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Bloody Feather

 

Prolog:

 

Ich stieß ein lautes Brüllen aus. Sie wollten mich nicht? Schön, dann war es eben so. Dadurch ließ ich mich nicht unterkriegen. Ich war nicht umsonst eine Legende! Wütend doch gleichermaßen auch stolz verließ ich ihr Reich mit der Aussicht nun an einen Ort zu gelangen, der weitaus weniger Ansehen hatte. Doch ich käme klar, dessen war ich mir sicher. Hochmut kam jedoch leider vor dem Fall. Auch in meiner neuen Heimat akzeptierte man mich nicht. Wieder wollte man mich loswerden. Es gelang ihnen auf Anhieb. Ich war wütend. Mehr als das, ich war außer mir und schwor mir Rache. Natürlich würde ich diese auch bekommen, es war nur eine Frage der Zeit. Doch bis dahin galt es, unter den Schwächlingen zu überleben. Keine große Sache sollte man meinen, doch das Ganze erwies sich schwieriger als gedacht...

 

1

 

Genüsslich leckte ich mir die Reste meines Schokoladeneis von den Lippen, während Milla weiter auf mich einredete. Es war eine warme Nacht -deswegen das Eis-, weswegen Milla mich dazu überredet hatte am See schwimmen zu gehen. Nachts wäre es reizvoller, wie sie behauptete. Ins Wasser war ich dennoch nicht gegangen. Ich beobachtete das Geschehen lieber aus der Ferne, so wie ich es sonst auch immer tat. Im Mittelpunkt zu stehen war nie mein Ding. Vielleicht war das einfach meine Art, vielleicht hatte ich mich aber auch so entwickelt, weil ich es als Kind nicht leicht gehabt hatte. Es gab eine Menge, was mir zu schaffen machte, doch inzwischen war ich abgehärtet... Milla und ich bogen in eine Gasse ein. Ich war des öfteren faul und kannte sämtliche Abkürzungen in dieser Stadt. Sehr zum Unbehagen meiner Freundin. Entspannt und mit den Händen in den Taschen meiner schwarzen Jeans trottete ich als voran.

„Nyria!“

Das schrille Kreischen der jungen Frau neben mir ließ mich stehenbleiben. Mit ausgestrecktem Arm zeigte sie auf etwas, beziehungsweise jemanden.

„Wir müssen verschwinden, sofort!“, brüllte meine Freundin panisch. Ich schwieg, sah sie lediglich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Erkennst du diesen Typen nicht? Sein Name ist Zayn Vaher. Er ist ein Mörder! Er hat mehrere Menschen auf dem Gewissen. Er ist auf der Flucht!“

Noch immer schwieg ich, jedoch kam ich jetzt nicht drumherum den Mann vor uns genauer zu mustern. Er kauerte auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Besagte Wand war blutbeschmiert und auch unter dem Typen hatte sich eine Lache dieser dickflüssigen, roten Substanz gebildet. Meine Augen verengten sich. Seine Haare waren schwarz, ebenso wie meine. Er hatte nichts an, außer einer zerrissenen Jeans. War barfuß und trug auch kein Hemd, womit man freien Blick auf seinen durchtrainierten Oberkörper hatte. Unzählige Narben schmückten seine Brust und seinen Bauch. Verdreckt war er zudem auch noch. Seine Beine waren lang, wahrscheinlich war er über einen Meter achtzig groß. Langsam fanden meine Augen sein Gesicht. Markantes Kinn, volle und geschwungene Lippen und eine gerade Nase. Seine Augen waren geschlossen, jedoch entging mir nicht, wie lang seine Wimpern waren. Ich schluckte. Er gefiel mir! Er war tättowiert. Ein verwobenes Muster zog sich über seine Schulter, bis hin zu seinem Ellenbogen des rechten Arms. Blut lief an seinem Arm und seiner Schläfe hinab. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn und das ganze Blut ließ darauf schließen, dass er eine ziemlich üble Wunde am Rücken haben musste. Etwas in mir regte sich.

„Lass uns verschwinden, Nyria. Sofort!“

Milla zog an meinem Arm, doch ich entriss ihn ihr.

„Nein.“, hörte ich mich selbst mit monotoner Stimme sagen.

Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie ihre Augen sich weiteten.

„Was ist los mit dir? Du bist doch sonst so kalt und grausam! Hast du etwa Mitleid mit diesem Bastard?“

Meine eisgrünen Augen verengten sich. Bastard? Milla war kein Mensch der solch Wörter in den Mund nahm. Sie schien wirklich Angst zu haben.

„Vielleicht ist er bewaffnet?“, flüsterte sie und starrte wieder den Mann an.

Ich neigte den Kopf. Milla hatte recht, ich empfand so gut wie nie Mitleid. Was meine Gefühle anging...Naja, sie waren ziemlich verkümmert.

„Siehst du an ihm irgendwo eine Waffe, Milla?“, murmelte ich und bewegte mich wie von selbst auf den Verwundeten zu. Ich hörte, wie sie einige Schritte zurückwich. Ihr Atem hatte sich beschleunigt und war nun nicht mehr, als ein angsterfülltes Keuchen.

„Weißt du was? Mach, was du willst, ich rufe dir Polizei!“

Ich schnaubte, ließ mir meine Wut darüber aber nicht anmerken.

„Wie du willst.“, war alles was ich dazu sagen konnte.

Dann hörte ich, wie Milla davon rannte. Langsam betastete ich meinen Oberschenkel, an dem ich wie jeden Abend sonst auch, ein Messer trug. Die Jacke die ich mir um die Hüften gebunden hatte, verbarg es vor den Blicken von Milla. Wenn man Nachts unterwegs war, musste man auf alles gefasst sein. Milla war nie so vorsichtig und vorausschauend gewesen. Wäre sie alleine unterwegs, hätte sie keine Chance. Für den Fall das dieser Typ also tatsächlich bewaffnet war, würde ich mich gewiss verteidigen können. Ich war alles andere als schwach! Langsam näherte ich mich ihm. Hier stand ich also, in einer dunklen Gasse. Mit einem Mörder der verletzt zu meinen Füßen lag. Ich ging in die Hocke und starrte ihn einfach nur an. Ob er wohl bewusstlos war? Meine Frage wurde prompt beantwortet, denn er schlug die Augen auf. Jede Frau hätte nun wohl gekeucht, doch ich blieb still. Das waren wohl die unglaublichsten Augen, die ein Mann nur haben konnte. Sie waren mehrfarbig und stachen dank seiner leichten Bräune richtig hervor. Die Ränder der Iris waren dunkelblau, liefen in ein dunkles grün über, welches dann heller wurde und in einem goldgelbenem um die Pupille herum endete. Ich schluckte. Sein Gesicht war nahezu makellos, lediglich eine feine Narbe zog sich über sein rechtes Auge. Doch gerade das machte ihn für mich noch perfekter! Am liebsten hätte ich nun die Hand ausgestreckt und diese Narbe zu berühren, doch natürlich tat ich dies nicht. Stattdessen starrten wir uns weiterhin finster an. Keiner wollte etwas sagen.

„Du solltest verschwinden, so wie deine kleine Freundin auch.“, durchbrach er plötzlich die Stille.

Ich blinzelte. Diese Stimme war fast schon hypnotisch. So rau und tief, dass es mir einen Schauer über den Rücken jagte. Er wollte es vermutlich verbergen, doch ich hörte sofort, dass er am Ende seiner Kräfte war. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch bei Bewusstsein war, bei dem ganzen Blut das er verloren hatte. Ich setzte schon zu einer Antwort an, da fielen seine Augen zu. Nun doch überrumpelt schloss ich meinen Mund wieder. Besorgt richtete ich mich auf, um ihn dann zu packen und hochzuziehen. Als meine Hand seinen Rücken streifte fühlte ich, die Unmengen Blut. Ich verkniff es mir, das Gesicht zu verziehen. Es fühlte sich nach einer tiefen Fleischwunde an. Sollte ich ihn ins Krankenhaus bringen? Wohl eher nicht, das gäbe wohl auch Schwierigkeiten. Schnaufend schaffte ich ihn in meine Wohnung, die Gott sei Dank nicht weit entfernt war.

 

2

 

Mit einem Handtuch umwickelt trat ich aus dem Bad. Meine hüftlangen Haare lagen tropfend über meinen Schultern. Ich machte mir nicht die Mühe sie zu trocknen, stattdessen suchte ich mit meinen Blicken meine Wohnung ab. Sie war zwar klein, dafür aber modern. Alles war in weiß gehalten und Glas brachte eine elegante Wirkung. Barfuß und ohne ein Geräusch verursachend tapste ich ins Wohnzimmer, wo ich den Mann auf dem Sofa abgeladen hatte. Ich hatte mich weitestgehend um ihn gekümmert. Er war nun nicht mehr verdreckt, Blut war ebenfalls keines mehr zu sehen und um seine Wunden hatte ich mich ebenfalls sorgsam gekümmert. Es hatte so seine Vorteile, dass ich eine Zeit lang im Krankenhaus gearbeitet hatte... Nun schlief er und meine Mundwinkel zuckten beim Gedanken daran, dass er dabei aussah wie ein kleiner Junge. Wie alt er wohl sein mochte? Fünfundzwanzig vielleicht? Ich lehnte mich an den Türrahmen und verschränkte die Arme. Zwei Tage lang hatte er nun schon geschlafen, so langsam müsste er aufwachen. Wie aufs Stichwort öffneten sich seine Augen. Wieder verschlug es mir bei deren Anblick den Atem. Das ein Mann so schön sein konnte, war mir unbegreiflich. Mit mörderischem Blick musterte er mich. Ich sollte vielleicht Angst haben, doch die hatte ich nicht. Mochte ja sein, dass dieser Zayn ein Mörder war und auch den Eindruck machte, doch noch hatte ich nicht das Gefühl in Gefahr zu sein.

„Es war ein Fehler von dir, mich herzubringen.“, knurrte er bedrohlich und setzte sich auf.

Dabei bemerkte er, dass seine Wunden versorgt worden waren und er ein neues Hemd trug. Ich hatte es nicht zugeknöpft, warum wusste ich selbst nicht. Nichts desto Trotz gefiel mir dieser Anblick. Seine Haare waren zerzaust, was ihn unglaublich sexy aussehen ließ. Ich ließ zu, dass sich meine Lippen zu einem spöttischen Grinsen verzogen.

„Warum...“, setzte er an, doch ein lautes und durchgehendes Klopfen an der Tür ließ ihn verstummen und mich ernst werden.

„Aufmachen, Polizei!“, dröhnte eine kratzige Stimme von draußen durch die Tür.

Ich sah zurück zu Zayn und legte mir den Finger auf die Lippen um ihm zu bedeuten, ruhig zu sein.

Nach einigen Sekunden ging ich dann zur Haustür, die ich zögernd öffnete.

„Kann ich Ihnen helfen?“, sagte ich mit hoher und mädchenhafter Stimme, durch den Türspalt.

Es konnte ja nicht schaden, die Unschuld vom Lande zu spielen.

„V-Verzeihung, ich wollte nicht stören.“, stotterte der Officer, der mich mit roten Wangen bedachte. Trotz der wenigen Zentimeter die die Tür nur geöffnet war, hatte er bemerkt das ich nur in ein Handtuch gewickelt war.

„Kommen Sie ruhig rein, ich ziehe mir nur schnell etwas über.“, sagte ich lächelnd und öffnete die Tür nun ganz. Einladend streckte ich den Arm aus. Ich führte ihn in die Küche, von wo aus er nicht ins Wohnzimmer blicken konnte. Rasch verschwand ich im Schlafzimmer, wo ich in kurze Hose und Shirt schlüpfte.

„Also, wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte ich unschuldig und ließ mich gegenüber von ihm am Küchentisch nieder. Ich sparte mir meine Manieren und bot ihm nichts zu trinken an, es würde sicher nicht lange dauern. Kokett neigte ich den Kopf, worauf sich der etwas dickliche Mann mit dem schütteren Haar am Hinterkopf kratzte. Er zog Stift und Block hervor.

„Es wurde uns gemeldet, dass sie einem Kriminellen zur Flucht verholfen haben.“, kam er auch schon zum Punkt. Gespielt schockiert sah ich ihn an.

„Was? Ein Krimineller? Von wem ist die Rede?“, meine Stimme rutschte nochmals um einige Oktaven höher. Der Officer wurde ernster und rückte seine Mütze zurecht.

„Sie waren vor zwei Tagen mit Milla Patricks unterwegs, ist das korrekt?“

Ich nickte. Dann kam auch schon die nächste Frage.

„Sie waren auf dem Nachhause Weg und haben eine Abkürzung durch eine Gasse genommen, stimmt das?“

Wieder nickte. Der Mann notierte, dann sah er wieder mich an.

„Sie sind auf Zayn Vaher getroffen, korrekt?“

Ich tat so als wüsste ich mir nicht zu helfen und schluckte mehrere male auffällig.

„Da lag ein verletzter Mann und Milla sagte mir, wer er sei. Ich kannte ihn jedoch nicht. Milla wollte mit mir abhauen aber ich habe überlegt, ihm nicht zu helfen. Sie ist dann abgehauen. Ich wollte ihm wirklich helfen, habe aber dann doch Angst gekriegt und bin nach Hause gelaufen.“, flüsterte ich mädchenhaft. Hastig schrieb der Mann mit. Alles was man hörte war das Kratzen des Kulis auf dem Papier.

„Warum haben Sie nicht die Polizei gerufen?“, hakte er nach und musterte mich wieder.

Bildete ich mir das ein oder sah ich da Anzüglichkeit in seinen Augen aufblitzen? Kurz loderte Zorn in mir auf, doch diesen verdrängte ich. Stattdessen zuckte ich kindlich mit den Schultern.

„Ich hatte doch Angst. Und Milla wollte die Polizei rufen, deswegen habe ich es nicht getan.“, gestand ich leise und sah mit gesenktem Kopf zu ihm. Der Officer seufzte.

„Alles klar, das wäre dann alles.“

Er erhob sich, ich tat es ihm nach, streckte jedoch hilflos den Arm aus, um ihn kurz darauf auch schon wieder sinken zu lassen.

„Als ich hier angekommen bin habe ich Milla eine SMS geschickt in der stand, das ich sicher Zuhause angekommen bin. Hat sie Ihnen nichts davon gesagt?“

Überrascht sah er mich an.

„Nein.“, war alles was er sagte.

Zehn Minuten später saß ich alleine am Küchentisch, mit einem Glas Scotch in der Hand.

„Du solltest dir etwas vernünftiges anziehen, ehe du dich erkältest.“, hauchte mir eine rauchige Stimme plötzlich ins Ohr. Kalt und ohne mit der Wimper zucken antwortete ich:

„Sagt ausgerechnet der, der nur mit einer Jeans bekleidet in einer Gasse hockte.“

Zayn nahm mir das Glas aus der Hand und nahm einen großen Schluck. Genießerisch schloss er die Augen.

„Du hast Geschmack.“, sagte er nun ebenfalls tonlos und packte mich grob am Arm, um mich dann auf die Füße zu ziehen.

„Warum hast du mir geholfen?“, knurrte er, wobei sein Gesicht nur wenige Millimeter von meinem entfernt war. Wie gerne ich ihn nun geküsst hätte!

„Ich bin dir keine Antwort schuldig.“

Ich schleuderte ihm die Worte geradezu ins Gesicht, weshalb er mich scheinbar wütend von sich stieß. Ich knallte gegen die Tischkante, welche sich äußerst schmerzhaft in meine rechte Niere bohrte. Klirrend fiel die Flasche Scotch, die auf dem Tisch stand, zu Boden. Sie zersprang und die goldbraune Flüssigkeit breitete sich auf den weißen Fliesen aus.

„Der gute Scotch.“, brachte ich wehmütig hervor.

Der Mann mir gegenüber schnaubte und verschränkte die Arme.

„Du machst dir um diesen Fusel mehr Gedanken, als um deine Sicherheit?“, brummte er und blickte mich wie ein Insekt an. Für wen hielt sich dieser Kerl eigentlich? Wollte er mir Angst einjagen?

„Ach, ich bin in Gefahr?“, grinste ich wohl wissend, dass in das in Rage brachte.

Keine Ahnung wie er das gemacht hatte, doch ich konnte nicht einmal reagieren, da lag ich auch schon unter ihm auf der Tischplatte. Am liebsten hätte ich ihn voller Angst angestarrt, doch ich wollte nicht schwach wirken, weshalb ich mich zusammen riss und ihn forschend betrachtete. Zähnefletschend drückte er meine Arme über meinem Kopf auf die Platte.

„Du hast ein zu loses Mundwerk, Weib!“, fuhr er mich an.

Ich zog die Brauen hoch und schlang meine Beine um seinen Rücken. Ich drückte ein wenig zu, denn ich wusste ganz genau, dass ihm das Schmerzen bereiten würde. Wie zum Beweis biss er die Zähne zusammen. Vergeblich versuchte er ein Stöhnen zu unterdrücken. Allerdings blitzte da etwas in seinen Augen auf. Leider konnte ich nicht sagen was es war.

„Weib? Ich hab mich wohl verhört. Mal abgesehen davon, dass du keine Waffen bei dir hattest wirkst du auf mich nicht wie ein Mörder, sondern wie ein überheblicher Arsch! Und nun geh runter von mir!“, fauchte ich und versuchte, meine Arme aus seinem Griff zu befreien. Er verzog das Gesicht.

„Nie hat es sich jemand gewagt, so mit mir zu sprechen.“, murmelte er und musterte mich ganz genau. Ich schluckte.

„Na, dann gewöhn dich schon mal besser daran!“, erwiderte ich frech und drückte mit meinen Beinen noch ein bisschen fester zu. Es war nicht meine Absicht ihm Schmerzen zuzufügen, doch er ließ mir keine Wahl. Knurrend ließ er von mir ab. Er trat vom Tisch zurück und bedachte mich mit finsterem Blick. Ich stützte mich auf meine Arme und erwiderte seinen Blick, wenn auch nicht so feindselig.

„Die Fleischwunde auf deinem Rücken sah wirklich schlimm aus. Es sah aus, als ob dich irgendein Tier mit der Pranke erwischt hätte aber...in der Großstadt wohl kaum möglich. Ich habe die Wunde genäht, so weit es eben ging.“ Ich zuckte lässig mit den Schulter, woraufhin Zayn mich argwöhnisch ansah.

„Warum hast du das getan? Du hättest mich in der Gasse liegen lassen sollen.“

Das er leiser wurde gefiel mir nicht. Es ließ ihn gefährlicher wirken, als ohnehin schon. Wieder zuckte ich mit den Schultern.

„Das weiß ich selbst nicht so genau.“, gestand ich.

„Hattest du Mitleid mit mir?“

Sein harscher Tonfall ließ mich misstrauisch werden. Das schien ihm alles andere als zu gefallen. Ich schüttelte schwach den Kopf.

„Mitleid kenne ich nicht. Ebenso wenig wie...“

Ich verstummte und schloss die Augen. Nein, darüber würde ich nicht sprechen. Niemals hatte ich ein Wort darüber verloren, so würde es auch bleiben.

„Du bist die seltsamste Frau, die mir je untergekommen ist.“, hörte ich ihn leise sagen.

Ich schlug die Augen auf, doch der Mann war weg. Verwirrt lief ich aus der Küche. Ich sah, wie er in mein Schlafzimmer verschwand, weshalb ich ihm folgte. Perplex beobachtete ich, wie er es sich in meinem Doppelbett bequem machte. Ausnahmsweise war ich mal sprachlos. Er wusste es, dass Grinsen auf seinen Lippen bewies es. Ich hätte ihm nun am liebsten Vorwürfe gemacht, doch ich tat es nicht. Er musste sich ausruhen und er war noch immer erschöpft, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Ich neigte den Kopf. Auch durchlöcherte ich ihn nicht mit Fragen. Ich wusste ganz genau, dass er sie nicht beantworten würde. Zu der Verletzung hatte er schließlich auch nichts gesagt. Er war eben schweigsam, so wie ich eigentlich auch...

 

3

 

Ständig fielen mir die Augen zu, weshalb ich beschloss, mich hinzuhauen. Erst als ich mein Zimmer betrat fiel mir ein, dass ja Zayn in meinem Bett lag und schlief. Doch auf dem Sofa pennen wollte ich nicht. Es war zu unbequem. Ich zuckte also mit den Schultern, schmiss mich in ein Hemdchen und legte mich zu ihm. So irre die Situation auch gewesen sein mag, ich kam damit klar! Schon nach wenigen Augenblicken war ich eingeschlafen.

Als ich aufwachte musste ich feststellen, dass ich in den Armen des Mannes lag. Er hatte die Arme um mich geschlungen und mich an seine Brust gedrückt. Ich war mir sicher das er schlief. Nie im Leben hätte er mich bei vollem Bewusstsein so gehalten. Umso beunruhigender war es, dass sein Atem nicht so ruhig und gleichmäßig war, wie er hätte sein sollen. Fast ein wenig ängstlich legte ich den Kopf in den Nacken, um sein Gesicht sehen zu können. Augenblicklich versteifte ich mich. Scheinbar fasziniert musterte er mich.

„Ist dir klar, wie verrückt diese Situation ist?“, flüsterte ich.

Hier lag ich, mit einem potenziellen Mörder in einem Bett, an ihn geschmiegt und noch halb schlafend. Er ging nicht auf meinen Kommentar ein.

„Du hast unruhig geschlafen. Schlecht geträumt?“, hakte er mit ausdrucksloser Stimme nach.

Hätte seine Stimme nicht so leer geklungen wäre ich glatt auf den Gedanken gekommen, dass er sich sorgte. Doch das hielt ich im Augenblick für unmöglich.

„Wie immer.“, sagte ich lässig und befreite mich aus seinen Armen, um mich aufsetzen zu können.

Verschlafen fuhr ich mir mit der Hand durchs Haar. Ich schlief immer schlecht. Albträume plagten mich fast jede Nacht. Richtig ausgeruht fühlte ich mich nie. Doch...heute war es erstaunlicherweise anders. Ich war nicht mehr müde, so wie sonst. Nein, ich fühlte mich ausgeruht. Ich wagte es nicht den Mann neben mir anzusehen. Ein Verdacht beschlich mich, doch ich wagte es nicht einmal daran zu denken.

„Hey. Sieh mich an!“

Ich wollte ihn nicht ansehen, doch mir blieb keine Wahl, denn er griff nach meinem Kinn und drehte mein Gesicht in seine Richtung. Eingehend studierte er mein Gesicht.

„Erzähl mir etwas über dich.“, verlangte er und bedachte mich mit einem strengen Blick.

Amüsiert und mit Spott in den Augen erwiderte ich seinen Blick.

„Du erzählst mir doch auch nichts von dir, also warum sollte ich?“, sagte ich leise, worauf sein Griff noch fester und schmerzhafter wurde.

„Ja, ich habe fast jede Nacht Albträume. Aber ich will nicht darüber reden, okay?“

Nur langsam ließ er mich los. Tief einatmend stieg ich aus meinem Bett.

„Tut mir leid. Ich bin dir zu nahe gekommen.“, murmelte ich und lief in Richtung Badezimmer. Als ich über meine Schulter zurückblickte sah ich, dass Zayns Blick noch immer auf mich gerichtet war.

„Sieh mich gefälligst nicht so an.“, hauchte ich.

Fast schon ein wenig betrübt erwiderte ich seinen Blick.

„Deine Freundin hat Recht, Nyria. Ich bin ein Mörder. Ich habe schon zu viele Leute auf dem Gewissen als das ich sagen könnte, wie viele genau es sind.“, sagte er plötzlich mit dunkler Stimme.

Ich neigte den Kopf. Gab er das so offenherzig zu, damit ich Angst bekam und ihn vor die Tür setzte? Es war das erste Mal, dass er mich bei meinem Namen nannte, weshalb ich einen Augenblick lang sprachlos war.

„Hast du nun doch Angst?“, meldete er sich mit zuckenden Mundwinkeln wieder zur Wort.

„Hättest du wohl gerne.“, sagte ich und ließ ausnahmsweise ein leises Lachen hören.

Zehn Minuten brauchte ich im Bad. Als ich dann die Tür öffnete stand ein großer Mann bedrohlich nah vor mir. Natürlich war es kein anderer als Zayn. Wieder einmal stand ich nur durch ein Tuch bedeckt vor ihm. Ich wollte fragen was los war, da packte er mich an den Armen und drängte mich ins Bad zurück. Grob presste er seine Lippen auf meine. Ich wusste gar nicht wie mir geschah. Warum küsste er mich? Und warum gefiel es mir? Ich erwiderte den Kuss zwar, konnte mich aber nicht rühren nachdem er von mir abgelassen hatte. Fassungslos starrte ich zu ihm auf.

„Ich könnte dich töten, Nyria!“, murmelte er und musterte mich eingehend.

„Wenn du das wirklich tun wollen würdest, hättest du es schon längst getan.“

Ich war erstaunt über mich selbst. So selbstbewusst war ich eigentlich nie...

Auch ihn schien meine Reaktion zu verblüffen, denn er zog die Brauen hoch. Er schüttelte kurz und benommen den Kopf, dann kehrte er mir den Rücken zu.

„Warum bist du noch hier? Ich hätte damit gerechnet das du abhaust, sobald du aufwachst. Aber du bist noch hier. Warum?“

Neugierig streckte ich die Hand aus, ließ sie aber rasch wieder sinken.

„Stell mir keine Fragen, die ich nicht beantworten kann.“

Seine Antwort ließ mich lächeln. Er konnte zwar ein überheblicher und arroganter Arsch sein, doch in diesem Moment -oder vorhin in meinem Bett- wirkte er mehr als liebenswürdig!

„Ich weiß nicht was du schon alles erlebt hast, Zayn Vaher, aber deine Geschichte scheint lang zu sein. Und schmerzhaft.“

Im Vorbeigehen legte ich ihm meine Hand kurz auf die Schulter. Mir entging nicht, dass er unter meiner flüchtigen Berührung zusammenzuckte. Ich lächelte schwach. Er wurde nicht gerne berührt, keine Frage. Ich fragte mich, warum.

 Einige Tage waren vergangen und Zayn war noch immer bei mir. Das ein Flüchtling bei mir unterkam hatte die Polizei immer noch nicht herausgefunden. Es war verrückt! Obwohl Zayn auffällig versuchte Distanz zu mir zu bewahren, beobachtete er mich bei allem mit Argusaugen. Es schien, als wäre es für ihn total anormal, dass ich Wäsche wusch oder kochte. Mir kam der Gedanke, ob er nicht vielleicht reich war und deshalb so etwas nie zu machen brauchte. Das wäre auch eine Möglichkeit warum er zum Mörder geworden war. Doch ich traute mich nicht zu fragen, weshalb ich diesen Gedanken sofort wieder verwarf. Ich ahnte, dass er ein schweres Leben gehabt hatte und hatte ihn auch kurz darauf angesprochen, doch seit diesem Tag hatten wir nicht ein Wort mehr miteinander gewechselt. Vielleicht war es ihm peinlich? Vielleicht wollte er auch einfach nicht mehr darauf angesprochen werden. Doch eine Sache blieb unverändert. Jede Nacht wurde ich wach, wodurch ich bemerkte, dass Zayn mich wieder im Arm hielt. Als ich dann morgens wieder aufwachte, war er schon auf den Beinen. Scheinbar wollte er nicht, dass ich es wusste. Als ich am Dienstagnachmittag von der Arbeit kam hörte ich im Schlafzimmer leise Papier rascheln. Ich dachte mir nichts dabei, doch als ich das Zimmer betrat und sah, welches Buch der Mann in den Händen hielt, hätte ich mich am liebsten auf ihn gestürzt. Scheinbar hatte er mich nicht bemerkt, denn er blätterte weiter in meinem Tagebuch.

„Gefunden, wonach du gesucht hast?“, meldete ich mich tonlos zu Wort.

Er fuhr zusammen und ließ das kleine Buch fallen.

„Ich hätte es doch verbrennen sollen.“, murmelte ich und hob es auf.

„Hattest du deshalb so eine Ahnung, was mich betrifft? Weil du selbst eine schlimme Kindheit hattest?“, hakte er leise nach und bedachte mich mal wieder mit einem langen Blick.

„Eigentlich nicht.“, erwiderte ich trocken. „Ich habe nur einfach ein Gespür für so etwas.“

Eine Weile lang schwiegen wir beide, dann ließ ich mich neben ihm auf dem Teppich nieder.

„Warum durchwühlst du meine Sachen? Du hättest mich doch einfach fragen können.“

Mein recht liebevoller Ton ließen ihn wie erwartet stutzen.

„Bist du nicht sauer?“, murmelte er.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ein wenig nur.“

Er schwieg erneut, weswegen ich es wagte ihn anzustupsen.

„Zayn, wenn etwas ist, sag es mir. Ich beantworte dir Fragen und höre aufmerksam zu, wenn du etwas loswerden willst. Also zögere nicht.“

Sein überraschter Blick ließ mich lächeln.

„Wir kennen uns nicht.“, hauchte er irritiert.

Mein Lächeln wurde breiter.

„Wir müssen uns auch gar nicht kennen, Zayn. Du würdest das doch gar nicht wollen.“

Ich erhob mich leise seufzend.

„Mir scheint, du kennst mich sogar ausgesprochen gut.“, flüsterte er leise.

Argwöhnisch musterte er mich, doch ich tat so als würde ich es nicht bemerken. Ich war schon dabei aus dem Zimmer zu stolzieren, als ich wieder seine Stimme vernahm.

„Ich habe meine Eltern nie kennengelernt.“

Abrupt blieb ich stehen. Ich drehte mich nicht um.

„Wer hat dich großgezogen?“, fragte ich neutral.

Vielleicht bekam ich ja mehr aus ihm heraus, wenn ich ihm zeigte das es mir hier nicht um Gefühle ging? Ich blieb also dementsprechend kalt.

„Lehrer. Angestellte. Personal.“, antwortete er, wenn nicht sogar kälter als ich.

„Du warst...bist reich?“, stellte ich fest und sah über meine Schulter.

„So kann man das nicht sagen.“, kam es von ihm zurück.

Unecht lächelnd drehte ich mich schließlich doch um.

„Von deiner Neigung zum töten mal abgesehen bin ich davon überzeugt, dass auch ohne Eltern etwas aus dir geworden ist.“, sagte ich leise. Ich ließ ihn stehen, doch vor der Zimmertür hörte ich wie er leise sagte:

„Nein, Nyria, aus mir ist nichts geworden. Nichts, außer einem gefallenen Engel.“

In der darauf folgenden Nacht träumte ich von Engeln, gefallenen Engeln und schwarzen Flügeln. Keuchend war ich aufgewacht. Dabei hatte ich das Bild von Zayns Rücken im Kopf, auf dem zwei lange und tiefe Narben geprangt hatten. Sie zogen sich von Anfang, bis zum Ende seiner Schulterblätter. Ich wusste nicht warum er den Vergleich mit einem gefallenen Engel gewählt hatte. Ebenso wenig wie ich wusste, warum ich nun einen solchen Traum gehabt hatte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Zayn leise an meinem Ohr.Ich nickte nur, unfähig etwas zu sagen. Schon seit Tagen war ich völlig neben der Spur, doch erst jetzt gestand ich es mir ein. Erst seitdem dieser fast völlig fremde Mann hier war, war alles anders. Er hatte etwas an sich, was mir gefiel. Vielleicht war es das geheimnisvolle, vielleicht auch nur sein gutes Aussehen. Ich begann mir darüber Gedanken zu machen, wie es nun weitergehen sollte. Seit Tagen war er hier, doch wir beide kamen keinen Schritt weiter. Wir lebten aneinander vorbei und doch schien es, als wären wir voneinander abhängig.

„Wovon hat der Traum gehandelt?“, meldete Zayn sich wieder zu Wort.

Ich schluckte. Ich wollte ihn etwas fragen, konnte mich aber nicht so recht überwinden das auch zu tun. Irgendwann stieß er mich an, weswegen ich es doch wagte.

„Woher stammen die zwei langen Narben auf deinem Rücken?“

Ich spürte wie sein Körper sich versteifte und wusste sofort, dass ich auf diese Frage keine Antwort bekommen würde.

„Nur so viel...Ich war selbst Schuld.“, murmelte er.

Einige Sekunden vergingen, dann saß ich alleine in meinem Bett. Ich beobachtete ihn fasziniert dabei, wie er sich anzog. Ehrfürchtig betrachtete ich das Spiel der Muskeln unter seiner Haut. So gemein er auch sein konnte, wenn er nicht über sich sprechen wollte wirkte er unglaublich verletzlich. Ob er das wohl wusste?

„Warum siehst du mich so an?“, herrschte er mich plötzlich an.

Ich zuckte zusammen. Hatte er meinen stechenden Blick etwa im Rücken gespürt?

„Du bist mir ein Rätsel, Zayn Vaher.“, nuschelte ich und ließ mich wieder ins Kissen fallen. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es erst sechs Uhr in der Früh war.

„Wie meinst du das?“, fragte er plötzlich.

Langsam hob ich den Kopf.

„Naja.“, zögerte ich. „Im einen Moment versuchst du mir mit dieser „Killer-Nummer“ Angst einzujagen, dann sagst du etwas über dich, was dich verletzlich wirken lässt und nachts hältst du mich liebevoll im Arm. Hast du eine Ahnung, wie verwirrend das alles ist?“

Ich sah die Sprachlosigkeit, die Verwirrung und den Ärger darüber, dass ich es überhaupt erst gewagt hatte diese Worte auszusprechen. Für einige Minuten herrschte eisiges Schweigen. Dann durchbrach der attraktive Mann die Stille.

„Weißt du eigentlich, wie seltsam du bist?“, seufzte er. „Du bist so unglaublich sensibel und zerbrechlich und doch tust du so, als wärst du kalt und unnahbar. Du willst nicht, dass man dir zu nahe tritt und dich verletzt und deswegen setzt du diese Maske auf, was ich ehrlich gesagt ziemlich lächerlich finde.“

Nach seiner Ansprache konnte ich nachvollziehen, warum er mich gerade so angestarrt hatte. Ich tat jetzt nämlich genau das gleiche. Nachdem ich zu meiner Fassung wiedergefunden hatte, sah ich ihn stur an.

„Es kann dir egal sein, wie ich bin und was ich aus mir mache, ebenso wie es mir egal sein kann, dass du mordest.“, erwiderte ich herausfordernd, worauf er ein Lachen scheinbar nicht mehr unterdrücken konnte.

„Du bist unglaublich!“

Wieder schwiegen wir. Ich hatte keine Ahnung was ich nun sagen sollte und er scheinbar auch nicht.

„Ich habe etwas verweigert, deswegen die zwei Narben auf dem Rücken. Sprich, hätte ich gehorcht, wären sie nun nicht vorhanden.“

Seine plötzlichen Worte ließen mich aufhorchen. Zwar zerbrach ich mir nun den Kopf darüber, was genau wohl passiert sein könnte, doch ich sah ihn nur verständnisvoll an.

„Man sollte sich nicht den Willen anderer aufzwingen lassen. Ich bin sicher, du hast die richtige Entscheidung getroffen.“, murmelte ich und wandte mich wieder ab. Ich konnte seinen Blick im Rücken spüren, drehte mich aber nicht wieder um.

 

4

 

Der Drang diesem Mädchen alles zu erzählen war gewaltig! Schon seit Tagen lungerte ich in ihrer Wohnung herum, in der Hoffnung nicht mehr gehen zu müssen. Ich konnte für gewöhnlich nichts mit Menschen anfangen, doch diese Frau war etwas Besonderes. Ihre ungewöhnlichen eisgrünen Augen blickten mich die meiste Zeit kalt oder argwöhnisch an, doch hin und wieder blitzten tiefe Gefühle in ihnen auf. Langsam wurde ich verrückt. Was hatte sie an sich, dass ich so unbedingt hier bleiben wollte? Es wäre wirklich besser, wenn ich ginge, doch ich konnte und wollte nicht! Allein schon das sie mich hierher gebracht hatte und sich um meine Wunden gekümmert hatte, war ein Wunder gewesen. Warum hatte sie das getan? Auch jetzt noch hatte ich keine Antwort darauf. Ich bezweifelte, dass sie es aus Mitleid getan hatte, doch was war es dann? Ständig brachte sie mich aus der Fassung. Warum nur konnte sie mich so gut einschätzen? Noch nie war es jemandem gelungen, mehr als nur meine Arroganz und Grausamkeit in mir zu erkennen. Doch dieses Spiel, welches sie mit mir spielte, konnte man auch zu zwei spielen. Natürlich wusste ich, dass sie mir dieses Selbstbewusstsein nur vorgaukelte, doch es würde keine Spaß machen wenn ich diese Bombe nun platzen ließ. Ihr waren die zwei Narben nicht entgangen, sehr zu meinem Bedauern. Wie sollte ich das erklären? Okay, sie hatte schon längst begriffen das sie keine Antwort darauf erhalten würde, doch mir war klar, dass sie sich auch weiterhin Gedanken darüber machen würde. Seufzend beendete ich meine Überlegungen, um der jungen Frau leise und unauffällig zu folgen. Ihr Blick hatte zu erkennen gegeben, dass sie sich am liebsten auf mich gestürzt hätte, doch sie war erstaunlicherweise sehr beherrscht gewesen. Am Ende klang sie sogar fast schon liebevoll! Ich fragte mich ernsthaft, was in dem Kopf dieses Mädchens vorging. Tja, Gedankenlesen gehörte leider nicht zu meinen Fähigkeiten... Zögernd blieb ich mitten im Flur der Wohnung stehen. Hatten meine Brüder recht gehabt? War ich wirklich armselig und verachtenswert? Nicht zu fassen, jetzt begann sogar ich schon über diesen Schwachsinn nachzudenken! Die Welt der Menschen bekam mir ganz und gar nicht.

„Alles in Ordnung?“

Fast schon erschrocken hob ich den Blick. Nyria sah mich eindringlich an. Ihr Blick war von Sorge geprägt.

„Du hast betrübt ausgesehen.“, erklärte sie hastig und wandte den Blick schnell von mir ab.

„Ich sollte dir egal sein, Nyria.“, murmelte ich teilweise verärgert, dennoch fasziniert.

„Das bist du aber nicht. Warum weiß ich allerdings auch nicht.“

Innerhalb von Sekundenbruchteilen war sie in der Küche verschwunden.

 

Mein Herz raste. Das Ganze wurde immer absurder! Warum hatte ich diesen Typen noch nicht vor die Tür gesetzt?

Ganz einfach., wisperte mein Unterbewusstsein. Weil er dich fasziniert. Und du Interesse an ihm hast! Ich schüttelte den Kopf. Niemals! Selbst wenn er faszinierend war, Interesse hatte ich ganz sicher nicht an ihm! Ein lautes Klopfen an der Haustür ließ mich zusammenfahren. Ich ließ zurück in den Flur, öffnete die Tür und trat erschrocken einen Schritt zurück als ich den großen Mann erblickte, der hinterhältig grinste. Seine schwarzen Augen funkelten vor...List?

„Hallo, Kleine. Zayn ist nicht zufällig hier, oder?“, sprach er mit dunkler Stimme und lehnte sich gegen den Türrahmen. Ich schluckte und trat selbstsicher wieder einen Schritt vor.

„Darf ich fragen, wer Sie sind? Und wer dieser Zayn sein soll?“, erwiderte ich kalt, worauf der blonde Mann einen Augenblick lang ziemlich überrascht aussah. Dann wurde er mit einem mal viel bedrohlicher.

„Raus damit, Kleine! Wo ist er?“, knurrte er.

„Was hast du hier zu suchen, Jere?“, ertönte es plötzlich hinter mir.

Es war Zayn. Jere drängte mich zur Seite und betrat die Wohnung. Scheinbar war er ziemlich wütend.

„Bist du schon so feige geworden, dass du dich bei einer Menschenfrau versteckst?“

Für einen kurzen Augenblick fragte ich mich, warum er Menschenfrau sagte, doch ich war zu neugierig um mir über so etwas jetzt Gedanken zu machen.

„Wo ich unterkomme kann dir völlig egal sein. Bist du nur deswegen hergekommen?“

Ich fragte mich, wer dieser Mann war. Waren Zayn und er Freunde?

„Sie suchen nach dir, Zayn.“, sprach Jere. „Das du kein Zuhause hast, hat dich attraktiv wirken lassen. Sie alle sind scharf darauf, dir eine Abreibung zu verpassen.“

Vaher schmunzelte.

„Glauben sie etwa, dass ich meine Kräfte verloren habe? Mag sein, dass ich keinen Ort der Zuflucht mehr habe, auf meine Stärke hat sich das aber nicht ausgewirkt.“

Etliche Fragen schossen mir durch den Kopf, doch ich schwieg. Jere zuckte mit den Schultern.

„Wie du meinst. Ich wollte dir nur Bescheid gegeben haben. Bis dann, also...“

Schon war der Kerl aus der Wohnung gestürmt. Perplex blieb ich mit Zayn zurück.

 

Nicht eine einzige Frage hatte ich ihm gestellt. Keine Ahnung, warum. Mein Unterbewusstsein wartete wohl darauf, dass er mir eine Erklärung lieferte. Doch er dachte wohl im Traum nicht einmal daran. Wir taten beide so, als wäre nie etwas gewesen. Stunden vergingen, bis er sich plötzlich neben mir auf dem Sofa niederließ.

„Hast du gar keine Fragen?“, murmelte er so leise, als hätte er Angst vor der Antwort.

„Hättest du sie beantwortet?“, erwiderte ich ruhig, ohne ihn anzusehen. Vielleicht stand er ja unter Druck?

„Wahrscheinlich nicht.“, gab er zu.

Nun sah ich ihn doch an. Meine hochgezogenen Brauen ließen ihn seufzen.

„Also gut, Nyria. Ich sehe dir an, dass du mich am liebsten mit Fragen durchlöchern würdest aber ich kann sie dir nicht beantworten. Zumindest nicht ehrlich. Also sieh mich nicht mit diesem flehenden Ausdruck in den Augen an!“

„Ich sehe dich flehend an?“, hakte ich perplex nach und völlig überrumpelt nach. Nun war wohl auch er verwirrt.

„Ich dachte du machst das absichtlich?“, murmelte er, worauf ich den Kopf schüttelte.

„Nein! Wie kommst du darauf? Na, ist ja auch egal. Lass...uns einfach nicht darüber reden!“, murmelte ich und wandte mich von ihm ab. Ich war so neugierig, doch es wäre besser für uns beide, wenn ich nicht Bescheid wusste. Ich würde ihm sicher nur Schwierigkeiten bereiten. Fassungslosigkeit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

„Du willst nicht darüber reden?“, hauchte er.

Ihn schien das Ganze dennoch zu amüsieren, denn seine Mundwinkel zuckten.

„Wenn ich nachbohre kommst du mir sicher mit Sprüchen wie...“Das würde uns nur in Gefahr bringen.“ oder „Ich kann es dir nicht sagen, es ist verboten.“. Ich erspare mir einfach dieses Theater.“

Schnaufend lehnte ich mich zurück. Überfordert schloss ich die Augen.

„Ich muss feststellen, dass du so mürrisch ausgesprochen sexy aussiehst.“

Seine leise gemurmelten Worte ließen mich panisch die Augen aufreißen.

„Wenn du Distanz bewahren willst, solltest du solche Dinge nicht sagen.“, murmelte ich und starrte ihn finster an.

„Normalerweise sage ich solche Dinge auch nicht. Und was die Distanz angeht...“

Zayn wurde leiser und rutschte näher an mich heran, was mir bereits jetzt schon einen Schauer über den Rücken jagte.

„Ich war schon immer launenhaft, was das anging.“, raunte er mir auch schon ins Ohr.

Ich hatte zwei Möglichkeiten. Entweder ließ ich meine Fäuste sprechen und machte ihm klar, wie bescheuert er sich gerade verhielt oder ich stand einfach auf und ging. Letztere Möglichkeit wäre zwar angebrachter, jedoch langweilig. Und wer weiß, wie dieser Kerl auf meine Fäuste reagierte. Vielleicht sollte ich doch noch eine dritte Möglichkeit in Betracht ziehen?

„Was wird das hier?“, flüsterte ich mit übertrieben dunkler und rauer Stimme. Er blinzelte und schien nun endlich zu merken, wie nah er mit seinem Gesicht bereits meinem war. Zayn antwortete nicht, sondern senkte den Blick. Scheinbar wusste er selbst nicht, was er hier gerade tat. Unschlüssig hockte er vor mir, mit den Lippen noch immer dicht vor meinen. Nachdenklich fasste ich sein Kinn und hob sein Gesicht an.

„Irgendetwas scheint dich zu verwirren. Verrätst du mir, was?“

Mein Tonfall schien ihn immer wieder auf Neue zu verwirren. Gerade in diesem Moment wohl auch. Es blieb ruhig.

 

Erwartungsvoll blickten ihre eisgrünen Augen mich an. Und was tat ich? Ich traute mich nicht einmal ihren Blick zu erwidern! Wie tief war ich nur gesunken? Wie sehr hatte ich mich verändert, wenn ich nicht einmal mehr wusste, wie es in mir aussah? Brüllend sprang ich auf. Das Zucken ihres Körpers entging mir nichts. Hatte ich ihr Angst eingejagt? Ich verspürte den Drang auf etwas einzuschlagen, doch ich begnügte mich damit eine Glasvase vom Tisch herunterzuhauen. Als sie auf dem Boden aufkam zersprang sie in tausend Teile.

„Zum Teufel, würdest du mal damit aufhören?“, brüllte die Frau plötzlich.

Sie war ebenfalls aufgesprungen.

„Womit?“, brüllte ich zurück. „So zu sein, wie ich bin?“

Zeitgleich atmeten wir beide tief durch.

„So kommen wir doch nicht weiter...“, murmelte Nyria und fuhr sich mit den Händen durchs Haar.

„Du hast recht.“, erwiderte ich leise und kehrte ihr den Rücken zu. „Ich werde gehen.“

Langsam wurde mir klar, dass ich die Grenze überschritten hatte. Diese Frau würde am Ende nur mit in meine Angelegenheiten gezogen werden. Und das wollte und würde ich verhindern! Nicht mal eine Stunde später stand ich also an der Tür.

„Du willst also wirklich gehen?“, hauchte Nyria und kam mir dabei wieder gefährlich nahe.

Ich nickte. Was sollte ich auch sonst tun?

„Und wo willst du hin?“

Ich lächelte und sah ihr in die Augen.

„Wir werden uns nicht wiedersehen, Nyria. Also brauchst du dir darüber keine Gedanken zu machen.“ Ich traute es mich nicht einmal zu denken, doch ich hätte schwören können, dass ich für einen kurzen Moment so etwas wie Trauer in ihren hübschen Augen gesehen habe. Und vielleicht sogar Wut. Noch immer sahen wir uns an. Traute sie sich nicht etwas zu sagen? Warum nicht? Nicht zu glauben wie schwer es mir fiel ihr nun den Rücken zuzukehren. Eigentlich wollte ich nicht gehen. Doch...vielleicht würde ich ja eines Tages zurückkehren.

„Pass auf dich auf, du Idiot.“, war alles was ich hörte, als ich die Stufen hinunterlief.

 

5

 

Schreiend richtete ich mich auf. Keuchend strich ich mir die feuchten Haare aus dem Gesicht. Schon wieder ein Albtraum. Und dieses grauenhafte Gefühl beobachtet zu werden! Langsam ließ ich den Blick schweifen. Dunkelheit. Wie auch in meinem Traum. Der Blick auf die Uhr verriet, dass es zwei Uhr Nachts war. Ich verdrückte eine Träne. So schlimm waren die Träume eigentlich nie. Erst seitdem...seitdem Vaher weg war. Ich verließ mein auf einmal viel zu großes Bett und lief zum Fenster, welches ich erst einmal aufriss. Gierig saugten meine Lungen die frische Nachtluft ein. Auf einmal kam mir meine Wohnung viel zu beengend vor. Hastig schlüpfte ich in andere Klamotten, dann riss ich meine Lederjacke von der Garderobe und verließ nahezu stürmisch meine Wohnung. Ein kleiner Spaziergang würde sicher nicht schaden. Schnell ließ ich mein Messer in die Ärmeljacke verschwinden. Ich stieß einen tiefen Seufzer aus, der irgendwie ein wenig befreite. Tja, letzten Endes wusste ich doch nichts über Zayn Vaher. Tage waren vergangen. Vielleicht auch schon Wochen, keine Ahnung. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ein Kribbeln in meinem Rücken riss mich aus meiner Trauer und holte mich in die Realität zurück. Ich durfte nicht vergessen, dass es mitten in der Nacht war und ich bereits am Rande der Stadt! Ich riskierte einen Blick über meine Schulter und entdeckte eine Gruppe junger Männer, die mir gefährlich dicht auf den Fersen waren. Wahrscheinlich waren fast alle von ihnen bewaffnet, doch in diesem Moment hoffte ich, dass genau dies nicht auf die fünf zutraf.

„Ey, Süße! Bleib mal stehen!“, rief einer von ihnen mit kratziger Stimme. Wahrscheinlich Raucher. Jetzt stehen zu bleiben war das Dümmste was man wohl tun konnte, doch ich blieb tatsächlich stehen und drehte mich mit finsterem Blick um. Bereits das ließ zwei von ihnen nur zögernd auf mich zukommen.

„Eine Schönheit wie du sollte um diese Zeit nicht unterwegs sein, das könnte gefährlich werden.“

Ich blinzelte nicht einmal, auch wenn der Kerl vor mir eine mördermäßige Fahne hatte.

„Ich bin in der Lage auf mich aufzupassen, vielen Dank. Sollte ich deswegen stehen bleiben?“

Kalt und monoton wie ich war, schaute ich ihm unverwandt in die kühlen braunen Augen. Irritiert sah er auf mich herab, dann brach er in schallendes Gelächter aus.

„Die Kleine ist gut!“, lachte er und sah kurz seine Kollegen an, die mich inzwischen eingekesselt hatten.

„Du kannst also auf dich aufpassen, ja?“, hakte er rundliche Kerl vor mir nach.

Ich nickte unbeeindruckt. Ganz hier in der Nähe, ein paar Straßen weiter nur, befand sich ein abgelegener Friedhof, ich würde wohl auf meine Wortwahl achten müssen.

„Sehe ich in deinen Augen etwa wie ein kleines Mädchen aus?“, knurrte ich.

Wütend stierte ich ihn an, worauf er zwar einen Schritt zurücktrat, dann jedoch aber plötzlich eine Waffe zog.

„Und? Wie sieht's jetzt aus, kleine Lady?“

Noch immer unbeeindruckt verschränkte ich die Arme. Die Waffe bereitete mir keine Sorgen. Viel mehr beschäftigten mich die vier anderen Typen. Die könnten noch zum Problem werden.

Ohne große Mühe griff ich nach der Waffe, die ich auch entsicherte und lud.

„Na sieh mal einer an, mit Munition? Da hatte die Nacht aber jemand Großes vor.“, spottete ich.

Das ich selbst nun die Oberhand hatte gefiel mir ganz und gar nicht. Schon oft war ich in Versuchung gekommen, die Macht die ich nun hatte übertraf allerdings alles. Ich würde noch zur Mörderin werden, wenn ich meine Gefühle weiterhin so verdrängte. Ach, scheiß drauf. Solange ich nicht dabei drauf ging war alles andere unwichtig! Die Typen um mich herum trat ebenfalls einige Schritte zurück, jedoch sah ich nun auch Metall und Stahl in der Dunkelheit aufblitzen. Blitzschnell griff ich nach dem Arm des Typen vor mir, dann drehte ich ihn und hielt ihm die Waffe an den Kopf.

„Ich glaube es ist besser, wenn ihr geht, ehe mir meine Position zu Kopf steigt.“, grinste ich.

Nach nicht einmal zwei Minuten war kein Mensch weit und breit mehr zu sehen. Was blieb war die Pistole in meiner Hand. Ich grübelte eine Weile darüber nach wo ich sie verstauen sollte, bis ich am Ende beschloss sie mit dem Lauf voran in meine Hose zu schieben. Dabei kam ich mir zwar ein bisschen blöd vor, doch es war ja eh keiner mehr unterwegs.

„Du willst Zayn doch nicht etwa nacheifern, oder?“, ertönte es plötzlich neben mir.

Nun doch erschrocken hob ich den Kopf. Mein Blick traf den des Mannes, der vor kurzem noch wütend in meiner Wohnung gestanden hatte. Jere. Ich wusste nicht so recht was ich von dieser Situation nun halten sollte, beschloss aber mich darauf einzulassen.

„Nicht wirklich.“, erwiderte ich immer noch kalt.

Fast ein wenig anerkennend musterte mich der muskulöse Mann.

„Was macht der Gute eigentlich? Treibt er dich in den Wahnsinn?“

Dieser Kerl schien in Plauderlaune zu sein.

„Keine Ahnung.“, antwortete ich auf seine erste Frage. „Er ist gegangen. Keine Ahnung wohin.“

Ich schüttelte den Kopf und wandte mich ihm dann ganz zu.

„Jere, richtig? Warum hast du neulich Menschenfrau gesagt?“

Neugierig aber doch so distanziert wie möglich sah ich ihn an. Erstaunt hob Jere die Brauen.

„Zayn hat dir nichts erzählt, stimmt's?“, murmelte er.

Ich blieb ernst.

„Ich wusste, dass er mir keine Antworten liefern würde, deswegen habe ich gar nicht erst gefragt. Ich habe mich zwar um seine Verletzungen gekümmert und ihn versorgt aber das wars. Mehr ist da nie gewesen.“, erklärte ich nun nicht mehr ganz so feindselig.

„Du hast dich um seine Verletzungen gekümmert? Und er hat es zugelassen?“, hakte er ungläubig nach.

„Er hatte keine Wahl als er ohnmächtig war. Wer bist du eigentlich? Sein Freund? Oder ein potenzielles Opfer?“

Jere lachte ein tiefes und kehliges Lachen.

„Sieh an, das Fräulein reißt Witze.“

Ich schnaubte und setzte mich in Bewegung. Wenn ich noch länger hier herumstand , würde ich wirklich noch aggressiv werden.

„Weder noch.“, sagte der Mann und folgte mir. „Wie waren so etwas wie...Kollegen. Aber das ist lange her.“

Er verfiel in Schweigen, weshalb ich erneut das Wort ergriff.

„Nein, Zayn hat mir nicht das geringste erzählt. Und ich bin keine Frau die einem auf die Nerven geht, deswegen habe ich mir meine Fragen sonst wohin gesteckt. Da ist eine Sache...nur eine einzige, die hier totgeschwiegen wird. Diese Sache ist ausschlaggebend, ich weiß es. Wirst du damit herausrücken? Wenn nicht sehe ich keine Grund, länger meine Zeit mit dir zu vergeuden.“

Wieder brach der bullige Mann in Gelächter aus.

„Kein Wunder, dass Zayn bei dir geblieben ist. Du hast einen einzigartigen Charakter.“

Schief sah ich ihn an.

„Du sagst jetzt besser nichts falsches!“, knurrte ich.

Er hob abwehrend die Hände und so langsam fragte ich mich, warum ich nicht in meinem Bett lag.

„Er ist kompliziert, meine Liebe und langweilt sich sehr schnell. Und er kann es überhaupt nicht haben, wenn man nicht nach seinen Regeln tanzt. Du hast ja keine Ahnung wie sehr er jemanden wie dich mal gebraucht hat. Du hast ein ziemliches großes Mundwerk und scheinst mir außerdem sehr stur und schwer zu bezwingen zu sein. Er hat sich sicher die Zähne an dir ausgebissen.“

Ich schwieg, gab ihm aber insgeheim recht. Er schien sich tatsächlich mehrmals die Zähne an mir ausgebissen zuhaben, allerdings lag das wohl viel mehr an meiner verständnisvollen und vor allem liebevollen Art. Jere seufzte leise.

„Er wird seine Gründe gehabt haben, warum er die...diese Sache nicht anvertraut hat. Ich schätze es ist keine gute Idee, wenn ich nun so einfach damit herausplatze.“

„Natürlich nicht.“, murmelte ich nun deutlich gereizt und beschleunigte meinen Schritt.

„Es gibt nicht nur Menschen, Nyria. Deswegen habe ich...Menschenfrau zu dir gesagt.“

Ich blieb stehen und verschluckte mich dabei fast an meiner eigenen Spucke.

„Ich habe dir meinen Namen nie genannt. Und Zayn sicher auch nicht.“

Da war er wieder. Der kalte und unbeteiligte Ton meiner Stimme. Er antwortete nicht darauf, ich sprach weiter.

„Was soll das heißen, es gibt nicht nur Menschen? Wer...was sind die anderen? Und wo sind sie?“

„Deine Träume, Kleines. Wer oder was spielt in ihnen eine Rolle?“

Ich wirbelte herum, doch ich war allein.

 

Ich stieß ein Brüllen aus. Nicht zu fassen, wie töricht diese Frau war! Sie spielte mit ihrem Leben. Wusste sie überhaupt, wie gefährlich diese Typen hätten werden können? Jere hätte doch eingreifen können, also wieso hat er das nicht auch getan? Wollte er mich ärgern? Wusste er das ich hier auf dem Dach hockte und mir Sorgen um sie machte? Wenn ja, dann war es ihm durchaus gelungen. Ich wollte wissen worüber die beiden sprachen, doch noch näher konnte ich nicht gehen. Ich seufzte. Oh, wie neugierig diese Frau doch war. Diese Neugier war geradezu niedlich. Doch wenn man den hervorragenden Instinkt von ihr beachtete, kam man sehr schnell auf den Gedanken, dass man es mir einer unberechenbaren Mörderin zutun hatte. Dabei war ich hier der Mörder!

„Sie wird dir noch auf die Schliche kommen, Zayn. Du solltest aufpassen.“

Ich hätte am liebsten nach Jere geschlagen, doch ich wusste das er schon längst wieder weg war.

Ich beobachtete wie Nyria ihre Umgebung genaustens betrachtete. Was zum Teufel hatte er ihr nur gesagt? Mir kam eine Idee. Schon lange hatte ich überlegt, wie ich es meinen ehemaligen Kameraden heimzahlen könnte, nun kam mir da etwas in den Sinn. Sie wollten nicht, dass die Menschen es erfuhren doch was war, wenn es trotzdem einer wusste? Doch so schnell wie dieser Gedanke kam, verflog er auch wieder. Ich würde sie letzten Endes doch nur in die Sache mit hineinziehen und wer wusste, ob sie nicht für meine Sturheit und meinen Stolz bestraft werden würde? Nein, das Risiko wollte ich gewiss nicht eingehen. Ich hatte schon genug damit zu kämpfen, dass sie wieder an ihren Träumen litt. Wütend darüber, sprang ich vom Dach.

 

6

 

Jere hatte mit seinen Worten eine üble Bombe platzen lassen. Schon seit Wochen biss ich mir die Zähne daran aus. Engel? Das war das Schlüsselwort? Es sollte sie wirklich geben? Sie waren real? Wie kam es dann, dass es all dieses Leid auf der Welt gab? Ich war evangelisch, natürlich getauft und konfirmiert, doch geglaubt hatte ich nie an all diesen ganzen Quatsch. Wenn es Engel gab, musste es auch einen Gott geben. Doch für mich gab es keinen Beweis dafür, dass dieser existierte. Natürlich gab es Dinge die man weder sehen, hören, riechen, schmecken oder fühlen konnte. Wir wussten dennoch das es da war. Doch warum sollte ich an Gott glauben? Nie hat er sich bemerkbar gemacht und auch die Wissenschaft hatte, was das betraf, nichts zu melden. Seufzend sah ich in den Nachthimmel. Inzwischen war ich nur noch Nachts unterwegs. Vielleicht wegen meiner Träume, ich wusste es nicht. Ich wollte mir auch gar keine Gedanken darüber machen.

„Engel, hm?“, murmelte ich und betrachtete die unzähligen Sterne.

„Du glaubst nicht an sie?“

Keine Ahnung von wem die Stimme kam, es war mir auch völlig egal. Ich starrte den sichelförmigen Mond an.

„Eigentlich nicht.“, erwiderte ich ausdruckslos.

Ich glaube man konnte mir anhören, wie nachdenklich mich dieses Thema machte.

„Aber?“, ertönte es dann.

Es war eine Frau, die scheinbar fast neben mir stand. Sie schien jung zu sein. Es hörte sich auf jeden Fall so an.

„Jemand hat mir gesagt, dass sie existieren. Und es klang nicht so, als wäre es nur ein Scherz.“

„Wir existieren, Nyria.“

Ich drehte mich um, denn diese Worte hatten mich natürlich neugierig gemacht. Eine Frau mit langen blonden Locken fiel in mein Blickfeld. Sie trug ein wallendes weißes Kleid, doch so unglaublich sie auch aussah, die zwei riesigen weißen Flügel machten das Ganze noch spektakulärer. Ich schlug die Augen auf und richtete mich langsam im Bett auf.

„Nur ein Traum, hm?“, hauchte ich. Natürlich wunderte es mich nicht, dass es nur ein Traum war, dennoch betrachtete ich mit einem Lächeln im Gesicht die weiße Feder in meiner Hand.

 

„Du bist nur noch Nachts unterwegs.“

„Und du meidest mich!“, entgegnete ich fast schon schreiend.

Das Milla mir Nachts in einem Park gegenüberstand lang einzig und allein daran, dass ich sie aus dem Bett geklingelt hatte. Geschockt sah sie mich an.

„D-Du jagst mir Angst ein, Nyria! Du hast mit Kriminellen zu schaffen und du bist völlig anders als sonst. Nie hättest du es gewagt mich anzuschreien. Du trägst sogar ein Messer bei dir!“, flüsterte sie, scheinbar völlig verängstigt. Ich stieß ein Seufzen aus.

„Ich habe nicht mit Kriminellen zu schaffen, Milla. Und ich schreie dich an, weil du mir nicht glauben willst. Und das Messer habe ich immer bei mir. Du hast es nur nie gemerkt, weil ich es versteckt habe. Gerade weil ich nur Abends oder Nachts unterwegs bin, habe ich es bei mir. Es ist alles in Ordnung, Milla, wirklich!“

Nun seufzte auch meine Freundin.

„Okay, weißt du was? Vergessen wir das alles. Wir tun so als wäre nie etwas gewesen, okay?“

Ich lächelte.

„Okay.“, stimmte ich zu, worauf sie sich umdrehte.

„Wenn du mich suchst, ich bin im Bett.“, verkündete sie.

Ich lachte leise. Zwar war ich eine Einzelgängerin, doch gerade weil Milla das komplette Gegenteil von mir war, funktionierte unsere Freundschaft so gut. Auf dem nachhause Weg ließ mich der Krach in einer Gasse aufmerksam stehen bleiben. Vielleicht prügelten sich da einfach nur ein paar Burschen. Vielleicht war es aber auch ernst, was ich schon eher vermutete. Hier in der Stadt gab es ständig Tote, vielleicht wäre es gar nicht mal so schlecht, wenn ich nachsah. Gut gelaunt, dennoch vorsichtig ging ich auf die Gasse zu. Für einen kurzen Moment konzentrierte ich mich nur auf die Geräusche. Doch alles was ich hören konnte war das Reißen von Haut und Spritzen von Blut. Alarmiert rannte ich in die dunkle Spalte zwischen den Häusern. Nur wenige Meter, dann blieb ich wie angewurzelt stehen. Dieses Bild, das sich mir bot...Das konnte unmöglich wieder ein Traum sein! Zayn, umzingelt von drei Männern. Allesamt mit riesigen Flügeln auf dem Rücken. Was zum Teufel war denn hier los? Zayn war verletzt, nicht gerade leicht, doch das Blut an seinen Händen stammte offenbar von einem der Engel. Alle vier Männer keuchten ziemlich schwer, scheinbar war es ein harter Kampf. Eine Sache irritierte mich jedoch. Sie alle hatten keine Waffen aber sie alle waren schwer verletzt.

„Wie kannst du es wagen, dieser Frau alles zu erzählen?“, brüllte einer der Engel.

Seine Haare waren braun, seine Flügel cremefarben. Seine Aura wirkte...mächtig. Naja, die Aura von Zayn war schon unglaublich imposant gewesen.

„Ich hab es ihr nicht erzählt! Sie weiß es nicht!“, brüllte Vaher zurück.

Ich wusste sofort, dass es dabei um mich ging.

„Sie weiß es.“, meldete ich mich ausdruckslos zu Wort. Alle fuhren herum.

Die Engel starrten mich finster an, Zayn jedoch war wohl mehr als nur verblüfft. Ungläubig starrte er mich an. Ich lächelte ihn schüchtern an, setzte aber dann wieder meine kalte Maske auf und stellte mich schützend vor ihn.

„Was soll das? Warum greift ihr ihn an?“, fauchte ich.

Argwöhnisch blickten die drei geflügelten Männer auf mich herab.

„Es verstößt gegen das Gesetz den Menschen von uns zu erzählen.“, erklärte der zweite mit dem blonden Haar und den hellblauen Flügeln.

„Er hat es mir nicht erzählt!“, brüllte ich, worauf die drei erschraken und einen kleinen Schritt zurücktraten.

„Nyria...Das ist meine Angelegenheit. Halt dich raus, okay?“, flüsterte Zayn mir kalt ins Ohr.

„Nein.“, hauchte ich. „Du hast nichts getan. Dich für etwas zu bestrafen was du nicht gemacht hast, ist alles andere als in Ordnung.“

„Geh aus dem Weg, Kleine. Sonst bist du dran!“, meldete sich Engel Nummer drei zu Wort.

„Nein.“, sagte ich, wieder lauter.

Die Miene des Engels verfinsterte sich und mit einem mal begann seine Hand bläulich zu glühen. Er streckte bereits die Hand nach mir aus, doch ich war schneller und schleuderte ihm mein Messer direkt in die Brust. Ein lautes Brüllen ging durch die Nacht. Ich ergriff die Chance und packte Zayn am Arm, um ihn mitzuziehen.

„Nyria!“

Oh, ich wusste ganz genau was er mir sagen wollte.

„Ich weiß, dass diese Kerle Engel sind, Zayn aber hast du eine bessere Idee, wenn nicht weglaufen? Du kannst dich ihnen nicht stellen, du bist alleine und sie zu dritt!“

Und das war der Beginn einer langen Nacht...

 

Müde schlug ich die Augen auf. Zum Teufel, das war wohl eine der längsten Nächte, die ich je erlebt habe. Ich sah an mir herunter und entdeckte Nyria, die auf meinem Schoß lag. Nachdenklich strich ich ihr übers Haar. Sie hatte mich in ein altes und verfallenes Lagerhaus geführt, doch da sie uns dort gefunden hätten, hatte ich sie mit nach mir genommen. Ich war schon ewig nicht mehr hier im Apartment gewesen, doch da alles noch an Ort und Stelle war vermutete ich, dass noch niemand von diesem Ort erfahren hatte. Meine Mundwinkel zuckten. Nicht zu fassen, dass diese Frau mich tatsächlich beschützt hatte! Sie war im Lagerhaus eingeschlafen, wusste also nicht, dass wir hier waren. Mal sehen, wie sie reagieren würde. Ich wurde ernster. Sie hatte Nereus verletzt. Das würde er nicht auf sich sitzen lassen, so viel war sicher. Ich atmete geräuschvoll aus. Sie schlief ruhig. Und so tief wie ein Stein. Ich fragte mich, was wohl der Grund für ihre Albträume war. Und vor allem fragte ich mich ob sie wusste, wer ich in meiner Vergangenheit war. Noch immer spielte ich mit dem Gedanken ihr alles zu erzählen, doch wenn die anderen das herausfanden...

„Nyria, was mach ich nur mit dir. Aber vor allem...was machst du nur mit mir?“

In diesem Moment regte sich die junge Frau auf meinem Schoß.

„Ich habe mich gar nicht um deine Verletzungen gekümmert.“, murmelte sie schlaftrunken, sah mich aber mit klarem Blick an. Verdammt, ich könnte jedes mal aufs Neue in ihren Augen versinken.

„Bist du deswegen etwa aufgewacht?“, erwiderte ich belustigt. Sie schwieg, was ich als Ja verbuchte. Ich ließ ein leises Lachen hören.

„Sehe ich etwa so aus, als wäre ich verletzt?“

Sie musterte mich eingehend und mir fiel auf, dass sie das offenbar gerne tat.

„Nicht wirklich aber das beruhigt mich nicht...“, murmelte sie kühl und rieb sich dann den Schlaf aus den Augen. Sie setzte sich zwar auf, dachte wohl aber nicht mal im Traum daran von meinem Schoß zu gehen.

„Du warst mal einer von ihnen, nicht wahr?“

Mit leeren Augen sah ich sie an, bis ich schließlich nickte.

„Was ist passiert nachdem sie dich...rausgeschmissen haben?“, fragte sie leise.

„Ich kam nach dort unten.“, erwiderte ich und deutete auf den Boden. „Aber die wollten mich auch nicht.“, fuhr ich fort. Ich schloss die Augen. Nun war gut. Für mich hatte sich das jetzt eigentlich erledigt, doch...Eine kleine und zarte Hand legte sich an meine Wange. Schlagartig waren meine Augen wieder auf.

„Heimatlos, hm?“, hauchte sie. „Hast du was angestellt?“

Stur drehte ich den Kopf weg.

„Frag nicht.“, brummte ich.

„Ich möchte es aber wissen.“, sagte sie leise wie ein kleines Kind und beugte sich vor, sodass ich ihren Atem an meinem Hals spüren konnte. Verdammt, wenn sie so weitermachte...Grob stieß ich sie von mir, dann drehte ich mich abweisend auf die Seite. Nur damit sie nicht merkte, wie sehr mir das gefiel...Es wurde ruhig, weshalb ich mich doch wieder umdrehte. Ich stieß ein tiefes Seufzen aus und bemerkte erst da, mit welch verdrossenem Blick sie mich ansah.

„Ich war ein Ignorant, Nyria. Ich habe einen Scheiß auf die Meinung der anderen gegeben. War arrogant und voller Hochmut. Ich war unbelehrbar und habe mir nichts sagen lassen. Und weißt du auch wieso? Weil ich der Beste war! Eine Legende! Keiner konnte mir das Wasser reichen. Ich bekam immer das, was ich wollte. Schon als kleiner Engel stach ich aus der Masse hervor. Aber wir Engel haben Befehlen zu folgen. Ein freier Wille, so wie euch Menschen, war uns nie gegönnt. Ich habe mich oft quer gestellt und das wurde bestraft.“

Ich verstummte und kam mir fast so vor, als würde ich in Selbstmitleid baden. Stumm und mit großen Augen hörte sie mir zu. So, nun wusste sie es. Ich schätzte nun kam es nur auf ihre Reaktion an. Ein trauriges Lächeln umspielte mit einem mal ihre Mundwinkel. Langsam ging sie vor dem Bett in die Knie, um mit ausgestreckten Fingern den Konturen meines Kinns zu folgen.

„Du bist ohne Eltern aufgewachsen, Zayn. Liebe kanntest du nicht also worauf hättest du dich sonst verlassen, wenn nicht auf deine Kraft? Sie sind Schuld, mein Lieber, also mach dir keine Vorwürfe.“

Fassungslos starrte ich sie an.

„Versuchst du etwa, mich aufzubauen?“, hakte ich nach.

Noch immer berührten ihre Finger meine Wange, was es mir offen gestanden ziemlich erschwerte vernünftig zu denken.

„Es nimmt dich offensichtlich ziemlich mit. Aber du solltest dir nicht so oft den Kopf darüber zerbrechen.“

Sie hielt kurz inne, dann zog sie ihre Hand weg.

„Wie ging es weiter?“

Da war sie wieder. Diese Neugier die sie so kindlich und süß erschienen ließ.

„Ich kam in die Hölle, dafür, dass ich mich ihnen ständig widersetzt habe. Aber die dort unten kamen mit meiner Art auch nicht klar. Also schickten sie mich zu den Menschen.“

Hoffnungslosigkeit machte sich in mir breit. Was wäre geschehen, wenn ich ein guter Engel geworden wäre? Mich nicht widersetzt hätte? Nyria stieß mich an.

„Du solltest dich darüber freuen, hier zu sein. Immerhin hast du nun einen freien Willen. Du kannst tun, wonach dir steht.“

Ihre Worte waren mir keine Trost, doch ihre ganze Art damit umzugehen ließ mich dennoch lächeln.

„Du hast wohl recht.“, murmelte ich und beendete das Thema somit.

„Ist das deine Wohnung?“

Neugierig wie auch ich war sah ich Nyria an, die sich umsah. Sie schien nicht zu wissen wie sie reagieren sollte, dass erkannte ich sogar trotz ihrer ausdruckslosen Maske.

„Ich habe mich vor etlichen Jahren hier eingenistet, war aber schon eine Ewigkeit nicht mehr hier.“

Während sie also das Apartment genauer in Augenschein nahm, beobachtete ich sie.

„Ist dir klar, dass unser Gespräch noch nicht beendet ist?“

 

Ich sah auf.

„Natürlich weiß ich das. Aber ich wollte dir nicht auf die Nerven gehen.“, erwiderte ich vom anderen Ende des Raumes aus. Um ehrlich zu sein war mein Kopf viel zu voll, um ein vernünftiges Gespräch zu führen, doch es würde sich nicht vermeiden lassen. Zum nachdenken würde ich wohl noch genug Zeit haben.

„Fragst du dich nicht, wie es nun weitergehen soll?“

Seine Stimmung schien umgeschlagen zu sein. Mit finsterer Miene kam er direkt auf mich zu. Nun sah er in der Tat wie ein Mörder aus. Und zwar wie einer, der auf Beutezug war. Ich ließ ihn nicht aus den Augen und schwieg. Er wollte doch sicher auf irgendetwas hinaus. Stöhnend fasste er sich an den Kopf. War er überfordert? Oder hatte er einfach nur Schmerzen?

„Ist dir klar, dass wir uns nur deinetwegen verstecken, Nyria?“

Oh, ich stand auf die Art, wie er meinen Namen aussprach, doch für diese Gedanken war jetzt auch keine Zeit. Was meinte er überhaupt damit? Nur meinetwegen? Er fuhr ohne Umschweife fort, erwartete also keine Antwort.

„Du hast Nereus verletzt, und zwar direkt an der Brust. Glaub nicht, dass er das einfach so hinnimmt! Er wird nach dir jagen, weil du dich ihm widersetzt hast. Wärst du ihm aus dem Weg gegangen, hättest du dieses Problem jetzt nicht.“

Ich neigte verständnislos den Kopf. Ich wurde gejagt, weil ich versucht hatte Zayn zu beschützen? Wie absurd war das denn bitte? Wie schlimm konnte es denn noch werden?

„Aber davon mal abgesehen...“, begann er plötzlich lachend. „waren sie sicher auch beeindruckt von dir. Nie hat es jemand gewagt ihnen zu widersprechen. Schon gar nicht erst eine Menschenfrau! Du kannst dir was darauf einbilden.“

Das erfüllte mich dann doch ein klein wenig mit Stolz. Mein Hirn war bereits jetzt überfordert mit diesem Wissen aber ich wusste ganz genau, dass da noch mehr kommen würde. Seufzend kam er näher, bis er schließlich dicht vor mir stand und ich die Wärme spüren konnte, die von ihm ausging.

„Ich befürchte fast, sie werden Interesse an dir haben...“, murmelte er leise und strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr.

„Wie kommst du darauf?“, wisperte ich.

Zu einer selbstbewussteren Lautstärke war ich nicht fähig. Seine Nähe brachte mich schon um den Verstand, von der Berührung mal ganz zu schweigen. Ein Funkeln trat in seine Augen, doch es ließ sich von mir nicht beschreiben.

„Du bist von den...milliarden Menschen auf dieser Welt eine Ausnahme, Nyria.“, hauchte er und fuhr auch gleich fort.

„Allein schon die Farbe deiner Augen...Ich bin schon sehr alt, Kleine. Und ich habe schon sehr viel gesehen. Aber deine Augen sehe ich zum ersten Mal. Und das du das Fluchtverhalten tief in deinem Inneren verdrängen kannst, ist mindestens genauso unglaublich. Es gibt nur sehr wenige Menschen die den Anblick eines Engels ertragen können. Du hast sogar den Nerv dazu einen zu verletzen! Das wird dir so schnell keiner nachmachen.“

Die Bewunderung und Anerkennung die in seiner Stimme mitschwang ließ mich erröten. Dieser Anblick amüsierte ihn wohl, denn er lächelte breit.

„Ich weiß übrigens nicht ob ich es als Mut oder Dummheit betrachten sollte, als du dich dieser Gruppe junger Männer gestellt hast.“

Meine Augen wurden groß, meine Scham noch größer.

„Du hast es gesehen?“, fragte ich kleinlaut, worauf er nickte.

„Jede normale Frau hätte hilflos angefangen zu schreien oder wäre davongelaufen. Aber was machst du? Bleibst absichtlich stehen und knöpfst diesem Typen auch noch die Waffe ab. Und dann drohst du auch noch damit ihn zu erschießen!“

Kopfschüttelnd fing er an zu lachen. Wie Schuppen fiel es mir dann von den Augen. Dieses ständige Gefühl, nicht aus den Augen gelassen zu werden...

„Du hast mich ständig beobachtet!“, zischte ich, worauf er ernst wurde. Scheinbar hatte er nicht damit gerechnet, dass ich es bemerken würde.

„Spielt das denn jetzt noch eine Rolle?“, murmelte er und trat auf einmal völlig distanziert einen Schritt zurück. Es ärgerte mich zwar, ließ sich jetzt aber nicht mehr ändern. Kopfschüttelnd trat auch ich zurück.

„Also gut, du glaubst also ich könnte deren Interesse geweckt haben. Wenn dem wirklich so ist, was soll ich dann tun?“

„Genau das ist das Problem.“, antwortete er kühl. „Ein Engel findet dich, egal wo du dich befindest. Weglaufen bringt genau genommen also nichts.“

„Tolle Aussichten.“, murmelte ich und ließ mich auf einem Barhocker nieder. Ich spürte seinen Blick im Rücken, jedoch schwieg er.

„Ist Jere auch ein Engel?“, durchbrach ich nach einer gefühlten Ewigkeit die Stille.

„Jere? Nein, er ist ein...Dämon. Warum fragst du?“

Ein Dämon? Für einen kurzen Moment blieb mir die Luft weg. Heiliger Bimbam, als ob Engel nicht schon genügen würden.

„Ich habe ihn gefragt, warum er letztens Menschenfrau gesagt hat. Da meinte er, dass es nicht nur Menschen gibt. Ich habe natürlich gefragt, was diese anderen Wesen denn sein sollen aber er wollte es mir nicht sagen. Hat lediglich gesagt, dass ich mich an meinen Träumen orientieren soll. So kam ich darauf, dass sie existieren. Dank deiner zwei Narben auf dem Rücken und den Worten du seist ein gefallener Engel von dir, habe ich angefangen von Engeln zu träumen.“

Tja, nun wusste er warum ich Bescheid wusste. Fragte sich nur, wie er darauf reagieren würde.

„Verstehe, dann war Jere also doch der ausschlaggebende Punkt.“, murmelte Zayn und kam endlich wieder näher.

„Also doch?“

Ich war verwirrt. Aber wer wäre das an meiner Stelle nicht? Ein anderer würde wohl nie glauben, dass Engel und Dämonen tatsächlich existierten. Ich würde es ja selbst nicht glauben, allerdings hatte ich mehr als genug Beweise.

„Ich habe mir schon gedacht, dass er dir einen Hinweis geben würde. Er ist ein Dämon und die lieben es zu spielen.“

Meine Augen verengten sich.

„Er betrachtet das Ganze also als ein Spiel?“

Unglaube schwang in meiner Stimme mit. Bald war es soweit, dann wäre ich endgültig überfordert. Mit allem! Zayn nickte wieder.

„Allerdings. Und wenn jetzt noch die Engel mit ins Spiel kommen, wird er erst recht seine Freude daran haben.“

Warnend sah er mich an.

„Du solltest aufpassen, Nyria. Er wird dich absichtlich ins Messer laufen lassen, wenn du nicht Acht gibst.“

„Ich betrachte mich als gewarnt.“, murmelte ich und schloss die Augen.

Das war alles zu viel für mein kleines Gehirn...

 

7

 

Keine Ahnung wie ich ihr helfen sollte. Eigentlich konnte sie mir ja egal sein, doch sie war es nicht. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich sie vor meinen Brüdern beschützen sollte. Und welche Rolle spielte Jere bei all dem? Wieder sah ich ihr beim Schlafen zu. Sie schlief unruhig. Wie immer, wenn ich nicht gerade neben ihr lag. Ich fuhr mir mit der Hand durchs noch tropfende Haar und schmiss dann das Handtuch, welches ich mir um die Hüften gebunden hatte, auf den Boden. Meine Gedanken überschlugen sich, während ich in meine Trainingshose schlüpfte. Als ich am Bett vorbei ging verkrallte sich plötzlich etwas in meiner Hose. Irritiert blickte ich herab. Die kleine, zarte Hand die auch schon liebevoll meine Wange gestreichelt hatte, hatte sich nun ziemlich grob in meiner Trainingshose verkrallt. Nyria murmelte etwas mir unverständliches, zog kräftig an mir und wurde augenblicklich ruhiger. Ich strauchelte und fiel schließlich neben sie.

„Eine hübsche Frau. Aber ziemlich pervers sich an sie ranzumachen, während sie schläft, findest du nicht?“

Erschrocken richtete ich mich wieder auf. Obwohl die Hand meiner Mitte noch immer gefährlich nahe war. Mein Blick traf den des gebräunten und weiß geflügelten Mannes, der mitten im Raum stand.

„Paz.“, murmelte ich überrascht, dennoch leise um die Frau an meiner Seite nicht zu wecken.

„Sie sind hinter ihr her, Zayn. Was hat sie angestellt?“

Bereits jetzt schon genervt stieg ich aus dem Bett, zeitgleich bedeutete ich Paz den Raum zu wechseln. Hinter mir verfiel das Mädchen wieder in einen unruhigen Schlaf.

„Warum bist du hier, Paz? Du solltest jetzt eigentlich den anderen verkünden, dass du sie gefunden hast.“, meldete ich mich nun in normaler Lautstärke zu Wort.

„Zayn, ich bitte dich. Du weißt ganz genau auf wessen Seite ich stehe.“, erwiderte mein alter Freund und klopfte mir auf die Schulter.

„Also sag schon, was ist passiert?“

Noch einmal seufzend ließ ich mich auf dem Sofa nieder.

„Sie hat mich beschützt, Paz! Und zwar schon zum zweiten Mal. Und sie hat Nereus ein Messer in die Brust geschleudert.“

Meine Worte ließen ihn wie erwartet stutzen. Ungläubig starrte er mich an.

„Na, da hast du dir aber eine angelacht. Wie kam es dazu?“

Ich erzählte ihm die Geschichte, wie sie mich in der Gasse gefunden hatte und mich versorgt hatte, was er mir gar nicht erst glauben wollte und ich erzählte ihm, wie wir wieder aufeinander getroffen waren. Lediglich meine Gefühle verschwieg ich. Natürlich tat ich dies. Wer wäre ich, wenn ich offen über meine Gefühle sprechen würde?

„Die Kleine scheint es dir angetan zu haben.“, sagte er plötzlich und riss mich somit aus den Gedanken. Scheiße! Woran hatte er das gemerkt?

„Wie kommst du darauf?“, hakte ich mit hochgezogenen Brauen nach.

„Normalerweise kümmerst du dich nicht um das Wohlergehen anderer.“, war die simple Antwort.

Ich stieß ein Schnauben aus, denn ich fühlte mich ertappt.

„Er kümmert sich nicht um mich, sondern ich mich um ihn.“, ertönte es plötzlich von der Tür.

Seufzend rieb ich mir die Schläfe. Scheiß Kopfschmerzen.

„Sieh an, die süße Prinzessin ist aufgewacht.“, sagte Paz grinsend.

Sein anzügliches Grinsen ging mir gerade mehr als nur auf den Keks. Nyria trug nur eines meiner Hemden, doch sie hatte es zugeknöpft. Bis auf ihre, unglaublichen, Beine gab es also nichts zu sehen.

„Warum schläfst du nicht?“, fragte ich barsch, ohne sie anzusehen.

„Der übliche Grund.“, kam es zurück.

Ich hörte wie sie näher kam.

„Und ihr redet über mich, also wie soll ich da schlafen?“

Ich zuckte zusammen als sie sich plötzlich auf meinen Schoß schmiss.

„Willst du mir nicht deinen kleinen Freund vorstellen?“, kicherte sie und sah mich mit großen Augen an. Meine Augen hingegen verengten sich.

„Nyria, was ist los? Du benimmst dich komisch.“, sagte ich leise, sodass Paz es nicht hören konnte.

„Ich will doch nur wissen wer das ist.“, sagte sie, unschuldig mit den Wimpern klimpernd.

Während sie das sagte, öffnete sie die oberen Knöpfe des Hemdes. Jetzt war ich wirklich wütend. Paz beobachtete aufmerksam das Geschehen, hielt sich aber glücklicherweise zurück. Knurrend packte ich Nyrias Hand, damit sie aufhörte sich auszuziehen.

„Das reicht!“, zischte ich.

Ich fragte mich ernsthaft was mit ihr los war. Niemals würde sie sich so benehmen. Hoffte und glaubte ich zumindest. Als meine Hand ihre Stirn streifte bemerkte ich die sengende Hitze, die von ihr ausging.

„Moment mal...“, murmelte ich und umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht. Erstaunlicherweise hielt sie ruhig und ließ zu, dass ich ihr in die Augen sah.

Ihre Pupillen waren erweitert und nun bemerkte ich auch, wie flach ihr Atem war. Kein Wunder, dass sie so schlecht geschlafen hatte.

„Du hast Fieber.“, stellte ich monoton fest.

„Habe ich nicht.“, zischte sie und befreite sich nun aus meinem Griff.

„Widersprich mir nicht!“, knurrte ich, lauter als beabsichtigt.

Sie zuckte zwar zusammen, verpasste mir aber dann einen ziemlich starken Schlag auf die Brust.

„Erteil mir keine Befehle!“, fauchte sie. Seufzend ließ sie ihren Kopf gegen meine Brust fallen. Sie atmete schwerer und scheinbar spürte sie nun die Wärme, die sich in ihrem Körper ausgebreitet hatte. Ich hatte keine Ahnung wie ich mit dieser Situation umgehen sollte, weswegen ich einfach den Arm um Nyria legte und mich wieder Paz zuwandte.

„Was hast du hier überhaupt zu suchen?“

Der Mann zeigte ein breites Grinsen.

„Du hast keine Ahnung wie du die Kleine beschützen sollst, habe ich Recht?“

Ich wurde misstrauisch, nickte jedoch leicht.

„Das dachte ich mir. Und genau deswegen bin ich hier.“

Paz erhob sich und lief einige male auf und ab.

„Ich könnte sie auf die falsche Fährte führen. Auf Dauer allerdings...würde dich das etwas kosten!“

Schlagartig war mein Kopf leergefegt. Paz war schon immer durchtrieben, nicht zu fassen das er sich nun an mir vergreifen wollte. Mein Blick verfinsterte sich immer mehr.

„Ich will, dass du für mich arbeitest, Zayn.“, verkündete er auch schon.

Einen Augenblick lang war ich sprachlos. Nicht zu fassen, dass er sich überhaupt erst traute diese Worte auszusprechen. Dennoch dachte ich ernsthaft einen Augenblick lang darüber nach. Irgendwie musste ich diese Frau doch beschützen. Ich fühlte mich sogar dazu verpflichtet!

„Gib deinen freien Willen nicht auf, Zayn.“, flüsterte mir eine heisere Frauenstimme ins Ohr.

Überrascht sah ich Nyria in die Augen. Ein flehender Ausdruck lag in ihnen.

„Gib deine Freiheit nicht wegen einer schwachen Menschenfrau auf.“, hauchte sie dann.

Kurz sah ich zu Paz, dann berührte ich mit meinen Lippen ihr Ohr.

„Du bist nicht schwach, Nyria. Und wenn ich meine Freiheit aufgeben muss um dich zu beschützen, dann werde ich das tun.“, flüsterte ich, worauf sie sich auf meinem Schoß regte.

„Was sagst du denn da?“, nuschelte sie und sah mich ungläubig an.

„Gibt es irgendwelche Bedingungen?“, wandte ich mich wieder an Paz.

Sein Grinsen wurde breiter und sein Blick fiel auf die Frau.

„Die Frau bleibt bei mir. Sie bleibt also in Sicherheit.“

Wieder war ich sprachlos. Er hatte tatsächlich Gefallen an ihr gefunden! Verdammt, damit hätte ich rechnen müssen. Was war sein Ziel? Und wozu brauchte er mich? Diese Frau musste in Sicherheit gebracht werden, nur ich wollte...das sie bei mir blieb. Wer wusste, was er mit Nyria anstellen würde? Apropos Nyria. Die sprang auf, noch bevor ich es verhindern konnte.

„Wie kommst du eigentlich darauf, dass er sich dir verschreiben würde?“, zischte sie und funkelte Paz wütend an. Dieser zeigte ein blasiertes Lächeln und trat näher an sie heran.

„Du hast ziemlich Mut, so mit einem Engel zu reden. Man könnte es aber auch Dummheit nennen.“

Sein Plauderton gefiel mir ganz und gar nicht. Je näher er ihr kam, desto mehr geriet mein Blut in Wallung.

„Hast du eigentlich eine Ahnung, mit wem du sprichst?“, knurrte er jetzt und starrte auf sie herab.

Mit ihren einen Meter fünfundsechzig war sie winzig im Vergleich zu ihm, dennoch strotzte sie vor Selbstbewusstsein.

„Mit einem selbstgefälligen und arroganten Arsch, wie mir scheint!“, fauchte sie.

Überrascht zog Paz die Brauen hoch, dann sah ich wie er seine Hand erhob. Meine Sicherung brannte durch. Ich sprang auf, stellte mich vor Nyria und fing Paz` Hand ab.

„Das reicht!“, brüllte ich. „Hast du wirklich geglaubt, dass ich mir die Hände für jemanden dreckig machen würde? Ich dachte du kennst mich, Paz aber da habe ich mich wohl in dir getäuscht.“

Paz lachte und entriss mir seinen Arm.

„Du machst einen großen Fehler, Zayn! Ich könnte den anderen nun sofort sagen, wo du und die Kleine euch versteckt haltet.“

Meine Hand schnellte vor und umschloss seine Kehle.

„Ich warne dich, Paz! Ein Fehler und du lernst mich kennen.“, knurrte ich und drückte zu.

Noch immer lag ein Lächeln auf seinen Lippen.

„War das eine Drohung?“

„Das war ein Versprechen!“, raunte ich dem Mann ins Ohr. „Solltest du irgendetwas tun, was der Frau schadet oder ihr auch nur zu nahe kommst, bringe ich dich um!“

Ich erkannte etwas in seinen blauen Augen. War es...Furcht? Mit wutverzerrtem Gesicht verschwand der geflügelte Mann im Nichts.

„Verdammt!“, rief ich aus.

Wieder einmal haute ich eine Vase kaputt. Leider ging dies nicht so glimpflich aus, wie beim letzten Mal. Einige Splitter der Vase prallten vom Boden ab. Einer davon bohrte sich in Nyrias Oberarm. Sie gab keinen Ton von sich, zuckte aber merklich zusammen und hielt sich direkt den Arm. Ein wenig perplex starrte sie auf den großen Splitter, der tief in ihrem Fleisch steckte. Fassungslos beobachtete ich, wie sie den Splitter fasste und mit einem Ruck herauszog.

„Du musst lernen, deine Aggressionen in den Griff zu kriegen.“, murmelte sie lächelnd. Besorgt stürzte ich auf sie zu.

„Verzeih, ich wollte dich nicht verletzen.“, hauchte ich.

Ihr Lächeln wurde breiter.

„Schon gut. Ist doch nur ein Kratzer.“

Eine leichte Röte hatte sich auf ihre Wangen gelegt. Ob sie vom Fieber kam oder ihr das Ganze einfach nur peinlich war konnte ich nicht sagen.

„Zeig her.“, befahl ich und ergriff ihren Arm.

 

Ich war nicht in der Lage ihm zu widersprechen. Was passierte hier gerade? Fassungslos beobachtete ich, wie seine Hand begann zu glühen und sich die Wunde in meinem Arm schloss. Das waren also seine Kräfte...Ich trat ein paar Schritte zurück und fasste mir an den Kopf. Ich fühlte mich miserabel und ich konnte nichts dagegen tun. Ich wollte einfach nur schlafen.

„Was war das gerade?“, fragte ich schärfer als beabsichtigt.

„Willkommen in meiner Welt.“, antwortete Zayn und ließ sich aufs Sofa fallen. Auch er sah erschöpft aus. Vielleicht sollte ich ihn mit ins Bett nehmen?

„Das eben war Paz. Wir haben in der Vergangenheit mehrmals zusammen gearbeitet. Ich wusste schon immer, was für einen schlechten Charakter er hat aber niemals hätte ich damit gerechnet, dass er sich noch einmal bei mir blicken lässt. Er hat irgendetwas vor aber ich habe nicht die geringste Ahnung...was das sein könnte.“

Er machte eine Pause, in der er wieder aufstand und auf mich zukam.

„Du wirst ab sofort immer bei mir bleiben, hast du verstanden? Solltest du diesen Mann je noch einmal sehen, sagst du es mir. Sofort!“

Sein Befehlston ging mir höllisch auf die Nerven, doch ich hatte keine Wahl weswegen ich ergeben nickte.

„Wie du willst.“, murmelte ich und machte dann erhobenen Hauptes einen Schritt auf ihn zu. Entschlossen umfasste ich mit beiden Händen sein Gesicht.

„Du bist bereit deine Freiheit meinetwegen aufzugeben. Hast du dir den Kopf angehauen oder wie kommst du auf den Gedanken, mich zu beschützen?“

Ich sah wie er schluckte, weshalb ich meine Hände langsam wegnahm. Mit einem mal sah er jedoch entschlossen auf mich herab.

„Ich weiß noch nicht genau was es ist aber...du bist mehr als nur eine gewöhnliche Menschenfrau! Außerdem hast du mich auch beschützt. Mit deinem Leben! Diesen Gefallen sollte ich wohl zurückzahlen.“

Ich war sprachlos. Ich konnte nicht mehr tun als zu ihm aufzusehen. Auch er schwieg. Minutenlang standen wir so da, bis er irgendwann meine Wange berührte und meine Hand ergriff.

„Geh schlafen, Kleine. In wenigen Stunden müssen wir hier verschwinden. Wer weiß, was Paz als nächstes macht.“

 

8

 

Und erneut hielt ich sie in den Armen. So langsam wurde das zur Gewohnheit. Naja, eigentlich hatte ich nichts dagegen einzuwenden. Eine Frau, die sich an einen schmiegte war immer eine gute Sache, doch so langsam wurde es kompliziert. Gefühle kamen nämlich mit ins Spiel... Ich sah auf die Frau herab. Ich könnte ich auch weiterhin beim Schlafen zusehen, sie sah so unglaublich süß und...zerbrechlich aus, doch es wurde Zeit.

„Nyria, wach auf.“, sagte ich leise und drückte ihre Hand.

Sie brummte und schmiegte sich noch mehr an mich.

„Steh auf.“, befahl ich, doch sie brummte.

„Ich will nicht.“

Ich seufzte. Das war mir klar. Ziemlich unsanft stieß ich sie von mir herunter, dann stieg ich aus dem Bett. Sie brummte wieder und griff nach der Decke. Diese entriss ich ihr aber, um sie dann zu packen und über die Schulter zu schmeißen. Sie keuchte, wobei ich eher mit einem Kreischen gerechnet hätte.

„Was soll das?“, keuchte sie und verkrallte sich mit den Händen in meinem Hemd.

„Das weißt du ganz genau.“, erwiderte ich und setzte sie vor meinem Kleiderschrank wieder ab.

„Zieh dir was vernünftiges an. Und beeil dich.“

Ich ließ sie stehen um mich selbst fertig zu machen. Als ich zurück kam saß sie fertig angezogen auf meinem Bett.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie neugierig.

„Das überlege ich schon die ganze Zeit. Ich habe da zwar eine Idee, allerdings...“

Ich hielt inne als ich ihren bekümmerten Gesichtsausdruck sah.

„Gibt es ein Problem?“, hakte ich fast schon besorgt nach.

„Nicht wirklich. Ich verstehe nur immer noch nicht, warum du mir so unbedingt helfen willst.“, antwortete sie und zuckte mit den Schultern. Ich schwieg, fragte ich aber warum sie das alles so sehr infrage stellte.

„Hoch mit dir.“, waren meine letzten Worte.

 

Ich hatte keine Ahnung wo wir uns befanden und Zayn wollte auch nicht damit herausrücken. Der Ort an dem wir uns befanden war düster und hätte glatt aus einem Horrorfilm stammen können, doch so nervös und ängstlich ich auch war, ich ließ mir in Zayns Gegenwart natürlich nichts anmerken. Soweit kam's noch, dass er die ängstliche Seite an mir sah! Dennoch warf er mir ständig einen Blick zu, so als würde er mir meine Ruhe nicht abkaufen. Er seufzte und richtete seinen Blick wieder nach vorne. Ein langer, dunkler Gang hatte sich vor uns ausgebreitet und mündete in einem riesigen, steinernen Saal, der lediglich von Fackeln erhellt wurde. Soweit ich erkennen konnte, war der Saal leer. Wir blieben stehen. Ich sah Zayn an, dessen Hand auf einmal begann zu glühen. Er bewegte die Hand rasch durch die Luft, worauf diese sich manifestierte und eine Art Stuhl bildete. Mit dem Kopf wies er darauf. Bedeutungsvoll sah er mich an. Irritiert wies ich auf den...Stuhl. Wollte er, dass ich mich setzte? Schulterzuckend tat ich es einfach. Er wandte den Blick wieder von mir ab, was mit die Gelegenheit gab ihn ausgiebig zu betrachten. Was hatte er noch alles für Kräfte? Fest stand, dass alle Engel irgendwelche Kräfte hatten und sie in der Lage waren mich zu zerquetschten, wenn sie es denn wollten. Doch sie konnten auch liebevoll sein, so wie Zayn bewiesen hatte. Leider bezweifelte ich, dass andere Engel sich ein Beispiel daran nehmen würden. Nachdenklich neigte ich den Kopf. Zayn wirkte angespannt und konzentriert und ich fragte mich, worüber er wohl nachdenken mochte. Sein Charakter war nicht immer ein Vorzeigemodell, doch er war ohne Eltern aufgewachsen. Ein Kind brauchte Eltern, es war also kein Wunder das er so herrisch und hochmütig geworden war. Irgendwie musste er sich ja durchsetzen. Mein Blick trübte sich. Seine Kindheit hatte ihn geprägt. Er würde Teile seines Benehmens niemals ändern können. Ich verspürte tatsächlich so etwas wie Mitleid für diesen Mann. Die Vorstellung wie sich der kleine Junge mit den bunten Augen alleine durch die große Welt schlug, trieb mir fast schon die Tränen in die Augen. Dieser gebrandmarkte Mann war in Wirklichkeit auch nicht besser dran als ich.

„Warum starrst du mich so an?“, riss er mich plötzlich aus den Gedanken. Jedoch sah er mich nicht an.

„Wir ähneln uns.“, sagte ich leise, wagte es aber nicht näher darauf einzugehen.

„Wir ähneln uns in keinster Weise, kleine Lady.“, murmelte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

„Du scheinst eine schlechte Meinung von dir selbst zu haben.“, stellte ich ruhig fest. Irgendwie tat mir das schon wieder leid. Ob er wohl Selbstzweifel hatte?

„Auf wen warten wir?“, wechselte ich einfach das Thema.

„Vermutlich auf mich.“, ertönte es direkt neben mir.

Knurrend drehte Zayn sich in unsere Richtung.

„Komm ihr nicht zu nahe!“, brüllte er, worauf auch ich kurz zuckte.

Mein Blick fiel auf den Mann neben mir, der überrascht und abwehrend die Hände hob.

„Wie du willst. Du scheinst in Sorge wegen ihr zu sein, bist du deswegen hier?“, sagte er vollkommen ernst. Seine nahezu schwarzen Augen musterten mich kurz und eindringlich.

„Ihre Augen sind in der Tat etwas besonderes und hübsch ist sie auch aber...ansonsten scheint sie mir ganz normal zu sein.“, sagte er.

In meinen Ohren klang er ganz schön überheblich.

„Sie sind hinter ihr her. Tu mir den Gefallen und überlasse mir eine, deiner Unterkünfte.“, verkündete Zayn und trat an meine Seite. Ich seufzte und schob ihn erst einmal in den Hintergrund. Das der Typ vor mir mich erstaunt ansah ignorierte ich auch erst mal.

„Entschuldige, wenn wir hier einfach so rein platzen. Mein Name ist Nyria, tut mir leid, dass wir dich so überfallen.“

Der Typ blinzelte und richtete seinen Blick wieder auf Zayn.

„Ist ihr klar, mit wem sie gerade spricht?“

Zayn wiederholte kurz was in den letzten Tagen passiert war, am Ende starrte der Mann mich erst recht ungläubig an.

„Kein Wunder, dass du sie beschützen willst.“

Ich verstand mal wieder nur Bahnhof, ergriff aber dennoch die Hand des Mannes als er sie mir entgegenstreckte.

„Gestatten, Lucifer höchstpersönlich.“, sagte er und zeigte ein strahlendes Lächeln.

„Er glaubt wirklich ich hätte jetzt Angst, oder?“, sagte ich in Zayns Richtung.

„Oh, ich bin durchaus in der Lage dir Angst einzujagen, Kleine aber der liebe Zayn hat seine Aggressionen nicht immer im Griff, von daher bin ich vorsichtig.“, sagte Lucifer und zwinkerte mir zu. Seine Worte ließen mich leise lachen.

„Was den Gefallenen hier neben mir angeht hast du Recht, Angst könntest du mir trotzdem nie einjagen. Und nun genug geplaudert.“ Von nun an war klar, dass ich hier nichts mehr zu melden hatte. Ich überließ den Männern das Feld.

„Warum kommst du ausgerechnet zu mir? Ich dachte du willst nichts mehr mit uns zutun haben?“, sprach der Höllenfürst ganz formell. Zayn sah so ernst aus wie noch nie und klang auch so.

„Zum einen kann mir kein anderer außer dir helfen. Momentan zumindest. Und zum anderen solltest du ein Auge auf deine Untergebenen werfen. Jere hat ihr einen Hinweis auf unsere Existenz gegeben.“, erklärte er mit einem kurzen Blick auf mich. Ich musterte ihn unauffällig. Ich konnte ihn inzwischen gut genug einschätzen um sagen zu können, dass es ihm peinlich war zuzugeben das er Hilfe brauchte. Und das er eigentlich nie wieder auf Knien kriechen wollte. Woher ich wusste das er mal auf Knien kriechen musste? Keinen Schimmer! Ich wusste es einfach. Abschätzig musterte der Blondschopf mich.

„Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass du dich noch einmal bei mir blicken lässt. Die Kleine scheint dir wirklich wichtig zu sein, wenn du sie so dringend beschützen willst.“, sagte er leise.

Zayn verzog das Gesicht aber ich konnte nicht einschätzen, aus welchem Grund. Entweder weil es ihm nicht passte, dass Lucifer das behauptete oder weil der Höllenkerl Recht hatte.

„Hast du nun einen Unterschlupf oder nicht?“, zischte er.

Lucifer schnaubte.

„Du bist ganz schön unverschämt! Ich habe dich rausgeschmissen also wie kommst du darauf, dass ich dir helfen würde?“

Zayn zischte, blieb aber ruhig, weshalb ich seine Hand ergriff und ich ihn Stück zurückzog.

„Wir sind nicht auf seine Hilfe angewiesen, also lass uns gehen.“, sagte ich leise.

„Was willst du bitte tun? Für die nächsten Monate oder Jahre auf der Flucht sein?“, fuhr er mich an.

„Dann ist das eben so! Mir ist das völlig egal, hörst du?“, erwiderte ich zurückhaltend.

„Im Gegensatz zu dir scheint die Kleine wirklich schlau zu sein.“, meldete der Teufel sich wieder zu Wort.

„Du solltest doch eigentlich wissen, dass ich dir nicht umsonst helfen werde. Also was bist du bereit zu verlieren?“

Panik überkam mich. Dieser Kerl trug den Namen Lucifer sicher nicht umsonst, also was führte er im Schilde? Zayn schwieg erst, dann wurde er entschlossener.

„Was verlangst du?“, fragte er leise.

Nun war mir klar, dass sich seine Meinung nicht mehr ändern ließe. Er würde auf einen Pakt mit dem Teufel eingehen und ich würde ihn nicht daran hindern kümmern. Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des Mannes mit den dunklen Augen.

„Ich will, dass du für mich arbeitest. Mache die Leute unschädlich deren Namen ich dir nenne und ich überlasse euch einen Unterschlupf, in dem euch die Engel nicht finden werden.“

Das Zayn als Mörder fungieren sollte störte mich eher wenig. Viel mehr war ich um seine Sicherheit besorgt. Ich mischte mich ein und hoffte, dass ich das auch nicht bereuen würde.

„Du hast doch sicher genug Untergebene. Also warum soll ausgerechnet Zayn den Auftragskiller spielen?“

Sein Blick richtete sich auf mich und schien mich förmlich zu durchbohren.

„Ganz einfach: Zayn war schon unter seinen Brüdern für seine Grausamkeit und Brutalität bekannt. Wer glaubst du, durfte immer die Drecksarbeit erledigen? Was das Töten angeht ist dein kleiner Freund da die Legende unter den Meistern! Bei ihm kann ich mir sicher sein, dass keiner überlebt.“

Ich atmete tief durch. Sollten mich diese Worte schocken? Sie taten es nämlich nicht.

„Ich mach's.“, sagte Zayn, ehe ich hätte etwas erwidern können. Ich ließ den Kopf hängen. Von nun an war er eingeschränkt...

Lucifer seufzte als sein Blick auf mich traf.

„Aufgrund deiner kleinen Freundin bist du jederzeit in der Lage den Vertrag aufzulösen. Aber wenn ich dich rufe hast du ohne zu zögern herzukommen, alles klar?“

Diese „Nettigkeit“ überraschte uns beide, doch Zayn nickte.

„Einverstanden.“

Fasziniert beobachtete ich, wie die beiden sich die Handfläche aufschlitzten und sich dann die Hände gaben. Ich ahnte, dass das Blut der beiden den Vertrag besiegelte. Lucifer blieb ernst als er Zayn einen alten und verrosteten Schlüssel in die Hand drückte.

„Ich bringe euch durch einen Zauber dorthin. Es ist durch einen Bann geschützt, die Engel werden euch also garantiert nicht finden. Und was Jere angeht...Ich werde mich um ihn kümmern.“

Er wedelte mit der Hand, so wie Zayn es auch schon getan hatte und nach nicht einmal einem Wimpernschlag befand ich mich in einer riesigen Eingangshalle mit Steinwänden. Zayn neben mir seufzte tief.

„Damit habe ich gerechnet.“, murmelte er.

Auf meinen fragenden Blick hin machte er eine kurze Geste mit der Hand.

„Wir sind in Schottland. In einer alten Burg um genau zu sein. Lucifer hat sich hier vor etlichen Jahrhunderten eingerichtet, das Versteck aber irgendwann wieder verlassen.“

„Schottland.“, murmelte ich und ließ den Blick schweifen.

Allein die Eingangshalle wirkte alt und verfallen, doch der barocke Stil in dem alles eingerichtet worden war, ließ es gemütlich wirken. Eine Hand legte sich auf meinen Kopf.

„Tut mir leid, dass du so weit von Zuhause weg bist.“

Ich sah auf. Scheinbar traute Zayn sich nicht, mir in die Augen zu sehen.

„Mir ist völlig egal wo ich mich befinde, Zayn.“, sagte ich leise. „Viel mehr bereitet mir Sorgen, dass du einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hast.“

Irgendwie war sein Blick verschleiert als er auf mich herab sah.

„Du gar gar nichts gesagt als Lucifer gesagt hat, welchen Job ich früher hatte.“, merkte er an.

„Was hast du denn erwartet? Das ich schreiend wegrenne?“, erwiderte ich grinsend. Der Mann zuckte mit den Schultern.

„Na, das nicht. Aber das du gar keine Reaktion zeigst...damit habe ich auch nicht gerechnet.“

Still schweigend und mit hochgezogenen Brauen sah ich zu ihm auf. Seufzend gab er sich geschlagen.

„Ich seh schon, bei dir muss man wirklich mit allem rechnen.“

Lachend trat ich von ihm zurück.

„Ich seh mich hier mal ein bisschen um, wenn du erlaubst.“

 

9

 

Ich schluckte. Sie schlief zwar, doch es kostete mich einiges an Überwindung sie nun so zurückzulassen. Mit schmerzendem Herzen berührte ich ihre Wange.

„Nyria, wach auf.“, sagte ich leise.

Verschlafen schlug sie die Augen auf und sah mich an. Verdammt, hatte sie überhaupt eine Ahnung wie süß sie aussah?

„Ich muss weg. Pass auf dich auf, hörst du?“, erklärte ich leise und sah sie eindringlich an. Sie lächelte, was sie nur noch unwiderstehlicher wirken ließ.

„Hör auf dir Sorgen zu machen, Süßer. Ich komme klar. Und nun geh schon, ehe der Teufel dir den Arsch aufreißt.“

Seufzend trat ich vom Bett zurück. Sie hatte Recht, ich sollte mich beeilen. Noch einmal strich ich ihr über die Wange, dann ließ ich sie alleine zurück.

 

Überrascht starrte ich auf die Stelle, an der Zayn eben noch gestanden hatte. Okay, ich hatte begriffen wie wichtig ihm meine Sicherheit war. Es war sogar richtig süß das er mich deswegen geweckt hatte. Leider hatte er dafür gesorgt, dass ich mir wieder Sorgen um ihn machte. Wer wusste schon, wo dieser Teufel ihn hinschickte?

„Du sagst, ich soll auf mich aufpassen aber was ist mir dir?“, murmelte ich und schlug die Decke zurück. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Nachdem ich eine Weile die alte Burg besichtigt hatte, welche übrigens verdammt gemütlich war, sprang ich unter die Dusche. Und ja, die war auch vorhanden! Nach dem Duschen verschwand ich wieder im Schlafzimmer, in dem ich einen ungebetenen Gast vorfand.

„Mit sowas hab ich schon gerechnet.“, murmelte ich und erwiderte Lucifers Blick.

„Nun, wo Zayn auf der Jagd ist haben wir beide Zeit, uns ein bisschen besser kennenzulernen.“, verkündete der Teufel, machte aber keine Anstalten mir näher zu kommen. Noch immer nur in ein Handtuch gewickelt ließ ich mich auf dem großen Bett nieder.

„Willst du irgendwas Bestimmtes wissen?“, fragte ich und sah den Mann gespannt an.

Er überging diesen Kommentar und kam nun doch einige Schritte auf mich zu.

„Du hast ungewöhnliche Augen.“, stellte er fest.

„Das höre ich öfter.“, erwiderte ich ruhig.

Würde es helfen, wenn ich meine Maske aufsetzte?

„Du wolltest Zayn also vor den Engeln beschützen? Ist dir klar, dass diese Wesen in der Lage sind dich zu töten? So wie Zayn auch?“

Der Kerl war wohl in Plauderlaune.

„Du bist doch auch in der Lage mich zu töten und tust es nicht. Habe ich deswegen jetzt Angst vor dir? Sicher nicht.“

Ganz bestimmt ließe ich mich nicht einschüchtern. Lucifer zog die Brauen hoch.

„Ganz schön mutig für eine kleine Lady. Was hat dich dazu gebracht diesem Bengel zu helfen?“

Ich bezweifelte das Zayn ihm alles haarklein erzählt hatte. War Jere Schuld? Hatte er ihm die Geschichte erzählt? Eine andere Möglichkeit gab es für mich nicht. Ich zuckte mit den Schultern, denn genau genommen wusste ich selbst noch immer nicht, warum ich ihn nicht hatte in der Gasse liegen lassen.

„Vermutlich war ich damals einfach nur naiv und gutgläubig.“, nuschelte ich. Ich wollte gar nicht einsehen, dass Zayn mir inzwischen ans Herz gewachsen war und ich mir ständig Sorgen um ihn machte. Vielleicht sollte ich nicht so für ihn empfinden, doch es ging nicht anders.

„Das glaube ich nicht.“, riss Lucifer mich aus den Gedanken und hob mein Gesicht an.

„Du bist weder naiv noch gutgläubig. Ich sehe dir an, dass du viel erlebt hast. Erzähle mir davon.“

Ich schlug seine Hand weg und stieß ein Knurren aus.

„Niemandem habe ich je davon erzählt. Und ich hatte nicht vor etwas daran zu ändern.“, zischte ich und funkelte ihn wütend an.

„Was ist mir Jere? Schon mit ihm gesprochen?“, fuhr ich schnell fort, damit er keine Gelegenheit mehr hatte mich auf meine Vergangenheit anzusprechen. Dennoch fragte ich mich woran er mir angesehen hatte, dass ich einiges hinter mir hatte. Der Mann schnaubte, verschränkte die Arme und trat einen Schritt zurück.

„Du bist ziemlich kratzbürstig. Zayn scheint zu wissen, wie man mit dir umzugehen hat. Na, wie dem auch sei, Jere sitzt in seiner Zelle. Das er dir einen Hinweis gegeben hat wird noch übel für ihn ausgehen. Selbst mir ist es verboten den Sterblichen von der Existenz von Gut und Böse zu verraten.“

Jetzt wurde es aber interessant. Ich spitzte die Ohren und zeigte ein kleines und schadenfrohes Lächeln.

„Sieh einer an, sogar der Teufel hat Regeln zu befolgen.“

Mein amüsierter Unterton verschwand und wich eiskalter Neugier. Eiskalte Neugier? Ja, das war möglich. Ich war ja der Beweis.

„Was passiert, wenn du dich nicht daran hältst?“

In seinen dunklen Augen blitzte es.

„Dieses kleine Geheimnis muss vor den Menschen bewahrt werden. Der Allmächtige, in deiner Sprache heißt er Gott, könnte einen Krieg anzetteln. Und das wollen wir doch nicht, oder?“

Er seufzte.

„Ach, wahrscheinlich haben Zayns Brüder ihm schon längst davon berichtet. Gut möglich das er dir in deinen Träumen erscheint und dich zur Rede stellt.“

Wollte mir der Kerl etwa Angst einjagen? Wenn ja, war ihm das gelungen.

„Das ist möglich?“, hakte ich kleinlaut nach und neigte den Kopf.

Ein raubtierhaftes Grinsen trat auf des Teufels Lippen.

„Ja, Kleine, dazu ist er in der Lage. Ich bin es schließlich auch. Wie viel weißt du eigentlich?“

Wieder zuckte ich mit den Schultern. Das war zu einer neuen Angewohnheit geworden. Genauso wie ich es inzwischen gewohnt war, mir das Bett mit Zayn zu teilen...

„Nicht viel. Engel und Dämonen existieren, genauso wie Gott und du. Ihr habt alle übernatürliche Kräfte und seid in der Lage mich innerhalb von Sekundenbruchteilen zu töten. Das war es eigentlich schon.“

„Je weniger du weißt, desto besser.“, murmelte Lucifer.

Ich überlegte. Welche Fragen konnte ich ihm wohl noch stellen? Das war die Gelegenheit mehr über das Ganze zu erfahren. Vielleicht sollte ich Zayn ins Spiel bringen. Andererseits...wahrscheinlich war das keine gute Idee. Er würde sonst nur auf den Gedanken kommen, dass ich Interesse an ihm hätte. Doch wirklich beherrschen konnte ich mich nicht.

„Warum hast du Zayn aus deinem Reich verbannt?“, fragte ich leise.

Schlagartig hatte er seinen Blick wieder auf mich gerichtet. Überraschte es ihn doch, dass ich ihm solch eine Frage stellte? Vielleicht war ich wirklich nicht so berechenbar, wie ich bisher geglaubt hatte. Einen Moment schien er zu überlegen, dann trat ein distanzierter Ausdruck in sein Gesicht. Verdammt, der war genauso schwer einzuschätzen wie Zayn.

„Zayn ist schwierig. Er hat sich einem noch nie unterworfen, weder im Himmel, noch bei mir. Das er sich dazu bereit erklärt hat für mich zu morden, ist mir noch immer unbegreiflich. Damals hat er mir nur selten gehorcht. Befehle konnte man ihm keine Erteilen, er hat sofort die Beherrschung verloren und einen Aufstand darüber gemacht, dass er nur herumkommandiert werden würde. Er konnte sich nie damit abfinden, dass er keinen freien Willen hat. Und genau deswegen haben sie ihn aus dem Himmelsreich verbannt. Wenn er herausfindet das ich dir das erzählt habe, sind wir beide einen Kopf kürzer. Nicht, dass mir das etwas ausmachen würde aber du hättest dann ein Problem. Du schweigst am besten darüber.“

Nun war auch ich verdattert.

„Entweder bilde ich mir das ein oder du hast tatsächlich verdammten Respekt vor ihm.“, hauchte ich und musterte ihn wieder. Seine Haltung war entspannt, doch sein Gesicht verriet, wie nervös er in Wirklichkeit war. Er sprach nicht gerne über ihn? Das musste ja wohl etwas zu bedeuten haben.

„Ich gebe zu ich bin einer der grausamsten Männer auf der Welt. Aber Zayn kann schlimmer sein als ich. Bete darum, dass du niemals eine seiner Leichen zu Gesicht bekommst.“

Von einer Sekunde auf die andere war er verschwunden. Allmählich gewöhnte ich mich an diese Art von Abgang. Solange niemand so direkt vor oder hinter mir auftauchte, war alles in Ordnung. Mein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Sollte ich mich darüber freuen, dass ich Zayn noch nie so grausam erlebt hatte? Neugierig war ich ja schon...Doch die Vernunft siegte am Ende. Lucifer hatte wohl Recht, es wäre besser wenn mir ein blutiger Anblick erspart geblieben wäre. Ich ließ mich auf dem Bett nieder und zog die Beine ein. Nur wenige Augenblicke später tauchte wieder jemand vor mir auf. Ich hob den Blick und blickte in Zayns Gesicht, welches von Blutspritzern bedeckt war. Ich musterte ihn. Auch seine Hände waren voller Blut und seine Kleider waren sogar durchtränkt. Warum ließ mich dieser Anblick nur so kalt? War ich wirklich so abgebrüht? Ich hatte keine Ahnung von wem dieses Blut stammte, doch Mitleid hatte ich dennoch keines. Nein, ich sorgte mich tatsächlich um den Mann, der vor mir stand.

„Warum schläfst du nicht?“, presste er zwischen den Zähnen hervor.

Er hatte sich angespannt als ich ihn gemustert hatte. Wollte er nicht, dass ich ihn so sah? Scheinbar nicht.

„Nachdem du gegangen bist konnte ich nicht mehr einschlafen. Und...“

Ich verstummte und erhob mich. Langsam streckte ich die Hände aus, um sein Hemd zu ergreifen und die Knöpfe nacheinander zu öffnen. Zu meiner Verblüffung ließ er es geschehen. Dennoch merkte ich, wie er sich versteifte. Ich streifte ihm das Hemd von den Schultern und atmete erleichtert aus als ich sah, dass er unverletzt war. Mit einem ausgiebigen Blick betrachtete ich seinen durchtrainierten Oberkörper. Ich liebte diesen Anblick... Inzwischen waren auch meine Hände blutig, weshalb ich seine Hand ergriff und ich ihn Bad mitschleifte. Ich wusste ganz genau wie verblüfft er darüber war, doch darüber machte ich mir keine Gedanken. Das Blut an seiner Hand war noch warm. Es war glitschig, doch ich verzog nicht einmal das Gesicht. Im Bad angekommen griff ich nach einem Lappen, den ich nass machte. Ich drehte mich wieder zu Zayn um und bedeutete ihm, auch die teilweise zerrissene und blutbefleckte Hose auszuziehen. Er tat es.

 

Ich war sprachlos. Da tauchte ich hier blutverschmiert direkt vor ihr auf und sie beschloss mal eben so, mich sauber zu machen. Völlig geplättet ließ ich zu, dass sie mir mit dem Lappen die Hände und das Gesicht abwischte. Die Zärtlichkeit die sie dabei an den Tag legte erstaunte mich. Sie war noch vorsichtiger wie sonst wenn sie mich berührte.

„Was und?“, hakte ich nun leise nach.

„Und...Lucifer war hier.“, brachte sie zögernd heraus.

Mitten in der Bewegung hielt sich inne. Hatte sie geahnt das ich mich anspannen würde?

„Warum sagst du das erst jetzt? Hat er dir etwas angetan?“

Ich packte sie an den Schultern und schüttelte sie kurz, worauf sie das Tuch fallen ließ. Wahrscheinlich war mein Griff zu feste, also ließ ich sie los und fasste ihr Kinn, um ihr Gesicht anzuheben.

„Na, sag schon!“

„I-Ich weiß nicht was genau er wollte.“, antwortete sie leise.

Hatte ich ihr Angst eingejagt? Vielleicht. Ich atmete tief durch, kniete mich hin um den Lappen aufzuheben und drückte ihn ihr wieder in die Hand. Von nun an schwieg ich und sie säuberte mich weiter. Fasziniert beobachtete ich sie dabei. Sie wirkte konzentriert und wenn ich es nicht besser wüsste würde ich sagen, sie machte sich Sorgen. Nach gefühlten zehn Minuten lag sie mit mir im Bett, in meinen Armen. Allerdings hatte sie sich dieses Mal zu mir gedreht, ich konnte ihr also ins Gesicht sehen. Ich gab ihr Zeit und schwieg noch immer. Es funktionierte. Nachdem sie einige Male gleichmäßig geatmet hatte, öffnete sich ihr Mund.

„Er hat gesagt wie ungewöhnlich meine Augen sind. Wollte wissen warum ich dir geholfen habe. Und er wusste, dass ich schlimmes erlebt habe. Er wollte, dass ich es ihm erzähle aber das wollte ich nicht. Ich habe gefragt was mit Jere ist. Er sitzt in einer Zelle. W-Wir haben über so vieles gesprochen, Zayn. Ich weiß nicht wie ich das alles wiedergeben soll. Irgendwann ist er einfach verschwunden.“

Ich sah ihr in die Augen und strich ihr dann übers Haar.

„Ich frage mich zwar was er wollte aber...was auch immer du gesagt hast, es scheint ihn dazu gebracht zu haben, zu verschwinden.“

 

Zayn hatte Recht. Hätte ich Lucifer nicht auf Zayn angesprochen wären wir nie auf seine Grausamkeit zu sprechen gekommen. Wahrscheinlich hatte ihn einer seiner Gedanken durcheinander gebracht.

„Zayn?“, hauchte ich leise.

Ich wusste nicht ob es richtig war ihm das zu sagen, doch es erschien mir nicht fair hinter seinem Rücken über ihn zu sprechen. Aufmerksam sah er mich an.

„Wir haben auch über dich gesprochen.“, gestand ich leise und wartete voller Angst auf seine Reaktion. Was er wohl nun dachte? Seine Miene verfinsterte sich zwar für einen Moment, seine Augen blieben aber klar.

„Worüber genau?“, wollte er wissen. „Und wer von euch hat angefangen?“

Ich wollte ihn nicht anlügen, also blieb ich bei der Wahrheit.

„Eigentlich ja er. Aber ich wollte wissen warum du auch aus der Hölle verbannt wurdest also...wird es wohl meine Schuld gewesen sein.“

Er seufzte, zeigte aber sonst keine Reaktion. Mit Schuldgefühlen legte ich ihm die Hände auf die Brust. Dann schmiegte ich mich an ihn.

„Du hast nie akzeptiert das du keinen freien Willen hast, nicht wahr? Du hast dich immer widersetzt, wolltest keine Befehle entgegen nehmen. Aber weißt du was? Ich kann es verstehen. Ich weiß, deine Grausamkeit und das ganze Blut eben hätte mir Angst einjagen sollen aber...das tat es nicht. Und das wird es auch nie.“

Ich spürte seinen Herzschlag unter meinen Fingern, ruhig und kräftig, gleichmäßig. Er ließ sich dadurch wirklich nicht aus der Ruhe bringen. Doch sein Atem hatte sich ein wenig beschleunigt. War das ein gutes oder schlechtes Zeichen?

„Ich bin dir nicht böse, Nyria, falls du das geglaubt hast. Wenn ich auf jemanden wütend bin dann auf Lucifer, dafür das er es überhaupt erst gewagt hat, dich in solch eine Situation zu bringen.“

Er wurde still und drückte mich dann enger an sich.

„Ich frage mich wirklich warum du vor nichts Angst hast aber ich will es nicht infrage stellen. Im Augenblick...bin ich sogar ganz froh darüber.“

Das waren seine letzten Worte, ehe mich die Müdigkeit überkam und ich einschlief.

 

10

 

Wir starrten uns einfach nur an, keiner von uns wollte etwas sagen. Seufzend schmiss ich ihm das Amulett zu, welches der Beweis für den Tod war.

„Sehr gut, er ist also tot. Gab es Schwierigkeiten?“

Lucifer blieb kalt und genau das überraschte mich. Warum riss er keine Witze?

„Nein.“, erwiderte ich tonlos und verschränkte die Arme. „Ich würde es besser finden, wenn du dich von der Frau fernhältst.“, sagte ich dann.

Die Augen des Teufels verengten sich.

„Sie hat es dir erzählt? Das überrascht mich.“, murmelte er.

Ein Knurren stieg in meiner Kehle auf, doch er ignorierte es eiskalt.

„Ich wollte lediglich herausfinden, wer sie wirklich ist. Das interessiert dich doch auch, oder täusche ich mich?“

Ich antwortete nicht. Was hätte ich auch sagen sollen? Na gut, auch ich bezweifelte das Nyria nur eine normale Menschenfrau war, doch ich versuchte gar nicht erst dahinter zu kommen. Sie wusste ja selbst nicht einmal, dass sie etwas Besonderes war.

„Sie hat dich auf mich angesprochen, stimmt's?“, fragte ich leise. Danach zu fragen hatte mich, mal wieder, eine verdammte Menge an Überwindung gekostet. Bildete ich mir das ein oder machte es mich...verwundbar? Lucifer nickte, noch immer vollkommen ernst.

„Sie wollte wissen, warum auch ich dich verbannt habe. Dieses Mädchen wirkte zwar distanziert, konnte sich im Bezug auf dich aber nicht zusammenreißen. Sie interessiert sich wirklich für dich, und zwar mehr als sie sollte.“

Seine ehrliche Antwort überraschte mich. Was war los mit ihm? Warum war er nicht so hinterlistig wie sonst?

„Du hast ihr gesagt, dass ich ein Problem mit Befehlen habe. Sie hat mich darauf angesprochen.“, stellte ich klar. Der Mann seufzte.

„Ja, ich habe ihr die Wahrheit gesagt. Ich habe keinen Grund gesehen, sie anzulügen.“

Seufzend kehrte ich ihm den Rücken zu.

„Na, ist ja jetzt auch egal. Ich verschwinde.“

Zu meinem Erstaunen sagte er nichts und ließ zu, dass ich verschwand.

 

Als ich aufwachte lag Zayn neben mir, allerdings war er vollständig angezogen.

„Du warst weg?“, nuschelte ich schlaftrunken.

„Dem Teufel Bericht erstatten.“, erwiderte er. „Wie hast du geschlafen?“, erkundigte er sich dann, fast schon liebevoll.

„Hätte besser sein können. War er zufrieden?“

Überrascht sah er auf mich herab.

„Warum fragst du mich das?“

„Weil ich Angst davor habe, dass er dir etwas antut.“, gestand ich.

Zayn blinzelte perplex.

„Vor Engel, Dämonen und dem Teufel hast du keine Angst aber davor, dass mir etwas passieren könnte? Kleines, du bist wirklich unglaublich.“

Er lachte leise und strich mir übers Haar. Seit langer Zeit fühlte ich mich geborgen und das zeigte ich ihm auch, indem ich mich wieder an ihn kuschelte.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung warum es so ist aber ich sorge mich ständig um dich. Und ich habe auch keine Ahnung, warum ich in deinen Armen immer so gut schlafe.“, murmelte ich leise. Er seufzte leise.

„Ehrlichkeit ist nicht meine Stärke, Nyria. Aber auch ich mache mir permanent Sorgen um dich und ich verstehe ebenfalls nicht, warum du nur ruhig schläfst wenn ich neben dir liege. Seitdem du da bist, ist...alles anders aber ich hinterfrage es nicht, ich akzeptiere es einfach. Und...so schlecht ist diese Situation gar nicht. Solch eine Nähe wie zwischen uns kannte ich bisher nicht. Ich muss mich daran gewöhnen.“

Das, was er von sich gegeben hatte machte mich sprachlos. So ehrlich konnte er also sein? Wieder überkam mich diese Sorge. Nie hatte ihn jemand in den Arm genommen, geschweige denn sich Sorgen um ihn gemacht oder mal eben so seine Wange gestreichelt.

„Sag was.“, forderte Zayn mich auf, doch einen Augenblick lang sah ich ihn einfach nur an.

„Ich bin gerührt, Zayn und ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“, flüsterte ich.

„Du siehst traurig aus.“, stellte er tonlos fest. Ich nickte zögerlich.

„Ich ertrage den Gedanken nicht, dass du als kleiner Junge ganz allein warst und dich, ohne Liebe und Geborgenheit durch die Welt schlagen musstest.“, erklärte ich, womit ich ein weiteres Geheimnis ausplauderte. Das waren nun mal meine Gedanken und die bekam sonst nun mal niemand zu hören.

„Das ist Ewigkeiten her, Nyria. Warum beschäftigt dich das so?

Ich vergrub das Gesicht an seiner Brust.

„Vielleicht beschäftigt es mich, weil ich selbst nie viel Liebe erfahren habe? Ich weiß also, wie man sich in solch einer Situation fühlt. So kalt ich auch manchmal wirke, ich bin sehr...liebevoll und fürsorglich, wenn mir jemand etwas bedeutet.“

Ich hatte gar nicht vorgehabt das alles preiszugeben, doch jetzt war es zu spät.

„Ich bedeute dir also etwas?“

Ich seufzte. Das er bei diesen Worten hellhörig wurde, war mir klar gewesen.

„Irgendwie schon.“, gab ich leise zu und schloss die Augen.

Ich ertrug den stechenden Blick seiner wunderschönen Augen nicht länger.

„Du solltest Angst vor mir haben, Kleines und nicht Gefühle für mich entwickeln.“, sagte er leise.

„Wieso sollte ich Angst vor dir haben? Du setzt alles daran mich zu beschützen, das ist alles andere als angsteinflößend.“, erwiderte ich nun belustigt. Ich schlug die Augen auf und sah, dass er nahezu beeindruckt auf mich hinunterblickte.

„Stört es dich nicht, dass ich ein Mörder bin? Ekelst du dich nicht davor, dass ich töte? Jagt dir meine Brutalität keine Angst ein?“

Wieder einmal schien er fassungslos zu sein.

„Ich habe keine Ahnung was nicht mit mir stimmt aber...nein. Nichts davon stört mich!“, antwortete ich und streckte die Hände aus, um sein Gesicht zu umfassen.

„Du bist ein starker und unabhängiger Mann, Zayn Vaher, der auch mal liebevoll sein kann und einen unglaublichen Beschützerinstinkt hat. Ich habe...unglaublichen Respekt vor dir und dem, was du erlebt hast. Aber niemals werde ich Angst vor dir haben oder mich vor dir ekeln! Auch nicht, wenn du voller Blut vor mir auftauchst.“

Er schwieg, weswegen ich schon das Gefühl hatte zu viel gesagt zu haben, doch plötzlich legte er meinen Kopf in den Nacken und beugte sich vor. Ich hätte genug Zeit gehabt ihm Einhalt zu gebieten, doch...ich hinderte ihn nicht daran. Ich ließ zu, dass er mir näher kam, bis seine Lippen schließlich meine berührten. Er war vorsichtig und zurückhaltend, doch als er merkte das ich keinerlei Anstalten machte mich zurückzuziehen, wurde er drängender. Sanft biss er mir auf die Lippe und ich verstand die Aufforderung. Ich gewährte seiner Zunge Einlass und ging auf den Zungenkuss ein, in den er mich verwickelte. Nach ein paar Minuten ließ er von mir ab.

„Wieso küsst du mich?“, hauchte ich.

„Mir war danach.“, murmelte er.

„Dann küss mich nochmal!“, verlangte ich und packte ihn am Kragen, um ihn an mich zu ziehen.

 

Verdammt, was tat ich hier eigentlich? War das richtig? Sie einfach so zu küssen und anzufassen? Nahezu voller Gier zog ich ihr das Shirt, welches sie trug über den Kopf. Fast nackt lag sie nun unter mir, mit geschwollenen Lippen und funkelnden Augen. War es Lust die sie so werden ließ?

„Weißt du eigentlich wie wunderschön du bist?“, hauchte ich ehrfürchtig und musterte sie ausgiebig. Ich hätte schon längst aufhören sollen, doch irgendetwas hatte dieses Mädchen an sich, das mich weitermachen ließ. Mit großen Augen sah sie zu mir auf, so als könne sie meine Bewunderung nicht nachvollziehen.

„Wir sollten das hier nicht tun, Nyria. Das macht alles nur noch komplizierter, als es ohnehin schon ist.“, sprach ich meine Gedanken laut aus. Nun erst hielt ich, oder besser gesagt meine Hände, inne. Aufmerksam taxierten mich ihre Augen.

„Wir sind uns beide im Klaren darüber was wir hier tun, mein Lieber. Und gerade weil schon alles so kompliziert ist, macht das hier auch keinen Unterschied mehr. Also entweder küsst du mich jetzt oder du lässt mich in Ruhe und behandelst mich wie eine normale Frau!“

Ihr kalter Tonfall überraschte mich, doch ich zeigte ein schelmisches Grinsen.

„Schön und gut, nur bist du keine normale Frau.“

Ich küsste sie, dieses Mal jedoch sanft und zärtlich. Meine Zärtlichkeit schien sie zwar zu überraschen, doch sie ging darauf ein. Ich verstand nicht, warum diese Anziehungskraft so gewaltig war. Konnte ich sie ignorieren? Wollte ich sie überhaupt ignorieren? Irgendetwas stimmte nicht mit dieser Frau, ich hoffte nur, dass mir dies nicht zum Verhängnis werden würde. Als sich unsere Lippen voneinander trennten, schien es als würden ihre kristallklaren Augen direkt in meine Seele blicken.

„Fühlst du etwas für mich? Oder bist du nur scharf auf mich?“, hauchte sie.

Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet, weswegen ich einen Augenblick lang stutzig war.

„Nein, ich bin nicht nur scharf auf dich. Und was die Gefühle angeht...Ich bin zu verwirrt um zu realisieren, was genau ich empfinde.“

Diese Antwort genügte ihr wohl, denn sie schwieg ehe sie mich auf die Wange küsste, ihr Shirt anzog und unter mir hervor kroch.

„Was genau wollen wir jetzt eigentlich die ganze Zeit über machen, hm? Hoffen, dass deine Brüder die Verfolgung irgendwann aufgeben? Es ist ja schön hier aber für immer hier bleiben? Naja, ich weiß nicht...“

Ihr plötzlich munterer Tonfall irritierte mich, doch ich ließ mich auf diesen Plausch ein.

„Naja, ich bezweifle das meine Brüder je aufgeben werden, weswegen ich es für besser halte wenn du, oder besser gesagt wir, für eine Weile hier bleiben. Wir könnten uns die Zeit vertreiben, indem...“

„Wir miteinander rummachen?“, beendete Nyria mit hochgezogenen Brauen meinen Satz.

„Das hatte ich eigentlich nicht sagen wollen aber ja, das könnten wir auch.“, sagte ich leise.

Dieser Gedanke gefiel mir durchaus, dennoch wollte ich etwas ganz anderes sagen.

„Worauf genau beziehst du dich denn?“, murmelte sie nun auf einmal peinlich berührt.

Bildete ich mir das ein oder war da eine leichte Röte auf ihren Wangen zu erkennen? Ich konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.

„Wir könnten versuchen herauszufinden, wer genau du eigentlich bist.“, hauchte ich verschwörerisch. Zum ersten Mal durfte ich miterleben, wie sich deutlich Unsicherheit auf ihrem wunderhübschen Gesicht abzeichnete.

„Was meinst du damit? Wer ich wirklich bin?“, flüsterte sie. Ihre auf einmal verletzlich wirkende Haltung brachte mich dazu, sie in meine Arme zu ziehen.

„Du bist keine gewöhnliche Menschenfrau, Nyria. Auch wenn du selbst das gar nicht bemerkst. Ich will wissen...was genau für Blut in deinen Adern fließt. Du musst mehr sein, als nur ein Mensch!“

Die Verwirrung in ihren Augen war beinahe schon niedlich.

„W-Wie kommst du darauf?“, stotterte sie.

Ich grinste breit.

 

11

 

Nereus wedelte mit der Hand durch die Luft, worauf sich das Bild der beiden verschärfte.

„Nyria, kein normaler Mensch der Welt wäre in der Lage einen Engel zu verletzen. Genauso wenig sind „normale“ Menschen in der Lage, den uralten Instinkt zu fliehen zu unterdrücken.“

Nereus brummte. Natürlich war Zayn klar gewesen, dass diese Frau mehr war als nur ein Mensch. Allerdings hatte er noch nicht herausgefunden was genau nicht mir ihr stimmte. Das überraschte ihn dann doch. Zayn war doch sonst so schnell!

„Ihr konntet die beiden ausfindig machen?“, ertönte es hinter Nereus.

Der verletzte Engel drehte sich knurrend um.

„So in etwa. Die beiden befinden sich in irgendeiner Burg. Leider ist die durch eine Art Bann geschützt, deswegen kann ich den Standpunkt nicht ausmachen. Ich kann nicht sagen, was für ein Bann es ist. Allerdings ist er ziemlich mächtig. Ich bezweifle, dass Zayn für solch einen Bann stark genug ist. Selbst ich wäre dazu nicht in der Lage, irgendjemand wird ihm also geholfen haben.“

Das Nereus so viele Wörter in Folge aussprach war höchst ungewöhnlich, weshalb Ty die Brauen hochzog.

„Habt Ihr auch jemanden in Verdacht?“, hakte der Engel mit den rotblonden Haaren nach.

Nereus schwieg im ersten Moment. Dann neigte er den Kopf.

„Hast du denn jemanden in Verdacht?“, erwiderte er in einem Tonfall, der nicht einmal Vermutungen zuließ.

„Zayn hat schon mit dem Teufel zutun gehabt, von den ganzen Dämonen mal abgesehen. Es gäbe also mehrere Möglichkeiten.“, murmelte Ty, worauf der Erzengel vor ihm nickte.

„Ganz genau. Natürlich habe ich jemanden in Verdacht aber du kannst die ganzen Dämonen nicht außer Acht lassen. Es würde zu lange dauern herauszufinden, wer wirklich dahinter steckt. Wir müssen einen anderen Weg finden dieses Mädchen unschädlich zu machen.“

Ty lehnte sich gegen den Tisch, an dem Nereus sich nieder gelassen hatte.

„Glaubt Ihr wirklich dieses Kind könnte uns gefährlich werden? Gilt es nicht erst einmal herauszufinden wer sie überhaupt ist, anstatt sie direkt töten zu wollen?“

Der Erzengel warf ihm einen tödlichen Blick zu.

„Ich will gar nicht wissen von welchem Dämon sie abstammt. Wir töten sie, Ende der Diskussion!“

Ty trat einen Schritt zurück. Nereus zeigte Wut? Na, das war ja mal interessant. Warum war er so versessen darauf, diese Frau aus der Welt zu schaffen? Er würde schon noch dahinter kommen, doch erst einmal müsste er sich zurückziehen. Nereus würde ihm sonst nur wieder den Arsch aufreißen. Darauf hatte er nicht wirklich Lust. Er war bereits dabei zu verschwinden, als sich eine große Pranke auf seine Schulter legte.

„Nicht so schnell.“, ertönte Nereus Stimme direkt hinter ihm.

Ein Schauer kroch ihm das Rückgrat hinauf.

„Sieh zu, dass du ins Archiv kommst und den Stammbaum der Devonys untersuchst!“

Ty wusste, dies war ein Befehl, also nickte er nur und verließ schnellen Schrittes den Raum. Devony? So hieß diese Frau mit Nachnamen? Nach nur wenigen Sekunden beschlich ihn ein Verdacht. Konnte es sein, dass Nereus Interesse an dieser Frau hatte?

 

Ich hatte abgelehnt. Auf keinen Fall würde ich mit Zayn in meiner Familiengeschichte herum stöbern. Ich wusste, dass mein Großvater und dessen Vorgänger allesamt mit der Mafia zutun hatten. Mein Vater hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht und auch die alten Manuskripte auf dem Dachboden meines alten Zuhauses hatten genug Beweise geliefert. Vielleicht war das der Grund dafür, dass mich der Anblick von Blut so kalt ließ? Und das ich mit Zayns Grausamkeit kein Problem hatte. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass ich keinerlei Probleme damit hatte, jemandem ein Messer in die Brust zu schleudern? Das Blut von Mördern floss in meinen Adern. Ich hatte nie erfahren woran genau mein Vater in seinem Job beteiligt war, doch ich ahnte das auch er Geschäft mit dem Blut anderer Menschen machte. Was meine Mutter betraf... Sie war eine Waise. Hatte sich schon in ihrer frühsten Kindheit durch Diebstahl und Körperverletzung auf den Beinen gehalten. Mich hatte ihre Vergangenheit immer kalt gelassen, was wohl daran lag, dass sie mir nie sonderlich viel Beachtung geschenkt hatte, ebenso wenig wie mein Vater. Auch ich war fast immer auf mich alleine gestellt gewesen. Schon früh hatte ich gelernt selbstständig zu sein. Mit achtzehn war ich schließlich von Zuhause weg. Ich blinzelte, schon war ich wieder in der Gegenwart. Noch immer sah Zayn mich forschend an. Er konnte und wollte sich mit meinem Nein nicht zufrieden geben.

„Warum nicht?“, fragte er, mürrisch wie ein kleines Kind.

„Weil ich meinen Stammbaum kenne, Zayn. Es gibt nichts was darauf schließen lässt, warum ich so bin wie ich bin.“, erklärte ich monoton und wandte meinen Blick von ihm ab.

Misstrauisch wie er war, kam er auf mich zu und beugte sich ein wenig vor, sodass sich seine Lippen direkt vor meinen befanden.

„Du lügst. Du bist so kalt und abweisend, das muss einfach eine Lüge sein. Irgendetwas in deiner Familiengeschichte gibt dir zu denken.“

Ich schluckte, womit ich mich verriet. Ein siegessicherer Ausdruck glitt über sein Gesicht.

„Meine Familie hat nichts damit zutun, dass ich mein Fluchtverhalten unterdrücken kann, Zayn.“, sagte ich leise, worauf er mein Kinn packte und mich zwang, ihn anzusehen.

„Na sag schon, Kleine. Welches Geheimnis trägt der Name Devony?“

Sein liebevoller Tonfall schockierte mich. Benutzte er diesen Ton lediglich um herauszufinden, was besagtes Geheimnis war? Und woher kannte er überhaupt meinen Nachnamen? Hatte ich ihn je erwähnt? Hatte er sich bei mir Zuhause umgesehen?

„Ich werde nichts dazu sagen, Zayn. Also hör auf zu fragen.“

Mit diesen Worten kehrte ich ihm den Rücken zu. Ich verschränkte die Arme und schmollte.

Warum ließ er es nicht gut sein? Ich spürte die Wärme die von ihm ausging im Rücken, er hatte sich also kein Stück bewegt. Scheinbar wartete er darauf, dass ich etwas sagte. Seufzend gab ich mich am Ende geschlagen. Langsam und mit gesenktem Blick drehte ich mich schließlich wieder zu ihm um.

„Die Vergangenheit meiner Familie ist blutbefleckt, Zayn.“, sagte ich leise. Nur langsam hob ich den Blick. Ich musste feststellen, dass sein Blick so liebevoll war, wie es vor wenigen Augenblicken noch seine Stimme gewesen war.

 

„Nereus, ich habe...“

„Still!“

Der Erzengel hob die Hand um Ty das Wort abzuschneiden. Das Bild, welches in der Luft waberte zeigte noch immer Zayn und Nyria, die sich leise miteinander unterhielten. Was auch immer Nereus rechte Hand herausgefunden hatte, es musste warten. Die Frau war im Begriff dem Gefallenen etwas über sich, beziehungsweise ihre Familie zu verraten. Dies hatte absoluten Vorrang! Die Stimme der jungen Frau war leise.

„Mein Großvater, mein Urgroßvater und all deren Väter hingen alle...in der Mafia mit drinnen. Und ich weiß, dass auch mein Vater mit dem Blut unschuldiger Menschen Geschäfte macht. Ich habe keine Ahnung wie weit diese Geschichte zurück reicht, aber vor wenigen Jahren habe ich dank alter Manuskripte herausgefunden, dass alles mit einem Mann namens Ezechiel van Devony begann.“

Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Nereus hielt die Luft an und auch Ty geriet bei diesen Worten beinahe ins Schwanken. Mit geballten Fäusten beobachtete der Erzengel, wie sich auch Zayns Augen weiteten und er einige Schritte zurücktreten musste, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Völlig verunsichert machte Nyria einen Schritt nach vorn.

„Zayn? I-Ist alles in Ordnung?“

Nereus wedelte mit der Hand und zerstörte somit das Bild der beiden. Brüllend stürmte er aus dem Raum, dicht gefolgt von Ty. Nun war klar, was mit dieser Frau nicht stimmte. Sie stammte von einem Erzengel ab.

 

Mir wurde beinahe schwarz vor Augen. Hatte sie gerade...Ezechiel gesagt?

„Zayn? Zayn!“

Nyrias besorgter Tonfall drang kaum zu mir durch. Ich wagte es nicht ihre Worte anzuzweifeln, ich vertraute ihr schließlich, doch dies zu glauben fiel mir dennoch mehr als nur schwer. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, wer besagter Mann war? Natürlich nicht.

„Zayn!“

Ihr lautes Brüllen und der kräftige Griff an meinen Armen riss mich schließlich zurück. Mit noch immer geweiteten Augen blickte ich sie an.

„I-Ist es so schockierend, dass das Blut dieser Männer in meinen Adern fließt?“, flüsterte sie.

Tränen traten ihr in die Augen und augenblicklich bereute ich es, solch ein Reaktion zugelassen zu haben. Sofort zog ich sie in meine Arme und drückte sie an meine Brust.

„Nein, natürlich nicht. Verzeih mir, ich wollte dich nicht erschrecken.“, sagte ich schnell.

„Was ist es dann?“, hauchte sie.

Ich konnte spüren, wie sie versuchte das aufsteigende Schluchzen zu unterdrücken.

„Ezechiel ist...einer meiner Brüder.“, flüsterte ich.

Sofort brachen auch ihre Beine weg. Hätte ich nicht die Arme um sie gelegt, wäre sie wohl nun zusammen gebrochen. Ich brachte sie zum Bett.

„Soll das heißen, ich...ich stamme von einem Engel ab?“, brachte sie mit brüchiger Stimme hervor.

„Einem Erzengel, ja.“, erwiderte ich.

Nur langsam beruhigte sich mein Herzschlag. Für mich war der Schock mindestens genauso groß, wie für sie. Nyrias Atem kam inzwischen Stoßweise, weshalb ich ihr beruhigend übers Haar strich. Scheinbar wusste sie nicht, was sie noch dazu sagen sollte.

„Deine Fähigkeiten sind sehr schwach ausgeprägt, dafür das ein so mächtiger Mann wie Ezechiel dein Vorfahre ist. Scheinbar wurde das Gen von Zeit zu Zeit immer schwächer. Solltest du je Kinder haben wird wohl nichts mehr von diesen Fähigkeiten vorhanden sein.“

Nach meiner kurzen Erklärung herrschte Stille, dann schluchzte die Frau in meinen Armen leise vor sich hin.

„A-Aber warum hat er die Mafia gegründet? Was hatte er denn mit den Menschen zu schaffen? Ich dachte, ihr Engel würdet euch uns nicht offenbaren?“

Schon nach diesen wenigen Augenblicken klang ihre Stimme heiser. Ich seufzte leise und drückte sie in die Matratze, dann legte ich mich neben sie.

„Ezechiel wurde schon vor langer Zeit aus dem Kreis der Erzengel verbannt. Er hat sich blutige Taten zu Schulden kommen lassen, die nicht zu verzeihen sind. Man hat darauf verzichtet ihn Luzifer unterzujubeln. Stattdessen ist er unter die Menschen gegangen. Eine Zeit lang hat man ihm im Auge behalten, irgendwann hat er es jedoch geschafft, sich ihren Blicken zu entziehen. Der Grund warum er diese Organisation gegründet hat, ist simpel. Er war auf Rache aus. Etliche Menschen sind seinetwegen umgekommen. Und keiner konnte etwas dagegen tun.“

Für einen Moment schwieg ich. Meine Gedanken überschlugen sich geradezu.

„Sieht so aus, als hätte er unter den Menschen eine Frau gefunden. Er hat also einen Sohn gezeugt. Und so geriet dein Stammbaum ins Rollen.“, stellte ich leise fest.

Ihre Hände verkrallten sich in mein Hemd und zogen mich an sie. Sie vergrub ihr Gesicht an meinem Hals.

„Glaubst du, deine Brüder haben es herausgefunden?“, flüsterte sie, wobei mich ihr Atem kitzelte.

Darauf hatte ich keine Antwort.

„Ich weiß es nicht. Um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass es in ihrem Reich eine Möglichkeit gibt davon etwas zu erfahren. Andererseits werden sie mit allen Mitteln versuchen herauszufinden, was es mit dir auf sich hat.“, sagte ich nach kurzem Überlegen.

Sie kuschelte sich an mich und nach wenigen Minuten konnte ich spüren, wie sie ruhiger wurde. Scheinbar war sie nun müde geworden.

„Nyria, hast du etwas dagegen wenn ich in die Unterlagen deiner Familie sehe? Vielleicht gelingt es mir, mehr über Ezechiels Tätigkeiten herauszufinden.“

Vorsichtig sah ich auf sie herab. Sie hatte die Augen geschlossen und ihr Atem war so ruhig und gleichmäßig geworden das ich befürchtete sie war schon eingeschlafen, doch dann regte sie sich.

„Tue dir keinen Zwang an. Hauptsache du verschonst mich mit den blutigen Taten meiner Vorfahren.“, nuschelte sie. Dann war sie scheinbar wirklich eingeschlafen.

 

12

 

„Wie kommst du darauf, dass Ezechiel einen Sohn hat?“, brüllte Sharés, der inzwischen aufgesprungen war. Sharés, der zu den ältesten Mitgliedern des Erzengelsordens gehörte, musterte Nereus, der um einiges jünger war als er. Wie hatte Nereus es wissen können, er selbst aber nicht? Das grenzte nahezu an ein Wunder. Wenn dieser Mann denn die Wahrheit sagte...

„Ich habe die beiden nicht aus den Augen gelassen.“, begann Nereus mit seiner Geschichte, die auch gleichzeitig seine Erklärung war.

„Das Mädchen ist in ihrem Stammbaum auf den Namen Ezechiel van Devony gestoßen. Ich glaube nicht, dass dies nur ein Zufall ist.“

Unheilvolles Schweigen hatte sich im Saal ausgebreitet. Alle Anwesenden wussten, welch Organisation Ezechiel nach seiner Verbannung gegründet hatte und sie alle wussten auch, was er damit zu bezwecken versuchte. Ob es geklappt hatte? Ja, ein Stück weit vielleicht.

„Ezechiel hatte nie einen Nachnamen. Also warum Devony?“, brummte Sharés.

„Vielleicht, weil er einfach unter den Menschen lebt?“

Die Blicke aller richteten sich auf Fare, die einzige Frau im Orden der Erzengel. Von ihr kamen die Worte. Zugegeben, sie war die Liebenswürdigkeit in Person, doch sie war nicht umsonst ein Erzengel. Auch sie konnte zu einem Biest werden.

„Was meint Ihr damit?“, hakte Ty leise, der noch immer an Neures` Seite stand. Die Frau mit den langen blonden Locken neigte den Kopf und machte eine Geste mit der Hand.

„Na, überlegt doch mal! Würdet ihr von einem Tag auf den anderen unter den Menschen leben, müsstet ihr euch doch auch einen weiteren Namen zulegen. So läuft das nun mal.“

Ty neigte bei Fares Worten ebenfalls den Kopf.

„Gestattet es mir Euch eine Frage zu stellen, Fare. Ist dies der Grund, warum Vaher diesen Namen trägt?“

Genervtes Gemurmel ging durch den Saal.

„Immer diese unwissenden Engel...“, zischte Sharés, ließ aber zu das Fare es ihm erklärte.

„Nein, Ty. Dieser Grund ist ein anderer. Der Name Vaher ist nur für die, die sowohl ein Erzengel, als auch ein getreuer Diener Luzifers waren.“

Der Betonung der Frau lag auf dem Wort waren. Der Hilfsengel verstand die Worte.

„Wie oft wurde der Name Vaher schon vergeben?“, fragte er leise, mit gesenktem Kopf.

Lange Zeit schwieg Fare.

„Wir wissen nur von zwei Leuten, die dieses Schicksal teilen. Zayn eingeschlossen. Allerdings vermuten wir, dass auch noch andere diesen Namen tragen. Oder trugen...“

„Könnten wir bitte zum eigentlichen Thema zurückkommen?“, brüllte Nereus, worauf mit einem mal jedes noch so kleine Geräusch verstummte.

„Ganz egal welchen Namen Ezechiel nun trägt! Nyria Devony ist seine Nachfahrin, dass erklärt wohl so einiges.“, fuhr Nereus zufrieden über die Stille fort.

Chest, der sich neulich ebenfalls mit Zayn und der Frau in einer Gasse befunden hatte, stieß ein lautes Seufzen aus.

„Die Fähigkeiten dieses Mädchens sind definitiv zu beweisen, allerdings sind sie sehr schwach. Zwischen Ezechiel und ihr müssen etliche Generationen liegen. Ezechiel muss so viele Nachfahren haben, da wird ihn dieses Mädchen sicher nicht interessieren.“, erklärte er, worauf Ty unsicher einen Schritt vortrat.

„Völlig ausschließen würde ich es nicht.“, murmelte er und räusperte sich. Nun lagen alle Blicke auf ihm.

„Was soll das heißen?“, hakte Nereus mit donnernder Stimme nach. Ty verneigte sich leicht und setzte zur Erklärung an.

„Während meiner Nachforschungen habe ich herausgefunden, dass Nyria die einzige weibliche Nachfahrin der Devonys ist. Meiner Meinung nach ist das Grund genug, sie besser kennenzulernen. Aus Ezechiels Sicht zumindest.“

Betretenes Schweigen.

„Nur, weil sie eine Frau ist? Das ist lächerlich!“, zischte Sharés.

Fare warf ihm einen giftigen Blick zu.

„Ist es nicht!“, fauchte sie. Nereus seufzte leise, ließ der Frau aber das Wort.

„Möglicherweise geht dieses Mädchen mit ihren Kräften anders um, als ihre Vorfahren. Bei Ezechiels Charakter kann ich mir durchaus vorstellen, dass er versuchen wird herauszufinden, wer genau dieses Mädchen ist. Wir alle kennen unseren Bruder. Er weiß von ihr, dessen bin ich mir sicher.“

Ein paar im Orden nickten, andere schwiegen, wie zum Beispiel Nereus. Oder Sharés.

„Wie dem auch sei, was gedenkt Ihr zu tun?“, meldete Ty sich wieder zu Wort.

„Wir töten sie.“, sagte Nereus kalt, worauf Fare eine Flamme in ihrer Hand entstehen ließ und diese auch auf Nereus abfeuerte. Er wich aus.

„Auf gar keinen Fall!“, brüllte sie, worauf wieder alles und jeder verstummte.

Sharés neigte den Kopf.

„Warum so voller Gefühl, Fare? Interessiert dich dieses Mädchen?“

Nun wirkte Fare zerknirscht.

„Ich...hatte schon Kontakt zu ihr und musste feststellen, dass...ich sie ziemlich interessant und sympathisch finde.“, gestand sie leise, worauf sich die Augen der anderen weiteten.

„Was soll das heißen, du hattest schon Kontakt zu ihr?“, brüllte Nereus.

Die Richtung die sie eingeschlagen hatte gefiel ihm ganz und gar nicht.

„Das spielt jetzt keine Rolle.“, sagte Fare und behielt für sich, dass sie dem Mädchen in einem Traum erschienen war. Sie fuhr fort.

„Ich bin dagegen, dass wir sie töten. Sie hat schließlich nichts unrechtes getan. Würdest du sie nicht jagen, würde Zayn sie auch nicht beschützen wollen.“

Keiner stimmte ihr zu, widersprechen wollte aber auch keiner.

„Nereus will sie töten. Was genau ist Euer Plan?“, sagte Ty. Fare lächelte.

„Es gäbe mehrere Möglichkeiten.“

 

Ich beobachtete sie, während sie sich das Gesicht wusch. Sie war die einzige weibliche Nachfahrin Ezechiels, hoffentlich machte ihn das nicht neugierig. Vielleicht hatte er aber auch keine Ahnung, dass sie existierte? Unwahrscheinlich., flüsterte ein Teil von mir. Mein Bruder war ein genauso fähiger Erzengel wie alle anderen gewesen. Natürlich wusste er über seine Familie Bescheid. Nyria zog sich Shirt und Hose aus und inspizierte ihren Körper, der von Blutergüssen, Kratzern, Schrammen und Prellungen übersäht war.

„Kann es sein, dass du ein wenig übertrieben hast?“, murmelte sie und drehte sich zu mir um. Ich musterte sie ausgiebig. So sehr mir der Anblick ihrer Kurven auch gefiel aber sie hatte Recht. Ich hatte sie zu sehr rangenommen...

 

Zayns Blick ruhte lange Zeit auf mir. Nachdem er herausgefunden hatte wer ich wirklich war -nämlich die Nachfahrin eines Erzengels- hatte er beschlossen mich einem speziellen Training zu unterziehen. Er wollte, dass ich mich verteidigen konnte wenn es darauf ankam. Aber vor allem wollte er herausfinden, wo meine Grenzen lagen! Ich hatte inzwischen die dritte Trainingseinheit hinter mir und sowohl Zayn als auch ich mussten feststellen, dass ich mehr ungewöhnliche Fähigkeiten hatte, als zu Anfang gedacht. Im Ernstfall hätte ich Zayn zwar verletzen können, zum Überleben hätte es allerdings nicht gereicht...

„Entschuldige.“, war alles, was der gefallene Engel mir gegenüber dazu sagte. Sein Blick hatte sich getrübt, doch ich sprach ihn nicht darauf an.

„Ezechiel könnte ebenfalls nach dir suchen.“, merkte er nachdenklich an.

Ich verdrehte die Augen und wandte mich wieder meinem Spiegelbild zu.

„Ich bin einundzwanzig Jahre alt und nicht ein einziges Mal ist dieser Ezchiel in meinem Leben aufgetaucht. Warum sollte sich daran etwas ändern?“

Im Spiegel sah ich, wie Zayn sich mir näherte.

„Der Verstand Himmlischer ist komplex, Nyria. Warum sollte ein Kind Interesse an einem himmlischen Geschöpf wecken? Du bist jetzt Erwachsen, dein Denken und dein Handeln haben sich erweitert. Spätestens jetzt hast du Ezechiels Interesse geweckt.“

Seine Erklärung war sinnvoll, dennoch glaubte ich nicht das dieser Mann sich zum jetzigen Zeitpunkt bei mir blicken lassen würde.

„Wie lange glaubst du dauert es diesmal, bis alle Verletzungen verheilt sind?“, schlug in den Plauderton an. Wir hatten herausgefunden, dass ich mich wesentlich schneller auskurieren konnte als normale Menschen. Nicht, dass ich mit Zayn mithalten konnte, doch ich war zufrieden.

„Vermutlich nur wenige Tage. Du bist übrigens stärker, als ich vermutet habe. Du hast mir einige Rippen gebrochen.“, war deine trockene Antwort.

Erstaunt zog ich die Brauen hoch.

„Wirklich?“

Zayn nickte lediglich. Ohne etwas zu sagen ließ er mich im Bad zurück. Was beschäftigte ihn nur so sehr? Machte er sich etwa immer noch solche Sorgen um mich? Seufzend beschloss ich, ihm zu folgen. Das ich dabei nur meine Unterwäsche trug war mir egal.

„Zayn, was ist los? Irgendwas beschäftigt dich doch.“, sagte ich leise, nachdem wir im Schlafzimmer angekommen waren und ich ihm die Hand auf die Schulter gelegt hatte. Er drehte sich zu mir um und sah mich verzweifelt und besorgt an.

„Ich frage mich, wo Ezechiel steckt. Wir alle haben ihn seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen, geschweige denn etwas über seinen Aufenthaltsort gehört.“, erklärte er genauso leise, wie ich gefragt hatte.

„Also könnte er überall sein?“, hakte ich nach.

Wieder nickte er, nun scheinbar noch besorgter.

„Und es gibt keinerlei Möglichkeit ihn ausfindig zu machen?“

Schweigend sah er mich an. Eine Antwort bekam ich zwar nicht von ihm, dafür aber von jemand anderem.

„Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, mit denen man diesen Mann aufspüren könnte. Du wirst also darauf warten müssen, dass er von alleine zu dir kommt.“

Ich neigte den Kopf und blickte den Teufel misstrauisch an.

„Wieso sollte er? Er kann mir genauso gut den Kopf abreißen wir ihr zwei es könntet. Also welchen Nutzen sollte er in mir sehen?“, erwiderte ich.

Luzifer trat näher an mich heran und beugte sich vor, sodass sein Atem auf mein Gesicht traf als er sprach.

„Du bist eine Nephilim, Kleine. Und alle Nephilim sind etwas Besonderes.“

Er lehnte sich zurück und starrte auf mich herab, als sei ich nichts als ein Insekt, welches man mühelos zertreten könnte. Ich stieß ein Schnauben aus.

„Was machst du überhaupt hier?“, wechselte ich das Thema. So langsam war ich genervt.

Glaubten die etwa wirklich, dass dieser Ezechiel jeden Moment hier auftauchte und mich entführte? Lucifers Blick verdüsterte sich.

„Ich bin nicht ohne Grund hier, du vorlautes Kind.“, knurrte er und wandte sich dann an Zayn.

„Deine Brüder haben herausgefunden wer sie ist, Vaher. Allerdings weiß ich nicht, wie sie nun vorgehen wollen.“

Sofort war Zayn in Alarmbereitschaft.

„Was? Wie haben sie es rausgekriegt?“, brüllte er.

Lucifers Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Lediglich seine Augen wurden eine Spur dunkler, dabei waren sie schon schwarz.

„Scheinbar hat Nereus euch die ganze Zeit beobachtet.“, war alles war er dazu sagte.

Zayn und ich tauschten einen Blick aus.

„Dann hat er unser Gespräch also mitbekommen. Glaubst du, deine Brüder werden sich auf die Suche nach Ezechiel machen?“, sagte ich.

Er zuckte mit den Schultern und ein Blitzen machte sich in seinen Augen bemerkbar.

„Wenn ich ihn nicht aufspüren kann, dann sie auch nicht. Allerdings werden sie versuchen über dich an ihn heranzukommen.“, murmelte er.

„Was sie nicht schaffen werden, solange ihr euch hier befindet. Der Bann kann nur von mir gebrochen werden.“, mischte sich der Fürst der Finsternis ein.

Ich legte nachdenklich die Hand ans Kinn. Doch da gab es etwas, das mir Sorgen bereitete. Und das waren weder Ezechiel, noch Zayns anderen Brüder.

„Warum genau hast du uns das eigentlich gesagt? Solltest du das ganze nicht lachend aus der Ferne betrachten?“, zischte ich und sah zu Luzifer aus.

Er war doch der Teufel, oder nicht? Sollte er sich nicht da voller Vorfreude in die Hände klatschen? Auch er zuckte mit den Schultern.

„Wer weiß. Vielleicht bin ich einfach nur neugierig und will wissen, worauf das Ganze hinausläuft.“

Ich seufzte. Mit solch einer Antwort hatte ich schon gerechnet.

„Wir werden abwarten müssen, Nyria. Vielleicht solltest du dich eine Runde aufs Ohr hauen, dann können Lucifer und ich noch einiges klären.“

Ich sah Zayn an, der es offenbar ziemlich ernst mit seinen Worten meinte. Wollte der mich etwa loswerden? Doch vielleicht hatte er recht? Eine Portion Schlaf würde nicht schaden. Das wäre zumindest immer noch besser als herumzusitzen und darauf zu hoffen, dass etwas passiert. Seufzend gab ich mich geschlagen.

 

13

 

Misstrauisch beäugte ich den Mann mir gegenüber. Nyria, die inzwischen felsenfest schlief, hatte eine gar nicht mal so blöde Frage gestellt.

„Sie hat mir die Worte aus dem Mund genommen. Warum hilfst du uns wirklich, Lucifer? Ich dachte, du wolltest mir nicht helfen?“

Er zuckte mit den Schultern und für einen Moment sah ich so etwas wie Unentschlossenheit in seinen Augen aufblitzen. Was war das nur?

„Zum Teil einfach nur Neugier. Dieses Mädchen hat etwas an sich, das mich fasziniert. Ich glaube, sie ist weitaus mächtiger, als wir beide glauben. Ich habe bisher nur wenige Nephilim kennengelernt und Nyria ist bisher die menschlichste von ihnen. Jeder von ihnen war mit einem Gott vergleichbar aber bei ihr haben sich solche Fähigkeiten noch nicht bemerkbar gemacht.“

Seine Erklärung ließ mich für einen Moment dann doch die Luft anhalten. War das sein Ernst? Hatte er tatsächlich schon genug Mischlinge gesehen und kennengelernt um sagen zu können, dass sie alle mehr als nur besonders waren? Und was meinte er damit, dass sie ihn faszinierte?

„Was für Fähigkeiten sollen das bitte sein?“, knurrte ich und lehnte mich vor.

„Schwarzes Feuer, Gedankenmanipulation, telekinetische Fähigkeiten und all solche Sachen halt.

Hat sich so etwas schon mal bei ihr bemerkbar gemacht? Nicht wirklich, oder?“

Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit.

„Nein, nie. Sie ist ein wenig stärker als ein Sterblicher und die Instinkte die einen Menschen ausmachen sind bei ihr wenig oder gar nicht vorhanden. Zum Beispiel der Drang bei Gefahr zu fliehen. Aber ansonsten war es das.“, war meine recht monotone Antwort.

Lucifer zog eine Braue in die Höhe.

„Vielleicht besitzt sie all diese Fähigkeiten ja doch? Nur, hat sie nie von ihnen Gebrauch gemacht oder sie noch gar nicht entdeckt. Du solltest unauffällig versuchen herauszufinden, ob sie nicht zu mehr in der Lage ist.“

Seine Worte klangen in meinen Ohren noch immer wie der totale Unfug. Ich war mal ein Erzengel, wieso also war das Ganze so fremd für mich? Vielleicht, weil du dich nie mit solchen Dingen beschäftigt hast?, flüsterte eine Stimme tief in meinem Inneren.

„Vielleicht ist sie auch gar keine Nephilim! Sie wurde schließlich von zwei Menschen geboren.“, versuchte ich den Teufel zu überreden, doch ich wusste von vorne herein, dass dies nicht funktionieren würde. Der Teufel war weitaus mächtiger als ich, das betraf sicher nicht nur seine Stärke, sondern auch sein Wissen. Wissen war Macht. Damals, als auch heute.

„Alle Nachfahren Ezechiels sind nicht menschlich, Zayn. Ihr Vater nicht und sie auch nicht. Das kleinste Bisschen Erbgut eines Engels und du bist ein Nephilim. So einfach ist das.“, war alles was er sagte. Er erhob sich und wandte sich bereits zum Gehen, als ich ihn noch am Arm zu fassen bekam.

„Woher weißt du eigentlich, dass sie es herausgefunden haben?“, sagte ich leise und deutete mit dem Kopf nach oben. Ein teuflisches Grinsen stahl sich auf seine Lippen.

„Ich habe ein paar meiner Leute ins Himmelsreich eingeschleust. Das sollte euch beiden zugute kommen.“

Dann war er im Nichts verschwunden. Meine Hand griff ins Leere.

 

„Nyria.“

Diese Stimme kam mir äußerst bekannt vor, weshalb ich mich umsah. Mit fiel auf, dass ich mich in einem Wald befand. Wie war ich hierher gekommen? In der Ferne hörte ich ein lautes Rauschen. War das ein Wasserfall? Erneut hörte ich, wie jemand meinen Namen rief, also setzte ich mich in Bewegung. Das Rauschen wurde lauter und allmählich lichteten sich die Bäume. Sprachlos trat ich zwischen den Bäumen hervor. Diese Frau! Sie stand am Ufer des riesigen Sees und obwohl sie mir den Rücken zugekehrt hatte, wusste ich wer sie war. Diese blonden Locken waren unverkennbar. Es war die Frau aus meinem Traum, den ich gehabt hatte als ich erkannt hatte, dass Engel wirklich existieren. Auch dieses mal blieben mir die riesigen weißen Schwingen nicht verborgen. Unsicher aber dennoch neugierig ging ich zu der Frau, die sich lächelnd zu mir umdrehte. Das Rauschen des Wasserfalls übertönte alles, doch als sich der Mund der Engelsfrau öffnete schien das Rauschen zu verklingen.

„Du hast mich gefunden.“, sagte sie mit einer Stimme, die jeden Mann in den Wahnsinn getrieben hätte.

„Du hast mich gerufen.“, erwiderte ich leise und kam nicht mal einen halben Meter vor ihr zum stehen. Sie nickte und bedachte mich mit einem langen Blick, den ich nicht einschätzen konnte.

„Wer bist du?“, hörte ich mich selbst fragen.

Ich ahnte, dass dies wieder ein Traum war. Doch es fühlte sich alles so realistisch an. Die Sonnenstrahlen auf meiner Haut, die mich wärmten, die feinen Wassertropfen in der Luft, die von dem Wasserfall stammten und der leichte Wind, der mit meinen Haaren spielte.

„Ich bin Fare. Eine der zehn Erzengel.“, antwortete sie.

Versuchte sie mit diesem liebevollen Tonfall mich zu täuschen? Oder war sie immer so?

„Ein Erzengel? Dann willst du mich also töten?“, flüsterte ich und ließ zu, dass mich ein wenig Panik durchflutete. Ich würde aufpassen müssen doch irgendwie glaubte ich nicht, dass diese Frau zu den Bösen gehörte. Sie schüttelte den Kopf.

„Nein!“

Ernst sah sie mich an, doch die Liebe in ihren Augen war nicht zu übersehen.

„Nereus, mein Bruder will dich tot sehen. Doch ich will einen anderen Weg einschlagen. Er glaubt du könntest dem Orden der Erzengel gefährlich werden aber ich weiß, dass dem nicht so ist. Das stimmt doch, oder?“

Ich schluckte. Vielleicht hatte ich ja dank dieser Frau doch noch eine Chance? Ein Nicken.

„Es ist nicht meine Absicht Ärger zu machen. Als ich gesehen habe, wie deine Brüder mit Zayn gekämpft haben ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt. Ich wollte ihn beschützen, nur deswegen habe ich Nereus verletzt!“, beeilte ich mich zu sagen und beobachtete Fare dabei, wie sie auf einen alten Baumstamm wies, der nicht weit von uns entfernt am Ufer des Sees lag.

„Setz dich. Ich würde gern mit dir reden.“

Ein wenig Strenge in ihrer Stimme brachte mich dazu das zu tun, was sie sagte. Ich ließ mich auf dem alten Stück Holz nieder, sie tat es mir nach.

„Du hast meinen Respekt, kleines Mädchen. Es gehört mehr als nur Mut dazu, einen Erzengel zu verletzen. Sag, war dir nicht danach wegzulaufen?“

Neugierig sah sie mich an. Interessierte sie sich wirklich oder war das nur gespielt? Ich zuckte mit den Schultern und suchte nach den richtigen Worten. Sollte ich ihr vertrauen? Konnte ich das überhaupt? Ich beschloss, vorsichtig zu bleiben.

„Eigentlich nicht. Ich gebe zu, allein eure Flügel schüchtern mich ein aber Angst ist ein Gefühl, welches für mich keine Bedeutung mehr hat. Zayn in Sicherheit zu wissen bedeutet mir mehr, als die Gefahr in die ich mich begebe.“

Die Mundwinkel der Frau zuckten.

„Du bist sehr beeindruckend. Dafür, dass du eine Nephilim bist wirkst du ziemlich menschlich. Aber deine Gefühle und dein Verstand sind weitaus auf einem höheren Niveau als das eines Sterblichen.“

Nach diesen Worten schwiegen wir beide eine Weile. Doch dann neigte sie den Kopf und sah mich eindringlich an.

„Ich mag dich, Nyria. Ich bin nicht dein Feind! Ich versuche einen Weg zu finden, deinen Tod zu verhindern, du musst mir also vertrauen. Schon als ich mich dir das erste Mal gezeigt habe, war ich fasziniert von dir. Ich habe sofort gemerkt das du etwas Besonderes bist. Ich will ehrlich zu dir sein. Nereus hat euch beobachtet und so herausgefunden wer oder besser gesagt was du bist. Er hat sofort zu einer Konferenz gerufen. Das Ezechiel dein Urvater ist, ist beunruhigend. Er gehörte zu den mächtigsten unter uns und sollte er auf der Bildfläche erscheinen, wird es Schwierigkeiten geben.Hast du an dir irgendetwas bemerkt, was mächtig genug sein könnte um seine Aufmerksamkeit zu erregen?“

All das musste ich erst einmal verarbeiten, weshalb ich erst schwieg. Also hatte Lucifer recht. Nereus hat uns nicht aus dem Auge gelassen und uns bei Zayns und meinem Gespräch belauscht. Und was sollten ihre letzten Worte eigentlich bedeuten? Ich schüttelte schließlich den Kopf.

„Nein. Ich bin ein bisschen stärker als ich sein sollte und einige menschliche Züge kann ich unterdrücken aber mehr ist da nicht. Mehr war da auch nie!“, antwortete ich und erwiderte ihren stechenden Blick. Sie schwieg, weshalb ich mich ein Stück vorbeugte.

„Werdet ihr euch auf die Suche nach Ezechiel machen?“, hauchte ich.

Fast schon argwöhnisch betrachtete Fare mich.

„Genau das will ich eigentlich verhindern. Nereus wird sicher versuchen herauszufinden wo er sich befindet aber ich werde versuchen ihn aufzuhalten. Es ist möglich, dass in dir Kräfte schlummern von denen du selbst keine Ahnung hast. Ezechiel wird versuchen da heranzukommen und mit einigen unschönen Methoden würde ihm das auch gelingen.“

Ein Schauer kroch mir das Rückgrat hinauf. Ja, nun war ich wirklih beunruhigt.

„Was für Fähigkeiten?“, flüsterte ich. Neugierig hatte sie mich zudem auch noch gemacht.

„Oh, eine ganze Menge und dazu noch sehr mächtige. Ich verrate sie dir nicht, vielleicht bist du ja im Besitz von einigen. Du wirst alleine versuchen müssen herauszufinden, wie mächtig du wirklich bist.“

Sie erhob sich und daraus schloss ich, dass die Zeit die wir hatten nur knapp war.

„Du könntest für uns arbeiten, Nyria. Dann wärst du in Sicherheit. Allerdings wärst du dann von Zayn getrennt und ich nehme an, das willst du auf keinen Fall in Kauf nehmen.“

Sie sah auf mich herab, ich zu ihr hinauf.

„Zayn würde nicht zulassen, dass ihr mich zu euch ins Himmelsreich holt. Und ich würde es auch gar nicht wollen. Dazu ist mir dieser Mann viel zu wichtig geworden.“, erwiderte ich ruhig. Es war mein Ernst! Ich würde Zayn nicht zurücklassen. Sicher würde Nereus alles daran setzen, ihn loszuwerden.

„Nyria!“

Die Stimme die nach mir rief kam von weither und Fare wusste ganz genau, wer da von wo aus nach mir rief.

„Zayn scheint dich wecken zu wollen.“, stellte sie leise fest.

„Welche Möglichkeiten gibt es noch?“, fragte ich hastig und erhob mich ebenfalls.

Fare fasste sich an den Kopf.

„I-Ich weiß nicht, auf die Schnelle fällt mir nichts ein.“, stammelte sie verzweifelt und trat einen Schritt auf mich zu. Sie drückte mir etwas in die Hand. Zeit um es zu betrachten hatte ich nicht.

„Damit bist du jederzeit in der Lage Kontakt zu mir herzustellen. Sollte es Probleme geben kannst du es benutzen! Ich melde mich, wenn mir etwas eingefallen ist.“

„Nyria!“

Keuchend wachte ich auf.

 

„Was hast du herausgefunden?“

Ty verneigte sich leicht und richtete sich dann wieder auf.

„Sie sind sich uneinig. Fare versucht sie zu beschützen, Nereus hingegen...“

Der mächtige Mann vor ihm neigte den Kopf.

„Er will sie also noch immer tot sehen?“

Ty nickte.

„Was ist mit Ezechiel?“

Ty wurde ernster. Auch er wusste nur zu gut, was für einen Feind man mit Ezechiel hatte.

„Ebenfalls geteilter Meinung. Nereus will ihn finden, Fare hingegen versucht ihn davon abzuhalten. Sie wissen nicht wo er sich befindet aber Nereus scheint zu wissen, wie er an ihn herankommen kann. So hat es zumindest auf mich gewirkt. Die anderen Erzengel sind bei Nereus' seltsamem Gesichtsausdruck ebenfalls aufmerksam geworden.“

Ein Knistern in der Luft war der Beweis für die angespannte Situation.

„Seid Ihr in der Lage Ezechiel ausfindig zu machen? Das würde die Sache nämlich erleichtern.“, sagte Ty und sah zu dem Mann auf dem Thron auf. Dieser schüttelte den Kopf.

„Ich wüsste nicht wie. Er könnte sich schließlich überall auf der Welt befinden. Eine Möglichkeit gäbe es allerdings...“

Sofort wurde der Engel aufmerksam.

„Bringe mir einen Gegenstand aus Ezechiels Besitztum und ich bin in der Lage ihn dank einer Beschwörung herzubringen.“

Tys Augen weiteten sich.

„Aber im Himmelsreich gibt es keine Gegenstände, die mal ihm gehört haben. Wie soll ich das anstellen?“

Der Mann grinste.

„Genau das ist die Schwierigkeit. Finde einen Gegenstand der ihm gehört hat. Wie du das machst ist mir egal. Du kannst auch gerne andere Leute zur Hilfe nehmen, Hauptsache es wird erledigt. Und nun verschwinde, ehe Nereus Verdacht schöpft.“

Ty verneigte sich erneut.

„Wie Ihr wünscht, mein Fürst.“

Dann war verschwunden. Lucifer grinste. Nun kam es nur darauf an, wer schneller war. Entweder Ezechiel oder er.

 

Schon wieder betrachtete sie den kleinen Rubin in ihrer Hand, der an ein einem Lederband befestigt war. Er war mir aufgefallen, nachdem ich sie geweckt hatte. Sie hatte so lange und so tief geschlafen, dass ich begann mir Sorgen zu machen. Aus diesem Grund hatte ich versucht sie zu wecken, was im Nachhinein sogar eine Weile gedauert hatte. Wie dem auch sei, nun war sie wach. Doch ansprechbar war sie nicht. Irgendetwas beschäftigte sie und hatte mit diesem Stein zutun. Ich fragte mich, wo sie ihn herhatte. Sie saß auf dem Sofa, schon seit einer halben Stunde und so langsam hatte ich genug. Seufzend ging ich vor ihr in die Knie.

„Nyria, sieh mich an!“

Ich fasste ihr Kinn und zwang sie, mich anzusehen. Erstaunlicherweise fixierten mich ihre Augen tatsächlich.

„Hm?“

Sie klang noch immer müde und erschöpft. Außerdem hatte sie dunkle Ringe unter den Augen.

„Dieser Stein. Woher hast du ihn?“

Sie antwortete nicht, stattdessen erhob sie sich und begann auf und ab zu laufen.

„Es ist etwas passiert.“, murmelte sie.

Brachte sie nun endlich Licht ins Dunkle?

„Was soll das heißen?“

Sie drehte sich zu mir um und sah mich eindringlich.

„Fare.“, sagte sie lediglich. Augenblicklich spannte mein Körper sich an. Ich konnte nicht anders, es war einfach eine typische Reaktion wenn ich die Namen meiner Geschwister hörte. Ausnahmsweise geduldig wartete ich darauf, dass sie die Situation erklärte.

„Sie ist mir nun zum zweiten Mal im Traum erschienen aber dieses Mal...“

Sie hielt den Stein in die Höhe.

„Nereus will mich tot sehen aber Fare sagt sie versucht, seine Pläne zu vereiteln. Sie will sich überlegen, wie sie mir helfen kann.“

Ich schwieg weiterhin. Fare, also. Naja, sie war die liebenswürdigste Frau die ich kannte, dass sie Nyria helfen wollte konnte ich als gutes Omen betrachten. Und der Stein erklärte auch einiges.

„Du kannst also jederzeit mit ihr in Kontakt treten.“, stellte ich fest, worauf sie nickte.

„Sie hat mir angeboten für sie zu arbeiten aber...niemals würde ich diese Option in Betracht ziehen.“, sagte sie dann und sah mich mit wilder Entschlossenheit in den Augen an.

Meine Augen hingegen weiteten sich.

„Sie hat was?“, hauchte ich.

Nyria neigte den Kopf.

„Sie meinte, ich könnte für den Orden arbeiten, dann wäre ich außer Gefahr. Allerdings...wären wir dann getrennt gewesen.“

Zum Ende hin wurde sie leiser.

„Scheiß egal, ob wir getrennt sind. Hauptsache du bist in Sicherheit, Nyria. Aber das du für sie arbeitest kommt nicht in Frage! Nereus kommt wer weiß was auf welche Gedanken, wenn du dich da oben herumtreibst. Was hat Fare noch gesagt?“, knurrte ich und hob drohend die Hand.

Sie winkte ab.

„Keine Sorge, ich hatte nicht vor dieses Angebot anzunehmen. Fare meinte es wäre möglich das ich...mächtiger bin als es scheint.“

Ich wollte bereits etwas erwidern, doch die Worte blieben mir im Halse stecken. Nach wenigen Augenblicken atmete ich tief durch.

„Lucifer ist ebenfalls dieser Ansicht. Möglicherweise hast du deine wahre Stärke noch nicht gefunden.“

Wir starrten uns an, bis wir zeitgleich seufzten und wir uns nebeneinander auf dem Sofa niederließen. Ich konnte nicht in ihr Innerstes sehen, so wie ich es sonst bei Sterblichen konnte, doch bisher hatte ich mir noch nichts dabei gedacht. Nun allerdings kam mir das komisch vor. War sie womöglich doch mächtiger? Nachdenklich starrte ich sie an. Sie hatte die Augen geschlossen, was sie friedlich aussehen ließ. Einige Strähnen ihres schwarzen Haars hingen ihr ins Gesicht und ihre vollen Lippen waren leicht geöffnet. Ich könnte sie den ganzen Tag lang so anstarren.

„Du hast also mit Lucifer gesprochen.“, sagte sie nach einer Weile und schlug die Augen wieder langsam auf.

„Ja.“, erwiderte ich. „Seine Worte haben mich dazu gebracht nachzudenken. Vielleicht sollten wir noch einmal trainieren. Aber...anders.“

Aufmerksam musterte sie mich. Sie schien zu ahnen, dass das nichts Gutes verhieß.

„Ich will gar nicht wissen was du vorhast.“

Sie erhob sich und streckte sich ein wenig.

„Bringen wir es schnell hinter uns.“, murmelte sie und verschwand nach draußen auf den Hof.

 

14

 

Er betrachtete das Bild in seiner Hand. Nyria. Das kleine Mädchen mit den ungewöhnlichen Augen, das er schon seit geraumer Zeit im Blick hatte. Noch vor wenigen Tagen hatte er sie beobachtet, allerdings musste er sich zurückziehen. Sie würden sicher nach ihm suchen. Nyria Devony. Seine einzige weibliche Nachfahrin. Ihr Vater und ihre ganzen Urgroßväter waren zu nichts zu gebrauchen. Nicht einer von ihnen hatte je groß seine Kräfte benutzt. Bei Nyria hatte sich zumindest ein Ansatz gezeigt. Vielleicht würde da noch etwas draus werden? Wahrscheinlich würde Vaher nun ihr Trainer sein, jedoch wusste er nicht was er davon halten sollte. Zayn war mächtig, Nyria konnte also eine Menge von ihm lernen. Allerdings musste er zugeben, dass es ihm nicht gefiel das die beiden Kontakt zueinander hatten. Er erlaubte sich mit den Gedanken ein Stück weit abzuschweifen. Ahnt dieses Kind, dass es als Frau weitaus mächtiger sein konnte als ihre ganzen Vorgänger? Er selbst überlegte schon eine ganze Weile, wie er sich ihre Kräfte zu Nutze machen sollte. Vielleicht, aber nur vielleicht, war sie ja in der Lage die Anarchie der Himmlischen zu verändern? So, wie die alte Hexe es ihm damals prophezeit hatte? Er schüttelte den Kopf und sah wieder das Bild in seiner Hand an, welches seine weibliche Nachfahrin bei der Arbeit zeigte.

 

Wenn ich ehrlich sein sollte jagte mir Zayns Gesichtsausdruck eine Heidenangst ein, doch noch bevor ich mich dazu äußern konnte feuerte er einen Ball aus himmlischen Feuer auf mich ab. Mit einem Aufschrei sprang ich zur Seite, worauf der Feuerball auf die Mauer hinter mir traf und ein Loch hineinfraß.

„Bist du bescheuert?“, fauchte ich und zeigte auf das Loch. „Ich könnte draufgehen bei deinem Versuch, meine Kräfte auszutesten!“, brüllte ich.

Doch beunruhigenderweise reagierte er nicht auf meine Worte. Langsam überkam mich das Gefühl, dass ich gerade eine ganz neue Seite an ihm kennenlernte.

„Zayn?“, murmelte ich und beobachtete, wie sich seine Haltung veränderte.

Er...wollte mich angreifen! Ich konnte nicht einmal reagieren, da stand er schon bedrohlich vor mir und holte mit der Faust aus. Aus Angst kniff ich die Augen zusammen. Ich streckte die Hand aus, stieß ein lautes „Nein“ aus und bereitete mich schon auf den Fausthieb vor, doch dieser blieb aus. Stattdessen ertönte ein Knall und ein lautes Rumpeln. Nur langsam wagte ich es, die Augen wieder zu öffnen. Zayn stand nicht mehr vor mir, sondern lag mehere Meter von mir entfernt auf dem Boden. Ein Loch klaffte in seiner Brust und gab den Blick auf ein paar seiner Rippen frei. Ich stieß ein Keuchen aus und rannte zu ihm, unfähig über meine Handlung nachzudenken.

„Verdammt!“, fluchte ich und ging neben ihm in die Hocke.

Zayn richtete sich in der Zeit ein Stück auf und inspizierte das Loch in seiner Brust.

„Jetzt wissen wir, dass es funktioniert hat.“, stellte er beiläufig fest und sah mich lächelnd an. Fassungslos starrte ich ihn an.

„Was?“

Nun war ich völlig neben der Spur. Wovon redete er? Lachend umfasste er mit beiden Händen mein Gesicht.

„Kleines, sieh mich an!“, hauchte er.

Ich schluckte und versuchte mich zu beruhigen, doch seltsamerweise fiel mir wieder auf, wie hübsch er doch war.

„Du bist verletzt.“, flüsterte ich. Zum Teufel, wieso stiegen mir jetzt die Tränen in die Augen? Sein Lachen wurde lauter.

„Es heilt schon. Siehst du?“

Er deutete mit dem Kopf auf seine Brust. Nur zaghaft senkte ich den Blick. Und tatsächlich. Langsam aber sicher fügten sich Sehnen, Muskeln, Fleich und Haut wieder zusammen, bis nicht mal mehr eine Narbe zu sehen war. Ungehindert flossen die Tränen über meine Wangen, doch liebevoll wischte Zayn sie fort.

„Es geht mir gut, Nyria. Es ist nichts passiert, also hör auf zu weinen.“, sagte er, noch immer leise lachend. Ich schniefte noch einmal, nickte und zwang mich zu einem schwachen Lächeln.

„Tut mir leid.“, hauchte ich und wischte mir über die Augen. Während meine Augen geschlossen waren spürte ich, wie sich etwas auf meinen Stirn drückte. Hatte er mich geküsst?

„Jetzt haben wir den Beweis, dass du in der Tat mächtig bist, Kleine.“, sagte Zayn nun.

Aufmerksam blickte ich ihm in die Augen. Ein Funkeln hatte sich in ihnen bemerkbar gemacht.

„Was...war das?“, murmelte ich. Nur langsam begriff ich, wie schwer ich Zayn verletzt hatte.

„Ein mächtiges Feuer.“, beantwortete er meine Frage und erklärte es auch sogleich.

„Himmlisches Feuer fließt durch den gesamten Körper. Wir sind in der Lage es jederzeit zu benutzen. Du allerdings hast dein Feuer nun erst gefunden und es irgendwie geschafft, es zu bündeln. Gebündelte Kraft ist weitaus gefährlicher! Allerdings hast du gerade nur Angst und Reflexe gezeigt. Du musst lernen die Kräfte bewusst einzusetzen. Wir werden das also trainieren.“

Ich schluckte und ließ diese Worte erst einmal sacken. Mein besorgter Blick blieb natürlich nicht unbemerkt.

„Sieh mich an.“, verlangte Zayn und griff nach meinem Kinn.

„Es wird nichts passieren, keine Sorge.“, sagte er und hauchte mit erneut einen Kuss auf die Stirn.

„Geh und ruh dich aus.“

Ich hatte mich bereits abgewandt, als er noch einmal meine Hand zu fassen bekam.

„Eins noch.“, hauchte er mir ins Ohr. „Nimm dir die Zet, dich nur mal mit dir selbst zu beschäftigen. Leg dich ins Bett und konzentrier dich auf dein Innerstes. Vielleicht lernst du dich und deine Kräfte besser kennen.“

Schon war er an mir vorbei gegangen. Zitternd begab ich mich ins Schlafzimmer.

 

Leise knurrend inspizierte ich meine Brust. Verdammt noch mal, das hätte übel ausgehen können! Die Tatsache das sie schwarzes Feuer besaß war schon überraschend aber das sie dann auch noch in der Lage war es zu bündeln, war sowohl bewundernswert als auch besorgniserregend. Nachdenklich ließ ich meine Finger über meine Haut gleiten, auf der nicht einmal mehr eine Narbe zu fühlen war. Eine Sache irritierte mich allerdings. Warum hatte sie Tränen vergossen? Der Sache würde ich nachgehen müssen. Zuerst würde ich aber eine Menge Zeit in ihr Training investieren müssen...

 

Gleichmäßig atmend und mit geschlossenen Augen saß ich auf dem Bett. Doch so ruhig ich nach außen hin auch wirken mochte, in meinen Gedanken herrschte ein ungeordnetes Chaos. Schon seit Stundne versuchte ich genau dieses Chaos zu ordnen, doch es gelang mir nicht. Immer wieder kam mir dieses Bild in den Sinn. Zayn, verletzt und völlig überrumpelt auf dem Boden liegend, mit einem klaffenden Loch in der Brust. Warum war ich so stark? Und warum hatte ich diese Stärke noch nie zuvor gespürt? Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit gelang es mir, wenigstens ein Stück weit den Kopf frei zu kriegen. Ich atemte tief durch und konzentrierte mich ausschließlich auf mich. Ich stellte mir vor wie ich mein Innerstes erforschte und dabei immer tief in meine Seele und mein Herz eindrang. Eine dünne Schicht aus Eis umzog mein Herz, doch ich durchbrach sie ohne zu zögern. Dahinter befand dich ein Irrgarten aus Emotionen und Bildern der Vergangenheit. Ich konnte jede noch so verschwommende und verzerrte Erinnerung zuordnen. Ein anderer hätte dies wohlnicht geschafft. Ich kämpfte mich durch das beängstigende Gestrüpp aus Emotionen, bis ich den Wald irgendwann hinter mir gelassen hatte. Nun befand ich mich direkt vor einer Tür. Ich wusste nicht was ich von ihr halten sollte. Sie war schwarz. Genauso dunkel und gefährlichw irkend, wie Lucifers Augen. Was sich wohl dahinter befand? Wollte ich das überhaupt herausfinden? Das Bild vom verletzten Zayn blitzte auf. So etwas sollte nie wieder passieren und nur deswegen ergriff ich den silbernen und sich kalt anfühlenden Türknauf. Langsam drehte ich ihn. Mein Atem beschleunigte sich und ich hörte das Blut in meinen Adern rauschen. Mein Herz schlug beunruhigend schnell und pumpte gefährlich viel Adrenalin durch meine Adern. Ich ballte meine freie Hand kurz und kräftig zur Faust, dann riss ich die Tür auf. Überrascht trat ich wenige Schritte vor, dann hielt ich unsicher inne. Vor mir hatte sich ein Saal ausgebreitet. Es war dunkel. Der Boden war schwarz. Ich hatte keine Ahnung aus welchem Material er war, doch er war so blank, dass ich mich selbst darin erkennen konnte. Wände schienen nicht zu existieren. Lediglich vier Türen waren zu erkennen, alles andere – wenn hier etwas anderes denn existierte – war in völlige Dunkelheit getaucht. Was sollte ich nun tun? Auch die anderen Türen öffnen? Noch ehe ich richtig darüber nachdenken konnte tauchte gut fünf Meter von mir entfernt mein Spiegelbild auf. Wachsam blickten mich eisgrüne Augen an.

„Schön, dass du dir die Zeit nimmst dich selbst besser kennenzulernen.“, sagte mein Spiegelbild plötzlich. Eine Spur Spott und Arroganz waren in der melodischen Stimme zu hören. Hörte ich mich wirklich so an? So sinnlich? So klangvoll und hypnotisierend? Mein zweites Ich trat auf mich zu und stellte sich dann an meine Seite.

„Lass es mich dir erklären.“, begann mein Spiegelbild nun freundlich und wies auf die Türen.

„Hinter diesen Türen verbergen sich deine Fähigkeiten, und zwar die mächtigen! Sobald du einen der Räume betreten hast erscheint dir ein Spiegelbild, welches dir deine Fähigkeit demonstrieren wird. Aber sei vorsichtig. Jede Fähigkeit wird von einer anderen Charaktereigenschaft beherrscht. Du solltest darauf gefasst sein Teile von dir zu sehen, die du bisher nie wirklich wahrgenommen hast. Hast du alles verstanden?“

Ich nickte mir selbst zu und beobachtete – noch immer völlig neben der Spur – wie sich mein Spiegelbild in Luft auflöste. Ich schluckte, sah mich um und trat dann auf die erste Tür zu, die in einem warmen Braunton strahlte. Das Holz strahlte Wärme aus und ich fragte mich, was sich hinter ihr befand. Ich ergriff den hölzernen Knauf. Kaum hatte ich den Raum betreten, erstrahlte er in einem hellen goldenem Licht. Auf der Stelle fühlte ich mich geborgen. Ich schritt voran, bis ich mir selbst gegenüber stand. „Nyria.“, wurde ich mit einem Lächeln gegrüßt. Ich nickte lediglich und wartete neigierig ab, was nun geschehen würde. Mein Spiegelbild war in ein weißes, wallendes Kleid gehüllt, welches ein wenig faltterte als es auf mich zu schritt. Bilder aus der Vergangenheit leuchteten in der Luft auf. Wie ich mich als kleines Kind um einen verletzten Vogel gekümmert hatte und auch, wie liebe- und verständnisvoll ich gewesen war, als Zayn mir anvertraut hatte was für eine Person er in seiner Vergangenheit gewesen war. Mein Gegenüber lächelte noch immer.

„Ich bin der liebevolle Teil von dir, Nyria. Meine Fähigkeit ist mächtiger, als es vielleicht scheint...“

Ich fragte mich auf was für eine Fähigkeit sie sich bezog, als ich plötzlich spürte wie ein sanfter Wind meine Seele umschmeichelte.

„Du bist aufgeregt. Fragst dich was hier gerade passiert, bis so neugierig darauf was noch alles kommt und hast Angst, einen Mann zu verletzten oder ihn gar zu verlieren...“

Mein Spiegelbild verstummte so aprubt, wie es auch angefangen hatte zu sprechen.

„Du weißt bis ins kleinste Detail, wie ich mich fühle.“, stellte ich leise fest.

Ich konnte...Gefühle lesen? Die junge Frau mir gegenüber nickte.

„Ich...du bist eine Empathin. Du bist in der Lage die Gefühle eines jeden zu erkennen und zu deuten. Andere können das natürlich auch bei dir, es sei denn du hast ein natürliches Schutzschild aufgebaut, welches dich umhüllt und somit vor neugierigen Blicken schützt. Genau genommen musst du dir darüber keine Gedanken machen. Du hast es zwar nie gemerkt aber in all den Jahren hast du deine Schutzschilde immer mächtiger werden lassen. Das du dich schützen wolltest hat dafür gesorgt, dass niemand mehr in sein Bewusstsein eindringen kann. Außer dir selbst natürlich. Und...“

Von einer Sekunde auf die andere verstummte die zweite Nyria. Neugierig neigte ich den Kopf.

„Und was?“, hakte ich nach.

Mein Spiegelbild schwieg erst, seufzte abder dann.

„Es gibt noch eine Ausnahme, was das Eindringen in dein Bewusstsein betrifft.“, sagte Nyria Nummer zwei. Ich schwieg, damit sie fortfuhr. Eindringlich sah sie mich an.

„Sobald du jemandem bedingungslos vertraut, brechen deine Schutzschilde zusammen. Bisher ist Zayn der einzige der einen Blick in dein Innerstes werfen kann. Achte darauf, dass dies auch so bleibt.“

Mit einem entschlossenen Nicken stimmte ich zu. Nun trat wieder ein Lächeln auf ihre...meine Lippen.

„Trainiere diese Fähigkeit nebenbei und du wirst sehen, dass du ab und zu ein Stückchen weiter kommst.“

Mein Spiegelbild verschwand, doch das goldenen Licht blieb. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Der Gedanke das Zayn der einzige war, der mich durchschauen konnte gefiel mir! Mehr, als ich gedacht hätte...Nachdem ich einige Minuten lang über diese Informationen nachgedacht hatte, verließ ich den Raum und ging zur nächsten Tür, die ebenfalls schwarz war.

 

Als ich noch immer ein wenig nachdenklich das Schlafzimmer btrat, lag Nyria ruhig und gleichmäßig atmend auf dem Bett. Ich dachte sie würde schlafen, doch dann fiel mir auf das sich ihre Augen hinter den geschlossenen Lidern hin und her bewegten. Einige ihrer Finger zuckten und ich ahnte, dass sie nicht schlief und auch nicht in einem Traum gefangen war. Vielmehr schien sie sich in einer Art Trance zu befinden. Wahrscheinlich hatte sie meine Worte sehr ernst genommen und versuchte nun, die Abgründe tief in ihrem Inneren zu erkunden. Hoffentlich geht das gut., flüsterte die Sorge. Ich schüttelte den Kopf und ließ mich neben ihr auf der Bettkante nieder. Dann ergriff ich ihre Hand, die noch immer zuckte.

 

15

 

Noch bevor ich den Türknauf ergriffen hatte, durchströmte mich plötzlich ein warmes Gefühl. Sogleich versuchte ich, meine empathischen Fähigkeiten auszutesten. Ich konnte wirklich etwas fühlen, allerdings dauerte es eine Weile bis ich es zuordnen konnte. Da war etwas...beengendes, etwas erdrückendes. Sehr präsent und intensiv. Ich war mir zwar nicht sicher, doch ich identifizierte es als Sorge. Aber da war noch etwas anderes. Etwas warmes und sehr besitzergreifendes. Es war...Vertrauen? Irgendjemand schien sich bei mir aufzuhalten. Es musste Zayn sein. Ich löste mich von dem warmen Gefühl und betrat den nächsten Raum. Ich musste mich konzentrieren! Ich blinzelte. Völlige Dunkelheit. Nicht einmal meine eigene Hand vor Augen konnte ich erkennen. Auch nach mehreren Minuten hatten sich meine Augen noch nicht an die völlige Finsternis gewöhnt. Plötzlich wurde es nur ein paar Meter vor mir heller. Eine Gestalt trat auf mich zu. Eisgrün blitzte auf und starrte mich mit einem irren Funkeln an. Ich war wie versteinert. Angst keimte in mir auf. Das sollte ich sein? Mein Spiegelbild war in ein schwarzes Gewand eingehüllt, lediglich die blasse Haut und die blitzenden Augen waren zu erkennen. Schwarze Flammen schossen zischend an mir vorbei. Schwarzes Feuer, stellte ich fest. Eine weitere Fähigkeit.

„Wut.“, äußerte ich laut. Diese Erkenntnis überraschte mich. Kein Wunder das mein Spiegelbild so aussah.

„Ganz genau.“, erwiderte es.

Wieder flammten Bilder aus alten Zeiten auf. Unter anderem meine Wut auf die Erzengel, die ich offen zur Schau gestellt hatte.

„Deine Wut beherrscht das schwarze Feuer, Nyria. Ohne deine Wut könntest du es nicht kontrollieren. Und erst recht nicht bündeln. Du bist in der lage jederzeit auf das Feuer zurückzugreifen, allerdings musst du dafür auch kontrolliert auf deine Wut zugreifen können. Und das ist harte Arbeit. Viel Glück dabei.“

Es wurde still und so schnell mein Spiegelbild gekommen war, veschwand es auch wieder. Seufzend und in völliger Finsternis tastete ich mich zurück zur Tür. Mir ging etwas durch den Kopf. Ich musste wütend gewesen sein, als ich Zayn mit dem gebündelten Feuer verletzt hatte. Dabei hatte ich gar keine Wut verspürt. War es das, was mein Spiegelbild gemeint hatte? Kontrolle über meine Wut? Darüber würde ich mir später Gedanken machen müssen, denn inzwischen stand ich vor der nächsten Tür. Sie war tiefrot, wie Blut, mit einem goldenen Türgriff. Inzwischen konnte ich die Tür gar nicht schnell genug öffnen. Der Raum war in schwaches Licht getaucht, so als wäre eine einzige Glühbirne angeschaltet gewesen. Mein Spiegelbild tauchte auf. Gekleidet in bauchfreiem Shirt und Hotpants. Die Haare waren locker hochgesteckt.

„Und? Welche Charaktereigenschaft repräsentierst du?“, fragte ich locker, worauf mein zweites Ich auf mich zukam.

„Was glaubst du?“, erwiderte sie mit zuckenden Mundwinkeln.

„Ich würde mal sagen, du bist ganz schön mutig.“, antwortete ich und musterte die junge Frau.

Die hohen Pumps die sie anhatte beeindruckten mich. Konnte ich wirklich auf den Dingern laufen? Scheinbar ja.

„Stimmt.“, kam es zurück.

„Und die Fähigkeit?“, fragte ich weiter.

Mein Spiegelbild umrundete mich und stieß ein verächtliches Schnauben aus.

„Du hast nicht die geringste Ahnung wie mächtig du bist, stimmt's?“, knurrte sie.

Ich schwieg. Es stimmte. Ich hatte keine Ahnung, doch so langsam erfuhr ich immer mehr von mir selbst.

„Du könntest selbst Zayn unterwerfen!“, flüsterte mir eine sinnliche Stimme ins Ohr.

Panik ergriff mich, als plötzlich mein Hals mit einem irren Druck umfasst wurde. Ich rang nach Luft. Versuchte mein Spiegelbild etwa, mich zu erwürgen? Ich griff selbst nach meiner Kehle, doch da war nichts. Nichts als meine Haut. Hektisch suchten meine Augen den Raum ab. Mein Spiegelbild stand zwei Meter von mir entfernt, hatte den rechten Arm von sich gestreckt und die Hand zur Faust geballt. Langsam sich ihre Faust, worauf endlich wieder Luft in meine Lunge strömen konnte. Röchelnd fiel ich auf die Knie. Teufel noch mal, waren das telekinetische Fähigkeiten? Ich sah auf und mein Spiegelbild krümmte mehrmals den Finger. Wie von selbst erhob ich mich und ging auf mich selbst zu.

„Ich wollte dir nur zeigen, zu was du in der Lage bist.“, murmelte sie und sah mich an.

„Nur mit Hilfe deines Mutes kannst du andere manipulieren. Wenn du diese Fähigkeit geschickt einsetzst, wird niemand bemerken was genau für ein Spiel du treibst. Aber sei bedacht! Manche wissen um diese Gabe.“

Sie löste sich in Luft auf, wieder blieb ich alleine zurück. Ich fasste mir an den Hals. Ob Zayn wohl bemerken würde, wenn ich versuchte ihn zu manipulieren? Meine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Ich würde es auf einen Versuch ankommen lassen. Später. Die letzte Tür. Sie war aus massivem Holz, dunkel und hatte etwas vertrautes. Nachdem ich wenige Sekunden lang gezögert hatte, betrat ich den letzten Raum, in dem mich mein Spiegelbild schon erwartete. Verschiedene Farben leuchteten auf und ließen mich fasziniert stehen bleiben. Ich betrachtete mein zweites Ich genauer. Vielleicht ließ sich ja erneut beurteilen, mit welchem meiner Eigenschaften ich es zutun hatte? Mein Gegenüber stand mir mit erhobenem Haupt gegenüber, eine Hand in die Hüfte gestemmt. Sie trug ein trägerloses, kurzes Cocktailkleid, welches sich an ihre Kurven schmiegte. Es war lila. Sie hatte das Gesicht ein wenig gehoben und es wirkte, als sähe sie auf mich herab.

„Ich bin dein Stolz.“, sagte sie auch schon und löste somit das Rätsel.

Das leuchtete ein. Ihre Haltung, das Auftreten und ihre Stimme. Mit einem Augenzwinkern ließ sie eine Flamme in ihrer Hand entstehen. Doch es war kein schwarzes Feuer. Und auch kein Himmlisches. Sondern eine ganz normale Flamme, so als hätte man ein großes Feuerzeug entzündet. Verblüfft zog ich die Brauen hoch. Nach wenigen Sekunden erstarb die Flamme und an deren Stelle trat ein kleiner Ball aus wirbelndem Wasser. Das erstaunte mich noch mehr.

„Ich beherrsche die Elemente?“, wisperte ich.

Das warf mich nun wirklich aus der Bahn. Nie hätte ich gedacht, dass so etwas möglich ist! Sie nickte und auch der Wasserball verschwand.

„Ich spare mir Luft und Erde. Hör zu. Nach den anderen drei sollte man meinen auch hierfür ist dein Stolz verantwortlich aber das stimmt nicht ganz. Du bist immer eine stolze Frau, keine Frage du kannst jederzeit die Kraft der Elemente nutzen. Aber um sie wirklich nutzen zu können brauchst du einen starken Willen. Es bedarf ein langes Training, bist du sie einsetzen kannst. Ich wünsch dir Glück. Du wirst es brauchen.“

Schon war ich wieder alleine. An dieses Kommen und Gehen würde ich mich wohl nie gewöhnen. Weder hier, noch in der Realität, bei Zayn und den anderen unsterblichen Geschöpfen. Eine Weile blieb ich unentschlossen stehen, dann ging ich denselben Weg in meinem Bewusstsein zurück, den ich gekommen war. Ich kämpfte mich durch meine Erinnerungen, meine Emotionen, bis ich erneut die Eisschicht um meinem Herzen überwunden hatte.

 

Ihre Augen öffneten sich langsam und fixierten mich mehrere Minuten lang.

„Alles okay?“, brachte ich besorgt hervor.

Sie rieb sich mit den Händen kurz übers Gesicht und setzte sich dann langsam auf.

„Ja, ich glaube schon. Ich bin nur etwas verwirrt.“, erwiderte sie leise und sah sich unauffällig um.

Ich neigte den Kopf, denn irgendetwas schien nicht zu stimmen.

„Du warst nicht ansprechbar, deswegen habe ich mir Sorgen gemacht.“

Ich beobachtete, wie sich ihre Pupillen verengten.

„Ich weiß...“, murmelte sie. „Ich habe es gespürt.“

Ich dachte mir erst nichts bei ihren Worten, doch nach nur wenigen Sekunden wurde ich hellhörig.

„Was meinst du mit, ich habe es gespürt?“, hakte ich nach. Aufmerksam studierte ich ihr Gesicht.

 

Ich schluckte und atmete tief durch, ehe ich vorsichtig zu ihm aufsah. Vielleicht sollte ich es erst austesten, ehe ich es herausposaunte. Ich konzentierte mich auf ie Verbindung die zwischen uns bestand und streckte vorsichtig meine imaginären Fühler aus. Erst schien ich an irgendetwas abzuprallen, dich mit ein wenig Mühe überwand ich dieses Hindernis. Neugierde schlug mir entgegen und auch ein wenig Angst und Sorge. Dann war da noch etwas anderes. Vertrauen und...Hingabe? „Ich...bin Empathin.“, flüsterte ich. Ich traute mich kaum ihn anzusehen, doch irgendwie musste ich ja herausfinden wie er auf diese Worte reagierte. Für den Bruchteil einer Sekunde verengten sich seine Augen, dann weiteten sie sich, ebenso wie seine Pupillen.

„Was soll das heißen?“, murmelte er, völlig neben der Spur. Ich ahnte böses. Wenn er darauf schon so stark reagierte, wie würde er sich dann verhalten wenn ich ihm von meinen anderen Fähigkeiten erzählte?

„Ich kann die Gefühle anderer „lesen“ wie Gedanken.“, gestand ich und zog dabei die Schultern ein Stück hoch.

„Bist du sicher?“, kam es zurück.

Zwischen meinen Augenbrauen bildete sich eine Falte.

„So sicher wie die Tatsache, dass du gerade sowohl verängstigt, als auch beeindruckt bist.“, antwortete ich so kühl wie möglich. Zayn blinzelte und schüttelte den Kopf.

„Gibt es vielleicht noch etwas, das du mir gestehen möchtest?“

Meine Schultern wanderten noch ein Stück höher.

„Naja...Ich beherrsche schwarzes Feuer, bin Empathin, kann das Handeln einer Person beeinflussen und kann die vier Elemente bändigen.“

Erneut streckte ich meine Antennen aus. Eine wahre Flut an Gefühlen schlug mir entgegen. Ich konnte nicht mal alle zuordnen! Plötzlich fing er an zu lachen, und das so stark, dass er sich eine Hand an den Bauch legen musste.

„Du willst mir also weiß machen, dass du die Elemente berrschst?“, gluckste er und sah mich mit hochgezogenen Brauen an. Ich nickte schwach und hob selbstbewusst die Hand, in der ich ohne zu zögern eine kleine Flamme entstehen ließ. Zu meiner eigenen Verblüffung funktionierte es! Trotz der Worte meines Spiegelbilds, dass es eines langen Trainings bedarf dies zu schaffen. Doch...es fühlte sich leicht an. Augenblicklich verstummte der Mann.

„Das ist...stinknormales Feuer?“, murmelte er.

Wieder nickte ich. Er schüttelte benommen den Kopf, so als wolle er das Ganze vergessen.

„Und du kannst das Handeln anderer Personen beeinflussen...“, stellte er dann leise fest.

Noch ein Nicken. Sollte ich es darauf ankommen lassen? Ich Gedanken zuckte ich mit den Schultern. Ich stellte mir vor wie Zayn mich küsste, stellte mir vor wie ich ihn dazu zwang. Verzweifelt formte ich diesen Gedanken immer weiter, bis sich Zayn nach wenigen Sekunden tatsächlich vorbeugte und mein Gesicht mit beiden Händen unfasste. Erst streiften seine Lippen meine nur, dann vertiefte er den Kuss. Ich genoss den Sieg, doch nach ein paar Minuten schien ihm klar zu werden, was hier gerade geschah. Fluchend und als hätte er sich verbrannt wich er zurück.

„Verdammt! Du...kannst das wirklich!“, hauchte er.

„Du glaubst also wirklich, ich würde dich anlügen?“, nuschelte ich

Eine Weile lang starrte er mich an, dann schüttelte er den Kopf.

„Nein, natürlich nicht. Ich war nur...überrascht, das ist alles.“, sagte er schließlich leise, worauf wir uns wieder eine Weile lang nur starrten. Dann senkte ich den Blick wieder.

„Ich habe deinen Rat befolgt und habe versucht herauszufinden wie stark ich wirklich bin. Nun habe ich die Antwort.“, erklärte ich leise, worauf Zayn sich herhob und begann auf und ab zu laufen. Sein Blick verriet wie nachdenklich er gerade war und seine Miene war undurchdringlich.

„Ich wusste das du stark bist, Nyria. Aber das du so mächtig sein würdest, habe ich nicht erwartet. Du kannst sogar mich beeinflussen und das gefällt mir ganz und gar nicht.“, erwiderte er. Sein Tonfall verriet wie angespannt er in Wirklichkeit war. Irgendwie schockten mich seine Worte. Wieso gefiel ihm das nicht?

 

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus, weshalb ich einen Blick auf Nyria warf. Ihre Pupillen waren geweitet, und zwar so sehr, dass es mir Sorgen bereitete.

„Alles okay?“, fragte ich vorsichtshalber also nach.

„Was soll das heißen, das gefällt dir ganz und gar nicht?“, hauchte sie. Ich begriff auf der Stelle.

„Nyria, so war das nicht gemeint! Wenn jemand davon erfährt wird man sich deine Kräfte zu eigen machen wollen. Und wenn Nereus uns in diesem Moment beobachtet ist dein Tod sicher! Sprich nicht darüber, hörst du?“

Unbeabsichtigt war ich lauter geworden, bis die junge Frau schließlich unter meinen gebrüllten Worten zusammenzuckte. Nun mit einem schlechten Gewissen gestraft ließ ich mich wieder neben ihr nieder. Das sie mich mal eben so manipulieren konnte gefiel mir dennoch nicht. Und das hatte rein gar nichts mit unseren Feinden zutun! Doch inzwischen vertraute ich ihr. Ich wusste, dass sie diese Kräfte niemals gegen mich einsetzen würde. Sie wollte es mir ja eben nur beweisen. Ihren Worten alleine hätte ich wohl keinen Glauben geschenkt. Das dies falsch war wusste ich, doch es war nun mal so.

„Glaubst du sie haben es schon erfahren?“, hauchte Nyria und deutete mit dem Kopf nach oben.

„Keine Ahnung.“, erwiderte ich tonlos. „Ich hoffe nicht, ansonsten haben wir ein Problem.“

Erneut weiteten sich ihre Pupillen. Leider konnte ich ihr die Angst nicht nehmen.

„Da du ja nun weißt mit welchen Fähigkeiten du gesegnet bist, können wir diese nun auch trainieren.“, schlug ich dann eine andere Richtung ein. Sie nickte und schloss die Augen.

„Gerne. Aber bitte nicht mehr heute. Mein Kopf ist voll, Konzentration können wir beide also vergessen.“, war ihre kraftlose Antwort. Mit einem Kuss auf die Stirn rückte ich von ihr weg.

„Ruh dich aus, Kleines. Das hast du dir verdient.“

Mit noch immer geschlossenen Augen seufzte sie. Scheinbar war sie schon dabei einzuschlafen.

 

16

 

Ty beobachtete, wie sein „Meister“ leise fluchte. Der Erzengel saß mal wieder vor einem flammendem Bild in der Luft und beobachtete den Gefallenen und die Nephilim.

„Zum Teufel, ich verstehe kein Wort von dem was die beiden sagen.“, knurrte der mächtige Mann.

Das er fluchte kam so gut wie nie vor. Sollte Ty sich etwa Sorgen machen? Dessen Augen verengten sich. Irgendwie gefiel ihm das nicht. Was wohl sein wahrer Meister dazu sagen würde? Dennoch interessierte er sich auch dafür, was die beiden wohl miteinander besprechen mochten. Sie würden sicher nicht umsonst im Flüsterton miteinander sprechen! Ty trat näher an das Bild in der Luft heran. Auch er verstand kein Wort von dem, worüber die beiden sprachen. Vielleicht war es ja sogar besser so? Andererseits würde er heute noch Bericht erstatten müssen, da wären diese Informationen eigentlich ganz nützlich gewesen. So sehr er sich auch wünschte etwas verstehen zu können, es würde nur Probleme geben, würde Nereus diese Informationen ebenfalls in die Hände bekommen. Auf Tys Stirn bildeten sich Falten. Sowohl Zayn als auch Nyria sah besorgt aus, irgendetwas schien also passiert zu sein. War die Frage, was? Gab es vielleicht noch einen anderen Weg das herauszufinden? Er würde mit seinem Herrn sprechen müssen. Zuerst galt es allerdings hier zu verschwinden, und zwar so, dass Nereus es nicht bemerken würde. Nach einigen Minuten schlich er sich leise aus Nereus Schlafgemach. Er ging durch den langen Flur, in dem er nach wenigen Augenblicken auf Fare traf. Beide blieben stehen und tauschten einen langen Blick aus.

„Du bist nicht bei Nereus?“, fragte Fare leise und sah an ihm vorbei, in die Richtung aus die er gerade gekommen war. Ty schüttelte schwach den Kopf.

„Nein. Ich habe einiges zu erledigen. Sag mal...“, erwiderte er und verstummte dann.

Die Frau neigte fragend und interessiert den Kopf. Sie hatte schon vor langem herausgefunden das er noch einen anderen Meister hatte, wer dies jedoch war wusste sie nicht. Aber völlig egal wer das auch war, bisher hatte es keine Probleme gegeben. Sie würde dieses kleine Geheimnis für sich behalten, alle anderen würden Ty nur töten wollen. Sie selbst jedoch war viel zu gutmütig dafür.

„Du willst Nyria retten, nicht wahr?“, murmelte Ty leise und vergewisserte sich mit sorgsamen Blicken davon, dass niemand in der Nähe war. Fare zeigte im ersten Moment keine Reaktion, nickte aber dann und ließ ein leises „Ja“ hören.

„Warum fragst du?“, wollte sie dann wissen.

Auch Ty schwieg wieder, zog die Frau aber dann ein Stück beiseite und sah sich noch einmal schnell um. Noch immer war niemand in der Nähe.

„Weil ich es auch will. Oder besser gesagt, weil es mein Auftrag ist. Du hinderst mich nicht daran, hier ein paar Informationen zu sammeln?“

Eindringlich sah der große Mann die kleine Frau an. Diese zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß das du für jemand anderen arbeitest, Ty. Keine Sorge, dein kleines Geheimnis ist bei mir sicher. Und solange niemand das Himmelsreich zerstört, nachdem du irgendwelche Infos aufgeschnappt hast, ist auch alles in Ordnung. Meinetwegen höre dich ruhig um und lausche so viel du willst. Aber wehe es kommt jemand zu schaden!“

Ty nickte und zeigte ein Lächeln, welches seine Zähne entblößte.

„Sei unbesorgt, es wird niemand zu Schaden kommen. Du weißt nicht zufällig wo ich einen Gegenstand von Ezechiel herbekomme?“

Augenblicklich weiteten sich die Pupillen des Erzengels.

„Ein Gegenstand Ezechiels? Was hast du damit vor?“, zischte die Frau.

Wieder sah der Mann sich um.

„Es muss einen Weg geben Ezechiel unschädlich zu machen, ehe er an Nyria herankommt. Mein Meister glaubt, ein Gegenstand der mal in seinem Besitz war könnte helfen.“, erklärte er schnell. Näher dürfte er aber nicht darauf eingehen, man würde ihm nur den Kopf abreißen.

Einen Augenblick lang überlegte Fare.

„Ezechiel war seit Jahrtausenden nicht mehr hier, Ty. Du könntest im Archiv nachschauen aber ich bezweifle, dass sich dort etwas finden lässt. Sollte mir etwas einfallen sage ich dir sofort Bescheid. Und nun geh, wir haben beide zu tun.“

Ty nickte und verabschiedete sich somit von der Frau, die nun den Flur hinunter eilte. Das Lächeln auf seinen Lippen verschwand. Er glaubte ihr. Sie würde niemandem etwas verraten, so viel war sicher. Dennoch hoffte er, niemand würde es herausfinden. Das gäbe nur noch mehr Schwierigkeiten...

 

Er war gegangen. Wohin wusste er nicht, ebenso wenig wie viel Zeit ihm von nun an blieb. Er sah sich um. Schottland. Ein wunderschönes Land, wie er zugeben musste. Sein Blick glitt über die verfallene Burg. Warum sich die beiden ausgerechnet hier eingenistet hatten wusste er nicht, doch es würde sicher einen guten Grund haben. Der Bann durch den die Burg geschützt war gab einen kleinen Hinweis. Wahrscheinlich sollte er sie vor den Erzengeln beschützen. Aber da er selbst nicht mehr dazugehörte hätte er keine Probleme, sich in ihre Unterkunft einzuschleusen. Er schüttelte den Kopf um alle unnötigen Gedanken zu vertreiben und ging in den Laufschritt über. Er steuerte direkt auf die Tür zu. Er hatte recht. Die Barriere konnte er ohne Probleme überwinden...

 

Zayn war von Lucifer gerufen worden, musste mich also zurücklassen. Doch es war mir inzwischen egal geworden, ich war hier schließlich in Sicherheit. Hoffte ich zumindest. Ich war dabei mir etwas zu essen zu machen, als ich plötzlich und unwillkürlich erschauderte. Was war das für ein Gefühl? Ich hielt kurz inne, zuckte dann aber mit den Schultern und widmete mich wieder meinem Essen. Vielleicht war ich einfach nur erschöpft, trotz des Schlafes? Nach zehn Minuten war ich fertig. Ich kramte einen Teller hervor und füllte mein Essen darauf, als sich plötzlich ein eisiges Gefühl in meinen Knochen bemerkbar machte. Befand sich jemand hinter mir? Ohne das ich es bemerkt hatte? Dieses widerliche Gefühl verschwand nicht, weshalb ich den Teller abstellte und mich langsam umdrehte. Mich traf der Schlag!

 

Mit ausdruckslosem Gesicht musterte sie mich. Respekt, egal wie überrascht und verängstigt sie sein mochte, sie blinzelte nicht einmal. In echt wirkten ihre Augen noch unglaublicher! Ich fragte mich was sie nun wohl dachte, doch leider war es mir nicht möglich ihre Gedanken zu lesen. Meine Mundwinkel zuckten.

„Hallo, Nyria.“, begrüßte ich sie entspannt.

Ich hatte es mir auf dem Stuhl mitten in der Küche bequem gemacht und lehnte mich nun zurück. Ihr Blick glitt über meinen gesamten Körper. Meine Haare waren ebenfalls so schwarz wie ihre und meine Augen waren ebenfalls grün, allerdings um mehrere Nuancen dunkler und kälter. Ob ihr diese Tatsache wohl einen Anlass gab uns miteinander in Verbindung zu bringen? Sie neigte den Kopf, misstrauisch, und erwiderte nichts. Nichts an ihr ließ darauf schließen was sie nun dachte. Ihre Körperhaltung war entspannt, keiner ihrer Muskeln angespannt, doch in diesem Moment hätte sie selbstbewusster nicht wirken können. Vielleicht waren meine Überlegungen in die falsche Richtung gegangen und sie war doch nicht so sensibel wie ich gedacht hatte. Nun zog sie die schmalen Augenbrauen in die Höhe. Es schien, als könnte sie mich mit ihren Blicken durchbohren und für einen kurzen Moment verspürte ich tatsächlich etwas wie Unwohlsein. Sie schien nicht zu wissen wer ich war. Das war gut! So könnte ich vorher erst noch meinen Spaß haben.

„Kein Sorge, ich bin nicht dein Feind. Könntest du mir also einen Gefallen tun?“

Mein Plauderton schien sie in keinsterweise zu verwirren oder zu überraschen.

„Kommt ganz darauf an wie dieser lautet.“, erwiderte sie ausdruckslos und lehnte sich an die Theke, an der sie sich eben noch etwas zu Essen gemacht hatte. Offensichtlich hatte sie das aber schon ganz vergessen. Ihre Pupillen verengten sich. Ihre melodische und für eine Frau etwas tiefere Stimme ließ mich erschaudern. Zayn hatte sicher etwas für sie übrig...

„Verrate niemandem, dass ich hier war. Versprichst du mir das?“

Ihre Augen verengten sich zwar, doch ihre Mundwinkel zuckten ein wenig, was sie vergebens zu verbergen versuchte.

„Versprechen kann ich nichts. Aber ich werde sehen, was sich tun lässt.“, sagte sie etwas leiser und verschränkte die Arme.

„So sehr mich dein Name auch interessieren würde, verrate mir lieber erst einmal was du hier willst. Du bist kein Engel.“, fuhr sie ohne Umschweife fort.

Das überraschte mich. Sie fragte nicht nach meinem Namen? Na gut, das ersparte es mir eine Ausrede zu erfinden warum ich ihr den nicht nennen könnte.

„Sowohl himmlische als auch dämonische Geschöpfe zerreißen sich schon den Mund über dich, da dachte ich es lohnt sich mal zu schauen, was an diesen ganzen Gerüchten dran ist.“, antwortete ich schulterzuckend und beobachtete ihre Reaktion, die ernüchternd ausfiel. Sie zeigte keine Reaktion. Ich war weit mehr als nur beeindruckt. Sie war eine wahre Meisterin darin ihre Gefühle zu verbergen! Blieb die Frage inwiefern sich das auf ihre Fähigkeiten auswirkte.

„Verstehe. Und woher wusstest du, dass ich hier bin? In Schottland? Auf einer verfallenen Burg?“

Misstrauen bestimmte den Unterton in ihrer Stimme.

„Zufall.“, erwiderte ich lächelnd.

 

Das gefiel mir nicht. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Hier saß ein fremder Mann mitten in der Küche auf einem Stuhl der behauptete, mich durch reinen Zufall gefunden zu haben? Wohl kaum! Wer war das überhaupt? Ich würde später nach seinem Namen fragen, nun war erst einmal herauszufinden, was dieser Typ von mir wollte. Er war ziemlich muskulös und seine Haare waren genauso dunkel wie die meine. Auch seine Augen grün, allerdings eine vielzahl an Nuancen dunkler als meine. Seine kantigen Gesichtszüge verliehen ihm etwas strenges, dabei wirkte er mit seiner entspannten Sitzhaltung recht locker. Doch dieses unheilvolle Lächeln, welches die ganze Zeit um seine Mundwinkel herumspielte war mir nicht entgangen. Ebenso wenig wie dieses mysteriöse Funkeln in seinen Augen.

„Nun hast du mich gefunden.“, stellte ich beiläufig fest und machte eine vage Geste mit der Hand.

„Allerdings. Und ich bin beeindruckt. Ich hatte mit einer...normalen Frau gerechnet.“, kicherte er und musterte mich. Ich zog diesmal nur eine Braue in die Höhe.

„Normal? Was darf ich mir darunter vorstellen?“

Sein leises Lachen passte mir nicht, genauso wenig wie dieser stechende Blick.

„Du bist ruhig und beherrscht. Es gobt nichts was im Moment auf deine Gefühlslage schließen lassen würde. Du scheinst sehr schlau und bedacht zu sein. Eine normale Frau hätte nun wohl Angst und Scheu gezeigt aber du nicht. Das ist alles andere als normal. Genauso unglaublich wie deine Augenfarbe.“

Bei seinen Worten juckte es mich in den Fingern meine neuen Kräfte auszutesten, doch ich hielt mich zurück. Ich hatte schließlich keine Ahnung wer dieser Typ war, geschweige denn wie stark oder mächtig er war.

„Sollte ich das als Kompliment betrachten?“, murmelte ich.

„Und was hast du nun vor?“, fragte ich dann lauter und studierte wieder aufmerksam sein Gesicht. Erneut zuckte er mit den Schultern.

„Vielleicht ein bisschen plaudern?“, schlug er vor und erhob sich. In wenigen Schritten war er bei mir wodurch ich feststellte, dass er ziemlich groß war.

„Ich wüsste nicht worüber.“, sagte ich und legte den Kopf in den Nacken, um ihn anschauen zu können. Sein Blick verfinsterte sich als er plötzlich und überraschend grob mein Kinn packte.

„Vielleicht über dich? Über deine Fähigkeiten? Oder über deine Familie?“

Ich schwieg und auf seinen Lippen zeigte sich ein spitzbübisches Lächeln. Woher kam auf einmal dieses komische Gefühl? Wusste er etwa etwas über meinen Stammbaum? Und das Blut, das in meinen Adern floss?

„Ich kann dir bei der Sache mit Ezechiel helfen. Je nachdem was du für Fähigkeiten hast, kann ich dir einiges beibringen.“, sprach er leise und sah mich eindringlich an.

„Wer bist du?“, hauchte ich und sah beinahe schon ehrfürchtig zu ihm auf.

„Ein Freund!“, flüsterte er mir ins Ohr und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Angewidert stieß ich den Fremden weg.

„Fass mich nicht an!“, fauchte ich. „Glaubst du im Ernst, ich würde dir vertrauen? Du hältst mich wohl für bescheuert!“

Ein leises Lachen ertönte. Es stammte von dem Mann vor mir.

„Ganz und gar nicht, Liebes! Welch ein Temperament. Wer hätte gedacht, dass du so aufbrausend sein kannst?“

Er umrundete mich und betrachtete mich dabei ganz genau. Verdammt, fühlte sich das schrecklich an!

„Hast du eine Ahnung, wem du gerade gegenüberstehst? Wer ich bin, liebe Nachfahrin?“

 

17

 

Lucifer blickte auf die beiden Männer herab, die nun vor seinem Thron standen.

„Und? Wie sieht's aus?“

Sein verlangender Unterton verriet, wie angespannt der Höllenfürst im Moment war, weshalb beide sofort zur Sache kamen. Zayn zuerst.

„Meine Jagd war erfolgreich. Alle fünf sind tot.“, verkündete er tonlos. Zayn war unruhig. Er wollte so schnell wie möglich zurück zu Nyria, denn ein ungutes Gefühl hatte ihn auf seiner Jagd überkommen.

„Du warst gerade mal eine Stunde weg.“, murmelte Lucifer überrascht und zog die Brauen hoch.

„Sehr gut. Du kannst dann gehen.“

Zayn nickte nur, dann war er verschwunden. Des Teufels Blick richtete sich auf Ty.

„Und?“, wollte er wissen. Der Jüngling verneigte sich leicht.

„Leider habe ich nicht all zu viel erfahren. Jedoch gibt es gute Nachrichten.“

Gespannt und überrascht hoben sich Lucifers Brauen wieder.

„Ich höre.“

Unsicher trat Ty von einen Fuß auf den anderen.

„Fare hat herausgefunden, dass ich in Wirklichkeit für jemand anderen arbeite.“, murmelte er leise. Brüllend sprang der Teufel auf.

„Und was daran ist bitte gut?“, brüllte er. Ty hob die Hände.

„So wartet doch einen Moment! Fare und ich haben ein Gespräch geführt.“

Nur langsam ließ Lucifer sch wieder auf seinem Thron nieder.

„Und?“

Der Jüngling verneigte sich erneut.

„Fare wird es niemandem erzählen. Solange niemand aus dem Himmelsreich zu Schaden kommt, kann ich ebenfalls ungehindert Informationen sammeln.“

Lucifer neigte den Kopf.

„Sie hilft dir also sozusagen.“

Ty nickte.

„Ja, aber es kommt noch besser!“

„Noch besser?“

Nun wurde Lucifer neugierig, dies merkte auch Ty, weswegen er ungehindert fortfuhr. „Ich habe ihr gesagt, dass ich einen Gegenstand von Ezechiel benötige. Sie kontaktiert mich, sollte sie herausfinden wo sich solch ein Gegenstand befindet.“

Auf Lucifers Zügen erschien ein zufriedenes Lächeln.

„Gute Arbeit, Ty. Du kannst dann gehen.“

Der Mann nickte und verschwand, so wie Zayn eben auch. Lucifer blieb im leeren Saal zurück und rieb sich nachdenklich das Kinn. Auf Fare konnte man sich verlassen, so viel wusste auch er. Blieb zu hoffen, dass Nereus nicht Wind von der Sache bekam!

 

„Nyria?“

Stille. Das ungute Gefühl welches ich hatte verstärkte sich, weshalb ich eilig einen Raum nach dem anderen absuchte. Alle hatte ich abgesucht, bis auf die Küche. Eilig stürzte ich die Treppe hinunter.

„Nyria!“, rief ich erneut.

In der Küche angekommen sah ich noch eine Gestalt verschwinden, dann drehte sich Nyria panisch zu mir um.

„Zayn!“, hauchte sie und stürzte auf mich zu. Ich zog sie in meine Arme.

„Wer war das? Was ist passiert?“, sagte ich leise. Tränen glitzerten in ihren Augen und ihre Wangen waren gerötet. Was war hier bloß geschehen?

„Er war hier!“, hauchte sie und sah mit geweiteten Augen zu mir auf.

„Wer? Nereus?“, erwiderte ich unruhig. Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, Ezechiel!“, flüsterte sie.

Ein Teil meiner Welt brach gerade zusammen. Wenn Ezechiel hier gewesen war, dann war Nyria erneut in höchster Gefahr.

„Warum hast du nicht sofort nach mir oder Fare gerufen, verdammt?“, brüllte ich, worauf sie zusammenzuckte und einen Schritt zurücktrat.

„Weil er sich nicht sofort zu erkennen gegeben hat. Er war auf einmal hier und hat sich als Freund ausgegeben. Er hat sich erst kurz vor deiner Ankunft zu erkennen gegeben.“

Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar.

„Hat er dir etwas angetan?“, murmelte ich und musterte sie besorgt. Sie schien zwar nicht verletzt zu sein, doch das musste nichts bedeuten. Sie schüttelte irritiert den Kopf.

„N-Nein, es geht mir gut, keine Sorge.“, hauchte sie und rang mit ihren Händen.

„Hat er irgendetwas ausschlaggebendes gesagt?“, bohrte ich weiter nach. Sie schwieg, scheinbar um nachzudenken, dann schüttelte sie den Kopf.

„Nein, wie gesagt er hat mir Hilfe angeboten, wegen meiner Fähigkeiten aber das war bevor er mir gesagt hat, wer er ist. Natürlich war ich misstrauisch, ich habe keine Sekunde lang geglaubt er sei ein Freund, so wie er behauptet hat.“

Ich seufzte leise und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel.

„Keine Sorge, Liebes. Du hast nichts falsch gemacht. Pack deine wichtigsten Sachen zusammen, wir verschwinden von hier.“

Mit großen Augen sah sie zu mir auf und es war, als stünden die Fragezeichen direkt in ihren Augen. Betrübt erwiderte ich ihren Blick.

„Ich weiß, du hast dich hier eingelebt aber wenn Ezechiel ungehinderten Zugang zu dieser Burg hat, bist du nicht mehr sicher. Wer weiß, ob er nicht einen größeren Schaden anrichten könnte als Nereus oder meine anderen Brüder. Wir werden hier definitiv verschwinden!“

Ich ergriff ihr Handgelenk und zog sie mit ins Schlafzimmer, wo wir gemeinsam begannen hektisch alles zusammenzupacken.

„Und wo willst du hin?“, sagte sie leise und warf mit einen unsicheren Blick zu.

Noch immer waren ihre Wangen gerötet.

„Es gäbe einen Ort an dem uns niemand finden würde. Allerdings weiß ich nicht, ob wir dort erwünscht sind. Ich werde das vorher abklären müssen. Du wartest hier, es dauert nicht lange.“, antwortete ich und ging wenige Schritte zurück. Sie nickte, dann ließ ich sie zurück. Ich hoffte, es würde schnell gehen...

 

Irritiert starrte ich auf die Stelle, an der eben noch Zayn gestanden hatte. Meine Augen waren trocken, dank der Tränen die ich vergossen hatte, und wahrscheinlich waren meine Wangen gerötet. Ich konnte es spüren. Mein Blick fiel auf die Sachen vor mir. Wo wollte er hin? Was hatte er geplant? Ich schüttelte den Kopf und vertrieb diese Gedanken. Was er auch vorhatte, ich vertraute ihm. Völlig egal wo er uns hinbrachte, hauptsache wir waren in Sicherheit. Dennoch blieb ein ungutes Gefühl. Was, wenn Ezechiel Zayns Anwesenheit spüren konnte und es ausnutzen würde, dass er just in diesem Moment nicht hier war? Wenn er ausgerechnet nun wieder zurückkommen würde uns sein Spiel zu Ende spielen würde? Erneut schüttelte ich mit dem Kopf. Nein, das war unwahrscheinlich! Wie Zayn mir befohlen hatte packte ich meine wichtigsten Sachen zusammen, wobei ich mir selbst befahl, den Kopf frei zu halten.

 

Lucifer starrte gelangweilt Löcher in die Luft, als plötzlich ein völlig außer Atem geratener Mann vor ihm auftauchte. Interessiert und doch mit einem distanzierten Ausdruck im Gesicht starrte er auf die Gestalt herab.

„Warum so außer Atem?“, fragte er locker, doch mit wachsamen Unterton in der Stimme.

„Es geht um Ezechiel.“, keuchte der Mann, worauf sich Lucifers Gesichtsausdruck verfinsterte. Hatte er sich endlich zu erkennen gegeben? Wenn ja wurde es nun schwierig.

„Ich bin ganz Ohr.“, murmelte der Teufel und neigte den Kopf.

„Er ist in der Burg aufgetaucht, bei Nyria.“

Ehe Lucifer es auch nur registriert hatte war er aufgesprungen.

„Jetzt gibt er sich endlich zu erkennen und dann gleich in der Burg, bei Nyria? Wie hat er sie überhaupt ausfindig machen können?“, brüllte er. Zayn zuckte mit den Schultern und fuhr sich hilflos mit der Hand durchs Haar.

„Sie ist dort nicht mehr in Sicherheit, Lucifer! Kann sie hierbleiben?“

Zayns unterwürfiger Tonfall überraschte den Teufel. Er musterte den Gefallenen. Sorge spiegelte sich in seinen Augen wider und ein Hauch von Angst prägte seinen Gesichtsausdruck. Das dieser Mann etwas für die Kleine empfand war offensichtlich, fragte sich bloß wie weit diese Gefühle reichten und wie tief sie gingen. Vielleicht sollte er sich daran machen, es herauszufinden? Lucifer stieß ein leises Seufzen aus, welches Zayns Ohren verborgen blieb.

„Eine andere Möglichkeit gibt es gar nicht. Bring sie her, ich werde ihr ein Zimmer einrichten lassen.“

Lucifer wurde Zeuge einer Handlung, die er in tausenden von Jahren nicht einmal bei Zayn gesehen hatte. Der Gefallene verbeugte sich.

„Habt Dank!“, flüsterte dieser und verschwand. Ein Lächeln umspielte Lucifers Mundwinkel.

„Das wird wohl interessanter als gedacht...“, murmelte er und wurde schlagartig ernst.

„May! Kev!“

Die Zwillinge erschienen unvermittelt vor ihm und verbeugten sich.

„Ihr habt gerufen?“, murmelten sie unisono und hoben den Blick. Lucifer nickte, nun mit ausdruckslosem Gesicht.

„Ja. Richtet ein Zimmer her. Wir bekommen Besuch.“

Kev, ein dürrer Bursche mit strengem Gesicht kniff die braunen Augen zusammen.

„Darf ich mir die Frage erlauben, um wen es sich dabei handelt?“

Wieder zuckten den Teufels Lippen.

„Es ist die Nachfahrin eines Erzengels.“

 

Ich konnte ein Knurren nicht unterdrücken. Natürlich hatte es mir nicht gepasst mich so dem Teufel zu zeigen, doch die Sorge um Nyria stllte alles andere in den Schatten. Dem Herrn sei es gedankt, dass Lucifer ein Zimmer zur Verfügung gestellt hatte. Keine Ahnung was ich sonst getan hätte. Mein eigenes Leben erschien mir wertlos im Gegensatz zu Nyrias. Was würde geschehen wenn ihre Kräfte in die falschen Hände gerieten? Ich traute mich nicht einmal daran zu denken. Als ich zurück ins Schlafzimmer kam lief das Mädchen auf und ab. Sie war scheinbar genauso aufgekratzt wie ich.

„Hast du alles?“, meldete ich mich zu Wort und riss sie somit aus den Gedanken. Sie zuckte zusammen.

„J-Ja, ich glaube schon.“, murmelte sie und sah mich unsicher an.

„Gut, dann komm.“, erwiderte ich und streckte die Hand nach ihr aus. Sie ergriff meine Hand lächelnd, doch das Lächeln wirkte gezwungen, weshalb ich es nicht erwiderte. Auch ihr Blick war von Sorge geprägt, wahrscheinlich genauso wie meiner.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie leise. Doch schon kurz nachdem sie diese Frage gestellt hatte fanden wir uns in der Unterwelt wieder. Sie deutete die Umgebung richtig und sah erneut zu mir auf.

„Du hast Lucifer erneut um Hilfe gebeten?“, hauchte sie besorgt. Ich nickte stumm, worauf sie die Brauen hochzog.

„Glaubst du wirklich, dass das eine gute Idee war?“, flüsterte sie.

„Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.“, erwiderte ich, dann standen wir auch schon dem Teufel gegenüber. Augenblicklich setzte Nyria wieder ihre ausdruckslose Maske auf. Lucifer beachtete mich gar nicht, sondern widmete seine Aufmerksamkeit direkt der Frau neben mir.

„Ezechiel hat sich dir also zu erkennen gegeben?“, durchbrach er nach einigen Augenblicken die Stille. Nyria nickte.

„Eine Erklärung wäre nett.“, brummte der mächtige Mann.

Nyria zögerte einen Augenblick, dann schüttelte sie irritiert den Kopf.

„Er...er hat am Anfang nicht den Eindruck gemacht, als sei er ein Feind. Er hat sich sogar als Freund ausgegeben. Ich bin lauter geworden, erst da hat er sich zu erkennen gegeben.“, erklärte sie kurz und tonlos. Lucifer und ich wechselten einen Blick miteinander.

„Sieht so aus, als wollte er dich für sich gewinnen.“, stellte der Teufel fest und wandte seinen Blick von mir ab.

„Ihr glaubt also es gefällt ihm nicht, dass sie ständig bei mir ist?“, mischte ich mich ein. Seine schwarzen Augen verengten sich.

„So genau kann ich das nicht sagen. Er sieht es wahrscheinlich mit geteilter Meinung. Vielleicht ahnt er das du ihre Fähigkeiten förderst und betrachtet dies als positiv. Oder er weiß welche Gefahr wirklich von dir ausgeht und wird versuchen, die Kleine gegen dich aufzuhetzen.“, sprach er geduldig. Ich warf dem Mädchen einen Blick zu. Sie hatte das Gesicht verzogen und meldete sich nun ebenfalls wieder zu Wort.

„Das würde ihm nicht gelingen.“, fauchte sie. Meinen Augen entging nicht, dass Lucifer versuchte ein Lächeln zu unterdrücken.

„Mir war klar, dass du das sagen würdest, Kleines. Aber glaub nicht, dass Ezechiel kein vernünftiger Gegner wäre!“

Nyria verdrehte die Augen und seufzte theatralisch.

„Du willst also das ich Angst vor ihm habe, genau wie vor dir?“, zischte sie. Ich biss die Zähne zusammen. Das Lucifer diese Respektlosigkeit noch durchgingen ließ überraschte mich, und zwar gewaltig. Ein Schnauben war vom Teufel zu hören.

„Ich seh schon, du behältst deine Angst für dich.“, murmelte er und wurde dann wieder lauter.

„Also gut, ich gestatte euch hierzubleiben. Allerdings wirst dud amit rechnen müssen mir mehrmals zu begegnen, du achtest also besser auf deine Wortwahl, Nyria!“

Die junge Frau schnaubte abfällig. Sie nahm diese Drohung zwar nicht ernst, doch ich wusste, dass sie diese Worte im Hinterkopf behalten würde. Meine Mundwinkel zuckten, doch ich senkte den Blick damit es niemand sah.

„May! Kev!“, brüllte Lucifer dann.

Erstaunlicherweise zuckte Nyria dieses mal nicht zusammen. Ich fragte mich woran das lag. Vielleicht hatte sie wirklich keinerlei Angst vor dem Teufel= Auch wenn sich dies nochmal als Fehler erweisen könnte... Nun konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Wie stolz ich auf sie war! Und welch Respekt ich vor ihr hatte! Ob sie das wohl wusste? Wahrscheinlich nichct. Zwei jung aussehende Dämonen tauchten im Saal auf. Nach ihrem Aussehen zu Urteile scheinbar Zwillinge, Ein Mädchen und ein Junge. Mir gesenktem Blick standen die beiden nun vor dem Teufel.

„Geleitet die junge Frau auf ihr Zimmer. Zayn, du bleibst bei mir.“, sprach Lucifer und sah uns der Reihe nach an. Nyria richtete ihren Blick auf mich und auf einmal war es, als würde eine zarte Hand mein Herz berühren. Meine Augen verengten sich. Versuchte sie gerade etwa, meine Gefühle zu „entziffern“? Nicht, dass ich es geschafft hätte das zu verhindern, doch ich ließ sie gewähren. Erstaunlicherweise konnte ich durch diese Verbindung auch ihre Gefühle erkennen. Diese Erkenntnis überkam mich schon nach Sekundenbruchteilen. Sie war völlig verunsichert, hatte Angst vor dem was noch kommen würde und wollte in diesem Augenblick auf gar keinen Fall alleine gelassen werden. Etwas in mir trübte sich, doch dann atemte ich tief durch und ließ noch ein Stück weit mehr erkennen, was ich gerade empfand. In Gedanken versicherte ich ihr das alles gut werden würde. Ich hatte tiefes Vertrauen in sie und würde sie auch in Zukunft nicht im Stich lassen. Und vielleicht ließen gerade diese Dinge sie in diesem Moment lächeln?

 

18

 

Ich hatte Angst empfunden als ich darüber nachdachte, was noch alles kommen würde, doch das tiefe Vertrauen das Zayn mir entgegenbrachte ließ mich diese Angst vergessen. All das was ich gerade in seinem Inneren gelesen hatte ließ mich sogar lächeln! Der leise Hauch seiner Gedanken erreichte mich. Zu gerne hätte er mich nun in seine Arme gezogen und getröstet, doch das würde warten müssen bis wir unter uns waren. Auf keinen Fall würde er Lucifer solch einen Anblick bieten! Ein kleiner Teil in mir war verletzt, doch der Rest konnte ihn verstehen. Zayn würde somit eine Angriffsfläche bieten und das wollte er auf keinen Fall riskieren. Mein Lächeln vershwand.

„Bis später.“, formte ich lautlos mit den Lippen und ließ mich von den Zwillingen aus dem Saal führen. Als ich mich von Zayn abwandte streifte ich mit den Fingern unauffällig seine Hand. Allein diese kleine Berührung spendete mir trost. Ich war nicht alleine und ich würde es auch niemals sein! Nach ein paar Minuten liefen das Mädchen, May, der Junge, Kev, und ich durch einen langen Flur. Bisher hatten wir alle drei kein Wort gesagt, doch nun durchbrach der Junge mit den rotblonden Haaren die Stille.

„Wie lautet dein Name, Frau?“, brummte er genervt.

„Nenn mich nicht Frau. Mein name ist Nyria.“, erwiderte ich kalt. Mir blieb nicht verborgen, dass die beiden vor mir erschauderten.

„Ein Name, so außergewöhnlich wie deine Augen.“, erwiderte der Junge nun nicht mehr ganz so genervt.

„Ich kann's nicht mehr hören. Aber danke.“, murmelte ich. Nun war ich genervt. Es gab noch nicht eine einzige Person, die meine Augenfarbe nicht unglaublich fand. Ich wusste schon gar nicht mehr wie ich auf die ganzen Kommentare reagieren sollte, wenn nicht genervt.

„Du bist die Nachfahrin eines Erzengels?“

Ich horchte auf. Diese Worte kamen von May. Ich hatte sie kaum verstanden, scheinbar hatte sie Angst. Oder sie war einfach nur schüchtern, wer weiß.

„Ja, leider.“, antwortete ich leise, dennoch freundlich. Für kurze Zeit würde ich Bruchstücke meiner Maske ablegen können. Hoffte ich zumindest. Das Mädchen sah erstaunt über ihre Schulter.

„Warum leider? Ich weiß zwar nicht welche Fähigkeiten dir gegönnt sind aber diese nicht zu besitzen wäre doch schade, oder nicht?“

Unglaube war in ihrer Stimme zu hören. Irgendwie verspürte ich Sympathie gegenüber dem Mädchen, weshalb ich leise seufzte.

„Ich habe meine Fähigkeiten erst vor kurzem entdeckt, kam also vorher auch ohne sie gut zurecht. Außerdem könnten sie mir zum Verhängnis werden. Nur wegen meienr Fähigkeiten ist man schließlich hinter mir her.“

Wieder erfielen wir alle in Schweigen.

„Es handelt sich bei deinem Vorfahren um Ezechiel, nicht wahr?“

Wieder war Kev derjenige, der die Stille durchbrochen hatte.

„Ziemlich scharfsinnig, Dämon. Woher wusstest du das?“, erwiderte ich grinsend. Er sah ebenfalls über seine Schulter.

„Nur Gefallene oder Verbannte kämen auf die Idee, ein Kind zu zeugen. Und außer Zayn würde das auf niemanden außer Ezechiel zutreffen.“

Seine Erklärung ließ mich leise lachen.

„Ich wette du bist ein Spitzel.“, bemerkte ich so leise, dass seine Schwester es nicht hören konnte. Augenblicklich blieb der Junge stehen.

„Du scheinst mir ebenfalls sehr aufmerksam zu sein.“, stellte er in unheilvollem Ton fest und ging weiter.

„Ach bitte, das war doch nichts.“, hauchte ich.

Von nun an, sagte keiner mehr etwas.

 

„Warum wolltest du, dass ich hierbleibe?“, brummte Zayn, der nur wenige Meter vom Teufel entfernt stand. Das amüsierte Funkeln in Lucifers Augen war dem Gefallenen nicht entgangen, weshalb er nur noch aufmerksamer wurde.

„Was läuft zwischen dir und der Kleinen?“, fragte er unvermittelt. Zayn spannte sich an. Das könnte gefährlich werden...

„Ich weiß nicht was du meinst.“, erwiderte der schwarzhaarige, worauf der Teufel ein gefährliches Grinsen zeigte.

„Halt mich nicht zum Narren, mein Lieber! Du glaubst wohl, ich sei blind.“, erwiderte er, fast schon ungeduldig.

„Da ist nichts.“, lag Zayn mit ungenierter Kälte. Natürlich war da etwas, doch es gab ganz andere, und vor allem wichtigere Sorgen.

„Dankbarkeit, vielleicht. Und inzwischen auch Vertrauen aber mehr nicht.“, fügte er hinzu. Lucifer neigte den Kopf und dachte einen Augenblick lang nach. Er hatte ihnen angesehen wie sehr sie sich gerade eine Umarmung gewünscht hatten, ganz egal wie sehr sie versucht hatten sich nichts anmerken zu lassen. Auch die kurze Berührung ihrer Hände war ihm nicht entgangen. Lucifer konnte nicht anders als zu lachen. Zu amüsant waren diese Anblicke gewesen.

„Ich weiß, dass du lügst. Aber nun gut. Wenn du nicht willst das jemand von eurer Verbindung zueinander erfährt, solltest du dich zusammenreißen. Ebenso wie Nyria. Und was Ezechiel betrifft: Ich versuche mich darum zu kümmern. Und du wirst weiterhin für mich morden.“

Zayn nickte nach diesen Worten.

„Du kannst dann gehen.“, sagte Lucifer.

Zayn zog sich zurück.

 

Mal wieder ließ sich ein Knurren nicht unterdrücken. Er hatte es also tatsächlich bemerkt? Das war alles andere als gut. Wer weiß, vielleicht hätten andere es ebenfalls sofort bemerkt? Nyria und ich würden noch vorsichtiger werden müssen. Mal sehen, wie sie das auffassen würde. Ich hatte keine Ahnung in welchem der vielen Zimmer sie untergebrocht wurde, doch indem ich mich auf unsere Verbindung konzentrierte konnte ich spüren, welchen Weg sie gegangen war. Ohne auch nur zu überlegen ging ich durch einen langen Gang, bis ich automatisch vor einer unscheinbaren Tür stehen blieb. Hier musste sie sein. Niemals hätte ich mich in meinem damaligen Leben auf mein Gefühl verlassen. Ich war mir nicht einmal sicher ob ich damals Gefühle besaß, doch nun war alles anders. Dadurch, dass Nyria Vertrauen in mich hatte, hatte ich auch Vertrauen in mich selbst. Ich hatte das Gefühl nun auch mit meiner Vergangenheit besser klarzukommen. Doch...ein Teil in mir war noch immer auf Rache aus! Ich atmete tief durch und verdrängte diesen Gednaken. Jetzt wollte ich mich nur noch auf diese Frau konzentrieren. Ich öffnete die Tür und begegnete dem Blick von eisgrünen Augen.

 

Als das Geräusch der heruntergedrückten Türklinke ertönte hob ich überrascht den Blick. Mein Gefühl sagte mir sofort, dass es sich dabei um Zayn handelte und ich wurde nicht enttäuscht. Es war in der Tat der Gefallene, der das Zimmer betrat. Ich wollte ihn begrüßen, doch aus meiner Kehle kam kein Laut. Der Blick mit dem er mich musterte, versengte mich innerlich. Was war das bloß, was so in seinen Augen funkelte? Ich erhob mich vom Bett, auf dem ich saß und ging ein paar Schritte auf ihn zu. Zayn schloss die Tür hinter sich, meines Erachtens nach ziemlich leise, und kam ebenfalls auf mich zu. Kaum bei mir angekommen umfasste er mit beiden Händen mein Gesicht und legte meinen Kopf in den Nacken. Statt mich in eine Umarmung zu ziehen gab er mir einen Kuss, so zart und vorsichtig das ich hätte glauben können, es wäre gar nicht geschehen.

„Wir müssen aufpassen, Nyria.“, hauchte er plötzlich und sah mir dabei eindringlich in die Augen. Ich zog fragend die Brauen hoch, worauf er seine Hände sinken ließ.

„Lucifer hat bemerkt, dass...zwischen uns eine Verbindung besteht. Wir sollten uns zurückhalten, zumindest hier, in seinem Revier.“

Ich wusste nicht was ich dazu sagen sollte, also schwieg ich. Was hätte ich auch groß dazu sagen sollen? Nein, das kann ich nicht? Das will ich nicht? Vielleicht wären wir ja in Schwierigkeiten gekommen, wenn zusätzlich noch jemand anderes davon erfahren hätte. Plötzlich stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen.

„Keine Sorge! Ich glaube, hier drinnen sind wir unbeobachtet.“, hauchte er an meinen Lippen und küsste mich erneut. Hatte er etwa meine Gedanken gelesen? Na, war ja auch egal...ich vergrub meine Hände in seinem Haar und rieb mich an ihm, worauf Zayn leise stöhnte. Eigentlich war es schade, dass wir uns so nicht vor anderen zeigen konnten. Zu gerne hätte ich allen klar gemacht, wem dieser Mann gehörte! Dabei wusste ich nicht einmal, was ich ihm bedeutete. Scheinbar hatte Zayn bemerkt das ich mit den Gedanken abschweifte, denn er sah mich erneut eindringlich an.

„Was ist los?“, hakte er nach.

„Was geschieht nun?“, fragte ich leise und verschwieg, in welche Richtung meine Gedanken eigentlich gegangen waren. Zayn seufzte.

„Lucifer will versuchen Ezechiel aufzuhalten, was auch immer der vorhat. Solange werden wir wohl hierbleiben müssen.“, erklärte er betrübt. Er rückte von mir ab und ging zum Bett, dann, nachdem er sich darauf ausgebreitet hatte, winkte er mich zu sich. Ich zögerte nicht und schmiss mich auf das Bett, direkt auf den Gefallenen drauf. Er keuchte, lachte kurz und legte dann den Arm um micht, worauf er mich nachdenklich ansah.

„Was denkst du über Lucifers Worte? Das Ezechiel dich gegen mich aufhetzen will...“, murmelte er. Ich sah zu ihm auf.

„Ezechiel hat mich wie eine Freundin behandelt. Lucifer könnte also recht haben, er wollte nicht das ich ihn als Feind einstufe. Womöglich hat der Teufel recht und Ezechiel will uns auseinander halten.“, erwiderte ich nach kurzen Überlegungen. Er schwieg und auch ich wusste nichts mehr zu sagen.

 

„Was hältst du von ihr?“

Mit diesen Worten wandte Kev sich an seine Schwester. May zeigte ein Lächeln, was eher selten vorkam.

„Ich mag sie. Sie scheint kein törichtes Mädchen zu sein, sondern sehr bedacht und klug. Warum fragst du?“

Kev schwieg im ersten Augenblick. Er gab so gut wie nie zu erkennen was er gerade dachte, doch da er gerade mit seiner Schwester sprach sah er darüber hinweg.

„Ich war nur neugierig.“, antwortete er und richtete seinen Blick wieder auf das Buch, welches er in der Hand hielt.

„Zayn scheint sich verändert zu haben. Hast du das auch bemerkt?“, fragte May nun und rückte näher an ihren Bruder heran.

„Das war unübersehbar.“, murmelte dieser und hob nun wieder den Blick.

„Scheinbar hat es etwas mit dem Mädchen zutun.“, stellte er fest und legte das Buch zur Seite. Er musste sich eingestehen, dass er einigermaßen interessiert war. May lächelte liebevoll. Sie bemerkte das Interesse ihres Zwillingsbruders sofort.

„Die beiden scheinen sich sehr nahe zu stehen, auch wenn sie versuchen sich das nicht anmerken zu lassen. Irgendwie süß.“

Kev schnaubte.

„Ein ehemaliger Ezengel und eine Nephilim. Das könnte gefährlich werden, findest du nicht?“, sagte er leise. Sofort wurde May ernst. Sie nickte.

„Du hast recht. Es würde mich nicht wundern, wenn die beiden zusammen so mächtig wären und Lucifer einen erheblichen Schaden zufügen könnten.“, hauchte sie. Kev hob zischend die Hand.

„Still! Daran darfst du nicht einmal denken, hast du gehört?“

Seine Schwester nickte erneut.

„May! Kev!“

Augenblicklich rutschte den beiden das Herz, was eigentlich nicht vorhanden war, in die Hose. Der Teufel rief nach ihnen und sie befürchteten beide, er hätte sie gehört. Ohne zu zögern tauchten die beiden im Saal auf, wo Lucifer auf seinem Thron saß.

„Ihr habt gerufen?“, fragte Kev und verbeugte sich zusammen mit seiner Schwester.

Der Herrscher nickte mit ausdruckslosem Gesicht.

„Ja. Ich will, dass ihr auf Vaher und das Mädchen aufpasst. Ich weiß nicht, ob Ezechiel in der Lage ist, hier einzudringen. Sollte euch etwas auffallen kommt ihr sofort zu mir, habt ihr verstanden?“

Die Geschwister stellten fest, dass ein besorgter Ausdruck über sein Gesicht huschte, doch sie taten so als hätte sie dies nicht gesehen und verbeugten sich respektvoll.

„Wie Ihr wünscht.“, murmelten sie und verschwanden gleich darauf.

 

Nachdenklich rieb ich mir das Kinn. Wie zu erwarten waren sie aus der Burg geflohen. Allerdings hatte ich nun Probleme, sie erneut aufzuspüren. Die Kleine war misstrauischer als gedacht, doch nachdem was sie schon alles durchgemacht hatte wunderte mich das nicht. Ich wollte schon in ihr Leben treten bevor sie Zayn begegnet war, doch von einem Moment auf den anderen war er da gewesen. Verdammt, ich hätte vorsichtiger sein müssen! Ich schüttelte den Kopf. Es musste andere Möglichkeiten geben an das Mädchen heranzukommen, nur leider fiel mir nicht eine einzige ein. Hinzu kam, das irgendjemand hinter mir her war. Ich konnte nicht sagen um wen genau es sich dabei handelte, doch ich konnte es deutlich spüren. Ich hoffte bloß, ich würde keine Spuren hinterlassen...

 

19

 

Fare blickte auf den Horizont, als sie plötzlich eine vertraute Atmosphäre wahrnahm. Sie sah sich unauffällig um und entdeckte Ty, der mit geschlossenen Augen am Stamm eines Baumes lehnte. Fare näherte sich ihm, blieb aber auf Distanz, damit potenzielle Beobachter keinen Verdacht schöpften.

„Wie mir scheint, gibt es etwas Neues.“, sagte die Frau leise und sah Ty an. Dieser nickte.

„Ezechiel ist im Versteck von Zayn und Nyria aufgetaucht. Er hat sich zu erkennen gegeben, als Nyria alleine war.“, erwiderte er angespannt und ließ den Blick schweifen. Scheinbar war keiner in der Nähe. Fares Augen weiteten sich.

„Was? Ist sie verletzt?“

Ty schüttelte den Kopf.

„Nein, es geht ihr gut. Wie ich gehört habe hat er sich als Freund ausgegeben und wollte sie auf seine Seite ziehen.“

Fare ballte die Hände zu Fäusten.

„Es wundert mich, dass er nicht sein wahres Gesicht gezeigt hat. Aber wie dem auch sei, sorge dafür das Nereus nichts davon erfährt! Das würde nur Probleme geben.“

Ty nickte.

„Natürlich. Aber eine Frage habe ich noch.“

Der Erzengel neigte aufmerksam den Kopf.

„Glaubt Ihr, er hat Spuren hinterlassen? Die beiden sind in einer alten Burg untergekommen. Natürlich befinden sie sich nun woanders aber vielleicht finde ich ja dort einen Hinweis auf Euren Bruder?“ Fare dachte über die Worte des Mannes nach. Natürlich hatte Ezechiel Spuren hinterlassen, das tat jeder. Nur konnte nicht jeder diese Spuren sehen.

„Sicher.“, antwortete sie nun und zog ein kleines Säckchen aus der Tasche ihres Gewands.

„Hier, Federstaub. Er ist ziemlich kostbar aber für eine solch eine dringende Angelegenheit kann ich ihn ruhig entbehren...Streue einfach ein bisschen davon auf den Boden und sämtliche Spuren werden sichtbar.“

Mit diesen Worten drückte die Frau Ty das Säckchen in die Hand.

„Habt Dank!“, hauchte Ty leise und verneigte sich. Fare lächelte.

 

Amüsiert beobachtete ich, wie Zayn fluchend versuchte den Drang auf etwas einzuschlagen zu unterdrücken versuchte. Wir hatten trainiert, unter den neugierigen Blicken von May und Kev, und wieder einmal musste Zayn sich eingestehen, dass er gegen meine Fähigkeit jemanden zu kontrollieren keine Chance hatte. Genau deswegen war er gerade so am fluchen. Schon seit zwei Stunden befanden wir uns in dieser riesigen Halle, doch so anstrengend Zayns Trainignseinheiten auch waren, ich fühlte mich noch immer fit, sehr zu unser aller Erstaunen.

„An deiner Ausdauer gibt es nichts zu bemängeln.“, murmelte Kev, der zusammen mit May im Abseits stand und mich musterte.

„Ebenso wenig wie an ihren Fähigkeiten.“, erwiderte May mit einem Blick auf ihren Bruder. Ich musterte die beiden. Sie hatten den Auftrag auf uns aufzupassen, doch irgendwie fühlte ich mich somit wie ein Kind. Plötzlich wurde ich durch die Luft geworfen. Ich keuchte, als ich auf dem Boden aufprallte und gewaltsam niedergedrückt wurde. Meine Arme wurden über meinem Kopf wie von einem Schraubstock festgehalten und zwischen meine Beine drängte sich ein Knie. Somit war ich nicht mehr in der Lage mich zu verteidigen. Mit seinem vollen Gewicht drückte Zayn mich zu Boden. Nur wenige Millimeter über meinem, schwebte sein Gesicht.

„Lass dich in einem Kampf niemals ablenken, hast du verstanden?“, knurrte er und drückte noch ein wenig fester zu. Ich nickte atemlos.

„Was ich nun alles mit dir anstellen könnte...“, raunte er.

Sofort spürte ich, wie mir die Wärme ins Gesicht stieg. Verdammt, seine Mundwinkel zuckten schon. War klar, dass er solche eine Chance nicht ungenutzt lassen würde. Oh, zu gerne hätte ichi hn angefleht das zu tun, woran er gerade dachte, doch wir durften beide nicht vergessen, dass wir unter Beobachtung standen! Ich schluckte und öffnete die Schleusen zu meinem Bewusstsein. Er sollte ruhig wissen was er mit solch Worten in mir auslöste. Es dauerte nur wenige Sekunden, da hatte er mich losgelassen und war aufgesprungen. Nun hatte auch er einen roten Kopf.

„Also gut, ich glaube das reicht für heute...“, murmelte er und wandte sich von mir ab. Rasch erhob ich mich, dann legte ich ihm die Hand auf die Schulter.

„Gleich, wenn wir in unserem Zimmer sind, können wir gerne da weitermachen, wo wir jetzt aufgehört haben.“, flüsterte ich ihm verheißungsvoll ins Ohr. Dann entfernte ich mich von ihm.

 

Lucifer musterte Ty, der sich völlig ernst vor ihm verbeugte.

„Es gibt Neuigkeiten, mein Meister.“, sagte er laut. Auch der Teufel wude ernst.

„Sprich.“, befahl er.

„Ich vermutete Spuren in der Burg und bin mit diesem Verdacht zu Fare gegangen. Sie gab mir Federstaub, mit dem ich dann erneut nach Schottland bin. Mein Verdacht hat sich bestätigt. Die ganze Burg ist voller Fußspuren und Fingerabdrücken. Leider konnte keine DNA-Spuren finden, die als ein Gegenstand sines Besitztums betrachtet werden könnten.“

Lucifers schwarze Augen verengten sich.

„Verstehe. Wahrscheinlich war er mehrmals in der Burg, als Zayn nicht da war. Oder aber er hat nach ihrem Verschwinden nach möglichen Spuren gesucht.“

Lucifer brummte und schloss die Augen.

„Würde mich nicht wundern wenn sogar beides der Fall ist.“

Der Teufel schüttelte den Kopf und sah dann wieder Ty an.

„Fare hat dir also ihren Federstaub gegeben?“, fragte er aufmerksam.

Sein Untergebener nickte. Lucifer dachte nach. Wie der Name schon sagte bestand dieser Staub aus den Federn eines Engels. Für gewöhnlich wurden nur die Federn verwendet, die der Engel verlor, aus welchem Grund auch immer. Dementsprechend dauerte es also eine Ewigkeit, bis genug Federn zusammengekommen waren um ein kleines bisschen des Staubd herstellen zu können.

„Interessant.“, murmelte der König der Dämonen. „Sie ist also wirklich auf unserer Seite.“

Aus Angewohnheit rieb er sich das Kinn. Plötzlich trat Ty vor.

„Ich habe einige Fotos von der Burg und ihren Räumen gemacht, Meister. Möchtet Ihr sie sehen?“

Lucifer nickte, worauf der Dämon ihm einige Fotos reichte. Vier Räume waren abgelichtet worden. Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und die Eingangshalle. Auf allen der Fotos waren Fußabdrücke und Spuren von Händen zu erkennen, die Dank des Federstaubs golden aufleuchteten. Die ganze Burg schien voll von diesen Spuren zu sein. Lucifer seufzte und ließ die Fotos in seiner Hosentasche verschwinden. Vielleicht würde er sie später Vaher zeigen. Das gäbe ihm wahrscheinlich Grund, noch vorsichtiger zu werden...

„Danke, Ty. Du kannst dann gehen.“, murmelte der Teufel und war von einer Sekunde auf die andere alleine.

 

Ich schluckte. Noch immer konnte ich die Hitze spüren, die sich in meinem Gesicht ausgebreitet hatte. Ich hätte mich nun eigentlich fragen müssen warum sie mir das antat, doch genau genommen war ich selbst Schuld. Warum hatte ich mich auch auf sie geschmissen und ihr diese Worte zugeraunt? Eigentlich wollte ich ihr nur eine kleine Lektion erteilen, dafür das sie sich hatte ablenken lassen, dich sie hatte den Spieß umgedreht. Am Ende war mein Gesicht genauso rot gewesen, wie ihres auch. Eigentlich hätte ich ja darüber gelacht, wäre da nicht die Tatsache, dass wir von den Zwillingsdämonen nicht aus den Augen gelassen wuden. Doch im Grunde genommen waren die beiden völlig in Ordnung. Mir war aufgefallen, dass sie scheinbar verdammten Respekt vor Nyria hatten. Meine Mundwinkel zuckten. Na, wen wunderte es? Trotz diesem Respekts hatten die beiden Nyria immer neugierig gemustert. Sie schienen also keine Angst vor ihr gehabt zu haben. Mit Nyrias letzten Worten im Kopf machte ich mich zielstrebig auf den Weg zu unserem Zimmer. Auf diesem Weg kan ich an der großen Halle vorbei, in der Lucifer mit seltsamen und undeutbarem Blick auf seinem Thron saß. Aufmerksam näher ich mich ihm mit energischen Schritten. Ein komisches Gefühl überkam micht.

„Ihr sehr aus, als sei etwas passiert,“, stellte ich tonlos fest.

Lucifer würdigte mich keines Blickes, doch ich beobachtete wie er seine Hand in seine Hosentasche gleiten ließ und nur wenige Augenblicke später etwas aus ihr herauszog. Er reichte es mir und ich erkannte, dass es sich hierbei um Fotos handelte. Ich betrachtete sie ausgiebig.

„Das ist die Burg!“, murmelte ich und hob den Blick.

„Ihr glaubt, diese Spuren stammen von meinem Bruder?“, sagte ich leise, sodass es kein anderer mitbekam. Der Teufel nickte wortlos und mein Blick fiel wieder auf die Fotos. Hatte Fare etwa ihren Federstaub zur Verfügung gestellt? Wenn ja, danns chien sie uns wirklich helfen zu wollen! War ihr klar, welches Risiko sie damit einging? Sollten Nereus und die anderen das erfahren, hätte sie ein echtes Problem!

„Ich hoffe, das geht gut...“, murmelte ich aufgrund dieser Überlegungen und ballte die Hand zur Faust. Ich reichte die Fotos zurück.

„Ich hätte bemerken müssen, dass er da war.“, knurrte ich dann. Ich selbst hatte Nyria der Gefahr ausgesetzt, es würde dauern bis ich mir das verziehen hätte.

„Gib dir keine Schuld, Zayn.“, riss Lucifer mich plötzlich aus den Gedanken. Sein Tonfall war überraschend mild...Aufmerksam sah ich ihn an.

„Selbst ich kann nicht einschätzen, wie er als nächstes handelt. Du hast nicht damit gerechnet das er in Schottland auftaucht, dementsprechend hast du also auch nicht darauf geachtet. Nyria würde nicht zulassen das du dir darüber den Kopf zerbrichst, stimmt's?“, sagte er leise.

„Ja, wahrscheinlich.“, stimmte ich nicht sehr überzeugt zu. Wieder wurde ich aufmerksam.

„Ich bin nicht der einzige, der sich verändert hat wie mir auffällt. Was ist los mit Euch?“

Ich biss mir auf die Zunge denn ich ahnte schon, dass ich diese Frage bereuen würde. Zu meiner eigenen Verblüffung kam es anders als gedacht.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“, kam es monoton vom Teufel zurück. Ich hatte eigentlich mit einer brüllenden Schimpftirade gerechnet aber nun gut...Ich erwiderte nichts darauf und wandte mich wortlos ab. Nyrias Worte fielen mir wieder ein, weswegen ich mein Tempo erhöhte. Während ich den Saal verließ, spürte ich Lucifers stechenden Blick im Rücken.

 

Ich sah ihm nach. Er war noch immer so aufmerksam wie damals. Der Gefallene hatte recht, ich hatte mich verändert. Allerdings war dies noch gar nicht so lange her. Es war eigentlich nicht meine Art so ruhig und nachsichtig zu sein, doch irgendetwas trieb mich dazu. Vor nicht all zu langer Zeit hätte ich versucht, mir Nyria mitsamt ihren Kräften unter den Nagel zu reißen, doch heute war dem nicht so. Ich hätte ebenfalls versucht Zayn auszutricksen, um ihn wieder zu einem meiner Untergebenen zu amchen, doch auch das hatte ich nicht getan. Ja, ich war geradzu nett geworden! Mir war klar geworden, dass all das nichts gebracht hätte. Sowohl Nyria, als auch Zayn hätte rebelliert. In diesem Augenblick waren sie mir wohl nützlicher als sie es je sein könnten. Mir war ebenfalls klar geworden, dass ich so viel weiter kam! Nyria war unglaublich mächtig und zusammen mit dem Gefallenen wäre sie wohl in der lage, das Emperium der Erzengel zu stürzen. Ebenso wie mein Reich! Sie wäre ein gefährlicher Feind, das hatte ich erst vor kurzem verstanden. Doch die Kleine gefiel mir. Sie konnte sowohl kalt als auch liebevoll sein und so beängstigend diese Kombination auch war, ausgeglichener und interessanter konnte eine Frau nicht sein...

 

Ungeduldig wartete ich darauf, dass Zayn endlich das Zimmer betreten würde. Eine unangenehme und unerklärbare Leere hatte mich erfasst, nachdem ich ihn in der Halle zurückgelassen hatte. Der Blick in den Spiegel verriet, dass meine Wangen noch immer rot glühten. War dem Gefallenen klar, dass er Schuld daran war? Im Schneidersitz ließ ich mich auf dem Doppelbett nieder. Es wurde Zeit, dass ich mir klar darüber werden musste was ich nun eigentlich für diesen Mann empfand. Okay, es durfte inzwischen so einigen klar sein das ich Zayn begehrte. Auch mir. Aber wie sah es mit den Gefühlen aus? Ja, ich hätte ihm mein Leben anvertraut. Jederzeit! Und niemals würde ich es wagen ihn anzulügen! Nach allem was er für mich getan hatte, war er mir wirklich wichtig geworden. Wir hatten schon so viel zusammen erlebt, kein Wunder das nach all dem er die einzige Person war, der ich wirklich vertraute! Ich betrachtete meine Hände. Wie oft hatten wir uns schon geküsst...War es da nicht seltsam, dass wir uns nicht einmal gesagt hatten wie wichtig wir einander geworden waren? Mir war klar, dass die Beziehung zwischen uns kompliziert war, nicht nur wegen unserer Herkunft. Doch Ezechiel hatte sogar einen Sohn mit einer Mencshenfrau gezeugt, also warum sollten Zayn und ich nicht zusammen sein? Na gut, vielleicht sollten wir damit besser warten, bis wir die momentane Situation überlebt hatten. Die Chance, dass wir getötet wurden lag bei fünzig Prozent. Keine Ahnung, was ich davon halten sollte. Ich schüttelte den Kopf und vertrieb diese Gedankengänge. Nachdem ich die Augen geschlossen hatte kam mir der Abend in den Sinn, an dem ich Zayn zum ersten Mal gesehen hatte. Er war voller Blut gewesen und alles an ihm hatte gefährlich gewirkt. Doch trotz Allem hatte er mich interessiert. Ich konnte nicht anders als vor ihm in die Hocke zu gehen und ihn ausgiebig zu betrachten. Und dann hatte er die Augen aufgeschlagen. Vermutlich war es damals schon geschehen, als ich in seine bunten Augen gesehen hatte... Ich schlug die Augen auf und entdeckte Zayn, der mittlerweile lächelnd vor dem Bett stand....ich hatte mich in Zayn Vaher verliebt!

 

20

 

Der Blick mit dem sie mich ansah, ließ mich den Atem anhalten. Ihre Wangen waren noch mmer rot und ihre Pupillen erweitert. Vorsichtig warf ich einen Blick auf ihr Innerstes, doch sie ließ mich nichts erkennen. Es war, als hätte sie mich rausgeschmissen. Seltsam...versuchte sie etwa, etwas vor mir zu verheimlichen?

„Und? Sollen wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?“, fragte ich herausfordernd und zeigte ein Grinsen. Ich sah die Schluckbewegung an ihrer Kehle, doch sie erwiderte mein Grinsen mit einem verheißungsvollen Lächeln.

„Gerne! Aber dieses mal werde ich mich nicht so leicht unterkriegen lassen.“

Mit einem Augenzwinkern streckte sie die Hand nach mir aus. Ich ergriff sie und ließ mich aufs Bett ziehen. Wir rangen miteinander, lachten und ärgerten uns gegenseitig und es dauerte nicht lange, da lag ich auch schon nackt über ihr. Mit lüsternem Blick schnappte sie nach meiner Hand, die sie dann zwischen ihre Beine schob. Nun konnte ich ihre feuchte Hitze spüren, die mich nur noch weiter anspornte. Sie seufzte leise, doch ich versiegelte ihren Mund mit meinen Lippen. Von nun an wäre sie zahm!

 

Nereus betrachtete die Sterne. Er ballte die Hände zu Fäusten. Noch immer war er kein Stück weiter gekommen. Es gab keinen Anhaltspunkt was Ezechiel betraf. Und Zayn und Nyria konnte er auch nicht mehr ausfindig machen. Die Burg auf der sie zuletzt waren stand leer. Er hatte mehrmals versucht sie zu belauschen, doch wo auch immer sie sich nun befanden, sein Zauber hatte an diesem Ort keine Wirkung. Er ahnte schon wo genau die beiden sich aufzuhalten schienen, doch er wagte es nicht seinen Verdacht laut auszusprechen. Wenn sie sich mit ihm verbünden würden, hätten sämtliche Himmelsbewohner ein Problem! Ezechiel kam ihm wieder in den Sinn. Er war sicher noch immer auf Rache aus... Nereus kam eine Idee. Vielleicht könnte er dem einstigen Erzengel klarmachen, welch eine Bedrohung dieses Mädchen doch war? Gemeinsam würde es ihnen problemlos gelingen, dieses Kind aus der Welt zu schaffen. Doch Ezechiel davon zu überzeugen war so gut wie unmöglich! Natürlich wollte er die Kräfte seiner Nachfahrin, damit er es allen Erzengeln heimzahlen konnte. Auch Zayn. Und die Chancen standen nicht schlecht, dass er das Mädchen von seinen Plänen überzeugen würde. Nereus selbst war hinter ihr her, natürlich würde sie ihn bekämpfen wollen. Also was tun? Momentan hatte Nereus keine Antwort darauf...

 

Nachdenklich strich ich über Zayns Brust. Ich genoss das Gefühl seiner Muskeln und der weichen Haut, die sich darüber spannte unter meinen Fingern. Noch immer lag ich nackt an seine Brust geschmiegt. In der letzten Stunde hatte sich mein Verdacht bestätigt. Ich hatte mich in Zayn verliebt, dessen war ich mir nun bewusst. Ob ich es ihm sagen würde? Ja, sicher. Irgendwann. Ich betrachtete sein Gesicht, welches den Eindruck vermittelte er würde schlafen, doch sein Atem und sein Herzschlag verrieten, dass dem nicht so war. Mehrmals hatte ich es gewagt einen Blick in sein Innerstes zu werfen. Mit Verblüffung hatte ich festgestellt, dass ihm der Sex viel mehr bedeutet hatte als nur ein bisschen Spaß und Vergnügung! Leider hatte ich nicht erkennen können was genau er dabei empfunden hatte. Das es ihm gefallen hatte war unübersehbar gewesen! Das Zucken seiner Mundwinkel in diesem Moment bewies es. Zufrieden und glücklich über diesen Moment schmiegte ich mich an ihn. Keine Ahnung was in Zukunft geschehen würde, wenn dieser ganze Spuk vorbei war, doch genau genommen wollte ich es gar nicht wissen. Vielleicht hatten Zayn und ich da gar nichts mehr miteinander zutun? Ein trauriger Gedanke... Ich war schon dabei einzuschlafen als der Druck um meiner Taille sich verstärkte. Es handelte sich dabei um Zayns Arm.

„Nyria?“, murmelte er.

„Hm?“, war alles, was ich hervorbrachte.

„Warum hast du mich gerade so komisch angesehen?“

Oh Gott, was war das denn für eine Frage?

„Was meinst du?“, erwiderte ich schläfrig. Vielleicht würde er ja glauben, dass ich wirklich müde ar und die Sache dann auf sich beruhen lassen?

„Wie ich das Zimmer betreten habe waren deine Augen geschlossen. Erst als ich vor dem Bett stand hast du sie geöffnet. Da hast du mich so komisch angeschaut...“

Sein nachdenklicher Tonfall ließ mich erahnen, wie sehr er sich darüber den Kopf zerbrach.

„Ach, das meinst du.“, erwiderte ich gezwungen und schlug nun die Augen auf. Lächelnd sah ich Zayn an.

„Ich war nur mal wieder von deinem Anblick überwältigt.“

Ich bangte. Zayn schien einen Augenblick lang zu überlegen, dann lachte er leise.

„Verstehe, so ist das also.“

Innerlich stieß ich ein erleichtertes Seufzen aus. Er glaubte es? Na, dem Herrn sei Dank!

 

Nein, ich glaubte ihr nicht. Doch damit sie keinen Verdacht schöpfte, lachte ich leise. Ihr Blick vorhin hatte etwas anderes bedeutet, nur wusste ich nicht was. Und sie wollte es mir nicht sagen,. Allerdings schien dieser Blick nichts schlechtes bedeutet zu haben. Nein, gewiss nicht. Doch wenn sie es mir nicht sagen wollte, schien es ein wirklich heikler Grund zu sein... Ich spürte wie sich ihr zarter Leib ein Stückchen mehr entspannte. Meine Lippen verzogen sich zu einem wissenden Lächeln. Oh, die letzten Stunden haben mir weitaus mehr bedeutet als sie, oder vielleicht auch ein anderer glauben mochte! Das ch die Kleine neben mir begehrte war offensichtlich. Und das ich Gefühle für sie entwickelt hatte war mir ebenfalls klar gewesen, doch in den letzten Stunden war mir bewusst geworden, wie tief diese Gefühle wirklich gingen. Die Verbindung zwischen uns war tief und innig, vor allem vertraut. Die ganzen Küsse immer zärtlich und vorsichtig, der Sex wild und leidenschaftlich. Und das Gefühl in mir? Langsam aber sicher wurde es zur Liebe. Doch wollte ich die auch? Ich sah auf Nyria hinab, sie zu mir hinauf und als ich in ihre kristallklaren Augen sah wusste ich, dass ich genau das wollte! Liebe.

 

Beim Blick in seine Augen brachen alle Dämme. Keine Ahnung was mich dazu brachte das zu tun, doch ich öffnete alle Schleusen und breitete sämtliche Gefühle vor ihm aus, wie ein Buch welches ich aufschlug und ihm vor die Nase hielt. Ich musste keinen Blick in sein Innerstes werfen, mit seinem innigen und stürmischen Kuss signalisierte er mir, dass er all meine Gefühle erwiderte. Tränen traten mir in die Augen, wahrscheinlich des Glückes wegen, doch keinen von uns störte das. Behutsam, als sei ich eine Puppe aus Porzellan, umfasste Zayn mein Gesicht.

„Du gehörst mir, hast du verstanden? Kein anderer soll dich haben!“, knurrte er an meinen Lippen und zog mich noch dichter an sich.

„Niemals würde mich ein anderer bekommen!“, flüsterte ich und stieß einen Schrei aus, als er in mich eindrang.

„Zayn, ich werde mich noch einmal mit Ezechiel treffen.“, verkündete ich flüsternd. Zayn, der seine Hand mit meiner verschränkt hatte, zog diese augenblicklich weg.

„Erstens: Bist du verrückt? Und zweitens: Müssen wir das ausgerechnet jetzt besprechen?“

Nur wenig Reue zeigend erwiderte ich seinen Blick.

„Wir müssen herausfinden was er vorhat. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Außerdem wird er mir vorerst nichts antun, dessen bin ich mir sicher!“

Ich wusste natürlich, dass ihm das nicht gefiel, doch das Blitzen in seinen Augen verriet mir, dass auch er nur diese Lösung in Betracht zog. Dennoch protestierte er.

„Nyria, hör mir zu! Die ganze Burg war voller Spuren von Ezechiel! Wahrscheinlich ist er schon da herumspaziert, wie wir noch da waren. Womöglich hat er dich immer heimlich beobachtet, wenn ich gerade nicht da war.“

So sehr mich das auch schockte, Angst einjagen konnte er mir dennoch nicht. Ich ließ mich davon doch nicht ins Bockshorn jagen.

„Zayn, bitte!“

 

Laut miteinander diskutierend traten die beiden vor mich. Was die beiden mir wohl zu sagen hatten? Und worum mochte es bei ihrem Streit wohl gehen? Dies war das erste mal, dass ich die beiden so miteinander diskutieren sah. Nyria warf die Arme in die Luft und rief laut: „Das ist aber ganz allein meine Entscheidung!“

„Was ist deine Entscheidung?“, mischte ich mich nun endlich ein.

Sie wollte bereits antworten, doch Zayn kam ihr zuvor, in dem er laut knurrte und eine Hand in die Seite stemmte.

„Sie will Ezechiel noch einmal gegenüber treten um herauszufinden, was genau er plant.“, brummte er schlecht gelaunt. Ich zog die Brauen hoch. Nyria war keineswegs dumm, das war offensichtlich. Für die Tatsache, dass sie sich absichtlich in die Gefahr begeben wollte bekam sie meinen vollsten Respekt. Mit Ezechiel war nicht zu spaßen, das wusste selbst ich. Dennoch erklärte sich dieses Mädchen dazu bereit, ein hohes Risiko einzugehen!

„Du scheinst dir viel davon zu erhoffen.“, murmelte ich und musterte das Mädchen von oben bis unten. Ihre Haltung bewies wie selbstbewusst sie war und wie sehr sie von ihrer Idee überzeugt war. Ihr Gesicht ließ keine Gefühlsregung erkennen, lediglich Entschlossenheit war deutlich zu erkennen. Nyria trat einige Schritte vor.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht Ezechiels Absicht ist mich zu verletzen, Für's erste zumindest nicht. Demnach habe ich also gute Chancen herauszufinden, was er vorhat.“, war alles, was sie dazu sagte. Im ersten Moment schwieg ich, denn sie hatte womöglich Recht. Ezechiel würde ihr für's erste nicht schaden, so viel war sicher. Ich war mir auch sicher, dass auch Zayn dies wusste. Er schien vor etwas ganz anderem Angst zu haben.

„Ich wüsste nicht, was dagegen spricht.“, verkündete ich tonlos und wartete auf Vahers Reaktion.

„Das ist zu riskant! Was, wenn er viel zu schnell vorankommt und Nyria plötzlich doch verletzt?“, brüllte er ohne zu zögern und trat aufgebracht ebenfalls einen Schritt vor. Nachdenklich musterte ich ihn. Seine Sorge um diese Frau war wirklich herzzerreißend, doch er schien vergessen zu haben um wen genau es sich bei besagter Frau handelte. Nyria trat an Zayn heran und legte diesem für einen kurzen Moment die Hand auf die Schulter.

„Zayn, ich bitte dich! Ich bin keineswegs schwach und das weißt du. Uns bleibt keine andere Wahl wenn wir herausfinden wollen, was genau Ezechiel plant.“

Mehrere Sekunden lang starrten sich die beiden einfach nur an, dann seufzte Zayn. Er musste sich geschlagen geben, das sah er nun ein. Nun wandte das Mädchen sich wieder an mich.

„Ich werde noch einmal zur Burg gehen, vielleicht haben wir ja Glück und treffen ihn dort an.“, erklärte sie. Ich nickte, sagte aber nichts da Zayn wieder den Mund auftat.

„Du willst sie tatsächlich alleine dorthin lassen?“, knurrte er und sah mich an. Ich antwortete nicht, da Nyria dies übernahm.

„Wahrscheinlich ist Ezechiel in der Lage dich aufzuspüren, es wäre also unklug dich in meiner Nähe versteckt zu halten.“

Ein leises Knurren stieg in Vahers Kehle auf, doch erstaunlicherweise schwieg er. Eindringlich sah ich ihn an.

„Sie hat recht, Zayn. Er ist schließlich immer nur dort aufgetaucht, wenn du nicht da warst. Aber mach dir keine Sorgen, wir können mit ihr in Kontakt bleiben.“

Zayn neigte den Kopf, die Kleine schien allerdings nicht ganz so überrascht gewesen zu sein. Ich ließ meine Hand in die Tasche gleiten und zog ein kleines Taschenmesser heraus, welches ich Nyria zuwarf. Mit einer schnellen Handbewegung fing sie es auf. Zayn schien erkannt zu haben was ich vorhatte, weshalb er mich misstrauisch anstierte.

„Ein Blutspakt?“, murmelte er. Meine Mundwinkel zuckten, doch ich blieb ernst.

„Du hast recht, normalerweise dient der nur dazu, jemanden zu meinem Untergeben zu machen aber er hat auch eine andere Wirkung. Dieses Mal dient er lediglich dazu, per Gedanken mit Nyria in Kontakt zu bleiben.“, erklärte ich. Das Mädchen starrte das Taschenmesser als, als Zayn plötzlich ihr Handgelenk umfasste.

„Du solltest dieses Risiko nicht eingehen. Es könnte eine Täuschung sein.“, versuchte er möglichst leise zu sagen, doch ich hörte es. Ich hielt mich da heraus. Die Kleine musste diese Entscheidung selbst treffen. Natürlich hätte es eine Falle von mir sein können, eigentlich wäre es tatsächlich eine gewesen, doch ich war mir durchaus sicher, dass Nyria mich schon längst durchschaut hatte! Niemand hatte eben erwähnt wie genau dieser Pakt funktionierte, dennoch schnitt die junge Frau sich nun ohne zu zögern in die Handfläche. Nahezu geschockt beobachtete Zayn, wie sie mir das Messer zurückwarf und ich es ihr gleichtat. Ich erhob mich, ging auf sie zu und reichte ihr meine Hand, welche sie dann ohne zu zögern ergriff. Unser beider Blut vermischte sich miteinander, der Pakt war geschlossen.

 

21

 

Nachdenklich starrte ich auf meine Hand, welche nicht einmal eine Narbe aufwies. Nachdem Lucifer seine Hand zurückgezogen hatte, hatte sich der Schnitt in meiner Hand wie durch Zauberei geschlossen. Ich schlussfolgerte daraus, dass dies am Blut des Teufels liegen musste. Tja, nun konnte ich also in Gedanken mit ihm kommunizieren. So praktisch das Ganze auch war, irgendwie war es auch unheimlich. Das Zayn davon nicht begeistert gewesen war, war offensichtlich gewesen. Noch immer war er der Meinung, dass es ein Hinterhalt von Lucifer war. Doch ich wusste, dass dem nicht so war. Lucifer hatte uns bisher immer geholfen, ich war mir sicher das er uns nicht hinters Licht führen wollte. Der Teufel hatte immer ein mysteriöses Funkeln in den Augen wenn er Zayn und mich ansah, doch mein Gefühl sagte mir, dass das nichts Schlechtes war. Ich schüttelte den Kopf um sämtliche Gedankengänge zu vertreiben und blickte auf die Burg, die vor mir in den nachtschwarzen Himmel ragte. Ohne Zayn Bescheid zu geben war ich zu Lucifer gegangen um ihm zu sagen, dass ich mich auf den Weg machen würde. Mit einem Nicken hatte er mich dann hierher verfrachtet. Tja, hier war ich nun seit einer guten Stunde. Still war ich umher geschlichen in der Hoffnung, Ezechiel würde mich bemerken, doch bisher war nichts geschehen.

Nyria.

Die Stimme in meinem Kopf ließ mich aufhorchen. Es war der Teufel.

Was gibt’s?, erwiderte ich.

Zayn hat dein Veschwinden bemerkt., erklang seine Stimme erneut.

Ich blieb stehen. Oh je... Ob das gut ging?

Ich hoffe doch sehr, er bereitet dir keine Schwierigkeiten?

Mein leicht sarkastischer Tonfall ließ den Teufel in meinem Kopf schnauben.

Glaub mir, du willst gar nicht wissen war hier gerade los ist.

Seine Worte beunruhigten mich ein wenig, doch ich ließ mir bei meiner Antwort nichts anmerken.

Sag ihm, er soll sich zusammenreißen. Mir geht’s gut.

„Ezechiel!“, rief ich laut und beendete das Gespräch in meinem Kopf. Nach fünf Minuten und drei weiteren Malen die ich ihn beim Namen gerufen hatte, stand er vor mir. Erstaunt sah er auf mich herab.

„Ich gebe zu, damit habe ich nicht gerechnet.“, murmelte er. Ich zeigte ein hinterhältiges Lächeln.

„Das war mir klar.“

Ich musterte ihn. Er trug eine dunkel zerschlissene Jeans und ein schwarzes Hemd, welches er nicht zugeknöpft hatte und somit einen freien Blick auf seinen durchtrainierten Oberkörper gewährte. Attraktiv war er jedenfalls.

„Hab ich dich bei irgendetwas gestört?“, ruschte es mir heraus. Lachend winkte er mit der Hand ab.

„Keineswegs. Und nun genug der Plaudereien. Warum hast du nach mir gerufen?“

Ich wies mit der Hand auf die Burg, vor der wir uns befanden.

„Ich muss mit dir reden und ich glaube dazu wäre es besser, reinzugehen.“, sagte ich nur und ging voran. Währenddessen spürte ich seinen stechenden Blick im Rücken.

„Du bist alleine hergekommen, nicht wahr?“, fragte er plötzlich.

„Ja.“, war alles was ich dazu sagte.

„Und das hat dein Beschützer zugelassen?“, sprach er weiter. Die Andeutung eines Lächelns zeigend sah ich über meine Schulter.

„Nein. Ich bin gegangen ohne etwas zu sagen. Gerade in diesem Moment hindert man ihn daran, mir zu folgen.“

Ezechiel wartete mit der Antwort, bis wir uns im Inneren der Burg befanden.

„Du wolltest also alleine mit mir sprechen.“, stellte der fest und ließ sich auf eines der Sofas fallen, die sich hier befanden. Ich nickte und machte es mir ebenfalls bequem. Sofort kam ich zur Sache.

„Ich bin keineswegs dumm, Ezechiel, also warum versuchst du, mich als deine Freundin zu gewinnen?“

 

Neugierig wie ich war, ließ ich sie natürlich ausreden. Ich wusste nicht so recht was ich von ihren Worten halten sollte. Nein, sie war in der Tat keineswegs dumm. Sie war äußerst schlau und genau das könnte gefährlich werden. Sie schien längst zu wissen was ich vorhatte. Und sie hatte mein anfängliches Spiel bemerkt, demnach war es nun also an der Zeit die Wahrheit zu sagen. Ich setzte ein ernstes Gesicht auf.

„Wie viel weißt du über mich, Nyira?“

Sie schien einen Augenblick lang zu überlegen, dann wurde ihr Gesicht ausdruckslos.

„Du wurdest dor selbst überlassen und hast dir unter den Menschen ein neues Leben aufgebaut und eine „Organisation“ gegründet, welche mit der Mafia vergleichbar ist. Es wird behauptet, du hast aus Rache an deinen Brüdern getötet. Mehr ist mir bisher noch nicht zu Ohren gekommen.“, war ihre tonlose Antwort.

„Das ist aber eine ganze Menge dafür, dass du dich nie für die Geschichte deiner Vorfahren interessiert hast.“, merkte ich an, worauf sie mit den Schultern zuckte.

„Ich bin zufällig auf das Blutvergießen aufmerksam geworden.“

Ich seufzte laut und sah sie dann eindringlich an.

„Na dann hör gut zu, Nyria.“, begann ich. „Du hast recht, ich war...bin auf Rache aus. Und du sicher auch. Wir sind gar nicht mal so verschieden, meine liebe Nachfahrin. Zufällig weiß ich ganz genau, unter welchen Umständen du aufgewachsen bist und um ehrlich zu sein bereue ich es, dich damals nicht von Zuhause weg geholt zu haben. Dein Vater war nie zu etwas zu gebrauchen und das du von deiner Mutter so herzlos aufgezogen worden bist lag ganz allein an ihm. Doch völlig egal wie schlimm die Umstände auch gewesen sein mögen, nie bist du auf den Gedanken gekommen es deinen Eltern heimzahlen. Ich frage mich warum aber genau genommen spielt das jetzt keine Rolle. Dann wären da noch meine Brüder. Mit ein paar von ihnen hast du ja bereits Bekanntschaft gemacht. Ich muss dich gar nicht fragen wie du sie findest, es steht dir ins Gesicht geschrieben. Ich war damals sehr angesehen, Nyria. Sie alle waren neidisch, außer dein kleiner Freund Zayn. Mit ihm kam ich am besten zurecht. Ich habe ihn gemocht, auch wenn das von seiner Seite aus nicht so war. Wir hatten beide so unsere Macken... Dann kam der Tag, an dem ich einen Fehler gemacht habe. Der kleinste Fehler und du bist abgeschrieben, das musste auch Vaher später feststellen. Man wollte mich loswerden, dich ich war mir sicher, dass Vaher die anderen von einer anderen Meinung überzeugen würde. Leider habe ich vergeblich auf Hilfe von ihm gehofft. Er hat mich eiskalt verraten, so wie die anderen auch und genau deswegen steht auch er auf meiner schwarzen Liste.“

Ein Brüllen entfuhr mir. Ich hatte mich mal wieder zu sehr in meine Erinnerungen hineingesteigert... Brüllend feuerte ich himmlisches Feuer auf den Teufel ab. Vergeblich versuchten May und Kev mich festzuhalten und zu bändigen.

„Sie sagt, es geht ihr gut.“, knurrte Lucifer und betrachtete den angeflemmten Ärmel seines Hemdes. Es war eigentlich nicht meine Absicht mich zu beruhigen, dich solch ein Theater zu machen würde mir nun auch nicht weiterhelfen. Ich musste meinem Mädchen vertrauen, anders ging es gar nicht. Nichts desto Trotz überkam mich Angst und Sorge wenn ich daran dachte, was mein Bruder alles mit ihr anstellen konnte. Natürlich war sie stark genug um sich zu verteidigen, doch sie wusste nichts darüber, wie ein Himmlischer zu kämpfen vermochte. Lucifer schien großes Vertrauen in sie zu haben, wenn er sie einfach so gehen ließ.

„Sollte es Probleme geben, kannst du sofort zu ihr gehen.“, riss der Teufel mich aus den Gedanken.

„Worauf du dich verlassen kannst!“, brummte ich.

„Allem Anschein nach, hat sie ihn gefunden.“, sagte er dann, was mich aufhorchen ließ.

Ja, ich musste ihr vertrauen. Was nun gar nicht mehr so einfach war, da sie einfach abgehauen war ohne etwas zu sagen. Wahrscheinlich wollte sie nur verhindern, dass ich doch noch versuchen würde sie davon abzuhalten zu gehen. Na gut, ich konnte sie ja verstehen. Ich war viel zu besprgt, dabei war das nicht immer so gewesen. May legte mir tröstend die Hand auf die Schulter.

„Mach dir keine Gedanken, sie kommt zurecht.“

 

Ich sah den Schmerz in seinem Gesicht und musste feststellen, dass ich gemischte Gefühle bei all dem hatte. Ich konnte nun verstehen warum Ezechiel sich verletzt fühlte. Er behauptete einen Fehler gemacht zu haben, doch der muss mindestens genauso groß gewesen sein wie der von Zayn, sonst hätten sie ihn nicht verbannt. Ich erhob mich, setzte mich neben Ezechiel und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Ich kann deinen Schmerz verstehen, Ezechiel.“, begann ich sachlich. „Aber auch Zayn hat Fehler gemacht. Er war damals ein anderer als heute, so wie du. Andere waren ihm damals egal und er selbst war sich am wichtigsten, deshalb hat er dich nicht verteidigt und in Schutz genommen. Genau dieser Hochmut wurde ihm damals zum Verhängnis.“

Sein Blick zeigte wie erstaunt und verwirrt er über meine Worte war, doch ich ging nicht darauf ein und sprach weiter.

„Vermutlich war Nereus damals für deinen Rausschmiss verantwortlich, denn so wie ich das sehe hält er die meisten Fäden in der Hand. Ich bin ziemlich gegen ihn abgeneigt, das liegt vermutlich daran das er mich töten will. Ich habe nicht viel Ahnung von der Hierarchie der Erzengel, doch sie sollte abgeschafft werden. Nereus ist mein Feind, ich werde also gegen ihn ankämpfen! Ich erkläre mich gerne dazu bereit dir bei deiner Rache zu helfen, allerdings habe ich Bedingungen.“

Seine Augen weiteten sich zwar, doch seine Pupillen verkleinerten sich.

„Du beeindruckst mich, Nyria. Du willst Bedingungen stellen?“, knurrte er.

Mit einem verächtlichen Schnauben beäugte ich ihn.

„Bist du nun auf meine Hilfe aus oder nicht?“

Er brummte.

„Ich höre.“

Meine Mundwinkel zuckten zwar, doch ich verkniff es mir zu grinsen.

„Erstens: Ty, Nereus rechte Hand, und Fare werden nicht da mit hineingezogen. Sie sind auf unserer Seite.“, verkündete ich. Ein unerwarteter Ausdruck trat in Ezechiels Augen.

„Ah, Fare, meine Schwester. Sie war immer die liebenswürdigste unter uns. Warum hat sie den anderen zugestimmt?“, murmelte er.

„Zweitens:“, riss ich ihn aus den Gedanken. Ich wurde eine Spur leiser. „Zayn ist ebenfalls noch voller Rachsucht. Ich will, dass ihr euch zusammentut und gemeinsam Vergeltung verübt!“

Augenblicklich waren seine Augen wieder klar.

„Ich soll ihn verschonen?“, hauchte er. Ich nickte.

„Ja. Wäre er damals nicht so selbstverliebt gewesen, hätte er dir sicher geholfen. Außerdem solltest du wissen, dass du mit ihm einen starken Verbündeten hast. Und mit meinen Fähigkeiten dürften wir zu dritt um einiges überlegen sein, als die Erzengel."

Ezechiel ließ sich meine Worte scheinbar durch den Kopf gehen.

„Ich wusste nicht, dass Vaher auf Rache aus ist.“, murmelte er nachdenklich. Schwach lächelnd sah ich ihn an.

„Ich glaube er weiß nicht, das ich es weiß aber er hat es Nereus und den anderen noch immer nicht verziehen.“

Mehrere Minuten lang starrten wir uns einfach nur an.

„Ich kann nicht glauben, dass du bereit bist mit mir zusammen zu arbeiten.“, murmelte er dann.

Ich lächelte.

„Ich habe mich nicht an meinen Eltern gerächt, weil Rache für mich eigentlich keine Lösung ist aber Nereus will mich töten und ich will mich nicht immer verstecken müssen.“

Zum Ende hin war das Lächeln wieder verschwunden.

„Also gut.“, sagte Ezechiel entschlossen und erhob sich. „Ich werde mit Vaher zusammenarbeiten. Komm morgen mit ihm her, dann besprechen wir alles weitere.“

Ich nickte, blieb aber dennoch sitzen. Mir schien, als wolle er noch etwas sagen.

„Eine Frage habe ich aber noch.“, kam es dann auch schon.

Fragend neigte ich den Kopf.

„Da bei deinem Vater und deren Vorgängern die Kräfte nahezu überhaupt nicht vorhanden waren würde ich gerne wissen, wie es denn bei dir aussieht.“

Geheimnisvoll lächelnd erhob auch ich mich.

„Nur so viel: Ich bin mächtiger, als es scheint.“

 

Ich war verwirrt. Was war das gerade? Ich sollte mit Nyria und Vaher zusammenarbeiten? Ursprünglich war es mein Plan gewesen mich an meinen Brüdern zu rächen und mir dann Nyrias Kräfte unter den Nagel zu reißen. Aber irgendwie lief es jetzt in eine ganz andere Richtung. Seite an Seite mit meinem Bruder? Gegen unsere anderen Brüder? Was sollte ich davon halten? Ich gab zu das Vaher unglaublich gut im Töten war und das seine Gerissenheit bewundernswert war aber ob es mir das wert war? Noch hatte ich keine Antwort darauf, doch morgen würde ich es wol herausfinden. Was Nyria betraf...sie hatte noch immer meinen vollsten Respekt!

 

22

 

Ich spürte im Schlaf etwas Warmes, das mich erst an der Stirn berührte, dann auf den Lippen. Unfähig darüber nachzudenken spürte ich außerdem, wie sich nach einigen Minuten etwas großes und unglaublich warmes an meinen Körper schmiegte. Ich stieß ein wohliges Seufzen aus. Um die Zeit zu vertreiben hatte ich mich schlafen gelegt, doch nun befahl ich meinen Augen sich zu öffnen. Mein Blick traf den von eisgrünen Augen.

„Nyria.“, hauchte ich schlaftrunken. Sie lächelte.

„Hallo, mein Hübscher.“, sagte sie leise. Ihre Hand ergriff meine, die sich unter der Decke befand.

„Hast du gut geschlafen?“, murmelte sie dann.

„Geht.“, nuschtelte ich und zog sie in meine Arme. Ich vergrub meine Nase in ihrem seidigen Haar und sog ihren Duft nach Rosen ein.

„Schön, dass du wieder da bist.“, begrüßte ich sie nun einigermaßen wach.

„Hast du etwa geglaubt, ich würde dich allein beim Teufel zurücklassen?“, erwiderte sie leise lachend und küsste mich an der Halsbeuge.

„Freiwillig wohl nicht, nein.“, murmelte ich und schloss wieder die Augen. Mit dieser Frau in den Armen würde ich besser schlafen. War ich noch immer so müde, weil ich ausnahmsweise mal alleine in einem Bett geschlafen hatte?

„Zayn, darf ich dich etwas fragen?“, hauchte sie plötzlich. Ich brummte bestätigend.

„Was empfindest du gegenüber deinen Brüdern?“, flüsterte sie. Erstaunt über diese Frage dachte ich einen Augenblick lang nach.

„Mag sein, dass es der Vergangenheit angehört aber teilweise empfinde ich ihnen gegenüber noch immer Hass. Allen voran Nereus gegenüber. Ich habe mir damals Rache geschworen, davon habe ich mich eigentlich nicht abbringen lassen. Erschreckt dich diese Tatsache?“, war meine vollkommen ernst gemeinte Antwort.

„Nein.“, antwortete sie und schmiegte sich noch enger an mich.

„Du willst, dass die Hierarchie der Erzengel verschwindet, habe ich recht?“, fügte sie hinzu.

„Ja.“

Im Stillen fragte ich mich, warum sie darauf zu sprechen kam. Noch wagte ich es nicht danach zu fragen.

„Ezechiel hat sich damals von dir verraten gefühlt, Zayn. Er hatte erwartet, dass du ihn vor einer Verbannung bewahren würdest.“

Prompt schlug ich die Augen wieder auf. So schnell konnte sie also zur Sache kommen... Ich seufzte leise.

„Erstaunlicherweise schien Ezechiel mich immer gemocht zu haben. Auch war er derjenige der mich immer in Ruhe gelassen hat, während die anderen über mich hergezogen haben. Er hat mehrmals seine Macht missbraucht. Nicht das ich ein Problem mit ihm hatte, doch selbst wenn ich ihn verteidigt hätte wäre er verbannt worden. Sie waren sich schließlich alle einig. Vielleicht war ich auch zu hochmütig um ihm zu helfen aber den Preis dafür habe ich ja schon bezahlt.“

Nachdenklich starrte ich ins Leere.

„Er hat also auf meine Hilfe gehofft.“, murmelte ich. „Du scheinst ein längeres Gespräch mit ihm geführt zu haben.“

„Allerdings.“, antwortete sie. „Also, du willst Rache, richtig?“

Ich nickte lediglich.

„Was, wenn du sie haben kannst?“

Langsam machte sie mir Angst. Was wollte sie andeuten?

„Nyria!“, knurrte ich fordernd. Schuldbewusst sah sie mich an.

„Bitte bleib ruhig, ja?“

Sie atmete tief durch und setzte sich dann auf. Was auch immer jetzt kommen würde, sie wusste scheinbar das ich damit nicht einverstanden wäre.

„Ezechiel und du, ihr werdet...zusammenarbeiten.“

 

Ein lautes Brüllen drang an meine Ohren, worauf meine Mundwinkel zuckten. Sah ganz so aus als würde Nyria Zayn gerade von dem berichten, was sie erlebt hatte. Sofort nach ihrer Rückkehr war sie zu mir gekommen, um mir von allem zu berichten. Sie war wie zu erwarten sachlich geblieben. Zu gerne hätte ich gewusst welche Rolle ihre Gefühle bei all dem spielten, doch ich hielt mich mit meinen Fragen zurück. Ich würde der Frau alles in die Hände legen und das hatte ich ihr auch schon gesagt. Von nun an war es ganz allein ihre Entscheidung, wie sie vorgehen würden. Sie war klug und realistisch und sie würde durchaus einschätzen können, wie man mir Ezechiel umzugehen hatte. Sie war nicht näher darauf eingegangen, doch mir schien als käme sie mit ihrem Vorfahren ausgesprochen gut zurecht. Sie würde sich sicher nicht von Ezechiel bequatschen lassen, dennoch war Vorsicht geboten. Nyria war sensibel und ausgesprochen gefühlvoll. Hatte man ihre Gefühle in Anspruch genommen, hatte man sie auf seiner Seite. Da war es natürlich kein Wunder, dass sie sich anderen gegenüber so kalt und verschlossen zeigte. Ein weiterer Grund für ihr herzloses Erscheinen war, dass sie nicht verletzt werden wollte. Wahrscheinlich war bisher kaum einer dahintergekommen, ich war wohl zusammen mit Zayn eine Ausnahme. Apropos Zayn, dieser kam gerade, dicht gefolgt von Nyria, in den Saal gerauscht.

„Das lässt du einfach so zu?“, brüllte er. Mal wieder hatte ich ein Klingeln in den Ohren, doch ich ließ mir nichts anmerken.

„Erstens: Nyria ist durchaus in der Lage diese Situation einzuschätzen. Sie weiß was sie tut, glaub mir. Und zweitens: Von nun an hat sie es in der Hand. Wenn man es genau nimmt, ist all das noch immer euer Problem. Ich hätte euch gar nicht helfen müssen, habe es aber dennoch getan. Ab jetzt trifft Nyria die Entscheidungen, ich werde mich raushalten.“

Meine Worte ließen den Gefallenen fassungslos zu mir hinaufstarren. Offenbar konnte er nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Lächelnd erhob ich mich, um aus dem Saal zu schlendern.

„Ich bin wirklich gespannt darauf, was ihr als nächstes tun werdet.“

 

Fassungslos sah ich dem Teufel nach. Er hatte Nyria die Zügel in die Hand gelegt? Warum? Hatte er solches Vertrauen in ihre Fähigkeiten? Doch dies war nicht das Einzige, das mich schockte. Ich sollte mit Ezechiel zusammenarbeiten? Ich gab zu das mir der Gedanke Rache zu nhemen noch immer gefiel, doch mit Ezechel gemeinsam Vergeltung zu verüben erschien mir befremdlich. Mein Bruder wollte sich sicher auch an mir rächen, also wieso sollte er mit mir zusammen arbeiten wollen? Ich gab ebenfalls zu, dass wir ein gemeinsames Ziel hatten und mit Nyria an unserer Seite auch sicher nichts schief gehen würde, doch die ganze Sache gefiel mir einfach nicht. Nyria hatte mir vorhin alles erzählt, dabei hatte sie besonders betont, dass sie die Bedingungen gestellt hatte. Unter anderem seine und meine Zusammenarbeit. Ihrer Beobachtung zufolge war er darüber genauso irritiert gewesen wie ich es jetzt war. Er wusste also auch nicht, was er davon halten sollte. Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht sollte ich einfach abwarten, bis Ezechiel und ich miteinander gesprochen hatten? Ich glaubte zwar nicht daran, doch vielleicht kam es ja doch zu einer vernünftigen Aussprache? Nyria schien gemerkt zu haben das ich ruhiger geworden war, denn sie ergriff meine Hand.

„Geht es wieder?“, fragte sie zwinkernd und zeigte ein Lächeln. Ich seufzte, nickte aber und fuhr mir dann mit der Hand durchs Haar.

„Ja. Ich habe wohl überreagiert, tut mir leid.“

Sie lachte leise und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Wir kriegen das schon hin, keine Sorge.“, flüsterte sie und zog mich zurück in den Raum, aus dem wir gekommen waren.

 

Aufgebracht stürzte Nereus in den großen Saal, in dem alle anderen Erzengel schon auf ihren Plätzen saßen. Ty und Fare ahnten, dass sie jetzt eine schlechte Nachricht zu hören bekamen.

„Was ist los, Nereus? Du siehst aus, als wäre etwas passiert.“, sagte Fare ruhig, ohne den Mann aus den Augen zu lassen.

„Allerdings.“, knurrte dieser und ließ sich auf seinem Platz nieder. Nereus seufzte, rieb sich die Schläfen und begann dann zu erzählen.

„Ich habe noch ein paar mal versucht Vaher und das Mädchen aufzuspüren und habe dabei herausgefunden, dass das Mädchen ohne unseren Bruder auf die Burg zurückgekehrt ist. Und jetzt ratet mal, wer dazugestoßen ist.“

Die anderen Erzengel tauschten Blicke untereinander aus.

„Raus mit der Sprache!“, verlangte Fare bissig. Sie kannte die Antwort bereits.

„Sie und Ezechiel haben sich mit einer Plauderei die Zeit vertrieben.“, löste Nereus das Rätsel und beobachtete, wie die meisten der anderen ein leises Knurren hören ließen.

„Konntet Ihr verstehen, worüber die beiden gesprochen haben?“, stellte Ty die entscheidende Frage. Alle anderen hatte es scheinbar die Sprache verschlagen.

„Nein und genau das ist ja das Problem.“, war Nereus' Antwort.

„Glaubt ihr, sie verbünden sich miteinander?“, murmelte Fare und ließ ebenfalls den Blick schweifen. Scheinbar waren sich alle unschlüssig. Chest rieb sich nachdenklich das Kinn.

„Das Mädchen ist schlau, doch wer weiß was unser Bruder ihr erzählt hat. Wir müssen also mit allem rechnen, wenn wir keine böse Überraschung erleben wollen.“

Nereus sah jeden von ihnen eindringlich an.

„Wenn sie sich wirklich zusammengetan haben, müssen wir handeln. Wir dürfen nicht zögern sie zu töten!“

Fare schnappte nach Luft.

„Bist du verrückt? Du kennst doch die Strafe für das Töten eines Erzengels!“, zischte sie. Nereus zeigte ein schmallippiges Lächeln.

„Du vergisst, dass Ezechiel kein Erzengel mehr ist. Außerdem war nie die Rede davon, dass wir uns die Finger schmutzig machen.“

Chest meldete sich wieder zu Wort.

„Du sagst, das Mädchen ist alleine zur Burg gekommen? Ohne Vaher?“

Nereus nickte leicht. Die Mundwinkel des anderen Erzengels zuckten.

„Schade eigentlich. Zu gerne hätte ich gewusst was passiert wäre, wenn Zayn und Ezechiel aufeinander getroffen wären. Wer weiß, vielleicht schüren sie solch einen Hass gegeneinander, dass sie sich gegenseitig töten würden. Das wäre doch zu unseren Gunsten, oder?“

Fauchend sprach Fare auf.

„Das reicht!“, brüllte sie. Augenblicklich wurde es totenstill im Saal. Nicht einmal mehr das Atmen einer der Engel war zu vernehmen.

„Völlig egal was damals alles passiert ist, es handelt sich bei den beiden immer noch um unsere Brüder! Keiner von ihnen wird getötet, habt ihr verstanden?“

Nereus zog aufgrund ihres Ausbruchs die Brauen hoch.

„Fare?“, brummte er. Die Frau atmete schnaufend ein uns aus, ließ sich aber dann wieder auf ihren Platz sinken.

„Verzeihung. Aber ich dulde nicht, dass einer von euch so abfällig über die beiden spricht. Völlig egal was für Fehler sie gemacht haben, ihre Fähigkeiten sind dennoch beneidenswert!“

Chest beugte sich vor und beäugte Fare. Mit solch einer Reaktion hätten sie alle eigentlich rechnen müssen. Egal um wen es sich gehandelt hätte, sie hätte denjenigen ohne zu zögern verteidigt. Sie machte sie um die Fakten meist keine Gedanken, so wie auch jetzt.

„Fare, ich beneide dich um deine Liebenswürdigkeit aber glaubst du wirklich es sei so einfach?

Mag sein das Vaher und das Mädchen nicht unbedingt eine Gefahr für uns darstellen, noch nicht zumindest, aber Ezechiel muss gestoppt werden. Du weißt ganz genau, dass wir ihn nicht verschonen können. Er hat sich aus Rache an den Menschen vergriffen und das ist genauso unverzeihlich, wie die Fehler die er damals gemacht hat. Er wird nicht davonkommen, sieh es ein!“

Fare schluckte. Sie sah ein das Chest recht hatte, dennoch war es alles andere als korrekt Vaher und Ezechiel den Tod zu wünschen. Wenn sie Ezechiel töteten, dann aus Vorsicht und als Strafe. Nicht, weil sie Spaß daran hatten!

„Höre ich noch solch einen Spruch von jemandem wie von dir gerade, Chest, dann lernt ihr mich kennen!“, fauchte sie und verließ den Saal. Worüber die anderen nun auch sprechen würden, sie könnte sich das nicht mit anhören. Ty würde ihr sicher später alles berichten...

 

Angespannt beobachtete ich, wie Nyria recht geduldig auf und ab lief. Noch immer wusste ich nicht was ich davon halten sollte, dass mein Bruder gleich hier auftauchen würde. Sicher würde er versuchen uns übers Ohr zu hauen! Doch wer weiß, vielleicht würden Nyria und ich ja doch eine Überraschung erleben?

„Hat er nicht gesagt, wann er hier auftauchen wollte?“, meldete ich mich nun genervt zu Wort. Ich hatte keine Lust die ganze Nacht auf diesen Typen zu warten. Viel lieber hätte ich nun mit meinem Mädchen im Bett gelegen.

„Er hat gesagt, um die gleiche Zeit wie gestern.“, antwortete sie und erwiderte meinen skeptischen Blick nur kurz.

„Warum kommst du nicht zu mir und setzt dich?“, grinste ich dann und schlug mir dabei leicht auf den Oberschenkel. Nyria lächelte zwar, zog aber die Brauen in die Höhe.

„Ich will lediglich verhindern, dass ihr zwei aufeinander losgeht. Wenn dein Bruder denn mal hier auftaucht, heißt es.“

Nun hoben sich auch meine Augenbrauen.

„Glaubst du wirklich, du könntest uns davon abhalten aufeinander loszugehen?“, murmelte ich unheilvoll. Ein verheißungsvolles Lächeln stahl sich auf ihre vollen Lippen.

„Unterschätz mich nicht.“, war alles was sie dazu sagte. Nein, eigentlich nicht. Um genau zu sein, tat ich das überhaupt nicht! Ich wusste ja inzwischen wie mächtig sie war. Dennoch konnte sie ernsthaft verletzt werden, sollte es tatsächlich zu einem Kampf kommen! Doch soweit wollte ich gar nicht denken. Wer konnte schon sagen, ob mein Bruder überhaupt auftauchen würde? Wenn ich genauer darüber nachdachte musste ich eigentlich zugeben, dass Ezechiel in der Vergangenheit immer recht zuverlässig gewesen war. Erstaunlicherweise... Ob sich daran wohl etwas geändert hatte? Wie aufs Stichwort erschien eine groß gewachsene Gestalt im Raum.

 

23

 

Ich hielt die Luft an. Eine einzige Sekunde schien sich endlos in die Länge zu ziehen. Angespannt sah ich zwischen den beiden hin und her. Nun standen Zayn und Ezechiel sich also gegenüber. Ich hoffte, die beiden würden sich zusammenreißen können! Zayn erhob sich vom Sofa und ging meinem Vorfahren einige Schritte entgegen.

„Ezechiel.“, grüßte er ihn mit einem knappen Nicken. Ezechiel betrachtete ihn mit einem ausgiebigen Blick und war dann mir einen kurzen Blick zu.

„Ich hätte nicht erwartet das du ihn davon überzeugst, herzukommen.“, murmelte er, worauf ein abfälliges Schnauben ertönte.

„Wenn du wüsstest, wie stur sie sein kann.“, brummte Zayn, von dem auch das Schnauben stammte. Ich zeigte mein süßestes Lächeln und deutete einen Knicks an. Schlagartig wurde ich jedoch ernst.

„Genug der Plaudereien. Vertragt euch gefälligst! Und nun setzt euch, wir haben nicht ewig Zeit.“

Die ehemaligen Erzengel knurrten zwar, setzten sich aber.

Mit erwartungsvollem Blick wartete ich darauf, dass einer der beiden das Gespräch beginnen würde, doch sie starrten sich nur mit finsterem Blick an. Ich seufzte und verschränkte die Arme. Wenn ich das richtig sah, würden wir hier noch die ganze Nacht verbringen. Doch genau genommen konnte mir das egal sein. Hauptsache einer der beiden würde irgendwann irgendetwas sagen. Nach einer gefühlten Stunde – es waren zehn Minuten – tat Zayn den Anfang.

„Du hast einen Sohn gezeugt.“, sagte er lahm. Ich rieb mir die Stirn. Oh ja, das hier würde dauern...

 

Irritiert musterte ich meinen Bruder. Ausgerechnet darauf kam er zu sprechen? Spielte das denn jetzt noch eine Rolle? Für ihn scheinbar ja. Doch wer weiß, vielleicht wollte er einfach Antworten. Es ging hier schließlich um Nyria und der stand er ja offensichtlich nahe. Ich nickte lediglich, um das Offensichtliche zu bestätigen.

„Zufall? Oder geplant?“, wollte mein Bruder als nächstes wissen. Sollte ich ihn anlügen? Oder lieber mit offenen Karten spielen? Meine Wahl fiel auf Letzteres.

„Zufall. Aber ich habe versucht das Gute daran zu sehen. So kam mir auch die Idee, mit...“

Ich verstummte. Nyria sah mich fragend an, wohingegen Zayns Augen sich verdächtig verengten. Er schien ganz genau zu wissen, was ich hatte sagen wollen.

„Deiner Rache?“, beendete er meinen angefangenen Satz. Wieder nickte ich. Ein gefährliches Blitzen machte sich in seinen Augen bemerkbar und auch Nyria schien es nicht verborgen zu bleiben.

„Was erhoffst du dir von Nyria, Bruder? Warum hast du sie ausfindig gemacht, nach all den Jahren?“

Mit dieser Frage hatte ich schon gerechnet. Doch wie sollte ich darauf antworten?

„Das sie als Kind nicht in der Lage war ihre Fähigkeiten zu nutzen war mir von vorneherein klar gewesen, also habe ich einfach gewartet. Nun scheint sie mir alt genug zu sein, um Entscheidungen treffen zu können. Bedeutende Entscheidungen, um genau zu sein.“, erklärte ich, nach kurzem Überlegen. Ja, ich denke dies entsprach der Wahrheit.

„Du meinst die Entscheidung, mich mit dir zu verbünden?“, mischte sich nun das Mädchen mir gegenüber ein. Ein erneutes Nicken meinerseits.

„Ja. Sie sind schließlich hinter dir her, Nyria. Sie wollen dich töten und du hast selbst gesagt, dass du sie bekämpfen willst. Vor ein paar Jahren wäre nichts davon möglich gewesen. Du wusstest ja nicht einmal von unserer Existenz.“

Sie verfiel natürlich in Schweigen, widersprechen konnte sie nicht. Niemals hätte sie mir einen Gegenargument liefern können.

„Es geht mir hier nicht nur um mich, Ezchiel.“, sagte sie plötzlich leise.

Neugierig neigte ich den Kopf. Nun wurde es interessant. Eigennutz schien ihr doch nicht so geläufig zu sein, wie ich zuerst vermutet hatte. Nun bemerkte ich den Blick von Zayn. Auch seine Neugier schien geweckt worden zu sein. Nyria bemerkte den Blick sofort.

„Du scheinst vergessen zu haben, warum ich meine Bedingung gestellt habe.“, sagte sie mit einem Blick auf Zayn. Auch ich musterte ihn wieder. Sah ganz so aus als würde ihr der Mann mehr bedeuten, als ihr eigenes Leben.

„Damit wären wir beim eigentlichen Thema.“, sagte ich. Mein Blick blieb an dem Mann hängen.

„Du willst also Rache. Wieso habe ich davon bisher nichts gewusst?“, fuhr ich fort. Zayn neigte den Kopf.

„Woher hättest du das auch wissen sollen? Du bist untergetaucht und von mir hat man auch nicht sonderlich viel gehört. Aber ja, es stimmt. Ich bin auf Rache aus.“

Ja, seine Worte überraschten mich. Vaher hat immer einen Scheiß auf die Meinung anderer gegeben. Ihm war es völlig egal was unsere Brüder gesagt haben, also wie kam er auf den Gedanken Rache zu nehmen? Zayn musterte mich.

„Meine Entscheidung scheint dich zu überraschen.“, stellte er fest. Ich blieb ehrlich.

„Ja. Dir war es immer egal was die anderen gedacht oder gesagt haben und bei dir kann ich mir gut vorstellen, dass es dir egal war das sie dich verbannt haben.“

Zayns Blick verfinsterte sich.

„Ich bitte dich, Ezechiel. Wir haben uns nich getroffen um über meine Beweggründe zu diskutieren.“

Er hatte ja recht. Doch wir hatten uns Ewigkeiten nicht gesehen, da war ein bisschen plaudern doch erlaubt, oder?

 

„Weißt du, Bruder...Warum auch immer du Vergeltung verüben willst, ich bin mir sicher ich kann es verstehen. Mich haben sie schließlich auch verbannt. Wir haben beide Fehler gemacht und die wurden bestraft. Wenn man es genau nimmt, sitzen wir also im selben Boot.“

Zayn wurde bei Ezechiels Worten zornig, ich konnte es fühlen. Aufgebracht beugte der Gefallene sich auf dem Sofa vor.

„Werf uns nicht in einen Topf, Ezechiel! Du hast dir Dinge erlaubt, die sind nicht mit meinem Hochmut vergleichbar. All die Kinder die deinetwegen zu leiden hatten!“

Hatte ich mich gerade verhört? Nein, Zayn hatte tatsächlich Kinder gesagt. Ich würde ihn darauf ansprechen, allerdings nicht jetzt. Ich beobachtete, wie sich Ezechiels Blick trübte.

„Als ob ich das nicht wüsste, Zayn. Ich glaube...ich sollte mich für alles, was ich getan habe entschuldigen.“

Fassungslos starrte Zayn meinen Vorfahren an und auch ich konnte meine Verblüffung nicht verbergen.

„In all den Jahren meiner Existenz hätte ich niemals mit einer Entschuldigung von dir gerechnet. Ist das dein Ernst?“, stieß Zayn mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Ezechiels Augen waren noch immer trübe als er antwortete.

„Ja, das ist mein Ernst. Wenn wir miteinander arbeiten wollen ist es besser, wir haben alle Dinge zwischen uns bereinigt.“

Zayn und ich tauschten einen Blick miteinander aus. Entsprach das tatsächlichder Wahrheit? Eine Entschuldigung war der erste Schritt, doch war sie wirklich ernst gemeint?

„Woher soll ich wissen, ob du die Wahrheit sagst?“, murmelte Zayn misstrauisch. Mein Blick glitt wieder zu Ezechiel. Ich hatte keine Ahnung ob es funktionieren würde oder ob er es bemerken würde, doch ich beschloss meine mentalen Fähigkeiten bei ihm auszuprobieren. Irgendetwas musste ich ja so herausfinden können. Ich stieß zuerst auf eine massive Wand. Es war kein Eis, so wie bei mir, sondern ein Material wie Metall. Scheinbar um jegliche Eindringlinge fernzuhalten. Doch das hielt mich nicht auf. Ich suchte einen Weg diese Wand zu überwinden und fand tatsächlich einen hauchfeinen Riss. Ich zwängte mich hindurch und wurde beinahe von all den Gefühlen erschlagen. Kein Wunder das er die alle zu verbergen versuchte. Aufrichtigkeit war hier nicht zu übersehen und auch die Wut und der Hass auf seine Brüder konnte er hier nicht verbergen. Ich hätte hier noch weiter herumschnüffeln können, doch ich hatte alles was ich brauchte. Das er verbannt wurde hatte ihn schwer getroffen und ich erkannte, dass er viele seiner Taten bereute. Ja, für einen kurzen Moment hatte ich sogar Mitleid mit ihm. Vielleicht war sein Leben sogar genauso schrecklich verlaufen wie Zayns? Ich hätte in seine Erinnerung eindringen können, doch ich tat es nicht. Ich würde abwarten wie alles verlief und erst dann würde ich es vielleicht wagen. Sollte ich es Zayn erzählen? Vielleicht... Und vielleicht würde ich Ezechiel später einfach auf sein Leben ansprechen. Ich zog mich aus seinem Bewusstsein zurück. Beide Männer sprachen miteinander und obwohl ich keine Ahnung hatte worüber, unterbrach ich die beiden einfach.

„Ihm ist es ernst, Zayn. Er will sich wirklich entschuldigen.“, sagte ich leise. Überrascht sahen mich die beiden an. Zayns Augen verengten sich zwar, doch dann schien er zu begriffen haben woher ich das wusste. Ezechiels Blick hingegen konnte ich nicht deuten. Hatte er etwas gemerkt? Hoffentlich nicht!

„Also, wie wollen wir nun vorgehen?“, wechselte ich einfach das Thema.

„Zu aller erst...“, begann Ezechiel. „würde ich gerne von euch wissen, wo ihr beiden zurzeit unterkommt.“

Erneut tauschten Zayn und ich einen Blick aus.

„Bei einem Freund.“, war alles, was Zayn sagte. Ezechiel sah uns abwechselnd an.

„Da ich nicht sonderlich scharf darauf in jedes mal herzukommen, und ihr sicher auch nicht, biete ich euch einfach an mit zu mir zu kommen.“

Ja, auch das überraschte uns. Auch wenn ich Ezechiels Gefühlslage nun kannte hieß das nicht auch, dass wir ihm auch vertrauen konnten. Wer konnte schon sagen, was er geplant hatte?

„Ich zwinge euch zu nichts, es ist ganz allein eure Entscheidung.“

Nun war ich genauso misstrauisch wie Zayn.

„Erhoffst du dir etwas davon?“, hakte ich nach. Mein Vorfahre zuckte mit den Schultern.

„Es erspart uns Zeit. Und natürlich den Weg hierher. Ich seh schon, ihr befürchtet ich könnte euch in einen Hinterhalt führen. Aber keine Sorge, dazu habe ich keinen Grund. Also, was sagt ihr?“, antwortete er und sah uns erwartungsvoll an.

„Ich schätze, wir lassen es darauf ankommen.“, verkündete ich fröhlich, ehe Zayn irgendwelche Einwände erheben konnte. Er seufzte leise was zeigte, was er von meiner Entscheidung hielt. Ezechiel lächelte schwach.

„Ich gebe zu, dass mich das nun wirklich überrascht aber nun gut. Holt eure Sachen, ich werde hier solange warten.“

Ich nickte Zayn zu und wir erhoben uns. Na dann, auf ins Abenteuer!

 

Ich konnte noch immer nicht fassen, worauf ich mich da eingelassen hatte. Das Zimmer in dem mein Bruder uns untergebracht hatte, war recht groß und ziemlich luxuriös eingerichtet. Nyria gefiel es, mich hingegen machte es noch misstrauischer als ich ohnehin schon war. Nyria deutete schon die ganze Zeit an, dass sie mir etwas erzählen wollte. Nun wartete ich darauf, dass sie den Mund aufmachte. Mit einem Seufzen ließ sich die junge Frau aufs Bett fallen.

„Lucifer hat ganz schön überrascht reagiert als wir ihm gesagt haben, wo wir hinwollen.“, sagte sie leise und sah zu mir auf.

„Wer kann es ihm verübeln? Ich kann ja selbst kaum fassen, dass wir hier sind.“, erwiderte ich und setzte mich neben sie. Zeit, mit offenen Karten zu spielen.

„Du bist in sein Bewusstsein eingedrungen?“, begann ich das Gespräch. Sie nickte.

„Ja. Daher weiß ich, dass es ihm aufrichtig leid tut. Er ist wütend auf eure Brüder und ich glaube fast, dass auch seine Kindheit nicht die Schönste war.“

Mit solchen Worten hatte ich nicht gerechnet. Ich wusste nichts über Ezechiel, geschweige denn etwas über seine Kindheit, also konnte ich nichts zu ihren Vermutungen sagen.

„Du weißt nichts darüber, stimmt's?“, riss sie mich aus den Gedanken. Nachdenklich schüttelte ich den Kopf.

„Nein, nicht wirklich. Aber du hattest doch die Gelegenheit seine Erinnerungen zu durchforsten. Warum hast du das nicht gemacht?“

Ernst erwiderte sie meinen Blick.

„Das hat mehrere Gründe. Zum einen hätte ich es respektlos gefunden einfach so in seinen Erinnerungen zu schnüffeln. Und zum anderen hab ich keine Ahnung, ob er es gemerkt hätte. Ich hab ja jetzt schon den Verdacht, dass er etwas ahnt.“

Nein, ich glaubte nicht das er etwas gemerkt hatte. Dann hätte er sich anders verhalten. Aber man wusste ja nie. Ich musterte Nyria. Ich sah die Neugierde in ihren Augen. Ja, sie wollte definitiv mehr über Ezechiel wissen. Doch ich konnte ihr das nicht behilflich sein. Sie würde schon mit ihm sprechen müssen, ob ich das für eine gute Idee hielt war aber eine andere Sache. Apropos andere Sache. Ezechiel hatte uns ständig mit einem seltsamen Blick bedacht. Er schien zu wissen, was zwischen Nyria und mir lief. Doch scheinbar störte es ihn nicht, im Gegenteil, er schien es sogar recht interessant zu finden. Ich war überrascht gewesen als er die Entschuldigung ausgesprochen hatte. Wer weiß, vielleicht hatte er sich wirklich geändert! All zu sehr glaubte ich da nicht dran, doch Nyria war so optimistisch, ich stellte mich einfach mal auf ihre Seite. Nyria setzte sich auf meinen Schoß und vergrub ihr Gesicht an meinem Hals, worauf ich die Arme um sie legte. Sie musste nichts sagen, ich wusste auch so das sie erschöpft war.

„Ich bin noch nicht soweit um mich auf Ezechiel einlassen zu können aber du kannst gerne versuchen, dich mit ihm anzufreunden. Lass deinen Gefühlen nur nicht all zu sehr freien Lauf, hörst du?“, sagte ich leise und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. Sie nickte, dann wurde ihr Atem flacher und gleichmäiger und sie war eingeschlafen.

 

Nachdenklich musterte ich Ty. Er wirkte angespannt.

„Verstehe, sie haben es also herausgefunden...Ich hoffe doch sehr Nereus kommt bei Fares Ausbruch nicht auf falsche Gedanken.“, murmelte ich. Ty zuckte mit den Schultern.

„Sie alle wollen sowohl Ezechiel als auch Zayn tot sehen. Nyria und Zayn stufen sie allerdings nicht so gefährlich ein, wie Ezechiel. Apropos, habt Ihr davon gewusst?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Du meinst, dass die drei sich miteinander verbündet haben? Es war Nyrias Idee mit ihm zusammen zu arbeiten. Sie ist schlau, musst du wissen. Ich glaube durchaus das sie in der Lage ist Ezechiel zu beeinflussen. Im positiven Sinne übrigens. Aber das die beiden nun bei ihm unterkommen überrascht mich wirklich. Ich hätte nicht erwartet, dass sie solch ein großes Risiko eingehen würden.“

Kaum wurde ich still tauchte Zayn im Saal auf. Argwöhnisch betrachtete Ty ihn.

„Ah, wir haben gerade über dich und die anderen beiden gesprochen.“

Der Gefallene blieb ernst.

„Gutes Timing.“, murmelte er lediglich und verneigte sich dann leicht.

„Ich nehme an, du hast etwas zu erzählen.“, stellte ich mit zuckenden Mundwinkeln fest. Er nickte.

„Nyria ist in sein Bewusstsein eingedrungen.“, verkündete er. Ich bedeutete Ty er solle gehen, dann, als er verschwunden war, erhob ich mich und führte Zayn in einen kleineren Raum.

„Sag bloß, er hat es nicht gemerkt.“, murmelte ich und beobachtete, wie Zayn sich auf einem der Stühle niederließ. Er stützte sich mit den Armen auf den Beinen ab und beugte sich vor. Nachdenklich verschränkte er die Hände ineinander, dann berichtete er mir von dem was passiert war.

„Nein, scheinbar nicht. Er hat sich für seine Taten in der Vergangenheit entschuldigt. Zwar nur bei Nyria und mir aber immerhin. Ich habe ihm nicht geglaubt aber Nyria sagt, dass er es aufrichtig meinte und aus Wut und Hass unseren Brüdern gegenüber so gehandelt hat. Sie vermutet das er es in seiner Kindheit ebenfalls nicht leicht gehabt hat. Weißt du etwas darüber?“

Ich dachte nach, konnte am Ende aber nur mit dem Kopf schütteln. Ich war zwar der Teufel aber selbst der wusste nicht alles. Wenn sie das wissen wollten, würden sie sich schon an den Allmächtigen wenden müssen.

„Nein.“

Zayn seufzte und seine Augen schlossen sch für einen Moment. Ihm schien das Ganze erstaunlich nahe zu gehen.

„Das hab ich mir schon gedacht. Nyria will versuchen mehr aus ihm herauszukriegen. Ich hoffe nur, dass das gut geht.“

Seine Sorge stellte mal wieder alles in den Schatten...Plötzlich sah er mich eindringlich an.

„Weißt du, warum Nyria sich so unbedingt mit Ezechiel zusammentun wollte?“

Erneut schüttelte ich den Kopf. Hatte sie nicht gesagt das sie so bessere Chancen hatten? Gegen Nereus und so?

„Der Grund für ihre Entscheidung, bin ich.“

Ich blinzelte und neigte den Kopf. Ausnahmsweise kam ich mal nicht mit. Was hatte denn Zayn plötzlich damit zutun? Naja, eine blöde Frage aber so wie sie rüberkam war sie nicht gemeint. Zayn barg das Gesicht in den Händen.

„Nur, damit ich meine Rache bekomme hat sie bei Ezechiel darauf bestanden, dass ich mit ihm zusammenarbeite. Was soll ich davon halten?“

„Du willst also noch immer Rache?“, sagte ich leise und ließ mich ebenfalls nieder. Er nickte und sah mich mit gesenktem Blick an.

„In all den Jahren hat sich nichts daran geändert, Lucifer.“, erwiderte er verbittert. Ein Lächeln umspielte meine Mundwinkel.

„Es ist nicht meine Art so mit dir, oder jemand anderem, zu sprechen, Zayn aber die Kleine mag dich wirklich. Sie will nicht das du leidest, wahrscheinlich will sie deswegen diesen Weg gehen.

Du beschützt sie aber sie beschützt auch dich. Schon von Anfang an.“

Etwas in seinen Augen blitzte auf, doch auch diese Worte konnten ihn nicht aufheitern.

„Du hast wohl recht.“, murmelte er und erhob sich. „Ezechiel und wir haben noch nicht darüber gesprochen wie wir nun vorgehen wollen aber ich melde mich, sollte es erwähnenswertes geben.“

Ich nickte und beobachtete, wie er verschwand.

 

24

 

Als ich aufwachte lag Zayn nicht mehr neben mir, doch ich konnte noch immer spüren wie er mich die ganze Zeit über im Arm gehalten hatte. Mir gelang ein Lächeln. Völlig egal was auch passieren würde, einige Dinge würden sich nie ändern. Mein Schlaf war traumlos gewesen, ich fühlte mich erholt und ausgeruht. Ich hätte mit Zayn Kontakt aufnehmen können um herauszufinden wo er sich befand, doch ich tat es nicht. Höchstwahrscheinlich war er wieder bei Lucifer um zu berichten, was alles passiert war. Sollte mir recht sein. Wenn wir Hilfe bräuchten hätten wir die sicher auch bekommen, und zwar vom Teufel höchstpersönlich. Gähnend streckte ich mich, dann erhob ich mich aus dem Bett und suchte alle meine Sachen zusammen. Zayn war nicht da, ich wäre also fähig genug mich nun voll und ganz auf Ezechiel zu konzentrieren. Zayn lenkte mich nur ab. Genau genommen tat er das immer, nur ließ ich mir es nicht anmerken. So hoffte ich zumindest... Es dauerte eine halbe Stunde ehe ich frisch geduscht, angezogen und geschminkt war. Zuversichtlich machte ich mich auf den Weg zu Ezechiel. Wo dieser war wusste ich nicht, doch ich würde ihn schon finden. Es wurde Zeit das ich herausfand, was es mit seiner Existenz auf sich hatte. Es dauerte nochmals eine dreiviertel Stunde bis ich ihn gefunden hatte. Er saß in einem großen Raum an einem Tisch und genehmigte sich eine Tasse Tee. Der ganze Raum machte auf mich den Eindruck, als sei es eine Küche. Allerdings sah es nicht so aus wie eine...Naja, nicht vollständig zumindest. Ich setzte mich zu ihm an den Tisch und musterte ihn. Seine Augen waren wieder trübe, an sich machte er mir aber einen sehr munteren Eindruck. Und das, obwohl es noch so früh war. Sicher hatte er mich bemerkt, doch er schwieg.

„Wo ist dein kleiner Freund?“, fragte er nach einigen Minuten, sah mich aber nicht an. Ich neigte den Kopf.

„Nicht hier.“, erwiderte ich kalt. Schlagartig hob er den Blick, worauf ich nicht verhindern konnte das meine Mundwinkel zuckten.

„Wer weiß. Er treibt sich öfter bei einigen alten Kameraden herum.“, antwortete ich dann freundlich und musterte ihn. Dachte er etwa, Zayn könnte versuchen ihn hinters Licht zu führen?

„Ihr zwei müsst euch ganz schön zusammen reißen um euch nicht an die Gurgel zu gehen, habe ich recht?“

Ich war leiser geworden und noch aufmerksamer. Jede noch so kleinste Regung von ihm könnte ein Zeichen sein. Ich öffnete meine mentalen Schleusen, achtete aber darauf mein Bewusstsein für ihn nicht zugänglich zu machen. Vielleicht empfing ich ja einiges, ohne mich groß anstrengen zu müssen? Er nickte schwach.

„Kann es sein, dass er mir meine Reue nicht abnimmt?“, fragte er. Ich gab zu, mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. Offensichtlich machte ihn das Ganze genauso nachdenklich wie Zayn. Ich zuckte mit den Schultern und sah ihn entschuldigend an.

„Er hat so seine Probleme, was Vertrauen betrifft. Nimm es ihm nicht übel.“

Seufzend lehnte er sich zurück. Sein Blick ging ins Leere und ich musste feststellen, dass er so verdammt verletzlich aussah. Doch vielleicht täuschte das auch einfach nur.

„Ich kann ihn ja verstehen. Aus Rache so viele Menschen zu töten war nicht klug aber auch Zayn kennt dieses Gefühl. Diese Hilflosigkeit...“

Sein Blick richtete sich auf mich und mit einem mal waren seine Augen klar. Aufmerksam betrachtete er mich und es schien, als würde er in meinem Gesicht nach einer Antwort suchen.

„Warum veruteilst du mich nicht, Nyria? So, wie alle anderen es auch tun? Und warum misstraust du mir nicht, so wie Zayn?“

„Von mir kriegt jeder eine Chance, Ezechiel. Bisher hast du mir keinen Grund geliefert dir zu misstrauen und ich hoffe, dies bleibt auch so.“

Nachdenklich starrten wir uns gegenseitig an.

„Du kennst es gar nicht anders, oder? Bisher haben dir alle misstraut.“, sagte ich dann. Überrascht hoben sich seine Brauen.

„Du bist ziemlich sensibel und hast sehr viel Einfühlungsvermögen dafür, dass du immer so kalt tust.“

Ein schwaches Lächeln umspielte meine Mundwinkel.

„Beurteile ein Buch niemals nach seinem Einband.“, sagte ich lediglich. Wieder sah Ezechiel mich nachdenklich an, dann seufzte er.

„Du hast Recht, man hat mir bisher immer misstraut. Das Zayn und du euch einfach so auf mich eingelassen habt, überrascht mich wirklich!“

Erneut zeigte ich ein schmallipiges Lächeln.

„Nach allem was ich über dich gehört habe sollte ich dir aus dem Weg gehen aber wie du siehst, mache ich mir da nichts draus. Sag, darf ich dir eine Frage stellen?“

„Nur zu.“, erwiderte er mit zusammengekniffenen Augen.

„Wie verlief dein Leben? Deine Kindheit? Wie bist du aufgewachsen?“

Okay, mit dieser Frage hatte er offensichtlich überhaupt nicht gerechnet, ich sah es ihm an.

„Warum interessiert dich das?“, wollte er misstrauisch wissen. Lächelnd zuckte ich mit den Schultern.

„Du bist mein Vorfahre, ich wüsste gerne mehr über dich und dein Leben.“

Er schien sich mit meiner Eklärung zufrieden zu geben und lehnte sich seufzend zurück.

„Da gibt es nicht sonderlich viel zu erzählen. Meine Eltern gehörten beide dem Orden der Erzengel an. Sie haben mir nie sonderlich viel Beachtung geschenkt, doch irgendwann war mir das egal. Ich habe meine Ziele verfolgt und schon als kleines Kind wollte ich irgendwann den Platz meiner Eltern einnehmen. Das ist mir dann auch gelungen.“

Zugegeben, ein wenig mehr hatte ich mir schon erhofft, doch ich war zufrieden. Und ich war überrascht. Ezechiel hatte in seiner Kindheit ebenfalls nicht viel Aufmerksamkeit abbekommen.

„Du und Zayn seid euch ähnlich, bist du dir dessen bewusst?“, sagte ich leise und sah ihn eindringlich an. Mal wieder war sein Blick trübe. Er wollte es sich nicht anmerken lassen, doch ich wusste ganz genau das er noch immer über Vergangenes nachdachte.

„Wie kommst du darauf? Wir sind beide völlig unterschiedlich.“, erwiderte er nun ein wenig grantig. Hatte ich ihn damit etwa verärgert? Völlig egal.

„Du musstest dich scheinbar alleine durchschlagen, so wie dein Bruder auch. Ihr habt euch beide von nichts abbringen lassen und seid euren Weg gegangen. Wenn auch den Falschen.“

Meine Erklärung stimmte ihn wütend, denn so sah er mich auch an.

„Du hast ja keine Ahnung!“, knurrte er und erhob sich mit Schwung. Nachdenklich sah ich zu ihm auf.

„Da irrst du dich.“, sagte ich leise und schloss die Augen.

Ich warf einen Blick in sein Innerstes. Es schien dieses Mal viel zugänglicher zu sein, als das letzte Mal. Ich sah den Ärger und den Frust darüber, dass er mir, einem Kind nicht glauben vermochte wie viel Ahnung ich in Wahrheit doch hatte. Es schmerzte ihn noch immer das er damals alleine gewesen war und zu gerne hätte er sich einen Freund gewünscht. Jemanden, wie Zayn. Doch ihm war schon damals klar gewesen das eine Freundschaft nicht in Betracht käme. Unter Erzengeln gab es keine Freundschaft. Weder damals, noch heute. Daran würde sich nichts ändern, das hatte auch ich begriffen. Doch die beiden waren keine Erzengel mehr. Und wenn es doch sehr unwahrscheinlich war bestand dennoch die Möglichkeit, dass die beiden sich eines Tages miteinander anfreunden würden. Wenn sich denn nicht herausstellen würde, dass Ezechiel doch unser Feind war.

„Tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“, entschuldigte ich mich nun. Vielleicht würde mein Vorfahre sich ja wieder beruhigen und wir könnten das Gespräch fortführen? Mit einem leisen Knurren ließ er sich tatsächlich wieder nieder. Ich glaube Zayn und ich hatten ihn völlig falsch eingeschätzt. Nun, mit dem Wissen das er eigentlich kein schlechter oder gar böser Mann war, könnten wir ihn anders behandeln. Insbesondere ich.

„Du hast mich oft in meinem Leben beobachtet, stimmt's? Warum?“, wechselte ich nun das Thema. Eine Weile starrte er mich einfach nur an, dann veränderte sich sein Blick. Da ich den aber nicht deuten konnte wagte ich es erneut, sein Innerstes auszukunden. Aufrichtigkeit war wieder zu erkennen, sehr deutlich keit und...Reue? Das er die Empfand war mir nicht neu, doch warum ausgerechnet jetzt? Bereute er es etwa, mich nicht aus den Augen gelassen zu haben?

„Willst du das wirklich wissen?“, sagte er leise, worauf sich Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete.

„Ja.“, sagte ich kalt. Ich hatte schon eine gewisse Ahnung. Seufzend stützte er seinen Kopf auf der Hand ab. Dabei sah er mich herausfordernd an.

„Ich dachte, ich könnte mir deine Kräfte zu Nutze machen. Dazu musste ich aber erst einmal herausfinden, ob du überhaupt welche hast. Wenn du es genau wissen willst, ich habe meine Meinung inzwischen geändert. Wir arbeiten zusammen, da brauche ich mir keine Gedanken mehr darüber zu machen. Und ich habe gemerkt das es keinen Sinn hat dich deiner Kräfte zu berauben.“

Er wollte mir meine Kräfte rauben? Gut, dass er sich das anders überlegt hatte, sonst wäre ich jetzt aufgesprungen.

„Und? Was weißt du über meine Kräfte?“, fragte ich lässig und ließ den Rest außer Acht. Vielleicht würde er glauben, dass mir das egal war?

„Das ist das Problem.“, erwiderte er genervt. „Ich weiß, dass du welche besitzt aber mehr auch nicht. Du willst ja nicht mit der Sprache herausrücken.“

Ich schmunzelte. Selbst eine ehemaliger Erzengel besaß kindliche Neugierde.

„Was hältst du von einem kleinen Kampf? Nur so zum Spaß. Dann kommst du in den Genuss meiner Talente.“

Für Sekundenbruchteile entglitten ihm die Gesichtszüge, doch er hatte sich schnell wieder gefasst.

„Ist das dein Ernst?“, murmelte er und musterte mich von oben bis unten. Meine Güte, hielt er mich wirklich für so schwach? Na, so hatte ich wenigstens den Überraschungsmoment auf meiner Seite. Ich lachte leise.

„Und wie das mein Ernst ist. Also was ist? Hast du Lust?“

Plötzlich konnte auch er ein Lachen nicht unterdrücken. Er erhob sich und wies mit dem Arm auf die Tür.

„Ladys first.“

 

Grübelnd machte ich mich auf den Rückweg. Das kurze Gespräch mit Lucifer hatte mich nachdenklich gemacht. Schon seit unserer ersten Begegnung hatte Nyria mich geschützt, daran hatte sich nichts geändert. Lucifer musste recht habe, sie tat dies alles für mich. Nur, damit ich das bekam was ich wollte. Nämlich Rache. Ob ich das gut finden sollte? Ich liebte sie für ihre Fürsorge. Ich wusste, dass sie alles für mich tun würde aber das sie sich dabei ohne zu zögern in Gefahr begeben würde, gefiel mir ganz und gar nicht! Ich würde es nicht schaffen sie von diesem Verhalten abzuhalten also hatte es keinen Sinn mir ihr darüber zu sprechen. Ich schlenderte langsam zur Unterkunft von Ezechiel. Dort angekommen konnte ich aber weder Nyria, noch Ezechiel finden. Bis ich im Außenbereich, dem Garten, Kampfgeräusche hörte. Panisch lief ich los. Draußen angekommen musste ich mit Schrecken feststellen, dass Nyria und Ezechiel gegeneinander kämpften. Für einen Moment konnte ich mich nicht rühren. Ezechiel stürzte sich gnadenlos auf mein Mädchen, mit glühenden Händen. Seine brutale Kampfart sorgte dafür, dass ich überrascht reagierte als Nyria plötzlich lachend zur Seite sprang. Im ersten Moment machte ich mir keine Gedanken über ihr ausgelassenes Lachen.

„Ezechiel!“, brüllte ich lautstark, worauf mein Bruder augenblicklich herumwirbelte. Nicht nur in seinen Händen loderte Feuer, sondern auch in seinen Augen. Ich war bereits dabei mich auf ihn zu stürzen, als sich mit Nyria plötzlich in den Weg stellte.

„Zayn, nicht.“, hauchte sie und schloss die Arme um mich. Perplex ließ ich es geschehen. Was passierte hier gerade? Ich sagte nichts, sah lediglich zwischen Nyria und Ezechiel hin und her.

„Das ist nur ein Spaß.“, sagte das Mädchen vor mir leise und eindringlich. Nur langsam gab ich meine Angriffshaltung auf.

„Sie hat einen Kampf vorgeschlagen, nur so aus Spaß.“, sagte nun auch mein Bruder.

Nur leider empfand ich dies nicht als Spaß. Ich musterte die beiden nun genauer. Nyria wies tatsächlich einige Kratzer und Quetschungen auf und auch ihre Kleidung hatte an einigen Stellen gelitten. Ihr Haar wirkte ein wenig zerzaust und ihre Hände wiesen ziemlich übel aussehende Abschürfungen auf. Dann glitt mein Blick zu Ezechiel. Auch ihm konnte man ansehen, wie gefährlich dieser Kampf wirklich gewesen war. Auch seine Gewänder hawtten einiges aushalten müssen. Sein Körper wies mehrere Verbrennungen auf und auch Platzwunden konnte ich ausmachen. Dann fiel mir seine linke Hand auf. Sah aus, als hätte sie ihm ein paar Knochen gebrochen. Du hast ganze Arbeit geleistet., sandte ich in Gedanken aus, worauf Nyria mich für einen kurzen Moment angrinste. Dann wurde sie wieder ernst. Und die eben einen gehörigen Schrecken eingejagt., stellte sie fest, nachdem sie einen kurzen Blick auf mein Befinden geworfen hatte. Ich nickte zwar, doch besagter Schrecken war schon längst wieder verflogen.

Hat er dich ernthaft verletzt?, hakte ich nun besorgt nach. Sie lachte.

Wie du siehst, geht es mir gut.

Unser Gespräch in Gedanken wurde jäh unterbrochen.

„Hast du ihr das Kämpfen beigebracht?“, meldete Ezechiel sich nun zu Wort.

„Nur einen kleinen Teil. Das meiste hat sie sich selbst beigebracht.“, war meine ehrliche Antwort. Mit einem bwundernden Blick sah er Nyria an.

„Ich gebe zu, mit solch einer Macht habe ich nicht gerechnet. Und das werden unsere Brüder auch nicht.“, murmelte er nachdenklich. Schützend legte ich meine Arme um Nyria.

„Sie ist noch lange nicht so weit, um gegen unsere Brüder zu kämpfen. Sie hat noch ein paar Trainingseinheiten vor sich.“, knurrte ich. Lächelnd schmiegte Nyria sich an mich.

„Mach dir keine Sirgen, Zayn. Ich bin kein kleines Mädchen mehr.“, hauchte sie.

„Doch, genau das bist du.“, murmelte ich.

„Sie schafft das schon, Zayn. Und nun entschuldigt mich, ich zieh mir wohl besser was anderes an.“

Lachend verschwand Ezechiel wieder nach drinnen. Ich sah ihm nach.

„So fertig habe ich ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Was hast du mit ihm angestellt?“, sagte ich nachdenklich und sah wieder auf die junge Frau herab. Sie zuckte lächelnd mit den Schultern.

„Dasselbe wie mit dir, wenn wir trainieren.“

Ungläubig zog ich die Brauen hoch.

„Dann hältst du dich bei mir aber ganz schön zurück.“

„Erwischt.“, kicherte sie, doch ich konnte nicht anders als ernst zu bleiben. Entschuldigend sah sie erst zu mir auf, dann senkte sie den Blick.

„Ich hab einfach Angst dich zu verletzen, bei Ezechiel konnte ich alles ausspielen. Sei nicht sauer, okay?“

Sie klang wie ein kleines Kind, weshalb ich ein Lachen nicht verhindern konnte.

„Wie könnte ich? Du willst mich ja nur schützen. Das habe ich zwar nicht nötig aber ich danke dir trotzdem dafür!“

Ich legte den Arm um sie und führte sie nach drinnen, wo ich auch gleich um einiges leiser wurde.

„So, während ich mich jetzt um deine Verletzungen kümmere erzählst du mir, was während meiner Abwesenheit alles passiert ist.“

 

Zischend atmete ich aus. Die Kleine hatte tatsächlich eine meiner Nieren zerquetscht! Keine Ahnung wie sie das gemacht hatte aber es war ihr durchaus gelungen, mich fertig zu machen. Sie war weitaus mächtiger, als ich bisher angenommen hatte. Das würde sicher nicht zum Problem werden. Wir hatten Zayn sicher einen gehörigen Schrecken eingejagt, allerdings schien es ihn kein bisschen überrascht zu haben, dass ich so heruntergekommen aussah. Nyria hatte im Vergleich zu mir sogar noch richtig vornehm ausgesehen. Wie kam es das sie so mächtig war, ihre Vorgänger aber nicht? Lag es tatsächlich daran, dass sie eine Frau war? Oder war es bloß Zufall? Ich schüttelte den Kopf. Warum machte ich mir eigentlich Gedanken darüber? War es nicht egal? Während meine Wunden sich von selbst regenerierten, wusch ich mich und zog mich an. Ich musste an das Gespräch denken, dass Nyria und ich miteinander geführt hatten. Nie hatte es jemand gewagt mich nach meiner Kindheit zu fragen, geschweige sich überhaupt dafür interessiert. Immer wenn ich sie beobachtet hatte war ich einem kalten und herzlosen Mädchen begegnet, nun war davon nichts mehr zu sehen. Sie hatte scheinbar viele Gesichter. Im Kampf hatte sie sich erst zurückgehalten und sehr scheu gewirkt, doch von einer Sekunde auf die andere war ihre Art zu kämpfen brutal geworden. Sie wollte ihrem Feind klar machen, dass sie von Angst bestimmt und unerfahren war. Schnell fiel man auf diese Masche herein, doch gerade wenn man um Angriff übergehen wollte, zeigte sie ihr wahres Gesicht. Nein, schwach und hilflos war sie nun wirklich nicht. Ich lächelte. Nicht zu fassen aber ich fing tatsächlich an, dieses Kind zu mögen!

 

25

 

Zayn hatte zwar gesagt er wolle sich um meine Wunden kümmern, doch nun glitten seine Hände an Stellen, die alles andere als geschunden waren.

„Würdest du dich mal konzentrieren?“, murmelte ich und versuchte, seine Hand abzuschütteln. Er lachte leise.

„Konzentrieren? Wo du doch nackt vor mir stehst? Der Kampf scheint dir doch zugesetzt zu haben.“

Ich schob die Unterlippe vor und schmollte. Mit einem Lachen drückte er mir einen Kuss auf die Hüfte.

„Nun halt still. Der Schnitt an deinem Oberschenkel ist ziemlich tief.“

Ich tat wie mir geheißen und hielt still, damit er sich um diese Verletzung kümmern konnte.

„Ezechiels Eltern gehörten beide dem Orden der Erzengel an.“, verkündete ich nach kurzem Schweigen. Für einen Moment hielten seine Hände inne.

„Du hast also mit ihm gesprochen?“

Kurz sah er zu mir auf, worauf ich nickte.

„Allerdings. Du wusstest also nicht, welchen Rang seine Eltern hatten?“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein. Aber das seine Eltern beide Erzengel waren erklärt so einiges. Er hat nicht viel Aufmerksamkeit gekriegt, stimmt's?“

Scharfsinig wie eh und je.

„So sieht es aus.“, antwortete ich. „Ihr seid euch ein wenig ähnlich aber ihm schien das nicht zu gefallen, dewegen habe ich das Thema gewechselt. Er...wollte mir die Kräfte rauben aber aus einem unbekannten Grund hat er seine Meinung geändert.“

Ich konnte Zayns Blick zwar nicht deuten, doch ich wusste das er geschockt war. Klar, er hatte geahnt das Ezechiel böse Absichten hegte aber das er mich meiner Kräfte berauben wollte? Das war dann doch ein anderes Kaliber.

„Bist du sicher?“, fragte er leise. Ich nickte wieder.

„Ich habe während unseres Gespräches immer mal wieder in ihn hinein geschaut. Er hat immer die Wahrheit gesagt. Du kannst ja auch noch mal mit ihm sprechen, wenn du willst.“, schlug ich vor.

„Ach, und worüber? Hey, Nyria hat mit erzählt das du es auf ihre Kräfte abgesehen hattest?“

Bei seinem Tonfall hätte ich am liebsten mit dem Kopf geschüttelt.

„Ich meine es ernst, Zayn. Du bist doch wohl in der Lage ein ernstes Gespräch mit ihm zu führen. Ich glaube, er hat sich geändert, so wie du auch. Gib ihm eine Chance und redet mal miteinander. Vielleicht kommt ja was Gutes dabei heraus?“

Ich sah deutlich das er daran zweifelte, doch probieren ging ja bekanntlich über studieren.

„Zayn, ich bitte dich. Was spricht dagegen?“

„Nyria, er hat...“

Er stockte und schüttelte irritiert den Kopf, dann entspannte er sich und sah liebevoll zu mir auf.

„Ich vertraue dir, Liebes. Und wenn du denkst, dass uns ein Gespräch weiterbringt, dann werde ich mit ihm sprechen.“

Da er vor mir kniete ging auch ich in die Hocke, damit ich ihn küssen konnte.

„Du wirst schon sehen, Zayn. Eines Tages liegen wir beide im Bett, und zwar ohne uns Gednaken über irgendetwas machen zu müssen.“, hauchte ich, worauf er sein Gesicht an meinem Hals barg. Deutlich konnte ich seine Unsicherheit und Angst spüren, doch ich drückte ihm einen Kuss auf die Stirn worauf ihm auch schon wieder ein Lächeln gelang.

 

Betrübt betrachtete ich mein schlafendes Mädchen. Sie war scheinbar überzeugt davon, dass wir irgendwann ein ruhiges Leben führen würden, doch überzeugt war ich davon nicht. Es gab so vieles was uns Probleme bereiten könnte, es musste zwar nicht alles eintreffen aber wer weiß. Ich drückte Nyria einen Kuss auf den Scheitel, worauf sie sich zufrieden an mich kuschelte. Doch so sehr mir das auch gefiel, sie brauchte den Schlaf und ich hatte noch ein Gespräch zu führen. Leise seufzend schob ich sie von mir, um mich dann aus dem Bett zu stehlen. Einen Augenblick lang verharrte ich noch im Zimmer. Obwohl ich nun nicht mehr bei der Kleinen im Bett lag schlief sie seelenruhig weiter. Ich lächelte. Sah ganz so aus, als hätte sie keine Alpträume mehr. Statt sich an mich zu kuscheln musste nun ein Kissen herhalten. Und bevor ich sie mit meinem Lachen aufweckte, verließ ich besser das Zimmer. Von einer Sekunde auf die andere nachdenklich machte ich mich auf die Suche nach Ezechiel. Vielleicht hatte Nyria recht und mein Bruder und ich hatten einiges zu bereinigen? Ezechiel hatte sich für sein Handeln entschuldigt, vielleicht sollte auch ich mich entschuldigen. Für meinen Stolz und meinen Hochmut. Und meine Sturheit. Vor mich hingrüeldn lief ich plötzlich in jemanden hinein. Ich hob den Kopf und blickte in die leeren Augen meines Bruders.

„Ah, dich habe ich gesucht.“, murmelte ich, worauf Ezechiel irritiert die Brauen hochzog.

„Täusche ich mich oder bist du auf ein Gespräch aus?“, erwiderte er ruhig und gelassen. Auf mein Nicken hin deutete er auf eine Tür am Ende des Flurs.

„Bitte.“, sagte er lediglich und ich folgte ihm. In der Art Wohnzimmer angekommen ließen wir uns beide auf dem Sofa nieder.

„Vielleicht sollten wir mal Klartext miteinander reden.“, begann ich zögernd. Ich rieb mir die Hände. Diese Situation gefiel mir nicht, doch ich musste mich wohl oder übel darauf einlassen.

„Hat Nyria dich dazu überredet?“, unterbrach Ezechiel mich auch schon.

„Ja.“, antwortete ich und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. „Aber sie hat gar nicht mal so Unrecht. Wir sollten wohl alles miteinander klären.“

Auf meine Worte hin machte Ezechiel den Anfang, worüber ich ganz froh war.

„Meine Entschuldigung war ernst gemeint, Bruder. Hätte ich nicht solchen Mist in der Vergangenheit gemacht, hätte ich ein ruhiges Leben führen können. Doch meine Rache möchte ich auch heute noch. Mir ist klar geworden, wie stoisch wir als Erzengel doch waren und unsere Brüder sind es immer noch. Ich würde gerne etwas daran ändern und ich glaube durchaus, dass dies mit dir und Nyria gelingt.“

Ich musterte ihn, ehe ich antwortete.

„So ehrlich waren wir wohl nie zueinander. Aber du hast recht, es muss einen Weg geben die Hierarchie der Erzengel zu verändern. Ihre Methoden sind seid unserer Verbannung verdammt gefährlich geworden.“

Wieder zögerte ich, dieses Mal mittendrin.

„Ich sollte mich wohl entschuldigen.“, sagte ich nun. „Ich hätte dir damals ruhig helfen können.“

Ezechiel winkte überraschend ab.

„Ach, vergeben und vergessen. Sich unter Erzengeln zu helfen war damals genauso fremd und ungewöhnlich wie heute. Wir sollten uns über Kommendes Gedanken machen anstatt über Vergangenes, Bruder.“

Meine Mundwinkel zuckten.

„Sieht ganz so aus, als könnten wir wohl doch noch so etwas wie Freunde werden.“, murmelte ich, worauf auch Ezechiel lächelnd nickte.

„Dann wäre alles bereinigt?“, hakte ich nach. Nun gelang mir sogar ein Lachen. Mein Bruder nickte.

„Ich denke schon.“

Plötzlich fing er an zu lachen.

„Dein Mädchen hat übrigens Talent. Sie hat doch tatsächlich eine meiner Nieren zerquetscht. Ich nehme an, das hast du ihr nicht beigebracht?“

Ich glaubte fast ich hätte mich verhört, doch sein ernster Tonfall machte mir klar, dass seine Worte keinesfalls gelogen waren.

„Wenn sie das ohne Probleme schafft, scheint sie sich bei mir ganz schön zurück zu halten.“, murmelte ich, teilweise geschockt. Das sie mithilfe ihrer Gedanken so einiges anstellen konnte war mir klar gewesen, doch reichte dies tatsächlich so weit? Oder hatte sie einen anderen Weg gefunden ihn so schwer zu verletzen?

„Ihr kämpft miteinander?“, werde ich von meinem Bruder aus den Gedanken gerissen. Geistesabwesend nickte ich.

„Ja, aber wir betrachten es beide als Training.“

Ezechiel lächelte und ich musste feststellen, dass ich solch ein Lächeln noch nie bei ihm gesehen hatte.

„Ich bin neugierig. Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?“, fragte er. Seufzend vergrub ich das Gesicht in den Händen.

„Erinner mich nicht daran. Nach einem Kampf habe ich mich in einer Seitengasse nieder gelassen, in der sie mit einer Freundin vorbei kam. Und anstatt einen gesuchten Verbrecher der Polizei zu helfen, hilft sie ihm auch noch!“

Plötzlich brach der Mann neben mir in lautes Gelächter aus.

„Du hast dir helfen lassen? Das ist ja mal was ganz Neues!“, lachte er. Ich zuckte mit den Schultern.

„Tja. Ich war eigentlich nicht damit einverstanden aber sie hatte irgendetwas an sich, dass mich fasziniert hat.“

Ein unbeschreibliches Funkeln trat in seine Augen.

„Du hast echt was für die Kleine übrig, oder?“

Ich biss mir auf die Zunge. Sah man mir das so deutlich an? Irgendwie ärgerte mich das.

„Ist das so offensichtlich?“, erwiderte ich ausweichend. Lächelnd nickte mein Bruder.

„Na sag schon, läuft da was zwischen euch?“, wollte er neugierig wissen. Ich zuckte mit den Schultern.

„Schätze schon.“, gab ich kleinlaut zu, worauf sein Lächeln breiter wurde.

„Das war mir klar.“, witzelte er und lehnte sich zurück. Nun packte auch mich die Neugierde. Interessiert beugte ich mich vor.

„Sag mal, wer war eigentlich die Frau die deinen Sohn geboren hat?“

Er blieb ernst, lächelte aber dann und schien in Erinnerungen zu schwelgen.

„Sie war eine wunderhübsche Frau aber irgendwann hat sie das Alter eingeholt. Mich würde interessieren wie das bei Nyria aussieht. Glaubst du sie wird so schnell altern, wie die Menschen?“

Für einen kurzen Moment bereitete mir das auch Sorgen. Was, wenn sie tatsächlich so schnell alterte wie die Menschen? War es dann nicht ein Fehler sich in sie verliebt zu haben? Es deprimierte mich, darauf keine Antwort zu haben. Und Ezechiel wusste es auch nicht. Scheinbar konnte er mir ansehen, dass ich mir nicht gerne Gedanken darüber machte, denn er fuhr fort.

„Sie war klug und wunderschön und deswegen habe ich sie geliebt. Aber ich musste sie gehen lassen. Hoffen wir, dass du Nyria behalten kannst.“

Schweigend saßen wir uns nun gegenüber, bis sich plötzlich ein warmer Körper auf meinen Schoß schmiss. Lachend sah Nyria zu mir auf.

„Warum so betrübt?“, fragte sie und sah von mir zu Ezechiel und wieder zurück. Ich konnte nicht antworten, zu sehr zerbrach ich mir nun darüber den Kopf.

„Wieso bist du schon auf?“, fragte ich stattdessen geistesabwesend.

„Weil du mich alleine gelassen hast.“, sagte sie lachend. Mein Bruder zog die Brauchen hoch, doch an seinen Augen konnte ich erkennen das auch er sich Gedanken darüber machte.

„Jungs?“

Nyria wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum, bis ich sie packte und nieder drückte.

„Ich nicht so wichtig, okay?“, brummte ich, worauf sich ihr Gesichtsausdruck veränderte. Schnollend gab sie Ruhe. Ob sie mich später drauf ansprechen würde? Wahrscheinlich. Statt etwas zu sagen kuschelte sie sich also an mich, worauf ich ihr übers Haar strich.

„Nyria, sei so nett und kläre mich über deine Fähigkeiten auf.“, meldete Ezechiel sich wieder zu Wort. Sie zögerte einen Augenblick, dann aber sah sie meinem Bruder selbstbewusst in die Augen.

„Ich kann schwarzes Feuer kontrollieren und bündeln, bin Emphatin, kann Leute in ihrem Denken und Handeln beeinflussen und beherrsche die Elemente.“

Sprachlos blinzelte Ezechiel, dann sah er mich an.

„Ich wollte es auch erst nicht glauben.“, sagte ich leise. „Aber sie kann all das wirklich. Sie hat es mir mehr als einmal deutlich demonstriert.“

Kichernd drückte mir Nyria einen Kuss auf die Wange.

„Bei dir werd ich's nie wieder machen, versprochen!“, flüsterte sie mir ins Ohr und rollte sich auf meinem Schoß zusammen. Ich holte tief Luft und richtete meinen Blick wieder auf meinen Bruder.

„Glaubst du, Lucifer kann uns etwas zum Alterungsprozess sagen?“, fragte ich leise. Ezechiels Pupillen weiteten sich noch ein Stückchen mehr.

„Lucifer? Der Hölenfürst? Ich dachte, mit dem hast du nichts mehr zu tun?“, kam es irritiert zurück. Nyria blickte auf.

„Wir sind so etwa wie Freunde geworden. Er hat uns ein paar Mal geholfen.“, beantwortete sie seine Frage.

Glaubst du es war gut, ihm davon zu erzählen?, meldete sie sich in meinen Gedanken zu Wort.

Ich weiß es nicht. Aber ich glaube du hast Recht und wir können ihm vertrauen., war meine unsichere Antwort. Dann kam mir ein gefährlicher Gedanke.

Vielleichten sollten wir die beiden einfach miteinander bekannt machen?, schlug ich vor.

Ich spürte, wie sich ihr Körper auf meinem Schoß versteifte.

Ich halte das für keine gute Idee. Aber wenn wir vorher mir Lucifer darüber sprechen, dürfte es keine Probleme geben. Soll ich mit ihm sprechen?

Überrascht sah ich sie an. Nebenbei fragte ich mich, ob mein Bruder wohl etwas von unserem Gespräch mitbekam.

Du willst das übernehmen?

Sie nickte leicht, worauf ich seufzte.

Dann, bitte.

Ich beendete das Gespräch, worauf Nyria sich ohne zu zögern von meinem Schoß erhob.

„Bist später, Jungs.“, sagte sie fröhlich und winkte noch, ehe sie um die Ecke verschwand. Zurück blieben mein perplexer Bruder und ich.

 

Gelangweilt betrachtete ich meine Fingernägel weshalb es eine Weile dauerte, bis ich die Gestalt bemerkte die vor meinem Thron stand. Ein wenig irritiert hob ich den Kopf. Mein Blick begenete dem von Nyria. Nun war ich überrascht.

„Was machst du denn hier?“, stieß ich hervor. Sie lächelte.

„Hast du Zeit?“, fragte sie höflich. Ich konnte nicht anders als ebenfalls zu lächeln. Irgendwie war das ansteckend.

„Für dich immer doch, Kleine.“, lachte ich und erhob mich von meinem Thron.

„Schleimer.“, sagte sie lachend und folgte mir in den Raum für Besprechungen. Es dauerte fünf Minuten, dann saßen wir uns in aller Ruhe gegenüber.

„Also, warum bist du hier?“, begann ich nun und verschränkte die Hände ineinander.

„Es geht um Ezechiel.“, erwiderte sie mit undurchdringlicher Miene. Was dachte sie bloß?

„Sag bloß, es gibt Probleme?“, sagte ich grinsend.

Wenn dem so war würde es mich amüsieren aber natürlich wusste ich, wie gefährlich das werden konnte. Erstaunlicherweise schüttelte sie den Kopf.

„Nein, ganz und gar nicht. Aber Zayn ist auf einen Gedanken gekommen, der mir nicht auf Anhieb gefiel.“

Ah, nun hatte sie meine Neugierde geweckt. Fordernd zog ich eine meiner Augenbrauen in die Höhe.

„Zayn will dich und Ezechiel miteinander bekannt machen.“, sagte sie ausdruckslos.

Für einen kurzen Moment entglitten mir die Gesichtszüge.

„Ich dachte eigentlich Zayn misstraut mir. Hat er seine Meinung plötzlich geändert?“, murmelte ich nachdenklich. Sollte mir das Sorgen bereiten? Eigentlich nicht, oder?

„Das ich die einigermaßen vertraue scheint ihm...Halt zu geben. Das ich Emphatin bin scheint für ihn ein Vorteil zu sein.“

Mit einem Mal wirkte das Mädchen nachdenklich.

„Er ist sicher stolz auf dich. Und nun zurück zum eigentlichen Thema. Wie kommt er auf diese Idee?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Noch weiß ich nicht, was er sich davon erhofft. Ich bin hierhergekommen um dich nur Bescheid zu geben. Nicht, dass wenn Ezechiel und du euch erst einmal kennengelernt habt, euch gegen Zayn und mich verschwört!“

Ihr misstrauischer Tonfall ließ mich lachen.

„Keine Sorge, Kleine. Ich mag dich wirklich, auf so einen Gedanken würde ich bei dir nicht kommen.“

Sie schien mir zwar nicht ganz zu glauben, quittierte das Ganze jedoch mit einem Lächeln.

„Also gut, dann sage ich den Jungs Bescheid.“, verkündete sie und drehte sich auch schon um. Doch plötzlich hielt sie inne.

„Da wäre noch etwas.“, murmelte sie und drehte sich zu mir um. „Die beiden haben etwas gemurmelt, von wegen Alterungsprozess und so. Wenn ich mich nicht täusche ging es dabei um mich. Kannst du etwas dazu sagen?“

Meine Stirn legte sich in Falten. Ich hatte in der Tat schon darüber nachgedacht aber mit Sicherheit konnte ich es nicht sagen. Ich musterte sie.

„Genau kann ich es nicht sagen aber ich vermute, du alterst. Zwar nicht ganz so schnell wie normale Menschen aber es passiert. Natürlich gäbe es auch noch andere Möglichkeiten aber dies finde ich am wahrscheinlichsten. Entweder du sagst es den beiden oder ich mache es später selbst.“

Sie nickte noch, dann war sie auch schon fort. Ich hatte schon mehrere Nephilim kennengelernt und sie alle hatten irgendwan aufgehört zu altern. Das dies bei Nyria auch so war blieb unwahrscheinlich. Die Gene Ezechiels waren nur sehr schwach an sie weitergegeben worden, sie war immer noch zum Teil Mensch. Ich würde Zayn und Ezechiel später darauf ansprechen, allerdings nur wenn Nyria nicht dabei war. Nun wieder gelangweilt starrte ich weiter auf meine Finger.

 

„Was beschäftigt Euch?“

Ty musterte Nereus. Sein verkniffener Gesichtsausdruck gefiel Ty ganz und gar nicht.

„Vaher und das Mädchen sind mit Ezechiel gegangen aber ich weiß nicht wohin. Wir müssen sie so schnell wie möglich unschädlich machen, wer weiß was sie planen!“

Ty wollte ihn davon abbringen, genauso wie Fare, doch ihm das auch gelingen würde war eine andere Sache.

„Ich bitte Euch, Nereus! Wir haben sowohl von Ezechiel als auch von Zayn Jahrhunderte lang nichts gehört, wieso sollte sich jetzt etwas daran ändern?“, sagte er vorsichtig. Für seine Worte erntete er einen giftigen Blick von Nereus.

„Warum sonst sollte Ezechiel Kontakt zu Nyria aufgenommen haben? Er muss irgendetwas planen, da bin ich sicher.“

Nereus verbissene Art überraschte Ty immer wieder aufs Neue. Warum war er so versessen darauf? Das er Ezechiel nicht leiden konnte war auch damals schon offensichtlich gewesen, doch da schien noch irgendetwas anderes gewesen zu sein. Aber was? Ty zog sich ohne ein Wort zu sagen zurück. Lucifer hatte ihm einen neuen Auftrag ausgehändigt. Nun hieß es den Erzengel nicht aus den Augen zu lassen. Und was Fare betraf...sie kam auch nicht wirklich weiter. Niemand konnte sagen was in Nereus' Kopf abging. Was plante er? Welchen Gedanken formte er? Und was dachten wohl die anderen Erzengel? Auf dem Weg durch die langen Flure lief er Chest über den Weg. Dieser schien zu merken, dass etwas nicht stimmte.

„Ty, was ist los? Ich sehe doch, dass dich etwas beschäftigt.“

Ty hob den Blick. Eigentlich fand er Chest ganz in Ordnung. Er war der Bodenständigste aus dem Orden, auch wenn er manchmal blöde Sprüche machte.

„Nereus Besessenheit gefällt mir nicht.“, sagte er leise und gab seine Gedanken somit preis. Es wäre wohl besser, wenn er nicht zu viel verriet. Der Erzengel gegenüber neigte den Kopf und wies mit der Hand auf den langen Flur.

„Komm.“, sagte er lediglich und ging voran. Ty fragte sich zwar was er im Schilde führte, folgte ihm aber. Nach wenigen Augenblicken kamen die beide in einem großen und gemütlich aussehenden Zimmer an, in dem sich auch Fare befand und verträumt zur Landschaft nach draußen sah.

„Fare hat bereits so etwas angedeutet. Ich nehme an euch gefällt Nereus Verhalten ganz und gar nicht.“, begann Chest dann das Gespräch und ließ sich in einem Sessel nieder. Nachdenklich verschränkte er die Hände ineinander. Ty nickte und auch Fare wandte sich nun ihrem Bruder zu.

„Stimmt. Er ist total versessen darauf, die drei unschädlich zu machen. Ist in der Vergangenheit irgendetwas vorgefallen?“, erwiderte Ty und lehnte sich gegen den Fensterrahmen. Chests Augen trübten sich ein wenig, doch es fiel nicht sonderlich auf.

„Nicht, dass ich wüsste. Die anderen und ich wussten zwar, dass Nereus Ezechiel und Zayn nie leiden konnte aber das es zwischen den dreien je auffällig geworden ist, ist uns nicht bekannt.“

Fare schüttelte betrübt den Kopf.

„Fast jeder von uns hatte es in seiner Vergangenheit nicht leicht, warum können wir das alles nicht einfach auf sich beruhen lassen? Ich weiß ja, wie gefährlich Ezechiel sein kann aber Nyria ist so ein liebes Mädchen. Sie würde nie auf den Gedanken kommen uns zu schaden, da bin ich mir sicher. Und ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass Ezechiel und Zayn zusammenarbeiten!“

Chest betrachtete die Frau nachdenklich. Er konnte sie verstehen. Wirklich! Aber sie musste lernen die Tatsachen zu akzeptieren. Auch wenn sie es nicht wahr haben wollte, Zayn und Nyria könnten ebenfalls zu Feinden werden, so wie Ezechiel auch. Die Frau bemerkte den Blick ihres Bruders und seufzte leise.

„Ich sehe ja ein, dass Ezechiel...unschädlich gemacht werden muss und ich muss wohl akzeptieren, dass wir ihn töten. Aber bei den anderen beiden kann und werde ich das nicht hinnehmen!“

Chest erhob sich, ohne ein Geräusch zu verursachen. Er bewunderte Fare, das tat er schon lange, allein schon für ihre ganze Art, aber sie war dennoch naiv. Nichts desto Trotz würden er und die anderen versuchen, es ihr Recht zu machen. Sie alle hatten sie schließlich schon vor Jahrtausenden ins Herz geschlossen. Naja, fast alle.

„Ich werde den anderen sagen, dass wir uns ab sofort alle von Nereus distanzieren. Wir wollen doch nicht, dass er andere mit seinem Wahsinn ansteckt.“

Mit einem Zwinkern verließ er den Raum. Fare und Ty wechselten einen Blick aus. Sah ganz so aus, als würde sich da etwas anbahnen.

 

26

 

Nervös sah ich zwischen Lucifer und Ezechiel hin und her. Sie sahen sich einfach nur an, keiner der beiden sagte etwas.

„Ich hätte nicht gedacht, den ehemaligen Erzengel Ezechiel je kennenzulernen.“, murmelte Lucifer nach einiger Zeit und atmete tief durch. Mein Bruder neigte nachdenklich den Kopf.

„Das beruht auf Gegenseitigkeit. Ist ein ganz schön komisches Gefühl dem Teufel höchstpersönlich gegenüber zu stehen.“

Der Teufel neigte bei seinen Worten den Kopf und warf dabei mir einen Blick zu.

„Dein Bruder zeigt mehr Respekt als deine kleine Freundin damals.“

Ich lachte leise.

„Du hast unter den Menschen eben keinen Ruf, was man bei Erzengeln nicht behaupten kann.“, erwiderte ich, worauf der Mann schnaubte. Dann richtete sich der Blick des Teufels wieder auf meinem Bruder vor ihm.

„Also dann, du planst also mit meinem Todesgott und dessen kleiner Freundin Rache auszuüben.“, murmelte er leise. Zu sehr interessierte es mich, was dieser mächtige Mann wohl dachte. Doch ich konnte seine Gedanken nicht einmal erahnen. Mein Bruder nickte zwar, doch seine Augen verengten sich.

„Stimmt. Aber was interessiert Euch das?“

Nun verdüsterte sich auch Lucifers Gesichtsausdruck.

„Vergiss nicht, mit wem du sprichst. Zayn war einer meiner besten Männer, wie helfen uns gegenseitig. Es steht also in meinem Interesse zu erfahren, mit welchen Geschöpfen er zusammen arbeitet. Jemand wie Euch mag das doch verstehen, oder etwa nicht?“

Seufzend rieb ich mir die Stirn. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, die beiden miteinander bekannt zu machen? Ich befürchtete fast ich würde es bereuen, doch ich würde abwarten müssen. Ezechiel antwortete nicht und auch Lucifer schüttelte nun den Kopf, um dieses Them fallen zu lassen.

„Na ist ja auch egal. Ich bin wirklich gespannt darauf wie diese Gesichte ausgeht aber nun zu etwas anderem. Ihr habt euch über Nyria unterhalten? Ich habe da etwas gehört, was den Alterungsprozess betrifft.“

Ich horchte auf. Hatte Nyria ihm etwa davon erzählt? Nun trat auch ich vor und gesellte mich an die Seite meines Bruders.

„Sie hat es dir erzählt. Das erspart uns wenigstens, dir alles vorzutragen. Was sagst du dazu? Kommt sie den Menschen nahe oder erleben wir vielleicht doch noch eine Überraschung?“, sagte ich und musterte den Teufel. Sein Blick war undurchdringlich geworden und es schien, als würde auch er darüber nachdenken. Nyria hatte wahrscheinlich schon eine Antwort auf diese Worte bekommen aber warum hatte sie mir nichts davon erzählt? Wollte sie selbst erst einmal darüber nachdenken? Lucifer rieb sich das Kinn.

„Ich bin mir nicht sicher. Ich habe einige Nephilim kennengelernt und sie alle haben irgendwann aufgehört zu altern. Allerdings ist Nyria mehr menschlich als unmenschlich, dass das bei ihr auch der Fall ist wage ich zu bezweifeln. Die Zeit wird es zeigen.“

Ich senkte bei seinen Worten den Kopf.

„Du hast wahrscheinlich recht. Überrascht es dich wenn ich sage, dass ich so etwas wie Angst empfinde wenn ich daran denke, dass Nyria vielleicht...“

Ich unterbrach mich selbst. Nein, daran durfte ich nicht denken. Man sah mir sicher auch so an, wie sehr ich bei diesem Gedanken verzweifelte. Lucifers Mundwinkel zuckten als er mich von oben bis unten musterte.

„Nein, das überrascht mich in der Tat nicht.“, murmelte er. Na, das hatte ich mir schon gedacht. Er sagte noch etwas, doch ich hörte schon gar nicht mehr hin. Ich zog mich in mein Innerstes zurück und konzentrierte mich ganz auf die Verbindung zwischen Nyria und mir. So wie sie meine Gefühle lesen konnte, war auch ich in der Lage ihre Gefühle zu spüren und zu erkennen.

Nyria.

Hm?

Als ich ihre Stimme vernahm spannte sich mein Körper an.

Du hast mit Lucifer gesprochen. Warum hast du mir nicht gesagt, welche Vermutung er hat?, dachte ich und schob die Hände in die Hosentaschen. Scheiße, so verletzlich ihretwegen zu sein kotzte mich an! Sie war meine Schwachstelle, doch würde ich etwas daran ändern wollen? Nein, sicher nicht. Sie war diejenige, die mich verändert hatte, dafür wäre ich ihr auf ewig dankbar. In mir blieb es ruhig. Fühlte sie sich ertappt?

I-Ich wollte nicht, dass du dir den Kopf darüber zerbrichst., kam es schließlich von ihr zurück. Ich stieß ein Seufzen aus. Das war zu erwarten gewesen.

„Hey!“

Ein Fingerschnippen vor meinen Augen riss mich zurück. Irritiert sah ich meinen Bruder an, der mich anstarrte.

„Was ist los?“, fragte er. Nun bemerkte ich auch den Blick, mit dem Lucifer mich musterte.

„Nichts.“, murmelte ich schwach.

„Er macht sich Sorgen um sein Mädchen. Du hättest nie mit diesem Thema anfangen dürfen, Ezechiel.“, sagte der Teufel, dessen Mundwinkel noch immer belustigt zuckten. Schnaubend wandte ich mich ab. Wollte er sich darüber lustig machen? Ich fand das nämlich überhaupt nicht witzig. Plötzlich starrte auch Ezechiel Lucifer finster an.

„Mach dich nicht darüber lustig! Ich weiß genau wie er sich jetzt fühlt.“

Mein Bruder verteidigte mich? Das irritierte mich genauso sehr, wie auch den Teufel. Wir beide starrten ihn, unfähig auf nur ein Wort herauszubringen.

„Lass uns gehen.“, sagte mein Bruder dann und sah mich an. Ich nickte lediglich.

 

Lächelnd sah ich den beiden nach, dann trat ich hinter der Ecke hervor.

„Damit hätte ich nicht gerechnet.“, murmelte Lucifer, worauf ich mich ihm näherte.

„Damit, das er Zayn verteidigen würde hätte ich auch nicht gerechnet aber du musst wissen, dass Ezechiels Frau damals...auch ihrem Alter erlag.“

Nachdem ich diese Worte ausgesprochen hatte, starrte der Mann mir gegenüber mich seltsam an.

„Als Zayn gerade so abwesend war, habt ihr in Gedanken miteinander gesprochen, nicht wahr?“, murmelte er dann, worauf ich lediglich nickte.

„Warum hast du es ihm nicht gesagt?“, fragte er dann und musterte mich eingehend. Was an mir verwirrte ihn denn so? Wieso sah er mich so an?

„Weil er sich nur noch mehr den Kopf darüber zerbrochen hätte. Aber das macht er ja sowieso schon. Was hältst du von Ezechiel?“, wechselte ich – natürlich völlig unauffällig – das Thema. Ich wollte nicht weiter über Zayn und mich sprechen. Es machte mich aus einem mir unbekannten Grund nervös. Nun wurde er nachdenklich. Sein Blick trübte sich ein wenig.

„Ich weiß noch nicht so recht, was ich von ihm halten soll. Und es ist schwer vorstellbar, dass er jemanden geliebt hat.“, war seine ruhige Antwort. Ich verschränkte die Arme und zwinkerte hm zu.

„Du hast es auch nicht für möglich gehalten, dass Zayn sich so sehr verändern würde oder täusche ich mich?“

Nun scheinbar sprachlos starrte er mich an. Ich schwieg und wartete darauf, dass er etwas sagte.

„Und wie genau wollt ihr nun vorgehen?“, fragte er schließlich und sah wieder in die Richtung, in die die zwei Brüder verschwunden waren. Ich zuckte mit den Schultern.

„Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Aber ich würde dich gerne um enen Gefallen bitten.“, antwortete ich, worauf er mich seltsam ausgiebig betrachtete.

„Und was für ein Gefallen soll das sein?“

Ich verschränkte die Hände ineinander und klimperte mit den Wimpern.

„Würdest du uns Ty für eine Weile überlassen? Ich glaube er wäre uns eine Hilfe.“

 

Ungläubig starrte ich sie an. Ich sollte ihr Ty überlassen? Einfach so? Ich sah ihr in die Augen und konnte sowohl Aufrichtigkeit als auch Hoffnung in ihnen sehen. Ich bewunderte dieses Mädchen für so einiges. Sie gab nicht auf und setzte sich für andere ein. So etwas bekam man hier unten nocht sehr oft zu Gesicht. Und was ihre Alterung betraf...Vielleicht würde es ja doch anders kommen, als vermutet? Was ihre Kräfte und Fähigkeiten anging hatte sie uns alle schließlich auch überrascht. Noch immer sah sie erwartungsvoll zu mir auf. Seufzend fuhr ich mir mit der Hand durchs Haar. Ich gab nach.

„Also gut. Warte hier, ich werde ihn zurück ordern.“

Mit diesen Worten erhob ich mich und ließ Nyria alleine im Saal zurück. Ich trottete durch einige Gänge und rief nach meinem treuen Untergebenen, bis er nach einigen Minuten vor mir auftauchte.

„Ihr habt gerufen?“, murmelte er. Nanu? Klang er etwa genervt? Ich bedeutete ihm mit der Hand mir zu folgen.

„Warum hat das so lange gedauert?“, fragte ich kalt. Ty seufzte. Er schien begriffen zu haben das ich bemerkt hatte, wie seine Stimmung im Moment ausfiel.

„Nereus wollte wissen, was ich vorhabe.“, war seine gemurmelte Antwort.

„Verstehe.“, erwiderte ich ausdruckslos. Nereus war also aufmerksamer geworden. Wir würden vorsichtiger werden müssen.

„Warum habt Ihr mich gerufen?“, fragte er dann. Wenige Augenblicke später kamen wir wieder im Saal an.

„Ab sofort wirst du auch auf Nyria Befehle hören.“, war meine einzige Erklärung. Perplex starrte er mich an.

„Wieso?“, hauchte er. Passte ihm das nicht oder war er einfach nur überrascht?

„Weil ich das sage.“, sagte ich bloß. Nyria trat auf mich zu und umarmte mich kurz, was mich für einen genauso kurzen Augenblick aus der Bahn warf.

„Danke.“, sagte sie lachend. Schnell fasste ich mich wieder. In Gedanken wandte ich mich an Ty.

Sollte dir etwas bei ihnen auffallen, sagst du es mir. Und du wirst mir, genau wie ihnen auch weiterhin Bericht erstatten, alles klar?

Wie Ihr wünscht., kam es leise zurück.

„Wir hauen dann besser mal ab, ehe Zayn auf den Gedanken kommt mir könnte etwas passiert sein.“, meldete Nyria sich plötzlich zu Wort. Sie fasste meinen Untergebenen an der Hand und zog ihn hinter sich her. Als ich hörte wie er seufzte, konnte ich ein Lächeln nicht verhindern.

 

Nervös tigerte ich auf und ab. Nyria war nicht im Versteck und auf meine Frage wo sie steckte, hatte ich keine Antwort bekommen. Ungeduldig wartete ich nun also darauf, dass sie zurückkehrte. Währenddessen zerbrach ich mir den Kopf über Ezechiel. Nicht zu fassen das er mich verteidigt hatte. Vielleicht hatte ich mich doch in ihm getäuscht?

„Du machst dir zu viele Sorgen um dieses Mädchen. Wo auch immer sie ist, es geht ihr gut.“

Die Hand meines Bruders legte sich auf meine Schulter. Vermutlich hatte er recht, doch es ging nicht anders. Sie hatte schon so viel für mich getan, ich würde mich revanchieren.

„Ich seh schon, dich zu versuchen zu beruhigen funktioniert nicht.“, murmelte Ezechiel und zog seine Hand zurück.

„Danke.“, brachte ich leise hervor. Gleichermaßen überrascht und irritiert sah er mich an.

„Dafür, dass du mich vor Lucifer verteidigt hast und für...jetzt.“, murmelte ich und erwiderte seinen Blick. Er lächelte, kam aber nicht mehr dazu etwas zu sagen. Zwei Arme umschlangen mich von hinten und ein zarter Leib drückte sich an mich.

„Ich bin wieder da.“, hauchte sie. Sofort drehte ich mich um, um sie in meine Arme zu schließen.

„Warum hast du mir nicht geantwortet?“, knurrte ich und drückte sie fester an mich.

„Weil ich eine Überraschung habe.“, flüsterte sie und löste sich aus der Umarmung. Zärtlich umfasste sie mein Gesicht mit beiden Händen, dann küsste sie mich kurz und innig. Nachdem Nyria zurückgetreten war, fiel mein Blick auf meinen Bruder. Doch der lächelte nur. Leise lachend trat sie einen Schritt zurück, dann stieß sie einen leisen Pfiff aus. Ein Mann betrat den Raum. Als ich ihn erkannte fiel mein Blick wieder auf Nyria.

„Was macht Ty hier?“, fragte ich perplex. Sie grinste und klopfte Lucifers Diener auf die Schulter.

„Ab sofort steht er nicht mehr nur unter Lucifers Kommando, sondern auch unter meinem. Gleichzeitig ist er auch Nereus' rechte Hand. Also? Wo ist der Nutzen?“

Sie zwinkerte, ich musterte Ty.

„Was hältst du davon?“, fragte ich ihn. Er senkte den Blick und seufzte.

„Befehl ist Befehl.“

Nun erst fiel mein Blick auf Ezechiel. Scheinbar hatte er nicht damit gerechnet, dass er Ty noch einmal sehen würde.

„Wer hätte gedacht, dass du in Wirklichkeit gar nicht unter Nereus', sondern Lucifers Kommando unterstehst?“, murmelte er und musterte den geflügelten Dämon.

„Du hast dich in all den Jahren kein bisschen verändert.“

„Das Gleiche könnte ich auch sagen.“, erwiderte Ty. Auch er musterte sein Gegenüber. Na hoffentlich würden die beiden sich verstehen...

„Warum hört er ausgerechnet auf deine Befehle?“, murrte ich nun und sah zurück zu Nyria, die noch immer schweigend die Situation im Auge behielt. Sie zuckte mit den Schultern, dann streckte siemir die Zunge heraus.

„Weil Lucifer es gesagt hat. Beschwer dich bei ihm, wenn dir das nicht passt.“, war ihre lässige Antwort. Ich schnaubte zwar, war aber keineswegs beleidigt. Nyria hatte alles unter Kontrolle, das wusste ich.

„Was haltet ihr davon wenn wir uns mal so langsam darum kümmern, wie wir als nächstes vorgehen?“, sagte sie nun, völlig entschlossen und sah in die Runde.

„Sie hat recht. Wir haben schon zu viel Zeit verschwendet.“, stimmte ich ihr zu.

„Ihr hättet ja schon längst etwas unternehmen können.“, brummte Ezechiel und warf uns beiden einen abfälligen Blick zu. Auch Nyria und ich tauschten einen Blick aus.

„So ungern ich das auch nur sage aber ich bezweifle, dass wir das auf die Reihe gekriegt hätten.“, hüstelte Nyria und verschränkte die Arme unter der Brust.

„Wie genau sieht den Plan aus, Ezechiel? Hast du überhaupt einen?“

Meine Mundwinkel zuckten. Spottete sie etwa? Ich hoffte doch sehr, mein Bruder hatte in all den Jahren als Gefallener wenigstens ein bisschen Sinn für Humor entwickelt. Er schnaubte, was mich entgültig lachen ließ. Dafür fing ich mir aber einen bösen Blick ein. Ezechiel räusperte sich.

„Dank Lucifers kleinem Helfer hier werden wir alles über Nereus nächste Schritte herausfinden. Dann liegt es an uns seine Pläne zu vereiteln. Wir werden ihm in Zukunft immer einen Schritt voraus sein.“

Sein Lächeln verreit, wie sicher er sich seiner Sache war. Sowohl Ty als auch ich wollte etwas sagen, doch Nyria kam uns zuvor.

„Für den Anfang muss das genügen.“, murmelte sie und richtete ihren Blick auf Ty.

„Hat Nereus bisher etwas von deinem Doppelleben bemerkt?“

Für einen kurzen Augenblick senkten sich dessen Lider.

„Ich muss in Zukunft vorsichtiger werden aber nein, ich glaube nicht das er etwas ahnt. Warum fragst du?“

Für den Bruchteil einer Sekunde sah man Nyria an, dass sie nachdachte. Dann tat sich ihr Mund wieder auf.

„Glaubst du es gelingt dir, Nereus nicht aus den Augen zu lassen?“

Überrascht sahen wir drei sie an. Wollte sie das wirklich von ihm verlangen? Ty seufzte und kratzte sich am Hinterkopf.

„Ganz so einfach wird es nicht sein. Solange ich meine Kraft unterdrücke wird er mich nicht bemerken, allerdings kann ich das nicht all zu lange aufrecht erhalten. Ich werde mein Bestes geben.“, murmelte er.

„Vielen Dank.“, sagte Nyria sogleich fröhlich, worauf auch dem Dämon ein kleines Lächeln gelang.

„Und ihr glaubt, dass das alles funktionier?“, murmelte ich, worauf Nyria mich streng ansah.

„Das muss es. Oder haben wir andere Möglichkeiten?“, sagte sie ausdruckslos.

Seufzend schüttelte ich den Kopf. Nein, zumindest keine die mir einfiel. Sie warf mir einen Blick zu der wohl sagen sollte „Na, was habe ich gesagt?“. Mit einem Augenrollen wandte ich mich von den dreien ab.

„Sollte es Erfolge geben, sagt mir Bescheid.“

„Was ist los mit ihm?“, hörte ich jemanden flüstern, doch ich konnte nicht sagen von wem es kam.

 

27

 

Nereus sah zu seiner rechten Hand hinüber. Er hatte sich in letzter Zeit einige Male zurück gezogen und wirkte auch nun wieder nachdenklich und in Gedanken versunken. Nereus fand das keineswegs beunruhigend, dennoch machte er sich Gedanken. Er war schließlich seine rechte Hand.

„Ty, was ist los mit dir?“, durchbrach er nun ruhig die Stille. Ty reagierte erst gar nicht, Nereus musste ihm erst mental einen Schubs verpassen, damit er aufsah.

„Was beschäftigt dich? Du zerbrichst dir doch über irgendetwas den Kopf, Ty. Also raus damit.“

Sein Gehilfe senkte den Blick wieder und zögerte kurz. Es dauerte einige Augenblicke, bis er den Mund aufmachte.

„Ich war öfters unter den Menschen, um so mehr über Ezechiel in Erfahrung bringen zu können.“

Nereus zog die Brauen hoch.

„Du hast also ohne mein Wissen und ohne mir Bescheid zu geben auf eigene Faust ermittelt?“, hakte er nach. Ty nickte, worauf der Erzengel ein schwaches Lächeln zeigte.

„Solch Enthusiasmus lobe ich mir. Konntest du denn etwas in Erfahrung bringen?“

„Über Ezechiel nicht, nein.“, murmelte Ty und kratzte sich am Hinterkopf. „Allerdings habe ich...Nyria gesehen.“

Deutlich konnte Ty sehen, wie sich Nereus' Pupillen verkleinerten.

„Und warum lebt sie dann noch?“, knurrte er. Ty schluckte, straffte aber dann seine Schultern und sah ihm selbstbewusst in die Augen.

„In meinen Augen gibt es keinen Grund, diesem Mädchen das Leben zu nehmen. Sie scheint sehr hilfsbereit und verständnisvoll zu sein.“, sprach er laut seine Gedanken aus.

Langsam erhob sich der Erzengel. Ein Sturm tobte in seinen Augen und der Dämon ahnte, dass es nun gefährlich wurde.

„Wie bitte? Ich hoffe doch sehr für dich, dass ich mich gerade verhört habe.“

Ein tiefes Knurren stieg in seiner Brust auf, doch Ty änderte nichts an seiner Haltung.

„Nein, Ihr habt Euch nicht verhört. Ich meine es ernst. Die Gefahr geht schließlich von Ezechiel aus, nicht von dem Mädchen. Ich habe sie beobachtet und sie scheint sehr friedlich zu sein.“

Eine Zeit lang herrschte Schweigen. Nereus war fassungslos. Seit wann äußerte Ty seine Meinung so selbstbewusst? Nereus packte seinen Untergebenen am Kinn.

„Ich sag dir jetzt mal was, Junge! Solltest du diesem Kind noch einmal begegnen wirst du sie umbringen, hast du verstanden? Völlig egal wie unschuldig sie auch erscheinen mag, sie wird nicht umsonst mit Ezechiel zusammenarbeiten.“

Heißer Atem schlug ihm ins Gesicht. Wenn du wüsstest., dachte dieser und nickte unterlegen.

„Wie Ihr wünscht, Meister.“, murmelte er, worauf der Erzengel ihn losließ.

„Ich hoffe, wir haben uns verstanden.“, knurrte er und verließ den Raum. Ty schluckte und unterdrückte seine Aura. Von nun an würde er seinem „Meister“ auf Schritt und Tritt folgen.

 

„Babe, was ist los?“

Ich ließ mich neben Zayn auf dem Bett nieder und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er war schon den ganzen Morgen über so komisch gewesen. In letzter Zeit dachte er viel zu negativ. Auch jetzt bekam ich keine Antwort. Ich rüttelte ihn und stach ihm dann mit dem Finger in die Seite.

„Antworte mir gefälligst.“, fauchte ich, worauf er langsam den Kopf hob.

„Ist dir eigentlich klar was für einen Feind wir mit meinen Geschwistern haben?“, murmelte er scheinbar völlig antriebslos. Aha, darum ging es also. Er hatte Angst!

„Natürlich weiß ich das.“, erwiderte ich und streichelte seine Wange. „Aber soll ich deshalb jetzt Trübsal blasen, so wie du? Sicher nicht, mein Engel. Und nun steh auf, du kannst nicht den ganzen Tag im Bett verbringen.“

Plötzlich griff er nach mir und zog mich auf sich.

„Mit dir kann ich das.“, hauchte er mir mit einem Lächeln ins Ohr. Ich küsste ihn, kurz nur, und sah ihn dann mit hochgezogenen Brauen an.

„Was hältst du davon, wenn wir trainieren? Dann bringt uns beide sicher auf andere Gedanken.“

Skeptisch musterte er mich, doch nach einigen Minuten ließ er sich von mir aus dem Bett ziehen.

„Lust habe ich zwar nicht aber vielleicht hast du recht und es lenkt uns wirklich ab.“

Er klang zwar mürrisch, doch ich lächelte und zog ihn mit. Auf halbem Wege begegneten wir Ezechiel, der uns irritiert musterte.

„Warum so motiviert?“, murmelte er als er Zayns Blick bemerkte.

„Ich habe vorgeschlagen zu trainieren. Wie wär's, wenn du mitkommst? Das würde sicher spannend werden.“, erwiderte ich breit grinsend. Mit hochgezogenen Brauen sah er wieder seinen Bruder an.

„Meint sie das ernst?“, hauchte er fassungslos, worauf Zayn sich die Schläfen rieb.

„Ich fürchte ja.“, brummte er. Guter Dinge fasste ich auch Zayns Bruder an der Hand.

„Na dann, auf geht’s.“

Beide waren genervt, ich konnte es deutlich spüren, doch Zayns Lächeln entging mir nicht. Er war froh darüber das ich meinen Optimismus nicht verlor, trotz der unzähligen Ereignisse. Und genau das entlockte auch mir ein Lächeln.

„Kleine, du wirst dich noch ernsthaft verletzen!“, rief Ezechiel mir schließlich zu, als wir drei uns mit mehreren Metern Abstand gegenüber standen. Ich schnalzte mit der Zunge.

„Unterschätzt du mich schon wieder?“, flötete ich. Die Geschwister tauschten einen Blick aus, den ich nicht deuten konnte.

„Na los, greift ich an!“, forderte ich die beiden auf. Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen. Schon stürmten die zwei auf mich zu.

 

Ich hielt das immer noch für keine gute Idee, doch Ezechiel und ich wollten ihr diese Bitte natürlich nicht abschlagen. Ich stürmte auf das Mädchen zu und täuschte einen Angriff vor, während mein Bruder sich dicht neben mir hielt und den tatsächlichen Angriff ausführen würde. Nyria grinste und schien unseren Plan schon längst durchschaut zu haben, denn sie wich zur Seite aus. Fataler Fehler! Ich holte mit der Faust aus und zielte genau auf ihren Magen. Dieses Mal würde ich mich nicht zurückhalten. Sie wollte begreifen, dass das hier kein Spiel war. Ein Kampf war kein Spaß und genau das schien sie noch nicht erkannt zu haben. Sie blinzelte nur kurz und bewegte sich auch nicht, doch sie wehrte meinen Angriff scheinbar mühelos ab. Ich sah nach unten und entdeckte ihre Hand, die meine Faust fest umklammert hielt. Erstaunt zog ich die Brauen hoch. Sie war körperlich ganz sicher nicht so stark wie ich, also welche ihrer Fähigkeiten nutzte sie gerade? Sie quittierte meinen Blick mit einem Zwinkern. Eine Weile ging es immer hin und her. Sie schob mich ein Stück zurück und ich sie. In der Zeit schlich Ezechiel sich von hinten an Nyria heran. In seiner Hand bildete sich Feuer und auch er holte mit voller Wucht aus. Sowohl er als auch ich versteinerten als sich direkt an Nyrias Rücken eine Wasserwand bildete. Das Feuer in Ezechiels Hand erlosch mit einem Zischen. Zurück blieb eine lachende Nyria und ein perplexer gefallener Engel. „Trainierst du heimlich?“, knurrte ich und stieß das Mädchen entgültig zurück. Sie taumelte und versuchte noch ihr Gleichgewicht zu finden, doch sie schaffte es nicht und fiel auf ihren Hintern. Zeitgleich stürzten mein Bruder und ich uns wieder auf sie. Sie woltle sich zur Seite und dann ging es los. In ihren beiden Händen bildete sich Energie, schwarze Energie, die zu Flammen heranwuchsen und von einer Sekunde auf die andere genau auf uns zu schossen. Das Ganze geschah so schnell, dass weder mein Bruder noch ich richtig ausweichen könnte. Schwarze Flammen trafen mich an der Schulter und der Schmerz war so unglaublich, dass ich beinahe einen Schrei ausgestoßen hätte. Knurrend ging ich in die Knie. Anhand ihrer Augen konnte ich sehen, dass sie sich am liebsten um mich kümmern würde, doch Ezechiel wdar weitaus glimpflicher davon gekommen als ich und lief bereits wieder auf sie zu. Ein wahrer Fausthagel schlug auf sie nieder, doch sie parierte jeden Hieb. Kaum hatte sie einen Schlag abgewehrt, teilte sie auch schon aus. Und das nicht gerade zögerlich. Beide bekamen hin und wieder einen verdammt harten Schlag ab, doch dann kamen auch noch Tritte hinzu. Weitere Minuten vergingen, Feuer kam ins Spiel. Ich kauerte noch immer auf dem Boden, diese schwarzen Flammen waren echt übel, als ich plötzlich Metall zwischen den beiden aufblitzen sah. Einer von den beiden trug ein Messer bei sich? Wer? Und warum? Scheinbar gehörte es Ezechiel, denn plötzlich riss Nyria es an sich. Dann ging alles ganz schnell. Scheinbar hatte Ezechiel keine Kontrolle mehr über seinen Körper, denn er ging knurrend in die Knie. Er bekam nicht einen Ton heraus und wie mir klar wurde, manipulierte Nyria ihn. Leise lachend packte sie ihn, dann hielt sie ihm die Klinge an den Hals. So fest umklammert, dass das Messer bereits einen ordentlichen Schnitt in meines Bruders Kehle hinterließ.

„In einem echten Kampf hättest du nun ein Problem.“, hauchte sie und zeigte ein strahlendes Lächeln. Meine eigene Kraft war schon um einiges gesunken, dennoch griff ich noch einmal auf meine Kraftreserven zurück. Noch einmal versuchte ich es, indem ich himmlisches Feuer abfeuerte. Sie war zwar von Ezechiel abgelenkt, schaffte es aber ohne Probleme ebenfalls Feuer einzusetzen, um meine Flamme abzuwehren. Und das alles ohne aufzuschauen. Keuchend gab ich auf. Sie hatte tatsächlich gewonnen. Leise in mich hinein lachend schüttelte ich den Kopf. Doch nach einigen Augenblicken fiel mir auf, dass Nyria ins Taumeln geriet. Noch bevor ich auf den Beinen war fiel sie vornüber, direkt in Ezechiels Arme.

 

Die Stimmen die ich vernahm kamen von weit her, doch mit jeder Sekunde schienen sie näher zu kommen und klarer zu werden. Es waren definitiv zwei Männer die da miteinander sprachen. Oder besser gesagt, miteinander diskutierten. Noch wollte mein Körper nicht reagieren, also tat ich nichts und konzentrierte mich stattdessen einfach auf das, was ich hören konnte.

„Und, wen von uns hat sie schlimmer erwischt?“

Meine Ohren wollten scheinbar noch nicht richtig funktionieren, doch als der andere antwortete wusste ich, dass gerade eben erst Zayn gesprochen haben musste.

„Hm, das schwarze Feuer was du abbekommen hast war echt übel, allerdings sind meine inneren Verletzungen auch nicht ganz ohne. Dein Mädchen hat einen verdammt harten Schlag!“

Wahrscheinlich hätten meine Mundwinkel nun gezuckt, doch ich spürte nichts. Nichts, außer einem Kribbeln in den Fingerspitzen.

„Schön, dass du das bemerkt hast. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie heimlich trainiert, anders kann ich mir ihre plötzliche Stärke nicht erklären.“, war Zayns Antwort. Innerlich schmunzelte ich. Oh ja, ich hatte trainiert. Und wie! Meistens Nachts, wenn Zayn nicht da war und ich nicht schlafen konnte. Ich wollte nicht schwach und hilflos sein. Und ich wollte nicht, dass Zayn sich um mich sorgte. Das waren die einzigen Gründe, warum ich mit meinen augenen Fäusten vertraut werden wollte. Plötzlich klangen die Stimmen wieder ab. Nun erst bemerkte ich, wie sehr mein Schädel brummte. Oh genau, was war eigentlich passiert? Ich hatte den Trainingskampf gewonnen aber dann? War ich etwa zusammengebrochen? Kein Wunder das ich nichts spüren konnte, ich musste völlig ausgelaugt sein. Doch mit dem Abklingen der Stimmen wurden die Schmerzen schlimmer. Nach einigen Minuten wurde es so schlimm, dass ich mich laut stöhnend krümmte. Hatte ich etwa innerliche Verletzungen? Mir tat der gesamte Brustraum weh, ebenso wie meine linke Niere. Zögernd schlug ich die Augen auf, worauf ich sofort in Zayns besorgtes Gesicht blickte.

„Hast du sehr starke Schmerzen?“, hauchte er und strich mir übers Haar. Ich war nicht in der Lage zu antworten, weshalb ich nur nickte. Zayns Blick schoss zu Ezechiel.

„Weißt du, was sie haben könnte? Von außen sieht man kaum etwas.“, sagte er hastig.

„Es werden innere Verletzungen sein. Lass mich mal sehen.“, erwiderte sein Bruder und trat zu mir ans Bett. Ein wenig fassungslos ließ ich zu, dass er meinen Bauch abtastete. Angenehm war das keineswegs, nur es war unglaublich schmerzhaft, weshalb ich einen leisen Schmerzensschrei ausstieß. Augenblicklich hielten seine Hände inne.

„Deine Niere scheint in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein, kann das sein?“, murmelte er und sah mir fest in die Augen. Ich nickte lediglich. Mit der Hand signalisierte ich ihm aber auch, dass mir die Brust wehtat. Er wollte bereits wieder Hand anlegen, doch dieses Mal schob ich ihn fort. Soweit kams noch, dass er mich betatschte! Seufzend betrachtete er mich.

„Ich schätze ein paar Rippen sind gebrochen. Du solltest im Bett bleiben.“, murmelte er. Sorge war deutlich in Zayns Augen erkennbar.

„Können wir etwas gegen ihre Schmerzen unternehmen?“ Nachdenklich reb sich sein Bruder das Kinn.

„Hmm, unser Blut dürfte noch immer die alte Wirkung haben, auch wenn wir gefallen sind.“

Es dauerte eine Weile bis ich verstanden hatte, was er gerade gesagt hatte. Geschockt sah ich ihn an.

Ich sollte sein Blut trinken? Ernsthaft? Scheinbar hatte ich diesen Gedanken laut ausgesprochen, denn beide Männer nickten ohne mit der Wimper zu zucken. Dennoch zögernd ergriff ich die Hand des Gefallenen. Das sie sich so schnell auskurierten lag also einzig und allein an ihrem Blut? Warum erfuhr ich das erst jetzt?

„Nun mach schon, Süße.“, drängte Zayn. Meine Lippen legten sich auf seine Hand, worauf er leise seufzte. Scheinbar war er auch jetzt scharf auf mich, obwohl ich verletzt vor ihm lag. Das ließ mich lächeln. Mir der Zunge leckte ich über den langen Schnitt. Kaum hatte ich das bisschen Blut geschluckt, vernahm ich ein seltsames Kribbeln in meinem Inneren. War das bereits die Heilung? Respekt, mein Körper hätte sich daran ein gutes Beispiel nehmen können. Aber nein, das war ja zu anstrengend... Ein paar Augenblicke vergingen, dann ließ ich seine Hand los.

„Danke.“, hauchte ich und leckte mit über die Lippen. Ich dachte immer Blut würde metallisch schmecken, doch so war es nicht. Zayns Blut war...süßlich. Eigentlich sogar ganz angenehm. Auf Dauer allerdings ziemlich langweilig. Die Schmerzen ließen tatsächlich nach, dennoch konnte ich spüren, dass in mir einiges nicht in Ordnung war. Nun würde ich wohl warten müssen. Ich sah Zayn in die Augen, in denen etwas aufblitzte. Keiner sagte etwas, er legte einfach den Arm um mich und lehnte sich vor, um mich zu küssen.

Ich hab mir solche Sorgen gemacht., ertönte seine Stimme in meinen Gedanken. Ich beendete den Kuss.

„Was ist mit dir? Ist deine Schulter geheilt?“, hauchte ich ebenfalls völlig besorgt. Er zeigte ein strahlendes Lächeln und wies auf seine Schulter.

„Du warst zwei Tage lang bewusstlos, all unsere Wunden sind verheilt, keine Sorge.“

Ich blinzelte. Zwei Tage? Ruckartig saß ich kerzengerade im Bett.

„Was habe ich verpasst?“, rief ich aus und sah die zwei Männer abwechselnd an. Zayns Burder zuckte mit den Schultern.

„Nichts Wichtiges, also mach dir keine Gedanken.“

Erleichtert atmete ich aus.

„Ich lass euch zwei mal alleine.“, murmelte Ezechiel und trottete aus dem Zimmer. Zurück blieben Zayn und ich. Nur wenige Sekunden und wir lagen eng umschlungen im Bett.

 

28

 

Obwohl er mit dem Ohr an der Tür lauschte konnte er so gut wie nichts verstehen. Nereus einfach in den Konferenzsaal zu folgen, wäre dann doch eine Spur zu auffällig gewesen. Ty knirschte mit den Zähnen. Er konnte nicht einfach so mitten in die Konferenz platzen, doch hier stehen und nichts tun konnte er auch nicht. Also was tun? Die Frage erübrigte sich mit dem lauten Ruf Nereus'. Er verlangte nach ihm. Er verharrte noch einen Moment vor der Tür. Zu schnell und man würde Verdacht schöpfen. Tief durchatmend betrat er schließlich den großen Saal. Er war gespannt auf das, was ihn erwartete. Alle Blicke lagen auf ihm, was ihm kein wirklich gutes Gefühl bereitete.

„Ihr habt gerufen?“, murmelte er und verneigte sich leicht vor den anwesenden Erzengeln. Entweder wurde er paranoid oder sie starrten ihm tatsächlich misstrauisch entgegen. Er vermutete, dass er sich das nur einbildete, aufgrund der Gefahr in die er sich Nyrias wegen begeben hatte.

„Ja.“, meldete Nereus sich nun zu Wort und nickte leicht. „Wir haben einen Auftrag für dich.“

Ty neigte den Kopf. Ein Auftrag? Wenn sich alle hier versammelten schien es ein ziemlich großer Auftrag zu sein. Das Beschaffen von Informationen schien in Nereus' Augen wohl fürs erste abgehakt zu sein.

„Und wie lautet dieser?“, fragte er scharf und sah ihm in die Augen. Des Erzengels Mundwinkel zuckten.

„Du wirst uns Nyria herbringen, und zwar sofort.“

Ty bemühte sich keinerlei Regung zu zeigen, was sich als gar nicht mal so einfach erwies. Er unterdrückte es den dicken Kloß in seinem Hals zu schlucken.

„Ihr klingt als wüsstet ihr, wo sie sich befinden.“, sagte er ausdruckslos. Sein Blick fiel auf Fare, die ihn besorgt ansah. Offenbar hatte sie hier nichts erreichen können, ebenso wenig wie Chest, der wütend in die Runde starrte.

„Allerdings.“, kam es von Nereus zurück. „So wie es aussieht ist sie zurzeit unter den Menschen utnerwegs. Wir haben sie mit einer jungen Frau gesehen, scheinbar ihre Freundin. Du wirst sie dir schnappen. Jetzt, auf der Stelle.“

Nun schluckte Ty doch.

„Wie Ihr es wünscht.“

Er machte auf dem Absatz kehrt und floh geradezu aus der Halle. Das durfte doch nicht wahr sein! Was sollte er denn jetzt tun? Um mit Ezechiel und Zayn zu sprechen blieb jetzt keine Zeit, ebenso wenig um sich bei Lucifer zu melden. Er musste sich sofort auf den Weg zu Nyria machen. Vielleicht hatte sie ja eine Idee. Würde Ty nicht innerhalb einer Stunde samt Nyria wieder hier im Himmelsreich sein, würde Nereus auf der Stelle nach ihm und dem Mädchen suchen lassen. Es war also Eile geboten, ebenso wie ein Plan.

 

Um mir die Zeit zu vertreiben und mich abzulenken, hatte ich mich auf den Weg zu Milla gemacht, mit der ich nun, während der Dämmerung, im Park saß. Sie konnte nicht fassen wen sie vor sich hatte und war schon dabei die Polizei zu rufen, doch glücklicherweise konnte ich ihr das austreiben. Skeptisch und fast schon angsterfüllt saß sie nun neben mir und musterte dich.

„Du siehst anders aus als sonst.“, stellte sie leise murmelnd fest. „Obwohl du so düster wie immer angezogen bist, scheinst du nahezu...zu strahlen.“

Ich zog die Brauen hoch. Ich strahlte? Das war mir neu. Milla schien keine Antwort zu erwarten, denn sie fuhr fort. Ein seltsamer Ausdruck trat in ihre Augen.

„Wo warst du denn nur die ganze Zeit über? Sie suchen nach dir. Und nach...Na, du weißt schon. Steckst du mit ihm unter einer Decke?“

Sie gestikulierte wild. Scheinbar war sie ziemlich aufgebracht. Doch wer konnte es ihr verübeln, sie betrachtete mich als eine sehr gute Freundin, natürlich machte sie sich Sorgen und hatte Angst davor, dass mir etwas geschah.

„Mit ihm unter einer Decke stecken?“, murmelte ich. Ich hatte bereits ganz vergessen, dass Zayn hier ein gesuchter Mörder war. Ich schüttelte hastig den Kopf.

„Nein. Allerdings...“

Ich verstummte, worauf sich ihre Augen zu Schlitzen verengten.

„Du warst schon von ihm fasziniert als du ihn das erste mal gesehen hast. Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass ihr...“

Auch sie brachte ihren Satz nicht zu Ende. Zu gerne hätte ich ihr die ganze Situation erklärt, doch das war unmöglich. Sie würde mir nicht glauben und mich für verrückt erklären. Zudem wollte ich sie nicht da mit hineinziehen. Wer weiß, in welch Schwierigkeiten sie dann geraten würde. Wenn Nereus mich tot sehen wollte, dann sicher auch eine Sterbliche die von ihrer Existenz erfuhr. Zögerlich nickte ich.

„Doch, Milla. Ich bin für ihn schon lange keine Fremde mehr, die ihm lediglich mal geholfen hat. Aber veruteile mich nicht. Es ist soviel passiert, ich kann es dir nicht mal erklären. Ich wollte dich nicht im Ungewissen lassen, deswegen bin ich hier. Du hast dir sicher Sorgen gemacht.“

Zum Ende hin wurde ich leiser. Sie schwieg und plötzlich sah ich Tränen in ihren Augen glitzern. Ohne das ich mich darauf vorbereiten konnte, fiel sie mir um den Hals.

„Gott, du hast ja keine Ahnung welch Angst ich hatte! Ich dachte wirklich er bringt dich um!“, schluchzte sie. Leise lachend täschelte ich ihr den Rücken.

„Ach, Milla, nein. Er würde es nicht wagen mir gegenüber handgreiflich zu werden, glaub mir. Und jetzt beruhig dich, damit ich dir was erzählen kann.“

Sie schniefte noch einige Male, dann hatte sie sich tatsächlich weitesgehend beruhigt, damit ich ihr in Ruhe vom Anfang meiner Geschichte berichten konnte.

„Am Anfang habe ich ihn bei mir in der Wohnung untergebracht.“, begann ich, worauf sich ihre Augen weiteten. Sie hatte wohl wirklich tierische Angst gehabt...

„Er hat einen ziemlichen Aufstand gemacht und wollte, dass ich ihn rausschmeiße aber ich habe ihn fast schon in der Wohnung festgehalten. Irgendwann hat er eingesehen, dass es so nicht weitergeht und unsere Wege haben sich getrennt. Nach einigen Wochen sind wir uns dann aber wieder über den Weg gelaufen. Er war in Schwierigkeiten und war völlig perplex, als ich ihm mal wieder den Arsch gerettet habe.“

Milla starrte mich ungläubig an und ich konnte ihr ansehen, welche Frage sie mir nun stellen wollte.

„Naja...“, sagte ich leicht hüstelnd. „Er...war mitten in einer Schlägerei.“, murmelte ich, worauf meine Freundin geschockt aufsprang. Wenn ihr das schon zu viel war, wie hätte sie dann wohl reagiert wenn ich ihr auch den Rest der Geschichte erzählt hätte?

„Du hast ihn in einer Schlägerei unterbrochen? Himmel, bist du verrückt?“, keuchte sie.

Mehrmals schnappte sie nach Luft. Ich hob abwehrend die Hände und zog auch die Brauen hoch.

„He, er war das Opfer! Drei gegen einen, glaubst du ich sehe zu wie sie ihn totprügeln?“, entrüstete ich mich. Sie kniff die Auge zusammen, so als würde sie mir nicht glauben, doch sie ließ das Thema fallen. Sehr zum Glück meiner Nerven. Zeitgleich seufzend lehnten wir uns beide zurück. Ein komisches Gefühl überkam und noch bevor ich darüber nachdenken konnte, trat plötzlich ein bekanntes Gesicht in mein Blickfeld. Ty trabte auf mich und Milla zu und sah dabei ziemlich alarmiert aus.

„Ty, was...“, setzte ich an, doch er schüttelte den Kopf und griff nach meiner Hand.

„Keine Zeit für Fragen, du musst mit mir kommen!“, keuchte er und zog mich mit einem Ruck auf die Beine. Ich nickte lediglich, wandte mich jedoch noch mal an Milla, die ich für wenige Sekundenbruchteile umarmte.

„Scheint als wäre etwas passiert. Ich melde mich.“

Dann hatte ich ihr auch schon den Rücken zugekehrt. Ty zog mich in eine Gasse, in der er mich dann gegen die Wand drückte. Er atmete schwer, weshalb ich nichts sagte und ihn somit erst einmal Luft holen ließ. Ich fasste ihn am Kinn und hob sein Gesicht an, worauf ich erwartungsvoll die Brauchen hochzog.

„Wir haben nicht viel Zeit, oder? Also, was ist los?“

Er holte noch einmal tief Luft, dann setzte er an.

„Nereus...Er hat mir befohlen dich zu entführen.“

Augenblicklich ließ ich die Hände sinken.

„Was?“, hauchte ich. Schwindel überkam mich und zwang mich beinahe in die Knie. Sämtliche Luft wich aus meinen Lungen.

„Ist, ist das wahr?“, hauchte ich und sah den Mann mir gegenüber mit vor Schreck geweiteten Augen an. Ty nickte.

„Leider ja. Wir müssen uns wirklich beeilen, ehe Nereus sich auf die Suche nach uns macht. Wir müssen Zayn und Ezechiel später alles berichten, jetzt ist keine Zeit dazu, also was sollen wir tun?“

Ich erstarrte. Diese Frage stellte er ausgerechnet mir? Er war doch hier der Mann, mit den zwei Gesichtern.

„I-Ich würde sagen...“

Ich verstummte, atmete tief durch und ordnete meine Gedanken. Dann kam mein altes Ich zum Vorschein. Mein Gesicht wurde ausdruckslos und meine Stimme monoton.

„Nimm mich erst einmal gefangen. Sobald wir dort oben angekommen sind verständige ich Zayn. Sollte sich eine Gelegenheit bieten, werde ich einen Fluchtversuch wagen. Sollte das nicht klappen, müssen entweder du oder dein Chef helfen.“

Ty schluckte.

„Schätze, eine andere Möglichkeit haben wir nicht.“, murmelte er. Feuer bildete sich in seiner Hand, weshalb ich die Brauen hochzog.

„Himmlisches Feuer?“, hauchte ich irritiert. Seine Mundwinkel zuckten.

„Höllenfeuer, als himmlisches Feuer getarnt.“, erwiderte er und fasste mich an der Schulter, um mich umzudrehen. Das Feuer verletzte mich erstaunlicherweise nicht, sondern schloss sich um meine Handgelenke. Ich versuchte die Arme voneinander zu entfernen, doch wie sich herausstellte wurde das Feuer als Art Handschellen genutzt.

„Nicht schlecht.“, murmelte ich und sah Ty in die Augen. Dieser blickte mich entschuldigend an.

„Entschuldige, aber das muss jetzt sein.“, murmelte er. Ich hatte keine Zeit mehr zu fragen was er meinte, denn ich bekam einen Schlag auf den Hinterkopf ab.

 

Bedrückt sah ich auf die Frau in meinen Armen hinab. Sie einfach so niedergeschlagen zu haben löste Schuldgefühle in mir aus, doch es ging nicht anders. Es musste so aussehen, als hätte ich sie überwältigt. Allerdings hatte ich selbst nichts abbekommen, das würde ich ändern müssen. Nereus sollte schließlich keinen Verdacht schöpfen. Nach einer Viertelstunde brach ich mit dem Mädchen ins Himmelsreich auf. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde sie wieder zu Bewusstsein kommen. Es gab noch einiges zu klären. Im Himmelsreich angekommen faltete ich meine Flügel im Rücken zusammen. Im selben Moment schlug Nyria die Augen auf. Ich beugte mich ein Stück vor, sodass nur sie mich hören konnte.

„Von nun an muss es so aussehen, als wäre alles gegen deinen Willen. Also zeig mal, was du drauf hast.“, hauchte ich, worauf sie mit entschlossenem Blick nickte.

„Alles klar.“, erwiderte sie. Kaum im Gebäude angekommen begann die Show. Nyria fing an zu schreien und versuchte scheinbar verzweifelt sich aus meinem Griff zu befreien.

„Sei still, Weib!“, brüllte ich, worauf sie tatsächlich für einen kurzen Augenblick verstummte. Scheinbar hatte meine Lautstärke sie überrascht.

„Vergiss es, Arschloch!“, schrie sie und verzog angewidert das Gesicht. Beinahe hätte ich gelacht. Ja, sie war wirklich gut. Auf ihr Schreien hin wurde plötzlich eine Tür aufgerissen.

„Was ist denn hier los?“, donnerte es uns entgegen.

„Halt's Maul!“, brüllte Nyria, doch kaum stand uns die Person gegenüber wurde sie still. Nereus blickte auf sie herab, als wäre sie ein kleines und unbedeutendes Insekt. Er verkrallte sich in ihren Haaren und riss ihren Kopf zurück, worauf sie ein Zischen ausstieß und den Erzengel wütend anfunkelte.

„Du hast das Miststück geschnappt, gute Arbeit, Ty.“, donnerte der Mann. Ein siegessicheres Funkeln machte sich in seinen Augen bemerkbar. Erst dann fiel mir etwas auf. Seit wann, und warum, benutzte Nereus Wörter wie Miststück? Nyria spuckte dem Erzengel eiskalt ins Gesicht und mir wurde klar, dass aus ihrer Schauspielerei bitterer Ernst wurde. Von nun an schwebte sie in Lebensgefahr.

„Was willst du von mir? Was habe ich dir getan?“, fauchte sie. Nereus fasste ihr Kinn und hob ihr Gesicht an.

„Das erfährst du noch früh genug, meine Liebe.“, hauchte er und wandte sich an mich. „In den Kerker mit ihr.“, befahl er. Ich nickte und schleifte Nyria hinter mir her, die wieder angefangen hatte sich gegen meinen Griff zu wehren. Als wir einige Gänge hinter uns gelassen hatten, ließ die Frau sich gegen mich sinken.

„So laut zu sein ist echt anstrengend.“, murmelte sie und rappelte sich wieder auf. Ich führte sie in ein Verlies und sperrte sie schweren Herzens auch darin ein.

„Ich versuche herauszufinden was Nereus vorhat. Du musst leider ohne Schlüssel versuchen hier herauszukommen, tut mir leid.“, erklärte ich und sah sie entschuldigend an. Sie lächelte und winkte ab, dann ließ ich sie alleine zurück.

 

29

 

Stolz wie ein Erzengel nur sein konnte stolzierte Nereus in den Saal, wo schon alle anderen auf ihren Plätzen saßen.

„Er hat sie!“, verkündete er kurz angebunden, worauf die Reaktionen unterschiedlicher nicht hätten ausfallen können. Fare schlug sich die Hände vor den Mund, Chest stieß ein Knurren aus. Die restlichen Erzengel wussten wohl nicht ganz, wie sie reagieren sollten. Die meisten hatten eigentlich kein Problem mit dem Mädchen.

„Und was hast du jetzt vor?“, knurrte Chest. Nereus grinste schelmisch.

„Erst einmal brauchen wir Informationen. Wenn nötig foltern wir die aus ihr heraus. Und dann...“

Er ließ eine kleine Kugel aus Feuer in seiner Hand entstehen, worauf sein Grinsen noch breiter wurde.

„Ich glaube kaum, dass ihr das machen werdet.“, sagte plötzlich jemand. Sie alle fuhren herum und starrten Nyria an.

 

Mit verschränkten Armen lehnte ich in der Tür. Meinen schnaufenden Atem konnte ich geschickt verbergen. Mit meinen mentalen Kräften war es erstaunlich einfach gewesen, das Schloss zu knacken. Nereus knurrte mich an.

„Ich dachte, Ty hätte dich in den Kerker geworfen?“

Die Wut stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Oh, das hat er auch. Aber wie du siehst, konnte ich mich befreien. Also dann, darf ich mir die Frage erlauben was ich eigentlich getan habe, um auf eurer Todesliste zu stehen?“, fauchte ich und schritt nun in den Saal. Ty war nicht hier, scheinbar wollte er Zayn Bescheid geben. Mist, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, mich aus diesem hässlichen Keller zu befreien. Hoffentlich machte er sich nicht all zu viele Sorgen... Ich konnte gerade noch einen Schritt zurückweichen, bevor Nereus mich zu fassen bekam. Verdammt, war der schnell!

„Du bist nichts, als eine Fehler der Natur. Nur eine elende Missgeburt, von einer Hure und einem Verräter geboren!“

Die Wut, die sich in mir angestaut hatte brach mit voller Wucht aus mir heraus. Mit aller Kraft die ich hatte stieß ich Nereus von mir und holte mit dem ganzen Arm aus, um ihm eine Ohrfeige zu verpassen.

„So lasse ich nicht mit mir reden! Ich habe nie etwas verbrochen, also wo ist dein Problem?“, brüllte ich, worauf einige Engel von ihren Plätzen aufsprangen. Entgeistert starrte der Erzengel mir gegenüber mich an. Scheinbar konnte er nicht glauben das ausgerechnet ich ihn geschlagen hatte. Wenn ich genauer darüber nachdachte wurde mir klar, dass ich besser nicht ausgeholt hätte. Meine überstürzte Handlung könnte mir nun zum Verhängnis werden. Nur wenige Sekunden, dann hatte er sich wieder vor mir aufgebaut. Herausfordernd starrten wir uns eine gefühlte Ewigkeit lang an.

„Du und Zayn werdet sterben, ob dir das passt oder nicht.“, verkündete er knurrend. Seine Hand schnellte mit einer Geschwindigkeit vor, bei der ich keine Chance hatte zu reagieren. Er umfasste meine Kehle mit der hand, und zwar so fest das er mich ohne Probleme in die Luft heben konnte. Ich rang nach Luft, konzentrierte mich aber ganz auf meine Fähigkeiten. Ich stellte mir vor wie das Feuer durch meine Adern floss, insbesondere an meiner Kehle, und wie es Nereus' Haut versengte. Die Kontrolle üer das Feuer funktionierte, der Erzengel ließ brüllend von mir ab. Brandblasen waren in seiner Hand zu erkennen. Mit einem Rumpeln landete ich auf dem Boden. Der äußerst hart war, wie ich gerade feststellte. Völlig verdattert starrte Nereus auf seine Hand.

„Was...was war das?“, brüllte er. Den Fluch, der auf seiner Zunge lag, konnte man ihm deutlich ansehen, doch keiner sagte etwas dazu.

„Wer weiß. Ich hab nicht vor dir davon zu erzählen.“, sagte ich betont lässig und zuckte mit den Schultern. Während der ganzen Situation machte ich mir Gedanken darüber, was nun wohl geschah. Würde Nereus mich nun töten wollen oder hatte er auch noch andere Pläne mit mir? Verdammt noch mal, dass ich nun hier war brachte das ganze Vorhaben von Zayn, Ezechiel und mir durcheinander. Möglicherweise würde der Endkampf doch schon eher stattfinden als geplant. Ich nahm meine Kampfhaltung ein und beobachtete die Situation. Was geschah nun? Plötzlich standen vier Engel um mich herum. So wie sie aussahen schienen es aber keine Erzengel zu sein.

„Weib!“, fuhr Nereus mich an. „Du wirst mir auf der Stelle verraten was Ezechiel und Vaher geplant haben, ansonsten stirbst du!“

Ich zog über seine Drohung die Brauen in die Höhe.

„Das werde ich ganz sicher niht. Das wirst du schon aus mir herausprügeln müssen.“, erwiderte ich und zeigte ein Lächeln, welches sofort von Nereus erwidert wurde.

„Mit dem größten Vergnügen.“, knurrte er und schnippte mit dem Finger, worauf die vier Engel um mich zum Angriff übergingen. Zwei von ihnen zwang ich mit meinen bloßen Gedanken in die Knie, die anderen beiden wurden durch mein schwarzes Feuer niedergestreckt. Schmerzensschreie gingen durch den Saal. Mein Blick fiel zufällig auf Fare, deren Augen sich geweitet hatten. Tut mir leid., dachte ich in ihre Richtung. Nereus wollte sich schon persönlich um mich kümmern, da flog die Saaltür auf. Ein geflügelter Mann rauschte in den Saal. Es handelte sich dabei um den Mann, den ich über alles liebte. Aber etwas war anders als sonst. Für gewöhnlich hatte er keine Flügel. Die waren ihm nämlich herausgerissen worden. Waren sie etwa...nachgewachsen? Warum hatte er mir nichts davon gesagt? Gebannt starrte ich auf seine tiefschwarzen Flügel, die einen violetten Schimmer aufwiesen. Nur in Bruchteilen von Sekunden war er bei mir, hatte mich in seine Arme gezogen und mir einen leidenschaftlichen Kuss verpasst. Stöhnend gab ich mich ihm hin. Lautes Donnergrollen erfüllte den Saal und ich wusste sofort, dass es von Nereus kam.

„Ich bin so froh, dass es dir gut geht.“, flüsterte Zayn und küsste mich ein weiteres mal. Dieses Mal zärtlich.

„Dank meines genialen Lehrers war ich in der Lage, vier Engel außer Gefecht zu setzen und einen Erzengel zu ohrfeigen.“

Ich kicherte, worauf Zayn mich perplex anstarrte.

 

Ich starrte sie an. Hier stand ich nun, im Saal der Erzengel und was tat ich? Ich starrte Nyria, weil sie behauptete einen Erzengel geohrfeigt zu haben. Nereus lautes Knurren riss mich zurück. Sofort schob ich mein Mädchen hinter mich, um sie zu schützen. Zähnefletschend wandte ich mich an Nereus.

„Meine Frau war nie eure Feindn und hat nie etwas getan, also was lässt dich glauben, dass du sie einfach so töten kannst?“, schleuderte ich ihm entgegen.

„Deine Frau?“, brüllte er zurück. „Das ich nicht lache. Sie ist nichts als eine Missgeburt!“

Das brachte bei mir das Fass zum Überlaufen. Mit flammender Hand und einem furcheinflößenden Knurren stürzte ich mich auf Nereus. Dabei war ich mir durchaus bewusst, dass dies der falsche Zeitpunkt dafür war. Dieser Kampf brachte nur alles durcheinander! Doch das kümmerte mich in diesem Moment nicht. Er wagte es, meine Frau zu beleidigen? Das würde er bereuen!

„Zayn, reiß dich zusammen!“, brüllte Nyria. Und auf einmal war sie an meiner Seite und riss mich zurück.

„Nicht.“, hauchte sie. Statt mir hätte nun sie einen Schlag abbekommen, wäre sie nicht elegant ausgewichen.

„Das können wir uns jetzt nicht erlauben.“, flüsterte sie mir ins Ohr und stellte sich schützend vor mich.

„Ich weiß, Babe. Aber er hat dich beleidigt.“, erwiderte ich gereizt. Grinsend sah sie zu mir auf.

„Dafür hat er ja die Ohrfeige kassiert. Und nun lass uns zusehen, wie wir hier wegkommen.“

Ihre Worte waren äußerst sinnvoll, doch ich hatte keinerlei Ahnung wie wir sie in die Tat umsetzen sollten. Wir waren beide stark, doch umgeben von lauter Erzengeln hätten wir keine Chance. Ich sah in die Gesichter meiner Brüder. Ich konnte an ihren Augen erkennen, dass sie uns gehen lassen würden. Sie waren nicht auf Nereus' Seite, doch er war der gefährlichste unter ihnen. Bei ihm musste man mit allem rechnen, und genau das machte ihn so verdammt gefährlich. Nereus wollte sich erneut auf uns stürzen, doch Nyria riss mich zur Seite und schloss ihre Hand dann fest um mein Handgelenk.

„Komm.“, hauchte sie und zog mich mit.

Ich fragte mich, was sie vorhatte und ließ zu, dass sie mich hinter ihr her zog. Sie rannte durch sämtliche Gänge und es schien, als wäre sie schon einmal hier gewesen. Warum kannte sie sich hier so gut aus? Scheinbar schien sie meine Gedanken erraten zu haben, denn ihre Präsenz machte sich in meinem Inneren bemerkbar.

Ich verlasse mich ganz auf mein Gefühl, Süßer. Das hier war mal dein Zuhause. Ich kann in dein Innerstes sehen, schon vergessen? Du kennst diesen Ort in und auswendig, ich somit auch.

Ich war so überrascht aufgrund dieser Worte, dass ich ins Straucheln geriet. Sofort zog sie mich wieder auf die Beine. Ehe ich mich versah waren wir im Freien. Ich hätte es mir denken können.

Ty und Ezechiel warteten dort bereits. Mein Bruder mit einem Grinsen im Gesicht, welches allerdings nicht von Belustigung zeugte. Es schien eher, als sähe er in der Situation die perfekte Gelegenheit. Wir rannten auf ihn zu und Nyria ergriff auch ihn am Gelenk.

„Denk nicht mal dran. Weg hier!“, zischte sie und zerrte ihn mit. Ty folgte uns und es dauerte nicht einmal fünfzehn Minuten, da lag Nyria neben mir im Bett.

 

„Verdammt, das bringt alles durcheinander!“

Während Ezechiel fluchte, lief er im Raum auf und ab. Ty beobachtete ihn dabei. Ezechiel unterdrückte den Drang auf etwas einzuschlagen. Wenn Nereus Ty befohlen hatte Nyria zu entführen, könnte er dem Dämon noch weitere Befehle erteilen, die zu Verhängnis werden könnten.

„Wir müssen uns was einfallen lassen.“, meldete Ty sich zu Wort. „Ich weiß nicht, wie seine nächsten Befehle ausfallen werden.“

Der Gefallene stieß ein Schnaufen aus. Als ob er das nicht selbst wüsste!

„Scheint, als würden wir den Kampf vorverlegen müssen.“, knurrte er.

„Ty.“, ertönte es plötzlich von der Tür aus. „Geh und frag Fare, ob sie und die anderen sich aus einem Kampf zwischen Nereus und uns heraushalten würden.“

Es war Zayn, der mit verschränkten Armen im Türrahmen lehnte und diese Worte ausgesprochen hatte. Ty stellte keine Fragen und nickte.

„Klar.“, sagte er, ehe er verschwand. Ezechiel starrte seinen Bruder an.

„Wie geht es ihr?“

„Sie ist erschöpft. Aber wen wundert's, sie hat vier Engeln in den Arsch getreten.“, erwiderte Zayn und gesellte sich zu seinem Bruder. Ezechiel zog die Brauen hoch.

„Vier Engel? Bist du sicher?“

Zayn nickte und ließ sich aufs Sofa fallen. Keiner von ihnen sagte etwas, eine geschlagene Viertelstunde lang schwiegen sie beide.

„Wir müssen uns unbedingt etwas einfallen lassen. Wenn Nereus Nyria schon entführen lässt...und das auch noch von Ty...“

Ezechiel bemerkte, dass sein Bruder vor Sorge keine vernünftigen Sätze mehr bilden konnte. Er ließ sich neben ihm nieder und klopfte ihm einige male auf die Schulter.

„Sollten unsere Brüder sich raushalten, haben wir zu dritt eine gute Chance gegen Nereus. Wenn nicht, müssen wir uns wohl bei Lucifer einen Rat holen.“

Zayn vergrub das Gesicht in den Händen.

„Ich will nicht, dass ihr etwas geschieht. Am liebsten würde ich sie aus allem heraushalten aber mit ihr haben wir eine viel größere Chance, als ohne sie.“, knurrte er heiser. Ezechiel lächelte schwach, auch wenn es alles andere als fröhlich war.

„Deine Frau ist stark, Bruder. Und ich glaube durchaus, dass sie in der Lage ist alles zu verändern. Wir müssen nicht mit unseren Brüdern sprechen, wir wissen auch so das fast alle von ihnen auf ihrer Seite sind. Hast du gemerkt, wie fasziniert sie von ihr sind?“

Mit grimmigen Blick sah Vaher auf.

„Natürlich habe ich das gemerkt! Selst Lucifer hat Gefallen an ihr gefunden und das soll schon was heißen!“

„Bruder, sieh mich an.“, sagte Ezechiel leise, worauf sich Zayns Augen tatsächlich auf ihn fixierten.

„Du bist der einzige der diese Frau beschützen kann. Und weiß du auch wieso? Weil du sie liebst, Zayn. Nur deswegen!“

Vahers Pupillen weiteten sich.

„Babe? Komm ins Bett...“

Die verschlafene Frauenstimme ließ Zayn sofort aufmerksam werden. Nyria stand im Flur und rieb sich müde die Augen.

„Ich komme, Kleines.“, hauchte er und wandte sich noch einmal an Ezechiel.

„Weck mich, wenn Ty wieder hier auftaucht.“

Sein Bruder nickte.

 

Fare musterte Ty aufmerksam, als dieser plötzlich vor ihr stand.

„Ist Nereus in der Nähe?“, flüsterte er, worauf die Frau den Kopf schüttelte.

„Gut. Dann berufe ich zu einer Konferenz.“

Überrascht verzog der Erzengel das Gesicht.

„Ich weiß zwar nicht, was du vorhast aber ich werde den anderen Bescheid geben. Bis gleich.“, sagte sie und war auch schon verschwunden. Nur wenige Minuten später stand Ty vor sämtlichen Erzengeln, die auf ihren Plätzen saßen. Alle waren anwesend. Alle, außer Nereus.

„Für gewöhnlich kommt es nicht vor, dass ein unbedeutender Engel zu einer Konferenz beruft. Also, was willst du?“, knurrte Chest. Ty schluckte, dann straffte er die Schultern.

„Ich weiß, dass ihr alle nichts gegen Nyria habt. Also warum lasst ihr zu, dass Nereus diese Spielchen spielt?“

Chest seufzte und tauschte einen kurzen Blick mit Fare aus.

„Jeder weiß, welch Feind man mit Nereus hat. Wir alle wissen, wie hinterhältig er sein kann und wie durchtrieben er ist. Wenn man es genau nimmt war er bisher auch unser Feind, nur haben wir nichts unternommen. Nun sag schon, was du willst.“, erklärte er nun. Ty rieb sich die Schläfen.

„Nehmen wir an, jemand würden Nereus bekämpfen, was würdet ihr tun? Würdet ihr euch auf deren Seite stellen und ihn bekämpfen? Oder würdet ihr euch raushalten und eurem Bruder einfach seinem Schicksal überlassen?“

Die Erzengel tauschten Blicke untereinander aus.

„Vermutlich kommt das ganz auf diejenigen an, die ihn bekämpfen würden.“, begann Fare im Namen aller. Chest setzte fort.

„Sprich, würde Lucifer im Kampf antreten würden wir unseren Bruder verteidigen. Ebenso, wenn Ezechiel einen Kampf anzetteln würde. Bei anderen Leuten wären es vermutlich andere Umstände. Worauf willst du eigentlich hinaus, Ty?“

Der Dämon beschloss, die Karten auf den Tisch zu legen.

„Nyria, Vaher und auch Ezechiel wollen Nereus bekämpfen. Gemeinsam. Und sie hoffen, dass ihr euch raushalten werden. Oder sie unterstützt, eins von beiden. Sie wollen alles in Frieden miteinander klären, dank Nereus geht das allerdings nicht.“

Einige der Engel schnappten hörbar nach Luft.

„Sie wollen ihn tot sehen...“, murmelte Fare und so langsam wurde ihr klar, in welch einer Zwickmühle sie wirklich steckten. Jemand würde sterben. Doch noch war unklar, wer.

 

30

 

Zayn hob mich auf seinen Rücken und sah dann über seine Schulter zu mir.

„Du bist erschöpft, Süße. Also warum schläfst du nicht?“, sagte er leise. Er trug mich Richtung Schlafzimmer.

„Ich hätte es lieber, wenn du neben mir liegst.“, murmelte ich und schloss die Augen. Im Moment wollte ich ihn einfach nur bei mir haben und seine Nähe spüren. Zu groß war die Angst, aus seinen Armen gerissen zu werden.

„Du hast Angst.“, sagte Zayn plötzlich. Mittlerweile waren wir im Schlafzimmer angekommen, weshalb er mich wieder auf den Füßen abstellte. Hatte er in mein Innerstes gesehen, um das sagen zu können?

„Ja.“, antwortete ich nun und sah zu ihm auf.

„Wir schaffen das.“, flüsterte er und küsste mich auf den Scheitel. Ich schlang die Arme um ihn und genoss die Wärme, die er ausstrahlte.

„Lass uns schlafen.“, hauchte ich und zog ihn zum Bett. Ein paar Minuten später hatte ich mich an ihn gekuschelt und die Augen geschlossen. Ich fing an nachzudenken. Wenn Nereus mich schon entführen ließ, dann mussten wir mit weitaus schlimmeren Dingen rechnen. Was sollten wir nun tun? Scheinbar spürte Zayn meine innere Unruhe, denn er stieß mich an.

„Schlaf jetzt.“, brummte er. Ich gehorchte.

 

Amüsiert blickte ich auf Ty herab, der etwas außer Atem war.

„Du hast dich ziemlich lange nicht blicken lassen.“, stellte ich ausdruckslos fest. Scheinbar glaubte er ich habe schlechte Laune, denn er schluckte mehrere Male und zog die Schultern ein.

„Verzeihung.“, erwiderte er leise. „Aber es ist einiges passiert.“

Ich zog die Brauen hoch und lächelte leicht.

„Na, wenn das so ist hast du sicher einiges zu erzählen.“

Plötzlich schüttelte er hektisch den Kopf.

„Eigentlich nicht. Ich hab nämlich nicht sonderlich viel Zeit.“

Überrascht über diese Worte neigte ich den Kopf.

„Eigentlich dulde ich diesen Ton nicht aber ich will mal nicht so sein.“, erwiderte ich und machte eine vage Geste mit der Hand.

„Na, dann lass mal hören.“

Ty schluckte, neigte ebenfalls den Kopf und schloss für einen kurzen Moment die Augen.

„Nereus hat Nyria entführen lassen, und zwar von mir.“

Für einen Augenblick schien die Zeit still zu stehen. Das Ty nun vor mir stand, konnte im Moment nur ein gutes Zeichen sein. Moment mal! Sorgte ich mich etwa um diese junge Frau? Mein Diener atmete tief durch und lächelte dann schwach.

„Sie ist wieder in Sicherheit aber ich glaube, so langsam wird es gefährlich.“

Ich erlaubte es mir ebenfalls tief durchzuatmen.

„Das kann man wohl sagen. Du verschwindest wohl besser hier, ab jetzt ist Zeit kostbar.“, murmelte ich. Er nickte, hauchte ein Danke und verschwand im Nichts. Nachdenklich rieb ich mir das Kinn. Er ließ sie entführen? Hätte er dann nicht eigentlich die Chance gehabt, sie zu töten? Was hatte er mit ihr vor, verdammt? Seufzend erhob ich mich. Vielleicht sollte ich ihnen einen Besich abstatten?

 

Besorgt sah Fare zum Fenster hinaus. Nyria hatte allen einen kurzen Einblick in ihre Fähigkeiten gewährt. Doch um ehrlich zu sein beunruhigte sie das. Es war nahezu beängstigend gewesen, mit welch einer Leichtigkeit Nyria die vier Engel außer Gefecht gesetzt hatte. Das sie etwas Besonderes sein würde war von Anfang an klar gewesen, doch das sie wirklich so mächtig sein würde... Sie war sogar aus dem Verließ entkommen, das durfte nich sein. Fare gestand sich ein, dass sie sich auch Gedanken um Nereus machte. Er ließ sie einfach so entführen? Und dann auch noch von Ty! Sie seufzte. Naja, eigentlich konnte sie sich glücklich schätzen das es Ty gewesen war. Jeder andere hätte ihr wer weiß was antun können.

„Denkst du etwa immer noch darüber nach?“, riss Chest sie plötzlich aus den Gedanken. Sie drehte sich um.

„Na, was denkst du denn? Einer wird sterben!“, fauchte sie leise. Chest ging zu ihr und legte ihr die Hand als eine beruhigende Geste auf die Schulter.

„Das weißt du doch noch gar nicht.“, sagte er leise.

„Sie hat recht.“, mischte sich plötzlich eine Männerstimme ein. Beide Erzengel wirbelten herum. Sie kannten diese Stimme, auch wenn sie ihnen seltsam fremd vorkam. Es war der Teufel höchstpersönlich, der ihnen nun gegenüber stand. Beide zogen ihr Schwert.

„Verschwinde!“, zischte Fare, ganz der Erzengel. Lucifer hob abwehrend die Hände.

„Bitte, meine Liebe. Ich bin nicht als Feind hier. Und auf einen Kampf bin ich schon gar nicht aus.“, entgegnete er.

„Lügner!“, fauchte Fare. Plötzlich änderte sich Chests Haltung.

„Warte. Ich glaube, er sagt die Wahrheit.“

Nur langsam und widerwillig gab auch Fare ihre Haltung auf.

„Wir haben uns lange nicht gesehen, Lucifer.“, begann Chest spontan ein Gespräch. Der Teufel lächelte schwach.

„Allerdings. Aber ich bin aus einem ernsten Grund hier. Mir ist da etwas zu Ohren gekommen.“

Aufmerksam zogen die Erzengel die Brauen in die Höhe. Fare lief es eiskalt den Rücken runter. Hatte er etwa Wind von Nereus' Verhalten gekriegt?

„Interessant.“, murmelte Chest und umschlang Fares Taille mit einem Arm. Keine Ahnung warum er das tat, er machte es einfach und es löste ein gutes Gefühl in ihm aus. Fare schien es auch nicht sonderlich zu stören.

„Euer Bruder scheint ja in Hochform zu sein.“, verkündete Lucifer und sah die beiden abwechselnd an.

„Wen meinst du?“, fragte Fare gezielt unwissend und neigte den Kopf.

„Nereus.“, erwiderte Lucifer ohne zu zögern. „Er verliert die Kontrolle, nicht wahr?“, fügte er hinzu und sprach somit genau das aus, was alle anderen Erzengel dachten. Keiner hatte sich getraut, das auszusprechen.

„Ihr lasst einfach so zu, dass er Nyria entführt? Was ist denn los mit euch?“, knurrte er plötzlich laut. Beide hielten die Luft an.

„Ihr wisst genauso gut wie ich, dass niemand ein Problem mit Nyria hat. Also warum lasst ihr das zu?“

„Die Situation der Himmlischen hat dich nicht zu interessieren, Teufel.“, knurrte Chest gereizt.

„Bist du etwa nur deshalb hergekommen?“, mischte Fare sich wieder ein. Der Blick des Herrschers verfinsterte sich.

„Es ist nicht meine Absicht euch Ärger zu bereiten aber solltet ihr Nereus' Verhalten nicht in den Griff kriegen, sehe ich mich gezwungen einzuschreiten.“

Perpkex starrten sie ihn an.

„Ist das dein Ernst? Du kannst dich doch nicht einfach in unsere Angelegenheiten einmischen.“

Chest stand kurz davor zu brüllen. Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein? Die Erzengel tauchten schließlich auch nicht einfach in der Hölle auf und sagten dem Teufel, was er zutun hatte. Lucifers Miene wurde immer verbissener.

„Ich mische mich hier nicht ohne Grund ein. Ich warne euch, Erzengel! Lange sehe ich da nicht mehr zu. Ich habe auch meine Beweggründe.“

Noch bevor die beiden etwas erwidern konnten, war der Teufel verschwunden.

„Chest?“, hauchte Fare. „Ich habe ein ganz blödes Gefühl.“

 

„Warum so ein trauriges Gesicht?“

Glücklicherweise schaffte ich es, nicht zusammenzuzucken, als Lucifers Stimme plötzlich an meinem Ohr ertönte. Meine Mundwinkel zuckten.

„Warum nicht auf deinem Thron?“, erwiderte ich und beobachtete ihn dabei, wie er sich direkt vor mir gegen den Tisch lehnte und auf mich herab sah. Ich musste feststellen, dass er eigentlich verdammt gut aussah. Irgendetwas in seinem Blick stimmte mich nachdenklich.

Warum sah er mich so eindringlich an? War es etwa Sorge, die ich in seinem Blick erkannte?

„Wo sind deine Jungs?“, fragte er lächelnd.

„Meine Jungs?“, lachte ich und zog die Brauen hoch. „Das gefällt mir!“

Ich erhob mich.

„Warte kurz.“, sagte ich. Ein paar Minuten später kam ich mit zwei Falschen Bier zurück, wovon ich eine Lucifer zuwarf.

„Die zwei Idioten führen mal wieder eins ihrer Männergespräche. Warum bist du hier?“

Er starrte erst das Bier in seiner Hand an, dann mich.

„Ich war in Sorge.“, sagte er plötzlich leise, worauf ich mit der Bierflasche an meinen Lippen verharrte.

„Der böse, böse Teufel war in Sorge? Worüber?“, hauchte ich und trat an ihn heran. Erneut sah er mir eindringlich in die Augen.

„Nereus hat dich entführt, Nyria. Ist dir immer noch nicht klar, wie wertvoll dein Leben ist?“, sagte er leise. Ich war über diese Worte überrascht. Schwach lächelnd stellte ich mich neben ihn und stieß ihn leicht in die Seite.

„Wie du siehst, geht es mir gut. Was ist denn los mit dir, Lucifer? Du bist der Teufel und nicht mein Vater. Warum so gefühlvoll?“

Nachdenklich sah er mich an.

„Glaubst du wirklich das ich, nur weil ich der Teufel bin, kein Herz besitze? Ich kann dich gut leiden, Kleine und es sind bereits eine Menge Nephilim zu Tode gekommen. Ich bin nicht der einzige der glaubt, dass du in der Lage bist einiges zu verändern.“

Ich hatte keine Ahnung, was ich von diesem Gespräch halten sollte. Plötzlich lächelte er. Vielleicht, weil ich in diesem Moment verwirrt aussah, ich wusste es nicht.

„Ich habe den Erzengeln einen kleinen Besuch abgestattet.“, verkündete er.

Nun war ich sprachlos. Er war im Himmelsreich? Einfach so? Und er war unverletzt von da weg gekommen? „A-Aber...“

Sah ich so komisch aus gerade? Denn plötzlich fing er an, schallend zu lachen.

„Wie du siehst, geht es mir gut.“, wiederholte er meine vorhin ausgesprochenen Worte. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und sah einfach nur fassungslos zum Teufel auf.

„W-Was hast du da überhaupt gemacht?“, brachte ich schließlich hervor. Auf einmal wurde er völlig ernst und jegliche Belustigung verschwand aus seinem Gesicht. Nun war zu erkennen, wer dieser Mann wirklich war.

„Ty war kurz bei mir und hat mir von den Ereignissen der letzten Zeit erzählt. Ich hatte eigentlich vor, mich aus der ganzen Sache rauszuhalten aber ich weiß nicht, ob mir das noch länger gelingt. Nereus verliert den Verstand und es wird Zeit, dass die anderen Erzengel das einsehen. Auch wenn du eine Nephilim bist, das ist noch lange kein Grund dich zu töten. Ich habe ihnen gedroht. Sollten sie nicht bald etwas dagegen unternehmen, werde ich mich einmischen und dann gibt es mehr, als nur einen Toten.“

Ich schluckte. Er meinte es also tatsächlich ernst.

„Du hast ihnen gedroht und haben dich dann einfach so laufen lassen? Das passt so gar nicht zu ihnen.“

Wir drehten uns um und entdeckten Zayn, der zusammen mit Ezechiel gerade den Raum betrat. Ezechiel stieß Zayn an und zeigte ein grimmiges Lächeln.

„Ich wette, er hat mit Fare gesprochen. Glaubst du ernsthaft, sie würde ihn angreifen?“, brummte er. Zayns Stirn legte sich in Falten.

„Es handelt sich hier um Lucifer, den Fürsten der Unterwelt. Du glaubst doch nicht wirklich das Fare ruhig sitzen bleibt, wenn er in der Nähe ist.“

Ich seufzte leise.

„Na, dann lass uns doch wetten!“, fauchte mein Vorfahre und ballte die Hand zur Faust.

„Das würde ich lassen. Das gäbe nämlich ein Unentschieden.“, murmelte Lucifer, worauf die beiden verstummten und ihn irritiert anstarrten. Er hüstelte kurz und fuhr fort.

„Ja, ich habe mit Fare gesprochen. Und mit Chest. Sie wollten mich angreifen aber ich konnte sie davon überzeugen, dass ich keine bösen Absichten hatte. Und nun genug davon. Wie werdet ihr vorgehen?“

Zayn kratzte sich am Hinterkopf und kam zu mir geschlendert. Dann legte er den Arm um mich.

„Genau darüber haben Ezechiel und ich gerade gesprochen. Es sieht ganz so aus, als müssten wir so langsam zum Angriff übergehen. Ich will kein Risiko eingehen und Nyria unnötig länger der Gefahr aussetzen.“

Ich seufzte erneut, lauter dieses mal.

„Glaubt ihr nicht, ich habe bewiesen das ich ganz gut auf mich selbst aufpassen kann? Ihr solltet das alles besser durchplanen anstatt jetzt sofort ans Werk zu gehen. Ist denn schon klar, ob eure Geschwister sich raushalten werden oder nicht?“, sagte ich und sah sie zwei an. Lucifer sah zwischen uns dreien hin und her.

„Ihr habt sie gefragt?“, murmelte er verwirrt. Ich sah zu ihm.

„Wir nicht, nein. Wir haben Ty beauftragt sie zu fragen, wie sie reagieren würden angenommen es käme zu einem Kampf. Wir warten noch auf die Antwort.“, erklärte ich.

„Da bin ich schon.“, keuchte plötzlich jemand. Wie zu erwarten war es Ty, der in den Raum stolperte. Bei Lucifers Anblick musste er kurz um seine Fassung ringen, er hatte sich aber schnell wieder beruhigt.

„Na, dann mal raus mit der Sprache.“, drängte Ezechiel und wedelte mit der Hand. Ty atmete tief durch, dann wurde sein Gesichtsausdruck ernst.

„Sie sagen, das käme ganz auf die Leute an. Sie waren sich unsicher als ich ihnen gesagt habe, wer den Kampf gegen ihn aufnehmen will. Manche scheinen sich wirklich vor Nereus fürchten. Ingesamt hatte ich aber den Eindruck, dass sie es auf einen Versuch ankommen lassen würden.“

Wir alle tauschten Blicke untereinander aus.

„Das ist zwar keine klare Antwort aber es lief keineswegs schlecht, würde ich sagen.“, murmelte ich und sah zu Lucifer auf.

„Was meinst du, böser Mann? Sollten wir einfach mal ins Himmelsreich einmarschieren und Nereus in den Arsch treten?“

Der Teufel schmunzelte und schüttelte belustigt den Kopf.

„Kleine, du bist unverbesserlich. Aber wie dem auch sei, einfach so dort einmarschieren würde ich euch abraten. Gebt ihnen fünf Tage. Wenn sie Nereus bis dahin nicht gestoppt haben, könnt ihr handeln. Sucht euch ein paar verlässliche Leute. Sie sollten gute Kämpfer sein, denn keiner kann sagen, wie die Wächterengel reagieren werden wenn sie euch sehen. Gut möglich das sie glauben, ihr würdet euch das Himmelsreich unter den Nagel reißen wollen.“

Ich verstand nur Bahnhof und legte den Kopf schief.

„Was bitte sind Wächterengel?“, fragte ich und sah Zayn erwartungsvoll an. Seine Hand knuffte mich kurz in die Seite.

„Wächterengel stehen nicht weit unter den Erzengeln. Sie sind die Beschützer, achten darauf das alle sich an das Gesetz halten und niemand Ärger stiftet. Sie beschützen die Erzengel und sollten sie einen ungebetenen Gast im Himmelsreich bemerken, kann sich dieser auf etwas gefasst machen. Entweder der Eindringling wird gefoltert und in den Kerker geworfen, oder er landet direkt zu Lucifers Füßen.“

Amüsiert über diese Wortwahl fing der Teufel an zu lachen. Schien, als hätte ich wieder etwas gelernt.

„Wie oft kam das vor?“, murmelte ich und sah Lucifer an. Dieser zuckte mit den Schultern.

„Zu oft als das ich sagen könnte, wie oft.“, erwiderte er und wandte sich von uns ab. „Ich denke, ich habe alles gesagt was ich zu sagen hatte. Von nun an werdet ihr wohl alleine klar kommen.“

Er hatte den Raum schon beinahe verlassen, als ich mich noch einmal zu Wort meldete.

„Danke, Lucifer.“

 

Fünf Tage also. Ob sich in dieser Zeit etwas tun würde? Ezechiel bezweifelte das, ich jedoch hatte noch ein wenig Hoffnung. Fare und die anderen schienen inzwischen durchaus begriffen zu haben, wie ernst die Lage war, da konnten sie doch nicht tatenlos zusehen, oder?

„Ich habe mir gar keine Gedanken über die Wächter gemacht. Vielleicht hat Lucifer recht?“, murmelte ich und warf meinem Bruder einen kurzen Blick zu. Er stand am Fenster und sah nachdenklich hinaus.

„Wir sollen uns also Leute suchen? Und an wen hast du gedacht?“, murmelte er, ohne meinen Blick zu erwidern.

„Du kennst mindestens genauso viele Leute wie ich, Bruder, also spar dir diese Frage.“, antwortete ich mit zuckenden Mundwinkeln. Nyria war wieder verschwunden, keine Ahnung wohin. Doch im Augenblick war mir das ganz recht.

„Glaubst du wirklich Nyria wird uns freie Bahn geben, wenn sie sieht mit welchen Leuten wir verkehrt haben?“

Bei Ezechiels Worten konnte ich ein Lachen nicht unterdrücken. Nach ein paar Minuten tat mir sogar der Bauch weh vor Lachen.

„In der Welt der Menschen bin ich ein gesuchter Serienmörder, das hat Nyria auch nicht davon abgehalten sich um mich zu kümmern. Da wird sie doch nicht nur wegen ein paar Dämonen Angst zeigen.“

Nun zuckten auch Ezechiels Mundwinkel. Doch ich konnte verstehen, warum er das so amüsant fand. Ob Nyria beim Anblick von Ghulen wirklich ruhig bleiben würde, blieb zweifelhaft. Mein Bruder seufzte und warf mir einen langen Blick zu.

„Ich will ehrlich sein, Zayn. Ich glaube nicht, dass unsere Brüder sich Gedanken darüber machen, wie sie Nereus aufhalten können. Viel eher nehmen sie einen Kampf in Kauf.“

Ich setzte bereits zu einer Antwort an, da hob er die Hand und sprach weiter. Er hatte es auch damals nicht gemocht, wenn man ihn unterbrach.

„Ich weiß schon was du sagen willst, Bruderherz aber so gutmütig Fare auch ist, die anderen werden ihr keine Chance geben zu handeln. Sie will sich sicher immer noch nicht eingestehen, dass jemand sterben wird.“

„Nicht jemand. Nereus.“, knurrte ich und ballte die Hände zu Fäusten. Je mehr Zeit verging, desto besessener wurde ich von dem Gedanken, endlich Rache zu nehmen. Doch inzwischen hatten mich Zweifel überkommen. Wenn ich Rache wollte, sollte ich mich da nicht an allen vergehen, anstatt nur an Nereus? Doch was war mit Nyria? Klar, sie wollte das ich glücklich war aber sie würde sicher niemals zulassen, dass wir alle Erzengel auslöschten. Ich sah zu Ezechiel. Vielleicht sollten wir unsere Pläne noch einmal überdenken? Finstere Gedanken überkamen mich.

 

31

 

Gedankenverloren betrachtete ich meine Fingernägel. Ty saß mir gegenüber auf dem Sofa und auch Lucifer beehrte uns mit seiner Anwesenheit.

„Du machst schon wieder so ein trauriges Gesicht, Kleine. Willst du mir nicht verraten was los ist?“

Der Teufel riss mich aus den Gedanken. Mit einem Seufzen sah ich auf. Es gab da tatsächlich etwas, das mich beschäftigte. Doch eigentlich sah ich keinen Grund, Lucifer davon zu erzählen. Er musste ja schließlich nicht alles wissen. Und das Ty hier saß und lauschte löste auch nicht gerade Wohlbefinden in mir aus. Erwartungsvoll blickte mich der Herrscher der Unterwelt an. Mit einem hervorragenden Timing erhob sich Ty und streckte sich.

„So, ich verschwinde dann mal. Vielleicht gibt’s ja was Neues von unserem geliebten Nereus.“

Und damit war er weg. Fast schon erleichtert stieß ich die Luft aus meinen Lungen.

„Es geht um Zayn.“, murmelte ich und starrte auf meine Füße. Warum nur war es mir so unangenehm, Lucifer davon zu erzählen? Ich musste nicht aufsehen um zu wissen, dass er sich neben mir niedergelassen hatte. Das Sofa unter mir knautschte leise, als Lucifer sie mit seinem Gewicht belastete.

„Na komm, erzähl dem großen, bösen Onkel deine Sorgen.“

Fast hätte ich gelacht. Aber auch nur fast.

„Er zieht sich immer mehr zurück und ich komme nicht mehr an ihn ran. Irgendetwas beschäftigt ihn aber weder er noch Ezechiel verlieren ein Wort darüber. Ich weiß das sein Bruder es auch gemerkt hat aber er tut so, als wäre nichts. Das regt mich auf. Ich fühle mich außen vor gelassen, dabei können Zayn und ich uns sonst alles erzählen.“

Stöhnend vergrub ich das Gesicht in den Händen. Drei Tage waren vergangen, zwei waren übrig um den Erzengeln die Chance zu geben, Nereus zu stoppen. Doch nach Ty zufolge schienen sie sich keinerlei Gedanken darüber zu machen. War es das, was Zayns Aufmerksamkeit auf sich zog? Machte er sich Sorgen? Vielleicht sogar um mich? Schließlich war ich Auslöser für Nereus Verhalten. Ich konnte mir gut denken, dass Zayn die Schnauze voll hatte mich zu beschützen. Noch ein Stöhnen verließ meinen Mund. Jetzt überkamen mich auch noch Zweifel an allem. Wann war ich bitte so tief gesunken? War für gewöhnlich nicht ich diejenige die allen Hoffnung machte? Nun saß ich hier und jammerte. Und neben mir der Teufel, der mir plötzlich die Hand auf die Schulter legte und leicht zudrückte. Ich schauderte beim sanften Klang seiner Stimme.

„Er macht sich halt über alles Gedanken. Um ehrlich zu sein wundert es mich, dass er erst jetzt so in Gedanken ist. Ich hätte schon viel eher damit gerechnet. So wie ich ihn kenne will er nicht, dass du dir Sorgen machst und behält seine Gedanken für sich.“

Ich schloss die Augen.

„Das glaube ich nicht. Ständig steht er mit leerem Blick am Fenster und starrt hinaus. Er beachtet mich nicht einmal wenn ich den Raum betrete und das ist für den Zayn, den ich kennengelernt habe mehr als ungewöhnlich.“, murmelte ich. Am liebsten hätte ich mich nun im Bett verkrochen. Doch das hätte mir auch nichts gebracht, nachgedacht hätte ich dann noch immer.

„Hast du schon versucht mit ihm darüber zu reden?“, kam es von Lucifer. Erneut fing ich beinahe an zu lachen. Diese Situation war doch verrückt! Es kam mir vor, als wäre Lucifer die Mutter die ich mir insgeheim immer gewünscht hatte...

„Ja aber er blockt ab. Sagt, dass alles in Ordnung wäre und ich mir keine Gedanken machen soll. Irgendwann habe ich es aufgegeben.“

Wieder drückte er sanft an meiner Schulter zu.

„Mach dir keine Gedanken, das renkt sich schon wieder ein sobald alles überstanden ist. Habt ihr inzwischen eine kleine Truppe zusammen gestellt?“

Es war nett, dass er das Thema wechseln wollte, doch richtig begeistern konnte ich mich dafür nicht. Erst recht nicht für dieses Thema.

„Sie sind dabei...Allerdings weiß ich nicht so recht, was ich von einigen dieser Leute halten soll.“, erwiderte ich, worauf Lucifer leise lachte.

„Sie haben sich sicher ihre alten Kollegen ausgesucht, stimmt's?“

Ich brachte lediglich ein Nicken zustande.

„Vielleicht sollte ich mal nach ihnen sehen. Sie haben noch ein paar mehr eingeladen.“, sagte ich irgendwann und erhob mich schweren Herzens. Zu gerne wäre ich hier sitzen geblieben.

Zu meinem Erstaunen sagte er nichts dazu und blickte mir stumm nach. Hatte er erkannt das es nichts brachte, mich jetzt aufheitern zu wollen? Meinen Gedanken nachhängend machte ich mich auf den Weg zu dem Raum, in dem Zayn und Ezechiel sich gerade mit sämtlichen unmenschlichen Geschöpfen beschäftigten. Dort angekommen setzte ich beim Anblick der gehörnten Wesen erstmal meine ausdruckslose Maske auf. Die vier Männer mir gegenüber sahen eigentlich ganz normal aus, wären da nicht die die zwei langen Hörner die jeder von ihnen seitlich am Kopf hatte. Und die dunkelroten Male die immer die Hälfte der Gesichter bedeckten.

„Na, Angst?“, sagte einer von ihnen mit dunkler Stimme und grinste mich verschwörerisch an. Ich zeigte keine Reaktion, worauf Lucifer plötzlich neben mir stand und den Arm um mich legte. Er lachte leise.

„Kleiner, wenn es jemanden gibt der vor nichts Angst hat, dann ist sie das.“, antwortete er an meiner Stelle und ließ mich auch schon wieder los.

Nahezu erschrocken starrten die vier den Teufel an, dann huschten ihre Blicke zu Zayn und seinem Bruder.

„Ihr habt uns nicht gesagt, dass ihr mit dem Teufel zusammen arbeitet!“, knurrte einer von ihnen.

Allem Anschein nach gefiel ihnen das ganz und gar nicht. Ich ahnte, dass diese vier Burschen schwer zu überzeugen waren. Scheinbar vermasselten wir ihnen gerade alles. Genau deswegen mischte ich mich ein.

„Keine Sorge, er hält sich raus. Zumindest solange wir Erfolge zeigen.“, sagte ich kalt und trat zu ihnen. Sie alle musterten mich, auch Zayn. Ja, er hatte diese Art an mir schon länger nicht mehr gesehen.

„Bist du eine seiner Dienerinnen?“, fragte der zweite von ihnen. Er hatte verschienfarbige Augen, ein blaues und ein schwarzes, und irgendwie faszinierte er mich. Er schien nicht so stur zu sein wie die anderen drei, dennoch hatte er eine Ausstrahlung die gefährlich wirkte.

„Eher geb ich mir die Kugel, anstatt mich ihm zu unterwerfen.“, murmelte ich, worauf Lucifer schallend lachte.

„Nett wie eh und je.“, gluckste er und kam ebenfalls näher.

„Nein, sie gehört nicht zu mir. Vaher war mal einer meiner Männer, notfalls kriegt er ein bisschen Unterstützung.“

Diese abwertenden Blicke gefielen mir ganz und gar nicht.

„Stellt euch erst einmal vor, ehe ihr mich so blöd anquatscht.“, sagte ich nun. Plötzlich lächelte der mit den ungewöhnlichen Augen.

„Kleine, du gefällst mir. Ich wette du gehörst zu Zayn.“

Sein Tonfall gefiel mir. Ich ließ meine Maske fallen und lächelte.

„Stimmt. Ich bin Nyria.“, erwiderte ich und streckte ihm meine Hand entgegen.

Gegen meine Erwartungen war sein Händedruck sanft und mir schien, als könne er verstehen warum ich erst so abweisend war.

„Ich bin Trae, freut mich. Das hinter mir sind Gaven, Jaze und Kuja. Wir sind Ghule.“

Beinahe hätte ich bei seinen Worten das Gesicht verzogen. Ghule? Waren das nicht Körperfresser? Irgendwie widerlich... Ich spürte einen sanften Hauch in meinem Inneren. Es war Zayn, der meine Gefühlslage ergründen wollte. Ein leises Lachen drang an meine Ohren. Scheinbar fand er meine Reaktion lustig.

„Du bist also die kleine Nephilim, hinter der alle her sind.“, meldete sich der Ghul mit den schwarzen Augen zu Wort. Es war Jaze.

„Hinter der alle her sind?“, murmelte ich irritiert. Schlagartig veränderte sich die Stimmung. Die Luft um mich herum schien zu gefrieren und als ich zu Zayn hinüber sah, wusste ich auch warum. Solch einen schrecklichen Blick hatte ich bei ihm noch nicht gesehen. War er etwa wütend?

„Das ein Erzengel mich tot sehen will, ist mir nichts Neues. Und was heißt hier „alle“?“, murmelte ich und sah durch die Runde. Scheinbar wurde dem Typen gerade klar was er gesagt hatte, denn er zog die Schultern ein Stück hoch und trat einen Schritt zurück. Zayns wütender Blick galt ihm.

„Was heißt hier bitte alle?“, fauchte ich. Ezechiel lotzte die Ghule und Lucifer aus dem Raum.

„Bis später.“, sagte Zayns Bruder lediglich ausdruckslos. Dann waren sie auch schon weg.

„Was hat er damit gemeint, Zayn?“, hakte ich leise nach und sah den Gefallenen an. Er hatte mir doch tatsächlich etwas verschwiegen! Das nahm ich ihm übel! Er seufzte und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, dann ließ er sich auf dem Sofa nieder. Vorsichtig warf ich einen Blick auf sein Innerstes. Er war...verzweifelt? Überfordert? Ängstlich?

„Nicht nur Nereus ist hinter dir her, Süße.“, hauchte er leise und sah durch seine langen Wimpern hindurch zu mir auf. Ich kam nicht mit. Verständnislos sah ich ihn an, dann ging ich vor ihm in die Knie.

„Ich bitte dich Zayn.“, flüsterte ich. „Du kannst mir immer alles sagen. Hast du dir solche Sorgen gemacht? Hast du mir aus Angst nicht gesagt, dass man mich jagt nur weil ich eine Nephilim bin?“

Er antwortete mir nicht und weichte auch meinem Blick aus. Vorsichtig hob ich sein Gesicht an.

„Hey. Es wird alles gut.“, hauchte ich dann und küsste ihn auf die Stirn. Das waren meine letzten Worte ehe ich mich erhob, ihn an der Hand nahm und mit mir zog. Komm. Wir haben einen Kampf vorzubereiten., dachte ich, sprach es aber nicht aus.

 

Die Tür ging auf und mein Blick richtete sich auf Nyria und meinen Bruder, die den Raum betraten. Ich musterte sie. Nyria wirkte ein bisschen neben der Spur, doch von einer Sekunde auf die andere veränderte sich ihr Gesichtsausdruck und wurde undurchdringlich. Zayn ließ ebenfalls nicht die kleinste Gefühlsregung zu erkennen. Nachdenklich kaute ich auf der Innenseite meiner Wange. Mein Bruder hatte sich in den letzten Tagen verändert. Er war total in sich gekehrt, ließ nicht einmal mehr Nyria an sich heran. Natürlich hatte ich es bemerkt und ich hatte auch so meine Vermutungen, doch egal wie oft Nyria mich auch schon darauf angesprochen hatte, ich tat so als wüsste ich nicht wovon sie rede. Das tat mir leid für sie, ehrlich, doch es wäre besser wenn sie sich nicht zu viele Gedanken darüber machte. Was auch immer mit Zayn los war, es würde vorübergehen. So hoffte ich zumindest. Gaven wandte sich an mich.

„Alles in Allem bin ich zufrieden mit eurem Plan aber seid ihr sicher, dass das auch klappt?

Was ist mit den anderen Erzengeln?“

Ich drehte mich zu ihm und verschränkte die Arme.

„Das versuchen wir noch zu klären. Entweder sie halten Nereus selbst auf oder sie haben Pech. Wir haben sie fragen lassen wie sie reagieren würde, wenn es zu einem Kampf käme. Sie antworteten, dass es ganz auf die Personen ankäme. Entweder unterstützen sie einen, oder sie halten sich raus. Oder sie schützen Nereus.“, erwiderte ich ausdruckslos. Mein Blick fiel wieder auf Zayn. Irgendetwas in seinen Augen gefiel mir nicht. Sein Blick hatte sich verfinstert. Ich ballte kurz die Hände zu Fäusten. Darüber konnte ich mir jetzt keine Gedanken machen, ich musste über wichtigeres nachdenken.

„Und wie genau wollt ihr diesbezüglich handeln?“, riss Gaven mich aus den Gedanken. Ich rieb mir das Kinn.

„Nun kommen wir zum eigentlichen Thema. Nyria ist eine gute Kämpferin, glaub mir, mit ihr wird es kein Problem Nereus außer Gefecht zu setzen. Wir wissen nicht wie die Wächter reagieren werden, wenn sie uns sehen und genau deswegen wollen wir zur Vorsicht Rückendeckung. Und für den Fall, dass sich die anderen Erzengel gegen uns stellen sollten haben wir euch. Alles klar?“

Die Ghule nickten. Ich musterte sie. Sie hatten sich in all den Jahrhunderten nicht verändert. Sowohl Zayn, als auch ich hatten in der Vergangenheit mehrere Male miteinander zu schaffen gehabt. Entweder haben sie mit uns zusammen gearbeitet oder sie waren gegen uns. Doch auch wenn wir mal Feinde gewesen waren, richtig ernst war es zwischen uns nie geworden. Zum Glück.

„Gut, ihr könnt mit uns rechnen. Wollt ihr nur Nereus an den Kragen? Ich hätte damit gerechnet, dass ihr alle Erzengel stürzen wollt.“

Diese Worte kamen von Kuja. Plötzlich änderte sich die Atmosphäre um uns herum. Ich sah zu Zayn und Nyria. Der Blick meines Bruder hatte sich schon wieder verändert. Ein verräterisches Funkeln war in seinen Augen erkennbar geworden und das behagte mir ganz und gar nicht. Er kam doch nicht etwa auf falsche Gedanken? Finster sah ich ihn an, wandte meinen Blick aber schnell von ihm ab.

„Na, dann wär das ja geklärt. Uns bleiben zwei Tage um unsere Waffen vorzubereiten, dann werden wir zum Angriff übergehen.“, sagte ich und wandte mich von ihnen ab.

„Zwei Tage? Na, dann werd ich wohl mal meine Klingen schärfen.“, lachte Trae und klopfte seinen Brüdern auf die Schulter.

„Wir werden pünktlich sein.“, sagte er noch, dann hatten die vier den Raum verlassen. Zurück blieben Nyria, Zayn und ich.

„Hast du ihr gesagt, was Sache ist?“, sagte ich nun zu meinem Bruder. Der jedoch erwiderte meinen Blick nicht mal, sondern kehrte uns einfach den Rücken zu und verließ ebenfalls den Raum. Ich zog die Brauen hoch und auch Nyria sah ihm verwirrt nach. Wir beide schüttelten den Kopf bei seinem Verhalten.

„Ja, er hat es mir gesagt.“, murmelte Nyria und sah mich an. „Du wusstest es auch?“, fügte sie hinzu. Ich nickte, aber keineswegs schuldbewusst.

„Ja. Nimm es mir nicht übel, Kleine. Ich wollte es Zayn überlassen dir davon zu erzählen. Du musst wirklich vorsichtig sein. Es gibt so viele Dämonen und Wandelwesen die es auf besondere Kräfte abgesehen haben. Sie nutzen jede Gelegenheit. Die meisten sind nicht so gut wie Zayn, Nyria, das muss dir klar werden. Ich gehöre eigentlich auch nicht zu den Guten.“

Stumm sah sie mich an. Das Bedüfnis sie nun in meine Arme zu ziehen verdrängte ich.

„Wir haben es fast geschafft.“, sagte ich nun und lächelte ihr aufmunternd zu. Ihr Blick verfinsterte sich.

„Ich ziehe keine voreiligen Schlüsse. Ich habe ein ganz komisches Gefühl bei der Sache...“

Sie sah sich um, so als glaubte sie jemand würde uns beobachten.

„Das ist die Nervosität, kein Grund panisch zu werden. Davon mal abgesehen das Nereus dich entführen lassen hat, lief bisher alles Probleme.“, erwiderte ich und machte eine vage Geste mit der Hand. Doch auch das beruhigte sie nicht.

„Wenn du meinst...“, murmelte sie nur und verschwand ebenfalls. Verdammt noch mal, was war denn los mit allen? Ich kam mir vor, wie der letzte Vollidiot. Ich schüttelte den Kopf und zog mich in mein Schlafzimmer zurück.

 

Fare trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, was Chest anfing zu nerven. Die beiden hangen in letzter Zeit öfter miteinander herum, so wie auch jetzt. Sie hatten Nereus nicht aufhalten können. Aber das hatte auch einen Grund...

„So, wie ihr Trübsal blast scheint ihr Nereus nicht in Ketten gelegt zu haben.“

Die tiefe Stimme ließ alle beide aufschrecken, doch sie blieben sitzen. Lucifer hatte auch nun keine Kampfhaltung eingenommen.

„Wir haben für zwei Tage eine Konferenz angesetzt, damit der Angriff nicht durch seine fehlende Anwesenheit scheitert. Er hat gesagt, dass er da sein wird aber dann ist er spurlos verschwunden. Niemand hat eine Ahnung wo er steckt und wir alle ahnen Böses. Du kannst ihn nicht zufällig aufspüren, oder?“

Lucifer schmunzelte bei Fares Worten.

„Na, dass ich das noch mal erleben darf. Du bittest mich tatsächlich um Hilfe?“

Er schüttelte amüsiert den Kopf, wurde dann aber ernst.

„Tut mir leid aber so mächtig ich auch bin, einen Erzengel aufzuspüren ist keine leichte Aufgabe. Bis ich ihn gefunden hätte, wäre die angesetzte Konferenz auch schon längst wieder vorbei. Ihr habt euch in eurem Job wirklich verschlechtert, das muss man euch lassen.“

Die zwei warfen ihm giftige Blicke zu, doch insgeheim mussten sie sich eingestehen, dass er recht hatte. Sie hatten in all den Jahrtausenden tatsächlich einiges an ihren Fähigkeiten verloren. Doch das sie das zugegeben hätten würde nie passieren, das wusste auch Lucifer. Seufzend ließ dieser sich in einen der Sessel fallen.

„In zwei Tagen werden sie hier auflaufen. Habt ihr euch schon entschieden? Werdet ihr ihnen helfen?“, sagte er und sah sie eindringlich an. Chest ließ den Kopf in die Hände fallen.

„Ich kann einfach nicht glauben, mit wem wir uns hier gerade in seelenruhe unterhalten.“, brummte er. Lucifer grinste daraufhin. Er konnte ja selbst kaum glauben das er im Himmelsreich saß, ohne auch nur einen einzigen Versuch wagte sie anzugreifen. Schnell wurde er wieder ernst.

„Die meisten sind sich uneinig.“, fuhr Chest nun fort. Er wirkte gefasster und Lucifer ahnte, dass da ein kleines Schauspieltalent hintersteckte.

„Die meisten werden sich wahrscheinlich raushalten, allerdings gefällt es ihnen gar nicht, dass nicht sie diejenigen sind die ihn aufhalten werden.“

Nun konnte Lucifer ein leises Lachen nicht unterdrücken.

„Sie sind selbst Schuld!“, lachte er. „Ihr alle wisst, wie es um Nereus' Verstand steht. Ihr habt sämtliche Chancen, ihn aufzuhalten vertan.“

Chest seufzte leise und rieb sich die Schläfen.

„Versuch das mal den anderen klar zu machen. Weißt du, warum sie sich aus dem Kampf raushalten werden? Nereus selbst steht da an zweiter Stelle. Sie würden den ganzen Palast in Schutt und Asche legen und das ist es ihnen nicht wert. Ihre Reichtümer sind ihnen heilig.“

Des Teufels Augen funkelten.

„Du sprichst von ihnen. Gehörst du etwa nicht dazu?“

Sofort wurden die Erzengel aufmerksam. Sein Tonfall gefiel ihnen ganz und gar nicht.

„Ich betrachte mich nicht als selbstsüchtigen und skrupellosen Erzengel, nein.“, sagte Chest leise und sah dem Teufel in die Augen. Ja, so war es wirklich. Auch Fare war anders, als die anderen Erzengel.

„Komisch, ich könnte schwören das auch du dabei warst als Zayn damals in der Gasse angegriffen wurde und Nyria sich schützend vor ihn gestellt hat.“

Die Augen des Mannes weiteten sich ein wenig.

„Woher weißt du davon?“, hauchte er, worauf Lucifer wieder anfing zu lachen.

„Ich bin der Teufel, mein Lieber. Ich weiß so einiges!“

Fare sah den Herrscher der Hölle eindringlich an.

„Sag, wirst du dich einmischen?“, fragte sie leise. Fast hatte er den Eindruck, sie wäre die verletzlichste Frau im Universum. Warum war ihm eigentlich nicht früher aufgefallen wie hübsch sie in Wirklichkeit war? Lucifer betrachtete sie eingehend. In diesen langen, blonden Locken die wie Gold schimmerten hätte er am liebsten mit den Händen gewühlt. Fast schon ängstlich blickten ihn ihre großen blauen Augen an. Sie wirkte nicht wie ein Engel, nein bei weitem nicht. Sie hätte eine Fee sein können. Zierlich, zerbrechlich und wunderschön. Doch hinter dieser wunderhübschen Maske saß ein Erzengel. Somit konnte auch sie zu etwas werden, was alles andere als schön war. Dennoch...er erkannte das wahre Wesen in ihr. Die hilflose Frau die nur beschützt werden wollte. Er blinzelte. Es war schon viel zu lange still.

„Sollte Nereus sich innerhalb der zwei Tage etwas zu Schulden kommen lassen, dann werde ich definitiv nicht still sitzen bleiben. Sollte nichts passieren, dann werdet ihr mich nicht wiedersehen.“

Chest erhob sich und streckte sich.

„Tut mir leid aber das ist alles zu viel für mich. Vielleicht hilft ja eine Runde Schlaf. Macht keinen Unsinn, ihr zwei.“

Der trockene Humor von Chest ließ Fare schlucken. Er haute einfach so ab? Aber er konnte sie doch nicht einfach alleine lassen. Hier saß schließlich der Fürst der Finsternis! Doch er war schon verschwunden. Lucifer hatte im Gegensatz zu Fare Freude daran.

„Du bist ganz anders, als ich erwartet hätte...“, flüsterte die Frau plötzlich, womit sie Lucifers Aufmerksamkeit wieder auf sich zog.

„Und was hast du erwartet?“, hauchte er und beugte sich vor. Mit den Armen stützte er sich auf seinen Knien ab, dann sah er ihr tief in die Augen. Fare blinzelte. Trotz dieser Distanz zwischen ihnen schien es, als würde er direkt vor ihr sitzen. Tat er das absichtlich?

„Jedenfalls nicht so etwas...Nettes.“, murmelte sie und wich seinem Blick aus. Für Lucifer wurde das Ganze immer amüsanter. Er erhob sich, schlenderte zu ihr hinüber und setzte sich auf die Lehne des Sessels, in dem sie saß.

„Etwas? Meine Liebe, ich bin jemand. Und wieso siehst du mir nicht in die Augen, während du mit mir sprichst.“, erwiderte er leise und fasste ihr mit zwei Fingern unters Kinn, um ihr Gesicht wieder zu ihm zu drehen. Fare war nicht umsonst ein Erzengel. Eigentlich hätte sie seine Hand nun wegschlagen müssen und ihn zurückschieben sollen, doch sie tat es nicht. Sie konnte es nicht. Aber vor allem wollte sie es nicht! Dieser Mann faszinierte sie, auch wenn er das eigentlich nicht sollte. Er war doch der Böse! Oder etwa nicht? Nur zaghaft blickte sie ihm in die Augen.

„T-Tut mir leid. Aber du bist der Teufel...wie kann ich dich als Erzengel dich da nicht als das Böse betrachten?“, sagte sie leise. Nun war der Mann wirklich interessiert. Er rückte ein wenig ab um ihr Freiraum zu lassen und sah mit sanftem Blick auf sie herab.

„Nur, weil du ein Erzengel bist musst du das Böse in mir sehen? Fare, du bist auch eine Frau. Und als Frau glaube ich, bist du in der Lage mehr in einer Person zu sehen als nur das Gute oder das Böse. Gut und Böse existieren doch in Wirklichkeit gar nicht. Es liegt immer nur im Auge des Betrachters.“

Diese Worte stimmten sie nachdenklich. Irgendwie...hatte er damit recht. Fare senkte den Blick. Als Frau hatte sie es unter den Erzengeln schon immer schwer gehabt. Die Männer hatten das Kommando. Sie entschieden über die Schicksale anderer, nicht sie. Sie musste laut werden um sich durchsetzen zu können. Sie war nicht für diese Position geeignet. Wollte sie nicht einfach nur ein Engel sein? Anderen Gutes tun und dabei vielleicht sogar geliebt werden? Wer war dieser Mann vor ihr? Wer war er, um solch wahre Worte auszusprechen? Verständnislos sah sie wieder zu ihm auf. Bei ihrem Anblick musste Lucifer schmunzeln. Mit diesem verwirrten Blick sah sie ziemlich niedlich aus, wie er sich eingestehen musste. Sollte er es wagen? Er beugte sich vor, fasste erneut ihr Kinn.

„Ich muss gehen.“, hauchte er. Dann streiften seine Lippen ihre. Kurz nur, doch lange genug um einen elektrischen Schlag durch Fares Körper zu jagen. Sie konnte nicht reagieren, er war schon zurückgewichen und auf dem Weg zur Tür. Sofort war Fare aufgesprungen.

„Warte!“, hauchte sie und ergriff ihn am Arm. Ein Lächeln stahl sich auf Lucifers Lippen. Das versprach interessant zu werden.

 

32

 

„Nereus ist verschwunden.“

Mit diesen Worten platzte Ty ins Schlafzimmer. Ich seufzte laut und griff nach der Decke. Ich hatte eigentlich vor zu duschen aber das würde wohl warten müssen. Um nicht zu sagen, dass ich das vergessen konnte. Trotz meines wachsendes Zorn wurde ich sofort ernst und aufmerksam. Ich kam gar nicht zu Wort, Ty fuhr direkt fort. Er besaß den Anstand sich umzudrehen, worauf ich die Chance hatte mich wieder anzuziehen.

„Allerdings weiß er, dass eine Konferenz angesetzt ist. Als Erzengel ist er dazu verpflichtet, daran teilzunehmen. Wir müssen uns also keine Gedanken um sein Auftauchen machen.“

„Sehr gut. Bleibt zu hoffen, dass er nicht auf dumme Gedanken kommt.“, erwiderte ich und streifte mir lediglich einen langen, hautengen schwarzen Pulli an, der mir bis zu den Oberschenkeln reichte. Unterwäsche kostete mich jetzt zu viel Zeit. Ich legte Ty die Hand auf die Schulter und signalisierte ihm somit, dass ich fertig war.

„Lass uns den zwei Idioten davon erzählen. Mal sehen, was sie davon halten.“

Ich zog ihn hinter mir her.

 

Zähneknirschend starrte ich zu Boden. Es blieben nur ein paar Stunden, dann wäre es soweit. Ich hatte meinen Plan erweitert, allerdings niemandem davon erzählt. So war es besser... Ich wurde aus den Gedanken gerissen, denn die Tür flog auf und Nyria kam zusammen mit Ty in den Raum gerauscht. Ihrem entschlossenen Gesichtsausdruck nach würde ich sagen, es war etwas passiert. Hoffentlich waren es gute Nachrichten. Alles andere würde meine Stimmung senken.

„Nereus ist verschwunden aber Ty sagt, er wird wieder auftauchen. Eine Konferenz ist einberufen worden.“, verkündete mein Mädchen selbstbewusst. Ich musterte sie. Das mit Nereus war nichts, eine Konferenz verpflichtete. Er würde kommen, garantiert. Und genau deswegen machte ich mir auch keine Gedanken. Während ich Nyria musterte fiel mir auf, dass sich unter ihrem Pulli ungewöhnlich viel abzeichnete. Meine Mundwinkel zuckten. Zeit hatten wir... Ich griff nach ihrem Arm und zog sie mit einem Ruck auf meinen Schoß. Mit den Armen umschlang ich sie, damit sie sich nicht rühren konnte.

„Du zeigst gerade jedem deine perfekte Figur, Babe.“, knurrte ich und streifte mit meinen Lippen ihren Hals. Sie erschauderte.

„Für Unterwäsche war keine Zeit.“, flüsterte sie und sah mit großen Augen zu mir auf. Ich lächelte.

„Das kommt mir zugute.“, hauchte ich und erhob mich, mit ihr in meinen Armen. Ezechiel und Ty sahen uns zwar an, doch sie schienen es zu verstehen, denn sie schwiegen. Ohne etwas zu sagen ließen sie zu, dass ich mit Nyria in unser Schlafzimmer verschwand. Dort angekommen warf ich sie aufs Bett, ich sprang direkt hinterher. Sanft zog ich sie auf meinen Schoß.

„Tut mir leid, dass ich mich in den letzten Tagen so daneben benommen habe. Ich weiß, du hast dir nur Sorgen gemacht.“, sagte ich leise und ließ meine Fingerspitzen über die Innenseite ihres Oberschenkels streichen. Wieder erschauderte sie.

„Ist schon okay. Das du dir Gedanken machst ist normal, ich war vielleicht zu aufdringlich.“

Sie bemühte sich gefasst zu sprechen, doch sie brachte nur ein lustvolles Keuchen zustande.

„Du solltest öfters die Unterwäsche weglassen. Das macht mich ganz schön scharf.“, raunte ich ihr ins Ohr und drückte sie nun in die Matratze. Sie lachte leise.

„Du willst doch nur ran! Unterwäsche ist dir da nur im Weg.“

Mein Grinsen bejahte ihre Worte. Ich küsste sie und glitt mit meiner Hand an die Stelle, wo sie am empfindlichsten war. Sie schrie leise auf und bog den Rücken durch. Ich liebte diese Frau und daran würde sich nichts ändern!

 

Mit ausdruckslosen Gesichtern starrten sie auf den Palast, der sich direkt vor ihnen in den endlosen Himmel erstreckte. Da wären wir dann., dachte Nyria und sah die anderen der Reihe nach kurz an. Da wären dann sie selbst, Zayn, Ezechiel, Ty, die Ghulbrüder und noch fünf weitere dämonische Wesen, für die keine Zeit blieb um sie aufzuzählen. Nyria sah zu Ty.

„Ist Nereus schon hier?“, fragte sie. Der geflügelte Dämon konnte Nereus Präsenz mühelos aufspüren, vorausgesetzt er war in der Nähe.

„Nein, noch nicht. Aber wir können im großen Saal auf ihn warten, das wird für ihn sicher eine nette Überraschung.“, erwiderte er und sah zu der jungen Frau. Diese verzog das Gesicht.

„Ich mag keine Überraschungen. Meistens sind sie schlecht.“, murmelte sie. Zayn ergriff ihre Hand und drückte diese kurz. Nach einigen Minuten betrat die kleine Truppe endlich den himmlischen Palast. Wächter um Wächter waren hier postiert, doch die meisten beachteten sie gar nicht. Sehr zu aller Erstaunen. Erst als sie alle dem Saal der Erzengel näher kamen, stellte man sich ihnen in den Weg. Es waren Bel und Ale, zwei Geschwister die auch Zayn noch all zu gut kannte. Die beiden waren von ihrer Wächteraufgabe nicht abzubringen, damals hatte er sie sehr dafür geschätzt. Allerdings glaubte er nun, dass es zum Problem werden könnte.

„Halt! Der Zutritt zum Saal ist nur Erzengeln gestattet. Kehrt um!“, sprach Ale, der junge Engel mit den kupferfarbenem Haar. Er war noch immer so selbstbewusst wie damals. Zayn und Ezechiel traten vor und augenblicklich veränderte sich der Gesichtsausdruck des Jungen.

„Oh...“, stieß er aus und trat einen winzigen Schritt zurück. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ein Kampf würde ausbrechen, würden sie euch hier entdecken.“, sagte er und baute sich wieder selbstbewusst vor ihnen auf. Nyria mischte sich ein.

„Genau deswegen sind wir hier.“, sagte sie und grinste leicht. Zayn legte Ale die Hand auf die Schulter.

„Geh zur Seite, Junge. Du wirst keinen Ärger dafür bekommen, versprochen.“

Nur zögerlich und widerwillig trat Ale zur Seite. Würde Nereus herausbekommen das er seinen Posten verlassen hätte, würde er definitiv Ärger bekommen. Auch Zayn würde daran nichts ändern können. Doch wer weiß, vielleicht geschah ja doch noch ein Wunder.

„Haltet ihn auf.“, flüsterte Ale als die zwei ehemaligen Erzengel an ihm vorbeischritten. Sie rauschten in den Saal, mit erhobenen Häuptern und waren verblüfft als sie sahen, mit welch ruhigen Gemütern die Erzengel auf ihren Plätzen saßen. Nyria fiel auf, dass Fare nicht auf ihrem Platz saß, alle anderen aber anwesend waren.

Ich frage mich, wo sie steckt..., dachte sie nachdenklich. Zayn tauchte an ihrer Seite auf.

Sie weiß, dass jemand sterben wird. So etwas konnte sie nie gut wegstecken. Wahrscheinlich will sie sich diesen Anblick ersparen., erwiderte er und warf ihr einen kurzen Blick zu.

Sie vermutete das er recht hatte, anders konnte sie sich das sonst nicht erklären.

„Wir haben euch bereits erwartet. Allerdings ist Nereus bisher nicht aufgetaucht.“, meldete sich nun Chest zu Wort. Nyrias Mundwinkel zuckten.

„Das macht nichts. Die Überraschung haben wir so oder so auf unserer Seite.“

So selbstbewusst sie auch klingen musste, ihr Herz raste. Es war so ganz anders als erwartet. Sie hatte sich ausgemalt in einen Saal zu stürzen, in dem schon alle in einen Kampf verwickelt waren, doch stattdessen herrschte hier Ruhe. Die jedoch hielt nicht lange an, denn ein paar Minuten später flog die Tür mit einem Krachen auf. Männer stürmten den Saal und Zayn erkannte sofort, dass es sich bei denen um Gefallene handelte. Auch die Erzengel erkannten das.

„Er hat eine Armee aus Gefallenen zusammengestellt?“, hauchte Chest und erhob sich. Nun war klar, der Krieg befand sich direkt vor ihnen. Sofort war klar das die Männer es auf Nyria abgesehen hatten. Ihre Angriffe waren hauptsächlich auf sie gerichtet, doch die Ghule und auch die anderen Helfer waren sofort zur Stelle. Der Kampf begann.

 

Zehn Minuten waren vergangen, doch in diesen zehn Minuten war der Saal der Erzengel zum Schlachtfeld geworden. Blut verteilte sich auf dem Boden und auch ich hatte schon so einiges abbekommen. Ich fühlte mich nicht gut. Alle Angriffen waren auf mich gezielt und obwohl dies mein Kampf zu sein schien, kämpften alle anderen. Sie alle verteidigten mich, ließen nicht zu das jemand an mich herankam, dennoch war ich voller Blut. Es war nicht mein eigenes. Ich ekelte mich nicht aber die Gefallenen taten mir leid. Was hatte Nereus den Gefallenen erzählt, dass sie sich einfach so in die Gefahr stürzten? Nereus wollte mich tot sehen, also welchen Nutzen hatte das Ganze? Was wäre ihre Belohnung gewesen? Ich sah mich im Kampfgetümmel um und wich nebenbei einer abgetrennten Hand aus. Ich hatte tatsächlich Mitleid mit den Gefallenen. Ich meine, ich wäre nicht scharf auf eine fehlende Hand. Sogar Zayn war in einen Kampf mit ihnen vertieft. Er war verletzt. Eine Platzwunde war deutlich an seiner Schläfe zu erkennen. Beinahe hätte ich gelächelt. Das erinnerte mich daran, wie ich ihn gefunden hatte. Verletzt in einer Gasse. Undankbar und frech. Arrogant und ohne Skrupel. Keiner beachtete mich, außer den Gefallenen. Sie wollten zu mir, schafften es aber nicht. Sie hatten recht...Sie hatten es alle auf mich abgesehen. Die Erzengel saßen seelenruhig am Rand und beobachteten alles mit wachsamen Augen. Sie wollten sich also wirklich raushalten? Ich wusste nicht was ich davon halten sollte. Vielleicht war es ja besser so. Plötzlich legte sich eine Hand auf meinen Mund. Ich dachte mir erst nichts dabei, doch als ich rückwärts vom Geschehen weggezogen wurde ahnte ich böses. Verzweifelt versuchte ich die Hand von meinem Mund zu lösen, doch derjenige war einfach zu kräftig. Weil das nicht funktionierte, versuchte ich es mit meinen mentalen Kräften, doch noch immer tat sich nichts.

„Vergiss es, Kleine. Ich kann mich gegen deine mentalen Übergriffe schützen.“, raunte mir eine Männerstimme ins Ohr. Ich erkannte diese Stimme sofort. Ich würde sie unter tausenden wiedererkennen. Es war Nereus! Deswegen hatte er sich nicht blicken lassen...Er hatte einen Hinterhalt geplant. Die anderen waren so sehr in ihre Kämpfe vertieft, dass sie überhaupt nicht mitbekamen wie ich aus ihrer Mitte fortgezogen wurde. Mir schien, als könnte der Erzengel sich unsichtbar machen, denn auch die Erzengel die auf ihren Plätzen saßen starrten weiterhin auf das Geschehen im Saal. Man schenkte mir überhaupt keine Beachtung! Ich sammelte meine inneren Kräfte und konzentrierte mich auf die Elemente, doch mit einem Mal durchfuhr mich ein elektrischer Schlag. Mein Körper erschlaffte und wollte mir nicht mehr gehorchen. Waren das etwa Nereus' Kräfte?

„Tut mir leid.“, raunte er mir nun ins Ohr und zerrte mich aus dem Saal. „Aber deine Existenz ist ein Fehler. Es liegt an mir, sämtliche Fehler der Natur zu korrigieren.“

Ich riss die Augen auf. War das sein ernst? Hielt er sich für den Retter, oder was? Das war doch krank! Verdammt noch mal, ich konnte mich nicht bewegen, wie sollte ich diesen Kerl denn da aufhalten? Würden die anderen überhaupt bemerken, dass ich verschwunden war? Ich blendete Nereus' schäbiges Gelächter aus und konzentrierte mich stattdessen ganz auf mich selbst. Es musste eine Möglichkeit geben meine Gließmaßen wieder zum Leben zu erwecken. Würde ich abwarten wäre es zu spät. Ich hatte schließlich keine Ahnung, was dieser Typ mit mir vorhatte!

Meine Frage wurde bereits beantwortet denn er zog mich in einen grässlich aussehenden Kerker, der nur so nach Tod und Verwesung stank. Die Luft hier hätte man durchschneiden können.

Mein Blick fiel auf eine Liege, scheinbar aus Stein, die von einem schmalen und länglichen Tisch umrundet wurde. Genau auf diesem Tisch befanden sich eltiche Instrumente um jemanden zu foltern. Oh Gott, da waren Dinge bei die ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte und dennoch erkannte ich, welch grausame Qualen sie einem bereiten würden. Ich war nie ein ängstlicher Mensch...Nephilim gewesen aber ich musste zugeben, dass mich nun die blanke Panik überkam. Und mit der Panik kehrte auch das Leben in meinen Körper zurück. Ich nutzte die Chance und befreite mich aus dem Griff des Erzengels. Doch anstatt wegzurennen, wie ich es vielleicht hätte tun sollen, ging ich in Angriffsposition. Nereus taumelte zurück und starrte mich fassungslos an. Was denn, hatte er sich noch immer nicht an meine Kräfte gewöhnt? Er hätte doch damit rechnen müssen. Ich bündelte mein schwarzes Feuer in meiner Hand und richtete es auf ihn.

„Ein Schritt und du wirst gegrillt!“, fauchte ich. Das Ganze hörte sich lässiger an, als es in Wirklichkeit war. Um ehrlich zu sein waren meine Beine nicht sehr stabil. Vielleicht die Panik. Vielleicht aber auch die Nachwirkungen dieses komischen elektrischen Schlags, was ich viel eher vermutete. Blöderweise jagte meine kleine Interpretation von schwarzem Feuer Nereus keine Angst ein. Und Respekt schien er auch nicht zu haben, denn er lachte nur und machte einen gefährlich großen Schritt auf mich zu.

„Kleines, du hast doch keine Ahnung wie man einen Erzengel tötet. Also bitte, versuch es nur. Diese jämmerliche schwarze Flamme wird dir auch nicht helfen.“

Er machte eine Geste mit seiner großen Hand um mir so zu bedeuten, dass ich es ruhig versuchen solle. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Ich feuerte die Kugel aus Feuer auf ihn ab, doch dummerweise feuerte er sein himmlisches Feuer ab. Beide Kugeln trafen in der Luft aufeinander. Es gab einen lauten Knall und eine Druckwelle breitete sich in dem kleinen Kerker aus, der mich gegen die Wand warf und erst einmal Husten ließ. Der Gestank nach verwesenden Leichenteilen war so extrem, dass er mir die Tränen in die Augen trieb. Ich blinzelte und versuchte durch den aufgewirbelten Dreck und Staub etwas zu erkennen, doch es war bereits zu spät. Nereus stand bereits vor mir und packte mich an der Kehle, worauf er mich in die Luft hob.

„Wird Zeit, dass du stirbst.“, knurrte er und drückte mich mit einer rasenden Geschwindigkeit auf den steinernen Seziertisch. Ich versuchte mich verzweifelt gegen seinen Griff zu wehren, doch kurz nachdem sich seine Pranke von meinem Hals löste, schloss sich ein dickes Lederband um meine Haut. Ich rang nach Luft und erneut traten mir die Tränen in die Augen, denn die Luft brannte in meinen Lungen. Dieser blöde Riemen um meiner Kehle machte mir das Atmen aber auch nicht einfacher. Meine Lungen rasselten. Ich wollte dieses blöde Ding loswerden, doch schon wenige Augenblicke später ließen sich auch meine Arme nicht mehr bewegen. Denn auch die wurden gerade mit Lederschnallen an diesem blöden Tisch befestigt. Kurze Zeit später mussten dann auch meine Beine dran glauben. Und als ob das nicht schon reichen würde bildete Nereus sich auch noch ein, einen Riemen über meine Taille zu spannen.

„Damit du dich nicht aufbäumst.“, hauchte er und entblößte dabei seine Zähne. Hatte ich je einen widerlicheren Kerl getroffen? Ich glaube nicht.

„Weißt du...“, begann er, während er alle Riemen noch einmal fester anzog. „Die Macht eines Nephilim liegt in dessen Herzen. Also...werde ich es mir nehmen. Ich hoffe doch du verstehst, dass es somit einem guten Zweck dient.“

Er hatte den Plauderton angeschlagen. Das gefiel mir nicht. Mit meinen mentalen Kräften schlug ich auf seine inneren Barrieren ein, doch wieder lachte er nur.

„Spar dir deine Kräfte, Kleine. Ich bin immun gegen solche Versuche. Ich bin schließlich nicht umsonst ein Erzengel.“

Ich stieß ein tiefes Seufzen aus. Was sollte ich nun tun? Mit meinen körperlichen Kräften kam ich hier nicht weiter und mit meinen mentalen auch nicht. Mein Feuer konnte er problem abwehren also was blieb mir noch? Meine empathischen Fähigkeiten halfen mir hier auch nicht weiter. Ich konnte seine Barrieren einfach nicht überwinden. Ich war ein echter Narr wenn ich glaubte, das schaffen zu können. Doch dann kam mir eine Idee. Mir blieb immer noch die Möglichkeit, die Elemente unter meine Kontrolle zu kriegen. Ich hatte nur eine einzige Möglichkeit. Ich hoffte, es würde funktionieren. Ich brachte das Feuer unter meine Kontrolle und konzentrierte mich auf die Stellen, an denen das Leder meine Haut berührte. Vielleicht würde es irgendwann anfangen zu schmoren. Das war meine einzige Chance! Während ich mich also auf das Feuer konzentrierte nahm Nereus plötzlich ein Skalpell in die Hand. Ein dicker Kloß bildete sich in meiner Hand, doch ich durfte mich davon jetzt nicht ablenken lassen. Ich schloss die Augen um nicht mit ansehen zu müssen, was Nereus nun tat.

„Um ehrlich zu sein, habe ich hier Spaß dran. Ich komme ja sonst nie dazu mich auszutoben. Und schon gar nicht an einem lebenden Objekt.“, kicherte er. Ein scharfer Schmerz durchfuhr mich, weshalb ich erschrocken aufschrie. Ich riss die Augen auf und konnte gerade so erkennen, wie der Schnitt in meiner Bauchdecke immer länger wurde. Vor Schmerz konnte ich kaum noch klar denken, doch ich musste mich auf das Feuer konzentrieren. Das war meine einzige Chance! Ich schrie lauter. Obwohl das nicht beabichtigt war, war das ein guter Schachzug von mir. Nereus ließ die Klinge sinken und schüttelte genervt den Kopf.

„Mädchen, nicht so laut. Da tun einem ja die Ohren weh.“, brummte er und ging zu einem anderen Tisch. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie er sich ein Tuch nahm und es zusammenknüllte. Ich musste mich beeilen. Die Hitze in meinem Körper war unerträglich, von dem Schmerz an meiner Bauchdecke mal ganz zu schweigen, doch als Nereus mir näherkam und sich bereits über mich beugte, stemmte ich mich mit vollem Gewicht gegen das Leder. Es dauerte einige Augenblicke, doch die Riemen gaben nach und rissen schließlich ganz. Geschafft! Schäumend vor Wut sprang ich vom Tisch und verpasste Nereus einen Faustschlag, der ihn gegen die Wand krachen ließ. Die Schmerzen wurden schlimmer. Es fühlte sich an als würde sich jemand mit den Händen an meiner Haut festkrallen und mich auseinander reißen. Doch ich schüttelte den Kopf um nicht daran zu denken. Ich riss die quietschende Tür der Verlieses auf und rannte in einem Mordstempo den Weg zurück, den Nereus mit mir gekommen war. Meine Heilkräfte ließen noch immer zu Wünschen übrig, kein Wunder also das ich immer mehr Blut verlor und somit immer schwächer und langsamer wurde. Ich rannte in den Saal und spürte ganz genau, wie Nereus mir immer näher kam. Verdammt, das war doch nicht auszuhalten! Im Saal selbst war eine beeindruckende Ruhe eingekehrt. Verzweifelt und hektisch suchte ich mit meinen Blicken nach Zayn. Die meisten Gefallenen waren tot, lagen regungslos und verrenkt in ihren Blutlachen, die die noch lebten winselten um Gnade und kauerten sich auf dem Boden zusammen. Mein Blick traf den von Zayn.

 

Mit rasselndem Atem versuchte ich, mich zu beruhigen. Fast alle hatten wir sie schon erledigt und das, in nicht einmal einer Viertelstunde. Die meisten waren tot und das sah man auch mir und den anderen an. Wir waren voller Blut und Wunden, doch die Heilung hatte bereits bei allen eingesetzt. Während wir also nun hier standen ertönte plötzlich ein hoher und schriller Schrei. Erst da viel mir auf, dass Nyria nicht in meiner Nähe war. Und obwohl ich diese Art von Schrei nun zum ersten Mal hörte, wusste ich sofort von wem er stammte. Es vergingen nur wenige Minuten, dann stand sie mitten im Saal. Ihr Top war zerfetzt, in ihrer Bauchdecke klaffte ein langer und unglaublich tiefer Schnitt und sie war gerade durchtränkt vom ganzen Blut. Mit ihrem Blick suchte sie nach mir. Sie zitterte, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Umso schneller musste ich reagieren. Ich lief zu ihr, zog sie in meine Arme und strich ihr die vom Schweiß verklebten Haare aus der Stirn. Beinahe hätte sie ihr Gleichgewicht verloren. Sie genehmigte sich einen Augenblick in meinen Armen, dann schob sie mich zurück und sprach mit lauter Stimme zu allen Anwesenden.

„Meine Kräfte sind fast wirkungslos bei Nereus. Meine mentalen Fähigkeiten zeigen bei ihm keine Wirkung, seine Barriere ist zu stark. Mein schwarzes Feuer kann er mühelos mit seinem himmlischen Abwehren und körperlich ist er mir natürlich überlegen. Ich...schaff das nicht. Einer von euch muss ihn töten.“

Ich zog sie wieder in meine Arme.

„Wir schaffen das. Und für die Wunde die er dir verpasst hat, wird er auch noch seine Strafe bekommen.“, knurrte ich ihr ins Ohr.

„Ich kann mich nicht mehr lange auf den Beinen halten.“, hauchte sie und lehnte sich gegen meine Brust. Natürlich hatte Nereus ein perfektes Timing, denn schon stand er ebenfalls im Saal. Das erste was geschah war, dass sich alle um uns herum stellten. Schützend, was mir die Gelegenheit gab Nyria meinen blutigen Finger an die Lippen zu halten.

„Hier, mein Blut. Alleine kommst du nicht schnell genug wieder auf die Beine.“, sagte ich leise. Ständig huschte mein Blick wieder zu Nereus. Der Blick auf Nyria blieb ihm verwehrt, dem Herrn sei es gedankt. Nun hatte er erst einmal mit Ezechiel und den anderen zu kämpfen. Nyria nahm meinen Finger in den Mund und leckte ihn ab. Es dauerte einige Minuten, dann hatte sich der Schnitt in ihrem Bauch einigermaßen verschlossen. Sofort war sie wieder fit.

„Also dann, auf in den Kampf.“, murmelte sie und stürzte auch schon vor. Schwach lächelnd tat ich es ihr nach.

 

Nereus brüllte auf als ihn das schwarze Feuer von hinten an der Schulter traf. Er wirbelte herum und entdeckte Nyria, die ihn frech angrinste und ihm zuwinkte. Mit einem tiefen Knurren in der Kehle stürzte er auf sie zu, doch auf halbem Wege gaben seine Beine nach. Sie hatte ihr schwarzes Feuer gebündelt, weswegen es sich nun durch sein Fleisch fraß und sowohl Muskeln als auch Knochen freigab. Verdammt noch mal, er verfluchte sich selbst dafür, dass er dieses Weib unterschätzt hatte. Natürlich war er nicht unverwundbar, doch er hatte niemals damit gerechnet, dass sie so schnell einen Treffer erzielen würde. Vielleicht war sie doch mächtiger als er dachte. Allein schon die Tatsache das sie ihr schwarzes Feuer bündeln konnte, war für eine Nephilim mehr als ungewöhnlich. Das Ezechiel ihr Urvater war, machte sich nun deutlich bemerkbar. Generell schienen die beiden inzwischen gut miteinander auszukommen, denn sie kämpften Seite an Seite und schienen die Fähigkeiten des anderen genau zu kennen. Nyria lachte und tänzelte auf ihn zu.

„Jetzt hältst du mich wohl doch nicht mehr für zu schwach, oder?“, murmelte sie und beugte sich über ihn. Nereus sprang wieder auf und holte mit bloßer Faust aus. Nyria ließ sich auf den Nahkampf ein und teilte selbst aus, anstatt einzustecken. Doch dann traf sie ein harter Schlag an der Schläfe. Sie sah Sterne und flog durch die Luft, dann prallte sie hart auf dem Boden auf und schlitterte noch einige Meter weiter. Keiner hatte Zeit einzugreifen. Nereus stand schon wieder vor ihr und trat ihr zusätzlich noch einmal in den Magen. Würgend krümmte sie sich zusammen. Sie spuckte Blut und Magensäure und der Schmerz der alten Wunde durchfuhr sie von Neuem. Sie schrie auf als Nereus sie noch einmal trat, dieses Mal in die Niere.

„Stirb endlich, du Missgeburt!“, brüllte er und trat immer wieder auf sie ein. Zayn rannte bereits auf sie zu, doch als das Mädchen mit einem Mal die Augen aufschlug verstummte jedes noch so kleine Geräusch. Auch Nereus hielt inne und trat einen Schritt zurück. Sie erhob sich in einer so fließenden Bewegungen das es schien, als hätte sie nicht einen Kratzer erlitten. Doch die Unmengen Blut waren Zeuge vom Gegenteil. Sie wischte sich ein Rinnsal von Blut aus dem Mundwinkel, doch es blieb ein Hauch von Rot auf ihrer Haut. Auch an ihrer Schläfe lief Blut hinab, doch dort schien es sie nicht zu stören. Mit den Augen eines Dämons starrte sie in die Runde. Nereus trat zurück. Beim Anblick ihrer schwarzen Augen durchlief ihn ein kalter Schauer, der bis in seine Knochen vordrang. Ihre eisgrünen Augen waren Zeuge der himmlischen Gene, doch das schwarz welches ihnen nun entgegen blickte war der Beweis, dass ihr Urvater gefallen war und somit auch dämonische Gene besaß. Mit einem Knurren, welches tief aus ihrer Brust kam schritt sie auf Nereus zu. Dieser war vor Angst wie gelähmt. Mit unmenschlicher Geschwindigkeit packte sie ihn an der Kehle, so wie er es vorhin auch bei ihr getan hatte. Sie schnürte ihm die Luft ab und lächelte beinahe als sie sah, wie sein Gesicht anlief und er verzweifelt nach Luft rang. Kein Lebewesen konnte ohne zu atmen leben. Sie brauchten gar nicht sein Herz. Sie müssten ihm einfach nur die Lungen herausreißen, das würde genügen. Nyria warf ihn gegen eine Marmorsäule, die daraufhin Risse aufwies uns schließlich in sich zusammenfiel. Nyria ließ erneut schwarze Energie in ihrer Hand aufflammen, die sie ohne zu zögern auf ihn abfeuerte. Es traf ihn am rechten Bein. Sofort wurde auch dort sein Gewebe zerfressen, bis nur noch der blanke Schienbeinknochen zu sehen war. Nereus wimmerte. Er hatte keine Kraft mehr um noch einmal sein himmlisches Feuer auf sie abzufeuern. Und seine Faustschläge waren nun auch nutzlos. Er bekam ja nicht einmal mehr seine Hände hoch.

„Du bist hier der Böse. Nicht ich.“, fauchte Nyria und gab ihm das zurück, was er ihr vorhin geschenkt hatte. Nämlich unzählige Tritte in den Magen und mehrere Faustschläge ins Gesicht. Erst brach seine Nase, aus der nun ein dünnes Rinnsal Blut lief. Dann war auch sein Kiefer dran, der ein beängstigendes lautes Knacken von sich gab. Nereus wimmerte erneut. Ezechiel trat an ihre Seite und stieß ihr lachend in die Seite.

„Was hältst du davon, wenn wir ihm die Haut bei lebendigem Leib abziehen?“

Ein bösartiges Grinsen stahl sich auf ihre vollen Lippen.

„Damit bringst du mich auf eine Idee.“, murmelte sie und leckte sich über die Lippen. Sie beugte sich vor, bis ihr Gesicht nicht mehr weit von Nereus' entfernt war.

„Weißt du was? Wir werden dich noch nicht töten. Wir werden dich einsperren und auf einer Platte festschnallen, so wie du es vorhin mit mir gemacht hast. Und dann werden wir dich foltern als Strafe für das, was du all den Engeln und Dämonen angetan hast.“

Sie spuckte ihm ins Gesicht, dann, als sie ein Messer zuckte und seinem Gesicht damit immer näher kam weiteten sich seine Augen. Eiskalt und ohne mit der Wimper zu zucken schnitt sie ihm die Zunge heraus. Nie wieder sollte seine Stimme ertönen! Blut spritzte ihr ins Gesicht und lief über ihre makellose Haut.

„Wir machen später weiter. Bring ihn irgendwo hin, wo er nicht entkommen kann.“, sagte sie nun zu Ezechiel. Dieser lächelte sie an und nickte.

„Ich glaube kaum, dass er in diesem Zustand fliehen kann aber ich werde dafür sorgen, dass er gesichert ist.“, erwiderte er und packte den gebrochenen Erzengel am Kragen. Durch eine einfache Zauberformel gelang er in die Welt der Menschen. Zayn hatte alles mit ausdruckslosem Gesicht beobachtet, nun wandte er sich an die restlichen Erzengel. Sie hatten sich tatsächlich rausgehalten.

„Nun zu euch.“, knurrte er heiser und ließ Feuer in seiner Hand aufflammen. Nyria musterte ihn. Was hatte er denn vor? Auch Chests Augen verengten sich beim Anblick des Gefallenen.

„Die Hierarchie der Erzengel muss beendet werden!“, knurrte er und ließ das Feuer in seiner Hand wachsen. Chest und auch einige andere Erzengel erhoben sich wütend und empört.

„Das geht nicht! Wie bitte, soll die Ordnung im Himmelsreich bewahrt werden? Du weißt nur zu gut, dass sich sonst das Chaos hier ausbreiten würde.“

Zayn baute sich vor ihnen auf. Seine Stimme war tiefer geworden, wie Nyria feststellte.

„Es muss einen anderen Weg geben. Ich will, dass ihr alle euren Rang aufgebt und stattdessen einen einzigen auswählt, der sich all eurer Aufgaben annimmt!“

Das schwarz in Nyrias Augen verblasste, stattdessen trat wieder dasselbe alte eisgrün an die Stelle. Nun war sie wieder halb Mensch, halb Engel. Es dauerte nur Sekundenbruchteile, dann war sie bei Zayn.

„Was machst du denn?“, hauchte sie und ergriff den Arm, der sich bereits gefahrenvoll erhoben hatte. Das Feuer erlosch.

„Es ist vorbei!“, sagte sie und sah mit großen Augen zu ihm auf. Doch ihr Mann schüttelte den Kopf.

„Nein, es ist noch nicht vorbei. Nicht, solange die Erzengel an der Macht stehen.“

 

Epilog

 

Lachend hatte sie ihm die Augen ausgestochen, die Ohren und die Nase abgeschnitten, Löcher in seinen Schädel gebohrt und ihm anschließend die Haut abgezogen. Alles bei lebendigem Leibe. Sowohl der Boden als auch sie selbst waren am Ende vom Blut gezeichnet.

„Ich hoffe, ich muss nie wieder jemanden töten.“, hatte sie eines Abends unter der Dusche zu ihrem Mann gesagt.

„Weil es so schrecklich für dich war?“, hatte er erwidert. Sie hatte mit dem Kopf geschüttelt und ihren Kopf an seine Brust gebettet.

„Nein. Weil es so schrecklich viel Spaß gemacht hat.“

 

Seufzend blickte ich über das Land, welches in einem satten grün strahlte. Der Frühling war gekommen. Der fünfte, den ich nun schon hier erlebte. Und obwohl ich schon so lange hier war, konnte ich mich noch immer nicht an der Schönheit des Himmelsreiches sattsehen. Ja, ich lebte nun hier. Dies war mein neues Zuhause. Ich konnte immer noch nicht fassen, was nach dem Kampf mit Nereus geschehen war. Zayn war tatsächlich darauf aus gewesen, einen weiteren Kampf zu starten, das hatten auch die Erzengel erkannt. Sie waren einsichtig. Und nun? Heute gab es keine Erzengel mehr. Nein, sie hatten eine einzige Person auserkoren, die nun das Himmelsreich regierte. Alle hatten mit Widerstand der Wächter und übrigen Engel gerechnet, doch sie alle hatten gejubelt und waren froh darüber, nun einen Neuanfang wagen zu können. Von nun an hatten sie keine Angst mehr einen Fehler zu machen denn sie wussten, dass ihnen verziehen werden würde. Selbst heute hatte niemand erfahren, warum Fare damals nicht dabei gewesen war. Doch heute sollte sich das ändern. Es klopfte an meiner Tür.

„Ja?“, rief ich laut und trat vom Balkon zurück ins Zimmer, in dem Ty gerade zur Tür herein kam. Apropos Ty. Nachdem alle Erzengel von ihrem Posten zurückgetreten waren, hatte Ty ihnen offenbart wer er wirklich war. Nämlich ein Diener Lucifers.

„Meine Königin.“, sagte Ty und verneigte sich vor mir.

„Du weißt, du sollst mich nicht so nennen.“, murmelte ich. Doch ich wusste ganz genau, dass er damit nicht aufhören würde. Er machte ihm Spaß mich damit aufzuziehen. Doch diesen Spaß wollte ich ihm gewähren. Er hatte in seinem Leben viel zu wenig Spaß gehabt, das wollte ich jetzt ändern.

„Es gibt Neuigkeiten von Fare und...ihrem Begleiter.“, verkündete er und richtete sich wieder auf. Ihr Begleiter? Was sollte das denn heißen? Ohne etwas zu sagen folgte ich ihm aus dem Zimmer. Er führte mich in den Thronsaal, in dem alle ehemaligen Erzengel an einem Tisch saßen. Ebenso wie Ezechiel, der wieder als Engel anerkannt worden war – nur meinetwegen wohlgemerkt – und Zayn, der ebenfalls wieder ein Himmlischer war. Ich begab mich auf meinen Platz, nämlich dem Thron und sah gespannt in die anderen Gesichter. Auch sie schienen interessiert zu sein.

„Wo ist sie denn?“, fragte ich Ty. Ich hatte ihn damals zu Lucifer zurückgeschickt, doch er war nicht gegangen. Warum wusste ich bis heute nicht.

„Ich bin hier.“, ertönte es am Ende des Saales. Es war Fare die dort stand. Direkt neben ihr Lucifer, der ihre Hand hielt. Leise lachend erhob ich mich.

„Wir haben uns ewig nicht gesehen.“, sagte ich freudig und lief auf Lucifer zu, der alles mit einem Lachen quittierte und mich in eine Umarmung zog.

„Hallo, Kleines. Oder sollte ich besser sagen, Königin?“

Stöhnend befreite ich mich aus seinem Griff.

„Okay, Zeit für ein neues Gesetz.“, sagte ich laut. „Ab sofort, ist es für jeden von euch verboten mich Königin zu nennen!“

Sie alle nahmen dieses Gesetz schweigend hin.

„Na gut, bis auf Ty.“, murmelte ich und zwinkerte ihm zu. Er lächelte.

„Warum bist du hier?“ Mit diesen Worten wandte ich mich wieder an Lucifer. Fare räusperte sich.

„Lucifer und ich...wir sind...“

Sie kam gar nicht dazu ihren Satz zu beenden, denn bei meinem verblüfften Blick verfiel sie in Schweigen.

„Na, ein Glück das du kein Erzengel mehr bist. Sonst wäre das verboten.“, kicherte ich und sah Lucifer voller Begeisterung an.

Ich freu mich für dich, Lulu. Du musst wirklich glücklich sein. Ich gönne es euch beiden. Ihr passt im Übrigen super zusammen!

Fassungslos stierte der Teufel mich an.

Lulu?, erwiderte er fast flüsternd auf meine Stimme in seinem Kopf. Ich lachte und zuckte mit den Schultern.

Lucifer klingt so...ernst. Und wir wissen doch beide, dass das nicht zu dir passt.

Er schnaubte, sagte aber nichts mehr. Die anderen am Tisch waren scheinbar zu sprachlos um etwas dazu zu sagen. Doch wen wunderte es. Das Fare und Lucifer nun zusammen waren, hätte sich selbst mit einer Wahrsagerin nicht vorhersagen lassen. Plötzlich fiel Fare mir um den Hals.

„Vielen, vielen Dank, Nyria! Dank dir kann ich nun das Leben führen, dass ich mir immer gewünscht habe. Deinetwegen wird im Himmelsreich immer Frieden herrschen.“

Ihre Worte trieben mir die Röte auf die Wangen. Ich selbst konnte mich nicht als Heldin sehen, so wie alle anderen es taten. War es nicht Zayn, dem wir zu verdanken hatten das ich nun an der Spitze stand.

„Wo wir gerade von Neuigkeiten sprechen.“, mischte Zayn sich ein und erhob sich. „Ich habe auch etwas zu verkünden.“

Oh je, was hatte er denn vor? Gespannt richteten sich alle Blicke auf ihn. Sie verfolgten ihn geradezu als er zu mir hinüber schlenderte und mich mit einem Ruck in seine Arme zog. Ich ahnte etwas, doch ich wollte es nicht wahr haben.

„Ich werde Vater und Nyria und ich werden heiraten.“

Etliche Münder standen offen. Fassungsloses Schweigen breitete sich im Saal aus. Wütend schlug ich mit der Faust auf Zayns Brust ein.

„Du Mistkerl, wir wollten doch damit warten es den anderen zu erzählen! Außerdem hast du gerade Fares und Lucifers Auftritt ruiniert.“, fauchte ich ihn an. Doch er lachte nur.

„Baby, nie gönnst du mir etwas! Es hat mich innerlich zerfressen, den anderen nichts davon erzählen zu dürfen.“, schmollte er. Ich hörte, wie einige lachten und kicherten. Mit einem Seufzen lehnte ich mich an ihn.

„Na, jetzt ist es auch egal.“

Und dann passierte genau das, was ich hatte verhindern wollen. Alle gratulierten uns und wünschten uns das Beste. Sie freuten sich mit uns, doch je mehr sie sich freuten, desto weniger tat ich es. Später, abends im Bett, zog Zayn mich an sich heran und legte schützend die Hände auf meinen Bauch. Ich war erst im zweiten Monat, doch wir konnten bereits das Leben spüren das in mir heranwuchs.

„Was ist los, Süße. Du hast den ganzen Tag über betrübt ausgesehen.“

Ich drehte mich mit dem Gesicht zu ihm und blickte auf.

„Ich weiß, dass nun alles ganz einfach werden sollte aber mein Gefühl sagt mir, dass es das nicht wird. Ich mache mir Sorgen.“

Er lächelte aufmunternd und küsste mich auf die Stirn.

„Es wird nichts passieren, Nyria. Du bist mächtig. Du wirst von Tag zu Tag stärker und das weißt du. Weder dir, noch dem Kleinen werden etwas passieren. Ezechiel, Chest und all die anderen...sie waren mal Erzengel, nun sind sie deine Wächter. Von nun an ist alles gut.“

Beim Blick in seine bunten Augen wusste ich, er hatte Recht. Nie wieder würde sich der Himmel trüben. Ich selbst würde dafür sorgen!

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Tag der Veröffentlichung: 28.04.2013

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