Prolog:
Ich schlug die Augen auf. Und das erste was ich sah, war Licht. Grelles Licht, was mir in den Augen weh tat. Wo bin ich?, fragte ich mich. Ich richtete mich auf. Ich sah mich um. Nur helles, weißes Licht, nichts anderes. Es war ein Nichts. Ich sah herab. Was war das? Eine Hand. Meine Hand? Ich betrachtete auch den Rest, der scheinbar zu mir gehörte. Ein Körper., fiel es mir ein. Ein männlicher Körper. Groß gewachsen. Blasse Haut spannte sich über stahlharte Muskeln. Wer bin ich?, fragte ich mich.
„Lyes.“, donnerte es plötzlich.
Ich zuckte zusammen. Hörte sich so eine Stimme an? Wessen Stimme war es? Und wie hörte sich wohl meine an? Besaß ich überhaupt eine?
„Wer spricht da?“, fragte ich laut, überrascht über den tiefen Klang der meine Kehle verließ. Ich bekam keine Antwort auf meine Frage, stattdessen hörte ich folgende Worte:
„Du, Lyes, hast eine wichtige Aufgabe zu erledigen. Ich habe dich erschaffen aber ab sofort stehst du nicht unter meinem Befehl, sondern dem Satans. Geh, finde deinen Weg in der Dunkelheit und lerne was es heißt, zu dienen.“
Mit diesen Worten stürzte ich herab. Mein Rücken begann zu kribbeln, dann fing es an zu brennen, bis ich dem Schmerz schließlich unterlag und schrie. Ich fiel immer weiter, bis ich schließlich mit einem abscheulichen Knacken und Knirschen aufprallte. Wo ich war, wusste ich nicht. Denken konnte ich nicht. Die Schmerzen waren zu stark. Das Licht war weg, an dessen Stelle war Dunkelheit getreten. Nicht einmal die Hand konnte ich vor Augen sehen. Das Brennen meines Rückens ließ nach, doch stattdessen spürte ich ein Gewicht, welches mich in die Tiefe zu drohen zog. Ich blickte zurück, über meine Schulter und entdeckte Federn. Ich erhob mich unter Schmerzen.
War es das, was in meinem Kopf den Begriff Flügel hervorruf? Waren es Flügel?
Ein schwaches Licht blitzte in der Dunkelheit auf und mit einem Wimpernschlag stand plötzlich ein Mann vor mir. Er war ebenfalls groß, hatte aschblonde schulterlange Haare und nahezu leuchtende eisblaue Augen. Er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Hose, doch das was mich am meisten interessierte, waren die fledermausartigen Flügel, die er im Rücken zusammengefaltet hatte.
Meine sahen nicht so aus...
„Lyes.“, sprach der Mann und blieb vor ihm stehen.
„Ist das mein Name?“, fragte ich, worauf er nickte. Ja, das war mein Name. Von nun an für immer. Der Mann mir gegenüber verzog die Lippen. Ein Lächeln.
„Mein Name ist Luzifer und von nun an, tust du das was ich dir sage. Ab dem heutigen Tag wirst du meine rechte Hand sein, der Gott des Todes.“
Ich verstand die Worte. Ich hatte alles verstanden was ich gesehen und gehört hatte, doch ich konnte mit all dem nichts anfangen. Ich wusste alles und doch hatte ich keine Ahnung, wer und was ich war.
„Wie fühlst du dich?“, fragte der Mann mir gegenüber. Ich neigte den Kopf. Fühlen? Was war das?
„Nichts.“, hauchte ich. Blaue Augen blitzten.
„Horche in dich hinein, Lyes. Was ist dort?“, sprach Luzifer. Ich tat was er verlangte, doch meine Antwort blieb die Gleiche.
„Nichts. Absolut nichts.“
1st
Wachsam blickten seine milchig grauen Augen in die Nacht. Auf einem Dach stehend verschränkte er die Arme. Sollte der Mann, den er suchte nicht schon längst hier vorbei gekommen sein? Er ging in die Hocke und beschloss erst einmal einfach hier sitzen zu bleiben. Früher oder später erwischte er sie immer. Seine Mundwinkel zuckten als er den Blick über die Dächer der Stadt schweifen ließ.
Er mochte England. Das verregnete Wetter passte zu ihm. Nicht das er betrübt gewesen wäre oder gar schlecht gelaunt, nein, viel eher passte es einfach zu seiner Erscheinung. Strahlender Sonnenschein unterstützte nun mal nicht das Aussehen eines gefüchteten Todesengels.
Plötzlich bog ein Mann um die Ecke des Hauses. Lyes Augen verengten sich und er kramte die Liste des Todes aus der Tasche seines schwarzen Gewands. Er schlug das kleine Buch auf und starrte auf die Seite. Langsam aber sicher bildete sich darauf das Gesicht des Mannes, der gerade unter ihm seiner Wege ging.
„Victor DeGresse, also.“, murmelte er und schlug das Buch zu. „Achtundvierzig Jahre alt, geschieden und mehrmals verurteilter Sexualstraftäter. Leidet an einer Herzinsuffizienz, Ärzte haben es noch nicht herausgefunden.“
Wie von selbst zählte er die wichtigen Details zum Leben dieses Mannes auf. Er konnte nichts gegen diese Feststellungen tun, Menschen waren für ihn wie ein offenes Buch. Sah er einem Menschen ins Gesicht konnte er ihn lesen. Alle Lebensereignisse konnte er sehen, sowie körperliche Merkmale, Schwächen, Ängste, Wünsche, Taten und selbst die tiefsten Erinnerungen. Gestört hatte ihn das nie. Er betrachtete die Menschen sowieso als niedere Wesen. Sie mussten sich ihren Gefühlen und Gelüsten geschlagen geben und das war einer der Gründe warum Lyes nie etwas dagegen gehabt hatte, keine zu besitzen. Alles was er fühlte war der Spaß, der ihm das Töten mittlerweile bereitete. Die Macht die er hatte machte ihn überheblich, doch als der Engel des Todes konnte er sich das erlauben.
Die Menschen konnten ihn nicht sehen, es sei denn ihr Ende stand ihnen bevor. Doch Lyes hatte in den Jahrtausenden seiner Existenz festgestellt, dass die Menschen offen gegenüber seiner Existenz waren. Wann immer er in ihrer Nähe war schienen sie die Kälte zu spüren, die von ihm ausging.
Den meisten jagte diese Kälte Angst ein, doch genau das war es was Lyes zum lächeln brachte. Einige bemerkten ihn, oder besser gesagt seine Anwesenheit nicht, doch die gläubigen Menschen waren weitaus empfängnisvoller. Sie verbanden diesen eiskalten Hauch sofort mit dem Bösen.
Sie wussten ganz genau, dass Satan dahinter steckte. Lyes wurde nachdenklich, während er den Mann unter ihm beobachtete.
Satan war gar nicht so böse, wie die Menschheit glauben mochte. Genau genommen war es lediglich seine Aufgabe dafür zu sorgen, den Abfall zu beseitigen. Er war nicht der Grund dafür, warum so viel Übles über die Welt kam. Nur weil Luzifer es wollte, war Hitler am Ende gestorben. Lyes hätte noch unzählige solcher Beispiele nennen können. Auch Julius Cäsar hatte sein Ende dank Luzifer gefunden. Lyes Augen schlossen sich. Naja, genau genommen hatte Satan nur den Auftrag dazu gegeben. Den Tod hatte am Ende nur Lyes selbst gebracht.
Mit einem Wimpernschlag war er wieder in der Realität. Er hatte schon zu viel gesehen und erlebt um etwas für die Menschen übrig zu haben. Viele glaubten, der Allmächtige, oder auch Gott genannt, hätte sich gegen die Menschen verschworen, doch so war es nicht. Der Herr hatte den Menschen einen freien Willen geschenkt, alles was sie taten hatten sie also selbst zu verantworten. Gab es Krieg und Hungersnot, dann nur weil die Menschen die Probleme nicht in den Griff bekamen. Der Allmächtige hatte inzwischen die Hoffnung verloren. Er glaubte schon lange nicht mehr daran, dass die Menschen irgendwann zur Vernunft kommen würden. Er weigerte sich die Erde und somit die Menschen zu retten.
Lyes hatte genug. Er sprang vom Dach und landete ohne ein Geräusch zu verursachen, direkt vor den Füßen des Menschen. Lyes ließ seine Sense erscheinen und zeigte damit auf den Mann.
„Victor.“, donnerte er. „Deine Zeit ist um.“
Eigentlich hatte er es nicht nötig solch eine Show abzuziehen, doch die Angst der Menschen bei seinem Erscheinen amüsierte ihn einfach zu sehr. Die trüben braunen Augen des Mannes weiteten sich und mit einem Schlag stank die Luft nach Urin, Adrenalin und Angst. Er öffnete den Mund und seine Lippen bewegten sich, doch es kam kein Ton heraus.
Lyes blickte für einen Sekundenbruchteil zum Mond hinauf. Heute Nacht hatte er keine Lust sich lange hiermit aufzuhalten. Er schwang seine aus Knochen bestehende Sense, welche dem Sterblichen die Seele aus dem Leib zog. Zurück blieb eine Hülle, ein leerer Körper der in sich zusammenfiel. Herzstillstand. So erklärten die Menschen sich immer solch plötzliche Tode. In diesem Fall würde ein Mord auf keinen Fall infrage kommen. Die Mediziner würden seine Herzerkrankung sofort erkennen und sie als Todesgrund angeben. Damit hatte sich die Sache.
Die Sense löste sich so plötzlich in Luft auf, wie sie auch erschienen war. Lyes zog das Totenbuch aus dem Gewand und schlug es wieder auf. Wie von selbst setzte sich ein Haken neben das Bild des Mannes dem er eben das Leben genommen hatte, dann war die gilbe Seite auch schon wieder leer.
In ein oder zwei Tagen würde ein neues Bild erkennbar sein. Erst dann würde er sich wieder an die Arbeit machen.
2nd
„Du siehst nachdenklich aus. Zerbrichst du dir mal wieder den Kopf über die Menschen?“
Lyes musste Azrael nicht ansehen um zu wissen, dass er grinste.
„Das tue ich schon lange nicht mehr, Bruder.“, erwiderte er ausdruckslos. Azrael, die linke Hand Satans. Sein Bruder, dessen Aufgabe es war die Seelen der Verstorbenen einzusammeln ließ sich neben ihm auf dem Sofa nieder.
„Was ist es dann?“, fragte er, nun ebenfalls eine Spur tonloser.
Azrael und er selbst hatten sich nie nahegestanden, doch wenn es hart auf hart kam waren sie füreinander da. Schon oft war einer der beiden in Schwierigkeiten geraten, zum Beispiel durch ihre himmlischen Verwandten, doch immer hatte der jeweils andere ihn unterstützt. In einem Kampf konnte man sich auf beide verlassen.
„Luzifer lässt mit den Aufträgen auf sich warten. Ich hab seit einer Woche nichts von ihm gehört.“, antwortete Lyes nun und warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu. Die Mundwinkel des Seelensammlers zuckten.
„Sei doch froh drum. Soweit ich weiß hat er sich ein neues Weib angelacht. Solltest du übrigens auch mal tun.“
Lyes schwieg. Er mochte zwar keine Gefühle haben, Bedürfnisse besaß er aber durchaus. Doch er hatte genug von all den dämonischen Frauen, die sich einen Spaß daraus machten ihm die Haut aufzukratzen. Nicht, dass er ein Softie gewesen wäre, doch ein wenig zärtlicher könnten sie trotzdem sein. Frauen von dämonischer Abstammung waren alle gleich. Sie waren hinterhältig und drehten und wendeten alles zu ihrem Vorteil. Deshalb sollte man sich niemals auf sie einlassen. Lyes stellte sich die Frauen als sanfte Wesen vor, die die harten Züge der Männer ausglichen. Doch bei Dämonen und dunklen Engeln konnte davon keine Rede sein.
Der Todesbote horchte in sich hinein, so wie am ersten Tag seiner Existenz auch. In ihm blies ein starker Wind, der ein Heulen verursachte. So kannte er es. Ein vertrautes Gefühl der Leere. Er wusste nicht ob es bei anderen Engeln und Dämonen auch so war, doch irgendwie interessierte ihn das auch gar nicht.
Geistesabwesend schlug er das Buch der Toten auf. Na also, ging doch. Das Bild einer jungen Frau war zu erkennen. Weder Name noch sonst irgendwelche Hinweise auf sie waren zu lesen. Er musste sie sehen, erst dann erkannte er ihr Wesen. Azrael warf einen Blick in das kleine Buch.
„Na also, da hast du deinen Auftrag. Ziemlich hübsch die Kleine.“
Er stieß Lyes an.
„Was ist, willst du dich nicht auf den Weg machen?“
Seufzend schmiss Lyes das Buch zur Seite.
„Wozu. Ich muss keinen Finger krumm machen, meine Opfer finden eh immer von alleine zu mir.“
Azrael erhob sich und packte seinen Bruder. Da wartete er ewig auf einen Auftrag und als er ihn bekam, war er zu faul ihn auszuführen. Das war ja wieder mal typisch.
„Beweg deinen Arsch.“, war alles was er sagte. Dann hatte er ihn auch schon aus der Wohnugn geschmissen. Lyes seufzte. Er hatte irgendwann genug davon gehabt in der Unterwelt zu leben, also hatte er sich eine Wohnung in der Menschenwelt zugelegt. Das vereinfachte ihm natürlich einiges. Der Weg zwischen Hölle und Erde fiel nun nämlich weg. Kein Höllenbewohner würde es zugeben, doch die Reise zwischen dem einen und anderen war erschwerlich und raubte einem einiges an Kraft. Früher musste Lyes sich immer ausruhen, bevor er seinem Auftrag nachkam. Doch er war inzwischen so alt, dass ihm der Weg von der Hölle aus hierher sicher schon nichts mehr ausmachte. Na, genau genommen spielte das jetzt keine Rolle mehr.
In zerschlissener Jeans und nicht zugeknöpftem Hemd streifte Lyes schließlich durch die Straßen. Es konnte ihm egal sein wie er aussah, es konnte ihn eh keiner sehen. Hin und wieder erschauerte ein Mensch wenn er an ihnen vorbei ging, doch er bemerkte es kaum noch.
Seine Gedanken gingen zum vorigen Gesprächsthema zurück. Eine Frau, hm? Er hatte sich schon oft seinen Gelüsten hingegeben, doch irgendwie wurde das langweilig. Es handelte sich schließlich immer um Dämonen. Doch andere Möglichkeiten hatte er nicht. Menschen konnten ihn nicht sehen und die himmlischen Wesen verabscheuten Wesen wie ihn. Was blieb ihm denn da noch übrig? Und was Vampire, Werwölfe und all die anderen anging...naja, sie konnten sich nur mit „ihresgleichen“ vereinigen. Sex mit anderen Wesen bedeutete ihren Tod. Er schüttelte den Kopf. Dann hatte er eben eine Durststrecke vor sich, na und?
Plötzlich fiel ihm etwas, oder besser gesagt jemand ins Auge. Eine junge Frau, gegenüber von ihm auf der anderen Straßenseite. Kinnlange, zerzauste schwarze Haare und ein auffälliger Blick. Es war die Frau aus dem Buch. Die Frau mit dem strahlenden grünen Auge und dem stahlgrauen Auge.
Gedankenverloren betrachtete sie die Menschen, die ihr entgegen kamen. Wie immer wurde sie mit erschrockenen Blicken bedacht. Viele beschimpften sie sogar oder machten einen großen Bogen um sie, weil sie einfach Angst vor ihr hatten. Als sie noch ein Kind war, hatten alle anderen Kinder Angst vor ihr und sich von ihr ferngehalten. Doch je weiter sie in der Schule kam, desto öfter wurde sie mit Steinen beworfen oder mit Eimern voller Wasser übergossen. Oft kam sie mit blauen Flecken und Blutergüssen nach Hause, doch ihre Eltern interessierte das nicht.
„Das Leben ist hart, gewöhn dich dran.“, war alles was sie dazu sagten.
Immer hatte sie sich gewünscht, dass das einfach ihre Art der Erziehung war, doch ihre Gabe hatte sie begreifen lassen, wie es wirklich war. Ihre Eltern betrachteten sie nämlich genauso als Missgeburt, wie alle anderen auch. Sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter hatten beide braune Augen. Bis heute war den Ärzten ein Rätsel, warum sie ein grünes und ein graues Auge hatte. Alene sah gen Himmel. Eine Sache in ihrem Leben gab es, die hatte sie verschwiegen. Nämlich ihre Gabe. Ihr kam ein Mann entgegen, scheinbar schon um die fünfzig Jahre alt, der sie anlächelte. Ihre Augen verengten sich.
Was ist das denn für eine Missgeburt? Himmel, die soll gefälligst wegschauen, ist ja gruselig!
Sie wandte den Blick ab. Wenn sie die Menschen nicht ansah, herrschte Ruhe in ihrem Kopf. Vielleicht tat sie den Menschen sogar einen Gefallen damit, wenn sie sie nicht ansah. Sie hatte ihre Ruhe und die Menschen fühlten sich nicht bedroht.
Schon in ihrer frühesten Kindheit war sie in der Lage, den Menschen nicht nur vor die Stirn zu schauen. Sie hatte dieses kleine Geheimnis immer für sich behalten, denn sie wusste ganz genau das sie es sonst noch schwieriger gehabt hätte. Alene hatte sich daran gewöhnt immer der Lückenbüßer zu sein, doch auch sie hatte sich immer Freunde gewünscht. Inzwischen war sie froh darüber, von falschen Freunden verschont worden zu sein. Inzwischen war sie ein ziemlich gleichgültiger Mensch geworden. Gefühlsmäßig war sie abgestumpft.
Plötzlich erregte jemand ihre Aufmerksamkeit. Knappe sechs Meter von ihr entfernt, auf der anderen Straßenseite, ging ein Mann. Er stach hervor, dank seiner Größe. Er überragte die Menschen um ihn herum um sicher einen ganzen Kopf. Er hatte kinnlange Haare, so wie sie selbst, nur das seine sich leicht lockten, so als wären sie nass. Auch von weitem konnte sie seine kantigen und grausam geschnittenen Gesichtszüge erkennen. Sie konnte nicht anders, sie musste einfach stehen bleiben und ihn genauer in Augenschein nehmen. Warum hatte er sein Hemd nicht zugeknöpft? Als sie seine definierten Bauchmuskeln sah, schluckte sie. Aber das war jetzt unwichtig.
Seltsamerweise schien er das Gleiche gedacht zu haben, denn er blieb ebenfalls plötzlich stehen und sah sie unverwandt an. Ihr blieb die Luft weg, als sie die Farben seiner Augen sah. Sie waren grau. Naja, eher weiß als grau. Beides vielleicht. Seine grauen Augen waren so hell und milchig, dass sie schon ins weiß übergingen. Beinahe hätten Alenes Mundwinkel gezuckt. Dieser Mann hatte genauso außergewöhnliche Augen wie sie. Irgendwie verband sie das miteinander. Auch wenn es lächerlich klang. Sie fragte sich, ob er es wohl genauso schwer gehabt hatte wie sie.
Sicher nicht., dachte sie. Die Frauen warfen sich ihm sicher scharenweise zu Füße. Doch als die beiden sich einige Sekunden lang angesehen hatten fiel Alene auf, dass die Menschen um ihn herum ihn nicht einmal zu sehen schienen. Sie gingen an ihm vorbei, als wäre er Luft. Bei ihr war das nicht so. Jeder sah sie an, angewidert und schockiert. Zu gerne hätte die junge Frau nun gewusst, was dieser Mann dachte, doch über diese Entfernung konnte sich die Gedanken der Leute nicht lesen. Leider. Sie konnte nicht zu ihm gehen und ihm direkt in die Augen sehen, also ging sie einfach weiter.
So angetan sie auch war, sie wagte es nicht über die Schulter zu sehen. Sie wollte nicht, dass er sah wie sehr er sie faszinierte. Und das nur durch Blickkontakt. Dennoch spürte sie den stechenden Blick im Rücken, mit dem er sie bedachte. Einfach weitergehen., dachte sie und bog in eine Gasse ein. Eine Abkürzung zu ihr nach Hause. Die nahm sie schon seit Jahren und das sie hier schon etliche Male zusammen geschlagen worden war, hinderte sie auch nicht daran diesen Weg zu nehmen...
Lyes hielt die Luft an. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Mit intensivem Blick sah die junge Frau ihn an. Ihr Gesicht war dabei völlig ausdruckslos. Dennoch schien sie sich von seinem Anblick nicht losreißen zu können. Ein leises Knurren stieg in seiner Brust auf. Gut, dass es niemand hören konnte. Die Menschen wären nun sicher geflohen.
Scheiße nochmal!, dachte er. Warum erkenne ich nichts aus ihrem Namen?
Alene Eray.
Sie ging weiter, ohne zurück zu blicken, und bog in eine Gasse ein.
Fuck!, dachte Lyes und preschte hinterher. Kurz bevor er die Gasse erreicht hatte, breitete er seine schwarzen Schwingen aus und erhob sich in die Luft. Er landete auf dem Dach des Hauses zu seinen Füßen und beschloss, der Frau zu folgen. Wieso, verdammt noch mal konnte er sie nicht „lesen“?
Alene., dachte er. Ihr Name zerging ihm auf der Zunge. Während er ihr nachdenklich folgte, musterte er sie immer wieder von oben bis unten. Sie war um einiges kleiner als er, vielleicht knapp einen Meter siebzig. Winzig im Vergleich zu seiner stattlichen Größe von einen Meter sechsundneunzig. Ihre Haut war blass, fast schon bleich und ließ sie elfenhaft wirken.
Sie hatte ein feingeschnittenes Gesicht, schmal mit großen Augen, kleiner Nase und vollen, geschwungenen Lippen, die zum küssen einluden. Sie trug ein rückenfreies Shirt, welches im Nacken gebunden wurde und somit den Blick auf einen Raben freigab, der mit ausgebreiteten Flügeln in ihre Haut am Schulterblatt eintättowiert war. Ihre schlanken Beine steckten in einer engen Hose. Seine Mundwinkel zuckten als sein Blick auf ihren knackigen, runden Hintern fiel.
In sich hinein lachend sprang er auf das nächste Dach, damit er sie auch von vorne genaustens betrachten konnte. Wie von selbst leckte er sich über die Lippen, als er ihr Dekollétee betrachtete. Prall und wie für seine Hände geformt. Lyes biss sich auf die Zunge. Nun machte es sich doch bemerkbar, dass er schon lange keine Frau mehr in seinem Bett gehabt hatte. Tausende Fragen schossen ihm durch den Kopf.
Warum ist ihr Blick so ausdruckslos?
Warum konnte ich nicht in ihr Bewusstsein eindringen?
Warum fasziniert sie mich so?
Lyes beobachtete, wie plötzlich ein stämmiger Mann hinter der Frau herschlich. Alarmiert setzte sein Körper sich unter Spannung. Keiner durfte seine Opfer töten, außer er selbst. Naja, dass der Kerl auf ihren Tod aus war, war unwahrscheinlich, doch bei dem Gedanken daran was er der Frau alles antun könnte, wurde ihm übel. Er wusste nicht warum es so war, doch dieser Gedanke gefiel ihm ganz und gar nicht.
Der Mann kam ihr immer näher und als Lyes sah, dass auch noch ein Messer in seiner Hand aufblitzte, war er bereits dabei die Flügel wieder auszubreiten.
Plötzlich blieb Alene stehen. Irritiert über ihre Handlung hielt auch der schwarze Engel inne. Wollte sie nicht weglaufen?
„Als ob ich weglaufen würde.“ schien ihr Blick zu sagen.
„Mutiges Mädchen.“, hauchte Lyes.
Als der Verbrecher ihre Reaktion sah, verharrte er ebenfalls einen Augenblick lang. Auch er schien damit nicht gerechnet zu haben. Jedoch hatte er sich schnell gefasst und ging nun bedrohlich auf sie zu.
„Her mit deiner Kohle!“, drängte er mit kratziger Raucherstimme.
„Ansonsten schlitzt du mich auf, oder was?“, erwiderte Alene. Mit Spott in den Augen zog sie die Brauen hoch. Lyes hielt den Atem an. Er wusste selbst nicht was er erwartet hatte, doch ihre Stimme klang ungewöhnlich hell und klar. Wäre er ihr im Wald oder auf einer Wiese begegnet, hätte er sie glatt für einen Engel gehalten. Bedrohlich fuchtelte der Mann mit dem Messer vor ihrer Nase herum.
„Glaubst du, ich würde zögern?“, zischte er. Alenes Mundwinkel zuckten, doch allem Anschein nach wollte sie es verbergen.
„Das vielleicht nicht aber du machst dir ja jetzt schon fast in die Hose, dabei siehst du mir nur in die Augen. Ich wette du würdest dich übergeben, wenn du mein Blut siehst. Du kannst nämlich kein Blut sehen.“
Unheilvoll starrte sie ihn an. Zitternd wich der Typ zurück.
„Was bist du für eine Missgeburt? Woher weißt du, dass ich kein Blut sehen kann?“
Das würde Lyes auch interessieren, doch sie zuckte nur mit den Schultern.
„Wer weiß.“, murmelte sie und wurde aber sofort wieder aufmerksam.
„Sind wir hier dann fertig? Ich würde nämlich gerne nach Hause.“
Lyes Augen verengten sich, als der Typ überraschenderweise wieder einen Schritt auf sie zu machte. Dieses Mal kam ihr das Messer dabei noch näher.
„Rück jetzt die Kohle heraus.“, brüllte er fast schon.
Alene seufzte laut, packte den Arm des Mannes und entriss ihm das Messer. Dann stieß sie den bulligen Kerl zu Boden. Sie grinste und verließ dann pfeifend und mit dem Messer in der Hand die Gasse. Zurück blieb ein Mann, der vor lauter Schreck einen Schrei ausstieß.
Alene hatte es sich auf dem Dach ihres Hauses bequem gemacht und betrachtete nun nachdenklich das Messer in ihrer Hand. Der Typ vorhin konnte kein Blut sehen und wollte sie ernsthaft aufschlitzen? Was war das denn bitte für eine Logik? Vor diesem Kerl war zwar keine Gefahr ausgegangen, dennoch hatte sie die ganze Zeit ein komisches Gefühl gehabt. So, als wäre sie die ganze Zeit beobachtet worden. Sie blickte in den wolkenlosen Himmel, als sie plötzlich einen Schatten aus den Augenwinkeln wahrnahm.
„Na, komm schon her.“, sagte sie, ohne den Blick von den Sternen abzuwenden.
„Woher wusstest du, dass er kein Blut sehen konnte?“
Sie erschauerte beim Klang der tiefen Stimme.
„Spielt das eine Rolle? Warum folgst du mir?“
Als sie nun doch beschloss einen Blick zu riskieren, blieb ihr fast das Herz stehen.
Weißgraue Augen starrten sie an.
„Wer weiß.“, antwortete er.
Sie erschauerte erneut. Seine Stimme war genauso ausdruckslos wie ihre eigene. Misstrauisch blickte sie ihm in die Augen, doch...
Sie hielt den Atem an. Konnte das tatsächlich sein? Es war ruhig in ihrem Kopf. Und das blieb es auch!
„Nicht zu fassen...“, flüsterte sie und ihre Augen weiteten sich.
Lyes legte den Kopf schief. Wovon sprach diese Frau? Mit Verblüffung in den Augen erhob sie sich. Dann stellte sie sich direkt vor ihn und sah mit unbeschreiblichem Blick zu ihm auf.
„Wie ist dein Name?“, verlangte sie zu wissen. Argwöhnisch erwiderte er ihren Blick.
„Lyes.“, sagte er langsam. Er konnte es noch immer nicht fassen. Zum ersten Mal seiner Existenz, stellte er sich jemandem vor. Und dazu noch einem Menschen! Erst zuckten nur ihre Mundwinkel, dann lächelte sie ganz.
Lyes konnte seine folgenden Gedanken selbst noch nicht glauben, doch er fand ihr Lächeln wunderschön. Allerdings glaubte er, dass es nie einer zu sehen bekam.
Weil sie nichts sagte, ergriff er erneut das Wort.
„Was verblüfft dich so?“, fragte er leise.
Minutenlang starrte sie ihn einfach nur an. Sie wusste nicht, ob sie es ihm verraten sollte. Und überhaupt konnte. Seine Augen zeigten nicht ein Gefühl, alles was sie sehen konnte war, dass er viel erlebt haben musste. Sein Blick war unglaublich weise. Schließlich schlossen sich ihre Augen.
„Es tut mir leid aber ich kann es dir nicht sagen.“, hauchte sie.
Zorn wallte in dem Todesengel auf. Er wollte unbedingt wissen, welches Geheimnis die Kleine hatte und es ärgerte ihn, dass sie nicht mit der Sprache herausrücken wollte.
„Du hast schöne Augen.“, sagte er.
Huch, wo kam denn dieser Gedanke her? Er wusste es selbst nicht. Er sah in diesem Moment mindestens genauso verblüfft aus, wie sie.
„D-Danke.“, erwiderte sie schließlich und wandte den Blick ab. „Aber durch Komplimente machen, werde ich es dir auch nicht verraten.“
Nun hatte Alene ein Problem. Da sie seine Gedanken nicht lesen konnte, wusste sie auch nicht ob er die Wahrheit sagte und wann er log. Somit wusste sie auch nicht, ob das Kompliment ernst gemeint war. Irgendwie freute sie sich darüber. Ihr hatte noch nie jemand ein Kompliment gemacht. Irgendwie schien er es zu wissen.
„Die Leute auf der Straße haben dich alle seltsam angeschaut, daraus schließe ich, dass dir nie jemand ein Kompliment gemacht hat.“
„Komplimente sind mit in der Tat fremd und das man mich anstarrt ist mir auch egal.“
Ihre Muskeln spannten sich an, als er sie genaustens in Augenschein nahm.
„Warum nicht eine Sonnenbrille? Oder Kontaktlinsen? Es gibt doch genug Möglichkeiten.“
Seine Worte überraschten sie und irgendwie versetzten ihr seine Worte einen eigenartigen Stich. Sie zog wieder die Brauen hoch.
„Ich soll dieses auffällige Merkmal verstecken? Warum denn? Lieber werde ich als Monster abgestempelt, als graue Maus, die man schikanieren kann.“
Ihre Erklärung ließ ihn hellhörig werden. Zum Donnerwetter nochmal, warum machte er sich solche Gedanken um dieses Weib?
„Du wurdest als Monster abgestempelt und schikaniert. Ein Wunder das du noch in der Lage bist, mit geradem Rückgrat durch die Welt zu stiefeln.“
Seine Worte empörten sie. Glaubte er wirklich, sie würde sich in ihrem Haus verstecken, wie eine Schnecke? Na, dann hatte er sich aber geschnitten!
„Na, hör mal! Für wie schwach hältst du mich denn? Keine Ahnung wie ich mich verraten habe aber auch wenn ich herumgeschubst wurde, ich hatte mein ganzes Leben lang ein Ass im Ärmel. Genau genommen waren die unzähligen Tracht Prügel noch harmlos im Gegensatz zu dem, was sonst hätte alles passieren können. Aber genug Plaudereien über mich. Was ist mit dir? Deine Augen sind auch nicht gerade unauffällig also was ist dein Trick? Warum beachten dich die Menschen nicht?“
Lyes kam nicht drum herum ein Lächeln zu zeigen.
„Das wüsstest du wohl gerne, hm?“
Ein kurzer, stechender Blitz aus Trauer durchfuhr Alene, als der Mann ihr den Rücken zukehrte.
„Danke.“, flüsterte sie. Sie dachte er hätte sie nicht gehört, doch ein leises „Wofür?“ kam zurück. Alene ging ebenfalls in die andere Richtung.
„Dafür, dass Ruhe in meinem Kopf herrscht.“, hauchte sie.
Dann kletterte sie vom Dach.
3rd
„Du hockst auf dem Sofa, wie ein lebloser Stein.“, bemerkte Azrael und warf sich gegenüber vom Sofa in den Sessel.
„Ich bin ein lebloser Stein.“, erwiderte Lyes, halb ernst, halb sarkastisch.
„Stimmt.“, murmelte der Seelensammler und musterte seinen Bruder.
„Was ist los? Du bist blass.“
Überflüssigerweise war er immer blass. Allerdings sah er wirklich etwas kränklich aus. Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren der Beweis.
„Die Frau.“, sagte der Todesengel lediglich. Übermäßig interessiert beugte Azrael sich vor.
„Du bist ihr also begegnet.“
Lyes nickte.
„Allerdings. Jedoch frage ich mich, warum Luzifer ihrem Leben ein Ende setzen will.“
Ein listiges Funkeln trat in Azraels Augen.
„Lyes, dass ich diese Feststellung je aussprechen würde hätte ich niemals für möglich gehalten aber diese Menschenfrau hat tatsächlich dein Interesse geweckt, oder?“
Der dämonische Engel sah ihn einfach nur an und sagte nichts.
„Mach die Augen zu.“, befahl er Azrael dann. Der Mann hinterfragte es nicht. Auch Lyes schloss seine Augen, dann ließ er seinen Bruder per Gedanken daran teilhaben, was vor Stunden geschehen war.
. . .
„Eine wirklich interessante Frau.“, murmelte Azrael. „Vielleicht ist sie verrückt?“, dachte er nun laut nach.
„Wie kommst du darauf?“, erwiderte Lyes skeptisch. Sie hatte alles andere als verrückt gewirkt und er hatte schon genug verrückte Menschen gesehen, um das beurteilen zu können. Alene hatte sogar einen überdurchschnittlich schlauen Eindruck auf ihn gemacht.
„Sie hat erwähnt, dass endlich Ruhe in ihrem Kopf herrsche. Klingt für mich, als wäre sie nicht mehr ganz richtig im Kopf.“
Lyes schnaubte.
„Glaub mir, ich wüsste es wenn sie einen weg hätte.“
Azrael gab mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ihn das nun nicht mehr interessierte.
„Und du weißt nichts, außer ihren Namen?“
Verärgert schüttelte Lyes den Kopf.
„Nein, nichts. Überhaupt nichts.“
Azrael wurde misstrauisch. In all den Jahrtausenden war Lyes so etwas noch nie passiert.
„Warum fragst du nicht einfach Lulu nach seiner Meinung?“, fragte sein Bruder nun.
„Lulu?“, murmelte Lyes. „Lass ihn das bloß nicht hören. Und, vergiss es! Er will sie tot sehen, vielleicht genau wegen diesem komischen Geheimnis.“
Da ist was dran., dachte Azrael.
„Und was willst du nun tun?“, riss er Lyes aus den Gedanken.
„Sie nicht aus den Augen lassen.“, kam es zurück. Azrael zog eine Augenbraue in die Höhe.
„Du musst sie innerhalb einer Woche getötet haben, Bruder.“
Knurrend erhob Lyes sich.
„Nicht, solange ich nicht hinter ihr Geheimnis gekommen bin.“
Alene atmete die kühle Nachtluft ein und schloss für einen Moment die Augen. Seit der Begegnung mit diesem Mann war sie völlig neben der Spur. Lyes. Der Klang kam dem Wort „Lügen“ unglaublich nahe. War sein Name berechtigt? Seine Augen gingen ihr nicht aus dem Kopf, ebenso wenig wie seine unglaublich tiefe Stimme. Er faszinierte sie einfach nur, doch tief in ihrem Inneren blieb ein ungutes Gefühl. Er hatte etwas bedrohliches an sich, doch vielleicht hatte sie dieses Gefühl nur, weil sie seine Gedanken nicht lesen konnte?
„Ey, Schlampe!“
Als Alenes Augen sich öffneten, wich die zierliche Blondine ihr gegenüber zurück.
„Ach du Scheiße, deine Augen!“, kreischte sie.
„Hübsch nicht?“, erwiderte Alene grinsend.
Die kleine Frau ihr gegenüber schüttelte angewidert den Kopf.
„Grässlich! Abscheulich! Himmel, ich wollte dich fragen ob du Feuer hast aber die Lust nach der Kippe ist mir vergangen.“
Die Blonde zog an Alene vorbei und rempelte sie dabei an der Schulter an. Alene machte sich nicht die Mühe einen Blick in ihren Kopf zu werfen. Sie hatte ihre Gedanken schließlich gerade laut ausgesprochen. Alenes Blick trübte sich. Nur Lyes hatte ihre Augen hübsch genannt, alle anderen fanden sie schrecklich.
„Etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet.“, murmelte sie. Sie wollte weitergehen, doch wie ein erzürnter Racheengel hatte sich jemand vor ihr aufgebaut. Beinahe wäre sie in Lyes hineingelaufen.
Hinter Lyes klarem Blick verbarg sich trübe Sorge. Zu gerne hätte er sich eben an ihre Seite gestellt und sie unterstützt, doch funktioniert hätte das nicht. Außer Alene konnte ihn keiner sehen.
„Wie oft passiert dir so etwas am Tag?“, meldete der Mann sich nun zu Wort.
Alene musste lächeln und das lediglich, weil sie ihn wieder getroffen hatte.
„Ich mache mir nicht die Mühe mitzuzählen.“, murmelte sie und ging an ihm vorbei.
„Du treibst dich auch nur Nachts herum, oder?“, sagte sie lächelnd und sah über ihre Schulter.
„Ach ja, ich heiße übrigens Alene. Ist es Zufall, dass wir uns schon wieder über den Weg laufen?“
Das Wissen, dass Lyes dafür verantwortlich war blitzte in ihren Augen auf.
„Betrachtest du es denn als solchen?“, erwiderte er.
„Keinesfalls.“, sagte sie und zwinkerte.
Eine Zeit lang gingen die beiden schweigend nebeneinander her, bis Lyes ihr einen vorsichtigen Blick zuwarf.
„Was hast du gemeint als du sagtest, dass endlich Ruhe in deinem Kopf herrscht?“
Sie zuckte kurz zusammen und rieb sich dann die Hände.
„Das hast du gehört?“, hauchte sie und wich seinem Blick aus. Ein spitzbübisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er stehen bleib und Alene am Handgelenk fasste.
„Ich sehe es an deinen Augen, Alene. Du glaubst auch, dass du es mir verraten kannst.“, hauchte er. Gänsehaut breitete sich auf den Armen der Frau aus. Sie atmete tief durch und sah ihn ernst an.
„Ich weiß nicht wie mein Gefühl darauf kommt, dass du ehrlich und aufrichtig bist aber mein Verstand traut dir nicht. Das Leben hat mich gelehrt, nicht blind auf irgendwelche Worte zu vertrauen. Aber nun gut, selbst wenn ich es dir sage, ich bezweifle das du versuchen würdest mich zusammen zu schlagen.“
Lyes löste seine Hand von ihrer Haut, worauf sich bei beiden plötzlich ein Verlustgefühl bemerkbar machte. Ein wenig betrübt erwiderte der Todesengel Alenes Blick. Glaubte sie wirklich, er würde sie einfach so schlagen?
„Ich kann dir aber nicht garantieren, dass du mir glauben wirst.“
Lyes zwang sich zu einem Lächeln.
„Du bist eine sehr geheimnisvolle Frau, Alene aber dafür unglaublich ehrlich. Ich bezweifle, dass du mir einfach so ins Gesicht lügen würdest.“
Die Frau legte den Kopf schief.
„Ein wahrer Menschenkenner, hm? Bemerkenswert, wirklich. Ich muss mich bei sowas immer auf meine Gabe verlassen.“
Lyes hätte beinahe geseufzt. Jetzt hatte sie ihn wirklich am Haken. Erwartungsvoll sah er auf Alene herab.
„Ich kann Gedanken lesen.“, sagte sie leise. Für einen kurzen Moment entglitten Lyes die Gesichtszüge. Das sollte es sein? Sie konnte Gedanken lesen? Sie lachte, fast schon hysterisch, dennoch klang es hell und fröhlich. Wie ein...Glockenspiel.
„Ich weiß, dass das lächerlich klingt aber ich bin tatsächlich in der Lage, die Gedanken eines jeden Menschen zu lesen. Naja...“
Auf einmal zögerte sie.
„Nur deine nicht. Deswegen habe ich das gestern gesagt. Weil ich mir bei dir keine Gedanken darum machen muss, auf schreckliche Worte zu stoßen.“
Voller Aufrichtigkeit sah sie zu ihm auf. Lyes war fassungslos, sprachlos, und bekam kein Wort heraus.
„Du glaubst mir nicht.“, murmelte sie dann und senkte den Blick. Sofort schnellte Lyes Arm hervor. Alene zuckte, doch der Mann legte ihr lediglich die Hand an die Wange.
„Ich glaube dir.“, flüsterte er und hielt inne. Mehrere Minuten lang standen sie so da, bis Alene den Blick wieder abwandte und sich auf die Lippe biss.
„Die Menschen denken immer so schreckliche Sachen. Hast du eine Ahnung wie gut es tut einem Menschen in die Augen zu sehen und nicht seine Gedanken zu hören?“
Lyes musterte sie. Erleichterung war deutlich in ihren Augen zu erkennen. In dem Mann regte sich etwas. Er konnte es selbst kaum glauben. War es...Mitleid? Wie von fremder Hand gesteuert hob er seinen Arm und strich ihr in einer beruhigenden Geste übers Haar.
„Du solltest nichts auf die Meinung der Menschen geben, Kleines. Um ehrlich zu sein wundert es mich, dass du dir deren Gedanken so zu Herzen nimmst. Ich hatte erwartet das du über deren Denken lachen würdest.“
Alene gab sich seiner Berührung hin, war aber verwirrt über die Situation. Er war doch eigentlich ein Fremder.
„Ich nehme sie mir doch nicht zu Herzen! Es schockiert mich nur, welch schlimme Ausdrücke sie benutzen. Alle Menschen tun immer so, als wollten sie anderen Gutes tun und helfen wann es geht aber das ist nicht so. Alle, wirklich alle Menschen sind falsch und hinterhältig!“
Nachdenklich hob Lyes ihr Gesicht an, wodurch sie gezwungen war ihn anzusehen.
„Und was ist mit dir? Bist du auch hinterhältig und falsch?“
Darauf wusste sie nichts zu sagen. Sie wusste es nicht. Also zuckte sie mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht. Aber es hat sich nie bemerkbar gemacht. Vielleicht, weil ich unter der Falschheit anderer Menschen zu leiden hatte.“
Sie unterdrückte den Impuls den Kopf zu schütteln. In was für eine irre Situation war sie nur geraten?
„Soll ich dir was sagen?“, begann Lyes und sah sie eindringlich an. „Ich glaube nicht, dass du falsch bis. Du unterscheidest dich definitiv vom Rest der Menschheit und das nicht nur wegen deiner Augen und deiner Gabe.“
„Woher willst du das wissen?“, fragte sie, nicht im geringsten überzeugt. Er lächelte.
„Deine Augen sind klar, du gehst mit aufrechter Haltung durch die Welt und hast dein Kinn stets erhoben. Selbst in einer brenzligen Situation behältst du diese Haltung bei und das habe ich bei einem anderen Menschen noch nie gesehen. Ich halte nicht viel von den Menschen aber du hast meinen vollsten Respekt und den hat außer dir, wirklich niemand!“
Erneut war Alene sprachlos. Wer zum Teufel war dieser Mann? Ein unangenehmes Schweigen entstand zwischen den beiden, bis Lyes irgendwann weiterging und grinsend über seine Schulter zurückblickte.
„Meine Gedanken kannst du also nicht lesen.“, merkte er an. Schnell hatte Alene ihn eingeholt.
„Nein. Ich habe keine Ahnung warum du die einzige Ausnahme bist aber ich bin froh drüber. Wenn...wir zusammen sind höre ich nichts. Das ist...Es tut einfach nur gut.“
Als ob sie sich schon ewig kennen würden legte der Mann den Arm um ihre Schulter.
„Dann sollten wir wohl öfter Zeit miteinander verbringen.“, sagte er schmunzelnd. Mit ausdruckslosem Blick sah sie ihn an.
„Aus welchem Grund?“
Verblüfft über diese Herzenskälte, brach Lyes in Gelächter aus. Hatte er je in seinem Leben so gelacht? Er konnte sich jedenfalls nicht dran erinnern.
„Um Ruhe vor den Gedanken anderer Menschen zu haben.“, erwiderte er und zeigte ihr ein strahlendes Lächeln.
„Das ist ein Argument.“, murmelte sie und unterdrückte das Zucken ihrer Mundwinkel.
„Du tauchst ja eh nur auf, wenn es dir gerade in den Kram passt.“, fügte sie hinzu. Wieder lachte er leise.
„Das wäre gut möglich.“, hauchte er.
Einige Menschen waren inzwischen an ihnen vorbei gekommen und Alene fiel auf, dass sie von allen noch komischer gemustert wurde als sonst. Aber das auffälligste überhaupt: Lyes schien aus Luft zu sein!
Alene blieb stehen. Erst nach zehn Metern bemerkte der Mann es und stoppte ebenfalls.
„Was ist los?“
Alenes Augen verengten sich. Sie hatte ungewöhnliche Augen, so wie er auch, und sie war in der Lage Gedanken zu lesen. Sie glaubte inzwischen daran, dass es ungewöhnliche Dinge auf dieser Welt gab, sie war ja selbst irgendwie der Beweis dafür. Demnach wunderte sie es nicht, dass sie auf diesen absurden Gedanken kam.
„Du...bist gar kein Mensch, oder?“, flüsterte sie.
Lyes erstarrte. Hatte er sich zu auffällig verhalten? Wie, verdammt noch mal war sie darauf gekommen?
„Darf ich fragen, wie du auf diese absurde Idee kommst?“, fragte er und kam zu ihr zurück.
„Mir ist egal wie bescheuert das klingt. Ich kann die Gedanken von jedem lesen, egal ob Arzt, Anwalt oder Zauberkünstler, nur deine nicht und das wird sicher einen vernünftigen Grund haben. Hinzu kommt, dass deine Augenfarbe alles andere als menschlich ist. Also sag mir die Wahrheit. Wer oder was bist du, Lyes?“
Der Mann war fassungslos. Und schwieg. Konnte und wollte er ihr wirklich die Wahrheit sagen? Er fuhr sich verzweifelt mit der Hand durchs Haar und musste feststellen, dass er vielleicht doch nicht so gefühllos war, wie er dachte. Warum sonst sollte er sich im Inneren jetzt so verzweifelt fühlen?
„Was, wenn ich wirklich kein Mensch wäre?“, murmelte er.
„Eigentlich kann es mir ja egal sein.“, erwiderte Alene und zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht ob ich mich auf mein Gefühl verlassen kann aber es sagt mir, dass du alles andere als ein schlechter Kerl bist. Bisher musste ich mich nie auf mein Gefühl verlassen, es hat gereicht wenn ich einen Blick in die Köpfe anderer geworfen habe. Aber da das bei dir nicht geht...“
Lyes seufzte.
„Ich bin kein Mann der Ehre, Alene und es wäre ratsam, dich von mir fernzuhalten aber aus einem mir unbekannten Grund, würde ich das nicht wollen.“
Alene versuchte etwas in seinen Augen zu erkennen, doch sie blieb erfolglos.
„Du bist kein Mensch und so wie du es formulierst klingt es, als würdest du zu den Bösen gehören aber du würdest nicht wollen, dass ich mich von dir fern halte. Kann das ein gutes Ende für mich haben?“
Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
„Egal wie du es drehst und wendest, es wird auf jeden Fall ein schlechtes Ende nehmen.“
Sie erschauerte.
„Wieso sollte ich mich dann dazu entschließen, weiterhin in deiner Nähe zu bleiben?“
Sie bekam ein boshaftes Grinden zu sehen.
„Betrachte dich einfach also dazu genötigt.“, sagte er.
„Und wenn nicht?“, erwiderte sie herausfordernd. Lyes bewegte sich vor und fasste ihr Kinn und einen Augenblick lang glaubte sie, er würde sie küssen.
„Dann wird es nur noch gefährlicher für dich werden.“, raunte er ihr zu, wobei sein heißer Atem auf ihre Lippen traf.
„Das ist es auch so schon. Und nun beantworte meine Frage und verrate mir was du bist, wenn nicht ein Mensch.“
Sie spielte mit dem Gedanken ihn in die Lippe zu beißen, doch sie verkniff es sich.
„Tut mir leid aber das kann ich dir nicht verraten.“
Alene machte einen Schmollmund.
„Das ist unfair.“, schmollte sie. Lyes schmunzelte. Irgendwie sah sie so schmollend richtig süß aus.
„Das Leben ist immer unfair, Kleine. Hast du das etwa immer noch nicht begriffen?“
Sie schnaubte. Lyes täschelte ihren Kopf.
„Entschuldige, Kleines. Aber vielleicht beruhigt es dich ja wenn ich dir sage, dass ich mich noch nie bei jemandem entschuldigt habe. Und dazu auch noch ernst gemeint habe.“
Alene war zwar verblüfft über diese Tatsache, ließ sich aber nichts anmerken.
„Hör gefälligst auf das Thema zu wechseln. In Ordnung, einigen wir uns einfach darauf, dass du kein Mensch bist, okay?“, lamentierte sie. Lyes seufzte tief und hätte beinahe wieder die Hand nach ihr ausgestreckt. Alene konnte es selbst kaum glauben, doch der Mann gab nach.
„Du hast Recht, ich bin kein Mensch. Aber nun genug davon, hast du gehört?“
Alene hatte ihn lange genug gequält, also stimmte sie nickend zu.
„Gut. Aber ich muss jetzt gehen.“
Er kehrte ihr den Rücken zu. Alene sah zu Boden. Schon wieder verspürte sie diesen Stich in der Brust.
„Wann sehen wir uns wieder?“, fragte sie noch.
Und...
„Ich weiß nicht. Wenn ich Zeit habe, schätze ich. Ich finde dich schon, keine Sorge.“
Und dann ging er.
...wenn sie ihm folgen würde?
Azrael beobachtete amüsiert, wie Lyes sich die Haare raufte.
Azrael war nur wenige Jahre nach seinem Bruder geboren worden und eigentlich gab es keinen Unterschied zwischen den beiden. Bis auf die Tatsache, dass Azrael Gefühle besaß und Lyes nicht.
Doch allem Anschein nach hatte Lyes nun etwas entdeckt, was er nicht kannte. Azrael fand es lustig zu sehen, wie sein Bruder mit sich selbst kämpfte.
„Alles okay?“, fragte er vorsichtshalber doch einmal nach. Zähnefletschend drehte Lyes sich in seine Richtung.
„Nichts ist okay aber das spielt jetzt keine Rolle.“
Er ließ sich in den Sessel fallen.
„Sie lebt also noch.“, stellte sein Bruder fest. Lyes Augen schlossen sich.
„Du sagst das, als wäre es etwas Schlechtes.“, bemerkte er seltsam verdrossen.
„Genau genommen ist es das auch. Du sollst ihr Leben schließlich innerhalb einer Woche beenden, schon vergessen?“, erwiderte Azrael.
„Wie könnte ich das vergessen...“
Der Seelensammler erhob sich und schlenderte in die Küche, wo er sich einen Tee eingoss.
„Und? Bist du hinter ihr Geheimnis gekommen?“, rief er.
Ja., dachte Lyes. „Nein.“, rief er zurück.
Er konnte Azrael nicht von ihrer Gabe erzählen. Zum einen, weil er die Frau dann sicher kennenlernen wollte und damit hatte Lyes ein Problem. Zum anderen, weil Lyes ihr Geheimnis nicht weitererzählen wollte. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben es für sich zu behalten, da sollte diese Mühe nicht umsonst gewesen sein.
„Warum tötest du sie nicht einfach?“, fragte sein Bruder dann und kam zurück ins Wohnzimmer.
„Weil ich meine Ziele immer erreiche und ich will erst hinter ihr Geheimnis kommen.“, war Lyes Begründung.
„Alter Sturkopf.“, murmelte Azrael, dann zog der Seelensammer sich in sein Zimmer zurück.
„Scheint, als hätte da jemand eine Menge Geld zur Verfügung.“, murmelte Alene als sie sah, in welch einem prunkvollen Haus Lyes verschwunden war. Sie schluckte. Sie befand sich in der Lobby eines riesigen Wolkenkratzers. (Und ja, die gab es auch in England!)
Vor dem Aufzug um genau zu sein. Im neunten Stock war Lyes ausgestiegen. Blieb zu hoffen, dass es in dieser Etage nicht all zu viele Appartments gab. Mutig drückte Alene im Aufzug den Knopf mit der neun.
„Na, dann mal los.“, flüsterte sie.
Doch plötzlich stieg Angst in ihr auf. Was, wenn er verheiratet war? Oder gar nicht alleine lebte? Sie schüttelte den Kopf um diese Gedanken zu vertreiben. Das kam davon, dass sie seine Gedanken nicht lesen konnte. Als Alene im neunten Stock ankam musste sie feststellen, dass es auf dem langen Flur nur eine einzige Tür gab.
„Gott sein Dank.“, hauchte sie. Selbstbewusst nahm sie Kurs auf die Tür, an der sie dann energisch klopfte.
„Azrael, das wird für dich sein.“, vernahm sie Lyes Stimme aus dem Inneren.
Interessant, er lebte also nicht alleine. Azrael? War er etwa schwul? Möglich, aber unwahrscheinlich., dachte Alene als ihr die Tür plötzlich geöffnet wurde. Sie blickte einem muskulösen Mann ins Gesicht, der sie aus strahlenden blauen Augen heraus musterte. Für einen Moment sah er fassungslos aus, doch schnell hatte er sich wieder gefasst.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er mit melodischer Stimme und zog eine Braue in die Höhe. Mit zuckenden Mundwinkeln drang Alene in sein Bewusstsein.
Zum Teufel, was macht die Kleine hier?
Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Lyes hatte diesem Mann von ihr erzählt? Dann waren die zwei vielleicht gute Freunde. Oder sogar Brüder?
„Ja. Ich würde gerne zu Lyes. Wenn er denn da ist, versteht sich.“, sagte sie nun und zeigte ein geheimnisvolles Lächeln.
„Warte einen Augenblick.“, sagte der Mann ohne mit der Wimper zu zucken und schlug ihr die Tür vor der Nase zu.
„Er scheint alles andere als erfreut über mich zu sein.“, murmelte Alene, dann ging die Tür auch schon wieder auf.
„Lyes ist gerade unter die Dusche gesprungen aber du kannst gerne reinkommen.“
Duschen?, dachte sie. Sie hatte ihn doch gerade noch gehört. Aber nun gut, immerhin durfte sie die Wohnung betreten. Mit selbstbewussten Schritten trat sie ein und wäre beinahe rückwärts wieder rausgestolpert. So viel Luxus gehörte doch verboten. Sie schluckte und ließ sich auf das Sofa fallen, welches Azrael ihr zum Sitzen anbot.
Bruder, es wäre wirklich besser, wenn du deinen Auftrag zu Ende führen würdest.
Die Gedanken des Mannes schlichen sich in ihren Kopf.
Was für einen Auftrag?, dachte sie. Misstrauisch sah Alene ihn an. Leider bemerkte er diesen Blick.
„Gibt es ein Problem?“, fragte er.
„Lyes und du seid Brüder.“, sagte sie lediglich ausdruckslos. Erneut glitt ein Ausdruck der Überraschung in Azraels Gesicht, doch schnell verschwand dieser wieder.
„Ich nehme an, Lyes hat dir das verraten?“, hakte er aufmerksam nach. Alene lächelte.
„Nein. Es war nur eine Vermutung.“, antwortete sie und schlug die Beine übereinander.
„Mein Name ist übrigens Azrael. Du bist Alene, richtig?“
Die Frau nickte.
„Sehr erfreut.“, sagte sie fröhlich, reichte ihm jedoch nicht die Hand.
Ihre Augen sehen wirklich...seltsam aus.
Azrael Gedanken sorgten dafür, dass ihre Augen sich verengten.
„Sie haben schöne Augen, wenn ich das mal so sagen darf.“, sagte der Mann dann laut. Alene lächelte wissend.
„Keine Sorge, ich weiß wie beängstigend sie sind. Sie brauchen meinetwegen nicht lügen.“, zwitscherte sie, worauf Azrael die Brauen hochzog.
„Das war mein voller Ernst! Wie kommen Sie darauf, dass ich sie abstoßend finde?“
Alene zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht nicht abstoßend aber definitiv seltsam.“
Argwöhnisch wurde sie gemustert.
Entweder kann sie Leute einfach nur gut einschätzen oder...
„Sagen Sie, wissen Sie woran ich gerade denke?“, fragte er und die Frage ob sie gerne einen Kaffee hätte geisterte ihr durch den Kopf.
„Nicht wirklich. Aber ich nehme an, dass Sie es mir gleich verraten werden.“, erwiderte sie.
„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“, fragte er. Dann lauschte sie erneut seinen Gedanken.
Vielleicht tut sie auch nur so, als könnte sie es nicht.
„Nein, danke. Sie sehen nachdenklich aus, wenn ich das anmerken darf. Ist meine Anwesenheit zeitlich ungünstig?“
Da! Schon wieder dieser verblüffte Ausdruck!
„Wie kommen Sie darauf?“, fragte er. Ein blasiertes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.
„Lediglich mein Gefühl. Ich bin schließlich unangemeldet hier.“, erklärte sie und machte eine Geste mit der Hand.
„Sie sind eine bemerkenswerte Frau, Alene. Ich kann verstehen warum Lyes ein solches Interesse an Ihnen hegt.“
Nun war die Frau an der Reihe, verblüfft auszusehen.
„Soso, er hat also Interesse an mit.“, murmelte sie und rieb nachdenklich das Kinn. Azrael erhob sich und ging auf sie zu.
„Lachen Sie mich bitte nicht aus, Alene aber täusche ich mich oder können Sie Gedanken lesen?“
Beinahe wäre sie in Gelächter ausgebrochen.
„Ich erlaube mir zu fragen, wie Sie darauf kommen.“, sagte sie grinsend. Für einen Moment glaubte Azrael, er hätte sich getäuscht. Doch er fand ihr Verhalten einfach zu seltsam. Er musste einfach fragen.
„So wie Frauen auch, besitze auch ich eine Intuition.“
Alene fand seine Erklärung lächerlich. Also ließ sie eine Bombe platzen.
„Wirklich nur Intuiton? Oder die Tatsache, dass Sie nicht menschlich sind?“
Azrael war sprachlos. Ihm blieb die Luft weg.
Verdammt noch mal, was hat Lyes ihr erzählt?, knurrte er in Gedanken.
„Lyes hat mir nichts erzählt, keine Sorge. Ich bin von allein drauf gekommen.“, beantwortete Alene die Frage und lächelte aufrichtig. Sie kicherte beim Anblick des perplexen Mannes.
„Tut mir leid wegen dieses kleinen Spiels aber außer Lyes und Ihnen, weiß keiner von dieser Fähigkeit und das wird auch so bleiben.“
Azraels Augen schlossen sich und er ließ seufzend den Kopf zurück fallen.
„Du hast es ihm erzählt?“, flüsterte ihr plötzlich eine raue Stimme ins Ohr.
„Du weißt es doch schließlich auch. Das erscheint mir nur fair.“, erwiderte sie und unterdrückte es leise zu stöhnen. Lyes nassen Haare kitzelten ihren Nacken und plötzlich spielte er mit den Fingern an ihrem Hals und ihrem Kinn. Sanft fuhr er über ihre Haut.
„Mir nicht. Er war schließlich nicht derjenige, der die ganze Zeit über bei dir war.“, flüsterte er ihr dann ins Ohr, worauf sich entgültig Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitete. Ihr Atem ging flacher.
„Und was willst du jetzt tun?“, murmelte sie und drehte den Kopf ein wenig, um ihn aus den Augenwinkeln anzusehen. Seine Lippen zuckten als er kurz davor stand, sie zu küssen.
„Dich bestrafen!“
Kurz bevor ihre Lippen aufeinander trafen räusperte Azrael sich.
„Hör auf sie zu ärgern, Lyes.“, befahl er.
„Halt dich da raus!“, fauchte Alene, ohne Lyes aus den Augen zu lassen. Perplex über diesen Tonfall starrten die beiden Männer sie an.
„Warum bist du hier, Kleines?“, hauchte Lyes und zog sich auch schon zurück.
Beinahe wäre Alene ein enttäuschtes Seufzen entflohen.
„Ich war neugierig. Und wollte mich dafür revanchieren, dass du immer wie aus dem Nichts bei mir auftauchst. Also: Hier bin ich!“
Wie gerne ich ihn küssen würde..., dachte Alene und wandte den Blick ab. Je länger sie ihn ansah, desto mehr war sie fasziniert. Doch immer wieder musste sie sich fragen, was für einen Auftrag Lyes Bruder meinte.
„Warum bist du wirklich hier, Alene?“, fragte Lyes leise. Fast schon betrübt sah er auf sie herab. Wollte er sie etwa nicht sehen? Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Mann eigentlich nackt war. Lediglich ein Handtuch hatte er sich um die Lenden gebunden.
Himmel, diese Muskeln! Wie gerne hätte sie nun die Hand ausgestreckt und...
„Alene!“
Sie blinzelte und blickte benommen in seine Augen. Erwartungsvoll zog er die Brauen hoch.
„Vielleicht sollte ich wieder gehen...“, hauchte sie und erhob sich rasch. Was? Nein! Das würde Lyes auf keinen Fall zulassen. Er streckte bereits die Hand nach ihr aus, doch noch bevor er etwas sagen konnte, unterbrach ein Klopfen an der Haustür den Moment. Drei Köpfe fuhren herum.
„Wer stört denn jetzt schon wieder?“, brummte Azrael und schlenderte gemütlich zur Tür.
Doch noch bevor er an der Tür ankam, wurde diese aufgerissen und ein großer, attraktiver Mann kam hereingestürmt.
„Darf ich fragen, warum das so lange dauert?“, brüllte er und türmte sich vor Lyes auf. Als er die Frau bemerkte, riss er seine Augen auf. Sein Blick huschte von Alene zu Lyes und wieder zurück.
„Ich glaube, du hast mir etwas zu erklären, Tod.“, knurrte er Lyes an.
Tod?, dachte Alene. Soll das ein Spitzname sein?
„Du tauchst immer zu den ungünstigsten Zeitpunkten auf.“, murmelte der Mann mit den hellen Augen. Alenes Mundwinkel zuckten.
„Ich weiß zwar nicht wer das ist, aber du scheinst dir diese Eigenschaft von ihm abgeschaut zu haben.“, hauchte sie. Perplex starrte der Fremde Mann auf sie herab.
„Alene Eray.“, brummte er. Alene seufzte.
„Klasse! Dann ist ja nicht menschliche Trio wohl komplett...“
Das Knurren in der Brust des Mannes wurde lauter. Alene erlaubte sich, einen Abstecher in die Gedanken des Mannes zu machen.
Wenn sie wüsste das sie dem Leibhaftigen gegenüber steht, wäre sie nicht mehr so vorlaut., flüsterte die raue Stimme des Mannes. Alene blieb die Luft weg. Seine Gedanken waren so unglaublich schwer zu erreichen. Und seine Worte...? Der Leibhaftige? Sollte das heißen...das dieser Mann Satan war? Der Teufel höchstpersönlich? Zugegeben, nun hatte sie ein wenig Angst. Wer waren denn dann die anderen beiden? Sie ließ sich kein Gefühl anmerken und verbeugte sich leicht.
„Sehr interessant.“, murmelte sie. „Ich stehe dem Teufel gegenüber und keiner hat den Anstand, mir etwas zu sagen. Ich hätte nicht erwartet, dass ihr auch so feige sein könnt.“
Während den Männern die Münder offenstanden, nahm sie sich die Zeit, den Teufel in Augenschein zu nehmen. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, das Jackett hatte er aber offen gelassen.
Seine Haare waren aschblond und fielen ihm in leichten Wellen auf die Schultern. Seine blauen Augen schienen sie regelrecht zu durchbohren. Sie wurde aus den Gedanken gerissen, denn Lyes kam zu ihr und umfasste kraftvoll mit beiden Händen ihr Gesicht.
„Wer, verdammt noch mal bist du?“, knurrte er.
„Alene.“, sagte sie leise.
Voller Ehrlichkeit sah sie ihn an. Sie hätte jegliche Lügen erfinden können, doch das wollte sie nicht. So oft hatte sie den Menschen schon ins Gesicht gelogen, doch niemals würde sie das bei Lyes wagen. Sie wusste ja nicht einmal, was er war. Fauchend, ja wirklich fauchend drehte er sich wieder zu dem Teufel um. Apropos, Alene fragte sich wie er gedachte genannt zu werden.
„Hast du mir deshalb diesen Auftrag ausgehändigt?“, brüllte Lyes.
Verdammt noch mal, von welchem Auftrag war denn hier die Rede? Eine hitzige Diskussion begann.
„Das kann dir völlig egal sein!“, zischte der Teufel.
„Entweder bringst du es zu Ende, oder ich!“
Lauf, Alene. Sofort! Dreh dich nicht um, hörst du? Lyes kommt zu dir, versprochen.
Azraels Worte in ihrem Kopf ließen sie ängstlich werden. Sie kannte Lyes Bruder nicht. Sie konnte ihm doch nicht einfach blind vertrauen! Allerdings konnte sie fühlen, das wenn sie nicht auf ihn hören würde, in noch größere Gefahr geraten würde. Mit einem Blick voller Trauer und Reue auf Lyes, machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte aus der Wohnung.
4th
Kaum war Alene zur Tür raus, begann de Schlägerei. Luzifer holte mit der Faust aus und verpasste Lyes einen Schlag, der ihm die Nase brach.
„Was ist denn los mit dir?“, brüllte der Teufel. „Sie sollte schon längst tot sein! Du bist doch sonst so schnell und prahlst damit, wie erfolgreich du wieder warst.“
„Ich würde gerne einiges ändern.“, knurrte der Todesengel. Sowohl empört als auch belustigt hielt Luzifer inne.
„Ich glaube, ich hab mich wohl verhört. Seit wann gibst du hier bitte den Ton an? Waren wir uns nicht einig, dass ich die Regeln bestimme und nicht du?“
„Ich will wissen, warum ich diese Leute töten soll. Ich will wissen, was sie verbrochen haben.“, erklärte Lyes und gab seine Kampfhaltung auf. Distanziert trat der Teufel einen Schritt zurück.
„Das hat dich nicht zu interessieren, Lyes. Du hast nur deine Aufgabe zu erfüllen, sonst nichts. Also geh gefälligst an deine Arbeit.“
Lyes knirschte mit den Zähnen. So leicht würde er sich nicht abwimmeln lassen. Plötzlich legte ihm sein Bruder die Hand auf die Schulter.
„Geh zu ihr. Ich glaube, sie ist im Moment ein wenig überfordert.“
Dann wandte er sich an den Höllenfürsten.
„Ich würde gerne mit dir reden, Luzifer. Unter vier Augen, wenn möglich.“
Der Ernsthaftigkeit die Azrael an den Tag legte, überraschte die beiden Männer, weswegen sie beide zustimmend nickten. Lyes stürmte ebenfalls aus der Wohnung und zurück blieben der Satan und sein Seelensammler.
Keuchend kam Alene in der Gasse zum Stehen. Wie lange war sie gelaufen? Zehn Minuten? Oder noch länger? War sie weit genug von diesem Wolkenkratzer entfernt? Vielleicht. Aber sie zweifelte nicht daran, dass der Teufel sie problemlos finden würde. Sie legte die Hand aufs Herz und versuchte, ruhig zu werden. Wer waren Lyes und sein Bruder Azrael? Getreue Diener Satans? Mehr? Oder weniger? Sie hatte keine Ahnung. Sie stützte sich an der Steinwand neben ihr ab und ging einige Schritte. Ihre Knie waren weich wie Pudding und ihr Puls war bedenklich nach oben geschnellt. Musste sie Angst um ihr Leben haben? Und wo sollte sie nun hin? In ihrer Wohnung wäre sie keinesfalls sicher. In der Ferne hallten Schritte durch die Nacht und es schien, als kämen sie immer näher. Sie war sich sicher, dass sie verfolgt wurde. Wäre sie nun noch ein Kind, hätte sie sich kleingemacht und an der Wand zusammen gekauert. Doch sie war kein Kind mehr. Solche Dinge tat sie schon lange nicht mehr. Sie ließ nichts mehr mit sich machen, was sie nocht wollte. Auch jetzt nicht.
„Alene, bitte!“, durchschnitt eine tiefe Stimme die Nacht. Die Frau blinzelte die Tränen weg und sah zum Anfang der Gasse. Ein wenig außer Atem erreichte Lyes sie schließlich. Mit ausdruckslosen Augen sah Alene zu ihm auf.
„Glaub nicht, ich wäre aus Angst weggelaufen. Azrael sagte, ich solle laufen.“
Überrascht über diese Erkenntnis zog Lyes die Brauen in die Höhe.
„Er...hat es dir per Gedanken übermittelt, oder?“, fragte er leise.
Alene nickte und musterte den Mann. Er wirkte nun ganz anders als vorhin, in dem Appartment. Vorhin schien er wirklich ein Diener Satans gewesen zu sein. Bedrohlich, nahezu tödlich und ein wahnsinniger Blick. Jetzt allerdings schien ihm das, was geschehen war leid zu tun. Er hatte nicht mehr so eine gerade Haltung wie sonst, sondern hatte sich leicht vorgebeugt, weshalb Alene seinen intensiven Geruch nach Meer und Salz vernahm.
„Warum bist du mir gefolgt, Lyes?“, fragte Alene und öffente ihre verschränkten Arme. Der Mann rang nach einer Antwort.
„Azrael wollte unter vier Augen mit Luzifer sprechen und ich...hätte es nicht beruhigend gefunden zu wissen, dass du alleine durch die Nacht irrst.“
Seufzend neigte Alene den Kopf.
„Ich irre jede Nacht durch die Gegend, Lyes. Das ist also nichts Neues.“
Erneut rang der Mann mit sich selbst und irgendwie fand Alene das süß. Es war offensichtlich, dass er keinerlei Erfahrung mit Gefühlen hatte. Er hatte keine Ahnung, welche Antwort nun die richtige gewesen wäre.
„Lass gut sein, Süßer. Erklär mir lieber, von welchem Auftrag die Rede ist.“, verlangte sie und ging ein Stück. Der Todesengel folgte ihr.
„Bevor wir dazu kommen wüsste ich gerne woher du weißt, dass Luzifer der Teufel ist.“
Er ergriff ihren Arm und zwang sie somit stehen zu bleiben.
„Ich habe es aus seinen Gedanken entnommen. Zugegeben, sein Denken ist wirklich schwer zu belauschen aber es funktioniert. Mir ist es immer noch ein Rätsel, warum ich bei deinem Bewusstsein keine Chance habe.“
Seufzend ergriff Lyes ihre Hand und zog sie mit.
„Wir müssen fliehen, Alene. Sofort.“, knurrte er. Da war er wieder. Der gefährliche Mann mit dem tödlichen Blick.
„Ich weiß zwar nicht wieso aber wenn jemand fliehen muss, dann bin wohl ich das und nicht „wir“. Erklärst du mir auch, warum?“
Ein wenig hilflos sah sie zu ihm auf. Er zog sie mit, immer weiter in die Nacht hinaus.
„Du bist in Gefahr. Und ich bald auch, wenn ich meinen Auftrag nicht ausführe.“
Alene fragte sich zwar wo er sie hinbrachte, doch etwas anderes beschäftigte sie gerade viel mehr.
„Wo wir gerade davon sprechen: Wie lautet dieser Auftrag?“
„Das verrate ich dir besser nicht.“, erwiderte Lyes. Er wurde schneller.
„Wirst du ihn nicht ausführen?“, fragte Alene dann.
„Nein.“, war die entschiedene Antwort.
Voller Ungeduld starrte Luzifer Azrael an.
„Darf ich fragen, was das eben sollte?“, knurrte er.
„Ich glaube, du solltest ein paar Dinge ändern.“, verkündete der Seelensammler ausdruckslos. Luzifer glaubte, er habe sich verhört doch er wollte dem Mann das Wort überlassen.
„Zu aller erst einmal wüsste ich gern, warum du diese Frau aus dem Weg haben willst.“
Nun entspannt ließ Luzifer sich aufs Sofa sinken.
„Du sagst das, als ob du bereits etwas ahnen würdest.“, erwiderte der Teufel geheimnisvoll lächelnd. Azrael wurde ernst und kniff die Augen zusammen.
„Hast du gewusst, dass es eine Frau geben würde, die...Lyes verborgene Seiten zum Vorschein bringen wird?“, fragte er leise. Ohne zu blinzeln erwiderte Luzifer seinen Blick. Es dauerte einen Augenblick bis er sich dazu entschied zu antworten.
„Ja, ich wusste es. Aber allem Anschein nach tauchen die Probleme schon jetzt auf.“
„War dir klar, was für eine Gabe sie haben würde?“, fragte Azrael. Luzifer kniff sich mit den Fingern in die Nasenwurzel.
„Ich wusste natürlich, dass sie irgendeine Fähigkeit hat aber...das sie Gedanken lesen kann haut mich dann doch um.“, murmelte er. Als er den Seelensammler ansah, loderte etwas rotes in Luzifers Augen auf.
„Es war keine gute Idee von dir Lyes zu sagen, er solle ihr nach. Er könnte auf dumme Gedanken kommen.“
Azrael ordnete seine Gedanken neu. Stimmt schon, auch wenn sein Bruder bisher keine Gefühle kannte, so war er doch impulsiv. Seit diese Frau im Spiel war hatte Lyes sich geändert. Urplötzlich traute Azrael ihm sogar zu, mit ihr durchzubrennen. Auch wenn er bezweifelte, dass der Todesengel wirklich so blöd war.
„Selbst wenn er auf dumme Gedanken kommt, früher oder später würde er einsehen, dass er sich dir nicht widersetzen kann.“, sagte Azrael schließlich. Mit selbstgefälligen Grinsen erhob Luzifer sich.
„Lass dir eines gesagt sein, Azrael. Keine Frau wird Grund dafür sein, dass Lyes seinen Job vernachlässigt. Sieht ganz so aus, als würde ich mich selbst um dieses Problem kümmern müssen.“
Dann war der Teufel zur Tür raus. Soweit kam's noch, dass seine eigene Nachfolgerin seiner rechten Hand den Kopf verdrehen würde!
„Wo sind wir hier?“, hauchte Alene und sah sich ehrfürchtig um.
„In einer Unterkunft, für nicht menschliche Wesen, zwischen den Welten.“, war die tonlose Antwort.
„Ich versteh kein Wort.“, sagte Alene und lächelte. Auch Lyes Mundwinkel zuckten als er über seine Schulter sah.
„Da du ja über den Teufel Bescheid weißt, kann ich mit dir darüber sprechen. Dies hier ist ein Anwesen für alle, die nicht menschlich sind. Allerdings benutzt es heutzutage keiner mehr, weil diese Wesen in der Lage sind sich den Menschen anzupassen. Wir sind im Übrigen nicht mehr in deiner Welt, der Menschenwelt, sondern in einer Zwischendimension. Sozusagen auf direktem Wege in die Hölle.
Fasziniert betrachtete Alene den Mann, der noch immer ihre Hand hielt. Nicht menschliche Wesen also. Sollte das heißen, dass all die Legenden und Mythen wie Dämonen und Wesen der Nacht wahr waren? Sie würde Lyes darüber ausfragen, doch erst galt es herauszufinden, wer er war!
„Und wer bist du? Lyes?“, hauchte sie leise. Er antwortete nicht, sondern führte sie stattdessen durch das riesige Haus, das eigentlich schon ein Schloss war. Er brachte sie in ein riesiges Schlafzimmer mit Himmelbett.
„Das hier wird dein Zimmer. Du solltest dich ausruhen, Kleines. Wir werden noch Schwierigkeiten kriegen.“
Er machte kehrt, doch noch bevor er diesen Raum verlassen konnte, packte Alene seinen Arm und zog ihn zurück.
„Willst du mir keine Antwort geben?“, sagte sie und sah ihn fordernd an.
„Du hättest dann nur Angst vor mir, Kleines. Also sage ich dir nicht, was ich bin.“
Eindringlich sah er sie an.
„Woher willst du das wissen?“, hauchte sie leise.
„Sehe ich etwa so aus, als würde ich mir so leicht Angst einjagen lassen? Ich habe schon so viel erlebt, Lyes. Die Tatsache das es den Teufel, und somit auch Dämonen, Gott und Engel gibt, macht da auch keinen Unterschied mehr. Hast du Angst, ich könnte es niht verkraften oder willst du dich einfach nur selbst schützen?“
Herausfordernd sah sie ihn an und es schien, als suche sie in seinem Gesicht selbst nach einer Antwort. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, seufzte und wich ihrem Blick aus.
„Vielleicht ein bisschen von beidem.“, nuschelte er.
Alene hatte ihn nur schwer verstanden, doch sie musste trotzdem leise lachen.
„Du bist süß.“, kicherte sie und küsste ihn auf die Wange. Überrascht hielt er inne. Dann berührte er mit seinen Fingern die Stelle, an der ihre Lippen seine Haut berührt hatten.
„Wenn du es mir nicht sagen willst, dann ist das auch in Ordnung. Aber egal was du bist, ich würde dich nicht verurteilen. Oder sogar Angst vor dir haben!“
Ohne noch etwas zu sagen hatte Lyes den Raum verlassen. Nun saß er vor dem Kamin und starrte nachdenklich in die Flammen. Er wusste nicht, mit welchem Gedankengang er anfangen sollte. So vieles beschäftigte ihn. Alene. Diese Frau hatte schon längst sein Interesse geweckt. Er bezweifelte, dass das ein gutes Ende nehmen würde. Warum nur wollte Luzifer sie tot sehen? Er schüttelte kräftig den Kopf. Er machte sich viel zu viele Gedanken um diese Frau, das durfte nicht sein! Doch er hatte einen Entschluss gefasst. Er würde diese Frau nicht umbringen. Dafür faszinierte sie ihn zu sehr. Außerdem war sie noch so jung...
Noch nie hatte er Interesse an einem Menschen gehabt. Alene war...unglaublich! Sie war eine starke Frau, selbstlos und entschlossen. Sie verurteilte niemanden, nur aufgrund des Äußeren. Dämonen sahen Lyes meistens geschockt an, wenn sie seine fast weißen Augen sahen. Es war einfach eine unnatürliche Farbe. Doch Alene hatte ihn nicht einmal schief angesehen, so wie alle anderen es immer getan hatten. Wenn die Unmenschlichen ihn schon immer so komisch ansahen, wie hätten die Menschen ihn dann wohl betrachtet, wenn sie ihn sehen könnten? Allmählich begann er zu verstehen, was für ein Leben Alene führte. Sie war verprügelt und misshandelt worden, kein Wunder das sie als Erwachsene Frau nun so unerschrocken war.
Er schnitt ein anderes Thema an. Noch immer fragte er sich, warum er in der Frau nichts erkennen konnte. Wenn er sie ansah, sah er „nichts“. Sie war die erste, bei der das passierte...
Er konnte es genauso wenig, wie sei seine Gedanken lesen konnte. Hang das vielleicht zusammen? Völlig egal! Lyes genoss es, nicht immer an seine Aufgabe erinnert zu werden. Er sah sie an und konzentrierte sich auf die Frau und nicht auf die Aufgabe, sie zu töten. Er konnte es einfach genießen mit ihr zusammen zu sein, ohne sich über etwas Gedanken machen zu müssen.
Ja, er genoss das Gefühl mit der Frau zusammen zu sein. Und ja, verdammt! Er fühlte etwas!
Und er konnte nicht glauben, wie viel er verpasst hatte. Er hatte sogar Sehnsüchte entwickelt und das in einer so kurzen Zeit!
Plötzlich riss ihn ein dumpfes Schreien aus den Gedanken. Dann drang ein Stöhnen und ein Wimmern an seine Ohren. Er erhob sich, übermenschlich schnell und raste dann in Alenes Zimmer, wo die Frau sich in zerwühlten Laken windete. Schweißperlen traten ihr auf die Stirn, als sie sich auf die Lippe biss und dann erneut qualvoll stöhnte. Ein wenig hilflos sah Lyes auf sie herab.
Was sollte er nun tun? Litt sie an Alpträumen oder waren nur die Ereignisse des Tages ausschlaggebend? Er ließ sich auf der Bettkante nieder und zog Alene an sich heran. Beruhigend streichelte er sie.
„Shhht, ich bin ja hier.“
Im ersten Moment passiert gar nichts, weshalb Lyes sich noch hilfloser fühlte. Er rutschte noch ein Stück mehr ins Bett und zog die Frau dicht an seine Brust.
„Wach auf, Alene. Bitte!“, hauchte er ihr ins Ohr.
Keuchend riss die Frau die Augen auf umd ihre Hände verkrallten sich ins Lyes Hemd.
„Lyes.“, flüsterte sie während sie versuchte ihren keuchenden Atem unter Kontrolle zu bringen.
„Ich bin hier.“, sagte er leise und legte schützend die Arme um den zerbrechlichen Leib der Frau.
„Geh nicht weg.“, flehte sie und schmiegte sich an ihn.
„Hast du schlecht geträumt?“, fragte er leise und löste die Hand von ihrer Taille, um ihr Gesicht anzuheben. Ein paar Tränen liefen über ihre Wangen. Sie nickte lediglich.
„Kommt das oft vor?“, fragte er dann.
„Ja.“
Sie verstummte und wich seinem Blick aus.
„D-Danke, dass du nach mir gesehen hast. Für gewöhnlich wache ich schreiend auf und...bin alleine.“
Lyes Brust schnürte sich auf unangenehmste Weise zusammen und ein großer Kloß in seinem Hals machte sich bemerkbar. War es das, was man als Trauer bezeichnete? Lyes strich ihr übers Haar.
„Glaubst du, du kannst noch einmal einschlafen?“, fragte er. Sie zuckte mit den Schultern.
„Ich denke nicht. Aber ich kann es ja mal versuchen.“
Lyes ließ sie los, worauf sie sich wieder in die Kissen bettete und die Augen schloss. Sie hatte sich noch nicht beruhigt, der Mann sah es ihr an.
Als Alene plötzlich das Rascheln von Kleidung hörte, bildeten sich Furchen in ihrer Stirn. Das sie kaum etwas anhatte fiel ihr erst wieder ein, als sich warme und nackte Haut an ihre schmiegte. Sie erschauerte und schlug die Augen wieder auf. Irritiert sah sie Lyes an, der sich neben sie gelegt hatte.
„Du bist mir zu unruhig. Also bleibe ich die Nacht über bei dir.“, erklärte er. Entschieden schlossen sich seine Augen. Alene hatte nichts dagegen. Im Gegenteil, in seiner Nähe fühlte sie sich wohl. Sie genoss die Wärme, die von ihm ausging. Ganz wie von selbst fanden ihre Hände zueinander.
„Du bist eiskalt.“, stellte er leise fest.
„Der Traum ist Schuld.“, war Alenes Erklärung. Lyes verschränkte seine Finger mit ihren.
„Komm her.“, flüsterte er und zog sie in seine Arme, dicht an seine Brust. Sie konnte seinen Herzschlag unter ihren Fingern spüren, ebenso wie seinen Atem. Langsam aber sicher beruhigte Alene sich, bis ihre zwei Herzen im Einklang schlugen. Nur wenige Minuten später stand sie kurz davor, einzuschlafen.
„Mein Auftrag ist es dich zu töten, Alene.“
Sie war verwirrt. Hatte er das gerade wirklich gesagt oder schlief sie schon?
„Aber ich werde diesen Auftrag nicht ausführen, hast du gehört? Ich werde dir nichts tun, Alene, versprochen!“
Sie hatte die Worte, die er ihr ins Ohr geflüstert hatte, verstanden.
„Danke.“, flüsterte sie, kuschelte sich an ihn und schlief ein.
Luzifer starrte wütend auf seine Hände, als plötzlich zwei lange, schlanke Beine in sein Blickfeld traten.
„Liebling? Was ist los?“
Luzifer sah auf und entdeckte Lilith.
„Erzähl mir noch einmal von der Prophezeiung.“, verlangte er grob.
„Schon wieder?“, seufzte die Frau und ließ sich auf dem Schoß des Mannes nieder.
„Also gut.“
Und sie begann zu erzählen.
„Schon vor hunderten von Jahren, hatte der Allmächtige genug von der Regentschaft Satans. Seine Schöpfung, der Todesengel war ihm gelungen, doch der Teufel ruinierte es. Also beschloss er, etwas dagegen zu unternehmen. Er erschuf eine Frau. Eine Menschenfrau, mit außergewöhnlichen Merkmalen. Diese Frau sollte die Nachfolgerin des Teufels werden und gleichzeitig die Herrin des Todesengels. Natürlich ließ Satan sich das nicht gefallen. Auf keine Fall würde er zulassen, dass es einen Nachfolger für ihn geben würde. Erst recht keine Frau! Doch keine Prophezeiung weiß, wie dieser Krieg ausgehen wird...“
Als Lilith verstummte, legte Luzifer seine Arme um die Frau. Nie würde jemand erfahren, dass zwischen Lilith und ihm etwas lief.
„Nicht zu fassen, dass es wahr ist...“, murmelte er und legte seinen Kopf auf ihrer Schulter ab.
„Warum willst du sie töten, Liebling? Wäre es nicht schön, wenn du in Rente gehen könntest?“
Wütend funkelte er sie an, auch wenn er den Schalk in ihren braunen Augen sah.
„Auf keinen Fall!“
Genau das wollte und würde er verhindern!
5th
Als Lyes aufwachte musste er feststellen, dass die Frau noch immer in seinen Armen lag. Er hatte die Arme um sie geschlungen, sie hatte es sich an seiner Brust gemütlich gemacht. Er betrachtete sie. Ihr Haar war zerzaust aber einige Strähnen waren ihr ins Gesicht gefallen. Ihr Mund stand leicht offen und fast hatte Lyes den Eindruck, als hätte sie noch nie so ruhig geschlafen.
Er fühlte etwas und versuchte sogleich herauszufinden, was es war. Etwas Warmes durchströmte ihn und hätte ihm beinahe ein wohliges Seufzen entlockt. Es glich dem Gefühl von Zufriedenheit, nur war das hier bedeutungsvoller. Geborgenheit!, dachte er und lächelte. So fühlte sich das also an. Wärme zu spüren. Zu geben und zu bekommen. Alene regte sich. Blinzelnd öffneten sich ihre Augen. Völlig verschlafen traf ihr Blick auf den von Lyes. Als sie registriert hatte wie nahe sie ihm noch immer war, wollte sie zurückweichen.
„Verzeihung.“, hauchte sie noch, doch Lyes zog sie sofort wieder zurück. Ein wenig perplex sah Alene ihn an.
„Stört dich das denn nicht?“, hauchte sie.
„Wieso sollte es mich stören?“, erwiderte er und lächelte, wobei seine strahlend weißen Zähne zum Vorschein kamen. Sie verdrehte die Augen.
„Stimmt auch wieder, du bist ein Mann.“, murmelte sie.
Lyes überging diesen Kommentar.
„Hast du besser geschlafen?“, fragte er stattdessen.
„Viel besser, danke.“, hauchte sie.
Plötzlich fielen ihr die Worte ein, die er ihr zugeflüstert hatte bevor sie eingeschlafen war.
„Dein Auftrag lautet also wirklich, dass du mich umbringen sollst?“, sagte sie leise und neigte den Kopf ein wenig, um ihn ansehen zu können. Er nickte, lächelte jedoch.
„Ja. Aber wie ich dir schon sagte, werde ich diesen Auftrag nicht ausführen.“
Alene glaubte ihm. Sie kannte die körperlichen Reaktion bei einer Lüge Er sagte definitiv die Wahrheit. Oder er war einfach nur ein verdammt guter Schauspieler, wer weiß.
„Dein Job ist es also, Menschen zu töten.“, sagte sie leise und beobachtete seine Reaktion. Ein Schatten legte sich über sein Gesicht und seine Augen trübten sich.
„Also gut, du lässt ja anscheinend nicht locker.“
Er schob Alene zurück und stieg aus dem Bett. Er nahm seine Hose, zog sie an und drehte sich dann wieder zu Alene um.
„Ja, mein Job ist es zu töten. Jahtausende lang mach ich das nun schon und nie hat es mir etwas ausgemacht. Nun allerdings...fange ich an zu zweifeln.“
Fasziniert musterte Alene den Mann. Sie schwieg, denn sie sah das er noch etwas auf dem Herzen hatte. Und so war es dann auch. Er seufzte verzweifelt, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und dann ertönte ein leises Rascheln. Alene wäre vor Schreck beinahe aus dem Bett gefallen.
Ihr fehlten die Worte. Er hatte tatsächlich Flügel! Riesige schwarze Schwingen! Alene schüttelte den Kopf, um Worte zu finden.
„Wow! Du siehst ja so schon verdammt gut aus aber mit denen...könntest du nicht perfekter sein.“, murmelte sie und krabbelte aus dem Bett. Lyes neigte den Kopf. Sie hatte keine Angst vor ihm?
Sie hatte sich nicht erschrocken. Vollkommen fasziniert kam sie zu ihm.
„Darf ich?“, hauchte sie und streckte ihre Finger bereits aus. Lyes hielt inne. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass je einer seine Schwingen berührt hatte. Doch er ließ es zu und wich nicht zurück, so wie er sonst vielleicht getan hätte. Dann strichen Alenes Fingerkuppen auch schon über die weichen und tiefschwarzen Federn. Lyes erschauerte. Er hatte nicht gewusst, dass es sich so intensiv anfühlen würde. Als er erzitterte zog Alene die Hand augenblicklich zurück.
„Verzeihung, ich wusste nicht das es nicht angenehm ist.“, sagte sie leise. Sie sah ihm in die Augen und stellte fest, dass er es nicht schlimm zu finden schien. Etwas Wildes lag in seinem Blick und sein Atem ging schwer. Fast schon flehend sah er sie an. Er sagte nichts. Alene ließ es noch einmal darauf ankommen und streckte erneut die Hand aus. Ganz vorsichtig und dieses Mal ganz sachte, glitten ihre Fingerspitzen über die Federpracht. Das extreme Zittern seines Körpers ließ nach, stattdessen schien er sich zu entspannen. Seine Lippen öffneten sich und Alene gewann den Eindruck, als wolle er ein Stöhnen unterdrücken. Sie hätte nicht erwartet, dass sich diese Federn so weich anfühlen würden.
„Du hast keine Angst vor mir?“, fragte Lyes leise und unterdrückte den Drang, sie in die Arme zu ziehen.
„Angst? Nein, warum?“, sagte Alene und lächelte. Dann hielt sie inne.
„Ich habe Respekt vor dir, Lyes. Vor dir und vor deiner Arbeit. Aber niemals werde ich Angst vor dir haben, hast du gehört?“
Aufmunternd lächelte sie ihn an, bis am Ende auch er ein schwaches Lächeln zeigte. Er faltete seine Flügel im Rücken zusammen und ließ sie dann verschwinden.
„Ich bin der Todesengel und sie hat keine Angst vor mir, ich fass es nicht.“, hauchte er und kehrte ihr den Rücken zu. Alene lächelte unbeirrt weiter. Angst vor ihm? Sicher nicht. Sein Auftrag lautete, sie zu töten. Warum auch immer. Doch er hatte sich entschieden diesen Auftrag nicht auszuführen und somit geriet er in die gleiche Gefahr, wie sie selbst.
„Sind wir nun auf der Flucht?“, fragte sie und ließ sich lächelnd aufs Bett fallen.
Mochte sein, dass sie in Gefahr schwebte doch sie war glücklich. Endlich gab es jemanden, der sie nicht beschimpfte. Dessen schreckliche Gedanken sie nicht hören musste. Jemand, der es vielleicht genau so schwer hatte wie sie.
„Ja.“, erwiderte er todernst. „Aber vor Luzifer kann man nicht fliehen. Wir müssen uns also irgendetwas einfallen lassen.“
Voller Elan sprang Alene auf. Sie ergriff Lyes Hand und drückte diese.
„Das kriegen wir hin!“, verkündete sie lachend, zog sich in Windeseile an und stürmte aus dem Raum. Lächelnd sah Lyes ihr nach.
„Dann können dich die Menschen also nicht sehen, weil du...naja, ein Engel bist.“, flüsterte sie, ohne den Mann anzusehen. Sie liefen durch die Stadt, doch wie immer war Alene diejenige, die die Feindseligkeit der Menschen zu spüren bekam.
„Naja, als Engel würde ich mich nicht bezeichnen. Wahrscheinlich eine Mischung aus Engel und Dämon. Nephilim.“, antwortete er. Es gefiel ihm nicht, dass Alene so schief angesehen wurde, doch er konnte nichts dagegen unternehmen. Die Frau weigerte sich strikt eine Sonnenbrille aufzusetzen oder Kontaktlinsen zu tragen.
„Ich habe mal gelesen, dass Nephilim die Kinder von Engeln und Menschen sein sollen. Also stimmt das nicht?“, hauchte sie nun. Kurz warf sie ihm einen Blick zu. Lyes schüttelte den Kopf.
„Nein, das stimmt nicht. Die Menschen hatten schon immer eine blühende Fantasie.“, erwiderte er geistesabwesend. Ihm fiel auf, das er viel zu wenig über Alene wusste.
„Liest du viel?“, fragte er deshalb, mit einem Blick auf die Frau. Diese zog überrascht die Brauen hoch.
„Ja. Naja, zumindest wenn ich die Zeit dafür finde. Aber warum auf einmal dieses persönliche Interesse?“
Lyes kratzte sich am Hinterkopf, als die beiden in eine Gasse einbogen. Sie waren auf dem Weg in eine Kneipe. Alene wollte ihm ein bisschen was von ihrer Welt zeigen. Nicht, dass Lyes sich hier nicht auskannte, doch er wusste nicht wie Menschen Kontakte zu pflegten oder wie sie so lebten. Also hatte sie beschlossen, es ihm zu zeigen. Dabei war ihr völlig egal gewesen, wie sehr er dagegen protestiert hatte. Mochte ja sein, dass der Leibhaftige hinter ihnen her war – im wahrsten Sinne des Wortes – doch das hielt sie nicht davon ab die Beziehung mit Lyes zu vertiefen.
„Naja, mir ist aufgefallen das ich nichts über dich weiß. Pflegen Menschen das nicht immer zu ändern?“, murmelte er. Alene lachte.
„In meinem Falle nicht. Aber du bist eine Ausnahme also von daher: Frag mich ruhig etwas.“
Sie zwinkerte ihm zu als ihr plötzlich auffiel, dass eine große dunkle Gestalt in der Gasse aufgetaucht war. Sie hielt inne und als Lyes das bemerkte, blieb auch er stehen. Alene stierte in die Dunkelheit, konnte aber nicht viel erkennen. Bei Lyes war das anders. Er konnte auch Nachts wunderbar sehen, genauso wie am Tag. Er sah voraus. Als er den Umriss von Flügeln sah, entwich ihm ein Knurren. Er schob Alene hinter sich und wartete ab. War das einer Luzifers Männer? Trotz der Flügel?
Dann trat das geflügelte Wesen in das goldene Licht der Abenddämmerung. Ein Mann kam zum Vorschein, dicht gefolgt von einer Frau. Sabriel und Farah. Ein Erzengel und eine niedere Wächterin. Während Lyes sich fragte was zwei Engel hier zu suchen hatten, sammelte die Frau plötzlich Energie in ihrer Hand und zielte damit geradewegs auf ihn.
„Ich habe es satt, dass immer nur von dir die Rede ist. Wird Zeit, dass du verschwindest!“, fauchte die Frau und war bereits dabei, die Energiekugel auf Lyes abzufeuern. Alene reagierte blitzschnell und stieß den Mann zur Seite. Der Energieball kam nun direkt in ihre Richtung, doch sie schaffte es gerade noch selbst auszuweichen. Alene sammelte sich und richtete ihren Blick auf die Frau mit den cremeweißen Flügeln.
Ich hasse ihn! Nie ist von uns die Rede, immer nur wird er bewundert und angehimmelt!
„Du willst ihn nur aus Eifersucht töten? Für eine Frau himmlischer Abstammung ist das ziemlich armselig.“, fauchte Alene. Nun war sie diejenige, die sich schützend vor Lyes stellte. Der Todesengel war zu keiner Regung fähig. Noch nie hatte ihn jemand beschützt. Es war auch nie nötig gewesen, wie ihm klar wurde.
„Eifersucht?“, fragte der andere Mann mit den Flügeln und neigte den Kopf. „Wie kommst du darauf, dass Farah eifersüchtig ist?“, fragte er Alene. Lyes beobachtete, wie sich der Gesichtsausdruck von Farah verhärtete. Alene hatte also Recht, sie handelte aus Eifersucht. Sabriel schien davon allerdings nichts zu wissen. Nicht einmal zu ahnen.
„Glaub mir, ich weiß es einfach. So sicher wie die Tatsache, dass du ein Erzengel bist.“
Die Augen des Mannes weiteten sich. Alene sah es ihm an, er fragte sich woher sie diese Sachen wusste. Er musterte sie, worauf Lyes sie an seine Seite zog und besitzergreifend den Arm um sie legte.
„Wer ist diese Frau, Tod?“, donnerte der Erzengel.
Welch außergewöhnliche Augen...
Alenes Augen verengten sich. Trotz seiner Lautstärke klangen seine Gedanken erstaunlich ruhig.
„Wer ich bin, hat euch nicht zu interessieren.“, zischte sie und sah den Engel feindselig an.
„Widerliches Menschenweib! Mach, das du mir aus dem Weg kommst!“, schrie Farah und stürmte auch schon auf sie zu. Lyes wollte das übernehmen, doch Alene bedeutete ihm, sich zurückzuhalten.
Sie würde das schon regeln. Sie wusste sich schließlich zur Wehr zu setzen. Dabei ahnte sie, dass himmlische Wesen ein anderes Kaliber waren. Sie wusste ganz genau, dass sie Fähigkeiten hatten von denen sie nicht einmal wusste das sie möglich sind. Doch Alene machte sich keine Sorgen. Sie konnte aus den Gedanken der Frau entnehmen, was sie als nächstes tun würde. Zähneknirschend blieb Lyes in Kampfhaltung stehen. Konnte ja sein, dass er trotzdem eingreifen müsste. Er stellte fest, dass er sich um diese Frau sorgte. Und das gefiel ihm gar nicht. Er war erleichtert als er sah, dass Farah scheinbar nicht daran dachte von ihren Kräften gebrauch zu machen. Sie bestand scheinbar auf einen Faustkampf.
Alene wich ihr aus und wartete ruhig auf den nächsten Angriff. Dieser folgte auf der Stelle. Es entstand ein typischer Frauenkampf, bei dem man nicht erkennen konnte wer die Oberhand hatte. Hin und wieder ertönte ein Knacken, dann ein Keuchen oder ein Würgen, hier und da spritzte sogar Blut. Nachdem sich mehrere bedenkliche Szenen vor den Augen der Männer abgespielt hatten, brachte Alene Farah zu Boden. Ihre Faust schwebte bedrohlich über dem Gesicht des Engels, doch sie ließ sie sinken.
„Er hat dir nichts getan, also lass ihn in Ruhe.“, hauchte sie, sodass nur Farah es hören konnte. Lyes nutzte die Chance und zerrte Alene von der Engelsfrau herunter. Er musterte beide Frauen. Sie beide waren entstellt. Platzwunden am Kopf, Schürfwunden und Kratzer, geplatzte Lippen und wenn Lyes sich nicht täuschte, war sogar Farahs Nase gebrochen. Wer weiß, vielleicht nicht der einzige Knochen der gebrochen war.
„Wir verschwinden.“, flüsterte Lyes Alene ins Ohr und zog sie mit. Als Alene einen Blick über ihre Schulter warf, sah sie wie Sabriel ihr interessiert nachsah.
„Zeig mal her.“, verlangte er und ergriff ihr Kinn. Nun waren sie also in der Kneipe. In der Damentoilette um genau zu sein.
„Gibt es nicht eine Möglichkeit, dich den Menschen zu zeigen? Das Klo ist auch keine Möglichkeit mich zu verarzten. Was, wenn jemand rein kommt?“, zischte Alene durch zusammengebissene Zähne.
„Ich glaube nicht, dass es möglich ist. Zugegeben, ich habe es noch nie versucht.“
Sie schlug ihm sacht auf die Brust.
„Na, dann versuch es! Ich würde mich gerne in einer vernünftigen Tonlage mit dir unterhalten.“
Seufzend ließ Lyes seine Hände sinken.
„Kann ich mich nicht erst um deine Wunden kümmern?“, fragte er, fast schon schmollend.
Nun seufzte auch Alene.
„Also bitte.“, murmelte sie und hob das Gesicht. Lyes umfasste ihr Gesicht mit den Händen. Sie hatte Schürfwunden an den Wangen, ihre Lippe war aufgeplatzt, ebenso wie ihre Augenbraue. Auch die etlichen Blutergüsse an ihren Armen waren ihm nicht entgangen.
„Mach die Augen zu.“, sagte er leise. Er besaß Heilkräfte und konnte seine Wunden in kurzer Zeit auskurieren, nun wollte er auch ihre Wunden heilen. Er wusste nicht ob es funktionierte, denn Azrael hatte er nie heilen können. Es war schon einige Male vorgekommen das sein Bruder so schwer verletzt gewesen war, dass nicht mal mehr seine Heilkräfte einsetzen wollten. Natürlich hatte Lyes ihn dann heilen wollen, doch scheinbar funktionierten solche Fähigkeiten nicht bei „seinesgleichen“.
„Was hast du vor?“, flüsterte sie, doch da durchströmte ihn schon die heiße Energie.
Bitte lass es funktionieren!, dachte er. Alene erschauerte unter seinen Händen.
„Was ist das?“, hauchte sie.
Sie schaffte es nicht die Augen geschlossen zu halten, sie musste ihm einfach in die Augen sehen. Alene hielt den Atem an. Sie wusste nicht was es war, doch ein warmes Gefühl durchströmte sie und verbrannte sie fast. Es war nahezu unerträglich, doch sie sagte nichts. Lyes würde sofort seine Hände wegnehmen und das wollte sie nicht! Sie betrachtete ihre Hand, die blaue Blessuren aufwies, doch als ob man einen Radierer über ihre Haut führen würde, verschwanden sie. Erneut sah sie in Lyes Augen. Er lächelte, scheinbar zufrieden.
„Sieh in den Spiegel.“, befahl er und deutete mit dem Kopf auf die Glasscheibe, die neben ihnen an der Wand ging. Sie tat wie ihr geheißen und warf einen Blick hinein. Augenblicklich blieb ihr die Luft weg.
„Ich frag am besten gar nicht, wie so etwas möglich ist.“, flüsterte sie und wandte sich wieder an den Mann.
„Danke.“, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln und küsste ihn wieder einmal auf die Wange.
„Kannst du dich nicht vernünftig bei mir bedanken?“, brummte Lyes und senkte die Lider. Alene neigte den Kopf. Was meinte er? Plötzlich beugte er sich vor. Sie hielt still. Sie ahnte was er vorhatte, doch sie konnte es nicht so recht glauben. Dann lagen seine Lippen auch schon auf ihren. Sie schloss die Augen. Der Kuss war bitter, doch sie genoss ihn. Seine Lippen waren so warm und weich. Alene erwiderte den Kuss und ehe sie sich versah, kämpften ihre Zungen darum die Oberhand zu gewinnen. Sie lehnte sich an ihn und vergrub ihre Hände in seinem Haar, während er die Arme um sie schlang und seine Hände schließlich ihren Hintern fanden.
Was tue ich hier eigentlich?, fragte sich Lyes. Doch darüber wollte er sich keine Gedanken machen.
Dafür genoss er diesen Augenblick zu sehr. Er wusste nicht was über ihn gekommen war, doch er war froh sich nicht zurückgehalten zu haben. Ihr Charakter spiegelte sich in dem Kuss wieder.
Sie gab ihm nicht nach, sie ließ sich nicht unterdrücken. Sie kämpfte um die Oberhand und biss ihm sogar in die Lippe, was ihm jedoch nur ein Stöhnen entlockte. In seiner Hose regte sich etwas, doch genau deswegen beendete er den Kuss.
„Verzeihung aber ich konnte mich nicht beherrschen.“, murmelte er und wich zurück. Alene leckte sich über die Lippen. Der Geschmack der ihr auf der Zunge lag, ließ sie zufrieden seufzen.
„Schon gut.“, hauchte sie. Ihre Mundwinkel zuckten. Die Richtung in die sie gingen, gefiel ihr!
„Vielleicht sollte ich mich öfters bedanken.“, flüsterte sie. Sie dachte er er hätte es nicht gehört, doch als er mit blitzenden Augen über die Schulter sah wurde sie eines Besseren belehrt.
„Du müsstest nicht mal einen Grund haben, um mich küssen zu dürfen.“, erwiderte er leise.
„Klingt verlockend.“, erwiderte Alene schmunzelnd. Sie glaubte, dass nicht nur sie dieser Gedanke reizte. Einen Moment lang sahen die beiden sich tief in die Augen, dann hatte Lyes den Blickkontakt auch schon wieder abgebrochen.
„Lass mich vorgehen und schauen, ob die Luft rein ist.“, verlangte Alene und legte ihre Hand auf Lyes Oberarm, als er dabei war die Tür der Damentoilette zu öffnen. Er hielt inne und schien einen Augenblick zu überlegen. Scheinbar konnte er keine Risiken entdecken also gewährte er ihr den Vortritt. Sie verließ den Raum und sah sich um.
„Alles klar, die Luft ist rein.“, sagte sie leise und sah über ihre Schulter. Um nicht zu viel Aufsehen zu erregen, ging Alene bereits vor, zurück an die Bar. Dort ließ sie sich sofort auf einen der Hocker nieder. Als sich nach einigen Sekunden jemand neben ihr niederließ, hob sie den Blick wieder.
„Wie bist du an den Hut gekommen?“, murmelte sie.
„Mittels Magie.“, antwortete Lyes mit zuckenden Mundwinkeln.
„Nimm ihn ab.“, verlangte sie und stieß ihn leicht in die Seite. Seufzend gab er nach und siehe da, schon lagen alle Blicke auf ihm. Sie lachte, richtete ihren Blick auf den Wirt und verlangte nach zwei Scotch.
„Ich habe in meinem Leben ja schon vieles gesehen aber jemand wir ihr, ist mir noch nie untergekommen.“, sagte der Wirt und zog die Brauen hoch. Alene konnte nichts abscheuliches in seinen Gedanken finden. Es schien so, als wäre dieser Mann von ihnen fasziniert.
„Zu viel der Ehre.“, lachte die Frau und wedelte mit der Hand. Der Wirt betrachtete sie auf einmal misstrauisch.
„Sag mal, Kleines, warst du gerade nicht noch verletzt?“
Sie tat auf ahnungslos und neigte den Kopf.
„Verletzt? Verzeihung aber Sie müssen jemand anderes meinen.“
Der Mann mit den trüben grünen Augen schüttelte den Kopf.
„Du musst Recht haben. Wenn man so alt ist wie ich, trügen einen hin und wieder die Augen.“
„Hat schon mal jemand deine schauspielerischen Fähigkeiten gelobt?“, fragte Lyes leise lachend und warf Alene einen Blick zu, die mit erhobenem Haupt neben ihm herging. Selbstbewusst sah sie den Menschen entgegen, die sowohl sie als auch ihn selbst angewidert und geschockt musterten.
„Man hat mich noch nie gelobt, Lyes.“, sagte sie ausdruckslos, ohne seinen Blick zu erwidern. Wieder einmal schnürte sich Lyes Kehle zu. Er hatte unendliches Mitleid mit dieser Frau. Er konnte einfach nicht glauben, dass die Menschen sie nur aufgrund ihrer Augen nicht akzeptierten! Zorn wallte in ihm auf. Sie konnte doch nichts dafür. Nun, da ihn die Menschen sahen, konnte er Alene besser verstehen. Diese Blicke fraßen sich in einen hinein und hinterließen tiefe Narben. Lyes konnte problemlos mit diesen Narben leben, ob das auch für Alene galt wusste er nicht.
„Wenn das so ist: Gut gemacht!“, hauchte er lächelnd und täschelte ihren Kopf.
„Und danke.“, fügte er hinzu. Sie hob den Blick.
„Dafür, dass du mich in der Gasse verteidigt und beschützt hast.“, erklärte er. Amüsiert beobachtete er, wie sich ein zarter roter Schimmer auf ihre Wangen legte.
„Gern geschehen.“, flüsterte sie und wandte den Blick wieder von ihm ab. Was blieb, war ein Lächeln auf ihren Lippen.
6th
Nachdem Sabriel seinen Brüdern mittels Gedanken gezeigt hatte, was geschehen war, schüttelten einige von ihnen den Kopf.
„Wer ist diese Frau?“, murmelte Zachariel.
„Ich ahne, was das zu bedeuten hat.“, meldete Uriel sich zu Wort. Alle Blicke richteten sich auf ihn.
„Hat auch nur einer von euch an die Prophezeiung gedacht?“, erklärte er, worauf fassungsloses Schweigen herrschte.
„Du glaubst also wirklich, dass diese Geschichte wahr ist?“, sagte Sabriel, nachdem er sich einigermaßen gefasst hatte. Uriel zog eine Augenbraue in die Höhe.
„Du hast die Frau doch gesehen. Auffällige Augen, die Fähigkeiten Gedanken zu lesen und der Instinkt, dem Todesengel das Leben zu retten. Wie würdest du dir das Ganze sonst erklären?“
Das stimmte den Erzengel in der Tat nachdenklich. Doch das klang immer noch zu unrealistisch.
„Lasst den Seher herbringen.“, verlangte er und sah die niederen Engel, die im Saal verteilt waren, fordernd an. Einer von ihnen nickte und verließ schnellen Schrittes die Halle der Erzengel.
„Wieso lässt du einen Seher herbringen?“, fragte Zadkiel misstrauisch. Ein düstertes Lächeln umspielte Sabriels Mundwinkel.
„Weil er der einzige ist, der uns zeigen kann was die beiden im Moment treiben.“, war die leise Antwort. Kurz darauf betrat eine zierliche Frau den Saal. Sie war in einen schwarzen Umhang gehüllt und verbarg ihr Gesicht tief unter der Kapuze.
„Die Erzengel haben nach mir verlangt?“, sagte sie und verneigte sich tief.
„Allerdings.“, sagte Sabriel und lächelte unbeirrt weiter.
„Tu uns einen gefallen und mache zwei Personen für uns ausfindig. Wir wollen sie für einen Augenblick beobachten.“
Die Frau schob die Kapuze zurück und entblößte ihr Gesicht, welches zur Hälfte mit Narbengewebe überzogen war.
„Um welche Personen handelt es sich.“, verlangte sie zu wissen. Ihre blassblauen Augen zeigten nicht das kleinste Gefühl, doch die Frau strahlte Kraft und Wärme aus. So gefürchtet Seher auch waren, diese hier schien eine Ausnahme zu sein, was die Ausstrahlung betraf zumindest.
„Es handelt sich um den Todesengel. Wir kennen den Namen seiner Begleitung nicht aber sie wird bei ihm sein, du brauchst also nur den dunkeln Engel aufzuspüren.“, erklärte Sabriel und gebieterischem Ton.
„Nennt mir den Grund, für Eure Observation.“, sagte sie selbstbewusst. Der Erzengel kniff die Augen zusammen.
„Das hat dich nicht zu interessieren, Frau!“, donnerte er. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er hatte eine Abneigung gegen neugierige Frauen. Die Seherin verschränkte die Arme.
„Tut mir leid aber dann stehen Euch meine Dienste nicht zur Verfügung. Ich weigere mich Aufträge auszuführen bei denen ich nicht weiß, ob sie guten oder bösen Mächten dienen.“, verteidigte sie sich.
„Eine vernünftige Einstellung.“, meldete Zadkiel sich zu Wort, bevor Sabriel es tun konnte.
„Kennst du die Prophezeiung, Seherin?“, fragte er.
„Des Teufels Nachfolgerin? Ja, warum?“, antwortete die Frau leise. Zadkiel lächelte.
„Wir wollen herausfinden, ob sich diese Prophezeiung gerade erfüllt.“, antwortete er darauf. Die Augen der Frau weiteten sich.
„Wenn das so ist, werde ich mich sofort an die Arbeit machen.“
Mit einem bedeutungsvollen Blick signalisierte Zadkiel Sabriel, dass man die Dinge auch anders regeln konnte. Die Seherin zog ein Stück magische Kreide aus der Tasche des Umhangs und begann, heilige Symbole auf den Boden zu malen. Sie ordnete fünf Zeichen in einem Kreis an, den sie dann mit einer durchgehenden Linie schloss. Nachdem sie sich aufgerichtet hatte, zeichnete sie mit dem Finger unsichtbare Muster in die Luft. Nachdem auch das erledigt war, sagte sie eine lateinische Formel auf. Dann geschah es. Ein Riss in der Luft tat sich auf und es schien eine Art Spiegel, der Lyes und die Frau zeigten.
„Da sind sie.“, murmelte Sabriel und ließ die beiden nicht aus den Augen. Ebenso wenig, wie seine Brüder.
„Seht ihr das?“, hauchte Uriel.
„Die Menschen können ihn sehen.“, fügte er atemlos hinzu. Sie alle konnten kaum glauben, was sie sahen. Lyes, der Mann den sonst nur die Unmenschen sehen konnten, wurde genauso schief von den Menschen angesehen, wie die Frau an seiner Seite auch. Als sie sahen, dass der Todesengel lachte, blieb ihnen allen die Spucke weg. Nie hätten sie so etwas für möglich gehalten. Selbst die Seherin stutzte.
„Er besitzt Gefühle?“, flüsterte sie. Jeder Himmelsbewohner wusste, dass der Todesengel eigentlich keine Gefühle besaß. Das lernten schon die Engelskinder!
„Was hat diese Frau mit ihm gemacht?“, flüsterte Sabriel.
„Vielleicht kann ich euch ja behilflich sein?“
Die Blicke richteten sich auf Azrael, der grinsend den Saal betrat.
Als Alene das Warmwasser abstellte, entfuhr ihr ein Seufzen. Am liebsten hätte sie es sofort wieder aufgedreht, denn ihr fehlte die Wärme. Sie hüpfte aus der Dusche und wickelte sich dann in ein Handtuch, welches allerdings zu kurz war und gerade so ihren Po bedeckte. Sie trat vor den Spiegel und betrachtete sich. Irgendwas an ihr war anders als sonst. Ihre Haut schien zu leuchten und ihre Augen strahlten förmlich, anstatt wie sonst ausdruckslos durch die Gegend zu starren. Alene wollte nach der Haarbürste greifen, als plötzlich die Tür des Badezimmers aufgerissen wurde. Vor Schreck zuckte sie zusammen und ließ die Bürste fallen. Beinahe hätte auch das Handtuch dran glauben müssen.
„E-Entschuldige, wenn ich so hereingeplatzt komme aber wir müssen von hier verschwinden.“, knurrte Lyes alarmiert.
„Jetzt sofort?“, fragte Alene fassungslos. Sie hob die Arme, um sie gleich darauf wieder fallen zu lassen.
„Besser wär's.“, brummte der Mann und griff nach ihrem Arm, um sie dann grob mitzuzerren. Es dauerte einen Augenblick, bis Alene sich seinem Tempo angepasst hatte.
„So sehr ich deinen Anblick jetzt auch genießen würde, dafür ist leider keine Zeit. Luzifer hat herausgefunden das wir hier sind und deswegen einen seiner Lakaien geschickt. Er ist mir geradewegs in die Arme gelaufen.“
Er zerrte die Frau ins Schlafzimmer, ging zum Kleiderschrank und riss dessen Türen auf. Hastig warf er ihr einfach irgendwelche Klamotten zu.
„Zieh dich an.“, befahl er barsch.
So unangenehm es auch war, unter den strengen Blicken von Lyes ließ sie das Handtuch fallen und schlüpfte in Windeseile in ihre Sachen. Nur kurz durfte der Mann einen Blick auf ihre nackte Haut erhaschen. In seiner Hose regte sich wieder etwas. Verdammt, dies war alles andere als ein guter Moment um auf perverse Gedanken zu kommen.
„Aber wo wollen wir denn hin?“, hauchte Alene fast schon verzweifelt und sah mit großen Augen zu ihm auf. Frustriert schlossen sich seine Augen. Er war wütend auf sich selbst.
„Ich weiß es nicht.“, murmelte er und ergriff auch schon wieder ihre Hand.
„Wir schaffen das schon.“, flüsterte er ihr ins Ohr und küsste sie dann auf den Scheitel. Alenes Mundwinkel zuckten. Trotz dieser Situation fühlte sie sich geborgen und sicher an seiner Brust.
Wir., dachte sie ungläubig. Bisher gab es immer nur ein ich.
„Lass uns gehen.“, riss er sie laut aus den Gedanken und zog sie mit.
„Ja.“, stimmte sie zu. Dann rannten sie aus dem Anwesen, in den anbrechenden Morgen.
„Ich war noch nie morgens oder tagsüber unterwegs.“, fiel Lyes nebenbei ein.
„Wenn das so ist, komm.“, sagte Alene lächelnd und zog ihn mit.
Nach einer Viertelstunde erreichten sie das Ende der Stadt. Nun befanden sie sich auf einem großen Hügel, nahe der Küste. Völlig fasziniert vom Anblick der sich ihm bot, beobachtete Lyes wie die Sonne aufging. Voller Freude betrachtete Alene sein Gesicht. Wenigstens für die kleinen Dinge, musste ihnen die Zeit bleiben. Lyes war schon so alt und doch hatte er noch nicht alles auf der Welt gesehen. Nicht mal etwas so normales und alltägliches wie einen Sonnenaufgang kannte er nicht und irgendwie stimmte Alene das traurig.
„Lyes.“
Die Frauenstimme die hinter ihnen ertönte, ließ sie herumwirbeln. Nicht weit von ihnen entfernt stand eine zierliche Gestalt, in einen Umhang gehüllt. Keiner der beiden sagte etwas. Sie warteten darauf, dass die Frau etwas sagte. Und das tat sie dann auch.
„Luzifer ist hinter euch her und deswegen bitte ich euch, mit mir zu kommen.“, sagte die geheimnisvolle Fremde. Lyes sah Alene an, die nichts in den Gedanken der Frau finden konnte und deswegen zustimmend nickte.
„Ich hoffe für dich, dass dies keine Falle ist.“, knurrte Lyes und folgte zusammen mit Alene der Frau.
Die Frau mit den braunen Locken und den blassblauen Augen überreichte Alene eine Teetasse.
„Entschuldigt mein unhöfliches Verhalten. Mein Name ist Saphira und ich bin eine Seherin.“, begann sie und lächelte die beiden freundlich an.
„Was ist eine Seherin?“, fragte Alene, ehe Lyes noch etwas dazu sagen konnte.
„Ein Seher besitzt die Gabe, Personen ausfindig zu machen, egal wo diese sich gerade befindet. Eine Art Spiegel lässt erkennen was betreffende Person gerade tut. Man kann es mit Spionage vergleichen.“
Beeindruckt schwieg Alene. Lyes wusste sofort, was Sache war.
„Haben die Erzengel dich geschickt?“, knurrte er.
„Sozusagen.“, antwortete Saphira. „Ich erkläre es euch.“
. . .
„Was hat der Seelensammler bitte hier, im Himmelsreich zu suchen?“, knurrte Sabriel.
„Azrael.“, schlug Uriel einen freundlicheren Ton an. „Was führt dich zu uns?“
Der Mann schob die Hände in die Hosentaschen und kam näher. Die Seherin hatte Mühe den Spiegel aufrecht zu erhalten, so erschrocken war sie.
„Die Frau an seiner Seite trägt den Namen Alene Eray. Ich nehme an, ihr wisst über die Gabe Bescheid?“, erklärte er.
„Alene Eray.“, murmelte Zadkiel. „Ein schöner Name, für eine schöne Frau.“, fügte er hinzu und rieb sich das Kinn. Sabriel neigte den Kopf.
„Warum bist du hier, Azrael? Du hast hier nichts zu suchen.“
Azraels belustigter Blick verschwand, stattdessen wurde er ernst.
„Also gut, ich fasse mich kurz.“, begann er. „Luzifer hat Lyes den Auftrag gegeben, diese Frau zu töten aber das Ganze lief anders als gedacht. Er scheint sich mit dieser Frau angefreundet zu haben und nun ist Luzifer hinter ihnen her.“
Die Erzengel tauschten Blicke aus.
„Und was machst du dann hier?“, hakte Uriel nach. „Solltest du Luzifer nicht helfen?“
Azrael schüttelte den Kopf.
„Ich habe mir erst keine Gedanken darüber gemacht aber wenn die Prophezeiung wirklich bereits eingetreten ist, dann müsst nicht nur ihr ihm helfen, sondern auch ich.“
Zadkiel war kein Feind von ihnen, doch das Ganze kam ihm komisch vor.
„Wieso sollten wir helfen? Das, was in den unteren Gefilden passiert hat uns nicht zu interessieren.“, sagte er. Die Miene des Seelensammlers verhärtete sich.
„Wollt ihr wirklich zulassen, dass Luzifer für weitere Jahrtausende regiert? Ich weiß, ihr geht nicht gern ein Risiko ein aber ihr wisst genauso gut wie ich, dass diese Frau in der Lage ist etwas zu verändern. Auch, wenn ihr kaum etwas über sie wisst.“
Angespanntes Schweigen.
„Und was sollen wir deiner Meinung nach nun tun?“, seufzte Zachariel.
„Ihnen helfen. Luzifer schickt einen Lakaien nach dem anderen, ich bezweifle das Lyes in der Lage ist, sich selbst und die Frau zu beschützen.“, antwortete Azrael und machte kehrt.
„Ich bin schon viel zu lange weg. Lasst euch einfach was einfallen. Ich versuche, Luzifers Leute abzupassen.“
Dann war er auch schon verschwunden.
. . .
„Die Erzengel haben sich darauf geeinigt, mich zu schicken. Mein Haus ist mit Zaubern geschützt, keiner von Luzifers Leuten ist in der Lage hier einzudringen. Selbst dein Bruder Azrael nicht.“, beendete Saphira die kleine Geschichte und sah Lyes ernst an.
„Beruhigend.“, murmelte Alene.
„Ich hoffe es macht euch nichts aus, erst mal hierzubleiben.“, sagte die Seherin leise und verschränkte die Hände ineinander. Alene sah erst Lyes an, dann wieder zurück zu Saphira.
„Ich denke, uns macht das weniger aus als dir. Ich hoffe doch sehr für die Erzengel, dass du dich freiwillig dazu bereiterklärt hast.“
Die zierliche Frau lächelte.
„Keine Sorge, ich wurde zu nichts gezwungen, ich...“
„Moment mal!“, unterbrach Lyes den Moment und sprang wutentbrannt auf.
„Von was für eine Prophezeiung ist hier überhaupt die Rede?“
Alene zog die Brauen hoch und wandte ihren Blick vom Todesengel ab.
„Stimmt, das würde mich auch interessieren.“, meldete sie sich zu Wort und sah die Seherin an.
. . .
„Nicht zu fassen. Jeder weiß davon, nur ich nicht.“, knurrte Lyes.
„Jetzt beruhig dich erst mal.“, hauchte Alene und ergriff seine Hand, die sie dann auch nicht mehr losließ.
„Ich glaube, ihr verwechselt mich mit jemandem. Ich bin nur eine Menschenfrau, nicht mehr und nicht weniger. Und meine Merkmale spielen dabei keine Rolle!“
Entschieden schüttelte Alene den Kopf. Saphira sagte nichts dazu und überließ Lyes das Wort. Dieser schüttelte verzweifelt den Kopf und ließ sich langsam neben Alene nieder.
„Alene, ich sage das nur ungerne aber ich glaube, sie haben Recht.“, hauchte er.
„Wie kommst du darauf?“, fragte sie ungläubig lachend.
„Saphira, würdest du uns einen Moment alleine lassen?“, sagte Lyes leise. Die Frau nickte und verließ eilig den Raum. Mit unsicherem Blick sah der Mann Alene in die Augen.
„Ich glaube wirklich das sie Recht haben, Kleines.“
Alene lachte nur, weshalb Lyes sie fest an den Schultern packte.
„Alene, hör mir zu verdammt. Du...verändert mich!“
Sie erstarrte und neigte dann den Kopf.
„Was soll das heißen?“, hakte sie nach. Fast schon gequält erwiderte Lyes ihren Blick.
„Bevor wir uns begegnet sind, kannte ich keine Gefühle. Das Töten hat mir Spaß gemacht und ich habe meine Macht genossen. Jetzt hingegen ist alles anders. Zu zeigst mir so vieles...wie grausam die Menschen sind und wie schön die Welt trotzdem sein kann. Ich empfinde Glück, wenn ich dich lächeln sehe und das kannte ich vorher nicht. Es hat mich erschrocken zu sehen,...das du an Alpträumen leidest und diese Tatsache zusammen mit deinen Merkmalen lässt mich glauben, dass an dieser Prophezeiung etwas dran ist.“
Alene war sprachlos. Und irgendwie gerührt. So etwas bedeutsames hatte ihr noch nie jemand gesagt, weshalb sie sich erst mal sammeln musste. Alene erkannte in seinen Augen, dass er sich selbst dafür hasste diese Worte ausgesprochen zu haben. Alene legte ihre Hand an seine Wange.
„Das rührt mich, Lyes, ehrlich! Aber ich kann und will nicht glauben, dass ich die Nachfolgerin des Teufels bin.“, sagte sie leise. Lyes zog sie in seine Arme.
„Ich weiß, dass das schwierig für dich ist. Am besten machen wir uns erst mal keine Gedanken darum. Ich kümmere mich um Luzifer und du bleibst hier, in Sicherheit.“
Für einen kurzen Moment lehnte Alene sich an ihn und genoss seine Stärke, dann legte sie ihm die Hände auf die Brust.
„Aber dadurch, dass du dich Luzifer widersetzt hast gerätst du doch genauso in Gefahr.“, hauchte sie. Nicht zu fassen aber sie sorgte sich wirklich um diesen Mann! Er lächelte schelmisch.
„Das du dir Sorgen um mich machst ist zwar unglaublich süß aber ich bin kein Mensch, Alene. Ich habe Kräfte, von denen kein Mensch weiß das so etwas möglich ist.“
„Mag ja sein.“, protestierte sie. „Aber selbst du kannst getötet werden, also sei nicht so selbstgefällig.“
Sie schlug ihm auf die Brust. Lyes lachte und schloss Alene noch fester in die Arme.
„Keine Sorge, ich komme schon nicht auf dumme Gedanken,“, flüsterte er. Als er Alene auf die Stirn küsste, wurde der Frau klar das dieser Mann und sie durch mehr verbunden waren, als nur eine Prophezeiung. An der Tür des Raumes klopfte es, weshalb Lyes die Frau von seinem Schoß schob. Beide hoben den Blick, als Saphira wieder den Raum betrat.
„Einer der Erzengel ist hier.“, verkündete sie.
Lyes Miene verfinsterte sich. Alene ergriff wieder seine Hand und glücklicherweise geschah das, worauf sie gehofft hatte. Er beruhigte sich ein wenig und sein Körper entspannte sich.
„Uriel.“, stellte er fest, als ein geflügelter Mann hinter Saphira zum Vorschein kam.
„Hallo, Lyes. Alene.“Er nickte den beiden zu. Alene versuchte sofort etwas in seinen Gedanken ausfindig zu machen, doch es gelang ihm sie aus seinem Bewusstsein auszuschließen. Der Erzengel lächelte sie an.
„Ich kann verstehen, warum du beunruhigt bist aber ich versichere dir, ich bin hier um euch zu helfen, nicht um euch zu schaden.“, sagte er. Lyes blieb auch weiterhin misstrauisch und neigte den Kopf.
„Du bist hier, um uns zu helfen?“, fragte er noch einmal nach. Uriel lächelte weiter.
„Unter anderem. Und ich bin hier, weil ich des Teufels Nachfolgerin kennenlernen wollte.“
Augenblicklich hob Alene die Arme und wedelte mit ihnen herum.
„Einen Augenblick mal! Ich sagte doch schon, dass das nicht möglich ist. Ich bin nichts Besonderes!“
Skeptische Blicke richteten sich auf sie, weshalb sie seufzte.
„Wenn man mal von meinen Augen und...dem anderen absieht, schon klar.“, murmelte sie. Lyes schlang einen Arm um ihre Taille.
„Denk einfach nicht daran.“, sagte er leise. Aufmunternd lächelte er sie an, doch es überzeugte die Frau nicht. Da müsste er sich schon was Besseres einfallen lassen.
„Darf ich fragen, was dich an diesem Gedanken so erschreckt?“, mischte Uriel sich wieder ein und sah Alene interessiert an. Ungläubig zog sie die Brauen in die Höhe.
„Ist das nicht offensichtlich?“, murmelte sie und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
„Ich weiß jetzt seit gut drei Tagen von diesem ganzen Mist hier und auf einmal wird mir gesagt, ich soll den Teufel ablösen? Habt ihr mal an meine Psyche gedacht? Ich musste schon genug durchmachen, da kann ich das nicht gebrauchen!“
Erst als Alene nach Luft schnappte bemerkte sie, dass sie geschrien hatte. Erschöpft rieb sie sich die Schläfen.
„Verzeihung. Das ist mein erster Ausbruch, seit Jahren...“, murmelte sie und schloss die Augen. Interessierte und verblüffte Blicke lagen auf ihr. Plötzlich verschwand der Boden unter ihren Füßen und für einen kurzen Moment blieb ihr auch die Luft weg.
„Du bist erschöpft. Also wirst du dich ausruhen.“, flüsterte ihr Lyes ins Ohr und trug sie von der Seherin und dem Erzengel weg.
„Dafür ist keine Zeit. Ausruhen kann ich mich auch später noch.“, zischte Alene. Eindringlich sah Lyes sie an, als er sie ins Schlafzimmer trug.
„Ich kümmere mich schon hier drum, Süße, keine Sorge. Außerdem steht dein Wohl an erster Stelle. Und wenn du erschöpft bist ruhst du dich aus, ganz einfach.“
Schluss, Aus, Ende. Mehr gab es da nicht zu sagen. Die Diskussion war beendet, das wusste auch Alene.
„Das macht keinen guten Eindruck auf den Erzengel.“, murmelte sie, als Lyes sie im Bett ablegte.
„Was andere denke muss dir egal sein, Kleine. Und nun schlaf.“
Er küsste sie, wieder auf die Stirn und wandte sich ab, als Alenes Hand seine ergriff.
„Lass mich nicht zu lange alleine, ja?“, flüsterte sie. Flehend sah sie ihn an. Sie hatte die letzten Male nur mit ihm im Bett gelegen, nun wo es nicht so war hatte sie Angst davor, dass die Alpträume zurück kamen. Einen Moment lang hielt er perplex inne, dann lächelte er leicht.
„Ich bin gleich bei dir, Kleines.“, versprach er. Dann ließ er sie alleine.
„Was war das gerade?“, fragte Uriel perplex und musterte Lyes, der mit einem mal erschöpft aussah.
„Eine anstrengende Frau, hm?“, fügte der Erzengel leicht lächelnd hinzu. Lyes erwiderte das Lächeln, auch wenn ihm nicht danach zumute war.
„Ja, aber das nehme ich gerne in Kauf.“, murmelte er. Saphira dirigierte die zwei Männer ins Wohnzimmer, wo sie sich dann niederließen.
„Ihr glaubt also auch, dass diese Prophezeiung wahr ist?“, begann der Todesengel. Uriel nickte.
„Allerdings. Doch bevor wir nach einer Möglichkeit suchen Luzifer zu...töten, wüssten wir gerne erst mal etwas über die Frau. Eignet sie sich überhaupt dazu, die Regentschaft fortzuführen?“
Lyes seufzte und lehnte sich zurück.
„Sie ist...besonders. Sie ist ein guter Mensch. Liebevoll, fürsorglich und einfach nur ein braves Mädchen. Trotzdem hat sie nur schlechtes von der Welt gesehen. Keiner kennt die Menschen besser wie sie und ich glaube wirklich, das sie die passende Person für...diesen Job ist.“
Uriel lauschte fasziniert und lehnte sich dann vor.
„Würdest du wollen, dass Luzifer von ihr abgelöst wird?“
Der Mann zögerte. Er wusste es selbst nicht genau. Mochte ja sein, dass er die Schnauze von Luzifer voll hatte, doch er wollte das Alene nicht aufzwingen. Wenn sie nicht bereit dazu war, dann war das eben so. Wieder seufzte Lyes.
„Ja, ich würde es wollen. Aber nicht, wenn es gegen ihren Willen ist.“, antwortete er schließlich. Saphira neigte lächelnd den Kopf.
„Ihr zwei seid wirklich süß. Aber sie scheint es nicht immer zu mögen, wenn du sie umsorgst.“
Lyes lächelte, fast schon verträumt.
„Hin und wieder will sie die Sachen immer alleine regeln aber im Moment...spielen die Dinge einfach nicht in ihrer Liga. Und das hat sie noch nicht begriffen.“
Auch Uriel lächelte. Hin und wieder gab es eben doch eine Liebesgeschichte. Auch in der Hölle. Der Erzengel räusperte sich.
„Also gut, genug geplaudert. Azrael kümmert sich um Luzifers Lakaien aber ich bezweifle, dass das den Teufel aufhalten wird.“
Lyes wurde ernst, als er den stählernen Blick von Uriel erwiderte.
„Entweder wird Luzifer sofort und ohne Gnade getötet oder Alene und ich müssen uns weiterhin verstecken. Jetzt kommt das Problem. Alene wird mit beidem nicht einverstanden sein. Sie versteckt sich nicht, komme was wolle und Luzifers Platz will sie auch nicht einnehmen. Frage: Was kann man dagegen tun?“
Saphira und Uriel tauschten einen Blick aus. Der Erzengel neigte den Kopf.
„Wir könnten Alene ins Himmelsreich holen. Dort wäre sie in Sicherheit und könnte sich mit dem Gedanken anfreunden, den Untergrund zu regieren.“
Beinahe wäre Lyes aufgesprungen um zu protestieren, doch er besann sich eines Besseren und schüttelte den Kopf.
„Ich bezweifle, dass Alene damit einverstanden wäre.“, murmelte er. Uriel erhob sich grinsend. Es schien als wüsste er, was wirklich in Lyes vorging.
„Frag sie. Ich komme einfach später wieder.“, sagte er und winkte noch zum Abschied. Zurück blieben Lyes und Saphira.
Als Lyes sich zu Alene ins Bett legte, kuschelte die sich sofort an ihn. Wäre sie noch wach gewesen, hätte Lyes sie nun schief angesehen, doch sie schlief tief und fest und seufzte zufrieden.
„Siehst du, da bin ich schon wieder.“, flüsterte er und betrachtete sie ausgiebig. Sie sah aus, wie ein kleines Kind. Rosige Wangen, ein leichtes Lächeln auf den Lippen und zerzauste Haare, die ihr teilweise ins Gesicht hingen.
„Wenn du schläfst würde niemand darauf kommen, was für ein Leben du fürst.“, murmelte er. Als ob sie ihn gehört hatte, schmiegte sie sich dichter an ihn. Leise lachend legte er einen Arm um sie, um sie bei sich zu halten. Es dauerte nicht lange, da musste auch er sich der Erschöpfung geschlagen geben.
7th
Luzifer betrachtete den Jüngling, der sich vor ihm verneigte.
„Mein Meister, es tut mir leid Euch das sagen zu müssen aber sie sind untergetaucht. Wir kommen nicht mehr an sie heran.“, sagte er leise. Seine Stimme zitterte und er sah dem Teufel nur zögerlich in die Augen. Doch der König der Dämonen blieb ruhig. Er war zu verblüfft um etwas dazu zu sagen. Sollten sie es tatsächlich geschafft haben, sich vor ihm zu verstecken? Gerade in diesem Moment betrat Azrael den Saal. Gespannt darauf, was nun passierte richtete Luzifer seinen Blick auf ihn.
„Gibt es etwas Neues?“, fragte er ausdruckslos. Azrael seufzte leise.
„Nein, bis auf die Tatsache das man nicht mehr an Lyes herankommt. Ich weiß nicht einmal, wo er ist.“
Luzifer wandte den Blick ab. Wenn nicht einmal Azrael etwas ausrichten konnte, dann mussten sie nun wohl abwarten. Und zwar solange, bis Lyes sich etwas sicherer fühlte und sein Versteck verließ. Luzifer selbst konnte nun nichts ausrichten. Seufzend erhob er sich und schlenderte aus dem Saal.
Als Alene aufwachte lag sie auf Lyes, hatte die Arme um ihn geschlungen und lauschte seinem Atem. Er schlief tief und fest, wie ein kleines Kind. Alene hielt den Atem an. Zu gerne hätte sie sich nun an diesem starken Körper gerieben hätte, doch sie rutschte von ihm herunter und kuschelte sich stattdessen an seine Seite. Während sie einfach nur seinem kräftigen Herzschlag lauschte, dachte sie nach. Sie sollte also die Nachfolgerin des Teufels sein? Sie wollte das nicht glauben, doch als Lyes sie so verzweifelt angesehen hatte wusste sie, dass er Recht haben musste. Er schien es ja selbst nicht wahr haben zu wollen. Die Verzweiflung seines Blickes hatte ihr beinahe die Tränen in die Augen getrieben. Verträumt betrachtete Alene Lyes Gesicht. Sie wollte ihn in die Arme nehmen, sich dafür entschuldigen das sie sein Leben so durcheinander gebracht hatte und so zickig gewesen war. Doch eigentlich wollte sie noch einiges mehr, als sich nur zu entschuldigen. Sie wollte sich bedanken, dafür das er sie akzeptierte und sie nicht so scheiße behandelte wie alle anderen. Doch vorallem wollte sie eines: Ihn küssen! Einfach mal etwas tun, wonach ihr der Sinn stand, und zwar ohne nachdenken zu müssen. Sie war auch nur eine Frau, mit Gelüsten.
„Warum so ein trübes Gesicht?“
Beim Klang von Lyes Stimme zuckte sie zusammen. Sie legte den Kopf ein Stück in den Nacken und sah ihn an. Sie schwieg, weil sie keine Ahnung hatte was sie sagen sollte.
„Als du auf mir lagst, hat es mir besser gefallen.“, sagte er plötzlich grinsend und trieb Alene somit die Schamesröte ins Gesicht. Sie wusste nicht was sie darauf erwidern sollte und blieb still, weshalb Lyes die Initiative ergriff und sie wieder auf sich zog. Das Grinsen des Mannes wurde breiter.
„Mhh, so warm und weich.“, murmelte er und schmiegte sich an sie.
Alene konnte es nicht sehen, doch Lyes Gesichtsausdruck wurde ernster. Er hatte das nicht nur aus Spaß gesagt oder um die Frau zu ärgern. Viel mehr war es eine Feststellung gewesen, gegen die er nichts einzuwenden hatte. Genau so sollte sich eine Frau anfühlen. Warm und weich, immer offen um ein bisschen zu kuscheln und nicht so ruppig und herzlos wie all die weiblichen Dämonen. Überhaupt fiel ihm auf, dass Alene überhaupt nichts hiergegen einzuwenden hatte. Im Gegenteil, es schien als hätte sie nur förmlich darauf gewartet ihn als Kissen nutzen zu können. Ihm fiel der Kuss ein. Ob sie wohl etwas dagegen hatte, wenn er es noch einmal wagen würde? Lyes legte den Kopf ein Stück zurück und stellte fest, dass Alene die Augen geschlossen hatte. Doch ihr Puls und ihr Atem ging zu schnell, als das sie schlafen könnte. Er lächelte, drückte er seine Lippen sacht auf ihre Stirn. Langsam, ja fast schon müde öffnete sich ein Auge von Alene.
„Wenn du mich schon küssen willst, dann bitte richtig.“, murmelte sie. Es schien, als wäre sie kurz davor einzuschlafen. Lyes ließ diese Worte nicht unbeachtet.
„Na, wenn das so ist.“, grinste er und drückte seine Lippen dann auf ihre. Alene erwiderte den Kuss ohne zu zögern und glich Lyes Leidenschaft mit sanfter Zärtlichkeit aus. So hat eine Frau zu sein!, dachte Lyes. Meine Frau!
Er beendete den Kuss, als er den flüchtigen Gedanken realisierte.
„Alles okay?“, hakte die Frau nach, als sie den verwirrten Gesichtsausdruck von ihm sah. Er schüttelte leicht den Kopf.
„Ja, ja, alles gut, keine Sorge.“, erwiderte er und schloss die Augen.
Was dachte er denn da? Seine Frau? Er hatte doch überhaupt keinen Anspruch auf sie! Doch dann dachte er an die Prophezeiung. Wenn sie wirklich wahr war, dann war sie in Zukunft nicht nur sein Arbeitgeber, sondern auch wirklich seine Frau! Also warum sollte es zwischen ihnen schlecht ausgehen? Alene riss ihn aus den Gedanken, indem sie seine Hand ergriff und ihre Finger mit seinen verschränkte.
„Was beschäftigt dich?“, fragte sie leise. Sie ließ nicht locker, weshalb Lyes mit der Wahrheit herausrückte, allerdings mit einer anderen Wahrheit.
„Uriel hat einen Vorschlag gemacht, den ich nicht aus dem Kopf kriege.“, erwiderte er nachdenklich.
„Was für einen Vorschlag?“
Mit einem Schlag war Alene hellwach. Lyes seufzte und der Druck von seinen Fingern an ihrer Hand wurde stärker.
„Uriel hat vorgeschlagen, dich mit ins Himmelsreich zu nehmen. Dort wärst du sicher und wir könnten uns um Luzifer kümmern. Und...du könntest über alles nachdenken. In Ruhe versteht sich.“
Unruhig fuhr Lyes sich mit der anderen Hand durchs Haar.
„Nein.“
Alenes ausdrucksstarker Blick hätte Lyes beinahe ein Lächeln entlockt. Ohne mit der Wimper zu zucken erwiderte sie seinen Blick. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.
„Das ich über alles nachdenken muss, wird sich nicht vermeiden lassen aber das werde ich nicht zwischen einem Haufen Engeln tun sondern hier, bei dir.“
Lyes Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als er ihre Hand nahm und ihre Finger küsste.
„Ich bin froh das zu hören, Kleines. Wirklich!“
Alene erwiderte das Lächeln, Lyes fuhr fort.
„Glaub mir, ich hätte es nicht zugelassen wenn dieser Erzengel dich einfach so hätte mitnehmen wollen.“
Alene lachte leise.
„Wie süß von dir. Aber keine Sorge, als ob ich einfach weglaufen würde.“
Der Mann setzte sich auf, worauf Alene ihr Gesicht an seinen Hals schmiegte. Lyes legte die Arme um sie, genoss die Wärme und strich ihr dann übers Haar.
„Du warst genauso lange wie ich alleine, Alene. Jetzt nicht mehr, hörst du?“, flüsterte er. Sekunden verstrichen, dann ertönte ein leises Schluchzen.
„Bring mich gefälligst nicht zum weinen.“, hauchte Alene und zwickte ihn. Lachend drückte er sie fester an sich.
„Und, gibt es etwas Neues?“
Saphira schüttelte den Kopf und sah den Erzengel entschuldigend an.
„Nein, tut mir leid. Ich glaube, die beiden schlafen.“
„Jetzt nicht mehr.“, ertönte es plötzlich, worauf Uriel und Saphira zur Tür sahen. Lyes und Alene betraten gerade den Raum. Beide sahen einigermaßen erholt und ausgeschlafen aus. Alene ergriff das Wort und richtete ihren Blick auf den Erzengel.
„Lyes hat mir von deiner Idee erzählt.“, verkündete sie ausdruckslos. Gespannt wartete Uriel darauf, dass die Frau ihre Meinung preisgab.
„Kommt nicht infrage!“, knurrte sie dann und funkelte den Mann zornig an. Überrascht und ein wenig fragwürdig neigte Uriel den Kopf. Er brauchte gar nichts zu sagen, Alene redete einfach weiter.
„Als ob ich mich einfach so zwischen Engeln verstecken würde! Ich bleibe hier bei Lyes, keine Widerrede. Etwas anderes kommt gar nicht infrage.“
Seufzend rieb der Erzengel sich die Stirn.
„Mit so einer Antwort habe ich schon gerechnet. Du bist also gewillt, Lyes noch mehr Probleme zu bereiten, anstatt zu helfen und dich zurückzuziehen?“
Alene schnaubte.
„Das hätte man auch freundlicher formulieren können. Aber ja, genau das wollte ich damit sagen.“
Sie nickte entschlosseen und untermauerte ihre Worte somit.
„Tja, du hast sie gehört, Uriel. Sie bleibt bei mir.“, bestätigte Lyes und legte die Arme um Alene. Beide grinsten zufrieden. Saphira sah zwischen den beiden hin und her.
„Ihr zwei strahlt übers ganze Gesicht. Liege ich richtig wenn ich vermute, dass zwischen euch etwas läuft?“
Die beiden erstarrten und wechselten dann einen Blick miteinander.
„Ich weiß nicht. Läuft zwischen uns etwas?“, murmelte Alene und sah Lyes unsicher an.
„Wenn du das denn willst.“, erwiderte der Mann und legte seine Hand auf ihre Schulter. Saphira räusperte sich.
„Entschuldigung, es sieht so aus als hätte ich euch beiden mit dieser Frage keinen Gefallen getan.“
Lächelnd winkte Alene ab.
„Ach, nur keine Sorge. Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.“
Nachdenklich sah Lyes auf die Frau herab. Wollte sie etwas mit ihm anfangen oder nicht? Diese Frage ließ ihm keine Ruhe. Er beschloss, das später mit ihr zu klären. Uriel mischte sich ein.
„Tja, dann verschwinde ich wohl mal wieder. Ich melde mich, sollte es Neuigkeiten geben.“
Dann war er auch schon zur Tür hinaus. Als Saphira sah, wie unangenehm Lyes und Alene die Situation zu sein schien, machte sie ebenfalls kehrt.
„Ich habe noch etwas zu erledigen.“, log sie. „Bis später.“
Lyes und Alene wechselten erneut einen Blick miteinander.
„Läuft zwischen uns etwas?“, fragte Alene leise und beobachtete, wie Lyes sein Hemd auszog und zur Seite warf. Mitten in der Bewegung hielt er inne, dann drehte er sich zu ihr um.
„Ja.“, sagte er todernst und blickte ihr unvermittelt ins Gesicht. Die Frau schluckte und Lyes Gesichtsausdruck wurde weich. Langsam ging er auf sie zu.
„Wäre nichts zwischen uns würden wir uns weder ein Bett teilen, noch uns küssen. Und wenn ich ehrlich bin...“
Er zögerte zwar erst, umfasste dann aber ihr Gesicht mit den Händen und fuhr fort.
„Und wenn ich ehrlich bin, würde ich mir mehr wünschen.“, sagte er leise.
„Küss mich.“, erwiderte Alene. Diesem Befehl kam er ohne zu zögern nach. Alene konnte nicht glauben das er das gesagt hatte, doch insgeheim hatte sie sich das gewünscht. Sie wollte endlich zu jemandem gehören! Vielleicht hatte sie das nun erreicht? Alene fällte eine Entscheidung und schob Lyes nach einigen Augenblicken zurück.
„Wenn ich nicht nur die Nachfolgerin des Teufels werde, sondern auch deine Frau, dann...kann ich das mit der Prophezeiung wohl akzeptieren...“, murmelte sie und lächelte aufmunternd. Sprachlos starrte Lyes sie an, dann fiel er ihr um den Hals.
Sabriel beobachtete, wie sein Bruder Uriel in den Saal geschlendert kam. Sein nachdenklicher Blick ließ Sabriel und die anderen aufmerksam werden. Sah ganz so aus, als wäre etwas passiert.
„Das hat lange gedauert.“, stellte Zadkiel fest und neigte den Kopf.
„Da sagst du was.“, murmelte Uriel und ließ sich auf seinem Platz nieder.
„Na, dann erzähl mal.“, verlangte Sabriel. Der Erzengel rieb sich die Schläfen.
„Sie war mit unserer Idee alles andere als einverstanden.“, sagte er lediglich. Penetrante Stille.
„War das nicht zu erwarten?“, hustete Zadkiel leise. Uriels Mundwinkel zuckten, bis er schließlich ein breites Grinsen im Gesicht hatte.
„Es ist unglaublich wie sehr die beiden zusammen halten. Irgendwie süß. Es ist schade, dass ihr die zwei noch nicht zusammen gesehen habt.“
Einige lachten.
„Wird sie die Prophezeiung akzeptieren?“, hakte Sabriel nach. Uriels Lächeln verschwand nicht.
„Ich würde sagen, es sieht gut aus. Sie scheint sich an den Gedanken zu gewöhnen. Allerdings neigt sie hin und wieder zu immenser Sturheit, das könnte auch mal zum Problem werden.“
Zachariel musste ebenfalls lächeln.
„Das sind dennoch gute Neuigkeiten. Bleibt allerdings die Frage, was wir nun tun wollen.“
Er bekam keine Antwort auf seine Frage. Tja, darauf wusste nicht einmal Uriel eine Antwort.
„Ich nehme an, Azrael kümmert sich noch um Luzifers Leute?“, brach der Erzengel schließlich die Stille. Sabriel nickte.
„Allerdings. Aber wer kümmert sich um Luzifer selbst?“, erwiderte er angespannt.
„Das ist das Problem.“, murmelte Uriel.
„Wir haben keine Ahnung wie mächtig der Teufel wirklich ist, also wissen wir auch nicht welche Geschütze wir auffahren müssen.“
Sabriels Blick wurde mit einem Mal todernst.
„Ich nehme an, wir wissen auch nicht was die Frau für Fähigkeiten hat?“
Zadkiel neigte den Kopf.
„Wie kommst du denn jetzt bitte darauf?“
Sabriel seufzte leise.
„Die Prophezeiung sagt, dass Alene die Nachfolgerin des Teufels wird. Schön und gut aber sagt sie denn auch, wann das sein wird? Wenn sie diesen Platz einnehmen will, dann wird sie nicht so schwach sein wie ein normaler Mensch. Vielleicht sollten wir uns daran machen herauszufinden, wie stark die Kleine ist.“
Nun wurde auch Uriel nachdenklich. Darüber hatte er sich tatsächlich noch keine Gedanken gemacht.
„Ich habe nichts bemerkt, was auf eine außergewöhnliche Fähigkeit hindeutet. Sie ist zwar eine erwachsene Frau aber immer noch sehr jung. Vielleicht machen sich solche Dinge erst in ein paar Jahren bemerkbar.“
Sabriels Mundwinkel zuckten.
„Oder wir gehen der Sache einfach nach.“, schlug er vor. Uriel sagte nichts dazu Natürlich würde er der Sache nachgehen, vorausgesetzt jemand anderes würde ihm zuvor kommen!
Beeindruckt beobachtete Lyes, wie Alene die schweren Einkäufe auf der Theke absetzte. Es handelte sich um zwei überfüllte Taschen und einiges an Wasserflaschen.
„Verdammt, warum hast du denn nichts gesagt? Ich hätte dir doch geholfen!“, sagte Lyes und ging zu ihr. Mit einem strahlenden Lächeln sah Alene ihn an.
„Wieso denn? Hat doch alles wunderbar geklappt. Außerdem ist das nur eine Kleinigkeit.“
Der Mann neigte den Kopf. Er hatte schon gemerkt, dass die Frau körperlich sehr belastbar war und stärker war als andere Menschen, doch sie war so zierlich das es ein Wunder war, dass nach diesen Einkäufen nicht mal ein Schnaufen von ihr zu hören war. Lyes lachte, stellte sich vor sie und küsste sie auf den Scheitel.
„Du bist unglaublich.“, lachte er und half ihr, die Lebensmittel zu verstauen.
„Ich finde es im Übrigen immer noch nicht gut, dass du das erledigt hast. Wer kann schon sagen, ob Luzifer dich entdeckt hat. Oder stell dir vor, einer seiner Lakaien ist dir gefolgt? Saphira hätte sich darum kümmern müssen, dass genug zu essen im Haus ist.“
Seufzend knallte Alene eine Konserve auf den Tisch.
„Du machst dir zu viele Gedanken, Lyes. Ich bin kein Schwächling und kann mich verteidigen. Außerdem war ich nur eine Viertelstunde unterwegs, du glaubst doch nicht wirklich das Luzifer mich in dieser kurzen Zeit aufgespürt hat.“
Skeptisch nahm der Mann ihre Worte zur Kenntnis. Betrübt erwiderte er ihren Blick. Alene lächelte schwach und ergriff seine Hand. Tröstend strich sie mit dem Daumen über seinen Handrücken.
„Mach dir nicht so viele Gedanken, hörst du? Wir kriegen das schon hin.“
Aufmunternd und selbstsicher lächelte sie ihn an, doch Lyes erwiderte es nur wenig überzeugt. Doch er musste ihr vertrauen. Sonst würde von vorneherein alles schief gehen. Lyes Blick fiel auf Alenes Arme. Sie waren so dünn und zerbrechlich...Er konnte nicht recht glauben, wie stark sie eigentlich war. Ihm kam ein Gedanke. Vielleicht...sollte er ihre Stärke austesten. Unauffällig, versteht sich...
„Azrael, was ist los?“
Der Seelensammler erstarrte, als der Leibhaftige plötzlich hinter ihm stand.
„Ich weiß nicht, was Ihr meint.“, sagte er beiläufig und drehte sich lässig um. Misstrauisch begutachtete Luzifer ihn.
„Sicher? Du wirst in letzter Zeit sehr nervös und...aufmerksam.“
Innerlich fluchte Azrael. Er hatte gehofft, Luzifer würde es nicht bemerken. Tja, dann musste er nun so tun, als wäre nichts. Fragte sich nur, ob er das schaffte.
„Seid Ihr sicher? Mit scheint, die Sache mit Lyes und der Frau beschäftigt Euch zu sehr und deshalb glaubt Ihr...“
Luzifers Blick verfinsterte sich immer mehr, weshalb Azrael aprubt verstummte. Vorsichtig zog er die Brauen in die Höhe und siehe da, Luzifer atmete tief durch und rieb sich die Schläfen.
„Du hast Recht.“, murmelte er. „Ich weiß, dass du gute Arbeit leistest. Im Moment reagiere ich wohl sehr schnell über. Ich werde mich besser zurückziehen.“
Tief durchatmend blickte Azrael seinem Fürsten nach. Glück gehabt! Gut, dass er sich nie etwas zu Schulden kommen lassen hatte, sonst hätte er ihm wohl nicht geglaubt. In Gedanken versunken schlenderte er in die andere Richtung davon. Es war wirklich pures Glück, dass er noch nicht aufgeflogen war. Bisher hatten alle, denen er Feuer unterm Arsch gemacht hatte, die Klappe gehalten. Azrael hoffte, das würde auch so bleiben. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Er hoffte wirklich, die Erzengel würden bald handeln. All zu lange hielt er nämlich nicht mehr durch...
8th
Alene schlenderte die Treppe herunter, als ihr plötzlich etwas großes, rotes ins Auge fiel. Irritert blieb sie stehen.
„Ein Boxsack?“, murmelte sie. „Das soll wohl ein Scherz sein!“, brummte sie. Das Ding lag quer über den Stufen! Um darüber zu steigen waren ihre Beine zu kurz. Und dabei war sie schon über einen Meter siebzig groß.
„Ich fühle mich verarscht.“, sagte sie zu sich selbst und versuchte, das riesige Ding von den Stufen zu rollen. Es funktionierte nicht.
„Mich würde interessieren, wie viel so ein Teil wohl wiegt.“, murmelte sie und ging in die Hocke. Sie hatte nie Selbstgespräche geführt, doch in diesem riesigen Anwesen war ihr einfach danach. Sie nahm die riesige Eisenkette in die Hände und zog mit einem kräftigen Ruck daran, worauf sich der riesige Sack tatsächlich ein Stück bewegte.
„Wow.“, hauchte Alene. „Ich dachte, es wäre schwerer.“
Sie atmete tief durch und sprang dann mit einem Satz darüber.
„Also gut.“, sagte sie kämpferisch und ergriff erneut die massive Kette. Sie zog daran, der Sack bewegte sich und begrub sie beinahe unter sich. Alene konnte nicht ausweichen, verlor das Gleichgewicht und segelte, samt Boxsack, die Treppe herunter. Ein Knirschen ertönte und ein Knacken, dann landete sie auch schon auf dem Boden. Weil sie Sternchen sah, hielt sie die Augen einen Moment geschlossen.
„Typisch.“, murmelte sie und blinzelte vorsichtig. Naja, immerhin wusste sie nun, dass sie einigermaßen stark war. Das war doch was! Blieb zu hoffen, dass nichts gebrochen war. Und glücklicherweise hatte der Sack sie nicht erschlagen! Langsam setzte sie sich auf und überprüfte, ob sie noch ganz war. Mehrere Flecken an ihren Armen wurden erkennbar und ihr Fuß fühlte sich seltsam taub an.
„Oh oh.“, murmelte sie und versuchte, ihren Fuß ein wenig zu drehen. Als sie ein schmerzhafter Stich durchfuhr, hielt sie inne. Sie fluchte leise.
„Scheiße nochmal.“
Sie ließ den Kopf in den Nacken fallen und fragte sich, was sie nun tun sollte.
„Am besten bleibe ich einfach hier liegen.“, murmelte sie und ließ sich auf den Rücken fallen. Einige Zeit lang blieb sie so liegen, dann fühlte sich ihr Körper seltsam schwerelos an. Sie schlug die Augen auf und blickte in Lyes fast weiße Augen.
„Na, ruhst du dich aus?“, sagte er leise lachend. Eine steile Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen.
„Sicher nicht. Würde ich das tun wollen, hätte ich mich ins Bett gelegt.“, erwiderte sie. Mit skeptischem Blick sah Lyes auf den Boxsack.
„Darf ich fragen, was du hier veranstaltet hast?“
Belustigt sah er Alene wieder ein. Die schnaubte.
„Was ich veranstaltet habe? Die Frage ist wohl eher, was andere veranstaltet haben. Dieses blöde Ding lag mitten auf den Stufen!“
Aufgebracht wies sie auf das rote Monstrum. Lyes lachte. Oh, er wusste nur zu gut warum der Boxsack ausgerechnet da lag.
„Wer weiß was Saphira in ihrer Freizeit treibt.“
Er wurde ernst und musterte sie genau, während er sie ins Wohnzimmer brachte.
„Du hast dich verletzt, nicht wahr?“
Sie nickte lediglich, peinlich berührt. Lyes schwieg ebenfalls. Das war natürlich nicht sein Ziel gewesen, doch vielleicht war es ja halb so wild. Er setzte sie auf dem Sofa ab und hob ihren Fuß an.
„Tut das weh?“, fragte er und drückte vorsichtig auf ihren Knöchel. Als sie das Gesicht verzog, hatte er seine Antwort.
„Also gut.“, murmelte er und machte sich ein zweites Mal daran, sie zu heilen. Alene schloss die Augen, als die bekannte Hitze sie durchströmte und sich dieses Mal auf ihren Fuß konzentrierte. Lange verharrten sie in dieser Stellung, bis Lyes zurückwich.
„Der Knochen ist...war gebrochen, jetzt dürfte es aber besser sein. Versuch mal zu laufen.“, sagte er und sah zu ihr hoch. Mit Leichtgkeit erhob sie sich und lief um ihn herum.
„Sag mal, da du ja der Todesengel bist, wie kommt es da das du Heilkräfte besitzt?“, fragte sie im Plauderton. Lyes Blick blieb ausdruckslos.
„Wer weiß. Das ist einer der Dinge, an die man keinen Gedanken verschwendet.“
Alene fasste seine Hand und zog ihn zu sich hoch.
„Auch egal.“, begann sie und legte ihm die Hände auf die Brust.
„Danke.“, hauchte sie und ließ ihre Lippen sacht über seinen Hals gleiten.
Er erschauerte und legte einen Arm um sie, um sie bei sich zu halten.
„Immer wieder gerne.“, erwiderte er. Einen Augenblick lang sahen sie sich einfach nur in die Augen, dann küssten sie sich. Der zarte Hauch eines Kusses wurde immer leidenschaftlicher, bis die beiden schließlich auf dem Sofa landeten. Alene genoss den Kuss, bis ihr Shirt plötzlich von Lyes über ihren Kopf gezogen wurde. Sie keuchte als sie seine heißen Hände plötzlich auf ihrer Haut spürte. Einen Moment lang fragte sie sich ob sie wirklich so weit gehen wollte, doch als ihr klar wurde das sie Lyes Frau sein könnte und würde, waren all ihre Zweifel verschwunden. Lyes versuchte sie zu dominieren, doch Alene drehte den Spieß um. Sie setzte sich auf ihn und biss ihm sacht in die Lippe, damit er den Mund öffnete. Neckend tastete sie sich mit ihrer Zunge voran, doch sobald Lyes Zunge dazukam, zog sie sich zurück. Lyes zwickte sie, worauf sie quiekte und am Ende doch wieder unter ihm lag.
Ungeduldig zog Alene ihm das Shirt aus. Sie wollte seine Haut einfach nur an ihrer spüren. Und wenn es zu mehr kam...auch gut. Ehe sie sich versah hatten die beiden auch schon keine Hose mehr an. Lyes hielt inne und betrachtete die Frau, die mit flachen Atem unter ihm lag. Zärtlich legte er die Hand an ihre Wange.
„Egal was andere sagen, du bist eine wunderschöne Frau und deine Augen sind auch schön!“
Er sagte das so liebevoll und ehrfürchtig, dass ihr die Tränen in die Augen traten. Statt sich mit Worten zu bedanken, packte sie seine Oberarme und zog ihn wieder zu sich herunter.
Nie hatte ihr jemans solche Worte zugeflüstert. Und vermutlich würde es, außer ihm auch niemals einer tun. Doch es reichte ihr, wenn Lyes ihr solche Sachen sagte. Von jemand anderem wollte sie das gar nicht hören. Alene gestand sich ein, dass sie sich zu Lyes hingezogen fühlte. Doch...war da etwa noch mehr? Sie wusste es nicht und sie war sich auch nicht sicher, ob sie das überhaupt wissen wollte. Sie bemerkte es kaum, doch wenige Augenblicke später segelte ihr BH zu Boden.
„Ich kenne niemanden, der hübscher ist als du.“, flüsterte Lyes und küsste Alene erneut. Die ließ es geschehen und freute sich auf das, was nun noch kommen würde.
„Okay, ich denke das mit Lyes und Alene ist besiegelt.“, verkündete Saphira und blickte Uriel ins Gesicht.
„Wie kommst du darauf?“, erwiderte der Erzengel und neigte den Kopf.
„Die beiden sind miteinander im Bett gelandet. Ich habe sie gehört. Und was die Sache mit Alenes Fähigkeiten angeht...Lyes hat diesbezüglich ein bisschen experimentiert.“
Uriel wurde aufmerksam, Saphira fuhr ohne zu zögern fort.
„Alene ist stärker als ein gewöhnlicher Mensch. Sie kann Dinge tragen, die eine Frau für gewöhnlich nicht einmal um einen Millimeter bewegen kann.“
„Und wie hat er das herausgefunden?“, hakte er beeindruckt nach. Kichernd zuckte die Seherin mit den Schultern.
„Naja, er hat sich die Mühe gemacht ihr einen Boxsack in den Weg zu legen. Mitten auf die Treppe versteht sich. Und sie hat ihn aus dem Weg gezogen!“
Uriel hielt inne. So war das also. Alene schien nicht zu ahnen, dass sie etwas Besonderes war. Sie war einfach immer ein bisschen stärker gewesen als andere. Sie hatte sich nie etwas dabei gedacht, weil es schon immer so gewesen war.
„Ist euch sonst etwas aufgefallen?“, fragte er dann. Saphira schüttelte den Kopf.
„Bis jetzt noch nicht.“
Nachdenklich legte der Erzengel den Kopf ein Stück in den Nacken.
„Das ist seltsam. Eigentlich sollte es schon Hinweise darauf geben, wer sie einmal sein wird.
„Vielleicht kommt das ja noch.“, murmelte Saphira und wandte sich bereits ab.
„Vielleicht muss es auch einfach nur erzwungen werden.“, sagte Uriel dann.
Saphiras Augen weiteten sich.
„Ich hoffe doch sehr, dass wir das nicht bereuen werden...“, murmelte Alene und zeichnete mit dem Finger unsichtbare Muster auf Lyes Brust.
„Auf keinen Fall! Du gehörst schließlich mir, also warum sollten wir das bereuen?“, erwiderte der Mann und schloss müde die Augen.
„Erstens gehöre ich nicht dir, sondern du mir.“, erwiderte Alene. „Und zweitens bin ich nur ein Mensch. Es muss also einen Haken geben, wenn ein Mensch mit einem...göttlichen, oder teuflischen Wesen vögelt."
Lyes konnte nicht anders als zu lachen.
„Es spielt keine Rolle ob du ein Mensch bist. Du wirst mal die Hölle regieren. Ich bin dann an dich gebunden und somit dein Sklave. Ergo, du kannst mit mir machen was du willst. Dazu gehört auch, mit mir zu schlafen, egal auf welch perverse Art auch immer.“
Die Frau schluckte. Der Mann an ihrer Seite war verdammt gut im Bett und fast schämte sie sich dafür, kaum Erfahrung zu haben. Doch von nun an, würde sich das wohl ändern. Lyes betrachtete Alene. Nun war er also doch mit einem Menschen im Bett gelandet. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. Er hatte gemerkt, dass Alene kaum Erfahrung in diesen Dingen gemacht hatte doch er hatte festgestellt, dass ihm das gefiel. Sie war sanft und zärtlich und gab ihm genau das, was er brauchte. Sie war genau die Art von Frau, die er sich immer gewünscht hatte. Ja, für den Moment war er glücklich. Und wenn Alene seine Frau wurde, würde das auch so bleiben. Erst als die Frau ihn auf die Stirn küsste merkte er, dass er die Augen geschlossen hatte. Er schlug die auf und sah die Frau eindringlich an.
„Worüber denkst du nach, hm?“, fragte Alene leise und lächelte schwach. Lyes zeigte ein Lächeln, welches die Frau nicht beschreiben konnte. Es raubte ihr einfach den Atem.
„Weißt du...“, begann er. „Wir kennen uns erst eine kurze Zeit, doch du hast mich so sehr verändert. Ich fühle mich wie ein kleiner Junge, der anfängt die Welt zu entdecken, dabei bin ich schon Jahrtausende alt! Ich bin dir wirklich dankbar dafür, dass du mir zeigst wie schön die Welt sein kann.“
Das Lächeln auf Alenes Lippen wurde breiter.
„Du tust mir einfach nur gut, Alene.“
Gerührt küsste die Frau ihn auf die Stirn.
„Es freut mich das ich dir so viel Freude bereite. Aber vergiss bitte nicht, unter welchen Umständen das alles geschieht.“, flüsterte sie. Lyes Augen schlossen sich.
„Wie könnte ich das vergessen?“
Er hielt inne und drükte Alene dann fester an sich.
„Wenn all das vorbei ist will ich, dass du mir zeigst wie schön die Welt noch sein kann. Versprichst du mir das?“
Fast schon flehend sah er sie an.
„Versprochen.“, hauchte sie und besiegelte ihre Worte mit einem Kuss.
Luzifer betrachtete das Anwesen. Kein Wunder, dass jeder seiner Dämonen sie ausfindig hatte machen können. Es war das Haus einer Seherin und die neigten dazu, all ihr Hab und Gut mit Zaubern und Bännen zu schützen. Der Teufel kaut auf dem Nagel seines Daumens. Sah ganz so aus, als würde er darauf warten müssen das die Frau das Haus verließ. Doch das könnte dauern. Dummerweise war er nie sehr geduldig gewesen. Nun gut, er wartete also...
…
Luzifer schmunzelte. Eigentlich hätte Lyes sie gar nicht aus den Augen lassen dürfen. Hätte er nicht ahnen müssen, dass er sie problemlos aufspüren konnte? Luzifers Lächeln verschwand. Wahrscheinlich hatte der Todesengel sogar protestiert, nur war die Frau anscheinend beharrlich geblieben.
Gut für mich., dachte der König aller Dämonen und folgte Alene, die auf dem zum Supermarkt war. Luzifer war beeindruckt. Obwohl die Frau von allen verachtet und gemieden wurde, war sie erstaunlich selbstbewusst. Eine Weile beobachtete er das Geschehen, dann beschloss er einzugreifen und sich ihr in den Weg zu stellen. Sie machte bereits den Mund auf, doch als sie sah wer da vor ihr stand, schloss sie ihn wieder. Grausam lächelnd machte Luzifer einen Wink mit der Hand, dann hatten sie die Welt der Menschen hinter sich gelassen. In seinen Gefilden angekommen verzogen Luzifers Lippen zu einem Grinsen.
Versuch erst gar nicht meine Gedanken zu lesen, Kleine., dachte er, worauf Alene fast schon schmollend die Arme verschränkte.
„Willst du mich nicht umbringen, jetzt wo ich hier bin?“, sagte sie herausfordernd. Luzifer lachte leise.
„Nein. Naja, zumindest nicht sofort.“, erwiderte er und umrundete die Frau mit langsamen und bedachten Schritten.
„Erst einmal wüsste ich gerne mehr über dich.“, fügte er dann leise hinzu und streckte die Hand nach ihr aus. Ohne mit der Wimper zu zucken schlug Alene seine Hand weg.
„Glaub ja nicht, dass ich dir etwas über mich verraten werde.“, zischte sie und erwiderte feindselig seinen Blick. Das Lachen des Mannes wurde lauter.
„Mit so einer Antwort habe ich schon gerechnet. Aber das macht nichts. Ich sehe dir an, dass du einen außergewöhnlichen Charakter hast.“
Alene zog eine Augenbraue hoch. Skeptisch betrachtete sie den Teufel.
„Etwa weil ich keine Angst vor dir habe? Oder weil meine Augen verschiedenfarbig sind?“
Luzifer hielt einen Moment inne und verschränkte dann nachdenklich die Arme.
„Ich kann es nicht erklären. Ich sehe es dir einfach an. An deiner Haltung, den Ausdruck in deinen Augen. Deine Augenfarben tun dabei nichts zur Sache.“
Luzifer verstummte und betrachtete Alene auch weiterhin nachdenklich. Hatte ihm gegenüber je schon einmal so wenig Angst gezeigt? Wenn ja, konnte er sich nicht daran erinnern. Der Mann blieb stehen und sah Alene einfach nur an, diese erwiderte den Blick mit verschränkten Armen und trotzigem Blick. Mehrere Minuten lang starrten sie sich so an, dann vergrub Alene das Gesicht in den Händen.
„Ich kann einfach nicht glauben, dass ich mal deine Nachfolgerin werden soll.“, hauchte sie und linste zwischen ihren Fingern hervor. Scheinbar hatte Luzifer nicht damit gerechnet, dass sie solche Worte aussprechen würde. Doch auch er rieb sich genervt die Stirn.
„Na, dann sind wir ja schon zwei. Ich kann das nämlich auch nicht glauben.“
Alene verschränkte die Arme erneut.
„Können wir uns darauf einigen, dass du deinen Job behältst und ich mich aus Allem raus halte?“
Die Mundwinkel des Teufels zuckten. Eigentlich gefiel ihm diese Richtung...
„Das hört sich an sich ja gut an, allerdings ist das nicht so einfach. Da wäre nämlich noch Lyes und ich bezweifle, dass du dich dazu bereit erklärst dich von ihm fern zu halten.“
Alene seufzte. Das wäre ja auch zu schön gewesen. Sie zog die Schultern ein Stück hoch, wirkte deswegen aber keineswegs ängstlich oder nervös.
„Naja...er kann doch trotzdem seiner Arbeit nachgehen. Auch wenn wir...zusammen...“
Sie verstummte als sie Luzifers Lächeln entdeckte.
„Ich gebe ja zu, das klingt verlockend aber es wird trotzdem nicht einfach. Einer Prophezeiung kann man nicht einfach aus dem Weg gehen. Sie wird eintreten, zumindest, wenn nichts unternommen wird.“, erklärte er mit einer vagen Geste. Alene zog eine Braue hoch.
„Noch mal zum mitschreiben: Eine Prophezeiung tritt immer ein. Aber du willst mich töten, um deinen Platz zu behalten. Und du glaubst dennoch, dass das funktioniert. Gibt es da nicht einen Fehler in der Gleichung?“
Luzifer konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„Normalerweise magst du Recht haben, Kleines aber du scheinst vergessen zu haben, wer ich bin. Der Teufel ist nun mal eine Ausnahme. Ich bin schließlich das Gegenstück des Allmächtigen. Also glaub nicht, dass du einfach so davon kommst.“
Nun war Alene diejenige, die den Teufel umkreiste.
„Also gut, nehmen wir mal an, du würdest mich jetzt töten wollen. Durch eine...sagen wir mal göttliche Fügung würde das aber nicht funktionieren. Was dann, hm?“
Ehe Alene sich versah, hatte Luzifer sie gepackt und unter sie begraben. Als seine Lippen ihren Hals streiften, erschauerte sie angewidert.
„Merk dir eins, Kleine. Ich kriege immer, was ich will.“, hauchte er ihr ins Ohr. Das ließ die Frau sich natürlich nicht gefallen. Sie trat ihm zwischen die Beine und setzte sich dann auf ihn. Dann beugte sie sich vor, bis ihre Lippen ebenfalls sein Ohr berührten.
„Dann wirst du, was mich betrifft wohl eine Ausnahme machen müssen.“, flüsterte sie. Ruckartig sprang sie auf, dann hielt sie nach eine Fluchtweg Ausschau. Doch so wie es aussah, war dieser nicht vorhanden. Dumm gelaufen., dachte sie. Was sollte sie nun tun? Von alleine würde sie hier wohl nicht weg kommen.
„Du bist pfiffiger als gedacht.“, knurrte der Teufel und kam langsam auf die Beine.
„Glaub mir, ich weiß mich zu verteidigen.“, zischte Alene.
Langsam wurde es gefährlich. Der Mann kam genau auf sie zu und sie hatte nichts, womit sie sich verteidigen konnte.
„Dann wollen wir mal schauen, ob du wirklich so unverwundbar bist wie du die ganze Zeit tust.“
In Sekundenbruchteilen stand er vor ihr und holte mit der geballten Faust aus.
Keine dämonischen Kräfte?, dachte Alene belustigt. Lediglich Muskelkraft? Sie machte sich auf den Schlag gefasst, bereit ihn abzuwehren, doch von einer Sekunde auf die andere wurde Luzifer zurück gerissen. Ein ekelerregendes Knacken ertönte, als sein Kiefer brach. Kurz darauf bekam auch seine Nase etwas ab. Alene schluckte, löste sich aus ihrer Schockstarre und riss Lyes von Luzifer fort.
„Verschwinden wir von hier.“, zischte sie ihm ins Ohr und zog ihn mit in die Richtung, aus die der Todesengel gekommen war. Luzifer stieß vor Wut ein ohrenbetäubendes Brüllen aus. Warum er schon jetzt hier aufgetaucht? Hatte Luzifer sich zu viel Zeit gelassen?
Verunsichert betrachtete Alene Lyes, der laut knurrend auf und ab lief. Hatte sie etwas falsch gemacht? Es kam ihr nämlich so vor. Doch sie traute sich nicht zu fragen.
„Du musst sofort von hier weg.“, brüllte er plötzlich. Alene zuckte zusammen und rieb sich unsicher die Arme.
„Er hat dir aufgelauert.“, knurrte er nun, schnell ging seine Stimme jedoch wieder in ein Brüllen über.
„Ich wusste, dass du das Haus nicht hättest verlassen sollen!“
Erneut zuckte sie zusammen. In einer beruhigenden Geste legte die Frau ihm die Hand auf den Arm.
„Das hätte keiner ahnen können, Lyes. Und...Luzifer hat mich nur angegriffen, weil ich frech geworden bin. Ich war also selbst Schuld. Er schien vorher nicht die Absicht gehabt zu haben mich zu töten, denn wir haben uns noch einigermaßen normal unterhalten.“
Lyes Körper bebte vor Wut und Alenes Worte machten es auch nicht besser. Ihre Hände wanderten zu seiner Brust.
„Danke, dass du mich gerettet hast. Von alleine wäre ich da wohl nicht weggekommen.“, flüsterte sie kleinlaut und barg ihr Gesicht an seiner Brust.
„Verdammt, du hättest dabei drauf gehen können!“, fluchte er und umschlang sie mit den Armen.
„Du wirst mit Uriel ins Himmelsreich gehen, hast du verstanden?“
Ruckartig und mit weit aufgerissenen Augen hob Alene den Kopf.
„Was? Nein!“
Doch so sehr sie auch protestieren würde, sie wusste das der Mann ein Machtwort gesprochen hatte. Auf keinen Fall würde er zulassen, dass sie noch einmal in Gefahr geriet.
„Tu mir das nicht an, Lyes! Du kannst mich doch nicht alleine bei den Engeln zurück lassen.“
Flehend sah sie ihn an und sie erkannte in seinen Augen, dass er diese Entscheidung nicht gerne traf.
„Du elender Mistkerl!“, flüsterte sie, schlug ihm einmal auf die Brust und stürmte aus dem Raum. Seufzend fiel Lyes Kopf in den Nacken.
Erstaunt hob der Erzengel die Augenbrauen.
„Ich wage zu bezweifeln, dass sie ihre Meinung geändert hat.“, murmelte er. Lyes Blick blieb ausdruckslos.
„Ich habe es entschieden und Alene hat es zu akzeptieren, so einfach ist das. Luzifer hatte bereits die Chance sie zu töten, ich frage mich warum er es nicht getan hat. Ich war eigentlich viel zu spät, doch es ist gerade noch mal gut gegangen. Er weiß das sie hier ist, also wird sie mit dir gehen. Jetzt sofort.“
Alene, die wütend und schmollend neben Uriel auf dem Sofa saß, stieß bei diesen Worten ein Schnauben aus. Die ganze Zeit über hatte sie noch kein Wort gesagt. Lyes warf Alene eine große Tasche vor die Füße.
„Ihre Sachen sind bereits gepackt. Ihr könnt euch also sofort auf den Weg machen.“
Alene starrte auf die Tasche. Sie war verletzt. Er schickte sie einfach so weg? Ohn ezu sagen, wie leid es ihm tat und das er sie eigentlich bei sich haben wollte? Das war gemein. Und unfair. Uriel seufzte und erhob sich.
„Ich kann nicht behaupten erfreut über diese Situation zu sein aber wenn das so ist, sollten wir gehen. Komm, Alene.“
Traurig lächelnd bedeutete er ihr, aufzustehen. Nur widerwillig erhob sie sich.
Kurz bevor sie den Raum verließen, wurde Alene von Lyes zurückgerissen.
„Pass auf dich auf, hörst du? Und lass dich nicht unterkriegen.“, hauchte er, nachdem er sie geküsst hatte.
„Du auch.“, erwiderte Alene und verschwand.
9th
„Ein ziemlich gefühlloser Abschied wenn man bedenkt, dass ihr euch wahrscheinlich für eine lange Zeit nicht sehen werden.“
Uriel warf Alene einen kurzen Blick zu, die sich unauffällig umsah.
„Ich bin sauer auf ihn. Und bei dem Gedanken ihn länger nicht zu sehen wird mir schlecht, also denke ich nicht daran.“, murmelte sie geistesabwesend. Die Mundwinkel des Engels zuckten und Alene tat so, als würde sie es nicht bemerken. Alene war tief beeindruckt. Nun war sie also im Himmelsreich. Alles um sie herum war grün. Weite Felder, bunte und duftende Blumen und ein endlos weiter blauer Himmel, der nicht eine einzige Wolke aufwies. Das schien also das Paradies zu sein. Alles war friedlich und ruhig und nichts schien diese Ruhe stören zu können. Dachte Alene zumindest.
„Was bitte ist das?“, murmelte sie und legte den Kopf in den Nacken, um den gesamten Palast im Blick zu haben. Definitv das Paradies.
„Unser Zuhause. Und deines nun auch. Für eine Weile zumindest.“, erwiderte Uriel und ging ohne stehen zu bleiben weiter, durch das riesige Tor. Alene folgte ihm zwar, drinnen angekommen hätte sie sich aber am liebsten wieder umgedreht und wäre hinausgegangen. Ständig kamen ihnen Engel entgegen, einzeln oder in größeren oder kleineren Gruppen und fast alle von ihnen sahen Alene an, als hätte sie Hörner auf dem Kopf. Die Gedanken in ihrem Kopf schienen immer lauter zu werden, wodurch ein schmerzhaftes Pochen entstand. Sie rieb sich die Schläfen.
„Ich dachte immer Engel wären reine Wesen aber bei diesen Gedanken, bin ich mir da nicht mehr so sicher.“, sagte sie leise zu sich selbst und hob den Kopf ein wenig an. Uriel beachtete sie nicht. Scheinbar schien er zu ahnen, was in den Köpfen anderer Engel vorging. Und um ehrlich zu sein beunruhigte es sie nun, dass Uriel ihr den Zutritt zu seinem Bewusstsein verweigern konnte. Vielleicht dachte er ja das Gleiche wie alle anderen hier auch? Sie beschloss sich besser keine Gedanken mehr darüber zu machen, sonst würde sie noch wahnsinnig werden. Der Erzengel führte sie in eine riesige Halle, an dessen fast runden Wänden alle paar Meter eine riesige und stützende Säule aus...Marmor vielleicht?, bis zur Decke hinauf ragte. Mehrere Thröne waren im Halbkreis angeordnet, jeder von ihnen aus massivem Stein und in einer anderen Farbe. Alene blieb stehen, Uriel ließ sich auf einem der Thröne nieder, dessen Gestein leicht bläulich schimmerte. Irritiert wartete Alene ab und beobachtete, wie schließlich auf allen der sieben Thröne ein Erzengel saß. Jeder von ihnen mit unergründbarem Gesichtsausdruck.
Großartig..., dachte die Frau. Sie hatte es zwar noch nicht versucht aber bei den Gesichtern war klar, dass es schwierig werden würde in ihre Gedanken einzudringen. Doch sie wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen.
„Alene Eray, nehme ich an.“, sprach nun einer der Engel, auf dem ersten Thron mit rötlichem Schimmer. Der Mann war groß gewachsen, hatte braune schulterlange Haare und riesige rötliche Schwingen, die er hinter seinen breiten Schultern zusammen gefaltet hatte. Seine Stimme war tief und klang entschieden, dröhnte fast in ihren Ohren. Sie nickte zur Bestätigung.
„Erkläre mir, warum du nun doch hier bist.“, verlangte er donnernd. Die Frau neigte den Kopf. Vorsichtig, ja schon zurückhaltend versuchte sie seine Bewusstseinsbarrieren zu überwinden, um somit an seine Gedanken zu gelangen. Es kostete sie verdammt viel Kraft, doch irgendwann hörte sie ein leises Flüstern.
Wahrlich ein interessantes Merkmal... Die Narben in ihrem Herzen und ihrer Seele machen deutlich, wie sehr sie darunter zu leiden hatte. Oder es sogar noch immer tut...
Überrascht zog sie sich aus ihm zurück. Er war in der Lage, ihr Inneres zu erforschen. Interessant. Und verdammt gefährlich! Sie lächelte. Für den Moment würde sie sie keine Feinde machen. Hoffte sie zumindest. Lächelnd schüttelte sie leicht den Kopf.
„Nein, ich leide nicht mehr darunter.“, sagte sie an ihn gewandt. Für den Bruchteil einer Sekunde entglitten dem Erzengel die Gesichtszüge.
„Verzeihung.“, sagte Alene leise und senkte den Blick für einen Moment. Als sie den Blick wieder hob, bohrte sie der des Engels in sie hinein. Augenblicklich erzählte sie von den Geschehnissen.
„Lyes bestand darauf, dass ich herkomme. Luzifer hat mir aufgelauert und...es geschafft mich zu entführen. Am Anfang schien es, als würde er mir nichts tun wollen aber ich bin frech geworden und dann kam eines zum andern. Lyes kam gerade noch rechtzeitig, sonst...hätte ich ein Problem gehabt.“
Im Saal herrschte mit einem mal Stille, weshalb Alene erwartungsvoll die Arme verschränkte.
„Alene Eray, du...“
Der Engel der zuerst das Wort ergriffen hatte, wurde jäh von einem anderen unterbrochen.
„Meine Güte, Mikaal wenn du so weiter machst, verängstigst du das Mädchen noch. Lass mich das machen.“
Der Mann der spach, besaß die Farbe grün. Grünliche Flügel und der schimmernde Thron. Seine dunkelblauen Augen funkelten amüsiert als er weitersprach.
„Entschuldige unsere Unhöflichkeit. Mein Name ist Barachiel, der kalte Kerl neben mir ist Mikaal. Zufällig wissen wir, dass du eigentlich gar nicht hier sein willst, also versuchen wir dir das Ganze so angenehm wie möglich zu machen. Wir hoffen natürlich, dass du bereit bist zu kooperien.“
Sein freundlicher Tonfall ließ Alene erst zweifeln, doch sie fasste sich ein Herz und nickte.
„Natürlich! Und danke.“
Barachiel machte eine Geste mit der Hand.
„Vielleicht könntest du uns erklären, was genau alles geschehen ist.“, sagte er.
„Ähm...“, war alles was die Frau heraus bekam. Der Erzengel lachte.
„Oh, Verzeihung! Vielleicht sollten wir irgendwo hingehen, wo es gemütlicher ist.“
Gedankenverloren starrte Alene auf die Landschaft herab, die sich vor ihrem Balkon erstreckte. Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Sie war erleichtert gewesen nachdem sie gemerkt hatte, dass die Erzengel keine falschen Gedanken hatte. Im Gegensatz zu den anderen Engeln, die hier lebten. Als ein leises Klopfen, gefolgt von dem leisen Knarren der Tür ertönte horchte sie auf. Sie sah über ihre Schulter und entdeckte Barachiel, der grinsend ihr Zimmer betrat. Ihr Lächeln wurde breiter. Von allen Erzengel war er ihr am symphatischsten. Er lachte viel und war ziemlich locker, im Gegensatz zu seinen Brüdern. Und er sprach ganz anders mit ihr, als wie die anderen.
„Hey, Alene. Ich hoffe, ich stör nicht?“
Sie schüttelte den Kopf und drehte sich schließlich ganz zu ihm um.
„Nein, keine Sorge. Was gibt’s?“, erwiderte sie und lehnte sich an die Mauer ihres Balkons. Sie hatten ihr ein Zimmer zur Verfügung gestellt, welches riesig war! Sicher größer, als ihre gesamte Wohnung.
„Erst einmal: Du kannst mich Barri nennen. Und ich wollte fragen ob du nicht Lust hast, dich von mir ein wenig herum führen zu lassen. Du wirst schließlich etwas länger hierbleiben.“
Überrascht über dieses Angebot sah Alene ihn an. Und das nicht nur, weil sie ihn so freundschaftlich anreden durfte. Ein anderer Erzengel hätte ihr dies sicher nicht erlaubt.
„Hast du dafür denn überhaupt Zeit?“, murmelte sie. Der Mann lachte.
„Ich bin zwar ein Erzengel aber ein bisschen Freizeit ist auch mir gegönnt. Also was ist, hast du Lust?“
Sie nickte, freudig und begeistert.
„Sehr gerne!“
Wie selbstverständlich ergriff er ihre Hand und zog sie mit aus dem Zimmer. Er führte sie in das Herzstück des Palastes, nämlich den Garten. Ein riesiger Brunnen in der Mitte dieses Paradieses zog Alenes Aufmerksamkeit auf sich. Sie war zutiefst beeindruckt, versuchte aber sich nicht all zu viel anmerken zu lassen. Sie wollte schließlich nicht wie ein kleines Kind wirken. Wobei sie in den Augen diser alten Männer sicher noch eines war. Sie fragte sich, wie Lyes gewohnte Umgebung wohl aussehen mochte. All diese Engel lebten hier, in dieser wunderschönen Welt und er? War es in seiner Heimat so düster, wie sie glauben mochte?
„Soll ich ihnen sagen, dass sie aufhören sollen dich so anzustarren?“
Die Worte Barachiels rissen sie aus den Gedanken. Fast schon erschrocken sah sie auf.
„Was?“, hauchte sie. Lächelnd wiederholte er seine Worte.
„Soll ich ihnen sagen, dass sie damit aufhören sollen?“
Alene sah sich um, da erst bemerkte sie die Blicke die wieder auf ihr lagen.
„Lass nur. Ich bin das gewohnt. Und ich will meine Augen auch nicht verstecken, das würde nicht zu mir passen.“
Lächelnd neigte der Erzengel den Kopf.
„Du hast meine Anerkennung, Kleine. Es gibt sicher keinen Himmlischen, der solch einen Mut beweisen würde. Erzähl mir von deiner Kindheit.“, verlangte er und führte sie weiter, durch riesige Flure hinaus, zu einem See.
„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“, sagte Alene lediglich. Vielleicht war das gegenüber einem solch hohen Wesen keine gute Idee, etwas zu verweigern aber sie hatte nicht sonderlich Lust über das zu sprechen, was ihr alles widerfahren war. Vielleicht hatte dieser Mann hier ein offenes Ohr für solche Dinge und auch wenn Alene keinen schlechten Anhaltspunkt in seinem Bewusstsein gefunden hatte, so vertraute sie ihm dennoch nicht. Und Ratschläge wollte sie erst recht keine hören! Mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck wandte Barachiel den Blick wieder von ihr ab. Er verstand es.
„So, du kannst also Gedanken lesen. Ich hoffe doch sehr, dass du nicht gerade in meinem Kopf herumschnüffelst.“
Alenes Mundwinkel zuckten. Scheinbar verstand er es, andere Leute aufzumuntern.
„Nein, keine Sorge. Von dieser Fähigkeit machte ich nur Gebrauch, wenn ich ein schlechtes Gefühl habe.“
Einen Augenblick lng schien der Mann über ihre Worte nachzudenken.
„Hast du eigentlich auch andere...Gaben?“, fragte er nach einigen Überlegungen.
„Warum fragst du?“
Misstrauisch warf Alene ihm einen Blick zu.
„Aus Neugierde.“, erwiderte der Erzengel grinsend.
„Bisher hat sich nichts anderes bemerkbar gemacht.“
Sie stockte kurz und sah Barachiel noch einmal an. Dieses Mal unsicher.
„Naja, außer das ich vielleicht ein kleines bisschen stärker bin als...normale Frauen.“
Bei diesen Worten wurde der Erzengel aufmerksam. Er führte sie weiter, in eine riesige Halle, welche Alene an eine Sporthalle erinnerte.
„Was ist das hier?“, fragte sie, noch bevor Barri die Chance gehabt hatte etwas auf ihre Worte zu erwidern.
„Die Trainingshalle. Hier werden Wächter ausgebildet. Die Engel, die für die Sicherheit im Palast zuständig sind.“
Beeindruckt ließ Alene den Blick schweifen. Meterhohe brüchige Steinwände, Metallstangen und Seile, Plattformen und Balken, Gerüste und Gräben.
„Scheint, als würden sie Qualen erleiden.“, murmelte sie. Sie war einige Schritte gegangen, nun trat Barachiel an ihre Seite.
„Du sagtest, du wärst stärker als andere. Würdest du dir eine Runde in diesem Parkour zurtrauen?“
Erneut ließ Alene den Blick schweifen. Die Worte des Mannes gefielen ihr nicht.
„Ich sehe dir an, dass du mit dem Gedanken spielst es mir zu beweisen aber lass dir gesagt sein, dass hier auch einige versteckte Fallen lauern. Das Ganze ist nicht so einfach, wie es aussieht.“
Alene konnte es sich nicht verkneifen, einen kurzen Blick in des Mannes Kopf zu werfen. Sie wollte unbedingt wissen, was er gerade dachte.
Ich bin gespannt darauf, ob sie mehr kann als sie bereit ist zuzugeben. Oder ob sie sogar von allen überschätzt wird.
Alene lächelte und wandte den Blick b.
„Vielleicht ist das die Gelegenheit herauszufinden, wozu ich wirklich alles in der Lage bin. Also gut, versuchen wir's.“
Mit ausdruckslosem Gesicht betrat Azrael die Wohnung. Wie lange war er nun nicht mehr hier gewesen? Eine Woche? Als er ins Wohnzimmer kam, erartete ihn Lyes der erwartungsvoll auf dem Sofa saß.
„Bruder.“, stieß Azrael überrascht aus. Der Todesengel zeigte ein grimmiges und schmallippiges Lächeln.
„Hallo, Azrael.“
Völlig überrumpelt von Lyes Anwesenheit, ließ der Seelensammler sich in den Sessel fallen.
„Ich hätte nicht erwartet, dich hier noch einmal anzutreffen. Du hast die Kleine doch nicht etwa alleine gelassen, oder?“
Es dauerte einen Augenblick, bis der Mann von seinem Bruder eine Antwort bekam. Als diese dann kam klang sie kalt und verbittert.
„Sie ist nicht mehr bei mir.“
Geschockt hörte Azrael sich an, was geschehen war.
…
„Das gibt uns endlich Gelegenheit zu handeln.“, murmelte Azrael nachdenklich und starrte hinaus, auf den Mond. Lyes nickte.
„Das mag zwar stimmen aber...wie sollen wir anfangen? Wir haben keine Ahnung was für einen Feind wir mit Luzifer haben, wir müssen uns also etwas einfallen lassen.“
Azrael seufzte leise. Sein Bruder hatte Recht. Sie hatten Luzifer noch nie in Aktion gesehen, sie hatten dementsprechend keine Ahnung wie weit seine Macht reichte.
„Wie wäre es mit einer Meuterei?“, schlug er nach einigen Minuten des Schweigens vor.
„Du meinst...seine Leute sollen sich gegen ihn stellen?“, hakte Lyes vorsichtshalber noch einmal nach. Azrael nickte.
„Ja. So könnten wir ihn von Innen heraus zerstören. Und es wäre nicht so gefährlich, als wenn wir uns ihm in einer direkten Konfrontation stellen würden. Also, was sagst du? Ich übernehme die Dämonen in der Unterwelt und du die, in dieser Welt, abgemacht?“
Lyes seufzte. Er machte sich permanent Gedanken um Alene weswegen er bezweifelte, dass er sich auf die Arbeit konzentrieren konnte. Doch eine Wahl hatte er nicht.
„Also schön.“, stimmte er zu. Ein Klopfen am Türrahmen riss die beiden aus ihrem Gespräch. Uriel stand in der Tür und lächelte schwach.
„Hallo, ihr zwei. Entschuldigt wenn ich hier so hereinplatze aber ich habe ein wenig gelauscht, wie ich gestehen muss und eure Idee gefällt mir!“
„Uriel.“, begrüßte Lyes den Erzengel mit einem Kopfnicken. Azrael kniff die Augen zusammen und musterte den geflügelten Mann.
„Soll das heißen, du bist auf unserer Seite?“, hakte er nach. Uriel grinste.
„Worauf du dich verlassen kannst!“, erwiderte er. Lyes biss die Zähne zusammen, konnte sich die Frage aber nicht verkneifen.
„Wie geht es Alene?“
Uriel lächelte.
„Es scheint ihr ganz gut bei uns zu gefallen, leider muss ich sagen, dass die Engel nicht anders auf sie reagieren als die Menschen. Ich habe sie seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen aber laut meinen Brüdern scheint alles gut zu sein. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.“
Erleichtert atmete Lyes auf. Das zu wissen beruhigte ihn wirklich! Auch wenn er nicht glauben konnte, dass die Engel sie genauso schief ansahen wie all die Menschen.
„Wir fangen am besten sofort an zu arbeiten.“, ermahnte Azrael die beiden. Diese nickten. Sie hätten eine Menge Zeit, schließlich musste Alene sich noch an den Gedanken gewöhnen, einmal der Teufel zu sein...
„Wo hast du das Mädchen gelassen?“
Interessiert sah Mikaal Barachiel an, der gerade in den Saal geschlendert kam.
„Sie bereitet sich auf eine kleine Trainingseinheit vor.“, erwiderte er schulterzuckend. Mikaal zog beunruhigt die Brauen hoch.
„Training? Sie ist ein Mensch, du Idiot!“
Vollkommen ernst ließ Barri sich auf seinem Platz nieder.
„Meine Güte, Mikaal, bleib ruhig. Du weißt genauso gut wie ich, dass wir herausfinden müssen welche Fähigkeiten sie besitzt.“
Mikaal seufzte leise. Er wusste, dass Barachiel Recht hatte. Sie mussten ihre Grenzen austesten, da kamen sie nicht drumherum.
„Falls es dich beruhigt, ich werde ihr ein paar Waffen zur Verfügung stellen. Dann muss sie sich nicht auf ihre Fäuste verlassen.“
Mikaal kniff sich in die Nasenwurzel.
„Wenn sie sich schon vorbereitet wird es wohl zu spät sein, noch irgendwelche Einwände zu erheben. Also lass uns gehen.“
Der Erzengel erhob sich und hatte den Saal verlassen, ehe Barachiel Einwände erheben konnte.
„Ach, er will mitkommen?“, murmelte er genervt und erhob sich ebenfalls. Ihm war sofort klar, dass Alene das Interesse seines Bruder geweckt hatte. Er wollte sich nur nichts anmerken lassen. Barachiel folgte Mikaal in die Halle des Trainings, in der Alene schon wartete. Sie hatte sich umgezogen. Trug statt Jeans und Shirt nun eine kurze Leinenhose und ein luftiges Top. Sie war barfuß und die zerzausten Haare hatte sie sich mithilfe von Klammern aus dem Gesicht gesteckt.
„Noch einer, der zusehen will?“, murmelte Alene, als sie Mikaal erblickte. Bevor Barachiel Fragen dazu stellte, ließ er den Blick schweifen. Auch seine anderen Brüder hatten sich hier eingefunden und grinsten ihn nun schelmisch an. Mikaal zeigte ein Lächeln, was bei ihm äußerst selten vorkam.
„Du musst uns verzeihen aber wir sind einfach zu neugierig auf dich.“, sagte er, worauf ein paar der Erzengel leise lachten.
„Ich bin kein Ausstellungsstück.“, brummte Alene und verschränkte die Arme. Normalerweise hätte sie nichts dagegen gehabt, doch nachdem sie einen Blick in ihre Köpfe geworfen hatte, war ihre Laune rapide gesunken. Fast alle waren davon überzeugt, dass sie das hier nicht schaffen würde. Genau genommen spornte sie das nur an. Jetzt wollte sie es ihnen erst recht beweisen! Barachiel seufzte und ging zu der Frau.
„Entschuldige, das war eigentlich nicht geplant. Ignorier sie einfach.“
Er führte sie zu einem Tisch, auf dem die verschiedensten Waffen lagen.
„Nichts leichter als das.“, murmelte Alene und nahm einen Dolch zur Hand.
„Ich ahne, dass das mehr wird als nur eine „kleine“ Trainingseinheit.“, fügte sie nachdenklich hinzu. Als sie Mikaals besorgten Blick sah, wurde sie unruhiger. Sie riskierte es.
Sie ist nur ein Mensch. Auch wenn sie die Frau aus der Prophezeiung ist, ich hoffe Barachiel weiß was er tut.
Das klingt gar nicht gut..., dachte Alene und ließ den Blick noch einmal durch die Halle schweifen. Sie schüttelte den Kopf und lächelte den Erzengel neben sich an.
„Genug Zeit geschindet. Fangen wir an!“
Müde und erschöpft, aber doch mit einem Lächeln im Gesicht fiel Alene in ihr Bett. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass drei Stunden vergangen waren. Stöhnend ließ sie den Kopf ins Kissen fallen. Morgen würde sie sich nicht mehr bewegen können, so viel war sicher. Schon jetzt hatten sich Prellungen und Quetschungen in bunten Farben an ihrem Körper bemerkbar gemacht. Das viele Klettern und Springen hatte ihr nicht das Geringste ausgemacht. Viel schwieriger war es gewesen, den Pfeilen auszuweichen, die plötzlich aus der Wand geschossen kamen. Viele solcher Fallen hatte sie, natürlich aus Versehen ausgelöst, doch jedes Mal hatte sie es irgendwie geschafft ihnen auszuweichen. Nachdenklich drehte sie sich auf den Rücken. Vielleicht hatte sie es sich ja nur eingebildet aber...war sie schneller geworden?
Sie stöhnte erneut. Nichts ahnen war sie über eine der Plattformen gelaufen, als plötzlich ein Engel hinter ihr aufgetaucht war und sie von der Plattform schubsen wollte. Statt sich das gefallen zu lassen, war der Engel schließlich derjenige gewesen der heruntergefallen war. Mehrmals war sie in solche Situationen geraten, doch dadurch das sie Gedanken lesen konnte, hatte sie natürlich Vorteile. Sie wusste ganz genau, was ihr Gegenüber als nächstes tat. Das, ihre Stärke und ihre Schnelligkeit waren der Grund dafür, dass sie diesen Scheiß überlebt hatte. Jede andere Frau wäre mit schwersten Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Alene grübelte weiter. Sie alle schienen Recht zu haben. Es sah ganz so aus, als wäre sie wirklich die Nachfolgerin des Teufels. Je eher sie das akzeptieren würde, umso leichter würde sie es allen machen. Es dauerte nicht lange, da war Alene eingeschlafen.
Nahezu sprachlos saßen die Erzengel auf ihren Plätzen. Das was sie vorhin gesehen hatten, hatte ihnen die Sprache verschlagen. War die Frau sich eigentlich im Klaren darüber, dass sie dieses Training besser überstanden hatte als so manch Engel? Sie war den Hindernissen und Fallen mit solch einer Anmut überwunden, wie die Erzengel sie schon lange nicht mehr gesehen hatten. Mochte sein, dass Alene keine himmlischen oder dämonischen Fähigkeiten besaß aber es war offensichtlich, dass sie schon längst kein Mensch mehr war.
„Nun hast du den Beweis. Was willst du jetzt tun?“, ergriff Mikaal das Wort und sah Barachiel mit bedeutsamen Blick an. Dieser überlegte einen Moment, ehe er antwortete.
„Vielleicht sollten wir sie trainieren? Wer weiß, ob sich dabei nicht noch ganz andere Kräfte entwickelt. Außerdem müsste sie sich dann nicht mehr so dringend vor Luzifer verstecken.“
Unentschlossenes Gemurmel hallte von den Wänden des Saales wieder.
„An sich ja keine schlechte Idee...“, gab Mikaal zu. „Aber glaubst du wirklich, dass die Kleine damit einverstanden wäre?“
Barachiel grinste und erhob sich.
„Lass mich nur machen, Bruder. Lass mich nur machen.“
Dann war er auch schon verschwunden. Zadkiel meldete sich zu Wort.
„Irgendwie tut mir die Kleine leid. Ich kann verstehen, warum sie sich so kratzbürstig gibt. Sie wurde aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen und muss sich nun allen beweisen. Hinzu kommt, dass ihr mal eben so ein hartes Schicksal aufgebrummt wurde. Nicht zu vergessen, dass Lyes mal eben so entschieden hat sie hierher bringen zu lassen.“
Zustimmendes Kopfnicken der anderen.
„Uriel.“, begrüße Mikaal seinen Bruder, der plötzlich in der Halle erschienen war.
„Es gibt Neuigkeiten.“, verkündete er lächelnd und begab sich auf seinen Platz. Gespannt und neugierig lauschten alle. Uriel erzählte ihnen von Lyes und Azraels Plan, gegen den auch die Erzengel nichts einzuwenden hatten. Eine Weile diskutierten sie miteinander, dann kamen sie wieder auf Alene zu sprechen.
„Ich habe Lyes angesehen das er zu ihr wollte, Glaubt ihr, das wäre eine gute Idee?“, sprach Uriel und sah seine Brüder der Reihe nach an. Mikaal schüttelte den Kopf.
„Damit warten wir besser noch ein wenig. Das würde Alene nur aus dem Konzept bringen.“
Uriel musste einsehen, dass sein Bruder Recht hatte. Wenn die beiden sich sehen würden, würde noch ein Abschied die beiden fertig machen. Zehn Minuten später unterhielten sich die beiden über das, was Uriel vorhin in der Halle verpasst hatte. Fast schon fassungslos hörte er zu.
„Glaubst du, sie hat diese Dinge die ganze Zeit über verschwiegen?“, fragte er schließlich. Mikaal schüttelte den Kopf.
„Nein, das glaube ich nicht. Sie schien selbst nicht zu glauben, das sie zu all dem in der Lage ist. Sprich doch einfach mir ihr, ihr habt euch schließlich mehrere Tage lang nicht gesehen. Allerdings solltest du warten, bis Barachiel nicht mehr bei ihr ist.“
Uriel neigte den Kopf. Ja, er würde später zu ihr gehen. Allerdings erst, wenn sie sich vom heutigen Tage erholt hatte. Er erhob sich und schlenderte aus dem Saal, ohne noch etwas zu sagen. Dann ging es so langsam wohl zur Sache...
Müde hob Alene den Blick. Vor Schreck wäre sie beinahe aus dem Bett gefallen.
„Barri.“, hauchte sie und setzte sich langsam auf. Grinsend sah der Mann auf sie herab. Alenes Augen verengten sich. Langsam wurde es unheimlich!
„Was machst du denn schon wieder hier?“, murmelte sie benommen und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
„Entschuldige den Überfall aber wir hatten ja noch keine Gelegenheit miteinander zu sprechen. Du siehst verschlafen übrigens verdammt süß aus!“
Verschmitzt grinte er sie an. Die Frau kniff die Augen noch ein bisschen mehr zusammen.
„Solche Komplimente will ich von einem Erzengel nicht hören.“, zischte sie. Barachiel lachte.
„Du scheinst ein Morgenmuffel zu sein. Soll ich später wiederkommen?“
Er wies auf die Tür, doch Alene seufzte und rieb sich die Stirn.
„Nein, nein, entschuldige. Gib mir nur einen Moment.“
Sie kletterte aus dem Bett und lief mit ihren Sachen im Arm ins angrenzende Badezimmer. Es dauerte keine fünf Minuten, da saß sie wieder auf dem Bett.
„Also, reden wir.“, sagte sie lächelnd. Im Hinterkopf behielt sie aber die Frage, warum und worüber er überhaupt mit ihr reden wollte.
„Wir waren alle ziemlich beeindruckt, Kleines.“, sagte der Erzengel. Alene wurde immer misstrauischer. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Sie wusste nur noch nicht, was.
„Wie darf ich das verstehen?“, hakte sie nach. Barachiel wurde ernst.
„Es kommt nur sehr selten vor, dass ein Engel mit so wenigen Verletzungen wie du durch den Parkour kommt.“
Skeptisch zog Alene die Augenbrauen hoch, dann zeigte sie dem Mann ihre Arme, die von blau-violetten Striemen überzogen waren.
„Wenige Verletzungen? Mein ganzer Körper ist voll davon!“
Ein schmallippiges Lächeln zeigte sich auf den Lippen des Erzengels.
„Du kannst dich glücklich schätzen, Alene. Keine Knochenbrüche, keine Verletzungen der inneren Organe oder der Muskeln. Für gewöhnlich sind das normale Verletzungen unter den Wächtern. Wir haben keine Ahnung wie du das gemacht hast aber du bist eine absolute Ausnahme. Also verrate mir, wie genau du das gemacht hast.“
Alene schwieg und ließ ihr Gesicht ausdruckslos werden. Ging es darum? Herauszufinden warum sie so war, wie sie war?
„Diese Frage kann ich dir nicht beantworten. Du glaubst doch nicht etwa, dass ich nachgedacht habe als ich diesen Scheiß da mitgemacht habe. Es war einfach...Instinkt! Ist das Thema nun durch?“
Barachiel schmunzelte.
„Nein, meine Liebe, das Thema ist noch nicht durch. Was hältst du davon, wenn wir dich trainieren? Du wärst vertrauter mit dir selbst und müsstest dich vielleicht auch nicht mehr vor Luzifer verstecken. Und du könntest dann natürlich auch wieder zurück zu Lyes."
Hoffnung keimte in Alene auf. Zurück zu Lyes? Da würde sie sicher schwach werden. Doch sie wusste nur zu gut, dass der Erzengel sie damit nur ködern wollte.
„Und du sagst das nicht nur, damit ich mich mit deiner Idee anfreunde?“, murmelte sie. In den Augen des Mannes blitzte etwas auf, doch er schüttelte den Kopf.
„Keineswegs. Aber ich halte es für eine gute Idee.“, erwiderte er. Alene neigte den Kopf. Hatte sie richtig geraten? Wollte er sie nur an der Nase herumführen?
„Werde ich dabei drauf gehen?“, brummte sie, worauf Barachiel lachend auf die Tür zusteuerte.
„Das werden wir ja dann sehen.“
„Wie beruhigend.“, murmelte Alene und ließ sich ins Kissen fallen.
10th
Außer Puste stützte Alene sich auf ihren Knien ab.
„So geht das nicht.“, knurrte Barri und schüttelte missbilligend den Kopf. Seit einer Woche trainierten sie schon miteinander. Jeden Tag mehrere Stunden lang. Natürlich machte die Frau Fortschritte, sie war sogar richtig gut im Nahkampf. Allerdings hatte der Erzengel ein wenig mehr erwartet.
„Ich glaube, ich muss zu härteren Methoden greifen.“, murmelte der Erzengel und tauchte hinter Alene auf. Er ließ seine Magie durch seinen Körper fließen, bis er ganz in seinem Element war und Herr der Elektrizität war. Mit knisternden Fingern und zuckenden kleinen Blitzen fasst er Alene an der Schulter. Diese schrie auf, wirbelte herum und stieß Barachiel mit solch einer Wucht von sich, dass er weit über den Boden schlitterte. Keuchend, ja fast schon nach Luft ringend sank Alene zu Boden und hielt sich die Schulter. Ein Zucken ging durch ihren Körper. Mit jeder dieser Zuckungen durchfuhr sie auch ein schmerzhafter Stich. Sie wagte es kaum einen Blick auf ihre Schulter zu werden, doch es ließ sich nicht verhindern. Sie würgte, als sie die Hand wegnahm. Verbrannte haut kam zum Vorschein. Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf, doch sie biss sich auf die Zunge um keinen Ton von sich zu geben.
Sie schloss die Augen und ohne zu wissen was sie tat, sammelte sie die Energie in ihrer Hand. Erneut legte sie die Hand auf ihre Schulter und durch die Energie, begann die verbrannte Haut langsam aber sicher, sich zu regenerieren. Realisieren tat sie es kaum. Sie war zu aufgebracht. Sie raste vor Wut! Die Energie klang ab und Alene richtete ihren Blick auf den Erzengel. Nun zitternd vor Wut erhob sie sich und ging auf ihn zu, die Hände zu steinernen Fäusten geballt. In diesem Moment würde die Frau nicht mit sich reden lassen, das wusste auch Barachiel. Unentschlossen setzte er sich auf. Was hatte sie nun vor? Ehe er darüber nachdenken konnte, saß die Frau plötzlich auf ihm und schlug ihm so kräftig ins Gesicht, dass sein Kiefer brach und sein Kopf zur Seite flog. Vergeblich versuchte er, den darauffolgenden Schlägen auszuweichen. Sie war einfach zu schnell. Auch seine Nase brach und sowohl seine Augenbraue, als auch seine Lippen waren aufgeplatzt.
„Mach das nie wieder!“, zischte sie und verpasste ihm einen letzten Schlag, ehe sie aufsprang und aus der Halle stürzte. Das alles in übermenschlichem Tempo.
In Gedanken versunken schlenderte Mikaal durch den Flur, als er vonw eitem plötzlich Alene angerauscht sehen kam. Sie wirkte völlig neben der Spur, weshalb der Erzengel stehen blieb und neugierig darauf wartete, dass ihre Wege sich kreuzten. Beunruhigt nahm er ihren Gesichtsausdruck zur Kenntnis. Barachiel hatte mit ihr trainiert, richtig? Mikaal seufzte. Das sah nicht gut aus. Alene wollte an ihm vorbei stürmen, doch er griff nach ihrer Hand und zog sie mit einem Ruck zurück. Er hatte geglaubt sie würde sich wehren, doch als er ihre Augen sah wurde ihm klar, dass sie nichts zu realisieren schien. Mitleid stieg in ihm auf. Irgendetwas scheinbar ganz und gar nicht harmlosses war gerade passiert. Danach fragen konnte Mikaal sie nicht, sie würde sich jetzt erst einmal beruhigen müssen.
„Komm, Kleines.“, sagte er leise und brachte sie in ihr Zimmer.
…
„Danke.“, hauchte Alene und nahm die Tasse Tee von Mikaal entgegen. Ohne etwas zu sagen ließ der Erzengel sich im Sessel gegenüber nieder. Er wartete auf eine Erklärung, doch er wollte sie nicht drängen weswegen er den Mund hielt.
„Ich muss mich entschuldigen.“, begann sie dann endlich.
„Wofür?“, erwiderte Mikaal. Seufzend wich sie seinem Blick aus.
„Ich...habe die Kontrolle verloren.“, gab sie zu. Nun noch mehr beunruhigt zog Mikaal die Brauen hoch.
„Inwiefern?“
Nachdem Alene dem Erzengel alles erzählt hatte, war dieser für einen Augenblick sprachlos.
„I-Ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren ist und ich entschuldige mich aufrichtig für alles!“
Mikaal machte eine Geste mit der Hand und schüttelte den Kopf.
„Du musst dich nicht entschuldigen, Alene. Barachiel ist selbst Schuld. Ich sage dir das nur ungern, Kleines aber so unschuldig und nett wie er auch wirken mag, er ist es nicht! Ich gebe zu, ich fand die Idee dich zu trainieren gut, allerdings hat mein Bruder schon wieder eine Grenze überschritten. Wir müssen uns entschuldigen, Alene. Wir hätten euch zwei nicht aus den Augen lassen dürfen. Du brauchst dir also keine Gedanken um mögliche Konsequenzen zu machen. Schweigend und mit verkniffenem Gesichtsausdruck erwiderte Alene Mikaals Blick und um die Frau wenigstens ein bisschen aufzumuntern, lächelte der Mann schwach.
„Wir sollten es positiv sehen, Kleines. Dieser Schockmoment hat offenbart, dass du zu mehr in der Lage bist als bisher angenommen.“
Noch immer fassungslos starrte Alene auf ihre Hände.
„Ich habe mich selbst geheilt...Das ist doch verrückt!“, flüsterte sie. Krampfhaft schüttelte sie den Kopf. Lächelnd erhob sich der Erzengel.
„Ruh dich aus, Kleines. Ich kümmere ich erst mal um meinen Bruder.“
Als er die Zimmertür erreicht hatte, sah er noch einmal über seine Schulter.
„Vielleicht können wir zwei ja mal gegeneinander antreten? Ohne, dass du Angst haben musst.“
Alene erwiderte das Lächeln, doch Mikaal hatte den Raum schon verlassen.
Nachdenklich betrachtete Alene ihre Schulter. Man konnte die leichte Vernarbung der Haut kaum sehen, doch sie war vorhanden und der Beweis dafür, dass ihre Haut völlig verbrannt gewesen war. Innerhalb von Sekunden hatte sie sich selbst geheilt, alles was blieb waren die leichten Narben.
Seufzend schloss sie die Augen. Hatte sie womöglich noch mehr Fähigkeiten? Sie war sich nicht sicher, ob sie das herausfinden wollte.
Ihre Gedanken gingen zurück zu Mikaal. Mit ihm trainieren, hm? Sie musste zugeben, sie hatte den Erzengel falsch eingeschätzt. Und das trotz ihrer Fähigkeit, Gedanken zu lesen!
Vielleicht sollte sie sich auch dafür entschuldigen? Ihre Mundwinkel zuckten. Ja, sie würde mit ihm trainieren. Sie war neugierig und gespannt darauf, wie er die ganze Sache angehen würde.
Sie stieg aus dem Bett, stellte die Teetasse ab und postierte sich vor dem Spiegel. Noch immer war ein wilder Ausdruck in ihren Augen zu erkennen, den sie vorher nie bei sich gesehen hatte. Sie sah fertig aus, hatte zerzauste Haare (noch schlimmer als sonst) und einiges an Verletzungen erlitten, um die sich Mikaal freundlicherweise gekümmert hatte. Inzwischen schimmerte ihre Haut an einigen Stellen nur noch bläulich-violett. Schnaubend wandte sie sich von ihrem Spiegelbild ab.
Sie war zu schwach!
Als Mikaal die Halle betrat, blieb er erst einmal angewurzelt stehen. Knurrend setzte er sich wieder in Bewegung. Barachiel hockte noch immer auf dem Boden, irritiert seine Hand betrachtend.
Er hatte sich das Blut unter seiner Nase abgewischt, scheinbar konnte er nicht ganz glauben, dass er überhaupt blutete. Langsam aber sicher staute sich die Wut in Mikaal. Als er seinen Bruder erreicht hatte, packte er ihn am Kragen und zog ihn auf die Beine.
„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, Alene mit deiner Energie anzugreifen?“, brüllte er und schüttelte ihn. Kraftlos schlug Barachiel seine Hand weg.
„Irgendwie muss man die Erfolge ja zutage fördern.“, murmelte er.
„Hast du mal an die Folgen gedacht? Zum Beispiel an ihre Psyche? Sie ist kein Engel, wie oft noch?“, brüllte Mikaal weiter. Nun hatte auch der andere Erzengel genug. Er setzte ebenfalls zu einem Brüllen an.
„Was willst du eigentlich? Sollen wir nun gegen Luzifer vorgehen oder nicht? Um gegen ihn vorzugehen, muss Alene sich nun mal beweisen können! Also lass mich in Ruhe!“
Er stürmte aus der Halle und ließ Mikaal zurück, der sich außer sich vor Wut die Haare raufte. Es wäre besser, wenn er den anderen davon erzählen würde.
Alene sah lediglich auf, als es an ihrer Tür klopfte. Einige Tage waren vergangen, ohne das sie Barachiel gesehen oder etwas von ihm gehört hatte. Sie hoffte, es war nicht ausgerechnet er der da nun vor der Tür stand. Ohne etwas zu sagen beobachtete die Frau, wie die Tür geöffnet wurde. Uriel betrat das Zimmer, schwach lächelnd und mit vorsichtigem Blick.
„Hallo, Alene.“, sagte er leise und schloss die Tür hinter sich. Ein wenig überrascht zog sie die Brauen hoch.
„Uriel, hey.“
Freude machte sich in ihr bemerkbar. Sie hatte den Erzengel nun schon länger nicht mehr gesehen, weshalb sie sich fragte ob er von dem erfahren hatte, was hier in den letzten Tagen so passiert war. Er musterte sie, dann hielt er inne.
„Du siehst anders aus, als sonst.“, stellte er fest. Alene neigte den Kopf, sagte aber nichts dazu. Mit besorgtem Gesichtsausdruck setzte sich der Erzengel auf ihr Bett.
„Ich habe einiges verpasst. Erzählst du mir von den Ereignissen der letzten Tage?“
Die Frau erwiderte seinen Blick. Warum war er auf einmal so aufdringlich?
„Es gibt nicht viel zu erzählen.“, sagte sie nun endlich, mit den Schultern zuckend. Mit einem mal war Uriels Gesichtsausdruck todernst.
„Du willst mir also verschweigen, was für eine kranke und gefährliche Trainingsmethode Barachiel angewandt hat?“, erwiderte er. Glaubte er, sie würde sich dadurch weichklopfen lassen?
„Ich lebe ja noch. Und Mikaal sagte, er wolle sich darum kümmern. Außerdem habe ich mir das nicht gefallen lassen.“
Für einen kurzen Moment sah Uriel überrascht aus.
„Mikaal? Du willst mir weiß machen, dass ausgerechnet er sich darum kümmern wollte? Ausgerehnet Mikaal, der sich sonst aus allem raushält und sich für niemanden interessiert?“
Zweifelnd erhob er sich wieder, Alene zuckte erneut mit den Schultern.
„Mir ist völlig egal, wie er sonst drauf ist oder es noch immer ist. Es geht mir gut, Uriel, keine Sorge. Ich weiß, wann ich mich anderen anvertrauen muss.“
Sie schlenderte auf auf den Balkon und lehnte sich gegen die Mauer.
„Wolltest du nur darüber mit mir sprechen?“, murmelte sie und sah kurz über ihre Schulter. Uriel zwang sich zu einem Lächeln.
„Ich wollte wissen, wie es dir geht und ob du dich hier eingelebt hast.“, kam es von dem Erzengel zurück. Zu Uriels Verblüffung lächelte nun auch Alene.
„Es ist wirklich schön hier! Ich habe mich eingelebt, ja. Wie ich bereits sagte, brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Gibt...es bei Lyes und Azrael etwas Neues?“
Uriel hätte beinahe gelacht. Sie machte sich genauso viele Gedanken um Lyes, wie er sich um sie. Irgendwie taten die beiden ihm leid.
„Sie haben einen Plan ausgearbeitet, um ehrlich zu sein. Aber ich will dich damit nicht ablenken. Du hast dich momentan auf andere Dinge zu konzentrieren.“
Alene verkniff es sich zu seufzen. Langsam fragte sie sich, ob sie hier wirklich gut aufgehoben war. Es schien, als würden die Erzengel nur einen Nutzen aus der ganzen Sache ziehen wollen. Und das passte ihr gar nicht. Vielleicht wäre es besser gewesen, bei Lyes zu bleiben und ihm zu helfen? Sie fasste einen Entschluss und ballte die Hände zu Fäusten. Sie würde hart trainieren, um ihre Fähigkeiten zu verbessern und wenn sie endlich stark genug wäre, würde sie von hier verschwinden und Lyes zur Seite stehen. Sie wollte ihm helfen, sich von Luzifers Ketten zu befreien und sie war überzeugt davon, dass sie es schaffen würde!
„Wenn du meinst.“, war alles, was sie dazu sagte. Sie drehte sich um, ging vom Balkon, an dem Erzengel vorbei und verließ das Zimmer.
„Wo ist Uriel?“, knurrte Mikaal und sah in die Runde. Er hatte seine Brüder versammelt um endlich zu klären, was sie nun mit Barachiel machen sollten.
„In meinem Zimmer.“, erwiderte Alene ausdruckslos und ließ sich, eiskalt auf dessen Thron nieder.
„Du hast hier eigentlich nichts zu suchen. Aber da es ja um dich geht...“, murmelte Mikaal und warf Barachiel einen wütenden Blick zu.
„Hättest du dann den Aufstand, dich bei ihr zu entschuldigen?“, knurrte er und stand kurz davor, eine Prügelei mit ihm zu beginnen. Barachiel schnaubte abfällig.
„Warum? Nur meinetwegen ist sie nun in der Lage, sich selbst zu heilen!“
Mikaal war bereits aufgesprungen, doch Alene warf ihm einen bedeutsamen Blick zu.
„Lass gut sein, Mikaal. Es ist schließlich nichts passiert. Und bevor du etwas sagst, es geht mir gut. Dank dir, wie ich hinzufügen muss.“
Argwöhnische Blicke, seitens der anderen Erzengel. Sie kannten es nicht, das ihr Bruder sich um jemanden kümmerte. Doch der Erzengel ließ sich nicht beirren und wandte sich wieder an Barachiel.
„Es war nichts als Dummheit, solch eine Methode anzuwenden. Das Ganze hätte auch ganz anders ausgehen können, das weißt du ganz genau. Du hättest sie wenigstens darauf vorbereiten können!“, fauchte er. Sein Bruder sah ihn noch immer feindselig an.
„Dann hätte es vielleicht nicht funktioniert, das weißt du genauso sehr wie ich, dass es eine schlechte Idee war.“
Fast schon brüllend sprang Mikaal auf und rauschte aus den Saal. Leise seufzend erhob sich auch Alene, um dem Erzengel zu folgen. Es dauerte einen Moment, doch schließlich hatte sie den Mann eingeholt.
„Tut mir leid, das ihr beide euch meinetwegen streitet.“, sagt sie leise und sah zu ihm auf. Grimmig lächelnd warf er ihr einen kurzen Blick zu.
„Wirklich süß, dass du dir darüber Gedanken machst aber keine Sorge, das ist nicht wegen dir. Wir haben uns auch vorher schon nie verstanden. Unsere Brüder haben versucht, etwas dagegen zu unternehmen aber irgendwie ist es nur schlimmer geworden. Themenwechsel: Warum bist du vor Uriel geflüchtet? Ich kann mir bildlich vorstellen, wie er immer noch völlig irritiert in seinem Zimmer steht.“
Diese Vorstellung brachte auch Alene dazu, zu schmunzeln.
„Ich bin nicht vor ihm geflüchtet.“, sagte sie entrüstend. „Ich hatte nur keine Lust mich mit ihm zu unterhalten, das ist alles.“
Lächelnd warf der Erzengel ihr wieder einen Seitenblick zu.
„Ich weiß, dass du lügst. Also versuche es erst gar nicht. Raus mit der Wahrheit!“, verlangte er. Alene seufzte. Nicht zu fassen aber sie verstand sich immer besser mit diesem Mann!
„Ich will trainieren.“, sagte sie dann einfach, worauf der Erzengel aprubt zum stehen kam.
„Jetzt?“, fragte er irritiert. Alene nickte.
„Ja. Jetzt sofort. Mit dir!“
Beinahe wäre Mikaal in schallendem Gelächter ausgebrochen. Sie wollte also wirklich mit ihm trainieren? Wusste sie überhaupt, worauf sie sich da einließ?
„Hast du dich überhaupt ausgeruht?“, fragte er lächelnd und ging weiter. Die Frau zeigte ein tückisches Lächeln.
„Du warst derjenige der mir dieses Training angeboten hat. Du wirst es doch jetzt nicht etwa zurücknehmen, oder?“
Nun musste er doch lachen. Mit einem Augenzwinkern öffnete er eine Tür.
„Also gut, dann sei in zehn Minuten in der Trainingshalle!“
Dann war er weg.
„Uns gegen Luzifer stellen? Bist du bescheuert?“
Wütend stierten die Dämonen Lyes an.
„Ihr wollt also weiterhin von ihm regiert werden, obwohl er euch so erniedrigt?“, erwiderte der Todesengel tonlos. Der kleinere der beiden zuckte. Die Erscheinung dieses Mannes hatte ihm schon vom ersten Moment an Angst eingejagt. Doch je länger dieses Gespräch dauerte, umso größer wurde diese Angst. Der Ältere der beiden sah Lyes trotzig an.
„Der Feind den man kennt ist immer besser als der, den man nicht kennt.“, waren seine letzten Worte, ehe er seinen Bruder am Kragen packte und mit ihm verschwand. Lyes machte ebenfalls kehrt und seufzte entnervt. Bisher lief es ganz und gar nicht wie geplant. Schon seit Tagen war er ununterbrochen unterwegs und noch immer hatte er kaum einen gefunden, dem ihre oder besser gesagt Azraels Idee zusagte. Und das Uriel ein Auge auf die Sache geworfen hatte, gefiel ihm ebenfalls nicht. Er fühlte sich wie ein Vogel in einem Käfig, doch er konnte nicht sagen woran genau das lag. Naja, vielleicht fand er es ja noch heraus? Lyes lief gerade durch einen Park, als er plötzlich eingekreist wurde. Er blieb stehen und hielt seine Sense griffbereit. Bei Unmenschen und Dämonen war die zwar nicht tödlich, doch schlimme Verletzungen verursachte sie trotzdem. Und Dämonen hatte er schon viele getötet.
„Da ist ja der Verräter.“, sagte plötzlich ein Mann, der ihn ebenfalls umzingelt hatte.
„Verräter?“, erwiderte Lyes ausdruckslos. „Ich sorge nur dafür, dass sich die Prophezeiung erfüllt.“
Einer der Dämonen spuckte aus.
„Prophezeiung? Das ich nicht lache. Das Ganze ist nichts als eine Prüfung. Man will uns lediglich testen und herausfinden, ob wir wirklich Luzfiers getreue Diener sind oder lediglich Verräter, so wie du einer es bist.“
Lyes hielt inne. So fassten die Dämonen das also auf? Als eine Prüfung? Wie absurd war das denn? Naja, das mit der Prophezeiung war auch nicht besser.
„Solltet ihr euch mit in den Weg stellen, seid ihr dem Tode geweiht!“, knurrte er laut, worauf einige von ihnen bereits zurückwichen. Innerlich schmunzelte der Nephilim. Diese Nummer funktionierte wirklich jedes Mal. Ein paar Mutige ließen sich jedoch nicht einschüchtern. Sie blieben, wo sie waren. Ohne noch groß etwas zu sagen, schwang Lyes die Sense. Spätestens als er drei von ihnen die Bauchdecke aufgeschlitzt hatte, hatte er sie in die Flucht geschlagen.
Seufzend ließ der Mann seine Waffe sinken. Er hatte gehofft, das alles würde sich als einfacher erweisen. Aber genau das Gegenteil war eingetroffen. Er war nie wirklich gut darin gewesen jemanden zu überzeugen, doch das war kein Wunder. Das musste er nämlich nie. Bis jetzt zumindest. Er sah gen Himmel. Hoffentlich hatte sein Bruder mehr Glück. Mit einem Mal beschlich ihn ein komisches Gefühl, was seinen Bruder betraf. Wie von selbst griff er zum Buch der Toten, in das er schon wenig keinen Blick mehr hineingeworfen hatte. Er verspürte den Drang, es aufzuschlagen, also tat er das auch. Er ließ es fallen als er das Bild seines Bruders, Azrael, erkannte. Es dauerte einen Augenblick bis er sich dazu durchgerungen hatte, es wieder aufzuheben. Erneut warf er wieder einen Blick hinein.
Um Aufträge, die nicht erledigt werden kümmere ich mich selbst. Vergiss das nicht., war in verschnörkelter Schrift unter dem Bild zu lesen. Es sah aus, als wäre es mit Blut geschrieben worden.
„Luzifer.“, knurrte Lyes und ließ das Buch in seiner Tasche verschwinden. Verzweifelt ging er weiter. Er kam an einem alten Haus vorbei und schlug gegen die Wand, dessen Fassade schließlich bröckelte. Der Teufel hatte seinen Bruder doch nicht etwa schon in seiner Gewalt? Er verkniff es sich zu brüllen und ließ sich stattdessen gegen die Wand sinken. Er konnte doch Azrael nicht töten! Wobei...er könnte schon, nur würde er es nicht tun. Hoffte er zumindest. Wieder sah er zum Himmel hinauf.Wie es Alene dort oben wohl erging? Was hätte er nun nicht alles getan, um wenigstens einmal ihre Stimme zu hören. Oder von ihr in den Arm genommen zu werden. Doch er musste ohne sie weiter machen. Fürs erste zumindest.
„Wirklich unglaublich, welch große Fortschritte du machst.“, bemerkte Mikaal und ging auf Alene zu, die das Schwert sinken ließ und bescheiden lächelte.
„Das hab ich lediglich meinem Lehrer zu verdanken.“, erwiderte sie. Blut tropfte von der Klinge ihres Schwertes.
„Und du bist sicher, dass ich das behalten darf?“, sagte sie nun und warf dann einen Blick auf die Waffe in ihrer Hand. Es war ein prachtvolles Schwert mit einer langen, geschwungenen Klinge, einem schlanken Griff der mit schwarzem Leder umwickelt war und funkelnden violetten Edelsteinen, die im Schaft eingearbeitet waren. Auch Mikaal lächelte.
„Weißt du...bei einer Auseinandersetzung vor einigen Jahrhunderten Jahren mit dem Teufel, hat er dieses Schwert aus Versehen aus der Hand gegeben. Ich habe die Chance genutzt und es in meinen Besitz genommen. Vielleicht ist es nun an der Zeit, es seinem rechtmäßigen Besitzer zu übergeben? Und das bist du. Die Thronfolgerin der Unterwelt.“
Er sagte das mit solcher Selbstverständlichkeit, dass das Lächeln auf Alenes Lippen gefror.
„Ja.“, sagte sie gedehnt. „Wenn ich so darüber nachdenke würde ich es besser finden, wenn du es nicht ständig erwähnen würdest. Aber...vielen Dank! Ich werde gut darauf aufpassen.“
Das Lächeln kehrte zurück. Ja, dieses Schwert gefiel ihr wirklich. Von nun an, wäre es ihr wertvollster Besitz. Von Lyes mal abgesehen... Mikaals Lächeln wurde breiter, als er sich umdrehte und plötzlich wieder zu ihr drehte. Er hielt etwas in der Hand. Etwas braunes, ledernes und langes.
„Eine Schwertscheide.“, wie Alene feststellen musste, als der Mann ihr diese überreichte.
„Nicht nur irgendeine Schwertscheide.“, erwiderte der Erzengel. Mit dem Kopf deutete er auf ihre Hüfte.
„Na los, probier sie aus.“, drängte er. Sie tat wie ihr geheißen und schnallte sich das Leder um die Hüfte. Sie zog die silberne Schnalle etwas fest, dann saß alles und sie schob das Schwert an seine Stelle. Sie blinzelte irritiert als sie sah, dass sich sowohl Schwert, als auch Schwertscheide scheinbar in Luft auflöste.
„D-Das...wow!“, stotterte sie und sah Mikaal wieder an. Dieser lachte leise, sagte aber nichts. Alene tastete mit ihrer Hand nach dem Schwert. Beruhigt atmete sie aus als sie merkte, dass es sich noch immer an der gleichen Stelle befand.
„Gehört die etwa dazu?“, fragte sie und zog das Schwert ein Stück vor, worauf beides wieder erschien.
„Nein. Betrachte es als ein Geschenk von mir. Weil du so eine gute Schülerin bist.“, war seine Antwort. Auch Alene konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Doch ihr Lachen endete aprubt als sie sah, dass Mikaals Augen sich schlossen und er sich die Hand an die Stirn hielt. Er schwankte gefährlich, weswegen die junge Frau nun doch ein wenig besorgt einen Schritt vor machte.
„Mikaal? Alles in Ordnung?“
Seine Augen öffneten sich und er lächelte sie an, dann jedoch brachen seine Beine weg.
„Scheiße.“, fluchte Alene und stürzte auf ihn zu. Neben ihm fiel sie auf die Knie.
„Komm schon, du verdammter Mistkerl! Du bist Jahrtausende alt, du kannst doch von einem Trainingskampf mit mir nicht so aus der Puste sein!“
Verzweifelt schüttelte sie den Mann, doch nichts geschah. Knurrend warf sie den Kopf in den Nacken.
„Komm schon!“, sprach sie zur Decke. „Hilf einem deiner Erzengel, ich kann so etwas nicht.“
Leider erhörte der Allmächtige sie nicht. Kopfschüttelnd senkte sie den Blick wieder, dann musterte sie den Mann vor ihr. Er war von dem Kampf verletzt, genau wie sie selbst, doch sie konnte nicht einschätzen wie bedrohlich die Wunden für diesen Erzengel waren. Ein Loch klaffte in seiner Brust und das Blut floss noch immer, doch musste der Mann nicht eigentlich Heilkräfte haben? Selbst Lyes hatte die!
„Wieso heilt die denn nicht?“, zischte sie und zog sich das Top aus, welches sie dann auf die Verletzungen drückte. Dann fiel ihr ein, dass sie selbst ja auch Heilkräfte besaß. Sie hatte es geschafft sich selbst zu heilen, wer weiß, vielleicht funktionierte das ja auch bei anderen? Jedoch...hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie das machen sollte. Sie wusste ja nicht einmal, wie genau sie das bei sich selbst geschafft hatte.
„Okay, ganz ruhig.“, sagte sie zu sich selbst und atmete tief durch.
Sie schmiss das Top in ihrer Hand zur Seite, es war ohnehin schon blutdurchtränkt, und legte stattdessen ihre Hände auf seine Brust. Sie schloss die Augen und versuchte sich zu konzentrieren, was in solch einer Situation gar nicht mal so einfach war. Doch es gelang ihr und schon nach kurzer Zeit, war sie die Ruhe selbst. Ich schaffe das!, sagte sie sich in Gedanken immer wieder. Bildlich stellte sie sich vor, wie die Energie sie durchströmte und sich an ihren Händen sammelte.
Zögerlich schlug Alene die Augen auf. Sie verkniff es sich zu lächeln als sie sah, dass es funktionierte. Die Schürfwunden an ihren Händen verschwanden und ihre Handflächen leuchteten in einem verwaschenen weiß auf. Fasziniert beobachtete sie, wie sich auch die Wunden des Erzengels verschlossen. Zwar nur in verdammt langsamen Tempo, aber immerhin. Volle zwanzig Minuten lang hockte sie so da, dann ging ihr die Puste aus. Sie lehnte sich zurück, als Mikaals Augen sich plötzlich öffneten. Erleichtert lachte Alene auf.
„Na, ausgeschlafen?“, scherzte sie und lächelte ihn an. Mikaal setzte sich langsam auf. Besorgt beobachtete die Frau, wie er seime verheilten Wunden inspizierte.
„Hast du etwa...?“
Perplex sah er auf. Strahlend grinste sie ihn an.
„Oh ja, das habe ich. Gut, nicht?“
Sie lachte und Mikaal stellte fest, dass sie ziemlich befreit klang. Er erhob sich, wenn auch langsam und legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Gut gemacht.“, sagte er leise und lächelte sie an. Alene war für einen kurzen Augenblick glücklich. Sie fühlte eine gewisse Leere in sich, weil Lyes ja nicht bei ihr war, doch von Mikaal gelobt zu werden erinnerte sie daran, wie der Todesengel sie das erste Mal gelobt hatte.
„Vielleicht wäre es besser, wenn wir uns ausruhen? Wir mussten schließlich beide einiges einstecken.“, schlug sie vor. Mikaal nickte und gemeinsam verließen sie die Trainingshalle.
Als Uriel die Wohnung betrat musste er feststellen, dass es ihm eine Heidenangst einjagte, wie Lyes verzweifelt und zusammengekauert auf dem Sofa saß. Das der Todesengel Verzweiflung zeigte war ihm schon nicht geheuer aber dann auch noch diese krumme Haltung? Unsicher näherte sich der Erzengel ihm.
„Du jagst mir gerade wirklich Angst ein, Lyes. Was ist passiert?“
Der Mann hob den Kopf und starrte Lyes mit mörderischem Blick an. Er knallte ihm das Buch der Toten vor die Füße und deutete mit dem Kopf darauf.
„Sieh selbst nach.“, zischte er. Uriel bückte sich, hob das Buch auf und schlug es auf. Einen Moment lang war nichts zu hören, dann knallte Uriel das Buch auf den Tisch.
„Ist er dem Ganzen etwa auf die Schliche gekommen?“, murmelte er.
„Muss wohl so sein.“, knurrte Lyes und erhob sich.
„Was machen wir nun, hm?“, brüllte er und trat gegen den nächstbesten Gegenstand. Es war der Tisch.
„Ich würde ja vorschlagen Azrael zu befreien aber wenn wir Luzifer so nahe kommen, können wir ihn doch gleich komplett erledigen.“
Lyes schüttelte den Kopf.
„Soweit sind wir noch lange nicht, Uriel. Denk an Alene. Apropos: Wie geht es ihr?“
Der Erzengel kratzte sich am Hinterkopf. Er wollte den Mann ihn gegenüber nicht anlügen.
„So sagt zwar es gehe ihr gut, allerdings gab es da einen Zwischenfall.“
Lyes Augen weiteten sich, was Uriel schon befürchtet hatte.
„Einer meiner Brüder hat sich um sie gekümmert, du brauchst dir also keine Sorgen zu machen. Du kannst demnächst mal zu ihr, wann genau kann ich dir aber noch nicht sagen. Lyes schwieg. Er freute sich über diese Neuigkeit, wollte sich aber nicht all zu viel anmerken lassen. Uriel sah ihn bedrückt an.
„Ich sage das nur ungerne, Lyes aber vielleicht ist es besser, wenn wir erst mal gar nichts machen. Vielleicht können wir deinen Boss somit aus der Reserve locken?“
Der Todesengel hörte diese Worte wirklich nicht gerne, doch er glaubte das der Erzengel Recht hatte. Ohne Alene könnten sie jetzt sowieso nichts unternehmen.
„Also gut.“, murmelte er und die Sache war beschlossen.
11th
Das nach Blut gierende Lächeln auf den Lippen der Frau, ließ Mikaal beunruhigt und nachdenklich den Kopf neigen.
„Es war definitiv die richtige Entscheidung, nicht selbst gegen sie anzutreten.“, murmelte er und warf Uriel einen Blick zu. Wochen waren vergangen und Alene im Kampf besser geworden. Sie war gut. Um nicht zu sagen, verdammt talentiert. Von Tag zu Tag kamen immer mehr dämonische Züge in ihr zum Vorschein. Mikaal hatte keine Ahnung ob es an den ganzen Kämpfen und dem Blut lag, doch es bereitete ihm Sorgen. Hinzu kam, dass sie kälter geworden war. Sie sprach nicht mehr viel, dachte scheinbar viel nach und wählte ihre Worte mit Bedacht. Zugegeben, es schien als wäre sie noch klüger gewesen und es war bewundernswert wie viel Respekt sie ihnen nun gegenüber zeigte, doch er fand sie steigerte sich zu sehr in die ganze Sache hinein. Erst vor zwei Tagen waren sie in die Gruft hinabgestiegen, dorthin, wo die Erzengel die gefährlichsten der Engel unterbrachten. Für gewöhnlich bekam diesen Ort sonst niemand, außer den Erzengeln zu Gesicht, doch eine Hinrichtung war fällig.
Keiner der Erzengel konnte sagen ob es die richtige Entscheidung war, doch sie hatten das Leben des Engels in Alenes Hände gelegt. Selbst diese Nacht kamen in Mikaals Träumen die Erinnerungen hoch. Es war erschreckend gewesen, mit welch Brutalität und Grausamkeit Alene das Leben des Himmlischen beendet hatte. Nun gut, Barachiel hatte zwar gesagt sie solle sich ruhig richtig austoben und keine Gnade zeigen, damit, dass sie den Engel foltern würde hatten sie dann doch nicht gerechnet. Selbst Barachiel nicht. Doch vielleicht war das Ganze richtig so. Mikaal besaß die Gabe sowohl Herz als auch Seele eines jeden Wesens zu erkunden und Alene und er waren inzwischen so etwas wie Freunde geworden. Von daher wusste er inzwischen, was Alene alles über sich hatte ergehen lassen müssen.
Mikaal hatte nicht damit gerechnet, doch Alene hatte sogar von sich aus erzählt, wie sie sich damals gefühlt hatte und was sich seitdem verändert hatte. Die Frau war voller Narben, doch das Training und die ganzen Kämpfe halfen ihr dabei, den Kopf frei zu kriegen und die Wut über das damalige Geschehen abzulassen. Aus diesem Grunde glaubte Mikaal, dass das hier nichts schlechtes für sie war. Eher half es ihr, als das es ihr schadete. Mit einem sachten Schütteln seines Kopfes konzentrierte er sich wieder auf Alene, die vor ihm gegen einen Wächter kämpfte.
Beide waren fast am Ende, doch keiner von beiden kam auf die Idee aufzugeben. Alle Wächter bekamen beigebracht, niemals aufzugeben. Ganz egal wie aussichtslos die Situation auch erscheinen mochte. Alene hatten sie nie etwas von den Regeln und Gesetzten der Wächter erzählt, doch auch sie würde sich nicht geschlagen geben. Niemals! Mikaal und Uriel wechselten einen Blick miteinander.
„Ich kann es immer noch nicht glauben...“, murmelte Uriel. „Sie hat keinerlei dämonische Merkmale, bis auf die roten Schlieren in ihren Augen. Sie ist lediglich schnell und stark und besitzt Heilkräfte. Und dennoch...“
Er verstummte, doch Mikaal wusste ganz genau was er sagen wollte. Nein, sie hatte keine dämonischen Merkmale bis auf die typischen roten Augen in Stresssituationen. Doch ihre Schnelligkeit und ihre Stärke war weder himmlisch, noch dämonisch und erst recht nicht menschlich. Es gab niemanden verglichen mit ihr, der zu solchen Leistungen in der Lage war.
Selbst ein Erzengel war nicht so schnell wie sie. Und auch der Teufel würde nicht so stark sein, wie sie irgendwann...
„Kleines, ich habe eine Überraschung für dich.“, rief Uriel der Frau nun zu, in der Hoffnung, den Kampf unterbrechen zu können. Doch so sollte es nicht sein. Alene schwang ihr Schwert, verletzte den Wächter an der Schulter und setzte sich schließlich rittlings auf ihn drauf. Forschend sah sie in dessen Augen, in denen tatsächlich Furcht aufblitzte.
„Kann die nicht warten, bis ich hier fertig bin?“, rief sie knurrend zurück, ohne den Blick vom Gesicht des Mannes unter ihr abzuwenden.
„Das bist du bereits...“, seufzte Uriel und verdrehte die Augen.
„Du hast Angst vor mir...und spielst mit dem Gedanken das Wächterdasein aufzugeben.“, hörten die zwei Erzengel sie plötzlich flüstern. Der Wächter schluckte.
„Tut mir leid aber es ist, als würdest du mir deine Gedanken direkt ins Gesicht schreien.“, murmelte Alene dann und stieg langsam, den Anblick genießend von dem Engel herunter. Sie genoss dieses Gefühl der Macht. Sie kannte das nicht und wollte es ausnutzen!
„Um was für eine Überraschung handelt es sich?“, fragte sie nun laut. Noch immer sah sie den Engel an, allerdings hielt sie ihm die Hand hin. Schwach lächelnd half sie ihm auf die Beine.
„Tut mir leid, ich habe wohl übertrieben.“, sagte sie so leise, dass nur er es hören konnte. Er erwiderte nichts, doch das wunderte sie nicht.
„Also gut. Was für eine Überrachung?“
Nun doch interessiert drehte sie sich zu den Erzengeln um, die jedoch plötzlich am Ende der Halle standen. Als sie den dritten Mann sah, wusste sie auch warum.
„Überraschung!“
„Lyes!“, hauchte Alene, worauf ihr sofort die Tränen in die Augen stiegen. Die roten Schlieren um die Pupillen herum verschwanden und ihre geballten Fäuste entspannten sich. Sie rannte los, warf sich ihm in die Arme und fiel mit ihm zu Boden. Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf, doch sie vergrub ihr Gesicht an seinem Hals, damit er es nicht hörte. Lyes legte die Arme um sie und lachte. Endlich hatte er sie wieder.
„Lasst uns alleine!“, schnauzte Alene in die Richtung der Erzengel, die ihr gehorchten und tatsächlich verschwanden. Lyes beschloss ihre Kaltschnäuzigkeit für den Moment außer Acht zu lassen und küsste stattdessen erst ihre Stirn, dann ihre Wange und zum Schluss auch ihren Mund.
„Du hast mir gefehlt, Süße!“, sagte er leise und sah ihr dabei tief in die Augen. Alene lächelte und blinzelte die Tränen weg.
„Du mir auch!“, flüsterte sie und küsste ihn. Mehrere Minuten lang saßen sie auf dem Boden, sich stürmisch und leidenschaftlich küssend, bis Lyes sie irgendwann ein Stück von sich schob.
„Wie siehst du überhaupt aus?“, murmelte er und betrachtete sie. „Du bist voller Blut.“
Alenes Mundwinkel zuckten.
„Ich weiß. Kann ich dir das nicht später erklären? Lass uns in mein Zimmer gehen...Erst duschen wir und dann...“
Sie beendete ihren Satz nicht und fuhr mit ihren Fingerspitzen stattdessen unter sein Hemd. Lyes war hin und hergerissen. Er wollte Alene wirklich bei sich haben und er würde jederzeit das Schlafzimmer mit ihr aufsuchen, doch das ganze Blut an ihr irritierte ihn.
„Wir...müssen über einiges reden.“, murmelte er. Alene erhob sich und fasste ihn an der Hand.
„Gleich, Süßer. Lass mich erst mal duschen, okay?“, lächelte sie. Der Mann nickte und ließ sich von ihr mitziehen, in ihr Schlafzimmer, in ihr Bad. Ohne Umschweife und Rücksicht auf den Mann, schälte sie sich aus ihren Klamotten, drehte den Wasserhahn auf und sprang unter die Dusche. Als das heiße Wasser auf ihre Haut traf, schloss sie die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Lyes stand noch immer daneben und versuchte, sich diesen Moment einzuprägen. Er hatte ganz vergessen, wie hübsch sie war! Er ließ den Blick schweifen. Über ihre Kurven und die nackte, seidige Haut. Ihn kribbelte es bereits in den Fingern und auch noch an einigen anderen Stellen. Alene verlangte nicht von ihm zu ihr zu kommen, sie ließ ihm freie Hand. Doch sie musste gar nichts sagen, er konnte gar nicht anders als die Wärme zu absorbieren, die sie ausstrahlte. Er zog sich Hemd und Hose aus, dann auch Boxershorts. Alene bekam es mit und schielte zu ihm hinüber. Sie lächelte als sie seinen durchtrainierten Körper sah. Noch bevor er bei ihr war, hatte sie den Blick abgewandt. Dann spürte sie seine warme Haut auch schon an ihrer.
„Ich musste immer an dich denken, Kleines. Ich bin wirklich froh, dich wieder in meinen Armen zu halten.“
Er küsste ihren Nacken, sie lächelte erneut.
„Ich musste auch immer an dich denken, Lyes. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht! Geht es dir gut?“
Sie drehte sich um, legte die Hände auf seine Brust und neigte den Kopf nach hinten, um ihn ansehen zu können. Er strahlte sie an.
„Gerade in diesem Moment könnte es mir nicht besser gehen. Allerdings...“
Er wurde still und mit einem mal sah er betrübt aus.
„Was ist los?“, fragte Alene alarmiert.
Sie ahnte, dass etwas passiert war.
„Schon gut.“, erwiderte er nun lächelnd und legte die Hände wieder um ihren Körper.
„Darüber können wir auch später noch reden. Im Moment bist du wichtiger.“
Er küsste sie, dann nahm er den Badeschwamm zur Hand. Er wusch ihr den Rücken und die Brust und stellte dabei fest, dass es zu all dem Blut gar keine Verletzungen gab,
„Sag mal, das ganze Blut kann doch unmöglich von dem Wächter stammen!“
Forschend sah Lyes Alene in die Augen, worauf sie breit grinste.
„Ach, das...“, sagte sie gedehnt und rieb sich katzenhaft an dem Mann. „Was das angeht...Ich habe herausgefunden, dass ich Heilkräfte besitze.“
Diese Neuigkeit musste Lyes erst einmal sacken lassen.
„Dann ist es kein Wunder, dass ich keine Verletzungen sehe.“, murmelte er. Die Frau sah ihm sofort an, dass er damit überhaupt nicht gerechnet hatte. Alene stellte sich auf Zehenspitzen und küsste Lyes liebevoll auf die Stirn.
„Von nun an kann ich dir helfen, solltest du dich mal verletzen. Und du brauchst dir nicht mehr so viele Sorgen um mich zu machen!“
Lyes lächelte. Er würde sich auch weiterhin um sie sorgen, nur würde er sie das nie wissen lassen.
„Gibt es vielleicht noch etwas, was du mir unbedingt mitteilen musst?“
Alene dachte kurz nach, dann grinste sie erneut.
„Hmm, ist es erwähnenswert wenn die Erzengel sagen, sie haben jemanden wie mich noch nie gesehen?“
Lyes zeigte Zähne.
„Das fängt an, mir Sorgen zu bereiten...“
Alene sprang aus der Dusche, machte sich aber nicht die Mühe nach einem Handtuch zu suchen.
„Komm!“, hauchte sie und bedeutete ihm mit dem Finger, ihr zu folgen. Er fragte gar nicht erst, sondern tat es einfach. Lyes folgte ihr ins Zimmer, wo sie ihn bei der Hand fasste und zum Bett zog. Verheißungsvoll blickte sie ihm in die Augen...
Nachdenklich betrachtete Lyes die schlafende Alene in seinen Armen. Nun hatten sie in zwei Tagen schon fünf Mal miteinander geschlafen. Und mit jedem weiteren mal wurde dem Mann klar, dass er ohne diese Frau nicht leben konnte. Und erst recht nicht wollte! Er hatte gestern mit den Erzengeln gesprochen und sich ausführlich mit ihnen über Alene unterhalten. Unglücklicherweise war das ganze Gespräch anders verlaufen, als geplant. Sie hatten ihm alles erzählt. Das sie angefangen hatten sie zu trainieren und welch grausame Züge in ihr somit zum Vorschein gekommen waren. Sah ganz so aus, als wäre sie die geborene Herrscherin. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Doch Lyes störte das nicht so sehr, wie er zu glauben versuchte. Sie war in der Lage sich zu verteidigen und wusste, wann sie grausam sein musste. Dennoch hatte sie geweint, als sie sich wiedergesehen hatten. So verdorben konnte ihr Charakter dann ja wohl nicht sein, oder? Plötzlich regte Alene sich in seinen Armen. Sie schien einen bedeutenden Traum gehabt zu haben, denn sie klammerte sich an ihn und murmelte aufgebracht etwas.
„Ich will nicht, dass du wieder gehst! Du musst bei mir bleiben.“
Lyes lächelte, wenn auch traurig. Es dauerte nicht mehr lange, da würde er das Himmelsreich wieder verlassen müssen. Eigentlich war die Rede davon Alene noch ein wenig hier zu lassen, doch so anhänglich wie sie jetzt war, würde er sie wieder mitnehmen müssen. Alene hätte damit sicher keine Probleme und Lyes erst recht nicht, doch war es die richtige Entscheidung? Beruhigend legte Lyes die Arme um die Frau.
„Ich werde bleiben, Süße, keine Sorge.“, sagte er leise.
Natürlich beruhigte sie das. Sie kuschelte sich wieder an ihn und schlang die Arme um ihn. Erneut betrachtete der Mann sie. Er hatte in letzter Zeit so viele Leute auf dem Gewissen das er befürchtet hatte Alene könnte das abschrecken, doch nach dem Gespräch mit den Erzengeln, machte er sich keine Gedanken mehr darum. Er wusste das sie niemals Angst vor ihm haben würde. Es war ihm wirklich wichtig was die Frau von ihm dachte! Lyes schloss die Augen und horchte in sich hinein. Er hatte, seitdem er Alene kannte, Wünsche und Sehnsüchte entwickelt und sie alle hangen mit ihr zusammen. Was er sich am meisten wünschte? Ganz bestimmte Worte, ihrerseits. Ob er sie selbst aussprechen würde? Ja. Doch bis dahin würde es noch etwas dauern. Er musste sich erst ganz sicher sein! Nach einigen Grübeleien wurde Lyes wieder müde. Es dauerte nicht lange, da war er eingeschlafen.
Azraels Lider öffneten sich nur langsam. Er war müde und erschöpft und wollte schlafen, doch es ging nicht. Die Schmerzen in seiner Brust ließen ihn fast den Verstand verlieren. Luzifer hatte sich tatsächlich über ihn lustig gemacht! Leider, oder vielleicht auch glücklicherweise, hatte dieses Amüsement nicht lange angehalten. Des Teufels Plan war es gewesen, Lyes in eine Falle zu locken. Dazu hatte er Azrael in Gewahrsam genommen. Auf der Liste der Toten hatte er den Seelensammler dann erscheinen lassen, er war sich sicher Lyes würde seinem Bruder sofort zur Hilfe eilen. Doch nichts geschah. Lyes ließ sich nicht blicken und ließ auch nichts von sich hören. Sehr zu Luzifers Ärger, der seine Wut nämlich an Azrael ausließ. Tja und dieser saß nun hier. Luzifer war ihnen auf die Schliche gekommen. Oder besser formuliert: Er wurde über ihre Machenschaften informiert. Von seinen treuen Dienern. Azrael ströhnte. Wer hätte gedacht, dass sie ihm so ergeben sein würden? Azrael hatte zwar ein paar überzeugen können, Lyes hingegen hatte richtig Pech gehabt. Apropos Lyes. Wo steckt dieser Mistkerl nur?, dachte der Seelensammler. Wollte er nicht endlich mal den Arsch seines Bruders retten? Oder war er ihm etwa egal geworden? Azrael seufzte. Er machte sich bestimmt mehr Sorgen um Alene. Doch er konnte es verstehen, er fragte sich nämlich auch was diese Frau wohl gerade treiben mochte... Seine Augen schlossen sich. Entweder würde er warten müssen oder er musste es wohl oder übel selbst in die Hand nehmen. Er hatte die Wahl.
„Sie ist verdammt kalt geworden! Was habt ihr mit ihr gemacht?“, schnauzte Uriel und sah seine Brüder der Reihe nach an. Mikaal hob abwehrend die Hände und neigte den Kopf ein Stück.
„So kalt kann sie wohl nicht sein, wenn sie weinend um Lyes' Hals fällt.“, entgegnete er. Uriel schnaubte. In dieser Hinsicht hatte er vielleicht Recht.
„Sie war doch vorher nicht so grausam.“, versuchte der Erzengel es erneut. Mikaal blieb jedoch stur.
„Sie ist nicht grausam. Sie weiß lediglich wie man richtig kämpft.“
Noch ein Schnauben. Doch Uriel blieb bei seiner Meinung, schließlich war auch dem Todesengel aufgefallen, dass die Frau sich verändert hatte. Leider nahte der Abschied und die beiden würden sich trennen müssen. Erneut. Uriel kam darauf zu sprechen.
„Hat sich einer von euch eigentlich schon etwas überlegt?“
Noch einmal sah er in die Runde. Zadkiel neigte, wie Mikaal den Kopf.
„Was überlegt?“, fragte er.
„Wie wir die erneute Trennung der beiden vereinfachen können.“, antwortete sein Bruder.
„Es wird keine Trennung geben.“, ertönte es plötzlich von der Tür des Saales aus. Lyes und Alene betraten gerade die Halle. Es war Alene, die diese Worte ausgesprochen hatte. Die Erzengel wollten bereits protestieren, doch Alene ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.
„Ich bin euch wirklich dankbar für das Training und dafür, dass ihr mich hier untergebracht habt aber ich glaube, es ist an der Zeit wieder von hier zu verschwinden. Lyes braucht meine Hilfe, da kann ich ihn nicht alleine lassen.“
Der Mann an ihrer Seite schwieg zwar, doch an seinem Gesicht war abzulesen, dass etwas nicht stimmte.
„Was ist passiert?“, hakte Mikaal vorsichtig nach.
„Luzifer hat Lyes befohlen, Azrael zu töten. Nun hat er ihn in seiner Gewalt.“, antwortete Alene leise. Auch sie war berunruhigt. Stille. Nichts war zu hören, Alene hörte lediglich das Rauschen des Blutes in ihren Ohren. Sie riskierte einen Blick in die Köpfe der Erzengel und stellte fest, dass selbst in ihren Gedanken nicht viel zu finden war. Uriel schluckte und meldete sich zögernd zu Wort.
„Ihr wollt euch also gemeinsam darum kümmern?“
Sein Tonfall ließ die anderen Erzengel aufmerksam werden.
„Du wusstest bereits davon?“, hakte Mikaal nach. Sein Bruder nickte. Es wirkte, als traute er sich nicht etwas dazu zu sagen.
„Ja, ich wusste es. Allerdings haben Lyes und ich uns darauf geeinigt, erst einmal nicht zu handeln. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Luzifer Lyes in eine Falle locken woll. Außerdem konnten wir uns nicht sicher sein, ob Alene schon in der Lage ist, des Teufels Platz einzunehmen.“, erklärte er. Zadkiels Blick verfinsterte sich.
„Und du glaubst, jetzt ist es soweit?“
Die Blicke richteten sich auf Alene und es schien, als erwarteten sie von ihr selbst eine Antwort.
„Ich denke...ich bin soweit.“, murmelte sie, doch sehr überzeugt klang es nicht. Lyes legte den Arm um sie und zog sie an sich.
„Gibt es noch etwas zu klären oder können wir dann verschwinden?“, fragte er laut. Misstrauisch beobachtete Lyes, wie Mikaal sich erhob und auf sie zuschritt.
„Ihr seid entlassen, sobald ich mich von meiner Schülerin verabschiedet habe.“, sagte er und kam vor Alene zum stehen. Ohne zu zögern und als sei es das Selbstverständlichste, zog der Erzengel die Frau in seine Arme.
„Pass gut auf dich auf, Kleine, hörst du?“, sagte er leise und strich ihr über den Rücken. Nicht das Lyes von Eifersucht geplagt wurde, doch dieser Anblick gefiel ihm dennoch nicht. Nicht, dass dieser Erzengel falsche Gedanken hegte.
„Natürlich!“, erwiderte Alene empört und löste sich von Mikaal.
„Ich bin sicher, dass wird nicht das letzte Mal sein das wir uns sehen.“
Dann kehrte sie dem Erzengel den Rücken zu und fasste Lyes an der Hand. Erneut begann ein neues Kapitel.
12th
„Der wievielte war das?“, fragte Lyes leise, worauf Alene ihr Schwert sinken ließ. Blut tropfte von der Klinge.
„Keine Ahnung.“, erwiderte sie ausdruckslos. „Ich habe aufgehört mitzuzählen.“
Wortlos suchten sich die beiden einen Weg in der Dunkelheit. Einige Wochen waren vergangen. Nun erst hatten die beiden sich auf den Weg zu Luzifer gemacht, um Azrael zu retten. Noch war ungewiss, ob die beiden nicht schon längst zu spät waren. Es gab keinerlei Hinweise darauf, ob Lyes Bruder noch am leben war. Just in diesem Moment befanden sie sich in der Unterwelt. Dutzende Dämonen hatte Alene nun schon getötet, damit Luzifer von dieser Aktion nicht Wind bekam. Lyes seufzte, nachdem die Frau vor ihm einen weiteren Dämon unschädlich gemacht hatte.
„Ist dir klar, dass das genau genommen deine eigenen Leute sind?“, hauchte er leise. Etwas trübes blitzte in Alenes Augen auf, als sie über ihre Schulter sah.
„Sie werden mich nicht akzeptieren. Ich werde mich erst beweisen müssen. Und...“
Sie hielt inne, fuhr dann aber fort.
„Noch sind es nicht meine Leute. Das werden sie erst sein wenn Luzifer eingesehen hat, das er der Verlierer ist.“
Sie ging weiter und wischte sich Blut von der Wange. Lyes seufzte erneut. In den vergangenen Wochen war ihm klar geworden, wie sehr diese Frau sich verändert hatte. Sie tötete ohne zu zögern und war noch kälter geworden. Doch manchmal schien es, als würde sie sich selbst davor erschrecken. Doch der Todesengel kam mit dieser Seite an ihr zurecht. Schließlich war sie, wenn sie denn alleine Zuhause waren, noch immer so liebevoll und süß wie vorher auch. Daran würde sich auch nichts ändern.
„Lyes.“
Der Mann wurde von der Stimmte der Frau aus den Gedanken gerissen.
„In welche Richtung?“, fragte sie, als sich der Weg in zwei verschiedene Richtungen spaltete.
„Rechts geht es zu den Verließen.“, antwortete der Mann und übernahm die Führung.
„Was, wenn es bereits zu spät ist?“, murmelte Alene hinter ihm, völlig ausdruckslos. Er sah zu ihr. Entweder ließ sie das alles völlig kalt oder sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihr das alles in Wirklichkeit Sorgen bereitete. Beides wäre möglich.
„Dann ist das eben so.“, erwiderte Lyes, genauso kalt wie sie gefragt hatte. Ihr irritierter Blick ließ Lyes lächeln.
„Azrael und ich haben uns nie wirklich nahe gestanden. Im Kampf konnte ich mich auf ihn verlassen aber brüderliche Gefühle waren da nie.“
Alenes weicher Kern kam zum Vorschein, was in diesem Moment auch Lyes überraschte.
„Aber ihr habt zusammen gelebt, habt ihr euch da nicht irgendwie aneinander gewöhnt?“
Das Gesicht des Todesboten wurde noch ein wenig ausdrucksloser.
„Weißt du, Süße...einem Engel, Dämonen ist es völlig egal ob er alleine lebt oder mit jemandem zusammen.“
Alene verzog das Gesicht.
„Verstehe. Na, dann kan ich ja auch in meine Wohnung zurück.“
Augenblicklich blieb Lyes stehen, um sie an den Schultern zu packen.
„Kommt gar nicht erst infrage! Du bleibst bei mir!“, knurrte er und musste sich beherrschen um nicht laut loszubrüllen.
„Aber gerade hast du doch...“, wollte sie widersprechen, doch Lyes legte ihr die Hand auf den Mund.
„Ganz egal was ich gerade gesagt habe. Du bist eine Frau, da gelten andere Regeln!“
Alene verdrehte die Augen, worauf er sie losließ.
„Lass uns damit aufhören und nach deinem Bruder suchen.“, murmelte sie und ging einfach weiter. Sie kamen an einem Verließ nach dem anderen vorbei, doch von Azrael fehlte weit und breit jede Spur. Ein schlechtes Gefühl überkam Lyes. Vielleicht...aber nur vielleicht, hatte er ja doch brüderliche Gefühle für Azrael übrig?
„Lyes?“
Der Mann blieb stehen und drehte sich zu seinem Mädchen um. Fragend zog er die Augenbrauen hoch.
„Gibt es Zellen für...spezielle Insassen?“, fragte sie leise. Dem Todesengel ging ein Licht auf. Warum hatte er nicht schon viel früher daran gedacht?
„Ja, die gibt es in der Tat. Allerdings wird dieser Bereich durch eine Barriere versteckt gehalten. Ich komme da problemlos durch. Ob das auch für dich gilt, weiß ich nicht.“, antwortete er. Ein Grinsen stahl sich auf Alenes Lippen.
„Na, dann finden wir es eben heraus.“
Sie drängte sich an Lyes vorbei und ließ den Blick schweifen.
„Wo geht’s lang?“, fragte sie so gebieterisch, dass Lyes ein leises Lachen nicht unterdrücken konnte.
„Links.“, erwiderte er. Missbilligend sah Alene zu ihm.
„Das ist eine Zelle, Lyes. Eine leere Zelle um genau zu sein.“
Der Mann musste lauter lachen.
„Ich weiß.“, sagte er, nahm ihre Hand und zog sie mit, in die Zelle hinein. Sie blieben stehen und einige Augenblicke lang geschah nichts, dann flimmerte es in der Luft und ein langer Gang breitete sich vor ihnen aus.
„Tadaa!“, lachte er und ging voraus. Etliche Meter waren sie schließlich gelaufen, dann erst tauchten weitere Zellen auf. Als die beiden an der ersten Zelle vorbeikamen, hielt Alene inne. Ungläubig richtete die Frau ihren Blick auf den Gefangenen. Da hockte doch tatsächlich ein Engel auf dem steinigen Boden. Lyes bemerkte ihre Reaktion, sagte aber nichts dazu. Er konnte das nicht rechtfertigen. Seine Aufgaben fielen in einen ganz anderen Bereich. Unwohlsein überkam Alene und ließ sie wie erstarrt stehenbleiben. Fürsorglich ergriff Lyes wieder ihre Hand, dann drückte er diese. Sie sollte wissen, dass er für sie da war. Sie war nicht mehr alleine. Und das würde sie auch nie mehr sein! Eigentlich blieb für folgendes keine Zeit, doch rasch zog Lyes die Frau in seine Arme und küsste sie auf den Scheitel.
„Lass das nicht zu sehr an dich dan, okay?“, hauchte er ihr ins Ohr, dann hatte er sie auch schon wieder losgelassen. Alenes Mundwinkel zuckten. Nun fühlte sie sich tatsächlich ein bisschen besser. Dennoch würde es sie auch weiterhin beschäftigen, dass auch Engel hier festsaßen. Sie liefen weiter und erst am Ende des Ganges, in der letzten Zelle, fiel ihnen eine Gestalt auf deren Umriss ihnen bekannt vorkam. Lyes war für einen Moment nicht in der Lage, sich zu bewegen. Zu sehr schockte ihn dieser Anblick. Mehr tot als lebendig lag Azrael auf dem Steinboden. Von tiefen Wunden übersäht und von offenen Knochenbrüchen entstellt.
„Bruder.“, hauchte Lyes und machte sich daran zu schaffen, das Schloss der Zelle zu knacken. Es gelang ihm nicht, was ihn rasend vor Wut machte.
„Lass mich mal.“, sagte Alene leise und legte ihm die Hand auf den Arm. Das Schwert in ihrer Hand hatte mal Luzifer gehört, es müsste also in der Lage sein, dass Schloss zu zerstören. Mit Wucht schlug Alene die Klinge gegen das metallene Schloss. Ein lautes Krachen ertönte, dass öffnete sich die Tür mit einem lauten Quietschen. Lächelnd stieß Lyes die Tür noch ein Stückchen mehr auf. Es dauerte keine drei Sekunden, da knieten die zwei schon neben Azrael, der kaum noch die Augen offen halten konnte.
„Bruder, kannst du mich hören?“
Der Todesengel schüttelte den Verletzten doch es schien, als wäre der nicht ansprechbar.
„Ich kann versuchen ihn zu heilen, Lyes.“, hauchte Alene. Der Mann tat ihr in diesem Moment leid. Er konnte seinem Bruder genau genommen nicht helfen, also musste sie das jetzt übernehmen. Alene schluckte als ihr Blick auf einen der offenen Brüche fiel. Es war eine Rippe die sich so dermaßen verschoben hatte, dass sie das Zwechfell durchstoßen hatte. Azraels ganzer Körper war von solch komplizierten Wunden übersäht, es würde schwierig werden ihn komplett zu heilen.
„Ich weiß nicht, ob meine Kräfte dafür ausreichen. Aber ich werde mein bestes geben, hörst du Lyes?“
Sie sah auf und stellte fest, dass er ihr wohl nicht zugehört hatte. Armer Lyes. Sein Bruder scheint ihm doch mehr zu bedeuten., dachte sie und machte sich an die Arbeit. Sie wusste inzwischen ganz genau wie die Heilung funktionierte, weshalb sie zufrieden beobachtete, wie sich sämtliche Wunden an Azraels Körper schlossen. Einzig und allein an den Knochenbrüchen tat sich nichts. Lyes realisierte es.
„Warum tut sich da nichts?“, knurrte er und funkelte Alene an. Diese schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht.“, murmelte sie und ließ die Hände sinken. „Vielleicht müssen die Knochen erst in ihre alte Position gebracht werden, ehe sie zusammenwachsen können?“, dachte sie laut nach. Das schien Lyes irgendwie zu schocken, denn er reagierte erneut nicht.
„Lyes, sieh mich an!“, befahl Alene in grobem Tonfall. Eindringlich sah sie ihm in die Augen.
„Ich werde alles versuchen, mach dir keine Sorgen, okay?“, sagte sie leise. Er nickte völlig benommen und erhob sich.
„Ich gehe Wache schieben.“, murmelte er und verließ die Zelle. Alenes Mundwinkel zuckten trotz Allem. Das schien er dann wohl doch nicht zu ertragen. Sie schluckte erneut. Nun die Knochen richten zu müssen gefiel ihr auch nicht, doch eine andere Möglichkeit hatte sie nicht. Also begann sie an der Rippe. Als sie den Knochen berührte musste sie feststellen, dass er sich härter und fester anfühlte als sie erwartet hatte. Langsam, von der Angst begleitet sie könnte ihn nur noch mehr verletzen, schob sie die Rippe langsam in ihn hinein. Es knirschte ein wenig, weshalb Alene erschrocken einen Moment inne hielt. Sie hatte eine Heidenangst sein Zwerchfell noch mehr zu verletzten. Doch nach einigen Minuten hatte sie den Knochen einigermaßen in Position gebracht. Diese ziemlich blutige Angelegenheit wiederholte sie dann bei den anderen Knochen. Speiche, Schlüsselbein, Oberschenkelknochen und Mittelfußknochen. Als Alene es geschafft hatte, trieften ihre Hände vor Blut. Erschöpft lehnte sie sich zurück, doch noch war sie hier nicht fertig. Sie legte erneut Hand an und sammelte ihre Energie. Die Minuten verstrichen und somit auch ihre Kräfte, doch sie heilte Azrael ausreichend genug, damit er wieder zu Bewusstsein kam. Nach einigen Augenblicken blinzelte Azrael sie an.
„Alene?“, krächzte er. „Was machst du hier?“
Alene lächelte.
„Sprich nicht so viel, Azrael. Du musst dich schonen. Kannst du laufen?“
Azrael war bereits dabei den Kopf zu schütteln, als er feststellte das seine Wunden alle verheilt waren.
„Ich versuch's.“, murmelte er und erhob sich, wenn auch wackelig. Alene schilderte die Situation und stützte den Mann.
„Lyes und ich sind hergekommen um dir zu helfen und glücklicherweise hat euer Boss noch nichts davon gemerkt. Dein Bruder steht draußen und hält Wache, ich habe mich um deine Verletzungen gekümmert.“
Ungläubig sah Azrael sie an.
„Die Verletzungen waren verdammt schlimm, wie hast du...?“
Die Frau lächelte ihn an.
„Ich bin im Besitz von Heilkräften. Und nun genug geredet, du bist noch zu schwach!“
Als sie aus der Zelle heraus kamen, wartete Lyes bereits auf die beiden. Erleichtert lächelte er seinen Bruder an. Alene merkte, dass er ihm nun um den Hals hätte fallen können.
„Nimm du ihn mal. Dann kümmere ich mich um die Deckung.“, sagte Alene. Lyes tat es einfach, ohne etwas zu sagen. Als Azrael das Schwert sah, welches Alene griffbereit in den Händen hielt, gefror ihm das Blut in den Adern. Das war das Schwert, was Luzifer bei einem Kampf verloren hatte! Wieso war es in ihrem Besitz? Wo hatte sie es überhaupt her? Er öffnete bereits den Mund, doch Lyes merkte es und schüttelte streng den Kopf. Das hatte er verstanden. Er sollte die Klappe halten. Vor ihnen hob Alene die Hand, worauf Lyes und Azrael inne hielten. Die Frau vor ihnen lehnte sich gegen die Wand und spähte um die Ecke. Stimmen waren zu hören.
„Hast du unseren Meister gesehen?“, fragte die eine.
„Nein.“, antwortete die andere, scheinbar eine Frau. „Angeblich sollen hier Eindringlinge gesichtet worden sein. Ich nehme an, dass er der Sache nachgeht.“
Alene tat einen kleinen Schritt zurück und sah mit zusammengekniffenen Augen zu den zwei Männern zurück. Sie deutete mit dem Kopf auf einen schmalen Gang, links von ihnen. Noch bevor Lyes Einwände erhoben hatte, war Alene um die Ecke verschwunden um sich umd ie zwei Dämonen zu kümmern. Leise, unhörbar seufzend schlugen Lyes und sein Bruder eine andere Richtung ein.
„Ich weiß nicht, ob mir Alenes Veränderung gefällt.“, keuchte Azrael und warf seinem Bruder einen Blick zu.
„Du gewöhnst sich daran. Und nun sei still, bevor man uns bemerkt!“, zischte Lyes und beschleunigte sein Tempo. Die beiden Männer hörten das Reißen von Haut und das Spritzen von Blut, dann war Alene auch schon wieder hinter ihnen. Blut lief von ihrer Wange und der stählerne Ausdruck in ihren Augen, ließ Lyes Angst und Besorgnis wachsen.
„Alles in Ordnung, Süße?“, fragte er leise. Alene nickte verbissen.
„Ja, aber wir müssen aufpassen. Ich fürchte, Luzifer kommt jeden Moment um die Ecke.“
Wie sehr sie sich genau davor fürchtete, konnte Lyes in ihren Augen erkennen. Sie war noch nicht bereit dafür sich dem Teufel zu stellen. Azrael meldete sich hustend zu Wort.
„Es gibt einen Zauber mit dem ich dafür sorgen könnte, dass wir unentdeckt bleiben aber ich weiß nicht, ob ich dafür schon genug Kraft habe.“
Alene und Lyes wechselten einen Blick miteinander. Alene hatte in diesem Moment das Wort, doch sie konnte sich nicht dazu durchringen Azrael um so etwas zu bitten. Er war geschwächt, konnte kaum laufen und hatte Mühe auch nur zu sprechen, da konnte sie schlecht von ihm verlangen einen Zauber auszuführen. Andererseits saßen sie gerade mächtig in der Patsche. Luzifer lief hier herum, auf der Suche nach denen die hier nichts zu suchen hatten. Sollte er ihnen über den Weg laufen, hatten sie ein Problem. Azrael war in diesem Zustand ein Klotz am Bein, da wüde nur einer von ihnen kämpfen können. Doch weder Lyes noch Alene hätte auf eine große Chance auf einen Sieg gehabt. Alene war noch nicht bereit für einen Kampf auf Leben und Tod und auch Lyes Macht war beschränkt. Was also tun? Hilflos sah sie Lyes an. Diese Entscheidung wollte nicht sie treffen!
„Kannst du es versuchen, Bruder? Wir haben im Moment keine andere Wahl.“, sagte der Todesengel leise. Er hatte den Blick der Frau richtig gedeutet.
„Ich geb mein Bestes.“, versprach der Seelensammler. Die drei blieben stehen und die zwei Männer gingen in die Hocke, damit Azrael seinen Kraft sammeln konnte. Alene gab den beiden Deckung.
„Das könnte einen Moment dauern.“, sagte der Seelensammler dann und schloss die Augen. Hoffentlich geht das gut., schien Alenes Blick zu sagen, als sie Lyes ansah. Zehn Minuten vergingen, dann näherten sich Schritte. Scheiße!, dachte Alene. Es war Luzifer, der ganz in der Nähe seine Runden zog. Hoffentlich bemerkt er uns nicht!, dachte sie dann und sah panisch zu den Männern. Sie wedelte mit der Hand um ihnen zu signalisieren, dass sie sich beeilen sollen. Sie versuchte, möglichst kein Geräusch zu verursachen und sie betete, dass auch Lyes und Azrael daran denken würden. Doch fehlerlos sollte das Ganze dann doch nicht von Statten gehen. Nachdem Lyes den Blick von ihr abgewandt hatte, stieg ein Knurren in seiner Kehle auf. Panisch sah Alene wieder um die Ecke. Sie konnte nichts und niemanden sehen, weshalb sie es wagte und vorsichtig einen Schritt vortrat. Zuerst schaute sie nach links, in die Richtung aus der sie gekommen waren. Doch es war keiner zu sehen. Sie wollte bereits aufatmen, doch als sie sich umdrehte gefror ihr das Blut in den Adern.
„Na, wen haben wir denn da?“
Der Teufel grinste sie an, seine Augen loderten feuerrot. Alene riss sich zusammen. Lyes musste mit Azrael von hier veschwinden, ansonsten könnte der Seelensammler sein Leben verlieren! Sie musste handeln und ihr Leben für diesen Moment in den Hintergrund stellen.
„Hallo, König der Dämonen.“, erwiderte sie selbstsicher grinsend und stemmte eine Hand in die Seite. Überrascht zog der blauäugige die Brauen hoch.
„Darf ich fragen, was du hier zu suchen hast?“, knurrte er leise. Mit finsterem Blick sah sie zu ihm auf.
„Wo ist Azrael?“, zsichte sie. Bitte! Bitte verschwindet von hier!, dachte sie. Sie glaubte genau genommen nicht daran, dass ihre Gedanken Lyes erreichen würden, doch sie hoffte es einfach. Er musste es einfach hören! Luzifers Mundwinkel zuckten. Erneut hatte er seine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle.
„Du bist wegen diesem Seelensammler hier? Na, das nenn ich mal eine Überraschung. Du bist doch nicht etwa alleine hier?“
Etwas grausames blitzte in seinen Augen auf. Alene seufzte und kratzte sich am Hinterkopf.
„Ähm.“ Sie zögerte. „Genau da liegt das Problem. Lyes weiß nicht einmal das ich hier bin.“
Optimistisch zuckte sie grinsend mit den Schultern.
„Aber was soll's. Was er nicht weiß, macht ihn auch nicht heiß, stimmt's?“
„So ungern ich dir das auch sage aber es ist nicht gerade schlau von dir, allein her aufzutauchen. Und was den lieben Azrael betrifft...Was wäre, wenn ich dir sage das es gar nicht gut um ihn steht?“, erwiderte der Mann grinsend. Alene musste seine Gedanken nicht lesen um zu wissen, dass er bluffte. Der arme Kerl konnte ja nicht wissen, dass Azrael schon außer Gefahr war. So gut wie, zumindest. Alene grinste den Teufel an und ausnahmsweise, musste sie ihm nichts vormachen.
„Unterschätz mich nicht, mein Lieber. Ich bin schließlich nicht umsonst deine Nachfolgerin!“
Von einer Sekunde auf die andere verdüsterte sich Luzifers Gesichtsausdruck. Diese Worte von ihr passten ihm ganz und gar nicht. Wütend funkelte er sie an.
„Was willst du schon machen, hm? Mich töten, in dem du meine Gedanken liest?“, spottete er. Alene ließ zu, dass er ihre zuckenden Mundwinkel sah.
„Du scheust doch etwa keinen Kampf?“
Luzifer explodierte beinahe. Er wollte sie bereits packen, doch sie wich geschickt aus. Sie wurde leiser und auch ein wenig ernster.
„Lass uns mal in Ruhe miteinander reden, Luzifer. Ich habe Respekt vor dir und deinem...Job aber ich verstehe nicht, warum du dich so sehr dagegen sträubst das Ganze an den Nagel zu hängen. Ich kann doch einfach deinen Posten übernehmen und du behältst mich dabei im Auge. Du könntest doch auch noch ein Mitspracherecht haben. Ich will nicht, dass es auf einen Kampf auf Leben und Tod hinausläuft.“
Fast schon betrübt erwiderte Luzifer ihren Blick.
„Du verstehst es einfach nicht, oder? Der Allmächtige wird nicht zulassen, dass wir solch eine Art von Kompromiss schließen. Er wird alles dafür tun, damit sich die Prophezeiung erfüllt. Also versuch erst gar nicht, mich zu beschwichtigen.“
Alene machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Ach, wen interessiert schon der Allmächtige? Beantworte mir lieber meine Frage und sag mir, warum dich das Ganze so aufregt.“
Der Mann änderte seine Haltung.
„Das dir der Allmächtige egal ist, überrascht mich dann doch. Und das hat dich nicht zu interessieren.“, knurrte er. Das Gespräch war beendet. Luzifer beendete das Ganze, indem er sich wieder auf sie stürzen wollte. Doch Alene hinderte ihn daran, indem sie ihr Schwert zog und es auf ihn richtete. Seine Augen weiteten sich und er hielt inne.
„Wo hast du das her?“, hauchte er fassungslos. Alene grinste als sie seine Worte wiederholte.
„Das hat dich nicht zu interessieren.“
Plötzlich schien es, als berührte sie jemand an der Schulter. Der Zauber!, dachte sie erleichtert und vermied es, bei der plötzlichen Berührung zusammen zu zucken. Es hatte scheinbar funktioniert. Alene erkannte aus den Augenwinkeln heraus zwei Gestalten, Luzifer schien sie allerdings nicht sehen zu können. Jemand, scheinbar Lyes, zog an ihr weshalb sie sich umdrehte und augenblicklich loslief. Es waren in der Tat die zwei Brüder, die da vor ihr liefen. Scheinbar war Azrael wieder einigermaßen fit. Alene warf einen Blick zurück und sah, dass Luzifer ihnen nicht folgte. Zum Glück!
Voller Unglaube starrte Luzifer auf seine Hände. Sie war im Besitz seines Schwertes! Warum? Wo hatte sie es her? Hatten ihr die Erzengel es ihr etwa gegeben? Doch das Schwert war nicht alles, was seine Gedanken in Beschlag nahm. Hinzu kam, dass diese Frau ihn auch noch ausgetrickst hatte! Selbstbewusst hatte sie nach Azrael gefragt, dabei hatte sie ihn nur an der Nase herumgeführt. Der Seelensammler war bereits befreit worden und geflohen! Hatte sie ihn etwa schon befreit? Luzifer vermutete, dass sie gar nicht alleine hier gewesen war, sondern mit Lyes zusammen. Und während sie ihn abgelenkt hatte, war Lyes dabei gewesen seinen Bruder zu befreien. Einen Haken hatte die Sache jedoch. Azrael war mehr als nur schwer verletzt gewesen, schwer vorstellbar das er in der Lage gewesen wäre zu fliehen. Aber es hatte dennoch funktioniert und Luzifer kam einfach nicht dahinter. Pochende Kopfschmerzen machten sich bei ihm bemerkbar. Sicher hatte das Ganze eine einfache und plausible Erklärung, allerdings war sie wohl so einfach, dass Luzifer nicht darauf kam. Azrael hätte mit diesen Verletzungen nicht fliehen können, es sei denn jemand hätte sich um seine Wunden gekümmert. Und was das anging...Lyes hätte ihm nicht helfen können, andere konnte er nämlich nicht heilen. Das hatte er noch nie gekonnt. Pochende Kopfschmerzen machten sich bei ihm bemerkbar. Sicher hatte das Ganze eine einfache und plausible Erklärung. Allerdings war die so einfach, dass Luzifer nicht darauf kam. Azrael hätte mit diesen Verletzungen nicht fliehen können, es sei denn jemand hätte sich um diese Verletzungen gekümmert. Und was das anging...Lyes hätte ihm nicht helfen können, er konnte Dämonen und Engel nämlich nicht heilen. Das hatte er noch nie gekonnt. Hieß das...Alene hatte ihn in einen einigermaßen vernünftigen Zustand gebracht? Ein Knurren stieg in der Kehle des Teufels auf. Er hatte es gewusst! Diese Frau hatte weitaus mehr Kräfte als zu Anfang angenommen. Tja und was sollte er nun tun? Es wäre einfacher gewesen, sie wären nicht geflohen, dann hätten sie das Ganze hier und jetzt klären können. Aber nein! Sie hatte sich umgedreht und war weggelaufen. Luzifer war so perplex gewesen, dass er ihr nicht einmal nachgelaufen war. Schließlich zuckten seine Mundwinkel doch. Es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis es zum finalen Kampf kommen würde. Er müsste sich nur noch ein klein wenig gedulden!
13th
Schmunzelnd wanderte Azraels Blick zwischen der schnarchenden Alene und dem dösenden Lyes hin und her. Lyes schlief nicht, denn er schlug die Augen auf als Azrael ihn anstieß.
„Wie lange schläft sie jetzt schon? Zwei Tage?“, fragte der Seelensammler und grinste. Nachdenklich betrachtete sein Bruder die Frau.
„Lassen wir sie in Ruhe, sie hat den Schlaf verdient. Sie hat all ihre Kräfte aufgebraucht, um sich zu heilen.“, murmelte er und zog ihren warmen Körper an sich. Nun wurde auch Azrael ernst.
„Es ist wirklich unglaublich wie stark sie ist. Und das sie keinen Ekel gezeigt hat, als sie meine Knochen gerichtet hat.“
Lyes lächelte, auch wenn es kein fröhliches Lächeln war.
„Man merkt eben doch, dass die Unterwelt einmal ihr gehören wird. Sie hat so viel geleistet, ich bin wirklich stolz auf sie.“
Während der Nephilim Alene übers Haar strich, kuschelte sie sich an ihn.
„Wie soll es nun weitergehen, hm?“, fragte Azrael. Hilflos erwiderte sein Bruder seinen Blick.
„Wenn ich das nur wüsste. Sie traut sich noch lange nicht, sich Luzifer gegenüber zu stellen. Aber all zu viel Zeit haben wir nicht mehr. Es wundert mich, dass er uns nicht verfolgt hat als wir geflohen sind.“
Azrael konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken.
„Wahrscheinlich war er zu sprachlos um zu reagieren.“
Plötzlich regte Alene sich in Lyes Armen.
„Was ist so lustig?“, murmelte sie. „Ich will auch lachen.“
„Nichts.“, sagte Lyes lächelnd und täschelte ihren Kopf. „Wir reden nur gerade darüber wie unglaublich du einfach bist!“
Ein zarter, roter Hauch legte sich auf ihre Wangen und ließ sie peinlich berührt den Blick senken. In diesem Moment fragte Lyes sich wie ihr Charakter heute wohl aussähe, wenn ihr in ihrem Leben nicht so übel mitgespielt worden wäre.
„Sagt so etwas nicht. Ich hätte doch nicht nichts tun können!“
„Nur keine falsche Bescheidenheit. Ohne dich hätte ich ein echtes Problem gehabt.“, unterbrach Azrael Alene.
„Du hast dich Luzifer in den Weg gestellt, damit er uns nicht entdeckt. Das ist defintiv eine große Leistung!“
Spätestens jetzt war Alenes Kopf so rot wie eine Tomate. Sie wusste nicht was sie dazu sagen sollte, also schwieg sie. Lyes strich ihr über den Rücken.
„Gut gemacht, Kleines.“
Peinlich berührt senkte sie den Blick, womit sich eine alles andere als friedliche Stille zwischen ihnen ausbreitete. Nachdenklich betrachteten die beiden Männer die Frau.
„Du bist noch nicht bereit dich Luzifer zu stellen, nicht wahr?“, sagte Lyes leise, ohne Alene loszulassen. Unsicher kaute sie auf dem Nagel ihres Daumens.
„Um ehrlich zu sein weiß ich das selbst nicht so genau. Ich habe keine Angst vor diesem Kerl aber...wenn ich an den Kampf denke, wird mir doch ein wenig übel.“
Azrael verspürte Mitleid. Er konnte Alene verstehen. Bei seiner ersten Begegnung mit Luzifer war er auch eingeschüchtert gewesen. Und er selbst hätte sich nie auf einen Kampf mit ihm eingelassen. Er hätte wahnsinnig sein müssen um dies zutun. Doch leider hatte Alene keine Wahl. Das war nun mal ihr Schicksal. Etwas anderes würde der Allmächtige nicht zulassen.
„Können wir dir irgendwie dabei helfen, dich darauf vorzubereiten?“, fragte er liebevoll und brüderlich. Bedauernswert schüttelte die Frau den Kopf.
„Nein, das ist eine mentale Sache. Da muss ich irgendwie alleine durch. Ich schaff das schon, keine Sorge. Trotzdem danke.“
Entschieden wandte Alene den Kopf zur Seite. Sie hatte keine Lust mehr darüber zu reden.
„Azrael, würdest du uns für einen Moment alleine lassen?“, meldete Lyes sich wieder zu Wort. Sein Bruder nickte, erhob sich und verließ den Raum. Zurück blieben Lyes und Alene. Lyes atmete tief durch und sah die Frau eine Weile lang stumm an, doch irgendwann wurde die Stille auch ihm unangenehm.
„Viel Zeit haben wir nicht mehr, Süße, das muss dir klar sein.“, sagte er leise. Verzweifelt fuhr Alene sich mit den Händen durchs Haar.
„Ja, ich weiß, verdammt! Aber was soll ich denn machen? Ich weiß ja das ich stark bin aber er ist nun mal der Teufel! Wie soll ich ihn denn besiegen, wenn ih selbst nicht einmal daran glaube ihn besiegen zu können?“
Der Mann strich ihr über die Wange und lächelte dabei sanft.
„Ein paar Tage gebe ich dir, Kleine. Dann müssen wir an die Arbeit.“
Er küsste sie auf die Stirn und zog sie dann in seine Arme.
„Wir machen uns ein paar schöne Tage, ja?“, hauchte er ihr ins Ohr, worauf sie lediglich nickte.
Knurrend ließ Sabriel die noch immer glühenden Hände sinken. Das war schon der dritte Dämon innerhalb von drei Tagen. Natürlich gab es immer jemanden der hier unbefugt eindrang, doch in letzter Zeit kam das immer öfter vor. Und seltsamerweise schienen die Eindringlinge immer stärker und mächtiger zu werden. Nachdem Sabriel sich immer darum gekümmert hatte, hatte er nun die Nase voll. Aufgebracht lief er in den Palast und nahm direkten Kurs auf den Erzengelsaal. Leise knurrend stieß er die Tür auf, worauf sich die Blicke der anwesenden Erzengel auf ihn richteten.
„Was gibt es, Sabriel?“, fragte Uriel aufmerksam und neigte den Kopf. Immer noch außer sich ließ Sabriel sich auf seinen Platz fallen.
„Das war jetzt der dritte Dämon, den ich innerhalb von drei Tagen erledigt habe. Irgendetwas stimmt hier nicht.“, erklärte er donnernd. Uriel blieb ruhig, als er erwiderte:
„Die Dämonen suchen sich immer wieder einen Weg ins Himmelsreich, Sabriel, daran wirst du nichts ändern können.“
Der Erzengel wurde noch lauter.
„Du verstehst das nicht! Von Tag zu Tag werden sie stärker. Und dann auch noch drei Tage hinter einander? Das ist schon sehr ungewöhnlich, wenn du mich fragst.“
Mikaal meldete sich zu Wort und griff sich nachdenklich ans Kinn.
„Sabriel hat Recht, Uriel. Das kann kein Zufall sein. Hast du irgendeine Vermutung, Bruder?“
Sabriel schüttelte den Kopf.
„Nein. Allerdings...würde es mich nicht wundern, wenn Luzifer uns aufhalten will.“, murmelte er in Gedanken.
„Worin denn bitte aufhalten?“, fragte Uriel. Sabriel verdrehte die Augen.
„Darin, Alene und Lyes zu helfen. Womit wir mal wieder beim Thema wären. Hat mal wieder jemand etwas von den beiden gehört?“, erwiderte Sabriel. Sämtliche Erzengel schüttelten den Kopf, als plötzlich wieder das Knarren der Tür ertönte.
„Ich kann euch gerne einen Bericht erstatten.“
Die Blicke richteten sich auf Azrael, der schwach lächelnd in der Tür stand.
„Jetzt, da mein Beuder weg ist...“, hauchte Lyes und küsste Alenes Nacken.
Er ließ den Satz absichtlich in der Luft hängen. Die Frau erschauerte und genoss den zärtlichen Hauch in ihrem Nacken. Eigentlich war ihr nicht nach diesen Spielchen zumute, dich sie ließ sich dennoch darauf ein. Vielleicht half ihr das ja dabei, sich zu entspannen?
Lyes zog an ihr, drückte sie zurück und lehnte sich über sich, worauf sich ein vertraut wohliges Gefühl in ihrem Bauch ausbreitete. Mit trüben Augen sah sie zu ihm auf. Etwas in ihr drängte sie dazu den Mund aufzumachen und sie wollte es auch, definitiv! Doch war das überhaupt der richtige Zeitpunkt? Wenn sie warten würde wäre es vielleicht zu spät, doch sie hatte keine Ahnung ob Lyes schon bereit dafür wäre. Sollte sie es einfach riskieren? Er würde später sowieso ihr gehören, oder?
„Lyes.“, hauchte sie. Besitzergreifend legte Alene die Hände auf seine Oberarme. Mit einem Lächeln auf den Lippen sah er fragend auf sie herab.
„Ich liebe dich!“, flüsterte sie. Lyes hielt inne, sah sie lediglich stumm an. Alene lächelte, trotz der leicht beängstigenden Situation. Sie setzte sich auf und ergriff seine Hände.
„Ich bin dir für so vieles dankbar, Lyes und bevor es in den nächsten Tagen zu spät sein könnte will ich dir sagen,...dass ich dich liebe.“
Nachdem sie verstummt war wurde sie gepackt und zurück auf die Matratze gedrückt. Der Mann kniete über ihr, bleckte kurz die Zähne und packte grob ihr Kinn.
„Sag das noch mal!“, verlangte er knurrend.
„Ich liebe dich.“, flüsterte Alene erneut. Lyes schien zu merken wie grob er in diesem Moment war, denn sowohl sein Griff als auch der Ausdruck in seinen Augen wurde liebevoller.
„Ich...ich liebe dich auch.“, murmelte er unsicher und küsste sie. Alene schmunzelte. Wie süß sie das gerade fand behielt sie lieber für sich.
…
Ausgeschlafen und mit den Bildern der vergangenen Stunden im Kopf, streckte Lyes sich. Mit noch immer halb geschlossenen Augen trottete er ins Bad, wo er duschte und sich anzog. Nun erst war er richtig wach. Sie liebte ihn! Und durch dieses Geständnis hatte er gemerkt, wie sehr er Alene mochte. Sie ebenfalls liebte. Mit einem Dauerlächeln auf den Lippen trottete er zurück zum Bett. Schlagartig verschwand sein Lächeln, als er Alene entdeckte. Sie lag auf dem Bauch, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Sie sah süß aus und eigentlich war dieser Anblick nichts ungewöhnliches, würde man von den riesigen schwarzen Schwingen mal absehen, die sie über das Bett ausgebreitet hatte.
„Alene!“, hauchte Lyes, von den Flügeln überwältigt, die genauso aussahen wie seine eigenen. Als ob die Frau ihren gehauchten Namen gehört hätte, schlug sie die Augen auf. Benommen setzte sie sich auf.
„Lyes, mir ist komisch.“, verkündete sie mit rauer Stimme. Sofort war der Mann bei ihr.
„Bitte bleib ruhig, ja?“, sagte er leise und fasste sie bei den Schultern. Irritiert sah sie zu ihm auf.
„Wieso?“, wollte sie fragten, doch sie schwieg als er sie zum Spiegel führte. Als sie sich darin erblickte kehrte sie ihrem Spiegelbild augenblicklich den Rücken zu.
„Das war keine Einbildung, oder?“, keuchte sie. Zitternd krallte sie sich an Lyes. Dieser legte die Arme um sie und schüttelte den Kopf.
„Warum sehen sie genauso aus wie deine?“, flüsterte sie. Jedoch wusste sie schon, dass der Mann auch keine Antwort darauf haben würde. Fassungslos ließ sie den Kopf in den Nacken fallen.
„Mir sind Flügel gewachsen, ich glaub's nicht!“, flüsterte sie. In Lyes Fingern kribbelte es.
„Hast du den ersten Schock überwunden?“, sagte er, worauf sie ihn misstrauisch ansah. Er konnte sich nicht beherrschen, er musste sie einfach berühren. Er streckte die Hand aus und ließ seine Fingerspitzen über das glänzende Federkleid gleiten. Sie erzitterte und wäre sie nun nicht in seinen Armen, hätten ihre Knie nachgegeben.
„Alene!“, donnerte es plötzlich so laut, dass selbst der Boden vibrierte.
„Der Allmächtige!“, hauchte Lyes ehrfürchtig. Er bemerkte den ängstlichen Ausdruck von Alene, weshalb er sich lächelnd an sich drückte.
„Alene Eray!“, donnerte es.
„Ja?“, flüsterte die Frau leise. Die Stimme etönte erneut.
„Von nun an bist du an Lyes gebunden. Deine Flügel sind ein Zeichen eurer Verbundenheit und mit ihnen erhältst du sowohl Lyes Liebe, als auch des Teufels Kräfte, dem diese nun verwehrt bleiben. Geh und nehme deinen rechtmäßigen Platz auf dem Thron der Unterwelt ein.“
Dann herrschte wieder Ruhe. Weder Alene, noch Lyes traute sich etwas zu sagen.
„Luzifers Kräfte, hm? Fühlst du dich deshalb vielleicht so komisch?“, sagte Lyes schließlich und umfasste Alenes Gesicht mit den Händen. Sie zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Und eigentlich will ich es auch gar nicht herausfinden. Aber das wird sich wohl nicht vermeiden lassen, schätze ich.“
Der Todesengel atmete tief durch, dann sah er mit einem strahlenden Lächeln auf die Frau herab.
„Wenn Luzifer seine Kräfte verloren hat und du nun in deren Besitz bist, haben wir wohl erst mal nichts zu befürchten, oder?“
Alene ließ sich von diesem Lächeln nicht täuschen.
„Das mag ja vielleicht sein aber unterschätzen sollten wir ihn trotzdem nicht. Er hat Erfahrung und egal ob mit oder ohne Kräften, er wird sich schon zu helfen wissen.“, erwiderte. Lyes küsste ihre Stirn.
„Keine Sorge, Schatz. Besorgt darfst du ruhig sein aber Angst brauchen wir nun nicht mehr haben.“
Alenes Mundwinkel zuckten.
„Wenn du das sagst, Liebling.“
Sprachlos starrten die Erzengel Azrael an. Alene hatte Mut bewiesen und sich Luzifer in den Weg gestellt, um Lyes und Azrael zu beschützen. Hinzu kam, dass sie Azraels schwerte Verletzungen geheilt hatte. Sabriel schüttelte frustriert den Kopf.
„Nun ist glaube ich klar, was Luzifer vor hat. Indem er uns ablenkt, kann er sich unbemerkt an Alene vergreifen. Zumindest glaubt er, dass er das kann.“
Nachdenklich sahen die anderen ihn an. Womöglich hatte er Recht.
„Keine Sorge, er wird sich etwas anderes ausdenken müssen.
Die Blicke suchten diejenige, die diese Worte ausgesprochen hatte. Ihre Blicke fanden eine junge Frau am Eingang der Halle. Zerbrechlich, und mit riesigen schwarzen Flügeln, die sie im Rücken zusammengefaltet hatte.
„A-Alene!“, stotterte Azrael. Lyes, der grinsend neben der Frau stand fiel dem Seelensammler kaum auf. Die schwarzen Schwingen von Alene irritierten auch die Erzengel. Einem Menschen wuchsen schließlich nicht einfach Flügel.
„Eine Erklärung wäre angebracht.“, hustete Uriel und zog die Brauen hoch. Schwach lächelnd ergriff die Frau Lyes Hand, um ihn mit in den Saal hinein zu ziehen.
„Der Allmächtige hat beschlossen, dem Teufel seine Kräfte zu nehmen und sie stattdessen mit zu geben.“, sagte sie lediglich und grinste frech. Das sie Lyes ihre Liebe gestanden und sie dadurch aneinander gebunden waren, verschwieg sie. Vorerst zumindest. Sie kicherte. Entweder hatten die Erzengel ihr gegenüber sie nicht verstanden oder sie wollten sie nicht verstehen. Sabriel wollte bereits dazu ansetzen etwas zu sagen, doch Lyes erkannte den Zweifel in seinen Augen, weshalb er dazwischen funkte.
„Bevor ihr dazu kommt eure Zweifel auszusprechen, mische ich mich mal eben ein. Es stimmt, Alene scheint im Besitz von Luzifers Kräften zu sein, wir haben es schon ausgetestet.“
Angespanntes Schweigen. Ungläubige Blicke lagen auf Alene, die noch immer frech grinste.
„Um was für Fähigkeiten handelt es sich?“, fragte Sabriel. Alenes Augen blitzten auf und von einer Sekunde auf die andere stand sie nicht mehr neben Lyes, sondern vor Sabriel. Sie beugte sich vor und hauchte ein „Überraschung!“, ehe sie wieder zurückwich. Der Erzengel zuckte zusammen und auch die anderen Engel waren wie versteinert. Es war, als hätte sie sich gar nicht bewegt. Alene atmete tief durch und wurde ernst.
„Fakt ist, dass ich nun im Besitz von Luzifers Kräften bin, die Chance gegen ihn zu gewinnen ist also verdammt hoch. Voraussetzung dafür ist, dass Luzifer sich nicht irgendwas einfallen lässt. Ich nehme an er hat längst herausgefunden was ihm widerfahren ist, deswegen vermute ich das er sich irgendetwas einfallen lässt. Ich muss mich also ranhalten.“
Uriel hätte nicht mit solch einer Wendung gerechnet, natürlich mischte er sich nun ein.
„Und was genau hast du nun vor?“
Alene zuckte lässig mit den Schultern.
„Na, in mein Reich eindringen und mir meinen Thron unter den Nagel reißen.“
Beunruhigte Blicke wurden ausgetauscht. Alenes Wortwahl gefiel den Erzengeln ganz und gar nicht.
„Und wann soll's losgehen?“, fragte Sabriel. Einen Moment lang hielt Alene inne. Eigentlich wollte sie nie zur Tat schreiten, doch Lyes gab ihr die Kraft die sie brauchte und die neuen Kräfte machten sie ebenfalls ein Stück zuversichtlicher.
„Lange dauert es jedenfalls nicht mehr.“, sagte sie, ziemlich ungenau wie die Männer fanden. Lyes mischte sich ein und legte seiner Frau den Arm um die Taille.
„Ich werde noch ein bisschen mit Alene trainieren, damit sie ihre neuen Fähigkeiten besser im Griff hat. Danach geht es sofort los.“
Uriel nickte.
„Eine gute Idee. Wir sorgen dafür, dass euch keiner dabei stören wird. Gebt uns einfach Bescheid wenn ihr glaubt, so weit zu sein.“
Lyes und Alene bestätigten und mit einem Nicken aller Erzengel, waren die beiden entlassen.
Der laute Schrei der an ihre Ohren drang, ließ sie in Panik geraten. Lilith setzte sich in Bewegung, denn diese Stimme kam ihr bekannt vor, auch wenn sie solch einen Schrei von dieser Person noch nie gehört hatte. Sie stürmte in den Saal und blieb augenblicklich wieder stehen, als sie folgende Szene erfasst hatte. Luzifer kniete auf dem steinernen Boden, den Blick gesenkt und die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass diese schon bluteten. Eigentlich wäre dieses Bild keine große Sache für Lilith gewesen, wäre da nicht der Rücken von Luzifer. Irgendjemand, oder irgendwas hatte ihm die Flügel abgerissen. Lediglich zwei blutige Stumpfe ragten ihm aus dem Rücken. Lilith stieß einen Schrei aus und stürmte auf den Mann zu. Sie fiel vor ihm auf die Knie und zog ihn ohne Umschweife in seine Arme.
„Was ist passiert?“, flüsterte sie. Vielleicht konnte man es nicht glauben, doch der Teufel schmiegte sich an die Frau und ließ zu, dass sie ihn in den Arm nahm.
„Ich weiß es nicht.“, flüsterte er, fast schon heiser. „Niemand war hier, Lilith, ich war alleine!“
Die Frau schob den Teufel ein Stück zurück und sah diesen bitterernst an.
„Du weißt, was deine Flügel für eine Bedeutung haben...hatten, oder?“
Er gab keine Antwort, was Lilith verwunderte. Sie fasste ihn an den Schultern und wurde leiser.
„Deine Flügel sind die Zeichen deiner Macht. Fehlen sie, fehlt auch die Macht. Ist dir klar, was das bedeutet?“
Noch immer keine Antwort von dem Mann. Tränen traten der Frau in die Augen. Sie wusste ganz genau was gleich passieren würde.
„Du bist nicht länger der Teufel, Liebling!“
Ein ohrenbetäubendes Brüllen erschütterte die Unterwelt.
„Azrael!“
Warnend legte Lyes seinem Bruder die Hand auf die Brust.
„Warum, zum Teufel lässt du mich nicht zu ihr?“, knurrte der Seelensammler. Streng und ohne ein Funken Gefühl antwortete Lyes.
„Weil sie trainiert. Und dabei nicht gestört werden will.“
Azrael kratzte sich am Hinterkopf und seufzte.
„Also schön, wenn du das sagst. Dann erzähl mir wenigstens, was passiert ist.“
Lyes sah zurück in die Halle, in der Alene auf einen Sandsack einschlug.
„Also schön, dann komm.“, erwiderte er und packte seinen Bruder an der Schulter, um ihn mitzuziehen.
…
„Und ihr sind einfach so Flügel gewachsen? Als Zeichen ihrer Macht?“
Der Unglaube in Azraels Stimmte ließ Lyes seufzen. Eben wegen dieser Neugier erzählte er seinem Bruder nie etwas. Das gin einem nun mal auf die Nerven! Lyes spürte die Wärme in seinem Gesicht, weshalb er den Blick abwandte.
„Naja, einfach so ist es nicht passiert...“
Er zögerte und zwang sich dann, weiterzusprechen.
„Sie sagte mir...dass sie mich liebt und...ich habe es erwidert, worauf wir im Bett gelandet sind. Und als ich aufgewacht bin...hatte sie die Flügel.“
Azrael brach nach dieser Geschichte in schallendes Gelächter aus. Verständlich., dachte Lyes. Eine Liebeserklärung vom Todesengel war nun mal eine komische Sache.
„So so, du liebst sie also.“, gluckste der Seelensammler. Lyes strafte seinen Bruder mit einem tödlichen Blick.
„Hör auf zu lachen, Azrael. Es ist mir ernst!“
Schlagartig verstummte der Mann.
„Ich merke es schon. Dann ist Alene also nur so weit, weil sie sich getraut hat auszusprechen, was Sache ist.“
Lyes nickte. Er hoffte, sein Bruder würde gegenüber den Erzengeln die Klappe halten. Er war nicht scharf darauf, dass sie davon erfuhren. Doch darum bitten konnte er Azrael nicht. Er wollte nicht noch weicher wirken, als ohnehin schon.
„Noch etwas, dass du mir gestehen musst?“, fragte Azrael mit zuckenden Mundwinkeln.
Lyes schüttelte genervt den Kopf.
14th
Ein Kribbeln in ihrem Nacken ließ sie herumwirbeln. Gerade noch rechtzeitig konnte sie der Energie ausweichen, die Mikaal auf sie abgefeuert hatte.
„Nicht schlecht.“, sagte der Erzengel beeindruckt und schlenderte zu Alene hinüber.
„Hübsche Flügel.“, merkte er zusätzlich an. Alene lächelte.
„Warum bist du hier, Mikaal?“, fragte sie mit einem Unterton in der Stimme. Sie ahnte, dass er nicht ohne Grund hier war.
„Du bist also in Besitz der teuflischen Kräfte.“, murmelte er, scheinbar in Gedanken. Die Frau grinste.
„Du willst wissen, was genau passiert ist, nicht wahr?“
Mikaal lachte leise. Man konnte dieser Frau aber auch nichts vormachen. Seufzend wandte Alene sich dem Erzengel entgültig zu.
„Ich erzähle es dir. Aber nur, wenn du versprichst nicht zu lachen.“
Der Erzengel lächelte liebevoll. Ein seltener Anblick.
„Ich vermute, der Allmächtige hat mir die Flügel gerade jetzt geschenkt, weil...ich Lyes meine Liebe gestanden habe. Und...er mir seine. Erst danach...hatte ich die Flügel.“
Mikaal lächelte unbeirrt weiter.
„Na, da haben sich aber zwei gefunden.“, sagte er leise. Alene grinste und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
„Er hat mich von Anfang an fasziniert aber ich hätte nie geglaubt, dass diese Geschichte so...spektakulär enden würde. Wobei...noch ist das Ganze nicht vorbei. Ich habe noch einiges vor mir und ich muss zugeben, dass mich das gewiss nicht kalt lässt. Die Erholungsphase ist fast vorbei und langsam fange ich an zu zittern.“
In einer beruhigenden Geste legte Mikaal ihr die Hand auf die Schulter.
„Ich weiß, der bevorstehende Kampf jagt dir Angst ein und das Lyes dir dabei nicht helfen kann belastet dich auch, aber er wird dir zur Seite stehen. Genauso wie Azrael, Uriel und ich. Und die anderen Erzengel werden natürlich auch an dich denken.“
Alenes Flügel raschelten leise.
"Eine Sache gibt es noch, die mich beschäftigt.“, murmelte sie und sah den Erzengel nur zögernd an.
„Werden wir Feinde sein? Du, deine Brüder und ich?“
Traurig lächelnd sah der Mann auf Alene herab.
„Ich weiß es nicht. Das kommt ganz darauf an, was für Taten du dir zu Schulden kommen lässt.“
Fragend neigte die Frau den Kopf, worauf Mikaals Griff an ihrer Schulter fester wurde.
„Weißt du...das ist schwierig zu erklären. Dein Job wird es sein, die Unterwelt zu regieren. Du wirst versuchen mpssen die Welt ein bisschen besser zu machen. Menschen werden zwar sterben, das aber nicht grundlos. Solltest du Spaß am Töten finden und deine Position ausnutzen, müssen meine Brüder und ich uns einmischen.“
Soweit hatte die Frau alles verstanden. Neugierig neigte sie den Kopf.
„Was ist mit Luzifer? Hat er sich je etwas zu Schulden kommen lassen?“
Verbittert verzogen sich die Lippen des Erzengels zu einem Lächeln.
„Meine liebe Alene, warum glaubst du, hat dich der Allmächtige zur Nachfolgerin des Teufels ausgesucht?“
Es dämmerte ihr. „Oh!“, war alles was sie dazu herausbrachte. Alene atmete tief durch und starrte auf ihre geballten Fäuste.
„Also gut. Sag deinen Brüdern, dass ich in zwei Tagen soweit bin.“
Somit beendete Alene das Gespräch zwischen Mikaal und ihr. Sie musste sich nun wirklich auf's Training konzentrieren.
Erschöpft ließ Luzifer den Kopf in den Nacken fallen. Das die Dämonen rebellierten machte die momentane Situation nicht einfacher. Sie hatten herausgefunden was ihm widerfahren war und wollten sich von einem „Schwächling“ nicht regieren lassen. Seitdem versuchten sie immer wieder, ihn aus dem Weg zu schaffen. Kraftlos ergriff er Liliths Hand.
„Danke, meine Teuerste. Ohne dich wäre ich wohl aufgeschmissen.“, murmelte er. Er stand kurz davor einzuschlafen, doch er musste wachsam bleiben. Gerade jetzt!
„Hör auf dich zu bedanken, Liebling. Du weißt doch, für dich würde ich alles tun!“, erwiderte die Dämonenfrau den Tränen nah. Es tat ihr im Herzen weh, ihren Mann so zu sehen. Geschwächt und nicht in der Lage, sich auch nur ansatzweise zu verteidigen. Wäre sie nicht da, hätten ihn wahrscheinlich schon irgendwelche Dämonen geköpft. Und das würde sie auf keinen Fall zulassen! Sie hieß ja nicht umsonst Lilith, die Frau der Rache! Mit besorgter Miene musterte sie den Mann auf dem Thron, der schon gar nicht mehr ihm gehörte.
„Was hast du nun vor, hm? Ich vermute es dauert nicht mehr lange, bis die Frau hier auftaucht. Höchstwahrscheinlich mit Lyes zusammen.“
Luzifer biss die Zähne zusammen.
„Ich möchte, dass du für ein paar Tage das Kommando übernimmst. Trommle die stärksten Dämonen zusammen und schicke sie ind Himmelsreich. Und mach ihnen ruhig Feuer unter'm Arsch!“
„I-Ich versteh nicht.“, murmelte Lilith. Sie konnte sich nicht vorstellen, was genau Luzifer damit bezweckte.
„Zettel einen Krieg an, Süße. Ich bitte dich, du musst das an meiner Stelle übernehmen.“
Die Frau seufzte. Natürlich würde sie seiner Bitte nachkommen. Er war ja so schon am Boden zerstört. Würde sie sich gegen ihn stellen, wäre es aus mit ihm.
„Also gut, ich kümmere mich darum, Baby!“
Sie küsste ihn, kurz und forsch und kehrte ihm dann den Rücken zu. Sie würde sich sofort an die Arbeit machen. Viel Zeit blieb schließlich nicht mehr.
Aufmerksam beobachtete Azrael, wie Alene sich gegenüber von ihm auf das Sofa fallen ließ. Sie wischte die Schweißperlen von ihrer Stirn und ließ den Kopf zurückfallen.
„So, du liebt ihn also.“, räusperte der Seelensammler sich. Alene zog eine Braue hoch, ansonsten tat sich nichts in ihrem Gesicht.
„Ja, und?“, antwortete sie ausdruckslos. Warum hakten ausgerechnet da alle nach? Sie war genervt. Es war doch von vorne herein klar gewesen, dass sie sich in Lyes verlieben würde, oder nicht?
„Und er liebt dich.“, fügte Azrael hinzu.
„Korrekt.“, antwortete sie und verschränkte die Arme.
„Kaum zu glauben wenn man bedenkt, dass mein Bruder vor wenigen Wochen noch gar keine Gefühle besaß.“, murmelte er, in Gedanken versunken. Etwas kochte in Alene hoch, doch sie konnte nicht sagen was es war.
„Willst du auf irgendetwas hinaus, Azrael?“
Dieser schüttelte unbekümmert den Kopf.
„Nicht wirklich. Es ist nur erstaunlich wie schnell ein Unmensch Gefühle für jemanden entwickeln kann, ohne Gefühle je gekannt zu haben.“
Alenes Augen verengten sich.
„Wie du meinst.“, murmelte sie und wandte den Blick von ihm ab. Das Lyes sie so schnell ins Herz geschlossen hatte war doch gut, oder nicht? Sie hatte eben einen bleibenden Eindruck bei diesem Mann hinterlassen.
„Wann geht es los?“, riss der Mann sie aus den Gedanken.
„In zwei Tagen. Wenn mich bis dahin keine Panikattacke überkommt, heißt es.“, murmelte sie. Ehe sie sich versah war Azrael bei ihr und hatte sie in seine Arme gezogen. Sie hatte gar keine Chance etwas dazu zu sagen, er ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.
„Du schaffst das schon, Kleine. Keine Sorge, wir sind ja alle bei dir.“
Eigentlich war ihr nicht danach, doch sie erwiderte die Umarmung.
„Danke, Azrael.“, nuschelte sie. Doch wirklich beruhigen konnte sie seine Worte nicht. Sie hatte Angst. Tierische Angst sogar, doch das konnte sie diesem Mann nicht sagen. Sie war bereits die neue Königin der Unterwelt, sie durfte keine Angst zeigen!
„Ist Lyes nicht hier?“, murmelte sie stattdessen und löste sich aus der Umarmung. Von nun an nahm sie sich vor, sich nur noch von Lyes umarmen zu lassen. Bei allen anderen fühlte es sich komisch an.
„Nein, er wollte in Ruhe nachdenken. Ich glaube, er ist in eurem Schlafzimmer.“
Lächelnd und mit einem knappen Nicken als Abschied, verließ Alene den Raum. Sie machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer, wor Lyes auf dem Bett lag. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkte und die Augen geschlossen und fast schien es, als würde er schlafen.
„Worüber denkst du nach?“, fragte sie leise und setzte sich auf ihn. Ohne die Augen zu öffnen legte er die Arme um sie und zog sie an seine Brust.
„Nichts Besonderes. Ich denke nur daran, dass du meine Herrin bist und mir von nun an alle meine Aufträgte aushändigst.“
Langsam stieg ihr die Wärme ins Gesicht. Naja, was das anging...Sie hatte schließlich keine Ahnung, wie dieses ganze System funktionierte. Lyes lächelte und setzte sich auf, ohne Alene aus den Armen zu lassen. Er griff ohne hinzusehen unters Kopfkissen und zog das Buch der Toten hervor.
„Sieh hinein.“, befahl er ihr und drückte ihr das Büchlein in die Hand. Sie tat es, klappte es auf und zog irritiert die Stirn kraus.
„Die Seiten sind leer.“, murmelte sie und sah Lyes wieder an.
„Ich erkläre dir, wie es funktioniert.“, sagte er und ließ sich zusammen mit ihr auf die Matratze fallen. Sie kicherte, als er sie kitzelte, danach wurden die beiden aber wieder ernst.
„Okay, das Ganze funktioniert so: Du nennst mir einen Namen. Mehr nicht. Das Profilbild der Person erscheint dann auf einer der Seiten. Dann liegt es an mir, diese Person zu finden. Sobald ich die Person gefunden habe, sehe ich sie an und...weiß alles über sie. Ich töte sie. Und nutze gesammelte Informationen möglicherweise dazu, den nächsten Mord auszuführen.“
Alene war ein wenig geschockt. So einfach sollte es sein?
„Ich muss dir also nur einen Namen nennen und du...legst dich dann auf die Lauer?“
Ein wenig verstörend wie sie fand, doch Lyes legte ihr die Hand auf den Kopf.
„Ja, so einfach ist es. Aber es bringt eine Menge Verantwortung mit sich. Du musst dir ganz genau überlegen, wen du aus der Welt schaffen willst. Zu viele Tote und das Gleichgewicht auf der Welt gerät aus den Fugen. Merke die eines: Auf jedes Leben das du genommen hast, kommt ein Neugeborenes.“
Dann versiegelte er ihre Lippen mit einem Kuss. Nein, diese Geste beruhigte sie auch nicht. Doch Lyes ungezügelte Leidenschaft steckte sie an. Ihre Zungen kämpften miteinander und trotz Alenes niederschmetternden Gedanken, dauerte es nicht lange bis ihre Finger gierig über Lyes wanderten. Selbst wenn dafür jetzt keine Zeit war, sie liebte Lyes und wollte ihn jetzt bei sich spüren.
„Ich liebe dich.“ flüsterte er ihr ins Ohr. Alene hielt kurz inne, lächelte ihn mit strahlenden Augen an und biss ihm dann provokant ins Ohr.
„Ich liebe dich auch!“, hauchte sie. Alene war nicht die einzige, die bei diesen Worten Glück verspürte, auch Lyes bekam sein dämliches Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Nur wenige Minuten, dann waren die beiden in ihr Liebesspiel vertieft.
„Warum sollten wir das tun?“, knurrte Queral, einer der im Saal versammelten Dämonen.
„Wie lange kennt ihr Luzifer nun schon, hm? Jahrhunderte? Jahrtausende? Ihr kennt diesen Mann, und zwar ziemlich genau. Ihr wollt diesen ganzen Scheiß also durchziehen und damit eine neue Herrscherin riskieren?“, erwiderte Lilith knallhart. All die Dämonen hier von Luzifers Plan zu überzeugen würde Schwerstarbeit werden, das hatte nun auch Lilith gemerkt.
„Herrscherin?“, meldete sich ein weiterer Höllenbewohner zu Wort.
„Was wäre so schlumm an einer Königin? Frischer Wind täte uns alles gut.“
„Und was, wenn besagte Frau ein Mensch ist?“
Ein empörtes Raunen ging durch die Menge. Eine Menschenfrau als neue Herrscherin? Das kam für die meisten tatsächlich nicht infrage. Menschen waren eben...Menschen. Schwach und unbedeutend. Lilith startete einen neuen Angriff.
„Ganz genau, sie ist ein Mensch! Und ihr wisst doch alle ganz genau, wie die Menschen ticken. Was, wenn diese Frau eure Heimat ins Chaos stürzen wird? Vielleicht ist Luzifer nicht der beste König, doch wer kann schon sagen ob diese Frau nicht noch schlimmer ist?“
Nun hatte die Frau die Menge im Griff. Durch ihre Unsicherheit hatte Lilith die Dämonen in der hand.
„Das war noch nicht alles, meine Freunde. Wisst ihr, was ich erfahren habe? Die Erzengel sind ihre Freunde!“
Nun war es vorbei. Ein tiefes Brüllen hier, ein hohes Kreischen da. Die dämonischen Wesen waren außer sich. Sollte die Frau die Wahrheit sagen? Waren die Erzengel wirklich Freunde der neuen Königin?
„Was verlangst du?“, rief Queral.
„Krieg.“, war Liliths eiskalte Antwort.
„Uriel!“, brüllte Mikaal. Gerade noch rechtzeitig drehte der Erzengel sich um, um dem Dämon auszuweichen der dabei war sich auf ihn zu stürzen.
„Danke.“, brummte Uriel und schwang sein Schwert, um den Höllenmann auszuschalten.
„Wo kommen die ganzen Dämonen her, Mikaal?“, knurrte er dann. Doch ihm war klar, dass sein Bruder auch keine Antwort darauf hatte.
„Ich weiß es nicht, Uriel. Aber irgendetwas stimmt hier definitiv nicht. Soll ich den anderen Bescheid geben?“
Der nächste Dämon tauchte zwischen den beiden auf, doch schnell war auch der erledigt.
„Wenn wir Zeit dafür haben?“, erwiderte Uriel mit zuckenden Mundwinkeln.
„Kommst du alleine klar?“, fragte Mikaal, bereits zum Gehen gewandt. Uriel lachte, tief und kehlig.
„Sehe ich so schwach aus?“, lachte er. Mehr brauchte es nicht. Mikaal stürmte in den Palast. Auf dem Weg in den Saal der Erzengel wurde ihm klar, wie ernst die Lage wirklich war. Überall waren Dämonen zu sehen, die gerade noch rechtzeitig von Wächtern gestoppt wurden. Wer weiß, was diese Wesen vorhatten? Doch der Knüller kam erst noch. Im Saal angekommen, musste er erst einmal das sich ihm bietende Bild verarbeiten. Eine Frau stand mitten im Raum, neben ihr ein bulliger Dämon, der sie scheinbar beschützen wollte. Die Erzengel standen um die beiden herum, alarmiert und kampfbereit. Sie alle kannten diese Frau nur zu gut.
„Lilith!“, hauchte Mikaal und näherte sich langsam seinen Brüdern. Die Frau lächelte und winkte ihm zu.
„Hallo, Mikaal. Lange nicht gesehen.“
„Was machen die ganzen Dämonen hier?“, fragte der Mann, worauf Lilith lässig mit den Schulter zuckte.
„Ach, die. Naja...deswegen bin ich hier. Ich mache es kurz und schmerzlos. Luzifer will Krieg.“
Da waren auch die anderen Erzengel alle platt.
„K-Krieg? Wieso enn?“, stotterte Sabriel. Liliths angespannte Miene verriet, dass auch die nicht begeistert davon war. Sie seufzte und zeigte sich dann ein bisschen friedlicher.
„Ihr wisst es wahrscheinlich schon aber Luzifer hat seine Kräfte verloren. Er will sich nicht damit zufriedengeben seinen Platz der Frau zu überlassen und hat mir nahegelegt, etwas dagegen zu unternehmen. Bevor ihr etwas sagt, nein, ich bin nicht glücklich über diese Situation. Aber Luzifer ist wirklich am Ende und hätte ich ihm diese Bitte abgeschlagen, wäre er am Boden zerstört gewesen. Nehmt es mir also bitte nicht übel, ja?“
Auch Sabriel seufzte.
„Du hast uns eigentlich nie Ärger gemacht, Lilith. Ich habe mir schon gedacht, dass Luzifer dahinter steckt. Er kann sich mit dem Verlust seiner Kräfte wohl einfach nicht abfinden. Aber deswegen einen Krieg beginnen? Genau genommen hat Alene jetzt das Sagen über die Dämonen. Sie entscheidet ob es Krieg gibt, Lilith. Nicht Luzifer.“
Die anderen Erzengel stimmten zu. Würden sie dem Krieg jetzt zustimmen, würden sowohl etliche Engel, als auch Dämonen umkommen. Und da die Dämonen bereits Alenes Gefolgsleute waren, konnten sie das nicht verantworten. Lilith fuhr sich verzweifelt mit der Hand durch die langen, blonden Haare. Was sollte sie nun tun? Sie würde die höllischen Bewohner in ihr Verderben stürzen, wenn sie das hier jetzt durchzog. All diese Dämonen waren auch irgendwie ihre Freunde. Und die neue Königin wollte die Verbindung zu den Erzengeln auch sicher nicht kappen. Luzifer hatte nicht mehr die Macht, ihr Befehle zu erteilen, doch sie liebte ihn. Würde sie sich weigern, wollte er sie sicher nie wieder sehen. Und das wollte sie auch nicht. Lilith saß also in einer Zwickmühle. Verzweifelt, wirklich verzweifelt, erwiderte sie die Blicke der Erzengel. Mikaal hatte Mitleid für diese Frau übrig, auch wenn sie vor langer, langer Zeit das Wort des Allmächtigen ignoriert hatte.
„Lassen wir Alene herbringen.“, sagte er laut und entschieden. „Sie muss entscheiden, welches Kommando sie den Dämonen erteilen will.“
Keiner der Erzengel hatte irgendwelche Einwände.
Perplex sah Azrael den jungen Engel an, der ihm gegenüber stand.
„Ich muss zu Alene Eray.“, sagte er ausdruckslos, dennoch mit ernstem Blick.
„Sie ist im Raum hinter mir, allerdings...“
Der junge Bursche hörte schon gar nicht mehr auf den Mann. Er war bereits dabei die besagte Tür aufzureißen, doch augenblicklich bereute er diese Tat. Hätte er mal besser auf Azrael gehört, dann wäre ihm folgender Anblick erspart geblieben.
Die zierliche Frau saß auf dem Todesengel und bewegte sich stöhnend auf und ab. Beide waren nackt. Doch so sehr den Engel das auch verschreckte, er räusperte sich, worauf Alene über ihre Schulter spähte.
„Azrael!“, fauchte sie, als sie den Engel entdeckt hatte der sie aufmerksam beobachtete.
„Er ließ sich nicht aufhalten.“, ertönte es hinter dem Himmlischen. Der Engel besaß den Anstand sich umzudrehen, tat aber ohne Umschweife den Mund auf.
„Die Erzengel verlangen nach dir, Alene Eray, neue Königin der Unterwelt. Unverzüglich, auf der Stelle!“
Wusch! Von einem Moment auf den anderen war der Engel vershwunden. Alene stieß ein lautes Knurren aus.
„Jetzt wird man sogar schon mitten beim Sex unterbrochen!“
Doch sie dachte nicht daran jetzt aufzuhören. Wenigstens ihrem Geliebten wollte sie noch Befriedigung verschaffen. Sie stieg von ihm herunter, blickte ihm provizierend in die Augen und begann, an seinem Schwanz zu lutschen. Lyes stöhnte zwar, griff ihr aber ins Haar und zwang sie zum innehalten.
„Alene, nicht.“, keuchte er. „Es scheint dringend zu sein.“
Schmollend schob sie die Unterlippe vor.
„Aber, Lyes!“, quengelte sie. Doch statt zu antworten, warf er ihr ihre Klamotten ins Gesicht.
„Nun mach schon, zieh dich an.“, sagte er sanft und legte ihr noch einmal kurz die Hand auf den Kopf. Ohne etwas zu erwidern zog sie sich an. Die Erzengel sollten sich auf etwas gefasst machen, denn nun war sie sauer. Und zwar richtig!
Der teuflische Gesichtsausdruck der Frau verhieß nichts Gutes, das erkannten die Erzengel auf den ersten Blick.
„Wer wagt es, mich beim Sex zu stören?“, knurrte sie. Sowohl die Erzengel, als auch Lilith zog die Brauen hoch. Mikaal räusperte sich.
„Verzeih uns unsere Störung aber es ist dringend.“
Der Mann wies auf die Frau, die noch immer mitten im Saal stand.
„Darf ich vorstellen, Alene, das ist Lilith. Genau genommen ist sie ab sofort deine Assistentin aber noch ist sie im Aufrag von Luzifer hier.“
Alenes Gesichtsausdruck entspannte sich ein wenig, als sie die Frau ihr gegenüber mit einem knappen Nicken begrüßte.
„Gut zu wissen. Und wie lautet Luzifers Auftrag?“, erwiderte sie, nahezu ausdruckslos.
„Krieg.“, kam es von Lilith zurück. Und zwar wie aus der Pistole geschossen. Alene zeigte für einige Sekunden keine Reaktion, dann blinzelte sie und neigte den Kopf.
„Noch einmal, bitte, was hast du gerade gesagt?“, sagte sie dann.
„Krieg. Luzifer hat mich geschickt, um einen Krieg zu beginnen. Mit den Erzengeln.“
Liliths Worte wollten nicht in ihren Kopf. Warum, zum Teufel wollte Luzifer jetzt noch einen Krieg beginnen? War ie ganze Sache genau genommen nicht schon gelaufen?
„Unterstehst du jetzt nicht meinem Befehl? Also warum hörst du auf diesen Mann?“, sagte Alene, nun ein wenig gefasster.
„Ich kann ihn nicht im Stich lassen.“, erwiderte die Frau. Bildeten die Erzengel sich das ein, oder wirkte die Frau mit einem Mal unsicher?
„Warum?“
Alene klang eiskalt und Mikaal war sich sicher, dass sie sich absichtlich so hart erscheinen lassen wollte.
„Das...ist schwer zu erklären.“ murmelte Lilith unsicher. Alenes Mundwinkel zuckten, doch sie unterdrückte es. Da war tatsächlich ein roter Schimmer auf den Wangen der Blondine zu erkennen.
„Können wir uns unter vier Augen unterhalten, Lilith?“, fragte sie, schwach lächelnd.
Die Blondine war zwar misstrauisch, willigte jedoch ein. Und so kam es, dass die beiden zu zweit den Raum verließen. Die Engel starrten ihnen nach, als sich die Tür des Saals plötzlich erneut öffnete. Lyes kam knurrend angerauscht.
„Darf ich fragen, was los ist?“, knurrte er. Uriel war so nett, ihm alles zu erklären.
„Tut mir leid, wenn ich ein wenig herzlos erscheine aber um ehrlich zu sein freue ich mich, mal etwas mit einer Frau zutun zu haben.“
Alenes Lächeln wurde breiter und auch Lilith schien langsam aufzutauen.
„Muss ich Angst haben?“, fragte sie aufmerksam. Ein Hauch von Arroganz schwang in ihrer Stimme mit, doch Alene ignorierte diesen.
„Nein, keine Sorge. Ich möchte nur wissen, warum du so weit für Luzifer gehst.“
Erneut legte sich ein zarter Hauch von rot auf ihre Wangen.
„Kann ich dir das wirklich verraten?“, fauchte sie und verschränkte die Arme. Alene lächelte, fast schon liebevoll.
„Natürlich! Ich werde dir in Zukunft zwar Befehle erteilen aber eine Tyrannin möchte ich nicht sein. Ich würde mich freuen, wenn das Verhältnis zwischen uns einigermaßen gut bleibt.“
Eine Weile lang schien Lilith zu überlegen. Langsam lief sie auf uns ab, dann, ganz plötzlich blieb sie stehen.
„Ich liebe Luzifer. Und er liebt mich auch. Wenn ich ihm sage, dass ich keinen Krieg anfangen will, ist er am Boden zerstört. Das kann ich ihm nicht antun, weißt du?“
Lilith klang so verletzlich, dass Alenes Mundwinkel nach unten sackten. Doch am Ende lächelte sie doch. Ja, sie sah in dieser Frau schon jetzt eine Freundin.
„Du würdest für die Liebe also einen Krieg beginnen, hm?“, murmelte Alene. „Für gewöhnlich würde ich das loben aber hältst du das wirklich für eine gute Idee?“
Noch bevor Lilith antworten konnte, wedelte Alene mit der Hand und sprach weiter.
„Ich...hätte wirklich kein Problem damit zur Feindin der Erzengel zu werden, ich bin jetzt schließlich der Teufel. Aber...ich kann es nicht riskieren, dass Dämonen um's Leben kommen. Das sind immerhin meine Leute!“
Die junge Frau blinzelte und hielt inne. Träumte sie? Bildete sie sich das nur ein? Sah sie tatsächlich Tränen in den Augen der Frau?
„Aber was soll ich denn tun? Ich will Luzifer wirklich nicht verlieren, verstehst du?“
Alenes Augen trübten sich.
„Vielleicht müssen wir einfach mit ihm reden?“, schlug sie vor. Aber sie war selbst nicht davon überzeugt.
„Was soll das bringen?“, hauchte Lilith. „Er will dich tot sehen. Und Lyes würde er am liebsten auch den Hals umdrehen.“
In einer beruhigenden Geste legte Alene ihr die Hand auf die Schulter.
„Es wird keinen Krieg geben, Lilith. Schick die Dämonen fort und sorg dafür, dass Luzifer nichts davon mitbekommt. Lass ihn im Glauben, dass der Krieg in vollem Gange ist. Ich komme nach und dann kann Luzifer einpacken. Wenn du ihn so sehr liebst sorge ich dafür, dass das Ganze friedlich ausgeht. Alles klar?“
Lilith nickte, völlig sprachlos und folgte Alene zurück in den Saal, wo die Erzengel schon warteten.
15th
Alene konnte nicht reagieren. Lyes zog sie bereits in seine Arme und küsste sie stürmisch.
„Wir schaffen das, hörst du?“, hauchte er ihr ins Ohr. Die Frau schob ihn zurück und zog die Stirn kraus.
„Hä?“, war alles, was sie herausbrachte. Sie verstand kein Wort von dem, was er sagte.
„Der Krieg.“, half er ihr auf die Sprünge und ergriff ihre Hände. Alene zeigte ein breites Grinsen. Sie sah über seine Schulter zu den Erzengeln und verkündete: „Es wird keinen Krieg geben!“
Zufriedene Gesichter.
„Warum nicht?“, fragte Sabriel sicherheitshalber noch einmal nach.
„Weil ich das Leben meiner neu gewonnenen Leute nicht auf's Spiel setzen kann. Noch bin ich nicht so herzlos wie Luzifer.“, war ihre Antwort. Lyes war beeindruckt. Seine Frau hatte sich keineswegs schon mit ihrem Schicksal abgefunden, doch nichts desto Trotz hatte sie eine weise Entscheidung getroffen.
„Was ist mit den ganzen Dämonen, die hier sind?“, meldete Mikaal sich zu Wort.
„Ich kümmere mich darum, keine Sorge.“
Alene nickte Lilith zu, die dann schnell und heimlich verschwand. Uriel lächelte. Teils liebevoll, teils beeindruckt.
„Tja, dann hast du nun wohl das Sagen über diese Legionen.“, murmelte er leise.
„Bist du dir sicher, dass du das schaffst?“, fügte er hinzu.
„Ich muss.“, erwiderte Alene. Lyes legte den Arm um sie und lächelte aufmunternd.
„Sie schafft das schon, Uriel, mach dir mal keine Gedanken. Außerdem bin ich ja noch da.“
Alene musste ebenfalls lächeln. Vielleicht konnte sie sich ja doch mit ihrem Schicksal anfreunden?
„Du bist schon zurück?“
Luzifer sah Lilith an, die auf ihn zukam.
„Der Kampf ist in vollem Gange.“, erwiderte sie lächelnd. Zufrieden lehnte der Mann sich zurück. Dennoch war ihm der komische Ausdruck in ihren Augen nicht entgangen.
„Das freut mich wirklich zu hören aber irgendwas beschäftigt dich trotzdem, stimmt's?“, sagte er und zog die Frau auf seinen Schoß. Etwas in ihren Augen blitzte auf.
„Mag sein, dass alles gut läuft aber hältst du einen Krieg wirklich für angebracht? Das sind...waren schließlich deine Leute, die nun von den Engeln getötet werden.“, antwortete Lilith nachdenklich.
Nicht mehr lange und Alene würde hier auftauchen. Vielleicht half es ja, Luzifer vorab schon mal ein bisschen ins Gewissen zu reden? Lilith schweifte mit den Gedanken ab. Alene hatte sie beeindruckt. Sie hatte sich diese Frau ganz anders vorgestellt. Im Großen und Ganzen wirkte Alene zwar kalt und erbarmungslos, von ihrer einschüchternden Aura mal ganz zu schweigen, doch sie konnte genauso gut auch mal nett, liebevoll und fürsorglich sein. Das war genau die richtige Mischung für den Posten als Teufel.
Und sie war verantwortungsbewusst! Sie würde sogar die Freundschaft zu den Erzengeln aufgeben, nur um die Bewohner der Hölle zu schützen. Dabei kannte sie die noch nicht einmal. Vielleicht...würden sie und Lilith ja sogar Freundinnen werden? Wenn Lilith mal genauer darüber nachdachte wurde ihr klar, dass sie nie wirklich eine Freundin gehabt zu haben schien. Das war doch irgendwie traurig, oder nicht?
Plötzlich kamen ihr zweifarbige Augen in den Sinn. Alene hatte sicher auch nie Freunde gehabt. Menschen verabscheuten körperliche Merkmale wie diese zu sehr. Sicher hatte sie es als Kind schwer gehabt. Wurde ausgegrenzt und von anderen Kindern gehänselt. Luzifers Stimme riss Lilith mit einem Mal aus den Gedanken.
„Ganz genau! Es sind nicht mehr meine Leute. Genau deswegen macht es mir nichts aus, dass sie sterben. Das ist von nun an nicht mehr mein Problem, sondern das des Teufels.“
Entschieden schob er die Frau von seinem Schoß.
„Bist du etwa nicht auf meiner Seite?“, knurrte er. Lilith neigte den Kopf und zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine Falte.
„Doch.“, erwiderte sie ruhig. „Ich finde nur, dass deine Ideen mal besser waren.“
Luzifer schnaubte lediglich und Lilith sah zur Decke. Bitte, beeil dich Alene.,dachte sie. Ehe er dahinter kommt!
„Warum so ein verbissener Gesichtsausdruck?“
Mikaal versuchte zu lächeln, was bei Alenes grimmiger Miene allerdings gar nicht mal so einfach war.
„Wie soll ich bitte gut drauf sein? Wir werden uns ab jetzt, so gut wie gar nicht mehr sehen.“, zischte sie. Lyes legte seufzend den Arm um sie. Er sagte nichts dazu.
„Warum so pessimistisch?“, mischte Uriel sich ein. „Wir können doch hin und wieder einfach bei dir vorbei schauen.“
Die Frau zog, nicht wirklich überzeugt, die Brauen hoch.
„Ich bitte euch! Ihr wisst genauso gut wie ich, dass das nicht stimmt!“
Bedrückende Stille.
„Ich...bin wirklich froh euch meine Freunde nennen zu dürfen aber...eine Freundschaft wird nicht mehr funktionieren, wenn ich meinen Platz auf dem Thron eingenommen habe. Wir...werden Feinde sein.“, fuhr sie fort. Nun traute sich keiner mehr, etwas zu sagen. Sie wollten es sich eigentlich nicht eingestehen, doch sie wussten nur zu gut das die Frau Recht hatte. Von nun an sollte alles noch schwieriger werden.
„Wir sollten nicht so negativ denken. Irgendwann wird sich schon irgendeine Möglichkeit finden.“, sagte Mikaal leise. Alene lächelte und nickte, doch insgeheim glaubte sie nicht daran. Sie war sich ziemlich sicher, dass auch kein anderer der hier anwesenden daran glaubte.
„Dann ist das jetzt der Abschied?“, sagte Sabriel. Er musste ehrlich zugeben, dass diese...Frau ihn beeindruckte. Dennoch blieb er misstrauisch. Mehr als das. Er glaubte wirklich daran, dass diese Frau den Erzengeln noch Probleme bereiten würde.
„Definitiv.“, erwiderte Alene nickend.
Mikaal und Uriel erhoben sich und Alene und Lyes erkannten sofort, was die beiden Erzengel vorhatten. Nacheinander umarmten die beiden Männer Alene.
„Ich bitte dich, Kleines, mach keine Dummheiten!“, hauchte Mikaal ihr ins Ohr.
„Ich werd's versuchen.“, erwiderte sie leise. Dann war Uriel an der Reihe.
„Ich bin tatsächlich überzeugt, dass du nur die richtigen Entscheidungen treffen wirst.“, sagte er. Alene wusste, dass sie Fehler machen würde, doch im Moment vertraute sie einfach mal auf seine Worte. Lyes packte die Frau am Arm und zog sie in seine Arme zurück.
„Ich bin mir sicher, dass wir uns noch einige Male sehen werden, von Alene jedoch...“
Der Todesbote sah auf sie herab.
„Sind wir dann hier fertig?“, sagte er leise zu Alene. Diese nickte, wortlos. Und ehe ihr nun auch noch die Tränen in die Augen steigen konnten, kehrte sie den Erzengeln den Rücken zu.
Azrael atmete tief durch. Er war sich nicht sicher, ob er diesen Schritt wirklich gehen sollte, doch das was im Himmelsreich passierte zwang ihn ja gerade so nur dazu. Also dachte er nicht länger darüber nach und stürmte in den Saal, in dem Luzifer sonst immer auf seinem Thron saß. Dieses Mal jedoch war es anders. Der Mann saß nicht auf seinem Stuhl, sondern lief in der Mitte des Saales bedächtig auf und ab.
„Was fällt dir ein, einen Krieg anzuzetteln?“, brüllte Azrael drauf los. Irritiert blieb Luzifer stehen und drehte sich in seine Richtung.
„Du wagst es noch, mir unter die Augen zu treten?“, brüllte er und stand kurz davor, sich auf den Mann ihm gegenüber zu stürzen.
„Du wagst es, einen Krieg zu beginnen? Obwohl du nicht einmal im Besitz deiner Kräfte bist?“, erwiderte Azrael ebenfalls brüllend und trat einen Schritt auf den ehemaligen Teufel zu. Seine geballten Fäuste zitterten gefährlich.
„Was geht dich das an, hm? Du hast mich schließlich hintergangen und gegen mich gestellt. Also warum sollte ich dir meine Pläne verraten?“, antwortete Luzifer und trat unauffällig einen kleinen Schritt zurück. Auch wenn Azrael kurz vor'm Explodieren stand, er beschloss es ruhig angehen zu lassen.
„Luzifer, ich bitte dich. Glaubst du nicht, dass du überreagierst? Sowohl ich, als auch Lyes haben dir nie Ärger bereitet. Du kannst keinen Krieg beginnen, nur weil Lyes endlich seine Liebe gefunden hat. Du und Lilith seid schließlich auch mehr als nur Herrscher und Dienerin, oder täusche ich mich? Du...“
Azrael wurde jäh unterbrochen. Luzifers Augen wurden groß.
„Woher weißt du von Lilith und mir?“, hauchte er. Der Seelensammler war überrascht. Er wusste nichts?
„Du hast es nicht gemerkt? Viele Dämonen wussten es. Es war unübersehbar.“
Hektisch schüttelte der Mann ihm gegenüber den Kopf.
„Das tut doch jetzt gar nichts zur Sache. Ich dulde nicht, dass jemand anderes meinen Platz einnimmt. Und das die Erzengel Hilfe leisten passt mir auch nicht. Ich muss dagegen vorgehen, eine andere Möglichkeit gibt es nicht!“, knurrte er.
„Azrael hat Recht, Luzifer. Warum können wir nicht einfach zusammen arbeiten?“
Die beiden Männer drehten sich um und entdeckten Alene, die zusammen mit Lilith den Saal betrat. Augenblicklich veränderte sich Luzifers Haltung. Er ging in Kampfstellung.
„Lilith, komm sofort hierher!“, befahl er Mann. Die Blondine zögerte einen Augenblick und wollte sich dann in Bewegung setzen. Jedoch hielt Alene sie zurück.
„Sie muss dir nicht mehr gehorchen, Luzifer. Sie handelt nur aus Liebe, damit das klar ist. Und nun lass uns Klartext miteinander reden.“
Der ehemalige Teufel schüttelte den Kopf.
„Ich wüsste nicht worüber. Und nun komm her, Lilith.“
Alene ließ die Frau gehen. Diese hätte Luzifer nun gerne umarmt, doch sein stechender Blick ließ sie nervös innehalten.
„Was machst du bei dieser Frau?“, fragte der Mann und sah wütend auf Lilith herab.
„Sie ist gar nicht so übel. Aber du machst dir ja nicht die Mühe sie besser kennenzulernen. Vielleicht würdet ihr euch sogar verstehen?“
Lilith klang hoffnungsvoll, was Luzifer sofort bemerkte. Für einen Moment klang seine Wut ab. Nachdenklich legte er der Frau die Hand an die Wange.
„Dein hoffnungsvoller Klang irritiert mich. Du weißt was ich davon halte, Süße. Nämlich gar nichts!“
Auch Shira wurde nachdenklich.
„Ich hätte den Teufel...verzeihung, den ehemaligen Teufel für klüger gehalten, ehrlich.“, murmelte sie. Sie setzte sich in Bewegung und ging genau auf Luzifer zu.
„Du riskierst mit einem Krieg das Leben vieler Unschuldiger. Sowohl Engel als auch Dämonen. Und ausgerechnet so jemand will weiter über das Leben der Menschen richten?“
Der Mann fletschte bei ihren Worten die Zähne. Was fiel diesem Rotzgör eigentlich ein?
„Du wagst es über diese Aufgabe zu reden, wo du selbst nicht die geringste Ahnung davon hast?“, knurrte er laut. Alenes Mundwinkel zuckten.
„Du musst wissen, dass ich mir selbst einiges zutraue. Im Gegensatz zu dir, bin ich sensibel genug um diesen Job zu machen. Und auf den Kopf gefallen bin ich auch nicht. Und ohne selbstverliebt klingen zu wollen glaube ich, dass ich viel besser sein werde als du es je warst.“
Gewagte Worte, wie auch Lilith und Azrael fanden. Doch insgeheim gaben sie ihr Recht. Alene war weitaus sensibler als Luzifer. Doch besagtem Mann gefielen diese Worte natürlich gar nicht. Es schien als würden Funken aus seinen Augen sprühen und Alene ahnte, dass sie schon längst eine Grenze überschritten hatte. Nun wurde es gefährlich. Luzifers Hand schnellte hervor und war bereits dabei Alenes Kehle zu umschließen, doch ohne Mühe zu zeigen löste die Frau die Hand von ihrem Hals.
„Bist du wirklich so dumm, Luzifer?“, knurrte Alene so leise, dass nur der Mann es hören konnte.
„Ich bin im Besitz deiner Kräfte, also wie willst du gegen mich ankommen?“
Luzifer wusste das nur zu gut, doch er hatte immer noch seine Muskelkraft. Er stieß Alene an, ziemlich kräftig sogar wie sie zugeben musste, und lief los. Alene seufzte und rannte ebenfalls los. Und somit begann die Jagd.
Erleichtert ausatmend ließ Uriel sich auf seinen Platz fallen. Die Dämonen waren fort.
„Nicht zu fassen aber Lilith hat auf Alene gehört. Ist die neue Königin schon unterwegs.“, fragte er schmunzelnd und richtete seinen Blick auf Lyes. Der bestätigte mit einem Nicken.
„Ja. Und genau deswegen werde ich mich gleich auch sofort auf den Weg machen. Ich habe ein ungutes Gefühl im Magen wenn ich daran denke, dass Alene es allein mit Luzifer aufnimmt. Wahrscheinlich auch noch gerade in diesem Moment.“
Mit verkniffenem Gesichtsausdruck fuhr er sich mit den Händen durchs Haar.
„Ich hau jetzt besser ab, bevor mich wirklich die Panik überkommt.“
Die Erzengel hatten gar keine Gelegenheit dazu noch etwas zu erwidern, der Mann machte sich bereits aus dem Staub. Mikaal schnaubte belustigt, doch hinter der Fassade blieb er nachdenklich. Noch immer hatte er Alenes Worte im Kopf. Sie hatte Recht, sie und die Erzengel würden keine Freunde mehr sein. Es war richtig so, sie war immerhin der Teufel. Doch hart war es dennoch.
Was hast du dir nur dabei gedacht?, dachte er, an den Allmächtigen gewandt. Doch er bekam keine Antwort. Natürlich nicht, es kam so gut wie nie vor das der alte Mann sich zu Wort meldete. Viel mehr machte er sich anders bemerkbar. Durch Schriftzeichen zum Beispiel. Zugegeben, bei Alene hatte er sich zur Wort gemeldet, doch diese Frau war sowieso eine Ausnahme.
„...al.“
Er hatte sich zwar nie Gedanken darüber gemacht, doch gab es nicht irgendeine Möglichkeit um mit dem Allmächtigen in Kontakt zu treten?
„Mikaal!“
Er blinzelte und war mit einem Schlag zurück in der Realität.
„Was denn?“, brummte er. Sabriel neigte den Kopf. Er war es, der den Man aus den Gedanken gerissen hatte.
„Was beschäftigt dich so sehr?“, fragte er aufmerksam.
„Alene.“, seufzte er. „Irgendwie ist es schade, dass eine Freundschaft nicht mehr möglich sein wird.“
Uriel nickte. Er empfand genauso wie Mikaal.
„Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.“, donnerte Sabriel. „Alene ist von nun an der Teufel und somit unser Feind. Es besteht die Möglichkeit, dass sie in der Unterwelt andere Seiten aufziehen wird, wodurch ein besseres Verhältnis zwischen Engel und Dämonen entstehen könnte aber seien wir doch mal ehrlich; fast alle von uns glauben, dass Alene vom Weg abkommen wird. Sie hat bisher fast nur schlechtes von der Welt gesehen und ich bin mir verdammt sicher, dass sie bei einigen Menschen auf Rache aus sein wird.“
Uriel kniff die Lippen zusammen. Zugegeben, dieser Gedanke war ihm durchaus gekommen, doch so richtig vorstellen konnte er sich das nicht.
„Wir müssen aufhören so pessimistisch zu denken.“, mischte Mikaal sich wieder ein. „Wir müssen an Lyes und Azrael denken, die beiden werden ihr schon bei allem helfen.“
Sabriels Miene verdüsterte sich.
„Mag ja sein, dass die beiden uns einigermaßen geholfen haben aber wir dürfen nicht vergessen, dass sie in die Hölle gehören. Sie sind vielleicht keine Dämonen aber richtige Engel sind sie auch nicht.“
Mikaal und Uriel gefiel gar nicht, wie sich dieses Gespräch entwickelte.
„Sabriel, was hast du vor?“, knurrte Uriel. Der Erzengel zeigte ein gefährliches Lächeln.
„Sobald Alene Luzifer aus dem Weg geschafft hat, schleusen wir einen unserer Männer in die Unterwelt ein. Und mit der Zeit werden wir sehen, wie gut die Kleine wirklich in ihrem Job sein wird.“
Uriel und Mikaal tauschten beunruhigt einen Blick aus.
16th
Fluchend beschleunigte Alene. Dass das Anwesen, welches nun ihr gehörte, so verdammt groß und komplex war gefiel ihr ganz und gar nicht. Das Luzifer sich hier auskannte wie in seiner Westentasche war ein klarer Vorteil, weswegen es auch kein Wunder war das er solch einen riesigen Vorsprung hatte. Alene hatte Schwierigkeiten ihn im Augen zu behalten. Ständig war er schon wieder aus ihrem Blickfeld verschwunden, weil er wieder einmal in irgendeinen Gang abgebogen war. Vielleicht war es Glück, dass sie immer die richtige Abzweigung nahm, vielleicht auch einfach nur ihr Gefühl welches ihr verriet; hier ist er lang!
Ihr war schon aufgefallen das sie weitaus schneller war als sonst, doch wie kam es dann, dass Luzifer immer noch schneller war wie sie? Er hat einfach längere Beine, als ich., dachte sie mit einem Seufzen und kam in einem schmalen Gang zum stehen, der nicht beleuchtet wurde. Es war so dunkel, dass sie Mühe hatte etwas zu erkennen. Lediglich die Umrisse der Wand waren erkennbar. Vorsichtig und sich mit den Händen vorantastend setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis der Gang schließlich in einem kleinen Saal mündete, der ebenfalls auf Fackeln oder ähnliche Beleuchtung verzichtete. Alene blieb stehen.
Da sie Luzifer schon längst aus den Augen verloren hatte, nahm sie sich die Zeit um ihre Umgebung eingehend unter die Lupe zu nehmen. Was genau genommen nichts brachte, da sie eh kaum etwas erkennen konnte. Es war still. Zu still wie sie fand. Das Blut rauschte in ihren Ohren und ihr Herzschlag kam ihr unerträglich laut vor, weshalb sie ein paar Mal tief durchatmete. Am Ende war nicht einmal ihr Atem zu vernehmen. Mehrere Minuten lang verharrte sie, ohne ein Geräusch zu verursachen.
„Du versteckst dich?“, rief sie laut und hoffte, den Mann so aus der Reserve zu locken.
„Das ist ziemlich armselig, weißt du?“
Vorsichtig setzte sie sich wieder in Bewegung. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit. Irgendetwas war hier komisch. Luzifer war hier noch immer klar im Vorteil, doch das jagte ihr auch keine Angst ein.
Ein Surren in der Luft ließ sie aufschrecken. Sie duckte sich, worauf etwas über ihren Kopf hinweg sauste. Mit einem Klirren fiel es zu Boden. Ohne ihre Deckung zu vernachlässigen trat Alene einen Schritt vor und bückte sich nach dem Gegenstand. Als ihre Finger Metall berührten war ihr klar, dass es sich um ein Messer handelte. Sie nahm es zur Hand und ging wieder in Stellung.
„Oha.“
Alene stieß einen Pfiff aus als ihr klar wurde, wie lang die Klinge in ihrer Hand war.
„Du meinst es also wirklich ernst.“, murmelte sie.
Langsam drehte sie sich um sich selbst. Sie erkannte immer noch nichts, dabei mussten sich ihre Augen schon längst an die Finsternis gewöhnt haben. Da! Schon wieder sauste etwas auf sie zu. Sie spürte einen Luftzug, dann rieselten ein paar Strähnen ihrer Haare zu Boden. Realisieren tat sie es nicht, der nächste Luftzug ließ sie blitzschnell die Arme vors Gesicht heben. Eine Faust prallte auf ihre Arme und das so kraftvoll, dass ein leises Knacken zu vernehmen war, welches von ihrer Speiche stammte. Sie zischte und holte nun zum Gegenschlag aus. Ihre geballte Faust schnellte nach vorne, traf jedoch ins Leere. Ein Lachen ertönte, tief und kehlig, doch Alene konnte nicht ausmachen von wo es kam.
„Jetzt bist du nicht mehr so vorlaut, hm? Das hier ist mein Revier, meine Liebe, hier hast du keine Chance! Aber ich glaube, das hast du schon gemerkt.“
Luzifers schadenfrohe Worte entlockten Alene ein tiefes Knurren, welches sie selbst erschreckte.
Licht., dachte sie aufgebracht. Ich brauche Licht!
Angestrengt dachte sie nach. Es musste eine Möglichkeit geben Licht zu erzeugen aber sie war unerfahren. Mochte ja sein, dass sie nun viele außergwöhnliche Fähigkeiten hatte aber Licht erzeugen? Das klang sogar in ihren Ohren bescheuert!
„Hilfe, gefällig?“, hauchte ihr plötzlich jemand ins Ohr.
Eine Männerstimme, die sie ziemlich vermisst hatte. Eine kleine Flamme flackerte neben ihr auf. Das Lyes ein Feuer in seiner Hand entstehen lassen konnte, beeindruckte Alene zutiefst.
Ob sie das wohl auch konnte? Irgendwann?
„Ich bin froh, dass du hier bist?“, hauchte sie leise und ergriff seine Hand.
„Ich auch.“, knurrte der Mann leise und ließ den Blick schweifen.
„Der Gedanke, dich alleine mit Luzifer zu lassen gefällt mir ganz und gar nicht.“
Alene schluckte. So rührend sie das auch fand, so einfach sollte das nicht sein.
„Lyes...“, begann sie zögernd. „Ich weiß, dass die das jetzt nicht gefällt, Lyes, aber gegen Luzifer muss ich alleine kämpfen.“
Der Todesengel presste die Lippen zusammen. Nein, das gefiel ihm in der Tat nicht, doch sie hatte Recht. Das hier war ihr Kampf, nicht seiner.
„Du hast hier nichts zu suchen, Lyes. Verschwinde!“, zischte Luzifer aus der Dunkelheit.
„Vergiss es!“, knurrte Lyes und schloss Alene kurz in seine Arme.
„Mach dich bereit, hörst du?“
Sie nickte. Hatte er etwas geplant? Sie blinzelte, dann flackerte eine Flamme nach der anderen auf, und zwar an den Wänden des runden Saals. Es schien, als schwebten sie einfach in der Luft wie kleine Glühwürmchen. Und mit diesen kleinen Flammen erschien auch Luzifer endlich. Wie ein Rachegott stand er da, den Kopf nach vorne geneigt, die Fäuste geballt. Sein Blick war unaufhörlich auf Alene gerichtet, die schmunzelnd wieder zu Lyes sah.
„Wenn Blicke töten könten, hm?“
Die Mundwinkel des Mannes zuckten ebenfalls.
„Dann wäre der Kampf schon vorbei. So einfach soll es aber nicht sein.“
Mit diesen Worten trat er auch schon einige Schritte zurück. Alene hatte keine Zeit mehr, sich mental auf den Kampf vorzubereiten, Luzifer stürzte bereits auf sie zu.
„Na toll.“, waren ihre letzten Worte.
Peinlich berührt erwiderte Lilith Azraels Blick.
„Hast du die Wahrheit gesagt? War es wirklich so offensichtlich, dass wir...naja, du weißt schon...“, murmelte sie. Der Seelensammler nickte unbekümmert.
„Allerdings. Aber mach dir nichts weiter draus, es gibt schließlich schlimmeres.“
Aufmunternd lächelte er ihr entgegen, doch die Frau erwiderte es nicht.
„Ja, der Kampf gerade in diesem Moment zum Beispiel.“
Mit diesen Worten sah sie zur Tür, aus der Luzifer und Alene gerade verschwunden waren. Sie wäre am liebsten hinterher gestürmt, doch der Seelensammler hatte sie zurückgehalten. Darüber hatte sie sich zwar geärgert, doch letztens Endes hatte sie eingesehen, dass dies die richtige Entscheidung war. Beide waren sich sicher, dass Luzifer sie irgendwie daran gehindert hätte, in den Kampf einzugreifen. Und sie waren sicher, dass auch Alene das nicht gewollt hätte. Außerdem reichte es, dass Lyes bei ihr war. Er würde ihr schon helfen. Er war gerade noch hier gewesen, hatte sich nach dem Wohl seines Bruders erkundigt und wollte dann wissen, in welche Richtung der neue und der alte Teufel verschwunden waren. Lilith konnte gar nicht so schnell gucken, wie Lyes verschwunden war. Tja, hier standen sie also. Sie wussten selbst nicht was sie tun sollten. Einfach darauf warten, dass man verkündete das der Kampf ein Ende hatte? Hilflos sah Lilith Azrael an. Sie hatten nie groß etwas miteinander zutun gehabt, doch nun kam es ihr so vor als wären sie schon Jahrtausende lang eng befreundet.
„Und was machen wir nun?“, fragte sie leise und kaute auf dem Fingernagel ihres Daumes.
„Darauf warten, dass es ein Ende findet.“, antwortete Azrael und ging auf die Tür des Saales zu.
„Ich gehe zu den Erzengeln. Möchtest du mitkommen?“
Schwach lächelnd sah er über seine Schulter. In den Augen der Frau blitzte etwas auf. Würden die beiden vielleicht noch Freunde werden? Sie nickte und Azrael fand, dass die Frau in diesem Moment aussah wie ein kleines Mädchen.
„Na, dann komm.“
Und sie gingen.
Keuchend ging Alene auf die Knie. Dieser Schlag in die Magengrube hatte sie erwischt.
Blut und Galle stiegen in ihrer Kehle auf, doch sie schluckte und zwang sich dazu, wieder aufzustehen. Lyes stand kurz davor einzugreifen, doch als er sah das sie wieder auf die Beine kam, atmete erleichtert auf. Der Kampf dauerte gerade mal fünf Minuten, doch sowohl Luzifer als auch Alene hatten bereits Wunden erlitten, die eigentlich hätten versorgt werden müssen. Lyes schluckte. Alene schlug sich verdammt gut, auch wenn unübersehbar war, dass sie keinerlei Kampferfahrung hatte. In Gedanken bat Lyes den Allmächtigen um Hilfe, doch er wusste das der sich nun aus allem raushalten würde. Alene war der Teufel, von nun an gerieten der Allmächtige und sie besser nicht aneinander. Lyes schob sämtliche Gedanken beiseite. Er hatte keine Zeit sich jetzt über solche Lapalien Gedanken zu machen. Er beobachtete weiter den Kampf.
Alene breitete ihre Flügel aus, um so einen festeren Stand zu bekommen und horchte kurz in sich hinein. Sie musste mehr Waffen haben als nur ihre Fäuste, sie musste diese nur erst noch entdecken. Sie atmete tief durch, während Luzifer sie nicht aus den Augen ließ. Irgendetwas war da, tief in ihr und sie verließ sich jetzt einfach darauf, ohne zu wissen was es überhaupt war.
Luzifer blinzelte und traute seinen Augen kaum, als Alene plötzlich vor ihm stand und ihre Faust direkt auf sein Gesicht zusauste. Alene lachte auf als ihre Faust direkt ins Schwarze traf. Sie hörte Knochen brechen. Nase und Kiefer. Sie staunte nicht schlecht, als die Wucht dieses Schlages den Mann weit durch die Luft warf und ihn schließlich hart auf den Boden aufprallen ließ. Der steinerne Boden splitterte sogar an einigen Stellen.
Lyes stieß einen Pfiff aus. Das waren in der Tat Luzifers Kräfte, die sie da gerade zutage förderte.
Alene lächelte und betrachtete ihre Hand.
Und was passiert, wenn ich an Feuer denke?, dachte sie. Nur wenige Sekunden, dann flammte ein kleines Feuer in ihrer Handfläche auf.
Und wenn es größer werden soll?, dachte sie dann, worauf die Flamme tatsächlich größer wurde. In sich hineinschmunzelnd tänzelte Alene zu Luzifer hinüber, der Mühe hatte wieder auf die Beine zu kommen. Die Flamme in ihrer Hand wurde kleiner als sie sich vorbeugte und mit der flammenden Hand Luzifers Kehle umschloss. Grausam lächelte sie.
„Na? Wie ist das, wenn ein anderer dich in der Hand hat, hm? So, wie du Lyes und Azrael all die Jahrtausende in der Hand hattest.“
Mit einem Mal merkte nicht nur Lyes, sondern auch Alene selbst wie grausam sie sein konnte. Mit solchen Seiten an ihr hatte sie noch nie Bekanntschaft gemacht. Sie verspürte ein wenig Angst, doch das schmerzerfüllte Zischen des Mannes vor ihr ließ sie dann doch wieder lächeln.
„Vielleicht steigt mir diese Situation gerade zu Kopf aber...so etwas sollte ich doch ausnutzen, findest du nicht?“, flüsterte sie. Sie spürte die verbrannte und klebrige Haut von Luzifer in ihrer Handfläche, ebenso wie sein Blut, welches so langsam durch die Haut durchsickerte. Sie lachte leise und lockerte ihren Griff ein wenig. Alene war gnädig und ließ ein wenig Luft in Luzifers Lungen. Gierig saugte dieser den Sauerstoff ein, doch er war nicht kräftig genug um ihre Hand vollständig von seinem Hals zu lösen.
„Es wäre nun so einfach...“, murmelte sie und drückte wieder fester zu. „Aber das wäre ja langweilig.“
Alene ließ los und trat einige Schritte zurück, um Luzifer aufstehen zu lassen. Doch es schien, als hätte er selbst dazu keine Kraft mehr. Lyes drängte es erneut dazu sich einzumischen, doch er hielt sich zurück. Der Kampf war noch sicher nicht vorbei, er hatte noch nicht einmal richtig begonnen.
Es dauerte einige Minuten, doch am Ende stand Luzifer wieder sicher auf den Beinen.
„Na los, töte mich! Das war doch der Plan, oder?“, sagte Alene, noch immer gut gelaunt. Luzifers Blick verdüsterte sich immer mehr, was Lyes ganz und gar nicht behagte. So komisch er Alenes Verhalten auch gerade fand, Luzifers fand er noch viel komischer. Ihm war sofort aufgefallen, dass er sich zurückhielt. Aber warum? Alene schien nichts gemerkt zu haben, was die ganze Sache noch gefährlicher machte. Sie würde noch überheblich werden. Lyes hätte Alene nur zu gerne vorgewarnt, doch genau genommen ging ihn dieser Kampf nichts an. Als ihre Blicke sich für einen kurzen Moment trafen, schien ihr klar zu werden was er ihr sagen wollte. Vorsichtig trat sie einen Schritt zurück aber Luzifer bekam von all dem nichts mit.
Alene ging für einen kurzen Moment ihren Gedanken nach. Sollte Luzifer sie die ganze Zeit getäuscht haben? Vielleicht ließ er all das über sich ergehen, um später zu einem schwerwiegenden Gegenschlag auszuholen? Sie neigte den Kopf. Irgendwie konnte sie sich das nicht vorstellen.
Dieser Mann hasste es, gedemütigt zu werden. Also wieso sollte er sich von ihr fertig machen lassen? Das würde er sich nie gefallen lassen. Andererseits...Lyes schien alarmiert zu sein und das aus einem guten Grund. Er hatte schließlich eine Weile länger mit diesem Mann zutun gehabt.
Alene trat noch einen Schritt zurück. Von jetzt an hielt sie sich besser zurück, sonst hätte sie am Ende keine Kraft mehr, wenn sie diese wirklich brauchte.
„Was ist? Wolltest du nicht kämpfen?“, riss der ehemalige Teufel sie aus den Gedanken.
„Kämpfen kann man das nicht nennen. Du wehrst dich ja nicht einmal.“, erwiderte sie ausdruckslos.
Jetzt wird er ja doch vorlaut., dachte Alene. Nun wurde sie doch misstrauisch. Verbarg er etwas von ihr? Sie sah, dass Luzifers Mundwinkel zuckten, weshalb ihre Augen sich verengten. Was ging hier vor sich? Dieses Gefühl das sie überkam, machte sie ganz kirre!
Irgendetwas bahnte sich hier an, Lyes merkte es auch. Dem Todesengel wurde klar, dass der Teufel weitaus mehr Geheimnisse besaß, als bisher angenommen. Plötzlich erzitterte der Boden.
Die Vibration stieg Alene in Mark und Bein. In kurzen Abständen bebte der Boden erneut. Und nicht nur der Boden, selbst die Decke fing an zu bröckeln. Irgendwas kam da. Aber was? Es musste riesig sein! Auf jeden Fall schienen es Schritte zu sein, die diese Beben verursachte. Lyes erschauerte. Nun bekam er es wirklich mit der Angst zutun. Und Alene sollte sich wirklich alleine dieser Herausforderung stellen? Ob er das zulassen konnte wusste er nicht. Wenn nicht, würde er vo hier verschwinden um keine Dummheiten anzustellen.
Die Beben wurden intensiver, dann hörten sie plötzlich auf. Beunruhigt wechselten Lyes und Alene einen Blick. Doch noch bevor sie darüber nachdenken konnten krachte es, und zwar gewaltig!
Staub und Dreck wirbelten auf und nahm den beiden die Sicht. Augenblicklich achteten sie wieder mehr auf ihre Deckung. Es dauerte einige Sekunden, dann konnten sie wieder etwas erkennen.
Der Frau stockte der Atem. In der Wand, links von ihnen, klaffte ein riesiges Loch, verursacht durch ein...Ja, durch was eigentlich? Nicht weit von ihnen entfernt stand ein riesiges Monster. Etliche Meter groß, dunkle Haut, braun bis schwarz, Hörner und Klauen, eine hässliche Fratze. Ein gigantischer Dämon!
„Was ist das?“, hauchte Alene.
Sie konnte nicht glauben, dass so etwas grässliches existierte. Lyes gefror das Blut in den Adern. Dieses Gesicht... Sollte das etwa...? Luzifers unheilvolles Lachen ertönte. Er konnte Lyes' Blick deuten.
„Ganz Recht, Lyes. Das ist Gael, dein Bruder.“
Alenes Augen weiteten sich. Hatte sie sich verhört? Schnell sah sie zu Lyes hinüber, um mit Schrecken festzustellen, dass Luzifers Worte der Wahrheit zu entsprachen schienen.
„Also ist es wahr?“, hauchte Lyes entsetzt. Mit einem Mal schien der ehemalige Teufel wieder seine vollständige Kraft zu besitzen. Als ob nichts gewesen wäre, schob er lässig seine Hände in die Hosentaschen.
„Allerdings...Gerade mal zehn Jahre war er in der Lage seinen Job auszuführen, dann überkam ihn der Wahnsinn. Mir blieb keine andere Möglichkeit als ihn einzusperren.“
„Wahnsinn?“, murmelte Alene und sah zu dem hässlichen Geschöpf. In ihrem Kopf ratterte es. Das sollte Lyes Bruder sein? Hätte er dann nicht eigentlich menschlich aussehen müssen und nicht wie ein...dämonischer Alptraum?
„Soll das heißen der Wahnsinn...hat ihn zu diesem Monster gemacht?“, flüsterte Lyes. Noch immer war er von blankem Entsetzen gepackt.
„Ganz genau. In diesem Zustand ist dein Bruder nicht mehr zu halten. Alles was er will, ist seine komplette Umgebung zu zerstören. Ihr solltet also aufpassen!“
Nachdem Luzifer diese Worte ausgesprochen hatte, trat er grinsend einen Schritt zurück. Als ob er einen Befehl ausgesprochen hätte, stürzte Gael auf Alene und Lyes zu. Panisch wichen die beiden ihm aus. Alene fluchte.
„Verdammt noch mal, ich habe keine Zeit, um mich um dieses Ding zu kümmern. Kannst du es irgendwie ablenken, Lyes?“
Der Blick des Mannes wanderte hin und her.
„Ihn abzulenken wird nicht möglich sein. Aber...ihn töten kann ich ihn auch nicht. Er ist schließlich mein Bruder. Es muss einen Weg geben, ihn zu retten!“
Alene war beunruhigt. Das Lyes so verzweifelt seinem Bruder helfen wollte, konnte im Kampf zu einem ganz schönen Problem werden. Sie musste sich auf Luzifer konzentrieren, da war keine Zeit für dieses hässliche Ding.
„Dann setz ihn irgendwie außer Gefecht!“, brüllte sie dann. Luzifer lachte gehässig.
„Ich habe schon alles versucht, es hat keinen Zweck. Würde es einen Weg geben, hätte ich ihn nicht eingesperrt.“
Alene sah zu Lyes.
„Da hast du's.“, murmelte sie. Nun wurde Lyes sauer. Alene würde ernsthaft nichts unternehmen? Obwohl es sich um seinen Bruder handelte? Fassungslos sah er die Frau an, die erwiderte den Blick jedoch fast herzlos.
„Jetzt in diesem Moment bleibt aber keine Zeit dafür. Wir haben gerade wirklich andere Sorgen.“, sagte sie leise. Der Mann senkte den Kopf und sagte nichts mehr dazu. Dann war es wohl nun seine Aufgabe, seinen Bruder einfach nur abzulenken. Doch er zweifelte daran, dass er das schaffen würde. Der Wahnsinn war bereits so weit fortgeschritten, dass Gael nicht mal mehr Zugriff auf sein Denken und Handeln hatte. So vermutete Lyes zumindest. Während Alene sich also Luzifer näherte, versuchte Lyes die Aufmerksamkeit von Gael zu erhaschen. Mithilfe seines magischen Feuers versuchte er, dem Biest eine Wunde zu verpassen, doch scheinbar schien sein Bruder es kaum zu merken. Doch es genügte, damit Gael sich Lyes zuwandte.
„Gut, jetzt hab ich seine Aufmerksamkeit.“, murmelte Lyes und überlegte, was er als nächstes tun sollte.
„Gael, ich bin es! Sieh mich an! Wir sind Brüder. Du musst dich doch an etwas erinnern.“, rief er fast schon flehend. Das Biest hielt tatsächlich einen Moment lang inne, doch bedauerlicherweise schien er kein Wort zu verstehen. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, holte Gael mit seiner riesigen Faust aus und ließ diese bereits niedersausen. Lyes breitete seine Flügel aus und schwang sich in die Lüfte. Vielleicht hatte er von hier aus ja bessere Chancen? Wieder sammelte er magische Energie in seiner Hand. Dieses Mal jedoch zielte er damit direkt auf seinen Kopf.
Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder würde ein Angriff auf seinen Kopf Wirkung zeigen und einen Schaden anrichten oder es würde nichts bringen, außer ihn abzulenken. Aber vielleicht würde das ja genügen. Mit kräftigen Flügelschlägen hielt Lyes sich in der Luft, während er sich auf seine Kraft konzentrierte und diese sammelte.
„Denk nach, Gael, ich bitte dich! Du kannst dich doch nicht einfach vom Wahnsinn einlullen lassen.“
Wieder einmal drang Luzifers grässliches Lachen an seine Ohren.
„Du versuchst ernsthaft, ihn durch Worte zu besänftigen? Soll ich dir mal was sagen? Weißt du, warum der Wahnsinn ihn überfallen hat?“
Augenblicklich hielt der Todesengel inne. Und es schien, als würde auch Gael Luzifers Worten lauschen.
„Ich weiß ganz genau wie genervt du und Azrael von der Art eures Bruders wart. Er war arrogant und überzeugt davon, dass er zu mehr in der Lage war. Er dachte schon immer, dass er zu höherem berufen war. Er konnte sich nie damit abfinden, dass es hauptsächlich immer nur um dich ging. Und genau diese Dinge haben ihn anfällig für diese...Krankheit gemacht.“
Mit angeekeltem Blick sah Luzifer Gael an.
„Soll ich ehrlich sein?“, fuhr der Mann fort. „Um ehrlich zu sein geschieht dir das ganz recht! Selbst ich war nicht so hochnäsig!“
Mit einem Mal schien sich die Atmosphäre zu verändern. Ein Brodeln stieg in der Luft auf und raubte sowohl Alene, als auch Lyes den Atem. Gael stieß ein Brüllen aus und wandte sich von Lyes ab. Er stapfte in Alenes Richtung, doch nachdem sie zur Seite gesprungen war, nahm er direkten Kurs auf Luzifer. Dieser reagierte erst einmal geschockt.
„Was soll das? Erledige die beiden und hör auf mit diesem Quatsch!, brüllte er und wies mit ausgestrecktem Finger auf die anderen beiden. Die Frau konnte ihre zuckenden Mundwinkel nicht verbergen.
„Sieht ganz so aus, als würden ihm deine Worte nicht gefallen.“, rief die dem blonden Mann zu und sah dann lächelnd zu Lyes hinauf.
„Glück im Unglück, würde ich sagen.“, murmelte dieser und landete neben der Frau.
„Ich kann nicht glauben, wie verrückt das Ganze ist.“, sagte Alene leise und beobachtete, wie Luzifer verzweifelt versuchte Gael wieder auf den richtigen Kurs zu bringen.
„Was machen wir nun?“, fragte Lyes mit hochgezogenen Brauen und verschränkte die Arme.
„Abwarten wie sich die Dinge entwickeln. Entweder wird Luzifer hier eine Weile lang beschäftigt sein oder dein Bruder macht kurzen Prozess.“
So lustig Lyes Alenes Schmunzeln auch fand, in diesem Moment war es eher beunruhigend. Erneut stieß Gael ein lautes, ohrenbetäubendes Brüllen aus. Alene hielt sich die Ohren zu. Ihr würde noch das Trommelfell platzen.
„Du verdammter...“, brüllte nun auch Luzifer lauthals. „Da lasse ich dich frei und was ist der Dank dafür? Deine beschissene Rachsucht!“
Ein Knurren ging durch die Brust des Dämons, dann wurde es kurz still.
„Du vergreifst dich um Ton!“
Alene und Lyes tauschten schockiert einen Blick aus.
„Seine Stimme klingt...genau wie damals.“, hauchte der Todesengel fassungslos. Alene ergriff seinen Hand und drückte diese. Ganz klar, das war ein Hoffnungsschimmer für ihn. Irgendwo, tief in diesem Monster existierte noch ein durchaus zurechnungsfähiger Mann. Auch, wenn inzwischen kaum noch etwas von ihm übrig zu sein schien. Irgendwie gefiel Alene das gar nicht. Lyes würde darauf bestehen ihm zu helfen, sie war sich sicher. Doch jetzt galt es erst einmal, diesen Wahnsinn zu überstehen.
„Sieh an, dein Verstand scheint ja doch noch zu funktionieren.“, lachte Luzifer.
Alenes Körper spannte sich an. War der Kerl bescheuert? In solch einer Situation so bescheuerte Sprüche abzulassen, war ja wohl mehr als nur dämlich! Der Kerl könnte schließlich draufgehen. Naja, vielleicht war der Typ ja doch nicht so schlau wie er vorgab zu sein? Gael ließ schon wieder ein unerträgliches Brüllen hören, doch auch das konnte Luzifers gute Laune nicht verderben.
„Naja...einigermaßen zumindest.“, fügte er leise hinzu.
Scheinbar hatte das Monster nun genug. Er ballte die riesige Hand zur Faust und ließ diese dann, ohne Gnade, herabsausen. Luzifer war jedoch nicht schnell genug, er hatte nicht das kleinste bisschen Kraft mehr übrig. Doch anstatt den ehemaligen Teufel zu zerquetschen, geschah etwas gänzlich anderes. Die riesige Hand umfasste seinen Körper blitzschnell und hob diesen dann in die Luft. Gael betrachtete den Mann, der zwischen seinen Fingern wie eine Ameise wirkte.
„Es ist ein Wunder das er uns versteht, so klein wie wir sind.“, murmelte Lyes.
„Du sperrst mich nicht noch einmal ein!“, brummte Gael. Dann verschwand Luzifer in seinem Mund.
„Ach du Scheiße!“, keuchte Alene und stolperte entsetzt einen Schritt zurück. Beinahe hätte sie das Gleichgewicht verloren. Auch Lyes musste zugeben, dass ihn die Panik überkam. Sein Bruder kaute unterdessen scheinbar genüsslich auf Luzifer herum, nach einigen Augenblicken schluckte er.
„Ziemlich zäh.“, brummte er noch, dann drehte er sich wieder zu Alene und Lyes um.
„Nun zu dir.“, brüllte er, den Blick auf seinen Bruder gerichtet. „Nie hast du, oder Azrael, dir die Mühe gemacht mir zu helfen. Das werde ich euch nicht verzeihen!“
Lyes trat ebenfalls einen Schritt zurück.
„Ich hatte doch keine Ahnung, was passiert war! Du warst auf einmal weg und Luzifer wollte nicht mit der Sprache herausrücken. Es gab Gerüchte, dass dich der Wahnsinn gepackt hat aber Azrael und ich haben lange Zeit nicht daran geglaubt. Immer schon gab es Gerüchte über diese Krankheit aber nie konnte man auch nur einen Fall nachweisen. Und ausgerechnet dich sollte es erwischt haben?“
Die Stimme des Todesengels ging in ein Brüllen über. Gael brüllte zurück und langsam aber sicher, bekam Alene Kopfschmerzen.
„Lüge! Es war euch egal. Allem voran dir. Du besitzt nicht einmal Gefühle, also warum solltest du die Wahrheit sagen?“
Verzweifelt sah Lyes zu der Frau.
„Sag es ihm!“, verlangte er. Doch die Frau schüttelte den Kopf.
„Nein. Er wird es nicht verstehen. Du zeigst gerade Gefühle wie sonst nie und er bemerkt es nicht einmal. Wie kannst du da von ihm verlangen, die Wahrheit zu begreifen?“
Alene konnte es selbst kaum glauben als sie sah, dass Lyes' Augen sich mit Tränen füllten.
„Aber was soll ich sonst tun?“, hauchte er. Alene trat näher an ihn heran und küsste ihn auf die Stirn.
„Loslassen.“, flüsterte sie. Dann stürzte sie auf den Koloss zu. Lyes' Beine gaben nach.
17th
Ein kräftiger Schlag mit den Flügeln genügte, dann war Alene in der Luft. Vom Boden aus würde sie nicht viel erreichen, dafür war Gael zu riesig. Es tat ihr leid für Lyes, keine Frage, doch sie würde diesem Monster ein Ende bereiten müssen. Es wäre zu gefährlich ihn am leben zu lassen. Wer wusste schon, ob sie es schaffen würden ihn einzusperren? Er hatte Luzifer einfach so verschlungen! Wie ekelhaft war das denn? Alene atmete tief durch und sammelte ihre Kräfte. Nebenbei bereitete sie sich mental auf den nun folgenden Kampf vor.
Feuer!, dachte sie und streckte die geöffnete Hand aus. Eine Kugel aus Flammen löste sich in ihrer Handfläche und sauste auf Gael zu. Mit einem Krachen trafen die Flammen auf das dämonenartige Geschöpf. Beißender Qualm stieg auf und brannte in Alenes Augen und Lungen. Kurze Zeit verschwamm auch ihre Sicht, doch nachdem sie ein paar Mal geblinzelt hatte ging es wieder. Sie rieb sich hastig noch einmal über die Augen und musterte dann den hässlichen Dämon. Voller Schreck stellte sie fest, dass Gael keinerlei Schaden davongetragen hatte, außer einem Brandfleck auf seiner Schulter.
„Das darf nicht wahr sein...“, hauchte sie und schlug noch ein paar Mal mit den Flügeln, um Gael zu umrunden. Er musste doch irgendeine Schwachstelle haben. Wenn sie mit Feuer hier nicht weiterkam, womit denn dann? Dieses Ding hatte Luzifer mal eben so verschluckt, da war er sicher noch zu weitaus mehr in der Lage! Verzweifelt zog die Frau ihr Schwert. Ob diese Klinge wohl etwas ausrichten konnte? Sie hoffte es wirklich! Im Sturzflug versuchte sie, mit der Klinge den Kopf des Riesen zu erwischen, doch wie ein stumpfes Buttermesser prallte sie an der scheinbar steinernen Haut damit ab.
„Scheiße!“, fluchte Alene lauthals und wich den gigantischen Fäusten aus, mit denen Gael nach ihr zu schlagen versuchte. Links, rechts, dann wieder links. Die Frau warf einen kurzen Blick auf Lyes, der noch immer benommen auf dem Boden kauerte. Bumm! Gael hatte sie erwischt. Ein gewaltiger Knall ertönte als Alene gegen die Steinwand prallte, die wie Papier nachgab und durchbrach. Würgend landete die Frau schließlich mit einem harten Aufprall auf dem Boden. Sie erbrach, hauptsächlich Blut, und versuchte verzweifelt zumindest auf alle Viere zu kommen. Doch es funktionierte nicht. Mindestens die Hälfte der Knochen in ihrem Körper waren zertrümmert, wahrscheinlich sogar weitaus mehr. Es war ein Wunder, dass sie noch bei Bewusstsein war.
Wahrscheinlich nicht mehr lange., dachte sie, als sie erneut erbrach.
Mehrere Organe waren vielleicht ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie schaffte es über ihre Schulter zu spähen und musste mit Schrecken feststellen, dass das Vieh es nun wohl auf Lyes abgesehen hatte.
„Du rührst ihn nicht an!“, flüsterte Alene.
Sie brauchte mehrere Anläufe, dann stand sie, wenn auch zitternd wieder auf den Beinen. Langsam atmete sie tief durch. Sie war in der Lage lediglich durch ihre Gedanken, ihre Kraft zu kontollieren. Sie musste also nur eine Waffe finden, die Gael zum Verhängnis werden konnte. Blut lief aus ihrem Mundwinkel.
Axt!, dachte sie. Sie spürte, wie sich Metall in ihrer Hand manifestierte. Völlig egal, wie verletzt sie nun war. Sie musste ihren Mann beschützen. Alles andere war unwichtig! Sie war nun der Teufel. Höchstwahrscheinlich das zweitmächtigste Wesen, welches existierte. Wenn sie eine Waffe haben wollte, die dieses Ding außer Gefecht setzte, dann würde sie die verdammt noch mal auch bekommen. Und wenn sie sie nur durch ihre Gedanken bekommen würde, sie würde sie auf jeden Fall kriegen! Schwer lag das Metall in ihrer Hand. Als Alene die Augen aufschlug hielt sie zwar keine Axt in den Händen, dafür aber eine Sense, sie sicher doppelt so groß war wie sie selbst. Die Klinge war weit geschwungen und schien die gleiche Länge zu haben, wie ihre gewaltigen Schwingen.
Heilen!, dachte sie dann. Erneut schlossen sich ihre Augen. Sie stellte sich bildlich vor, wie ihre Knochen wieder zusammenwuchsen. Es wollte nicht richtig funktionieren, dafür war sie zu geschwächt, doch es reichte um nicht das Bewusstsein zu verlieren. Es dauerte nur wenige Sekundenbruchteile, dann schlug sie mit den Flügeln und stürzte auf Gael zu. Dieser streckte gerade seine Hand nach Lyes aus.
„Wage es nicht, ihm auch nur zu nahe zu kommen!“, donnerte sie und schwang die monströse Klinge ihrer neuen Waffe. Lyes schreckte beim Klang ihrer donnernden Stimme auf. Augenblicklich stolperte er ein paar Schritte zurück. Er musste dringend Abstand von diesem Ding nehmen. Die Klinge von Alenes Sense fraß sich durch die Bauchdecke des Dämons. Blut bespritzte Alene und zu ihrer Verblüffung war es nicht rot.
„Schwarzes Blut?“, hauchte Lyes und begutachtete die klebrige Substanz, die langsam auf den Boden tropfte und dort eine Lache bildete.
„Vielleicht liegt es an dem Wahnsinn? Du sagtest, es sei eine Krankheit...“, meldete Alene sich keuchend zu Wort. Diese Waffe zu benutzen kostete sie eine verdammte Menge Kraft, wie sie feststellen musste. Vielleicht ist es eine magische Waffe?, überlegte sie, konzentrierte sich aber schnell wieder auf das Hier und Jetzt.
„Die Wunde schließt sich nicht.“, stellte sie leise fest, als sich ihr Blick wieder auf Gael richtete.
„Alene, siehst du das?“, meldete Lyes sich zu Wort. Er deutete auf seinen Bruder. Alene sah genauer hin und bemerkte, dass das dämonische Wesen kleiner geworden zu sein schien.
„Meinst du, das liegt an der Verletzung?“, murmelte sie und wich noch einmal Gaels Faust aus.
„Finden wir es heraus.“, sagte Lyes leise und griff ebenfalls zu seiner Sense. Er hatte keine Ahnung was passieren würde, wenn er seine Sense bei einem Wesen wie diesem benutzen würde, doch das galt es jetzt herauszufinden. Gemeinsam stürzten Alene und Lyes sich also auf Gael. Schon nach kurzer Zeit war klar, dass Lyes seinem Bruder die Seele nicht entziehen konnte. Der Wahnsinn schien dies zu verhindern. Er konnte ihm lediglich ein paar Verletzungen zufügen.
Doch das genügte. Alene und er waren ein starkes Team und das würden sie auch in Zukunft sein. Mit jeder Verletzung die sie Gael zufügten, schrumpfte er ein kleines Stückchen mehr. Alene schluckte und zog sich ein Stück aus dem Kampf zurück. Das Vieh hätte schon längst blutleer sein müssen, doch es kämpfte nur noch verbissener. Schwarzes Blut bedeckte den Boden und verwandelte den Saal in ein Meer. Etliche Schnitte und Wunden zierten die Brust und den Bauch von Gael. Dank Alenes Sense fehlten ihm bereits beide Hände, doch seltsamerweise schien ihn das nicht zu stoppen. Ihr gelang ein Lächeln. Gael sah fast schon wieder menschlich aus. Lediglich die Hörner und die Klauen waren noch vorhanden. Auch hatte er eine fast menschliche Größe erreicht. Alene hatte keine Ahnung von diesem sogenannten „Wahnsinn“, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass dieser Wahnsinn sich zurückzog. Vielleicht hatte Lyes Glück und würde den Rest lediglich durch Worte klären können. Gael war bereits dabei den Todesengel anzugreifen, doch letzterer richtete seine Sense auf seinen Bruder und brachte ihn dazu, stehen zu bleiben.
„Hör mir zu, Bruder!“, begann er. Tatsächlich hielt Gael inne. „Siehst du die Frau da?“
Lyes deutete auf Alene.
„Sie ist der neue Teufel und ich liebe sie! Ich habe Jahrtausende lang keine Gefühle gekannt aber ich schwöre dir, ich hatte keine Ahnung was damals passiert ist.“
Beunruhigende Stille. Glaubte Gael ihm oder war er verbissen genug, um weiterhin auf seine Meinung zu beharren? Der Dämon zeigte keine Reaktion, weshalb Alene beschloss sich nun wieder einzumischen. Von hinten hielt sie Gael die Klinge ihrer Sense an den Hals.
„Wir haben uns noch gar nicht einander vorgestellt.“, hauchte sie mit finsterem Lächeln.
„Mein Name ist Alene. Du bist Gael, richtig? Jetzt hör mir mal gut zu. Ich würde dich am liebsten köpfen aber Lyes zuliebe werde ich in diesem Moment darauf verzichten. Ich weiß nicht, was genau dieser Wahnsinn ist aber im Moment scheinst du bei klarem Verstand zu sein. Wir können gerne versuchen dir zu helfen, solltest du das gar nicht erst wollen, töte ich dich hier und jetzt auf der Stelle! Die Entscheidung liegt also ganz bei dir.“
Nun war auch Lyes gespannt. Er kannte Gael nur zu gut. Er war schon immer stur gewesen, sicher würde er keine Hilfe annehmen. Nicht sehr überraschend war es also, das Gael gar nicht erst darauf einging.
„Du willst also der neue Teufel sein?“, sagte er mit zuckenden Mundwinkeln.
„Eine Frau? Ich bin zwar von deinen Fähigkeiten beeindruckt aber wenn ich mich nicht täusche, warst du vor kurzem noch ein Mensch, richtig?“
Auch Alene war beeindruckt. Gael mochte zwar in Gefangenschaft gelebt haben, dennoch wusste er eine ganze Menge über die Geschehnisse der letzten Zeit.
„Korrekt, ich war ein Mensch. Und du ein Monster, also nenn mir einen Grund, warum ich dich am leben lassen sollte.“
Leise lachend schob der Mann Alenes Sense an seinem Hals zur Seite.
„Weil ich eine Menge weiß. Und Wissen ist ja bekanntlich Macht. Es wäre doch schade so viele Informationen, wie ich sie besitze, zu verschwenden.“
Lyes warf Alene einen bedeutenden Blick zu.
„Er hat Recht, Alene. Gael wurde erschaffen, um sämtliche Informationen zu verwalten. Niemand kann auch nur erahnen, was er alles zu wissen vermag.“, sagte er leise. Die Frau zog die Brauen hoch.
„Und das sagst du mir jetzt erst?, murmelte sie. Augenblicklich wurde ihr Gesicht wieder ausdruckslos.
„Die Informationen sind mir scheißegal. Du hast doch irgendwas geplant...“
Sie legte die Klinge erneut an seine Kehle und umrundete ihn langsam.
„Außerdem hast du Luzifer einfach so verschlungen. Das war mein Kampf!“
Empört und mehr als wütend schnitt Alene dem Mann mit der Klinge in den Hals. Gael zischte leise, lachte am Ende aber dennoch.
„Na, wenn dich das so sehr stört, können wir den Kampf ja fortführen.“, schlug er vor.
„Endlich mal Worte, die misch interessieren.“, kicherte Alene. Innerlich war sie allerdings nicht so locker, wie sie tat. Lyes bemerkte ihre Anspannung und ergriff ihre Hand, um diese kurz zu drücken. Er wusste, dass er die Frau nicht von einem Kampf abhalten konnte.
„Du schaffst das.“, flüsterte er ihr leise zu und trat einige Schritte zurück. Alene lächelte, während Gael seinen Bruder argwöhnisch musterte.
„Du scheinst die Wahrheit gesagt zu haben. Wer hätte das gedacht?“
Gael fand das Ganze ziemlich verwirrend, schließlich hatte er Lyes als gefühlslosen Seelenräuber kennengelernt. Alene bemerkte Gaels gedankliche Abwesenheit, weshalb sie die Chance nutzte und mit der Faust ausholte.
„Hier bin ich.“, hauchte sie, dann traf ihre Faust auch schon sein Gesicht.
Mehrere Male knackte es. Der Dämon ging zwar zu Boden, war in Sekundenbruchteilen aber wieder auf den Beinen. Knurrend stürzte er sich mit ausgestreckten Klauen auf Alene. Die war jedoch in Windeseile in der Luft. Eigentlich hätte sie mit ihren Schwingen einen Vorteil gehabt, wäre da nicht die erschreckende Tatsache, dass auch Gael innerhalb weniger Sekunden seine Flügel ausgebreitet hatte und sich nun ebenfalls in die Lüfte schwang. Auch Gael besaß dämonische, fledermausartige Flügel, wie Luzifer. Alene hatte noch immer nicht ganz begriffen, dass er ehemalige Teufel tot zu sein schien. Oder es war nur eine Illusion gewesen, das konnte natürlich auch sein. Der Kampf in der Luft begann. Man sollte meinen das Alene mit ihrer Waffenvielfalt einen Vorteil hatte, doch so war es nicht. Gael war so schnell, dass die Frau keine Chance hatte ihre Waffen auch nur ansatzweise zu benutzen. Alles was sie tun konnte, war die Angriffe abzuwehren oder ihnen auszuweichen.
Dafür, dass er Ewigkeiten lang gefangen war, scheint er nichts verlernt zu haben., dachte Alene.
„Nun hast du nicht mehr so eine große Klappe?“, lachte der Mann.
Angestrengt dachte sie nach. Es musste eine Möglichkeit geben, diesen Mann außer Gefecht zu setzten. Er musste eine Schwachstelle haben. Vorsichtig und in Gedanken versunken setzte Alene zur Landung an.
Ich weiß, als Teufel zu dir zu sprechen ist verrückt., dachte sie und legte den Kopf in den Nacken.
Aber Allmächtiger, du kannst mich doch nicht einfach so im Regen stehen lassen! Dieses Ding hat Luzifer einfach so verschlungen, wie soll ich ihn denn dann besiegen? Komm schon, gib mir einen Tipp!
Alenes Gedanken verstummten, natürlich erhielt sie keine Antwort. Irritiert landete auch Gael wieder auf dem Boden. Wollte sie den Kampf etwa hier unten fortführen? Na, das konnte sie haben! Alenes Augen schlossen sich. Die Blutrünstigkeit lauerte tief in ihr und schlummerte noch.
Wenn sie es schaffte auf diese zurückzugreifen, wäre Gael Geschichte!
Töten! Er muss getötet werden!
Immer wieder wiederholte sie diese Worte in Gedanken, so lange, bis sie ihre blutroten Augen wieder aufschlug. Lyes hielt den Atem an. Nicht nur, dass Alenes sonst verschiedenfarbige Augen nun blutrot waren, nein, von ihr ging auch noch eine gewaltige Welle an Macht aus, die selbst Gael Eiseskälte in die Knochen trieb.
„Was ist das?“, hauchte er und trat einen Schritt zurück.
„Das ist die Macht, mit der ich dir nun das Leben nehme!“, lachte Alene finster und setzte einen Fuß vor den anderen. Sie zog ihr Schwert, welches einst Luzifer gehört hatte und stand innerhalb von Sekundenbruchteilen vor Gael. Mit dem Schwert durchstach sie erst seine Bauchdecke. Als ob ein Blatt Papier zerrissen werden würde, trat die Klinge auf der anderen Seite seines Körpers wieder aus. Wie versteinert stand Gael da, von Alenes Schwert durchbohrt. Lachend zog sie die Klinge weiter nach oben. Das Blut sprudelte geradezu aus seinem Mund und die ekelerregenden Geräusche, die seine nun zerfetzten Organe verursachten sorgten dafür, dass ihm noch übler wurde.
„Na, wie fühlt sich das an?“, hauchte Alene und sah ihm in die Augen.
Mit einem saugenden Geräusch stieß Alene ihre bloße Hand in den Bauch des Mannes. Dieser sog schwerfällig die Luft in seine Lungen. Angeekelt schluckte Lyes seine augsteigende Galle. Ohne eine Reaktion zu zeigen, wühlte die Frau mit der bloßen Hand in den Gedärmen des Mannes. Kurze Zeit später landeten diese mit einem Platschen auf dem Boden. Lyes wandte den Blick ab.
Nacheinander, mit wenigen Sekunden Abstand ertönte ein Platschen nach dem anderen. Leber, Nieren, Magen, hintereinander landete alles auf dem Boden.
„Sag mir, womit ich weitermachen soll, Lungen oder Herz?“, flüsterte sie.
Alene wusste, dass Dämonen nicht unbedingt auf ihre Organge angewiesen waren. Lediglich ihr Herz war lebensnotwendig.
Gael bekam kein vernünftiges Wort mehr über die Lippen, lediglich ein Gurgeln war zu hören.
„Ich glaube, deine Organe haben genug Aufmerksamkeit bekommen.“, murmelte die Frau und wandelte ihr Schwert in einen langen Dolch um. Mehrere Minuten lang machte sie sich einen Spaß daraus, seinen eh schon demolierten Körper noch mehr zu verunstalten. Hier ein Schlitz, da einer.
„Ich könnte dir die Gliedmaßen abschneiden. Oder dir die Haut abziehen.“, überlegte sielaut.
Doch so weit wollte sie nicht gehen. Besser wäre es, sie würde es schnell zu Ende bringen. Noch mehr Blut würde Lyes nämlich nicht ertragen. Ohne Erbarmen umschloss sie mit ihrer Hand Gaels Herz. Kräftig schlug es in ihrer Hand immer weiter und für einen kurzen Moment, kamen ihr tatsächlich Zweifel. Würde sie das in Zukunft öfter tun? Leuten einfach so das Leben nehmen? Ohne Erbarmen oder auch nur den Ansatz von Gefühl? Alene schluckte. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, riss sie ihm das Herz aus der Brust. Im wahrsten Sinne.
Gael röchelte und fasste sich an die Brust, doch dort war nur noch ein klaffendes Loch. Leise lachend zerquetschte Alene das Herz mit bloßer Hand, dann schmiss sie es fort.
„Eine Kleinigkeit fehlt aber noch.“, murmelte sie und umfasste den Dolch fester. Dieser verwandelte sich in die Sense. Bald wäre es vorbei. So hoffte sie zumindest!
„Tut mir leid, dass es so endet.“, sagte sie leise.
Mit einem entschuldigenden Blick auf Lyes schwang sie ihre Waffe. Ein Knirschen ertönte, dann ein Reißen, dann saß der Kopf nicht mehr auf dem Rumpf. Ein paar Minuten vergingen, dann zerfiel die Leiche zu Staub. Nun war nichts mehr zu hören, außer der rasselnde Atem des Teufels. Die Sense in ihrer Hand löste sich in Luft auf, dann verschwamm die Sicht der Frau.
Die Ohnmacht kam wie aus dem Nichts...
18th
Mit der Frau in den Armen stieß Lyes die Tür auf. Das die Ohnmacht sie erfasst hatte, war kein Wunder gewesen. Um ehrlich zu sein war es überraschend gewesen, dass sie so lange durchgehalten hatte. Als Azrael die beiden entdeckte, stürmte er auf die zwei zu.
„Sie sieht nicht gut aus, was ist passiert?“
Erschöpft übergab Lyes die Frau seinem Bruder. Dieser legte sie auf einem Tisch ab, um ihre Wunden zu begutachten.
„Das erkläre ich dir später.“, erwiderte Lyes. „Kümmere dich bitte zuerst um meine Frau.“
Azrael sagte nichts mehr dazu und zog der Frau stattdessen das Shirt aus. Der Mann schluckte. Die Hälfte ihres zartes Körpers wies dunkelblaue bis tiefviolette Verfärbungen auf und hier und da waren dicke Beule zu erkennen, die darauf hindeuteten das an dieser Stelle ein Knochen böse gebrochen war. Es dauerte nur wenige Sekunden, da stand die Diagnose des Seelensammlers fest.
„Mehr als die Hälfte ihrer Knochen sind zertrümmert. Wurde sie von irgendetwas eingeklemmt?“, fragte er leise. Lyes raufte sich die Haare.
„Nein, das war nur ein einziger Schlag.“, erwiderte er fast schon flüsternd. Azrael zog die Brauen hoch.
„Ein Schlag? Ich kenne nichts uns niemanden, der mit einem einzigen Schlag so viel Schaden anrichten kann.“
Nach diesem Kommentar widmete er sich wieder Alene, die noch immer bewusstlos vor ihm lag.
„Sie ist jetzt verdammt mächtig. Sie müsste eigentlich in der Lage sein, ihre Wunden selbst zu heilen.“
Lyes schüttelte den Kopf.
„Glaub mir, so viel Zeit hatte sie nicht.“
Azrael trat von Alene zurück und überließ Lyes das Feld.
„Ich bin, genauso wenig wie du, in der Lage etwas gegen ihre Verletzungen auszurichten. Sie braucht mehrere Tage absolute Bettruhe. Wir können lediglich dafür sorgen, dass sie diese auch einhält.“
Lyes nickte und hob Alene wieder in seine Arme. Ohne noch etwas zu sagen, ließ er seinen Bruder zurück.
…
„Was machst du?“
Erschrocken hielt Lyes beim Klang der Frauenstimme inne. Sein Blick traf auf den von Alene.
„Dich von dem ganzen Blut befreien.“, sagte er leise und ließ den feuchten Lappen sinken.
„Danke.“, flüsterte sie und wich seinem Blick aus. „Ich bin bestimmt hässlich. Tut mir leid, dass du mich so sehen musst.“, fügte sie beschämt hinzu. Lyes konnte nicht glauben was er da hörte, weshalb er ihr Gesicht wieder anhob.
„Hey, sowas will ich nicht hören!“, knurrte er. „Du bist eine starke Frau und das macht dich nur noch hübscher, als du ohnehin schon bist. Auch wenn du blutbesudelt bist, du bleibst immer meine wunderschöne Frau!“
Alene war zu Tränen gerührt. Ihr Verhalten war ja fast schon peinlich! Sie wollte sich hinsetzen um Lyes zu umarmen, doch der drückte sie zurück in die Matratze.
„Du musst für ein paar Tage im Bett bleiben. Wie fühlst du dich eigentlich?“
Alene verdrehte die Augen.
„Beschissen. Ich kann spüren, wie zertrümmert die Knochen in meinem Körper sind. Im Übrigen, wie lange war ich bewusstlos?“
„Nicht lange, keine Sorge.“, war die Antwort des Mannes. Von nun an herrschte Ruhe. Beide gingen ihren ganz eigenen Gedanken nach. Alene war fassungslos. Sollte es das gewesen sein? Ein Kampf mit einem besessenen Mann, der innerhalb einer Viertelstunde vorbei war, ein Ohnmachtsanfall und das war's?
Nun lag sie hier im Bett, nicht in er Lage auch nur aufzustehen und wartete darauf, dass es ihr besser ging. Sollte es nun wirklich vorbei sein? Naja, zugegeben einfach war es nicht gewesen. Sie war immerhin beinahe zerquetscht worden. Schlaf hatte sie dringend nötig, doch Ruhe würde sie so schnell keine finden. Es gab etliche Dinge, die ihr noch durch den Kopf gingen.
Luzifer war nicht mehr da. Von einer Sekunde auf die andere! Eigentlich hätte sie ihn töten sollen, doch stattdessen war er von einem Wahnsinnigen gefressen worden. Verzweifelt vergrub die Frau das Gesicht in den Händen. Es war tatsächlich wahr! Der Kampf war vorbei. Von nun an war sie die Regentin aller Dämonen. Und Lyes würde nun auch ihrem Befehl unterstehen. Wie verrückt war diese Welt eigentlich? Lyes bemerkte ihre Grübeleien und küsste sie auf die Stirn.
„Denk nicht mehr so viel nach, Liebes. Das Ganze hat ein gutes Ende genommen, also schlaf jetzt, hörst du?“
Sie nickte und tat ausnahmsweise das, was er ihr sagte. Ohne zu zögern schloss sie die Augen.
Voller Hoffnung sah Lilith Lyes an. Der Mann seufzte leise und warf seinem Bruder einen hilfesuchenden Blick zu.
„Lilith.“, begann Azrael vorsichtig. „Ich glaube, du solltest dir nicht zu viel Hoffnung machen.“
Doch es schien, als würde die Frau dem Seelensammler gar nicht zuhören.
„Na sag schon, Lyes! Was ist passiert?“, forderte sie und packte den Mann bei den Schultern. Dieser legte ebenfalls die Hände an ihre Arme.
„Luzifer ist tot, Lilith.“
Auf Azraels Stirn bildeten sich Falten. Musste er so mit der Tür ins Schloss fallen? Er konnte sich schon denken, was gleich geschah. Die Frau würde nämlich in Tränen ausbrechen. Wenige Sekunden später sollte er leider Recht behalten. Lilith schlug mit den Fäusten auf Lyes' Brust ein.
„Du lügst! Das kann nicht sein!“, schrie sie. Die Tränen liefen über und hinterließen salzige Spuren auf ihrer Haut.
„Es ist wahr.“, sagte Lyes, nun ein wenig einfühlsamer. Er fasste die Frau bei den Händen und zog sie mit, um sie dann sanft aufs Sofa zu drücken. Dann bedeutete er seinem Bruder, sich ebenfalls zu setzen. Noch einmal atmete er tief durch, dann berichtete er den beiden was geschehen war.
…
„Und du bist dir sicher, dass es Gael war?“, hauchte Azrael mit hochgezogenen Brauen. Sein Bruder stiel ein lautes Knurren aus und sprang auf.
„Natürlich bin ich das! Hältst du mich für blöd?“, brüllte er.
Azrael gab mit einer Handgeste zu verstehen, dass es ihm leid tat. Es war unübersehbar, wie nahe Lyes die ganze Sache ging. Er schien selbst nicht glauben zu können, dass es sich wirklich um seinen Bruder gehandelt hatte. Lilith erhob sich leise schluchzend und verließ den Raum, ohne noch etwas zu sagen. Die Geschichte musste sie sich zwar anhören aber alles was folgte, wäre zu viel. Die zwei Männer sahen ihr nach, sagten aber ebenfalls nichts dazu. Sie brauchte nun ihre Ruhe, um damit fertig zu werden das der Mann den sie liebte, nicht mehr unter den Lebenden weilte. Azrael seufzte.
„Dann existiert der Wahnsinn also wirklich, hm?“, hauchte er. Sein Bruder nickte.
„Ich kann es selbst kaum glauben, aber ja. Was ich auch nicht glauben kann ist, das Luzifer es geschafft hat all das, Ewigkeiten lang vor uns zu verbergen...“
Wieder breitete sich eine unangenehme Stille zwischen den beiden aus, bis Lyes sich die Hände rieb und Azrael warnend ansah.
„Ich sage das nur ungern, Bruder aber wir müssen verhindern, dass noch jemand anderes so sehr dem Wahnsinn unterlegen sein wird.“
Der Seelensammler kniff die Augen zusammen.
„Ist das dein Ernst? Der Wahnsinn ist nicht einmal nachweisbar und...Gael war der bisher einzige, von dem man gehört hat das...“
Er verstummte, schüttelte den Kopf und fuhr dann fort.
„Selbst wenn man diese Krankheit erkennt, wie willst du sie heilen? Bei unserem Bruder hat es ja offensichtlich nicht funktionert.“
Bei Azraels Herzlosigkeit gefror Lyes das Blut in den Adern. Erneut sprang er auf.
„Ich weiß das, verdammt noch mal! Aber Alene ist jetzt an der Macht, sie wird dieses Problem anders angehen als Luzifer.“
Azrael konnte nicht glauben, was er da hörte. Glaubte sein Bruder wirklich daran, dass mit Alene alles anders werden würde? Wortlos darüber schüttelte er den Kopf.
„Lass uns aufhören darüber zu reden, mein Lieber. Wir werden deine Frau darauf ansprechen, dann soll sie entscheiden.“
Lyes schnaubte zwar, nickte aber. Noch wusste er aber nicht, um Alene zurechnungsfähig genug war. Es kam zwar plötzlich, am Ende lächelte Azrael dann aber doch. Sanft klopfte er seinem Bruder auf die Schulter.
„Auf dich und Alene ist Verlass. Gute Arbeit, Bruder!“
Er erhob sich und ließ den Mann mit seinen Gedanken zurück.
Höchst alarmiert tauschten die Erzengel Blicke aus. Sabriel schluckte schwer.
„Danke, Less. Du kannst dann gehen.“, sagte er leise, worauf der Spion sich zurückzog.
„Dann stimmt es also.“, sagte Sabriel, nachdem der junge Mann den Saal verlassen hatte. Mikaal rieb sich die Stirn.
„Dann existiert der Wahnsinn also tatsächlich. Ist euch klar, was das bedeutet?“
Beunruhigende Stille breitete sich im Saal aus. Natürlich wussten sie, was das bedeutete. Jahrtausende lang versuchten die Erzengel nun schon mehr über diesen Wahnsinn herauszufinden, doch mehr als nur ein paar Gerüchte hatten sie nie in Erfahrung bringen können. Uriel mischte sich ein.
„Es ist ein Jammer, dass sie Gael getötet haben. Wir hätten ihn gut als Forschungsobjekt nutzen können.“
Mikaal knurrte und sah seinen Bruder böse an.
„Das wäre zwar unsere einzige Chance gewesen aber diese Idee kannst du dir sofort wieder aus dem Kopf schlagen. Es wäre für uns alle eine riesige Gefahr gewesen.“
Die meisten stimmten Mikaal zu, Sabriel jedoch war auf Uriels Seite. Lautstark mischte er sich wieder ein.
„Sollte es je einen zweiten, offensichtlichen Fall des Wahnsinns geben, werden wir uns einmischen. Stimmt ihr nicht zu, werden Uriel und ich uns alleine darum kümmern. Ihr habt also die Wahl.“
Hier und da war ein tiefes Knurren zu hören, doch Widerworte zu geben traute sich keiner. Sabriel und Uriel lächelten zufrieden, Mikaal stürmte wutentbrannt aus dem Saal.
Mit zerknirschtem Gesichtsausdruck ließ Alene ihren Blick durch den Saal schweifen.
„Ist das euer Ernst?“, murmelte sie.
Lyes, der rechts neben ihrem Thron stand, lächelte. Fast alle Dämonen der Unterwelt waren im Anwesen des Teufels versammelt um mitzuerleben wie Lilith, die Assistentin des Höllenfürsten Alene offiziell zum Teufel ernannte. In Alenes Gesicht waren noch immer Spuren des vergangenen Kampfes zu erkennen, ebenso sichtbar waren auch noch die violetten Verfärbungen an ihrem Hals. Doch seltsamerweise schien das den meisten nur noch mehr zu imponieren. Der Kampf mit dem wahnsinnigen Gael hatte sich verdammt schnell herumgesprochen. Das Alene ohne zu zögern einen eigentlich so wichtigen Mann für die Unterwelt einfach so getötet hatte, jagte den meisten Angst ein. Ohne es zu wollen hatte Alene somit bewiesen, das sie auf den Thron gehörte. Lilith nahm das Wort an sich.
„Liebe Bewohner der Unterwelt.“, begann sie so laut, dass es jeder Dämon hören konnte. „Ihr habt euch heute hier versammelt um Augenzeugen dieser Zeremonie zu werden, in der Alene Eray, die Frau mit den verschiedenfarbigen Augen, eure neue Anführerin wird.“
Lilith drehte sich zur Menge um und wies mit dem Finger wahllos auf einen der Dämonen. Es traf eine Frau, die halb Pferd, halb Frau war und ohne zu zögern als Liliths Seite trat.
„Alene Eray, erhebe dich.“, verlangte Lilith.
Alene wurde vorher schon über diese Zeremonie aufgeklärt, weshalb sie ebenfalls ohne zu zögern aufstand und sich vor die zwei Frauen stellte. Lilith nahm einen Dolch in die Hand und griff dann nach dem Arm der Dämonenfrau. Diese ließ still zu, das Lilith ihr quer über zwei Finger schnitt. Blut quoll aus dem tiefen Schnitt und tropfte einige Sekunden später von ihrer Hand. Lilith ergriff die blutige Hand und legte diese in die von Alene.
„Gelobe deine Treue.“, verlangte Lilith ausdruckslos und trat einen Schritt zurück.
Alene bestrich ihre Hand mit dem Blut der Frau und drückte ihre Finger dann auf die Brust, direkt dort, wo ihr Herz unter der Haut schlug.
„Hiermit gelobe ich, Alene Eray, die Treue gegenüber meinen Untertanen. Dieses Blut soll zeigen, dass eure Wunden meine Wunden sind.“
Alene hielt für einen kurzen Moment inne. Lilith hatte ihr vorgegeben was sie zu sagen hatte, doch Alene beschloss ihre ganz eigenen Worte zu verwenden. Kurz lächelte sie die Dämonenfrau an, dann richtete sich ihr Blick auf die riesige Dämonenmenge.
„Glaubt mir, für mich ist diese Situation genauso komisch wie für euch. Einen Machtwechsel hat es schließlich bisher noch nicht gegeben. Aber lasst euch versichert sein, dass ich alles tun werde um mein Volk zu beschützen.“
Keiner sagte etwas, doch von einer Sekunde auf die andere hatten sich sämtliche Dämonen vor Alene verneigt. Mehr als überwältigt ließ die Frau diesen Eindruck auf sich wirken. Doch plötzlich erhob sich ein Mann aus der Menge. Das vertraute Gesicht ließ Alene stutzen, ebenso wie Lyes.
„Erzengel Mikaal.“, empfing Alene den Mann mit ausgebreiteten Armen. Lächelnd ging Mikaal auf die Umarmung ein.
„Alene.“, erwiderte er.
Keuchend trat die Dämonenmenge einen Schritt zurück. Sie konnten sich nicht daran erinnern, je einen Erzengel in ihren Gefilden gehabt zu haben.
„Weißt du, warum ich hier bin?“, sagte Mikaal nun, worauf Alene leise seufzte.
„Ich kann es mir denken. Aber du hast dir einen guten Zeitpunkt ausgesucht. Das ist sowieso etwas, das ich bekannt geben wollte.“, erwiderte Alene und wandte ihre Aufmerksamkeit nun wieder ihrem Volk zu.
„Okay, damit sich das Ganze nicht zieht komme ich direkt zum Punkt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr alle bereits wisst was geschehen ist. Gael, Lyes' und Azraels Bruder, war dem Wahnsinn verfallen und diesem komplett ausgeliefert. Ich hätte gerne versucht ihm irgendwie zu helfen, doch der Tod war unumgänglich. Deswegen bitte ich euch, aufrichtig darum, es mir zu melden sollte euch auffallen, dass sich jemand verdächtig verhält.“
Alene wies mit der Hand auf Mikaal, der als nächstes das Wort übernahm. Er räusperte sich.
„Wie ihr sicher alle wisst, war der Wahnsinn bisher nicht nachweisbar. Der Orden der Erzengel hat deshalb immer die Augen offen gehalten, doch leider ist es uns bisher nicht gelungen mehr darüber in Erfahrung zu bringen. Deshalb bitte sowohl ich, als auch eure neue Königin darum, es zu melden sollte sich jemand negativ bemerkbar machen.“
Dann sah Mikaal wieder Alene an.
„Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit aber für's erste, dürfte es das gewesen sein.“
Mit einem Nicken beendete sie das Ganze. Lilith kümmerte sich anschließend um den Rest.
„Wir müssen reden.“, sagte Mikaal, von nun an todernst.
Noch herrschte bedrückende Stille im Raum, doch Mikaal ergriff ohne zu zögern das Wort.
„Sabriel und Uriel haben sich da was in den Kopf gesetzt, was euch ganz und gar nicht gefallen wird.“, sagte er leise und sah Alene, Lyes und Azrael der Reihe nach an.
„Sollten sie noch einen Fall vom Wahnsinn entdecken, wollen sie diesen zur Forschung missbrauchen. Aber ihnen scheint nicht klar zu sein, dass sie damit nur alle in Gefahr bringen würden.“
Alenes Blick verdunkelte sich und Lyes und Azrael tauschten einen Blick aus.
„Alene.“, begann Lyes und legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Darüber wollten wir auch mit dir reden. Wir müssen irgendwie verhindern, dass noch jemand am Wahnsinn erkrankt. Keine Ahnung wie wir das anstellen sollen, doch es muss eine Möglichkeit geben! Du hast gesehen wie mächtig Gael war. Selbst du, als neuer Teufel hattest Schwierigkeiten damit, ihn zu besiegen. Gut möglich, das selbst die Erzengel bei solch einem Gegner keine Chance hätten. Nichts für ungut, Mikaal.“
Entschuldigend sah der Todesengel den Mann an. Dieser nickte schwach und musterte Alene.
„Schon gut.“, sagte er. „Ich glaube, du könntest sogar Recht haben. Wenn ich Alenes Zeichnungen so betrachte, glaube ich sogar das dieses unbekannte Gebiet eine Menge Schwierigkeiten für uns bereit hält. Also, Alene. Wir wirst du vorgehen?“
Mikaals Worte ließen die Frau stöhnen.
„Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet das meine erste Aufgabe als Teufel sein wird.“, murmelte sie und rieb sich die Stirn. Azrael schmunzelte hinter hervorgehaltener Hand.
„Also, wie lautet deine Antwort?“, sagte er leise. Alene seufzte.
„Erst einmal warten wir ab, wie sich die Dinge entwickeln. Vielleicht gibt es jemanden, dem etwas aufgefallen ist. Uns bleibt nichts anderes übrig, als selbst die Augen und Ohren offen zu halten.“
Lyes lächelte und küsste seine Frau auf den Scheitel.
„Mach nicht so ein trauriges Gesicht, Liebes. Für den Anfang bleibt dir nichts anderes übrig.“
Alene erwiderte nichts darauf, denn in genau diesem Moment ging die Tür auf.
„Gute Neuigkeiten, Hoheit.“, sagte Lilith ausdruckslos. Alle sahen auf und richteten gespannt ihre Blicke auf die Frau.
„Die Umfrage aller Dämonen hat ergeben, dass die Mehrheit sich mit dem neuen Teufel arrangiert hat. Viele glauben, dass du zu mehr in der Lage bist als...Luzifer es je war. Sie alle wollen sich um eine gute Zusammenarbeit bemühen.“
Diese Worte zauberten Alene dann doch ein Lächeln auf die Lippen.
„Sehr schön, dann lassen wir von nun an die Zeit für uns arbeiten.“
FORTSETZUNG FOLGT...
Tag der Veröffentlichung: 30.09.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Nein, keine Widmung an dieser Stelle.
Stattdessen eine Entschuldigung meinerseits, da ich im Laufe der Geschichte einige Charaktere aus den Augen verloren habe.
Aber dafür gibt es eine Entschädigung ;)