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-- Sie stand auf und ging zum Fenster. Ihr war, als würde sich der Boden unter ihr auf tun und sie sofort verschlingen wollen.
Ihre Gefühle konnte sie nicht beschreiben, sie konnte nicht sagen, wie ihr zumute war. Ob Sehnsucht wohl alles zum Ausdruck brachte? Sie wusste es nicht.
Sie wusste nicht, wem sie sich hätte offenbaren sollen.
Draußen rauschte der Verkehr vorbei, es regnete in Strömen - und die Gewitterfront, die heran zog, lies ihr Grollen weit verbreiten, zeigte nahendes Unheil an. Sie hallte das wieder, was die Frau in ihrem Innersten fühlte. Doch sie konnte diese Gefühe nicht zu Ausdruck bringen, sie konnte nichts, außer in ihrer Wehmut schwimmen.
Vergangene Tage zogen an ihr vorbei. Tage von einem Leben, dass sie heute in tiefe Verzweiflung stürzte.
War sie denn geboren worden, um nie glücklich sein zu können? Die Antwort hallte still vor sich hin und löste sich in ihrer Einsamkeit auf.
Langsam trat sie vom Fenster zurück.
Sie kramte in einem Schrank, - in der untersten Schublade, - in der hintersten Ecke der untersten Schublade. Dort fand sie alte, staubige Bilder, Fotografien ihrer vergänglichen Kindheit. Fotografien, die sich mit der vergänglichen Zukunft spiegeln würden, um noch vergänglicher zu werden.
Ihre Hände strichen über die Erinnerungen, die keine Erinnerungen mehr waren. Die schwarz - weißen Bilder gaben die Einsamkeit wieder, die schon längst von ihr Besitz ergriffen hatte.
Der Staub bedeckte so manch zaghaftes Lächeln, ein Lächeln, das kein Lächeln mehr war. Alles war trüb und unsagbar geworden, aber ein Alles, das trüb und unsagbar geworden war, gab es nicht mehr.
Das Leben der Frau war ein Kreisel in der Farbe grau. Jeder Tag brachte diese schmutzige Farbe, immer wieder in Grautönen. Man konnte ihn drehen wie man wollte, es würde doch immer eine schmutzige Farbe bleiben.
Sie legte die Fotos beiseite und begab sich wieder zum Fenster. Sie öffnete es und lehnte sich hinaus.
Ihre Augen suchten nach Hilfe, sie schrien förmlich danach.
Doch kein Mensch, der im Auto saß oder vorbei lief, beachtete sie – als wäre sie nicht da, als wäre sie nur ein Schatten, ein Schatten, der von der untergehenden Sonne immer länger wird, bis er schließlich ganz verschwunden ist.
Doch es schien ja gar keine Sonne! Noch immer regnete es in Strömen und wollte nicht aufhören. Große Tropfen klatschten auf den Fenstersims, schlugen sie ins Gesicht.
Sie war also nicht einmal ein Schatten, sie konnte doch gar kein Schatten sein, denn wenn keine Sonne schien, dann gab es keinen Schatten.
Die Frau fing an zu lachen, sie fing in ihrer Verzweiflung an zu lachen.
Was für ein dummer Gedanke! Wie konnte sie ein Schatten sein, wenn keine Sonne schien, wie konnte sie jemand beachten, wenn sie gar nicht da war?
Sie stieg auf das Fensterbrett und blieb dort zwei Momente lang stehen.
Noch immer blickte niemand zu ihr auf, noch immer war sie nur ein Nichts.
Jeder Blick richtete sich zum Himmel, als dieses unscheinbare Nichts aus dem vierten Stock in Richtung Erde fiel. Jeder schenkte seine Beachtung.
Aber ein Nichts, das aus dem vierten Stock springt, gibt es nicht...

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Texte: Urheberrecht beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 08.12.2008

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