ihre Brüder tatsächlich still gehalten hatten und Aenna und Lucian in Ruhe gelassen hatten.
Naja, dafür hatte sie ihnen ja auch nicht gesagt, was wirklich zwischen den beiden zu laufen schien.
Doch bald schon würde sie ihnen die Wahrheit sagen müssen, ehe sie es noch von selbst herausfanden. Wenn sie das taten, würden sie Camael nämlich Feuer unter'm Arsch machen und darauf konnte sie wirklich verzichten.
Camael hatte nicht wirklich viel mit dem Mädchen zutun, doch sie musste ehrlich zugeben, dass sie stolz auf die Kleine war. Sie hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass die Sache mit dem Kader so gut laufen würde. Sie war öfters in der Welt der Menschen gewesen, wo sie sich unter den Nephilim umgehört hatte. Sie alle waren zufrieden mit der Situation und stolz auf Aenna, die die Mischlinge sozusagen fast schon regierte. Die Nephilim hatten ihr erzählt, dass mittlerweile schon Wahnsinnige aus dem Verkehr gezogen worden sind. Das war ein Anfang, wie Camael fand. Gut, sie war nicht begeistert davon, dass Aenna und die anderen sie töteten. Doch sie war sich sicher, dass sie eine andere Möglichkeit finden würden diese Mischlinge irgendwie zu „heilen“.
Ja, der Kader hatte definitiv viel Arbeit vor sich, doch Camael war optimistisch. Aenna war eine starke Frau, die schon dafür sorgen würde das alles so lief, wie sie es gerne hätte.
Einige Gedankengänge später hatte Camael das Quartier des Kaders gefunden. Ohne Probleme verschaffte sie sich Zugang. Doch es dauerte nicht lange, da hatte man ihr Eindringen bemerkt.
Zu ihrer Verblüffung war es aber kein Nephilim, der da plötzlich vor ihr stand.

„Lucian!“, hauchte sie, worauf Satan leise lachte.
Er konnte ihr deutlich ansehen, was sie ihn fragen wollte.

„Keine Sorge, ich halte mich so gut es geht aus ihren Angelegenheiten raus. Es sei denn, Aenna steckt in Schwierigkeiten.“, erwiderte er und machte eine Geste mit der Hand.

„Ich hab zwar keine Ahnung was du hier willst aber bitte, komm ruhig mit.“, sagte er, was Camael dann doch misstrauisch werden ließ. Sie folgte ihm, doch behielt ihm ganz genau im Auge.
Plötzlich fiel ihr etwas auf. Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Beine ihr befahlen ihr stehen zu bleiben.

„Lucian. Deine Seele...“, flüsterte sie und deutete auf die Stelle, wo sich dein dämonisches Herz befand. Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des Mannes, als er sich zu ihr umdrehte.
Camael konnte nicht fassen, wie nahezu liebevoll dieses Lächeln war.

„Du kannst also sehen, dass ein Stück von ihr fehlt?“, fragte er, auch wenn er keine Antwort benötigte. Camael antwortete nicht darauf, sondern sah sich hektisch um.

„Wo ist Aenna? Hast du ihr etwa...“
Lucian lachte herzlich und trat zu ihr, um ihr die Hand auf die Schulter zu legen.

„Camael, bitte! Du hast doch geahnt, dass mehr aus Aenna und mir wird. Also reiß dich gefälligst zusammen.“, versuchte er sie zu beruhigen.
Doch der Erzengel riss die Hände in die Höhe.

„Verdammt, Lucian! Ich gönne euch das, wirklich! Aber wenn meine Brüder das raus kriegen, bist du tot!“, zischte sie.
Wieder lachte der Mann. Gut gelaunt ging er weiter.

„Keine Sorge, kleine Schwester. Man kann mich nicht töten. Außerdem kann ich mit dem Zorn unserer Brüder umgehen.“, versicherte er ihr und sah zwinkernd über seine Schulter.
Camael seufzte leise und folgte ihm.

„So hast du mich schon lange nicht mehr genannt.“, murmelte sie. „Kleine Schwester. Also gut, dann wirst du wohl irgendwie damit zurecht kommen müssen, dass meine...unsere Brüder dich hassen werden.“

„Sie hassen mich schon seit Jahrtausenden, Camael. Das stört mich nicht.“

Kaum saß Camael Aenna gegenüber, war sie schon wieder sprachlos. Als sie das Mädchen musterte erkannte sie sofort das Bruchstück von Lucians Seele, welches sich direkt neben ihrer eigenen befand. Auch sah sie nun, wie angeschlagen die junge Frau zu sein schien.

„Was ist passiert?“, fragte sie also, doch es war nicht Aenna die antwortete, sondern Lucian.

„Ein Nephilim hat sie angegriffen und ihr die Brust aufgerissen. Sie hat ihn erledigt aber statt die Wunde zu versorgen, ist sie erst einmal hierher zurückgeflogen.“, erklärte er.
So gut gelaunt der Mann auch eben noch gewesen sein mochte, nun hatte sich ein Schatten auf sein Gesicht gelegt. Camael zog die Brauen hoch. Mir ihrem Blick konnte sie so einiges sehen, auch, wie schwer verletzt Aenna wirklich war. Sämtliches Gewebe um ihre Wunde herum war zerstört, ebenso hatten Sehnen und Muskeln gelitten. Eigentlich hätte es unmöglich sein müssen mit solch einer Verletzung zu fliegen. Doch Aenna hatte es anscheinend geschafft.

„Camael, ist irgendetwas? Ich bin sehr müde und...“
Mehr musste Aenna gar nicht sagen, Camael erhob sich, wenn auch etwas voreilig.

„Kein Problem, ich bin schon wieder weg. Ich wollte nur sehen...ob bei euch beiden alles okay ist.“
Beide grinsten sie an und es war verrückt, wie gesund Aenna dabei aussah.

„Es könnte nicht besser sein.“, sagten beide gleichzeitig, sahen sich an und kicherten leise.
Lucian küsste die junge Frau auf die Stirn und trat dann zu Camael.

„Ich schau später nach dir, Kleines. Ruh dich aus, ja?“
Sie lächelte zwar, blickte den beiden aber doch misstrauisch nach. Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass Camael nur wegen Lucian und ihr hier war.

„Lucian, das ist Wahnsinn! Keiner kann mit solch einer Verletzung fliegen! Warum lebt sie noch?“
Lucian sah weiterhin auf den Boden, während die beiden zum großen Saal liefen.

„Woher soll ich das wissen? Sie ist eben stark! Ich kan selbst nicht glauben, dass...eine so junge Frau wie sie das mal eben so übersteht. Vielleicht steckt hinter ihrer Existenz weitaus mehr, als bisher angenommen? Aber Camael, bist du wirklich nur wegen uns hier oder steckt mehr dahinter?“
Der Erzengel schmunzelte und warf ihm einen kurzen Blick zu.

„Naja. Der Hauptgrund seid wirklich ihr aber mich würde auch interessieren, wie es hier im Kader so läuft. Ich würde auch gerne mit den anderen Nephilim sprechen um zu hören, was so so zu sagen haben.“
Lucian konnte sich mit dem Gedanken nicht richtig anfreunden. Ihm war schließlich klar, dass Camael alles berichten würde. Aber wenn ein Erzengel sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann ließ er auch so schnell nicht locker.

„Hältst du das für eine gute Idee?“, fragte er also und gab seine Bedenken somit preis. „Ich glaube nicht, dass sie dir vertrauen werden.“
Camael neigte den Kopf und sah den Mann unwissentlich an.

„Dir vertrauen sie doch auch nicht, oder? Und du bist auch hier.“
Lucian verzog das Gesicht. Das klang fast schon nach einem Vorwurf! Dennoch zwang er sich, ruhig darauf zu antworten.

„Das Aenna mir vertraut, zwingt die anderen Nephilim auch dazu. Und allmählich scheint es sie nicht mehr all zu sehr zu stören. Ich lasse sie schließlich in Frieden.“
Camael reckte das Kinn vor.

„Wie dem auch sei, ich höre mich hier ein bisschen um. Ob es jemanden stört oder nicht.“
Und damit beendete sie das Gespräch. Doch was sie sich nicht anmerken ließ war, dass ihr noch etwas auf der Seele brannte. Nämlich, dass sie Aenna und Lucian gerne zu ihrem Glück gratuliert hätte. Zugegeben, Lucian und sie waren nie gut miteinander ausgekommen und er hatte auch viele Fehler gemacht, doch immer, sein ganzes Leben lang schon hassten ihn alle. Immer hatten sich alle auf ihn gestürzt und das sowohl verbal, somit also psychisch, als auch physisch. Er hatte es wirklich verdient jemanden gefunden zu haben, der ihn liebte. Nur traute sie sich nicht, dass auch laut zu sagen. So nahe standen sie sich dann doch nicht.
Nur wenige Minuten später befanden sie sich im großen Saal, in dem vier von fünf Nephilim auf ihren Plätzen saßen. Lucian hatte Recht gehabt, wie Camael nun merkte. Sie alle schienen sie nicht sonderlich willkommen zu heißen. Ihre misstrauischen Blicke durchbohrten sie regelrecht.

„Eine, deiner Freundinnen?“, fragte Rasvan, allerdings nicht so feindselig wie Camael es erwartet hätte. Lucian schüttelte schwach lächelnd den Kopf.

„Nein, ein Erzengel. Sie würde gerne mit euch reden. Auf meinen...Schutz müsst ihr aber verzichten, Aenna wartet sicher.“
Und schon war er wieder verschwunden. Camael sah ihm nach. Schutz? Wollte der den Nephilim Angst einjagen? Sie hatte nicht vor ihnen die Seite an ihr zu zeigen, vor der sich so manch einer fürchtete.

„Worüber will ein Erzengel bitte mit uns sprechen?“, fragte die Blondine ihr gegenüber.
Es war Adalia, die Camael fast schon überheblich und arrogant ansah. Lächelnd trat Camael näher an die Truppe heran.

„Ich wüsste gerne, wie ihr mit der ganzen Situation zurecht kommt und ob es etwas gibt, von dem ihr nicht glaubt, das ihr es alleine in den Griff bekommt.“
Enu, der seinen feindseligen Blick ebenfalls nicht ganz unter Kontrolle bekam, seufzte leise.

„Eigentlich hat dich das nichts zu interessieren. Und erst recht keinen Erzengel aber wenn Aenna jetzt hier säße, würde sie dir sicher eine Antwort geben. Und wenn es nur eine halbherzige wäre, aber egal. Wir kommen soweit gut zurecht und es gibt nichts von dem wir glauben, wir würden es nicht irgendwie in den Griff kriegen.“
Zufrieden nickte Camael.

„Gut, gut. Und wie sieht es mit Aenna aus? Wie macht sie sich?“
Enu warf Rasvan einen Blick zu, der dann das Wort übernahm.

„Wir vertrauen ihr. Am Anfang hatte sie Schwierigkeiten mit ihren...Aufgaben aber mittlerweile scheint sie mit allem zurecht zu kommen. Wir sind uns alle einig wenn ich sage, dass wir das wohl nur dem Leibhaftigen höchstpersönlich zu verdanken haben.“
Der Erzengel wurde bei diesen Worten hellhörig.

„Was meinst du damit?“, hakte sie nach.
Rasvans Blick verfinsterte sich als er begann, von Vergangenem zu berichten.

„Lucian hat sich lange nicht blicken lassen und damit kam Aenna nicht zu recht. Es ging ihr wirklich miserabel aber seitdem er wieder da ist, hören wir sie auch wieder lachen. Fakt ist, hätte sie Lucian nicht, hätte sie all das hier, ihr Ziel und ihren Traum, schon längst aufgegeben. Wir haben ihm also einiges zu verdanken!“
Okay, damit hatte Camael nicht gerechnet. Sah ganz so aus, als wäre der Mann mittlerweile wirklich ein völlig anderer Mensch. Oder besser gesagt Dämon. Doch irgendwie freute sie das.
Vielleicht wäre dies die Aussicht, auf ein friedlicheres Zusammenleben von Engel und Dämonen?
Nicht wissend was Camael nun sagen sollte, lief sie auf und ab. Sie machte sich Gedanken darüber, was ihre Brüder wohl zu all dem sagen mochten. Sicher wären sie noch immer gegen den Kader der Nephilim. Erst recht, wenn sie erfahren würden das Lucian und Aenna eine Bindung zueinander hatten, und Satan somit seine Finger mit im Spiel hatte.

„Gibt es noch etwas, das du wissen willst?“, riss Rasvan sie aus den Gedanken.
Gedankenverloren schüttelte Camael den Kopf.

„Nein, ich glaube für's erste war es das. Vielleicht sieht man sich noch mal.“, murmelte sie und machte kehrt, ohne sich zu verabschieden.

„Hoffentlich nicht!“, kam es über Adalias Lippen, doch das kümmerte Camael herzlich wenig.
Zeit, um ihren Brüdern alles zu erzählen...

 

„Zadkiel, jetzt bleib doch stehen!“, rief Camael und versuchte nahezu verzweifelt, ihren Bruder aufzuhalten. Der fuhr plötzlich herum und funkelte sie böse an.

„Nein! Das geht nicht, Camael. Das kann er nicht machen, sie ist nicht mal eine Dämonin!“, brüllte er sie an. Mikael mischte sich ein. Er fand Lucians Entscheidung auch nicht prickelnd.

„Aber eine Halbdämonin.“, sagte er ruhig und unparteiisch. „Ich kann mich mit dem Gedanken nicht anfreunden, dass Lucian ihr einen Teil seiner Seele geschenkt hat aber wir haben nicht zu entscheiden, welche Frau er sich dafür aussucht oder nicht. Findest du nicht, du bist ein bisschen zu streng? Lucian hätte auch mal ein bisschen Glück verdient. Und wenn er Gefühle für das Mädchen hat und sie die auch erwidert, dann ist das nun mal so.“
Camael warf Mikael dankend einen Blick zu. Doch diese Übelkeit die in ihrem Magen aufstieg, wollte nicht verschwinden. Unglücklicherweise ließ Zadkiel nur selten mit sich reden. Er fletschte die Zähne, als er antwortete.

„Ihr versteht es einfach nicht, oder? Lucian ist nicht nur irgendein Mann, der sich scheinbar in einen Nephilim verguckt hat. Er ist der Leibhaftige selbst, versteht ihr das nicht? Diese Tatsache lässt jede Entscheidung die der Kader der Nephilim trifft, gefährlich erscheinen! Was, wenn er in Wirklichkeit die Fäden in der hand hält und alle manipuliert, ohne das es jemand merkt?“
Camael verkniff es sich zu seufzen und versuchte, genauso ruhig zu sprechen wie Mikael.

„Ich habe doch mit allen gesprochen, Bruder! Du weißt, was meine Augen sehen. Glaub mir also wenn ich sage, dass keiner von ihnen gelogen hat. Selbst Lucian hat mir versichert, dass er sich aus ihren Angelegenheiten raushält!“
Zadkiel wandte sich ab und stürmte aus dem Saal.

„Das werden wir ja sehen.“, knurrte er. „Ich dulde diese Beziehung nicht, auf keinen Fall!“
Und damit war seine Entscheidung gefallen.

 

„Hast du schon das Ergebnis der Blutproben?“
Aenna lehnte sich gegen den Labortisch, an dem Enu gerade an einem Mikroskop hing.

„Ja.“, antwortete er nachdenklich. „Sie haben beide eine verblüffende Ähnlichkeit. Aber um eine Bilanz zu ziehen, bräuchte ich noch eine Probe von jemand anderem. Von dir oder den anderen. Oder von mir selbst, wenn es sein muss.“
Aenna lächelte.

„Wenn das so ist...“, sagte sie und ritzte sich mit ihrem Eckzahn die Haut an ihrem Unterarm auf.
Enu zog die Brauen hoch.

„Eine sehr radikale Methode aber nun gut.“, seufzte er und hielt schnell eine Petrischale unter ihren Arm, wo das Blut nur langsam hinein tropfte.

„Was genau für Ähnlichkeiten gibt es?“, fragte Aenna, während sie ihre Wunde ableckte und Enu ihr Blut auf eine kleine Glasscheibe strich. Die legte er dann unter's Mikroskop.

„Beide Nephilim haben...naja, mutierte Blutkörperchen gehabt. Sie waren resistent gegen Erreger oder andere Viren und Keime und ließen sich auch nicht so schnell zerstören. Deine Blutkörperchen sehen auch nicht normal aus aber wenigstens sind sie nicht mutiert.“, erklärte er.
Aenna beugte sich beunruhigt vor. Sie hatte Biologie damals in der Schule gemocht, sie würde also alles verstehen.

„Was heißt, sie sehen komisch aus?“
Enus Mundwinkel zuckten.

„Hol doch bitte die anderen her, in der Zeit schau ich mir mein eigenes Blut an.“
Ohne weitere Fragen zu stellen lief Aenna aus dem Labor. Sie hatte keine Angst davor, dass ihr Blut den Wahnsinn erkennen ließ, viel mehr interessierte sie, welche Möglichkeiten außer normalem Blut noch blieben. Doch wenn Enu bat die anderen zu holen, würde es schon nicht so schlimm sein, oder? Sie hoffte es zumindest. Also ging sie zu den Zimmern der anderen um ihnen zu sagen, sie sollen sich doch bitte im Labor einfinden.
Eine Viertelstunde später saß jeder von ihnen auf einem Hocker. Vier von ihnen sahen Enu erwartungsvoll an.

„Und? Nun rück schon raus mit der Sprache, was hast du herausgefunden?“, fauchte Adalia und rieb sich den Arm an der Stelle, an der der Mann ihr eben Blut abgenommen hatte. Natürlich hatte sie nicht zugelassen, dass bei ihr die gleiche Methode genutzt wurde wie bei Aenna. Also hatte Enu die konventionelle Methode genutzt. Auch Bradie hatte so ihre Probleme gehabt. Noch immer war sie bleich.

„Scheinbar haben Nephilim anderes Blut als Menschen.“, merkte Enu nun an und zeigte ihnen am PC-Monitor ihr Blutbild. Aenna erhob sich und sah sich das genauer an.

„Das ist ja interessant.“, murmelte sie. „Unsere Blutkörperchen sind viel größer als üblich. Dadurch müssten sie in der Lage sehr mehr Sauerstoff zu transportieren. Wie sieht es mit den weißen Blutkörperchen und dem Blutplasma aus?“
Aus den Augenwinkeln heraus sah sie den Mann neben sich wieder an. Dessen Mundwinkel zuckten.

„Ich seh schon, du hast Ahnung. Also so wie es aussieht, sind die weißen Blutkörperchen sehr viel aggressiver und somit effektiver gegenüber Viren und Erregern. Das Plasma ist weitaus zäher als normal, allerdings weiß ich noch nicht, wie sich das auswirkt.“

„Und inwiefern wirkt sich das auf den gesamten Organismus aus?“, fragte Aenna nun.
Enu lehnte sch zurück.

„Es dürfte uns nicht auffallen aber wir atmen weniger als ein normaler Mensch, da das Blut mehr Sauerstoff transportiert. Theoretisch sind wir also auch in der Lage, länger die Luft anzuhalten.“
Rasvan stieß ein Knurren aus und unterbrach somit den Moment.

„Genug über uns gesprochen. Was ist mit den Nephilim, die den Verstand verloren haben? Was für Auffälligkeiten gibt es an ihrem Blut?“
Enu erzählte ihnen das, was er auch schon Aenna gesagt hatte. Nämlich das Krankheiten ihnen nichts anhaben konnten und sie nicht so leicht zu zerstören waren. Doch eine Sache gab es, die Enu noch nicht gesagt hatte.

„Im Übrigen ist noch etwas an ihnen ziemlich seltsam. Ihre DNA war so gut wie identisch. Ich bezweifle, dass das auch so war, bevor sie den Verstand verloren haben.“
Aennas Blick verfinsterte sich.

„Dann kann ich das Protokoll ja erweitern, wie schön. Okay, Enu. Und wie wirkt sich das auf die Nephilim aus?“
Enu sah jeden der Reihe nach an.

„Naja, bis jetzt habe ich noch nicht herausgefunden welche Vor- oder Nachteile es haben könnte. Tatsache ist, dass alle Nephilim nach der „Verwandlung“ gleich sind. Keine Ahnung wie und warum sich das auswirkt. Ich arbeite daran und...“
Noch bevor Enu seinen Satz beenden konnte, war Adalia aufgesprungen und stolzierte auf die Tür zu.

„Macht was ihr wollt, ich habe andere Dinge zutun. Nämlich unser Zuhause schöner zu gestalten!“
Aenna biss sich auf die Lippe um zu verhindern, dass sie laut losprustete.

„Wehe, ich sehe irgendwo eine pinke Wand!“, rief sie ihr hinterher, nicht sicher ob sie es gehört hatte. Doch genau genommen spielte das keine Rolle.

„Bradie, geht es dir gut?“, erkundigte sie sich dann, als sie sah das die Frau mittlerweile einen Grünstich im Gesicht hatte. Die nickte lediglich, dann erhob aber auch sie sich und verließ ebenfalls den Raum. Rasvan seufzte als sein Blick auf Aenna fiel.

„Wie gut, dass du nicht so empfindlich bist.“, murmelte er.
Die Frau grinste und klopfte Enu auf die Schulter.

„Du machst das schon.“

 

Gedankenverloren setzte Lucian auf jedes der Dokumente eine Unterschrift. Totenverträge.
Wie er das hasste. Stunden am Tag verbrachte er damit, diese Teile zu unterzeichnen und dabei waren sie nicht einmal für ihn. Diese Dokumente waren an die Erzengel adressiert, welche von nutzlosen Dämonen überbracht wurden. Anfangs hatte Lucian geglaubt, das Ganze wäre eine Art Kontrolle, doch das war es nicht. Auch die Engel mussten nun mal einen Überblick über die übergebliebenen Seelen haben.
Müde und verspannt unterschrieb Lucian also immer weiter. Doch er ließ sich ablenken, dank des fehlendem Bruchstücks in seinem Inneren. Er brauchte nur in sich zu gehen und schon spürte er, dass es Aenna gut ging. Er lächelte. Scheinbar war sie gerade ebenfalls am arbeiten, er spürte ihre Stimmung. Sie war fast genauso müde wie er. Schon war er wieder konzentrierter bei der Sache.
Wenn Aenna beschäftigt war, würde sie nicht deprimiert in ihrem Bett liegen und ihn vermissen.
Auch wenn er es gerne hatte, wenn sie sich nach ihm sehnte.

„Mylord, warum grinst ihr so?“
Lucian hob den Blick und sah nach langer Zeit mal wieder in Dragans Augen.

„Dragan.“, murmelte er und legte die Schreibfeder beiseite. „Willst du etwas Bestimmtes?“
Der Dämon ihm gegenüber sah nicht gut aus. Er war blass, was bei seiner gebräunten Haut sofort auffiel, und hatte leichte Schatten unter den Augen. Auch schien er nicht wirklich gut gelaunt zu sein, sein Gesichtsausdruck verriet es.

„Ich würde gerne mal nach meiner Tochter sehen. Sie hat viel erreicht, oder?“, sagte er leise, mit monotoner Stimme. Und doch erkannte Lucian sofort, dass Dragan den Wunsch verspürte seine Tochter wirklich wiederzusehen.

„Ja, das hat sie.“, antwortete er nun und lehnte sich zurück. Er konnte nicht verhindern, zu lächeln.

„Es geht ihr gut, Dragan, keine Sorge.“
Sein Lakai neigte misstrauisch den Kopf.

„Habt Ihr noch immer solches Interesse an ihr?“, knurrte er.
Es war falsch seinen König so anzuknurren, das wusste er. Eine Bestrafung würde vielleicht nicht ausbleiben, doch er konnte es einfach nicht unterdrücken. Seit fast einem ganzen Jahr hatte er seine Tochter nun nicht mehr gesehen. War es nicht genug, dass er sie zuvor schon links liegen gelassen hatte? Er hatte ihr schließlich versichert, von nun an für sie da zu sein. Sicher hatte Aenna ihn schon längst wieder vergessen. Was ihm nicht gefiel war, dass Lucian noch immer so grinste.
Schon damals hatte es Dragan nicht gepasst, dass dieser Mann ein offensichtliches Interesse seiner Tochter gegenüber hegte. Doch leider hatte er ihm ja untersagt, in ihre Nähe zu kommen. Und an Befehle hatte er sich leider zu halten, ansonsten kostete ihn das den Kopf.

„Das kann man wohl sagen.“, ertönte nun eine Frauenstimme, am Ende des Saales.
Es war Fraya, die nun auf die beiden Männer zukam und vor Lucians Schreibtisch stehen blieb. Sie sammelte die ganzen Papiere ein und warf Dragan dabei einen Blick zu.

„Du hast echt eine Menge verpasst, Dragan. Lucian hat einen Teil seiner Seele in deine Tochter gesetzt. Von nun an gehören die beiden zusammen.“
Dragan öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. Lucian dagegen amüsierte sich prächtig.

„Verrat doch nicht alles, Fraya! Das sollte doch eine Überraschung werden!“, schnurrte er und sah seinen Lakaien überlegen an. Dieser wusste ganz genau, dass er ihm nichts entegegen zu setzen hatte. Dennoch stieg ein Knurren in seiner Brust auf.

„Aenna ist meine Tochter, verdammt! Sie ist keine zwanzig Jahre alt, das könnt ihr nicht machen!“
Mit einem Schlag war Lucians Miene todernst. Seine Stimme schnellte wie ein Peitschenhieb durch die Luft, nichts als Verachtung war herauszuhören.

„Was ich kann und nicht weiß ich selbst am besten, Dragan. Meinetwegen geh zu ihr, ich kann dir aber jetzt schon sagen, was sie dir erzählen wird. Und nun geh mir aus den Augen!“
Ohne sich zu verneigen oder geschweige denn etwas darauf zu erwidern, verließ Dragan den Saal.
Fraya hingegen lächelte den Dämonenfürsten sanft an.

„So gewöhnungsbedürftig ich die Kombination von Satan und einem Nephilim auch finde aber ich freue mich für Euch, Lucian. Aenna ist eine Frau, der man vertrauen kann. Ihr habt es verdient!“
Lucian sah sie schräg an und wollte fragen, was solche Worte sollten, doch er blieb ruhig.
Stattdessen freute er sich einfach darüber, dass jemand anders ihm solch Erfahrungen gönnte.
Von einer Sekunde auf die andere schien ein Stromschlag die beiden aufgeschreckt zu haben.

„Verschwinde, Fraya!“, knurrte Lucian laut.
Das ließ die Frau sich nicht zweimal sagen. So schnell sie konnte raffte sie die Papiere zusammen und machte sich aus dem Staub. Denn das was kam, wollte sie nicht miterleben.
Kaum war Lucian alleine, wurde die Tür auch schon wieder mit einem lauten Krachen aufgeschlagen. Da braute sich definitiv ein Sturm zusammen.
Als Lucian den Dolch auf sich zukommen sah, duckte er sich weg. Mit einem leisen Surren blieb die Klinge in der Lehne seines Thrones stecken. Mit zuckenden Mundwinkeln nahm Lucian den Dolch zur Hand und spielte mit der Klinge.

„Eine schöne Begrüßung. Hallo, Zadkiel.“, knurrte er.
Der Erzengel breitete seine Flügel aus und stürzte nach vorne, um Lucian in einen Nahkampf zu verwickeln. Es gelang ihm.

 

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Ein Stich in Aennas Herzen ließ sie die Augen aufreißen.

„Lucian!“, hauchte sie und strich sich einige Strähnen ihres Haares aus dem Gesicht.
Verwirrt sah sie sich um. Sie war eingeschlafen und das, während sie am Protokoll geschrieben hatte. Sie versicherte sich schnell, dass keine Tinte verlaufen war oder sie etwas durcheinander gebracht hatte, dann widmete sie sich wieder sich selbst. Sie legte sich die Hand auf die Brust und spürte ihren zu schnellen und zu kräftigen Herzschlag.

„Er hat Schmerzen.“, murmelte sie erschrocken als sie diesen Schmerz in sich spürte.
Sie wusste instinktiv, dass Lucian in Schwierigkeiten war. Er hate ihr also die Wahrheit gesagt. Sie konnte fühlen, was passierte. Umkehrt konnte er das genauso!
Sie erhob sich so plötzlich, dass der Stuhl polternd umfiel.

„Aenna?“, ertönte es an der Tür, dann streckte Rasvan seinen Kopf hindurch. „Hier ist ein Mann, der behauptet dein Vater zu sein.“
Aenna war bereits dabei zu verschwinden, doch dann hielt sie inne.

„Verdammt!“, knurrte sie, dann stand ihr Erzeuger auch schon vor ihr.
Allerdings war er nicht so gut gelaunt, wie sie es erwartet hätte. Er kam auf sie zu und packte sie an den Schultern.

„Aenna, bist du denn des Wahnsinns? Was denkst du dir eigentlich dabei, dich auf diesen Mann einzulassen?“
Aenna stieß einen Wutschrei aus und stieß ihren Vater zurück.

„Dafür hab ich jetzt keine Zeit!“, brüllte sie. „Dieser Mann ist in Gefahr!“
Ohne auf Verluste zu achten, stieß sie auch Rasvan brutal zur Seite. Sie lief los, eine Zeit lang völlig umsonst denn ihr wurde klar, dass sie ja in der Lage war Portale zu öffnen. Sie horchte wieder auf das Gefühl in ihrem Inneren und wusste, dass Lucian in seinem Reich war. So öffnete sie also ein Portal nach Walhalla.

Kaum in Walhalla angekommen, verharrte Aenna erst einmal regungslos. Es herrschte Totenstille, weshalb sie in sich horchte. Noch immer war da dieser Schmerz, so langsam schnürte er ihr selbst die Luft ab. Ohne groß zu überlegen wusste sie, dass Lucian sich im Saal befand. Also rannte sie los. Was sie irritierte war, dass sie keinem Dämon begegnete.
Aenna rannte weiter und als sie den großen Saal erreicht hatte, stieß sie kraftvoll die massive Tür auf. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie die dort ablaufende Situation erfasst hatte.

„Zadkiel!“, knurrte sie und lief los, zu Lucian, der am Boden kniete und Blut hustete. Besorgt strich sie ihm die schweißnassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sie fragte gar nicht erst ob es ihm gut ging, die Antwort hatte sie bereits.
In seiner Brust klaffte ein langer und tiefer Schnitt. Es war eine ähnliche Verletzung, wie ihre eigene vor ein paar Wochen. Nun war klar, warum sie diesen Schmerz in sich verspürte.

„Was machst du hier, verdammt?“, knurrte er, sodass Zadkiel es nicht hörte. „Das ist zu gefährlich!“
Aenna lächelte liebevoll und stützte ihn ein wenig.

„Du weißt genauso gut wie ich, dass ich nicht wieder gehen werde.“, erwiderte sie.
Ohne seine Antwort abzuwarten richtete sie sich wieder und wandte sich an den Erzengel.

„Was ist hier überhaupt los?“, knurrte sie nun.
Zadkiel war noch immer außer sich. Aenna sah einen Dolch in seiner Hand aufblitzen, weshalb sie vorsichtig blieb.

„Dieser Mann kann dir nicht einfach einen Teil seiner Seele geben. Das dulde ich nicht!“, brüllte er. Lucian wollte antworten, doch es kam nur ein Keuchen über seine Lippen.

„Das hast du nicht zu bestimmen.“, knurrte Aenna und zog vorsorglich ihr Schwert. In diesem Moment war sie wirklich dankbar dafür, dass sie regelmäßig mir Rasvan trainierte.

„Lucian entscheidet selbst wem sich anvertraut und kein anderer. Camael hatte erwähnt, dass man nicht mit ihren Brüdern reden kann. Also verschwende ich wohl nur meine Zeit, was?“
Ohne das sie es bemerkte, war Lucian plötzlich hinter sie getreten. Sein Griff an ihrer Schulter war überraschend fest. Sie setzte bereits zu neuen Worten an, doch er schnitt ihr das Wort ab.

„Vergiss es, Aenna!“, knurrte er. „Wenn selbst ich so verletzt bin, hast du keine Chance!“
Misstrauisch betrachtete Zadkiel die beiden. Trotz der Situation wirkten die beiden vertraut miteinander. Nie hatte Zadkiel jemanden gesehen, der Lucian so nahe kommen durfte. Das Mädchen drehte sich zu dem Mann um und reckte das Kinn vor.

„Vertrau mir, Lucian! Du bist nicht in der Lage diesen Kampf weiterzuführen, also werde ich das an deiner Stelle übernehmen.“
Lucian sah ein, dass er keine Chance hatte Aenna das auszureden. Er vertraute ihr, ja aber er war so schwer verletzt, dass Aenna da nicht viel bessere Aussichten hatte. Wortlos trat er also einige Schritte zurück. Aenna drehte sich wieder um und musterte den Erzengel.
Nun erst fiel ihr auf, wie fertig auch dieser Mann zu sein schien. Er hustete sich unauffällig in die Hand, doch ihr entging nicht das Blut, welches langsam durch seine Finger rann.

Du hast gute Arbeit geleistet, Lucian. So wie es aussieht, hat er innere Verletzungen, die mir jetzt zugute kommen., dachte sie.
Sie wusste das Lucian ihre gedachten Worte hören würde, dank des Seelensplitters.
Feindselig starrten Zadkiel und Aenna sich also an.

„Du bist wahnsinnig, Kind! Wie kannst du dich nur einfach, ohne zu zögern auf diesen Mann einlassen? Ist dir nicht klar, dass er dir mir mit Leichtigkeit das Genick brechen könnte?“

Pure Verachtung und Hass erklang in der Stimme des Erzengels. Aenna ließ das nicht an sich heran. Ein zartes Lächeln schmückte ihr Gesicht.

„Vielleicht traut ihr Erzengel diesem Mann nicht aber ich tue es. Du magst Recht haben, er könnte mich jederzeit töten aber ich weiß, dass er es nicht tut. Ich verlasse mich auf ihn und im Gegenzug kann er sich auch auf mich verlassen.“
Zadkiel schüttelte über diese Dummheit den Kopf.

„Das dulde ich nicht!“, knurrte er, dann warf er den Dolch auch schon in ihre Richtung. Aenna wehrte ihn mit dem Schwert ab und ging dann zum Angriff über.
Sie stürzte nach vorne, wobei sie darauf achtete ihre Flügel im Rücken zusammen gefaltet zu lassen. Sie wollte ihm keine Angriffsfläche bieten und die Flügel wären dazu ideal gewesen, da sie definitiv zu den empfindlichsten Stellen gehörten. Zadkiel schien allerdings schon gar nicht mehr daran zu denken und hielt mit seinen Schwingen sein Gleichgewicht, während er einen Schwerthieb von Aenna parierte. Aennas Mundwinkel zuckten als sie blitzschnell mit einem Arm um den Mann herum griff und ihm dabei mit seinem eigenen Dolch den Flügel aufritzte.
Zadkiel stieß ein Brüllen aus, wobei seine Beine einknickten. Diesen Moment nutzte Aenna natürlich aus. Sie trat hinter ihn, beugte sich vor und hielt ihm das Schwert an die Kehle.

„Vielleicht hätte ich unter normalen Umständen keine Chance gegen dich aber in diesem Moment bin ich dir überlegen.“, knurrte sie.
Leider war sie zu voreilig. Zadkiel lachte bitter und trieb dem Mädchen eine weitere Klinge durch den Fuß. Aenna stieß einen Schrei aus. Der plötzliche Schmerz hatte sie erschreckt. Zadkiel war im Nu wieder auf den Beinen und trieb ihr sogleich die nächste Klinge in den Bauch. Sie schaffte es einen weiteren Schrei zu unterdrücken, allerdings konnte sie spüren, wie das Blut in ihrem Magen aufstieg. Sie übergab sich, dachte aber nicht daran aufzugeben. Plötzlich ließ Zadkiel von ihr ab und stürzte wieder auf Lucian zu.

„Nein!“, schrie sie, breitete ihre Flügel aus und preschte nach vorne. Sie nahm ihre letzten Kräfte zusammen und postierte sich vor Lucian, dann hob sie ihr Schwert und wehrte Zadkiels Angriff ab.

„Komm ihm nicht zu nahe!“, knurrte sie mit dunkler Stimme und versuchte, den Mann irgendwie zu verletzen. Sie atmete tief durch und stieß Zadkiel zurück, dann vesetzte sie ihm eine Hieb mit ihrer Klinge. Das Metall bohrte sich durch seine Brust, nur wenige Zentimeter neben seinem schwach schlagenden Herzen. Er hustete, würgte und rühte sich keinen Millimeter, in der Angst, die Klinge könnte sich bis zu seinem lebenswichtigen Organ ducharbeiten.
Wieso steht sie noch auf den Beinen?, dachte er geschockt und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an.

„Lass uns gefälligst in Ruhe, Zadkiel! Wir haben euch nichts getan.“, knurrte sie nun und ruckelte ein wenig wenig an dem Schwert.

„Entweder ziehst du Leine oder...“
Das schmatzende Geräusch seines Fleisches ertönte, in seinem Hals bildete sich ein Schrei. Der Schmerz wurde immer präsenter, lange hielt er das nicht mehr durch. Wie kam es da, dass Aenna noch so bei Verstand war? Sie müsste schon längst das Bewusstsein verloren haben, bei der Menge an Blut die sie verloren hatte. Wenige Augenblicke richtete sich sein Blick auf Lucian. Er wirkte apathisch, so, als würde er den Moment gar nicht richtig miterleben. Keine Frage, auch er stand kurz vor dem Bewusstseinsverlust. Ist diese Frau doch viel stärker, als angenommen?
War sie wirklich nur eine unbedeutende Nephilim?
Aenna atmete schwer. Lange hielt sie nicht mehr durch, sie musste also eine Entscheidung fällen. Tötete sie den Erzengel oder gewährte sie ihm Gnade? Wenn sie ihn jetzt nicht umbrachte, wäre es vielleicht zu spät und sie würde keine weitere Chance kriegen, sollte es noch einmal darauf ankommen. Allerdings konnte sie nicht einfach so einen Erzengel umbringen! Er war doch eigentlich so mächtig...

Lucian?, dachte sie, erhielt aber keine Antwort. Das Seelenbruchstück in ihrem Inneren verriet, dass ihr Liebster kaum noch bei Bewusstsein war. Sie musste diese Entscheidung also alleine treffen.
Ohne groß darüber nachzudenken, zog sie die blutverschmierte Klinge also aus ihm heraus. Würgend fiel der Erzengel auf die Knie.

„Verschwinde, Zadkiel! Und lass dich ja nie wieder blicken.“, raunte sie und stieß ihn mit dem Fuß an. Ohne en Wort zu verlieren löste sich der Erzengel in Luft auf. War das Telportation?

„Lucian!“, hauchte Aenna nun und fiel vor ihm auf die Knie. „Lucian, kannst du mich hören?“, knurrte sie und schüttelte ihn, doch er gab keine Antwort.

„Halt durch, Geliebter.“, flüsterte sie, dann legte sie den Kopf in den Nacken.

„Fraya, beweg sofort deinen Arsch hierher!“, schrie sie aus tiefster Seele, dann wurde ihr schwarz vor Augen.

 

„Wir haben ihm gesagt, dass er es lassen soll. Aber er wollte ja nicht hören.“, murmelte Mikael.
Camael vergrub das Gesicht in den Händen.

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass Aenna so weit für Lucian gehen würde.“, murmelte sie.
Sie fühlte sich schuldig und verbergen konnte sie das nicht wirklich. Mikael lächelte sanft.

„Du hast dir keine Vorwürfe zumachen, Camael. Zadkiel ist selbst Schuld, er hätte nicht versuchen dürfen die beiden zu töten. Wir können froh sein, dass Aenna so gnädig war ihn am leben zu lassen. Ich wette, sie hätte ihn furchtbar gerne erledigt. Aber sie wusste, dass es besser war es nicht zutun. Sie weiß was sie tut und ich wünschte, ich könnte das Gleiche von unserem Bruder behaupten.“
Das Gespräch war beendet. Zadkiel lag seit einigen Stunden im Tiefschlaf, doch das war bei seiner Verletzung kein Wunder. Eine Heilerin hatte ihn versorgt und festgestellt, dass die Klinge sein Herz bereits erwischt hatte. Zwar würde er überleben aber einigen Erzengeln war das nur ein schwacher Trost. Ihr Brüder würde erst einmal für einige Monate außer Gefecht gesetzt sein. Doch vielleicht wäre das besser so? Dann würde für's erste wenigstens Ruhe einkehren...

 

Lächelnd legte Fraya dem Mädchen eine Decke über die Schultern. Schon seit Stunden lag sie mit dem Oberkörper auf dem Bett, in dem Lucian seelenruhig schlief. Und das, obwohl sie selbst im Bett liegen sollte.
Es war bemerkenswert, wie selbstverständlich Aenna Lucian mit ihrem Leben beschützt hatte.
Ja, Fraya hatte das Ganze zwischen ihnen nicht für gut befunden, doch mittlerweile hatte sie ihre Meinung geändert. Aenna tat dem Mann gut und das war nicht nur für sie erkennbar, sondern auch für alle anderen. Die Nephilim war stärker geworden, Lucian jedoch sanfter. Sie ergänzten sich und Fraya war sich sicher, dass es zwischen den beiden nicht zu Ende gehen würde.
Nichts desto Trotz war die Dämonin besorgt. Aenna hatte viel zu unüberlegt gehandelt, auch wenn ihre Liebe gegenüber Lucian sie dazu gebracht hatte.
Wäre Zadkiel dank Lucian nicht so verwundet gewesen, hätte Aenna möglicherweise mit ihrem Leben bezahlen müssen.
Lange betrachtete Fraya die beiden. Lucians Verletzung war recht übel gewesen. Viel Gewebe, Sehnen und Muskeln wurden in Mitleidenschaft gezogen. Das Gute an der Sache war, dass er als Teufel eine wahnsinnig schnelle Genesung genießen durfte. Seine Wunden kurierten sich von selbst in nur wenigen Stunden oder Tagen aus, ohne das irgendwelche Schäden oder sichtbaren Makel zurückblieben. Aenna hingegen hatte es nicht so leicht. Laufen konnte sie kaum, lediglich humpeln.

Das der Erzengel ihr den rechten Fuß durchbohrt hatte, war keine Kleinigkeit. Ein paar Knochen waren zertrümmert und etliche Sehnen durchgerissen. Von alleine würde da nichts mehr zusammenwachsen, Lucian würde sich was einfallen lassen müssen, ansonsten würde sie nicht mehr richtig laufen können. Das er der Teufel war, bietete ungeahnte Möglichkeiten. Irgendwie würde er es schon schaffen, sie zu heilen. Außerdem war ihr Fuß nicht das einzige Problem.
Es war wirklich ein Wunder, dass sie noch am leben war. Zadkiel hatte gnadelos eine Klinge durch sie hindurchgejagt. Fraya kannte sich einigermaßen mit solchen Verletzungen aus, sie hatte es geschafft das Loch in ihrem Bauch zu schließen, die dicke Narbe die zurückbleiben würde, konnte sie ihr aber nicht nehmen. Aenna war nicht bei klarem Verstand gewesen als Fraya sie versorgt hatte aber das Mädchen hatte ihr versichert, es nicht bereut zu haben sich dem Erzengel in den Weg gestellt zu haben. Sie sagte, sie könne mit Narben leben aber nicht mit der Gewisstheit, zugelassen zu haben das Lucian verletzt wurde. Fraya hatte nichts dazu gesagt, sondern lediglich gelächelt.
So unsicher dieses Kind auch früher mal gewesen sein mochte, mittlerweile wusste sie wofür sie kämpfte. Aber vor allem wusste sie, warum sie es tat.
Fraya hätte nicht geglaubt, dass Aenna solch eine Wandlung durchmachen würde. Damals bei Bastien war sie so verdammt unsicher gewesen. Wie ein kleines Kind hatte sie geträumt. Davon, dass Bastien und sie nicht nur etwas am laufen hatten, sondern wirklich einmal eine ernsthafte Beziehung mit ihm führen würde. Doch Fraya und Caya hatten von vorneherein geahnt, dass das nicht so einfach war.
Nun hingegen schien Aenna reifer geworden zu sein. Sie hatte gewusst, worauf sie sich mit Lucian einließ. Am Anfang hätte sich keiner von ihnen träumen lassen, was sich mal zwischen den beiden entwickeln würde. Am Anfang war es nur Faszination gewesen, von beiden Seiten. Sie fühlten sich gleichermaßen von einander angezogen und hatten sich gar nicht erst dagegen zur Wehr gesetzt, sondern gleich etwas miteinander angefangen. Und während das dann zwischen ihnen lief, hatten beide irgendwann feststellen müssen, dass sie sich viel mehr wünschten.
Frayas Augen trübten sich, während sich ihr Blick auf Lucian richtete.
Er hatte schon so viele Frauen gehabt und sie alle waren immer recht hübsch gewesen. Sie persöndlich fand Aenna um einiges hübscher als die, die er schon gehabt hatte. Doch sie fragte sich, warum Lucian ausgerechnet bei Aenna so...bedacht war. Es hatte ihn einen Dreck gekümmert wie die ganzen Frauen sich gefühlt hatten, wenn er sie abserviert hatte. Er vögelte sie, dann hatte er genug von ihnen und schickte sie fort. So war es immer abgelaufen. Aber Aenna gegenüber war er einfach nur...ein normaler Mann. Was hatte diese junge Frau an sich, dass Lucian bereit war sich so zu verändern?

„Genug darüber nachgedacht.“, murmelte Fraya und erhob sich.
Sie verließ das Zimmer und schloss dabei die Tür so leise wie möglich. Sie war gespannt darauf, wann es hier laut werden würde. Sicher würde Lucian Aenna eine Szene machen...

 

Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Er wusste nicht ob er beeindruckt sein, oder vor ihrer Dummheit den Hut ziehen sollte. Lucians Blick ruhte auf Aenna, die mit ihrem Oberkörper und verschränkten Armen auf seinem Bett lag. Sah so aus, als würde sie schlafen.
Der Mann seufzte leise und strich ihr übers Haar. Dann begann er, den Brief in seiner Hand zu lesen. Der Handschrift nach, hatte ihn Fraya geschrieben.

 

Mylord, tut mir leid das ich Euch diesen Zettel hinterlegt habe und kein persönliches Gespräch mit Euch führe aber ich habe schließlich auch noch andere Dinge zu erledigen.

Erst einmal erfreulich, dass Ihr wieder wach seid. Ihr habt mehrere Tage durchgeschlafen, weshalb Ihr euch wahrscheinlich vollkommen erholt habt. Bei Aenna sieht das Ganze allerdings schon wieder anders aus...

 

Er las sich die zwei Seiten durch, bis der Zettel schließlich aus seiner Hand fiel. Erneut richtete sich sein Blick auf die junge Frau.

„Aenna, wach auf.“, sagte er ausdruckslos und schüttelte sie ein wenig an der Schulter.
Unter einem leisen Stöhnen richtete sie sich auf.

„Lucian.“, hauchte sie verschlafen, dann riss sie die Augen auf. „Lucian!“
Schon hang sie ihm um den Hals. Im ersten Moment erwiderte der Mann die Umarmung, dann ließ Aenna ihn ruckartig los. Sie konnte fühlen, wie Lucian gerade drauf war. Und seine Stimmung war von einer Sekunde auf die andere umgeschlagen. Sie wusste ganz genau, was jetzt kommen würde!

„Wie kannst du es wagen, dich in meinen Kampf einzumischen?“, knurrte er düster.
Er war sauer auf Aenna, doch er hatte einige Zeilen aus Frayas Brief im Hinterkopf. Sie hatte ihm geschrieben, was Aenna ihr gesagt hatte als sie ihre Wunde versorgt hatte. Nämlich, dass sie nicht eine Tat bereute. Auch wenn das bedeutete, möglicherweise ihren Kopf zu verlieren. Lucian liebte sie dafür, wirklich! Aber sich in einen seiner Kämpfe einzumischen, ging einfach zu weit! Aennas Blick war klar, doch der Mann erkannte die Sturheit in dem flüssigen Gold.

„Du warst am Ende, Lucian. Zadkiel wahrscheinlich auch aber hätte ich zulassen sollen, dass er dir den Gnadenstoß verpasst?“, antwortete sie in sachlichem Tonfall und verschränkte die Arme.
Lucian verzog das Gesicht.

„So schnell kann man den Teufel nicht töten, Aenna. Im Gegensatz zu einer Nephilim, die fast dabei drauf gegangen wäre.“
Lucians Stimme ging in ein Brüllen über. Aenna erwiderte nichts darauf. Ihr war klar, dass sie viel zu unüberlegt hatte aber ihr Leben war ihr in diesem Moment völlig egal gewesen. Lucian war ihr wichtiger gewesen! Also senkte sie den Blick und ließ die Predigt über sich ergehen. Zumindest wollte sie das, jedoch blieb die aus. Stattdessen wedelte Lucian mit der Hand.

„Zieh dich aus.“, sagte er leise.
Aenna blinzelte verwirrt und zog die Brauen hoch.

„Was?“, murmelte sie. Der Blick Satans trübte sich.

„Lass mich deine Verletzungen sehen, Liebes.“, bat er leise.
Mit gemischten Gefühlen knöpfte Aenna sich das Hemd aus, das Fraya ihr angezogen hatte.
Kaum das alle Knöpfe offen waren, kam die hässliche und breite Naht zum Vorschein, welche Zeuge ihrer schweren Verletzung war. Atemlos kam Lucian ihr näher. Er berührte ihre Verletzung nicht, sondern zog sie in seine Arme und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals.

„Es tut mir so leid, meine Schöne! Meinetwegen geht es dir schlecht, genau das wollte ich verhindern.“, murmelte er heiser.

Aenna hielt verblüfft inne und schob den Mann ein Stück zurück.

„Lucian!“, flüsterte sie.
Die Augen des Mannes glänzten feucht und seine Mundwinkel zuckten nach unten. Seine heisere Stimme war der Beweis, dass er zusätzlich einen aufsteigenden Schluchzer zu unterdrücken versuchte.

„Shht, ist gut.“, hauchte sie und drückte ihn wieder an sich. „Ich lebe, Lucian. Es geht mir gut und dadurch das es dir auch gut geht, geht es mir noch besser.“
Nun begann auch ihre Stimme zu zittern. Auch ihr stiegen die Tränen in die Augen. Das sie so höllische Schmerzen hatte war ihr völlig egal, sie war nur so unglaublich erleichtert, dass ihr Mann wohlauf war. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter und küsste Lucian schnell auf die Stirn.

„Ich liebe dich über alles, Lucian! Ich lasse nicht zu, dass man dich mir wegnimmt.“
Lucian seufzte und legte seinen Kopf auf ihrer Schulter ab.

„Ich liebe dich auch, Aenna. Und ich sorge dafür, dass man dich nicht mehr so verletzt!“

 

„Aenna, es gibt ein weiteres Opfer.“
Die Nephilim wandte ihren Blick von der Gasse vor ihr ab und sah zurück zu Rasvan, der auf einen Müllcontainer deutete. Aenna ging zu ihm und zog fragend die Braue hoch.

„Da drinnen?“, fragte sie und deutete auf den dunkelgrünen Container. Der Deckel war nicht ganz geschlossen, weshalb ihr bereits ein beißender Gestank entgegen kam. Rasvan nickte.

„Ja. Eine Frau und dazu...“
Er verstummte und überließ es Aenna, die Details herauszufinden. Aenna verkniff es sich zu seufzen. Momentan kamen immer mehr Wahnsinnige Nephilim aus ihren Verstecken hervor.
Einige waren bei ihnen im Quartier aufgetaucht aber auch ihnen hatte der Kader nicht helfen können. Einige hatten sie eingesperrt aber sobald die Nacht anbrach, verloren sie die Kontrolle.
Und da der Kader immer noch keinen Schritt weiter war, mit ihren Forschungen, blieb ihnen nichts anderes übrig als ihnen das Leben zu nehmen. Alle fünf fragten sich, warum nicht mehr Nephilim sich bei ihnen meldeten. Stattdessen mussten Rasvan und Aenna Nachts losziehen und ihnen nachjagen. Lustig war das sicher nicht, doch Aenna betrachtete es mittlerweile als zusätzliche Trainingseinheiten.
Ohne groß zu überlegen klappte sie den Deckel des Containers nach oben, dann fiel ihr Schwert mit einem Scheppern zu Boden.

„Celeste!“, keuchte sie und schlug sich die Hand vor den Mund.
Aenna ging in die Hocke und versuchte, die aufsteigende Galle hinunterzuschlucken. Nun war ihr klar, warum sie seit damals nichts mehr von ihrer Mutter gehört hatte. Aenna gab zu, sich seitdem nicht mehr mit Celeste beschäftigt zu haben. Aber das sie nun tot war, war dennoch ein Schock für sie. Diese Frau war nicht schwach gewesen, ganz im Gegenteil. Sie war durchtrieben und das ein Nephilim sie getötet haben sollte, bedeutete das ein Wahnsinniger nicht so dumm war, wie sie bisher angenommen hatten.

„Du kennst diese Frau?“, fragte Rasvan leise und ergriff ihre Oberarme, um sie wieder hochzuziehen. Aenna schüttelte kräftig den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.

„Sie war meine Mutter.“, antwortete sie leise. Rasvan zog die Brauen hoch. Der verbitterte Unterton in ihrer Stimme war ihm nicht entgangen. Aenna klappte den Deckel des Containers wieder zu und kehrte ihm den Rücken zu.

„Rasvan, dieser Nephilim scheint gerissen zu sein. Meine Mutter war hinterhältig, sie hätte sich nicht einfach von einem Nephilim töten lassen.“, murmelte sie und griff nach ihrem Schwert.
Zielsicher steuerte sie auf die Gasse zu. Die Reaktion von Aenna überraschte den Mann mittlerweile nicht mehr. Er sah ihr an, dass sie kein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt hatte.

„Du interpretierst da zuviel hinein, Aenna. Wahrscheinlich hat der Mischling sie einfach überrascht und ehe sie sich versah, war es zu spät.“, sagte er und trottete aufmerksam hinter ihr her.

„Das wäre natürlich auch möglich. Aber ignorieren können wir das nicht, wir werden also aufpassen müssen und mal wieder einige Proben mitnehmen müssen.“, murmelte Aenna und verschwand im Schatten der Gasse.
Oder wir töten den Nephilim nicht, sondern nehmen ihn einfach mit., teilte Rasvan, der einige Meter hinter ihr blieb, per Gedanken mit.
Vielleicht wäre das in diesem Falle wirklich besser., dachte die junge Frau leise und hielt inne, als sie ein Schlurfen nicht weit vor ihr hörte. Augenblicklich drückte sie sich an die Wand der Gasse.
Sie teilte Rasvan mit, dass er zurück bleiben sollte, dann spähte sie hinaus in die Dunkelheit.
Vor ihr schlurfte der Nephilim, die langen Klauen vor Blut triefend.
Aenna hielt die Luft an und machte einen Satz nach vorne, wobei sie ihm die Klinge durch den Oberkörper trieb. Der Nephilim knurrte und gurgelte, während Aenna die Klinge fest gepackt hielt.
Natürlich versuchte der Mischling sie loszuwerden, doch die junge Frau hatte die Situation im Griff, sie wollte schon nach Rasvan rufen, dann änderte sie aber ihre Meinung und zog das Schwert aus dem Nephilim heraus. Dieser wirbelte herum und streckte gierig die Klauen nach ihr aus, doch Aenna blieb souverän und enthauptete ihn mit einer geschmeidigen Bewegung.
Nur wenige Sekundenbruchteile später stand Rasvan neben ihr.

„Was sollte das? Ich dachte, wir nehmen ihn mit?“
Mit leerem Gesicht drehte Aenna sich um und breitete ihre Flügel aus.

„Nicht nötig. Meine Mutter war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.“, erwiderte sie kühl und schwang sich in die Luft. Seufzend sah Rasvan ihr nach, dann richtete sich sein Blick auf das Martyrium zu seinen Füßen.

„Und ich darf mal wieder den Dreck beseitigen.“, murmelte er und machte sich an die Arbeit.

 

„Mylord, ich würde mich gerne bei Euch entschuldigen.“
Lucian sah auf und blickte direkt in Dragans Augen. Überrascht zog er die Brauen hoch, denn damit hatte er nicht gerechnet. Meinte er etwa...

„Aenna ist alt genug um zu entscheiden, welchen Männern sie sich hingibt. Und welche Frau Ihr wählt, geht mich nichts an.“, fuhr er auch schon fort, wobei Lucians Gedanke bestätigt wurde.

„Schöner hättest du es nicht ausdrücken können.“, erwiderte Lucian amüsiert und wartete, ob sein Lakai ihm noch etwas zu sagen hatte. So war es dann auch.

„Ich habe gehört, was passiert ist.“, sagte er dann leiser und senkte den Blick. „Geht es Aenna gut?“
Lucian lächelte und neigte den Kopf und deutete dann mit der Hand auf den Tisch, an den sich Dragan setzen sollte. Er tat es, ohne Fragen zu stellen.

„Es scheint ihr gut zu gehen, keine Sorge. Lass dir eines gesagt sein, Dragan. Ich würde Aenna niemals in Gefahr bringen und es tut mir leid, dass ich nicht verhindern konnte das sie verletzt wurde. Aber statt uns um sie zu sorgen, sollten wir daran denken was für eine mutige und starke Frau sie ist.“, erklärte Lucian und ließ sich ebenfalls an dem Tisch nieder, genau gegenüber von seinem Untertan. Dieser sah ihn verblüfft an.

„Ihr entschuldigt euch?“, murmelte er.
Satan nickte.

„Ja. Als ich erfahren habe, welch schwere Verletzungen Aenna davongetragen hat, war ich außer mir. Sie rennt ohne nachzudenken in ihr verderben und das nur, weil sie meint sie müsse mich beschützen. Dabei kann ich gut auf mich selbst aufpassen. Aber was soll ich sagen, Frauen eben!“
Lucian lachte leise und ausnahmsweise stimmte auch Dragan mit einem leisen Kichern ein.

„Sie ist also noch immer so temperamentvoll.“, murmelte er dann und sah auf seine Hände.

„Sie hat auch ihre liebevollen Momente.“, schmunzelte Lucian, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde.

„Lucian, hast du meinen Vater...“
Aenne brach mitten im Satz ab und blieb stehen.

„Da bist du ja.“, murmelte sie und setzte sich wieder in Bewegung.
Eilig lief sie zum Tisch, an dem sie sich dann neben Lucian niederließ. Lucian betrachtete sie.
Er konnte ihre innere Unruhe in sich selbst spüren und wurde selbst ganz nervös dadurch.
Sie spielte ein wenig an ihren Händen und hielt den Blick gesenkt, was auch Dragan komisch vorkam.

„Was ist los?“, drängte er also.
Aenna atmete tief durch, dann hob sie den Blick.

„Celeste ist tot.“
Für einen Augenblick schien die Zeit still zu stehen. Dragans Mund öffnete sich, doch kein Ton kam heraus. Lucian legte seine Hand auf Aennas Schulter sah sie mit zusammen gekniffenen Augen an.

„Bist du dir sicher, Aenna?“, fragte er leise.
Verägert warf sie ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu, dann schlossen sich ihre Augen.

„Kein Zweifel. Rasvan und ich waren hinter einem Nephilim her, als wir sie gefunden haben. Sie...war extrem entstellt aber ich habe sie sofort erkannt.“, sagte sie leise.
Vorsichtig warfen Lucian und Aenna einen Blick in Dragans Richtung. Dieser verkraftete diese Nachricht schlechter, als Aenna erwartet hätte. Mit leerem Blick und ohne etwas zu sagen erhob er sich, und ging aus dem Saal.

„Ich hätte nicht gedacht, dass er so schlecht reagieren würde.“, murmelte sie.

„Was ist mit dir?“, riss Lucian sie aus den Gedanken. „Kommst du damit zurecht?“
Nachdenklich sah Aenna erst ihn, dann ihre Hände an.

„Ja. Ich musste lernen ohne sie zurecht zu kommen und das, wo ich noch ein Kind war. Es tut mir leid für sie, dass sie so vom Weg abgekommen ist aber irgendwie...geschieht ihr das Recht. Sie hat versucht mich umzubringen und hat es nur nicht getan, weil sie Angst hatte dafür von dem Allmächtigen bestraft zu werden.“
Lucian schwieg. Sie hatte mit den Kapiteln ihrer Vergangenheit abgeschlossen und das respektierte er. Sie sprach nicht mehr als nötig darüber, deswegen sagte Lucian auch nichts mehr dazu.

„Vielleicht solltest du ein paar mal nach deinem Vater sehen?“, sagte er stattdessen leise und erhob sich. Aennas Blick verfinsterte sich.

„Einmal werde ich wohl nach ihm sehen können. Aber das muss reichen.“
Auch sie erhob sich, doch bevor sie gehen konnte griff Lucian nach ihrem Arm. Er zog sie zu sich und legte seine Hände an ihr Gesicht, um ihren Kopf in den Nacken zu legen. Mit großen Augen sah Aenna zu Lucian auf, dann beugte er sich hinab und legte seine Lippen auf ihre.

Die Nephilim seufzte in seinen Mund hinein und vergrub ihre Hände in seinem Haar, um ihn bei sich zu halten.

Was machen deine Verletzung?, wisperte sein Bewusstsein in ihrem Inneren.
Aenna antwortete mit einem Schmunzeln.

Bis auf die Narben gibt es nichts was darauf schließen lässt, dass ich mal verletzt war. Danke, Lucian. Ich hätte nicht gedacht das du in der Lage bist, deine Heilkräfte auf andere zu übertragen.
Lucian beendete den leidenschaftlichen Kuss und leckte sich über die Lippen, um ihren Geschmack noch einen Moment auszukosten.

„Das kann ich nur, weil wir miteinander verbunden sind.“, raunte er und schlug ihr mit der flachen Hand auf den Po.

„Und nun verschwinde. Dein Vater braucht eine Schulter, an der er sich ausheulen kann.“
Während Lucian grinste verzog Aenna das Gesicht und machte kehrt.

„Wenn ich länger als eine Viertelstunde weg bin, kannst du dich auf was gefasst machen.“, knurrte sie und sah verheißungsvoll über ihre Schulter. Der Mann lachte, denn er wusste ganz genau wie das ausgehen würde.

„Wir sehen uns im Schlafzimmer!“, rief er ihr nach, worauf er noch ein Fluchen von ihr vernahm.
Lachend machte auch der Teufel kehrt.

 

__25__

 

„Wie sieht es aus?“
Lucian lehnte sich über Enus Schulter und blickte auf dessen Hände. Seit Tagen nun schon hangen die beiden hier im Labor herum, nicht ohne Grund natürlich. Aenna und die anderen waren mittlerweile einfach nur genervt, da keiner der beiden den Anstand hatte mit der Sprache herauszurücken und zu erklären was genau sie da eigentlich trieben.

„Keine Sorge, wir forschen nur ein bisschen.“, hatte Lucian Aenna versichert und sie nach einem Kuss einfach stehen lassen. Sie war wütend auf ihn, er konnte es spüren aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie waren so nah an der Lösung, das durften sie jetzt nicht vernachlässigen!

„Das der Wahnsinn mit einer Krankheit vergleichbar ist, wissen wir ja bereits aber es ist mir gelungen herauszufinden, wie genau er sich ausbreitet und wie seine Struktur sich zusammensetzt.“, antwortete Enu nun und legte Pipette und Petrischale zur Seite. Aufmerksam ließ Lucian sich auf einem der Hocker nieder und sah den Nephilim mit durchdringendem Blick an.

„Ich bin ganz Ohr.“, knurrte er.
Diese ganze Sache mit den verrückten Nephilim machte ihn agrressiv, das war nicht nur ihm selbst, sondern auch allen anderen aufgefallen. Also begann Enu, von seinen Eindrücken zu erzählen und das, ohne Lucian zu Wort kommen zu lassen. Je schneller sie hiermit fertig wurden, desto schneller konnte auch etwas unternommen werden.

„Sobald die zwei Seelenhälften den Verstand des Nephilim besetzen, gibt es eine Art chemische Reaktion, in der körpereigene Viren hergestellt werden. Diese Viren sind anfangs noch harmlos, da sie noch keine große Lebensspanne haben. Sie nisten sich in Körperzellen ein, dazu gehören auch die Blutkörperchen. Dort entwickeln sie sich weiter und mutieren, was Ursache für die äußerliche Veränderung der Nephilim ist. Tagsüber scheinen diese mutierten Zellen abzusterben, was ich mit dem Sonnenlicht in Verbindung bringe. Dadurch das die Zellen absterben, scheint der Nephilim tagsüber geheilt zu sein aber sobald die Dämmerung einsetzt, können die Zellen wieder aktiv werden. Diese Mutation der Viren ist der Grund dafür, warum sich diese Nephilim nur töten lassen, indem man ihnen den Kopf abschlägt. Aber wenn es mir gelingt ein Mittel zu finden, mit dem man diese Viren töten kann, wäre das der erste Schritt zur Heilung der Nephilim!“
Lucian war beeindruckt und neigte in Gedanken sein Haupt vor diesem jungen Mann. Wie er schon sagte, das war nur der erste Schritt.

„Beeindruckend, Enu. Aber was ist mit den Seelenhälften? Die Symptome wären dann zwar geheilt aber was ist mit der Ursache?“, erwiderte er nun ernst und lehnte sich vor, um sich mit den Ellenbogen auf seinen Beinen aufzustützen.
Enu fuhr sich mit der Hand durchs Haar und setzte seine Brille ab, damit er sich dann die Augen reiben konnte.

„Ich weiß es nicht. Das ist ja das Problem. Ich würde ja sagen, die Nephilim sollen sich zwischen den beiden Hälften entscheiden aber sobald diese den Verstand besetzt haben, ist es zu spät.“, murmelte er und ließ den Kopf hängen. Lucian rieb sich das Kinn.

„Was wäre, wenn es ein Mittel zur Vorbeugung geben würden? Eine Art Impfstoff, mit der man verhindern kann, dass die Seelenhälften den Verstand besetzen?“
Enu sah Lucian verblüfft an. Er musste es gar nicht aussprechen. Das war eine verdammt gute Idee! Diese umzusetzen wäre Schwerstarbeit aber Enu würde es sicher nicht unversucht lassen. Er würde nur eine Chemikalie, oder ein Naturprodukt, finden müssen, dass gegen diesen ganzen Prozess verhindern würde.

„Ich mache mich sofort an die Arbeit, Lucian. Aber du musst mir helfen! Es muss einen Stoff geben, der sich negativ auf diese Viren und möglicherweise auf die Seelenhälften auswirkt. Wenn du glaubst, ein solches Mittel zu kennen, bring es mir! Ich werde dann sofort versuchen einen Impfstoff daraus herzustellen.“
Lucian erhob sich und klopfte dem Nephilim auf die Schulter.

„In Ordnung. Ich kenne einige Dinge, die dir vielleicht helfen könnten. Ich mache mich sofort auf den Weg.“

Wochen vergingen. Alle paar Tage kam Lucian mit irgendeinem neuen flüssigen Mittel an.
Das diese immer skuriler wurden ignorierte Enu mittlerweile gekonnt.
Inzwischen hatte Aenna herausgefunden, was dort im Labor ablief, weshalb sie Lucian immer neugierig begleitete wenn er sagte, er würde neue Mittel beschaffen.

„Engelsstaub?“, flüsterte Aenna, als Lucian eine kleine Glaskaraffe zur Hand nahm, in der silber schimmernder Staub zu glitzern schien. Der Mann neben ihr nickte.

„Ja. Er wird aus Engelsfedern gewonnen.“, erwiderte er und füllte ein bisschen von dem Staub in ein Reagenzglas ab. Mit hochgezogenen Brauen sah die Frau ihn an. Er wusste genau, welche Frage ihr gerade auf der Zunge brannte.

„Diese Karaffe steht schon seit Jahrhunderten hier, Liebes. Engelsfedern findet man selten, wann immer ich eine gefunden habe, tat ich sie an die Seite legen. Und das ist dann aus ihnen geworden.“, erklärte er und lächelte sanft. Beruhigt trat Aenna einen Schritt zurück.

„Dann lass uns zu Enu. Vielleicht kann er damit ja was anfangen.“
Die beiden machten sich auf den Weg, wobei der Mann in Gedanken versank. So vieles hatte schon versagt, er hoffte wirklich, dass sie mal einen Schritt weiter kamen. Engelsstaub hatte heilende Fähigkeiten und mit Wasser verdünnt getrunken, sorgte er dafür, dass man für einige Stunden sicher vor alles und jedem war. Egal was passierte, dieser Engelsstaub ließ einen...naja, unantasbar werden. So bescheuert es auch klingen mochte aber das war nun mal die Welt der nicht menschlichen Wesen.
Im Quartier des Kaders angekommen, gingen die beiden sofort ins Labor, in dem Enu lächelnd aufsah.

„Gute Neuigkeiten.“, verkündete er. „Das Dämonenblut was du mir neulich gegeben hast, sorgt dafür das die Viren und Zellen sämtliche Tätigkeiten einstellen. Wir sind einen Schritt weiter!“
Für ein paar Minuten freuten sich die drei gemeinsam, dann kehrte Ruhe ein und Enus Blick fiel auf das reagenzglas in Lucians Hand.

„Was hast du mir heute mitgebracht?“, fragte er lachend und streckte bereits gierig die Hand aus.
Schmunzelnd überreichte Lucian ihm den Staub.

„Das ist Engelsstaub. Geh sehr sorgfältig damit um, er ist kostbar.“
Enu nickte und legte das Gläschen beiseite.

„Es wäre hilfreich wenn wir ein paar Nephilim hätten, an denen wir meinen Wirkstoff ausprobieren könnten. Bringst du mir später ein paar hier herunter, Aenna?“
Aenna seufzte und kratzte sich am Hinterkopf.

„Natürlich.“, sagte sie leise.
Einem kleinen Teil in ihr behagte es aber nicht, dass mehrere Nephilim nun herhalten mussten. Aber anders ging es nicht. Sie hoffte nur, dass diese Mittel keine Nebenwirkungen haben würden.
Sie wandte sich bereits ab, als sie Lucians Hand auf ihrer Schulter spürte.

„Stimmt etwas nicht, Süße?“, fragte er leise.
Aenna sah streng über ihre Schulter.

„Vergesst bitte nicht, dass Nebenwirkungen auftreten können. Ich will nicht, dass jemand in Gefahr gerät nur, weil diese Mittel den Wahnsinn eventuell sogar noch verschlimmern könnten.“
Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ Aenna das Labor.

 

Zusammengekauert hockte Jay in der Ecke. Mit den Armen umschlang er seine Beine.
Er wusste nicht, wie lange er schon hier war. Wochen, vielleicht? Oder sogar schon Monate? Ihm wurde übel bei dem Gedanken, vielleicht sogar schon mehrere Jahre hier eingesperrt zu sein.
Eigentlich wurde er nicht schlecht behandelt. Sehr oft kam diese Aenna zu ihm, die Frau die den Kader gegründet hatte. Sie sprach viel mit ihm und berichtete ihm davon, was er in der Nacht alles angestellt hatte. Häufig sprachen sie auch über privtaes. Was sie gerne trieben wenn sie alleine waren und all so was. Dabei hatte Jay ihr auch verraten, dass er sich vor der Nacht fürchtete.
Warum, hatte sie ihn gefragt. Auch jetzt musste er an seine Angst denken, die ihn schon längst wieder im Griff hatte. Er wusste nicht, was in der Nacht geschah. Weder was um ihn herum passierte, noch was mit ihm selbst geschah. Aenna hatte ihm gesagt, dass er die meiste Zeit der Nacht randalierte und versuchte, hier auszubrechen, doch das hatte seine Angst nur verstärkt.
Wieso konnte er sich an nichts erinnern?
Erst etliche Gedankengänge später bemerkte er die Frau, die lächelnd an der Zellentür stand.

„Hallo, Jay.“, sagte sie und schloss die Tür auf.

„Aenna, was tust du hier? Es dämmert gleich, wenn ich mich nicht täusche.“, keuchte er und rappelte sich auf. Er lief zur Zellentür, dann hielt er aprubt inne.

„Oder bist du etwa hier, um mich zu töten?“, hauchte er und wich sogleich wieder ein paar Schritte zurück. Aenna schüttelte den Kopf.

„Nein, keine Sorge. Du weißt doch, das wir dir helfen wollen.“
Erst da fiel Jays Blick auf das kleine Tablett, welches sie bei sich trug. Die Frau deutete auf den Boden, auf dem sie sich samt Tablett niederließ. Jay tat es ihr nach und setzte sich ihr gegenüber im Schneidersitz hin. Er betrachtete die ganzen Utensilien, die sie bei sich hatte. Eine kleine Schüssel mit Wasser, ein Handtuch und ein weißes Leinentuch, eine Spritze und ein kleines Fläschchen, gefüllt mit einer hellen, roten Flüssigkeit, die sehr dickflüssig zu sein schien.

„Ich bezweifle, dass du mir wieder Blut abnehmen willst.“, murmelte er und betrachtete sie mit skeptischen Blicken. Sie lächelte noch immer, doch etwas ihm unbekanntes, gefährliches war in ihren Augen zu erkennen.

„Nein, dieses Mal nicht, Jay.“, antwortete sie.
Sie streckte die Hand und und ergriff seinen Arm, an dem sie dann den Ärmel seines Sweatshirts nach oben schob. Dann griff sie nach dem Leinentuch, welches sie leicht nass machte.
Anschließend säuberte sie damit Jays Oberarm, damit auch ja kein Dreck oder andere Keime zurückblieben.

„Was ist das für ein Zeug?“, fragte der junge Mann leise und deutete auf das kleine Fläschen, welches Aenna anschließend zusammen mit der Spritze zur Hand nahm. Sie zog das Mittel mit der Nadel auf und drückte dann die Luft aus der Spritze.

„Ein Mittel an dem wir zurzeit arbeiten. Mach dir keine Sorgen, Jay. Ich verspreche dir, dass dir nichts passieren wird.“, antwortete sie lächelnd und streckte ihm die Hand entgegen, damit er ihr seinen Arm reichte. Er zögerte einen Moment und nahm sich die Zeit, Aenna prüfend in die Augen zu sehen. Doch er konnte nichts erkennen, was Anlass zur Sorge gegeben hätte. Also legte er seine Hand in ihre und ließ zu, dass Aenna näher an ihn heran rutschte.
Sie setzte die Nadel an seine Haut, dann stach sie zu. Jay regte sich nicht. Er war nie ein Freund von Spritzen gewesen doch er hätte es nicht für möglich gehalten, dass er mal eine Nadel nicht spüren würde. Aenna machte das verdammt gut, er spürte keinen Pieks, lediglich das Mittel floss seltsam aber doch angenehm kühl durch seine Adern.
Aenna nahm das Leinentuch zur Hand und drückte es auf die Stelle, wo nun Blut austrat.

„Drück ein bisschen drauf, dann blutet es gleich nicht mehr.“, sagte sie und räumte währenddessen die anderen Sachen zusammen. Jay tat, wie ihm geheißen. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass ihm ein wenig schwummrig zumute war. Lag wahrscheinlich an dem Mittel. Apropos, er konnte förmlich spüren wie es sich durch seine Adern ausbreitete.
Nach einigen Minuten nahm Aenna ihm das Tuch ab und legte es ebenfalls auf das Tablett.

„Ich bin gleich wieder da.“, sagte sie zuversichtlich und verließ die Zelle. Sie verschloss sie wieder, doch das störte Jay nicht. Sie wollte ja nur sichergehen.
Doch was auch immer sie ihm da eben gespritzt hatte, er war alles andere als zuversichtlich.
Also setzte er sich wieder in seine Ecke und zog die Beine an. Nichts geschah.
Aenna kam nicht wieder, so wie sie gesagt hatte. Jays Augen schlossen sich.
Dann wartete er jetzt also wieder auf die Zeit, in der er nicht bei Verstand sein würde. So, wie jeden anderen Abend auch.

Als Jay die Augen aufschlug, entdeckte er Aenna, die direkt vor ihm hockte und ihn breit angrinste.
Das erste was ihm auffiel, war die irritierende Dunkelheit um ihn herum. Er legte den Kopf in den Nacken und richtete seinen Blick auf die dicken Metallstangen, die den eingeschränkten Blick nach draußen gewährten. Mondlicht fiel in seine Augen.

„Herzlichen Glückwunsch, Jay.“, flüsterte Aenna. „Du bist geheilt!“
Der junge Mann konnte nicht glauben, was er da gerade gehört hatte.

„Es ist Nacht.“, murmelte er und kam auf die Beine.
Erst betrachtete er seine Hände, dann fasste er sich an den Kopf. Seit Jahren war da jeden Tag dieses komische Gefühl gewesen. Als ob alles in ihm zu eng wäre und ihm den Atem nahm.
Doch es war weg! Er fühlte sich frei und als er in sich horchte, herrschte Ruhe. Kein Gezanke darüber, wer die Oberhand haben sollte.
Er sah Aenna an, die leise lachte. Ehe sie sich versah, riss er sie in eine Umarmung.

„Ich habe nicht den Verstand verloren! Ich kann wieder klar denken, ich bin frei!“, schluchzte er.
Mitfühlend erwiderte Aenna die Umarmung.

„Es hat lange gedauert aber jetzt können wir dich endlich hier raus lassen.“, sagte sie leise und nahm seine Hände.

„Komm, gehen wir zu den anderen und verkünden ihnen die guten Neuigkeiten.“

 

„Meine lieben Nephilim, ich freue mich, dass ihr so kurzfristig Zeit für uns habt. Natürlich sind viele von euch nun abwesend aber ich bin mir sicher, dass ihr unsere guten Neugigkeiten weiter verbreiten werdet. Das hier ist Jay und er ist einer der vielen, die den Verstand verloren haben.“
Jay trat an ihre Seite, worauf die Menge vor ihnen ein entsetztes Keuchen hören ließ.

„Aber, aber!“, fuhr sie fort. „Nur keine Sorge, es geht ihm gut. Und er wird auch keinen Schaden mehr anrichten. Ich will nicht lange um den heißen Brei herum reden, sondern sage euch gleich, was Sache ist.“
Einen Augenblick lang hielt sie inne, dann lächelte sie.

„Es ist uns gelungen, den Wahnsinn zu stoppen! Enu war in der Lage, einen Impfstoff zu entwickeln, der uns von dieser Krankheit befreit! Ab sofort wird kein Nephilim mehr getötet werden müssen und niemand von uns wird sich mehr der Frage stellen müssen, für welche seiner Seelenhälften er sich entscheiden soll!“
Auf Aennas Worte hin brach Jubel aus. Lucian trat an Aennas Seite und legte ihr den Arm um die Taille.

„Ich danke dir, Lucian. Nur dank dir, haben wir das geschafft.“, flüsterte Aenne und lehnte sich an ihn. Der Mann lächelte.

„Nein, Aenna, das warst ganz alleine du. Du hast den Kader ins Leben gerufen. Du hast die ganze Zeit über die riesige Last auf deinen Schultern getragen. Du wärst für alles verantwortlich gewesen und es war an dir, die etlichen Nephilim zu stoppen, was sicher alles andere als leicht für dich war.
Nur weil du an deinen Träumen festgehalten hast, ist das hier wahr geworden.“
Rasvan übernahm an Aennas Stelle das Wort und hatte Mühe, die Masse der Nephilim wieder ruhig zu kriegen.

„Ruhe, Leute! Wir sind hier noch nicht fertig!“, brüllte er, worauf es tatsächlich ein bisschen ruhiger wurde. Er räusperte sich und setzte neu an.

„Wann immer ihr die Zeit findet, kommt bitte ins Hauptquartier. Bradie wird hier sein und euch hinführen. Es ist genug Impfstoff für alle da, ihr braucht euch also keine Sorgen zu machen. Wenn ihr mit Sicherheit sagen könnt, dem Wahnsinn nicht zu unterliegen, so wie Aenna, dann müsst ihr natürlich nicht vorbei kommen.“
Als der Mann verstummte, tauchte Kiran plötzlich in der Menge auf.

„Wie sicher ist dieses Mittel überhaupt? An wie vielen wurde es getestet?“, rief er.
Es war nicht zu übersehen, dass er viele Nephilim damit verunsicherte. Alle sahen sie zu ihm auf, doch Rasvan blieb ruhig und lächelte.

„An allen Nephilim, an denen wir es getestet haben sind keine Nebenwirkungen aufgetreten. Es geht ihnen allen gut und wir können mit Sicherheit sagen, dass dieses Mittel seinen Zweck vollstens erfüllt. Ihr müsst uns also vertrauen müssen.“
Das stimmte die Mischlinge milde. Sie vertrauen dem Kader und dank dieser Nachricht, würden sie das auch weiterhin tun!

 

 

Epilog

 

„Fraya, Dragan, habt ihr's schon gehört? Es wird eine große Sitzung geben!“
Überrascht starrten die beiden Dämonen die Frau an, die gerade den Saal betrat.

„Caya! Was machst du denn hier?“, hauchte Fraya und erhob sich.
Kaum war die Engelsfrau bei ihr angekommen, umarmten die beiden sich.

„Schön, dich wiederzusehen.“, sagte Caya und strahlte sie an. Dann richtete sich ihr Blick auf Dragan, den sie ebenfalls lächelnd begrüßte.

„Lange nicht gesehen, hm?“
Caya hatte davon gehört, dass Celeste tot war. Doch sie schwieg. Es war so viel Zeit vergangen, sicher wollte der Mann nichts davon hören. Vielleicht war er ja darüber hinweg, doch er sollte jetzt nicht daran erinnert werden. Es waren schließlich glückliche Zeiten angebrochen.
Nach einem zehnminütigen Plausch über dies und jenes, kam Dragan zum eigentlichen Thema zurück.

„Was meintest du eben, mit dieser großen Sitzung?“
Caya lächelte und überschlug die Beine. Fraya musterte sie. Es war verblüffend, wie sehr diese Frau mittlerweile strahlte. Aber das war kein Wunder. Es war so viel passiert, sie und auch Fraya und Dragan selbst, hatten nun wirklich Grund zum strahlen.

„Der Kader der Erzengel, Satan und der Kader der Nephilim wollen eine Sitzung abhalten, in der der Friedensvertrag entgültig unterzeichnet wird.“
Fassungsloses Schweigen.

„Ist das wahr?“, flüsterte Fraya, nachdem sie ihre Fassung wiedergefunden hatte.
Caya nickte, völlig aus dem Häuschen.

„Ja! Die Erzengel haben es selbst bestätigt! In Zukunft braucht sich niemand mehr Sorgen wegen etwas zu machen!“

 

Angespannt ließ Aenna den Blick schweifen. Sie war nicht damit einverstanden gewesen, ausgerechnet im Palast der Erzengel diese Sitzung abzuhalten, doch nun musste sie feststellen, dass es gar nicht mal so schlimm hier war. Im Gegenteil, die Umgebung war schier atemberaubend und verzauberte sie immer wieder aufs Neue. Das einzige was hier nicht hinein passte, war Lucian.
Der saß auf dem Stuhl neben ihr und sah ausdruckslos in die Runde. Trotz der friedlichen Situation, gab er sich allen anderen gegenüber immer noch sehr kalt und unnahbar. Nur ihr selbst zeigte er sein zweites Gesicht, doch das störte sie nicht. Vielleicht würde er irgendwann den Erzengeln gegenüber genau so nett sein, wie den anderen Mitgliedern des Kaders der Nephilim.
Camael, die ihr gegenüber saß strahlte sie an.

„Also dann, wir haben eine Menge zu besprechen.“, verkündete sie und faltete die Hände auf dem Tisch. Doch sie hatte keine Gelegenheit weiterzusprechen, Mikael riss das Wort an sich. Als er sah wie wütend seine Schwester darauf reagierte, musste er schmunzeln.

„Zuerst würden wir gerne wissen, aus welchen Stoffen dieser Impfstoff für die Nephilim zusammen setzt. Ihr habt bisher kein Wort darüber verloren.“
Die Nephilim sahen Enu an, der ebenfalls wie Lucian recht ausdruckslos blieb.

„Er besteht aus gefiltertem Dämonenblut, Engelsstaub und einer geringen Menge Aceton.“, antwortete er trocken, worauf erst einmal ein Raunen von den Erzengeln zu vernehmen war.

„Wie seid ihr an Engelsstaub geraten?“, knurrte Zadkiel.
Ja, auch Zadkiel war anwesend. Allerdings nicht freiwillig. Wenn es nach ihm ginge, wären Aenna und Lucian tot und der Kader der Nephilim würde nicht existieren. Seine Geschwister hatten ihm unmissverständlich klar gemacht, dass er zu kooperieren hatte. Täte er dies nicht, würden sie ihm seine Flügel nehmen. Er hatte natürlich protestiert und ihnen gesagt, dass sie das nicht tun konnten. Doch sie konnten, er hatte es begriffen. Tja, hier saß er nun.
Aenna lächelte und deutete auf Lucian.

„Wir hatten ein wenig Hilfe.“, sagte sie leise, worauf Lucian schnaubend den Blick abwandte.
Es gefiel ihm gar nicht, hier zu sitzen. Ja, er war für diesen Friedensvertrag. Doch mit seinen Geschwistern konnte er sich nicht arrangieren. Sie waren noch immer seine Geschwister aber außer Camael, kam er noch immer mit keinem von ihnen zurecht.
Eine Welle von Wut und Empörung schwabbte über Aenna hinweg, weshalb sie ein lautes Knurren ausstieß und Lucian ihren Ellenbogen in die Niere rammte.

„Verdammt noch mal, reiß dich mal zusammen, ja? Du benimmst dich, wie ein kleines Kind!“, schnauzte sie ihn an, worauf sie nun im Mittelpunkt der Versammlung stand.
Camael und Rasvan konnten sich ein Kichern nicht verkneifen, Lucian stieß hingegen ein tiefes Seufzen aus.

„Ist ja gut.“, brummte er und warf ihr einen entschuldigenden Blick zu.
Aenna schüttelte missmutig den Kopf und richtete ihren Blick wieder auf die Erzengel ihr gegenüber.

„Wie dem auch sei, ich würde mich gerne bei euch für das hier bedanken. Wir wollen wirklich etwas verändern, deswegen brauchen wir diesen Friedensvertrag.“, sagte sie ruhig.
Mikael lächelte sie an.

„Wie läuft es denn sonst so bei euch, Aenna? Wir haben schon lange nichts mehr vom Wahnsinn gehört.“

„Es läuft wunderbar! Das ihr nichts davon gehört habt liegt daran, dass da nichts mehr ist. Seitdem die meisten Nephilim sich haben impfen lassen, ist nicht ein weiterer Fall des Wahnsinns aufgetreten. Die Nephilim die sich nicht haben impfen lassen, machen auch keine Probleme.“
Die Nephilim erzählten der Reihe nach von der Ruhe die herrschte, nur einzig und allein Adalia sprach ihre Bedenken aus. Sie glaubte, dass das nur die Ruhe vor dem Sturm war.
Vielleicht war ihr Erfolg nun der Grund dafür, warum solch extreme Ruhe herrschte. Doch sie war sich sicher, dass es irgendwann noch einmal Probleme geben würde. Und genau deswegen wollten sie diesen Friedensvertrag. Sie wollten sichergehen, dass die Erzengel nicht noch einmal auf die Idee kommen würden, sich gegen sie zu stellen. Sie wollten mit ihnen zusammenarbeiten und notfalls auf ihre Hilfe vertrauen können, sollten sie diese jemals brauchen.
Doch anders herum galt das genauso. Die Nephilim würden sich dazu verpflichtend, den Erzengeln keinen Ärger zu bereiten. Natürlich würde der Vertrag Lucian nicht ausschließen.
Die Erzengel und er würden aufhören müssen sich zu bekriegen und beide sollten einfach die Aufgaben erledigen, die in ihren Bereich fielen. Das heißt Lucian würde sich weiter um die Seelen der Menschen kümmern, während die Engel alles verwalten würden.
Javiel legte einen Stapel Papier auf den Tisch und sah alle der Reihe nach an.

„Wir haben die Regeln des Vertrags schon vor einigen Wochen ausgemacht, keiner von uns wird ihn sich also durchlesen müssen. Wir wissen alle, was drin steht. Wir haben ihn vorher auch alle überprüft, wir können uns also sicher sein, dass niemand etwas daran verändert hat. Ich werde diesen Vertrag nun herum reichen, in der Hoffnung, dass ihn auch alle von euch unterschreiben werden.“
Während er das sagte, ruhte sein Blick die ganze Zeit über auf Lucian. Doch anstatt das einfach zu ignorieren, starrte Lucian seinen Bruder feindselig an. Wieder stieß Aenna den Mann an. Jedoch sah sie auch Javiel an.

„Es reicht jetzt, ihr beiden. Niemand hat etwas an diesem Vertrag verändert, Camael hätte es mitbekommen.“
Für einen Augenblick streifte ihr Blick den der Engelsfrau ihr gegenüber. Camael nickte und nahm den Vertrag an sich.

„Sie hat recht.“, sagte sie und blätterte ihn durch. „Drei Seiten. Eine für Lucian, eine für euch, Aenna und und eine für uns. Auf jeder die gleiche Anzahl an Regeln und Bedingungen. Jeder Satz gleicht dem anderen.“
Plötzlich reichte Javiel ihr einen Dolch. Ohne nachzudenken schnitt Camael sich in die Fingerkuppe. Dann schrieb sie mit ihrem Blut ihren Namen auf die erste Seite. Fasziniert betrachteten die Nephilim das Geschehen. So wurde ein Vertrag mit den Erzengeln also geschlossen. Aenna schielte zu Lucian. Ob das Gleiche wohl auch bei ihm galt? Dann fiel Aenna jedoch etwas ein.

„Bradie?“, sagte sie leise und sah zu ihrer Kollegin. Die war bereits ein wenig blass um die Nase.
Adalia zwinkerte Aenna zu und legte ihre Hand auf Bradies Schulter.

„Keine Sorge, sie schafft das schon.“
Einer nach dem anderen unterschrieb den Vertrag, bis alle Erzengel sich auf der ersten Seite verewigt hatten. Als nächstes wurde das Papier an Aenna weiter gereicht. Auch sie schnitt sich ohne zu zögern in den Finger, dann unterschrieb auch sie. Sie vertraute darauf, dass keiner der hier anwesenden veruschen würde sie hinters Licht zu führen, also reichte sie den Vertrag ohne ihn noch einmal durchzulesen an Rasvan weiter.
Das Ganze wiederholte sich so lange, bis der Vertrag schließlich vor Lucian lag. Skeptisch blätterte Lucian ihn durch. Aenna lehnte sich vor und stützte den Kopf auf die Hände ab. Nachdenklich und auch ein bisschen verträumt betrachtete sie Lucian.
Dieser arme Mann. Er war noch immer nicht darüber hinweg, dass seine Geschwister ihm damals in den Rücken gefallen waren. Natürlich fiel es ihm schwer, sich nun auf sie einzulassen.
Sie spürte seine Unruhe und auch den Hass, der tief in ihm verborgen war.

Komm schon, mein Schatz. Ohne dich wird das Ganze nicht funktionieren!, wisperte sie und ergriff seine Hand, um diese zu drücken. Zuversichtlich lächelte sie ihn an.
Mit einem leisen Knurren schnitt Lucian sich am Ende in den Finger. Nachdem er unterzeichnet hatte, schmiss Lucian den Vertrag auf den Tisch.

„Das Abkommen gilt ab sofort, nicht wahr? Dann kann ich ja jetzt verschwinden.“, knurrte er und erhob sich. Camael neigte nur kurz den Kopf und bestätigte somit, dass er nicht länger daran gebunden war hierzubleiben. Also beugte er sich zu Aenna hinab, küsste sie kurz und löste sich dann in Luft auf. Es dauerte eine Weile bis Aenna bemerkt hatte, dass alle Erzengel sie anstarrten.

„Ich entschuldige mich für ihn, normalerweise ist er beherrschter. Es gefällt ihm nicht, mit euch Frieden zu schließen.“, erklärte sie und lächelte dabei nett.

„Er hätte diesen Vertrag nicht mit uns schließen müssen, Aenna.“, erwiderte Mikael ruhig.
Die Beziehung zwischen den beiden faszinierte ihn irgendwie, aber zugeben würde er das nicht.
Mit einem Schlag war Aenna ernst.

„Lucian gehört ebenso dazu, wie wir. Ihn aus diesem Vertrag auszuschließen wäre nicht richtig.“, knurrte sie. Camael lächelte und versuchte, die Situation unter Kontrolle zu kriegen.

„Sie hat Recht, Jungs. Lucian ist immer noch unser Bruder. Und als solchen sollten wir ihn auch behandeln. Und nun genug der ernsten Angelegenheiten. Jetzt wird gefeiert!“

 

Zwei Arme umschlangen ihn von ihnen und er konnte spüren, wie sich ein warmer und kurviger Körper an seinen Rücken schmiegte.

„Bist du traurig?“, hauchte Aenna und verschränkte ihre Hände mit seinen.

„Nein.“, kam es tonlos zurück.

„Bist du wütend?“, flüsterte sie dann und kuschelte sich noch dichter an ihn.

„Das trifft es schon eher.“, murmelte Lucian und löste ihre Arme, damit er sich umdrehen konnte und in ihr Gesicht blicken konnte. In einer zärtlichen Geste fuhr Aenna mit ihren Fingerspitzen über seine Lippen. Sie zog die Konturen seines Gesichts nach und sah ihm dabei bedrückt in die Augen. Sie spielte mit dem Gedanken ihn zu küssen, ließ es aber.

„Das Zadkiel uns an den Kragen wollte ist nicht zu verzeihen aber die anderen bemühen sich wirklich, dir gegenüber nicht mehr so abgeneigt zu sein.“, sagte sie leise.
Sie spürte seinen Zorn in sich, doch nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, milderte sich die Unruhe. Eine Weile lang sagte keiner der beiden etwas, dann versuchte Aenna es erneut.

„Ihr müsst keine besten Freunde werden, Lucian. Benimm dich ihnen gegenüber nur nicht mehr so grausam, dann werden sie dich auch besser behandeln.“
Zärtlich berührte sie mit seinen Lippen seine. Es war kein Kuss, mehr eine zärtliche Geste ihm zu zeigen, dass sie bei ihm war. Doch Lucian schlang die Arme um sie und zog sie dicht an sich, um sie dann richtig zu küssen.

Du hast getrunken!, knurrte seine Stimme in ihrer Seele, als er mit seiner Zunge ihre Lippen teilte und sie in einen Zungenkuss verwickelte.

Ein wenig. Du solltest hier nicht Trübsaal blasend im Bett liegen, sondern mit hochkommen und ebenfalls einen trinken. Die anderen wollen ein wenig feiern., erwiderte sie und rollte sich auf ihn.
Der Mann schob seine Hände unter ihr Shirt und machte sich sofort daran, ihren BH zu öffnen.

Ich habe gerade besseres zutun, Herzchen.

 

„Auf Aenna!“, riefen sie gemeinsam, und hoben die Gläser in die Luft.
Alle waren sie anwesend. Der Kader der Nephilim, Caya, Fraya und auch Dragan. Ein paar Erzengel waren ebenfalls anwesend, sowie Jay und Kiran.

„Apropos, wo steckt die eigentlich?“, fragte Bradie und sah sich um.
Ihre Wangen waren vom Alkohol bereits gerötet.

„Vermutlich toben sie und Lucian sich gerade aus.“, lachte Rasvan und prostete den anderen erneut zu. Frieden war geschlossen, die Nephilim geheilt und sicher, die Erzengel nicht mehr ihre Feinde und die Dämonen ihre Freunde. Was die Guardians betraf...Die Erzengel würden dafür sorgen, dass es keine mehr geben würde. Von nun an würde kein Mensch mehr in die übernatürliche Welt hineingezogen werden. Die bereits existierenden Guardians hingegen würden damit zurecht kommen müssen, nicht mehr gebraucht zu werden. Sie würden auch weiterhin noch die Nephilim erkennen können. Sie wussten, dass die Nephilim sich weiterentwickelt hatten. Niemand würde sich mehr für einen Teil in sich entscheiden müssen, geschweige denn den Verstand verlieren.
Das von Enu entwickelte Heilmittel sorgte dafür, dass die zwei unterschiedlichen Seelenhälften unterdrückt wurden. Sie hätten keine Chance mehr, den Verstand eines Nephilim zu beeinflussen!War die Frage, wie lange dieser Frieden andauern würde...

 

„Kein Nephilim wird also mehr den Verstand verlieren, hm?“, wiederholte er und starrte auf das Glas in seiner Hand. Die Mischlingsdame ihm gegenüber überschlug die Beine und lehnte sich lächelnd zurück.

„Ja. Wir haben dieser Aenna wirklich viel zu verdanken. Allem voran unser Leben.“, erwiderte sie mit ihrer angenehmen Stimme. Er nahm einen Schluck seines Gin Tonics. Das Getränk, welches Aenna damals getrunken hatte.
Er hatte mit ihr abgeschlossen, hatte keine Gefühle mehr für sie und vermisste sie auch nicht. Am Ende war sie zu einer Frau geworden, die doch nicht zu ihm gepasst hatte. Er nahm es ihr nicht mehr übel. Sie hatte sich einfach weiterentwickelt, genauso wie er nun auch.
Das war nun mal der Lauf der Dinge. Dennoch fragte er sich immer mal wieder, was wohl aus den beiden geworden wäre, wenn sie sich damals nicht gestritten hätten. Ob sie nun wohl eine glückliche Beziehung miteinander geführt hätten?
Die schönsten Erfahrungen die er gemacht hatte, hatte er mit Aenna erlebt. Dafür war er dankbar. Er würde sich auch weiterhin an das erinnern, was sie gehabt hatten. Vielleicht würde irgendwann ja eine Frau kommen, die genauso lieb und verständnisvoll zu ihm war, wie sie es gewesen war?

„Hey, ist sie das nicht?“, riss die Nephilim ihn aus den Gedanken.
Bastien hob den Blick und sah tatsächlich Aenna, die zusammen mit Lucian die Kneipe betrat.
Sie lachte und sah dabei sogar noch schöner aus, als sie es damals getan hatte.
Er lächelte, froh darüber das sie wieder glücklich war. Er war es nicht, doch er war zufrieden.
Solange er keinen Herzschmerz wegen ihr mehr hatte, war er zufrieden.
Aenna schien sein Starren zu bemerken, denn plötzlich trafen sich ihre Blicke. Als sie sein Lächeln sah, erwiderte sie es. Der Mann an ihrer Seite piekste ihr in die Seite, worauf sie lachte und den Blick wieder abwandte.

„Ich hoffe, ihr werdet glücklich miteinander.“, sagte Bastien leise.
Und er meinte es so!

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 03.02.2014

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