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ie Kathedrale stand mitten im Wald. Selbst aus der Nähe konnte man sie nicht richtig sehen, denn die alten, ehrwürdigen Bäume des Mittelländischen Waldes boten genug Schutz für das alte Gemäuer. Dennoch war die Kathedrale sehr groß. Sie gab Choke und seiner kleinen Armee genügend Platz und vor allem Schutz vor ungebetenen Besuchern. Der Herr dieses Gebäudes war gerade im Untergeschoss, wo nicht nur mehr als die Hälfte seiner Diener Unterschlupf fand, sondern sich auch sein Kerker befand. Der Magier hielt viele Gefangene und ständig kamen neue hinzu um seine Vorräte an Arbeitsmaterial aufzufüllen. Er hatte einen sehr großen Verschleiß an Gefangenen. Ihren wertlosen Körpern dienten zur Erprobung sowie Verfeinerung skurriler Foltermethoden, sowie als Quelle notweniger Komponenten für Zauber und Rituale. Manchmal dienten sie zu Übungszwecken als Zielscheiben für die exzellenten Bogenschützen des Magiers. Und manchmal ergötze sich Choke einfach nur an ihren qualvollen und verzweifelten Schreien. In einer der Zellen saß eine elfische Frau, völlig verdreckt und ausgehungert. Ihre Zelle stank nach Ratten, Urin und Erbrochenem. Die Mischung wurde mit ihrem Angstschweiß und dem modrigem Geruch der Erde abgerundet. Choke hatte einen hölzernen Hocker vor ihre Zelle gestellt und beobachtete sie. Für ihn war es ein Spiel das er sehr mochte. Er konnte sehen wie sie versuchte ihre Wut und ihren Hass zu unterdrücken, vermutlich aus Angst es könne sie ein schlimmeres Schicksal ereilen, wie etwa das, welches den Anderen aus ihrem Dorf widerfahren ist. Es war schon mehr als ein Monat vergangen, seit er sie kaufte. Noch nie hatte er einen Gefangenen so lange am Leben gelassen, geschweige denn ein Weib elfischer Herkunft. Und er hatte vor sie noch eine Weile zu behalten, denn er wusste wer sie war. Schon vor ein paar Jahren hatte er von einem Ritter gehört, der verzweifelt nach seiner Verlobten suchte, die aus einem Dorf namens Setoria entführt worden war. Auf seiner Queste hatte der Ritter jedes Böse welches sich ihm in den Weg stellte vernichtet. Viele Freunde des Magiers, wenn man sie als solche bezeichnen konnte, fanden den Tod durch die Hand des Ritters und seines zwergischen Begleiters. Vielleicht war es auch Rache, die Choke dazu veranlasste den Ritter herauszufordern, mehr stand jedoch der Spaß im Vordergrund, den sich der Magier aus einer Begegnung mit dem Verlobten der Gefangenen versprach. Eine willkommene Abwechslung zu seinem täglichen Geschäft, ja vielleicht sogar eine Herausforderung. Nur aufgrund dieser Erwartungen konnte er sein größtes Laster unterdrücken.
Das Spielchen machte er jeden Tag mit ihr, wobei er sich von ihrem leidenden Anblick inspirieren ließ. Er brauchte etwas ganz besonderes für den Ritter. Etwas, das so grausam und einmalig war, dass es in die Geschichte eingehen würde. In seiner Phantasie erschien ihm immer wieder des Ritters Gesicht in dem sich die Verblüffung, Panik und Hoffnungslosigkeit breit machte, die Choke bei ihm hervorrufen zu können hoffte.
Tristan kam wieder zu sich, traute sich aber nicht seine Augen zu öffnen. Er hatte sich schon sehr oft versucht vorzustellen, wie es wohl auf der anderen Seite aussehen mochte. Am Ende konnte er von sich behaupten, er habe sich seinen Platz in den Hallen Thormyrs redlich verdient, denn sein Leben war rein und tugendhaft gewesen. Im Hintergrund hörte er Stimmen. Wen würde er wohl antreffen? Welche Krieger, die schon vor ihm den heldenhaften Tod fanden, von deren Mut und Können er in inspirierenden Legenden hörte, würden ihn hier empfangen? War Boras auch hier? Er versuchte seinen Körper anzuspannen und ließ es sofort wieder sein als er einen furchtbaren Schmerz in seinem Oberschenkel spürte. Er erinnerte sich langsam wieder an das, was passiert war: der Dolch begann zu leuchten, die Erde erbebte, Blitze schossen aus dem Nichts auf das Dorf herab...Feuer...Schreie sterbender Orks...und dann, dann starb er. Sterben? Er hatte immer angenommen, dass Tote keine Schmerzen fühlen könnten.
Langsam machte er die Augen auf. Das verschwommene Bild vor seinen Augen wurde nur langsam klarer. Der Ritter sah eine steinerne Decke über seinen Kopf, von der ein schmuckloser Kronleuchter herabhing. Dieser war gerade jedoch nicht in Gebrauch. Der Raum in dem er lag war riesig. Es erinnerte ihn an die Hallen des Schlosses, in dem er seine Ausbildung genossen hatte. Das Bett, das er unter sich fühlte, war recht klein und hart. Durch die farbigen Glasfenster fiel buntes Licht in die Halle. Er drehte den Kopf nach links und nach rechts um sich ein Bild von den Räumlichkeiten zu machen. Eine halb abgebrannte Kerze auf einem Tisch links neben ihm spendete genug Licht, so dass er die vielen Tinkturen und Kräuter sehen konnte, die hier überall in den Regalen abgestellt waren. Zu seiner rechten Seite stand ein weiteres Bett in dem Boras lag. Tristans linker Arm war von oben bis unten in weiße, saubere Bandagen eingewickelt. Auch seine anderen Wunden, unter anderen auch die schwere Verletzung an seinem Oberschenkel, die ihm ein Ork bei dem Versuch auszubrechen zugefügt hatte, waren bestens versorgt worden.
Schwere Schritte hallten durch den steinernen Raum.
"Ich sehe Ihr lebt noch. Es ist ein Wunder. In der Tat. Ich glaube, dass Ihr Euch bei allen Göttern für die wundersame Rettung bedanken könnt. Zumindest Ihr und der Zwerg. Euer anderer Freund hatte etwas weniger Glück. Und natürlich könnt Ihr Euch bei denen Bedanken, die Euch in dem völlig zerstörten Dorf gefunden haben. In der Tat. Es ist wirklich ein Wunder!" Die Stimme des alten Mannes, der nun vor Tristan stand, klang sehr freundlich. Der Mensch hatte eine Glatze. Ein langer, spitzer, grauer Bart schmückte sein mit Falten überzogenes Gesicht und betonte die braunen Augen, deren Farbton der Kutte des Mannes entsprach. Er war ein Priester, wie der Ritter vermutete.
"Was ist passiert?", frage Tristan neugierig. Seine Stimme war noch sehr schwach und zittrig von der Erschöpfung und den Schmerzen.
"Das klären wir alles noch, jedoch erst zu gegebener Zeit. Nun aber schlaft erstmal noch ein wenig. Ihr müsst wieder zu Kräften kommen."
Tristan ließ sich nicht zweimal bitten und schlief ein. Dieses Mal konnte er ruhig und entspannt schlafen.
Der Ritter erwachte erst am nächsten Tag wieder. Er fühlte sich etwas stärker als am Vortag, und auch sein Bein schmerzte nicht mehr so sehr. Boras lag nicht mehr in seinem Bett. Der Ritter stand auf, wobei es ihm leichter fiel als er gedacht hätte, und marschierte durch die große Halle direkt auf die einzige offen stehende Tür zu. Draußen war es hell. Auf dem Weg musterte er die steinerne Halle etwas genauer. Der Raum war etwas länglicher als breit erbaut. Auf der einen Seite war eine riesige, schwer beschlagene Tür, auf der anderen Seite ein sehr ansehnlicher Altar. "Ein Tempel", dachte sich Tristan. Er durchschritt die Tür mit so viel Haltung wie es einem Mann in seinem Zustand möglich war und fand sich in einem kleinen Raum wieder, in dem an einem eckigen hölzernen Tisch drei Gestalten saßen. Die eine war der Mönch den er gestern bereits kennen gelernt hatte, dann war da noch Boras, der strahlend eine Schüssel voll Bratkartoffeln in sich hineinschaufelte, und die dritte Gestalt war ein etwas jüngerer Priester, vielleicht war er es noch nicht ein mal, den Tristan aber nicht kannte. Der Ritter setzte sich mit an den Tisch und bekam von dem Novitzen sofort eine große Portion Bratkartoffeln vor die Nase gesetzt. Höflich bedankte er sich und nahm den Kampf gegen den in seinem Magen tobenden Hunger auf. Er wusste, dass er diese Schlacht nicht verlieren konnte.
Ein menschlicher Krieger in silberner Rüstung, die mit einer goldenen Sonne verziert war, und ein Zwerg mit einer übergroßen Streitaxt verblassten langsam vor seinem geistigen Auge. Er entspannte sich. Die Vision hatte viel Kraft gekostet, dieses Mal jedoch weit weiniger als bei dem letzten Mal. Sie waren also näher gekommen. Nicht mehr lange, und er bekäme was er wollte. Er hatte schon lange gewartet, die paar Wochen machten ihm nichts mehr aus. Er korrigierte die Ärmel seiner nachtblauen Robe und legte seine Arme sanft auf die mit Gold verzierten und mit filigranen Schnitzereien versehenen Armlehnen seines Thrones. Er konzentrierte sich noch einmal kurz und einen Augeblick später betrat ein kleiner glatzköpfiger Diener den Saal.
"Ihr habt gerufen Meister?", fragte der zittrig wirkende Diener. Er hatte Angst, und zwar jedes Mal, wenn sein mächtiger Meister nach ihm rief.
"Ja", ertönte eine tiefe, rauchige Stimme. Die Kapuze verhüllte das Grinsen, welches sein Gesicht immer wieder durchzuckte, wenn er die Angst seiner Dienerschaft verspürte. „Ich habe nach dir gerufen. Gehe zu Meister Ardo. Schicke ihm meine besten Grüße, und richte ihm aus, es wäre an der Zeit seine Schuld bei mir zu begleichen.“ Der Vermummte schnippte mit seinen Fingern, und aus dem Nichts materialisierte sich vor dem Diener eine Schriftrolle, mit dem Siegel seines Meisters, welches die Form eines Katzenschädels hatte. „Übergebe ihm dann diese Schriftrolle.“ Daraufhin deutete er dem Diener an den Raum zu verlassen. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Du weißt was dir droht wenn er sich beklagt, oder wenn du versagst?“
Dem Diener lief ein kalter Schauer den Rücken hinab.
"Ja mein Meister!" Der kleine Glatzkopf entfernte sich ohne die Augen vom Boden zu heben, oder seinem Meister den Rücken zuzukehren.
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rgendwo in einem fremden Land, in einer ganz anderen Welt, ging gerade die Sonne auf. Maeran war schon seit Stunden wach und machte seine Waffenübungen. Eines Tages wollte er ein großer Ritter und Feldheer werden, der seinem Königreich zu noch mehr Ruhm und Ehre verhelfen würde. Vor knapp einem Jahr empfing er als einer der jüngsten Menschen der Geschichte seines Königreiches den Ritterschlag, was nicht nur ihn sondern auch seine Eltern sehr stolz machte. Er erinnert sich noch daran als sei es gestern gewesen, wie er das Versprechen gab den Glauben guter Religionen aufzubauen und zu beschützen, böse Priester zu vernichten, dass er geschworen hatte die Prinzipien der Treue, der Höflichkeit, der Ehrlichkeit, des Mutes und der Ehre mit aller Kraft offen und ohne Vorbehalt zu verfolgen. Maeran de Agia war ein Ritter des Ordens des goldenen Löwen im Dienste Orms des Wahren, dessen Abzeichen seinen blau-weißen Umhang zierte.
Nach dem Frühstück war er zum Ordensoberhaupt geladen. Vermutlich hatte dieses führ ihn eine neue Mission, auf die er sich jetzt schon freute. Der gerade achtzehn jährige junge Mann war ein vorbildlicher Ritter. Noch vor dem Frühstück, nach dem er seine Übungen beendet hatte, rannte er in die heiligen Hallen, wo er zusammen mit seinem Freund Zaldrik zu beten pflegte. Zaldrik war ein Priester des Gottes Klemwor, der für den Tod stand. Dieses bedeutete aber nicht, dass er ein böser Gott war. Klemwors Priester waren Menschen, die den Tod respektieren und als etwas Endgültiges ansahen. Deswegen duldeten sie keine Untoten, und machten es sich zur Aufgabe alles Unleben zu vernichten. Vielleicht war die Tatsache dass sie gemeinsame Ziele verfolgten; denn welcher rechtschaffene Priester umgab sich mit einer Armee selbsterschaffener Zombies und Skelette, mitunter dafür verantwortlich dass das Band der Freundschaft welches die Beiden umgab so stark war. Obwohl Zaldrik noch nicht so alt war, gewährte ihm Klemwor schon recht viele, auch mächtige, Gebete, um ihm bei der Erfüllung seiner Pflichten zu unterstützen.
Es waren einige Tage vergangen. Boras und Tristan hatten sich vollständig erholt. Von dem Mönch erfuhren sie, dass ihre Rettung reine Fügung des Schicksals war. Eine Gruppe von Abenteurern hatte sie dem Tode nahe in den Ruinen einer orkischen Siedlung gefunden und in die Stadt Dolomias gebracht. Natürlich war ihre Ausrüstung fort, dennoch waren beide dankbar, dass sie noch lebten. Drei Wochen hatten sie im Koma gelegen. Eine sehr lange Zeit. Choke hatte wohl genug Zeit sich weit genug zu entfernen - dachte der Ritter. Dabei war er noch nie so nah dran gewesen.
Dank Boras, der einen Teil der Schätze in seinem Stiefel versteckt hatte, waren sie nicht ganz mittellos. Tristan blieb noch seine Rüstung, die mittlerweile auch wieder ausgebeult und auf Hochglanz gebracht worden war. Der Zwerg brauchte eine neue Rüstung, denn das Leder hatte den Belastungen nicht standhalten können. Er gab sich auch nicht mehr mit Leder zufrieden; stattdessen kaufte er sich für einen der Edelsteine einen Kettenpanzer. Die Zeit, die sie brauchten um vollständig zu regenerieren, hatte ausgereicht um sich mit neuer Ausrüstung einzudecken. Tristan hatte ein neues Schwert, Boras hatte das Glück bei einem der Waffenhändler seine alte Axt zurückzukaufen; vermutlich hatten die Abenteurer, denen die beiden Freunde ihr eben verdankten, den wahren Wert der Axt verkannt und sie bei dem Waffenhändler verhökert. Die Welt war soweit wieder in Ordnung. Und ihnen blieben immerhin noch drei Edelsteine. Das einzige, was unmöglich ersetzt werden konnte, war Rosinante. Nie wieder würde Tristan ein ihm so treues Reittier finden. Viele Erinnerungen verbanden die beiden, doch auch diese würden mit der Zeit verblassen, das wusste der Ritter.
Zu seinem Erstaunen fand Boras nicht nur Edelsteine in seinem Stiefel. Er konnte es sich genauso wenig erklären wie sein Freund Tristan: es war der Dolch der Geister. Sie hatten keine Ahnung wie die blass-blaue Klinge im Stiefel des Zwergen landen konnte, zumal der letzte der sie bei sich hatte der orkische Schamane gewesen war. Hatten die, denen sie ihre Rettung verdankten solche Angst vor dem Dolch, dass sie ihn Boras in den Stiefel schoben? Oder war da eine andere Macht am Werk? Sie wussten es nicht, aber die Neugier, die diese Waffe in ihnen weckte, wuchs von Tag zu Tag. Sie beschlossen Nachforschungen anzustellen. Beide wollten wissen welches Geheimnis hinter dem bösen Dolch steckte. Gleich morgen wollten sie mit dem Sammeln der Informationen beginnen. Heute Nacht aber wollten sie sich nach langer Zeit etwas zerstreuen, und vor allem Boras "Gier" stillen; das Bedürfnis nach dem einen oder anderen Krug frischen Bieres.
Als sie den Tempel verließen bedankten sie sich bei dem alten Priester und dem Novizen, und hinterließen eine kleine Spende in Form eines der drei noch verbliebenen Edelsteine.
Tristan war nicht nach Trinken. Viel zu viele Gedanken, unter anderem an Darina und den Dolch, trübten seine Stimmung. Dafür trank Boras umso mehr, so als wollte er für seinen Freund mittrinken. Vertragen konnte der Zwerg allemal so Einiges. Die beiden Freunde verließen die Kneipe zu sehr später Stunde. Tristan war noch nüchtern. Zwar hatte er sich von Boras, der nun Schwierigkeiten hatte den einen Fuß vor den anderen zu setzen, zu einem Krug überreden lassen, so war die Menge aber nicht ausreichend genug um seinen Verstand zu trüben. Der Zwerg und der ihn stützende Mensch gingen eine dunkle Gasse entlang auf der Suche nach einem Gasthaus in dem sie übernachten konnten.
Bei Nacht wirkte die spärlich beleuchtete Stadt geisterhaft. Es gab kaum leben auf den Straßen, außer den in unregelmäßigen Abständen passierenden Wachen. Dolomias war eine Stadt des Spieles und des Vergnügens, wohl eine der prächtigsten und wohlhabendsten Städte des Nordens. Umso mehr hätte man eigentlich erwarten können, dass das Leben auch bei Nacht tobte. Dem war aber nicht so.
Sie bogen in eine weitere Gasse ein. Es fiel ihnen schwer sich in der Dunkelheit zu orientieren. Es gab kaum Anhaltspunkte, die einer der beiden hätte mit einem der Orte, die sie tagsüber gesehen hatten, verbinden können. Etwas hatte es dann doch geschafft Tristans Aufmerksamkeit zu erregen. Er war sich nicht sicher ob er es wirklich gesehen hatte oder ob er es sich nur einbildete, aber der Ritter war immer sehr vorsichtig. Ein inneres Gefühl sagte ihm Gefahr voraus, und er verließ sich stets auf sein Gefühl. Diesem hatte er so manches Mal sein Leben zu verdanken. Dieses etwas, was Tristans Aufmerksamkeit auf sich zog, war ein Schatten, der ihnen über den Dächern der Stadt zu folgen schien. Ruckartig presste Tristan seinen betrunkenen Freund an die Wand eines der Häuser und deutete mit dem Finger, dass er sich ruhig verhalten sollte. Den Versuch des Zwergen zu protestieren unterband Tristan mit seiner Hand, indem er ihm den Mund festhielt. Ganz langsam zog er sein Schwert und musterte dabei die Dächer der gegenüberliegenden Häuserreihe. Alles war ruhig.
Plötzlich tauchte vor Tristan der Schatten auf, der allem Anschein nach vom Dach herab gesprungen war. Der Fremde war in eng anliegende schwarze Roben gehüllt, das Gesicht war durch eine weiße Maske verdeckt. In seiner Hand hielt er ein Schwert, mit dem er Tristan bedrohte. Der Schatten zögerte nicht lange und holte mit dem Schwert zum Schlag aus. Der Ritter parierte den ersten Schlag, dessen Ziel wohl sein Kopf gewesen war, ohne große Mühe. Trotz der Leichtigkeit mit der Tristan die Schläge seines Angreifers parierte, gelang es ihm nicht auch nur die winzigste Lücke in der Deckung seines Gegners zu finden. Er wartete mit seinem Gegenangriff noch ab. Der Fremde schien unermüdlich zu sein. Seine hiebe prasselten auf Tristan herab wie starker Regenguss. Und dann entdeckte er doch eine Lücke, eine Nachlässigkeit in der Deckung seines Gegenübers. Er musste nur noch auf den richtigen Moment warten. Langsam ermüdete der Angreifer, was sich in der abnehmenden Geschwindigkeit seiner Attacken äußerte. Tristan parierte mit einem Gegenschlag, einen auf seinen Kopf gerichteten Hieb, wirbelte blitzschnell sein Schwert nach unten und holte den verblüfften Angreifer mit einem Schlag der Flachseite seines Schwertes in die Kniekehlen von den Beinen. Die Waffe des Fremden flog aus dessen Hand und landete außerhalb seiner Griffweite auf dem Boden. Prompt stand der Ritter über seinem Angreifer und richtete sein Schwert auf dessen Kehle.
"Puh "- Tristan atmete tief durch- "Wer bist du, und was willst du von uns?" Der Fremde schwieg. Tristan musterte den Fremden nun genauer. Er trug außer seiner Kleidung eine Maske über dem Gesicht. Einen kurzen Moment blickte er nach Boras, der mit seinem Gleichgewicht kämpfend und noch immer völlig desorientiert an einer Wand eines der Häuser lehnte. Noch bevor Tristan sich dem Fremden wieder zuwenden konnte, rammte sich dieser einen Dolch in die Brust. Sein Körper zuckte noch einige Male bevor er erschlaffte.
Der Ritter ließ sein Waffe resigniert in die Schwertscheide zurück gleiten und beugte sich über den Toten, um ihn auf irgendwelche Hinweise zu untersuchen. Nach kurzer Suche trat er erschrocken zurück. Am Hals des Unbekannten hing, an einer Kette befestigt, der Dolch der Geister, oder zumindest eine verkleinerte Nachbildung des Dolches. Hastig packte er Boras, der nun langsam begann etwas klarer im Kopf zu werden, und verließ schnellen Schrittes den Schauplatz.
Es verstrich noch einige Zeit bis sie endlich ein Gasthaus gefunden hatten indem sie die Nacht verbringen konnten. In dieser Nacht hatte Tristan kein Auge zugemacht. Er hatte versucht das Puzzle zusammenzusetzen, merkte jedoch schnell, dass ihm noch viel zu viele Einzelteile fehlten. „Was war so besonderes an dieser Waffe.“ Morgen würden sie es vielleicht herausfinden.
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in Neuer Tag war angebrochen. Tristan, der kaum ein Auge zugemacht hatte, blickte müde aus dem Fenster. Der Himmel war von einer dicken, dunklen Wolkenschicht verhängt. Es sah sehr stark nach Regen aus. Der Ritter freute sich diesbezüglich, denn nach den heißen Tagen der jüngsten Vergangenheit, von denen er ohnehin nicht sonderlich viele mitbekommen hatte, erfreute er sich mal eines kühleren Tages. Zumal es für ihn ein richtig langer Tag werden würde, denn er und Boras, sofern der Zwerg wieder ganz nüchtern war, hatten sich sehr viel vorgenommen. Unter anderem auch besuche in der Bibliothek und der Magierakademie der Stadt. Er wollte keine Zeit verschwenden. Der junge Mann zog sich an und ging los um seinen Reisegefährten zu wecken.
Es klopfte an der Tür. Nur langsam gelang es Boras seine Augen zu öffnen. Sein Kopf hämmerte, als sei er von einem Schmied mit einem Amboss verwechselt worden. Der Zwerg warf der Tür, an der es eben erneut geklopft hatte, einen sehr bösen Blick zu. Wenn er nicht ahnen würde, das es Tristan war der ihn eben dem Schlaf entriss, so würde er ganz bestimmt seine Axt werfen, in der Hoffnung die nicht sonderlich massiv aussehende Tür zu durchschlagen und den Störenfried tödlich zu treffen. Sein Kopf fühle sich an als hätte er auf härtestem Granit geschlafen. An den Vorabend konnte er sich kaum erinnern. Das einzige was er noch aus seiner Erinnerung abrufen konnte war, dass das Bier hervorragend geschmeckt hatte. Der Zwerg quälte sich aus dem viel zu harten Bett und machte die Tür auf. Tatsächlich war es auch Tristan der ihn geweckt hatte; in voller Montur und bis an die Zähne bewaffnet.
"Ist irgendwo der Krieg ausgebrochen?" fragte Boras, während er sich den restlichen Schlaf aus den Augen rieb. Der Ritte schaute ihn verblüfft an.
"Ich möchte nur nicht so schnell meinen Geist aushauchen, sollten wir wieder von einem Meuchelmörder angegriffen werden". Meuchelmörder? Er hatte wohl mehr getrunken als er angenommen hatte, was auch ein kurzer Griff an seinen Goldbeutel bestätigte. Es war nur noch ein Edelstein darin und ein paar Kupferstücke, die wohl das Wechselgeld verkörperten. Der Zwerg fasste sich vorsichtig an seinen brummenden Schädel, zog hastig seine Kleider an, was einen äußerst unterhaltsamen Anblick bot, und quälte sich völlig abgekämpft aus dem Zimmer. Im vorbeigehen fragte er seinen Freund, ob das Frühstück bereits fertig sei. Tatsächlich hatte Tristan bereits gestern Nacht mit dem Wirt eine Zeit ausgemacht zu der das Frühstück zu servieren war, so dass Boras beim hinabsteigen der in den Speisesaal führenden Treppe bereits den angenehmen Duft von Speck und Eiern wahrnehmen konnte. Die beiden Freunde speisten ausgiebig und beschlossen dann den sich selbst auferlegten Aufgaben zu stellen.
Als erstes stand die Bibliothek auf der Liste. Boras blickte jetzt schon entnervt. Sein Freund konnte hervorragend Verhandlungs-gespräche führen, da er aber nicht lesen konnte, würde die langweilige Aufgabe des Sich-durch-die-Bücher-Wühlens auf ihn zurückfallen. Die Bücherhalle war nicht sehr groß, dennoch hinterließ sie bei dem Ritter einen ehrfürchtigen Eindruck. Der Bibliothekar, ein kleiner alter Gnom, machte einen sehr freundlichen und hilfsbereiten Eindruck, der sich während des Aufenthaltes auch bestätigte. Das kleinwüchsige Wesen zeigte ihnen die Bücherregale, in denen sie unter Umständen das Glück haben könnten die benötigten Informationen zu finden, er bereitete den beiden auch einen Aufguss aus verschiedenen Kräutern, dem man nachsagte er könne den Geist beleben. Während Boras sich langsam, nach Stichwörtern wie der Dolch der Geister, Geisterdolch oder ähnlichen, Buch für Buch durchquälte, gingen Tristans Nachforschungen schneller voran. Er blätterte die mit Bildern und Zeichnungen versehenen Bücher durch und suchte nach Abbildungen, die der Gestalt des Dolches ähnelten. Gegen Abend waren sie fertig, und das nicht nur mit den Büchern. Die Suche hatte sich weitgehend gelohnt. Die beiden fanden heraus, dass diese Waffe irgendetwas mit den Drachenkriegen vor knapp fünftausend Jahren zu tun haben sollte. Ferner fanden sie noch Querverweise auf eine sogenannte Bruderschaft der Toten und eine Insel namens Voltran, die der Sitz der Bruderschaft gewesen sein soll. Zu der Lage der Insel selbst hatten sie keine einzige Information gefunden. "Sollte dieser mysteriöse Dolch der Geister tatsächlich schon so alt sein?", Tristans ohnehin schon große Neugier wuchs nur noch mehr an. Sie verließen die Bibliothek bedankten sich beim Bibliothekar für dessen freundliche Unterstützung, und steuerten geradewegs auf die Magierakademie zu. Auch Boras konnte nicht leugnen, dass ihn die Waffe interessierte. Er war mindestens genauso begierig darauf mehr zu erfahren wie es Tristan war.
Die Akademie lag am anderen Ende der Stadt, weit ab von den Vergnügungs- und Zerstreuungseinrichtungen, die Dolomias zu bieten hatte. Wundern konnte es niemanden, denn die angesehenen Zauberer dieser Stadt waren mehr daran interessiert Wissen zu sammeln als sich bei Wetten, Spielen und Met ablenken zu lassen. Das Gebäude war im Stil einer Garnison errichtet worden. Starke Mauern mit Wehrgängen und Türmen beschützten den großen Turm, der inmitten einer Gartenanlage errichtet worden war. Am Haupttor gewährten die Wachen, zwei in gelbe Roben gekleidete Magier, den Ankömmlingen den Einlass. Im Garten konnte man Pflanzen sehen, die man sonst nur selten zu Gesicht bekam. Einige von ihnen waren so selten oder in der Natur so unzugänglich, dass es sogar lebensgefährlich sein konnte nach so einer Pflanze zu suchen. Aber die Magier brauchten sie. Und um nicht jedes Mal das Leben junger Adepten zu gefährden, verpflanzte man solche Seltenheiten hier in den Garten um sie zu züchten. Gerüchten zufolge gab es unter dem Turm noch einen unterirdischen Garten mit Pflanzen die noch seltener waren oder nur in absoluter Dunkelheit wuchsen. Tristan und Boras durchquerten die große Anlage und betraten den Turm. Es hatte nicht lange gedauert bis sie die Aufmerksamkeit eines jungen Elfen in blauer Robe auf sich gelenkt hatten.
"Sucht Ihr nach Ruhm und Ehre, so kehret um und gehet zu Euren Familien. Falls jedoch Wissen das Ziel Eurer Bestrebungen ist, so seid uns Willkommen. Mein Name ist Xandoran, Magier des fünften Grades, Erforscher der arkanen Künste und Hüter des Wissens dieser Hallen. Wie kann ich Euch behilflich sein?"
Der Ritter und der Zwerg schauten sich kurz etwas verlegen an, gewannen aber schnell ihre Fassung wieder und Tristan ergriff das Wort:
"Mein Name ist Tristan Weidenfels von Setoria, Ritter des Sonnenordens, dies ist mein Freund Boras. Unwissenheit ist der Grund, der uns in diese erwürdigen Hallen geleitet hat."
"So will ich Euch nach besten Wissen und Gewissen helfen, soweit es in meiner Macht steht". Der Magier nickte kurz und gab ihnen ein Zeichen ihm zu folgen. Sie durchschritten die Eingangshalle, die mit großen Wandteppichen, riesigen Statuen und Gemälden geschmückt war. Xandoran bat sie in das Besprechungszimmer, einen kleinen Raum am Ende der Halle, der bis unter die Decke mit Büchern gefüllt war, die ordentlich in bis zur Decke des Raumes reichenden Regalen einsortiert waren. Der Magier setze sich hinter den Schreibtisch und bat seine Besucher Platz zu nehmen.
"Was wir gerne in Erfahrung bringen würden, hängt mit den Ereignissen die uns in der jüngsten Vergangenheit zugestoßen sind zusammen." begann Tristan. "Auf unserer Reise haben wir einen Dolch gefunden von dem wir wissen was er ist. Gestern Nacht wurden wir überfallen von einem Mitglied der Bruderschaft der Toten. In der Bibliothek fanden wir heraus, dass der Sitz dieser Verbindung auf einer Insel namens Voltran sei, haben aber keine Informationen zur Lage dieser Insel finden können", Tristan zögerte kurz, "Wir hofften Ihr könntet uns etwas über diese Insel erzählen und uns helfen sie zu finden." Xandoran antwortete nicht, schaute indessen die beiden sehr bedächtig, mit vor seinem Gesicht zusammengefalteten Händen, an. Er stand auf und bat die beiden sich einen Moment zu gedulden, während er selbst den Raum verließ.
Kurze Zeit später kehrte Xandoran in Begleitung eines sehr alten Elfen wieder zurück. Es war für Boras und Tristan nicht möglich das Alter des Mannes zu schätzen, aber sie wussten, dass er schon viele menschliche und zwergische Generationen überlebt haben musste. Sein Wissen musste überwältigend sein. Aus Ehrfurcht standen die beiden auf und begrüßten ihn mit einer tiefen Verbeugung. Der Alte nickte kurz und nahm in dem Sessel platz, in dem zuvor Xandoran gesessen hatte.
"Mein Name ist Nolgar Salinan.“ Die Stimme des Alten wirkte müde und etwas zittrig, strahlte aber dennoch Erhabenheit und endlose Weisheit aus. „Ich habe bereits Notiz genommen von dem Anlass Eures Besuches. Es ist schon sehr viele Jahre her, dass mich jemand danach gefragt hatte. Nun, ich will Euch eine kleine Geschichte erzählen, die sich vor mehreren tausend Jahren auf dieser Welt ereignet hatte. Hört gut zu, denn in ihr sind die Antworten verborgen, die zu erfahren Euer sehnlicher Wunsch ist." Der alte Elf lehnte sich zurück und begann mit seiner Erzählung, während Boras, Tristan und Xandoran, ganz wie kleine Kinder, gespannt zuhörten.
"Vor sehr langer Zeit als die Drachen noch lebten und die Kontinente beherrschten, wurden die Bewohner der Welt wie sie damals war unterdrückt und terrorisiert von ihren furchtbaren Herren. Die Herrschaft der Drachen forderte viele Opfer und so manche glorreiche Kultur geriet unter ihrem Joch ins Vergessen. Dann, eines Tages, beschlossen die humanoiden Rassen etwas gegen die… Plage… zu unternehmen. Sie gründeten einen Geheimbund, der aus je einem Mitglied einer der damals lebenden Rassen bestand. Man nannte sie die Drachentöter. Ihr Anführer war ein großer menschlicher Krieger namens Jallai Aurum. Die Bemühungen des Bundes gingen nur sehr langsam voran. Ihr Ziel war eindeutig, aber die drakonischen Herrscher waren zu mächtig. Dann jedoch, viele Jahre später, erbarmten sich die Götter der Sterblichen und schenkten den Drachentötern eine Waffe, die in der Lage war ihre Ziele umzusetzen. Es handelte sich um einen Dolch. Doch zeitgleich warnten die Götter die Sterblichen vor der Macht der Waffe und der Gefahr die für die Sterblichen selbst von dem Geschenk ausging. Es dauerte nicht lange und die Drachen verschwanden, und mit ihnen die Drachentöter. Sie hatten den Preis gezahlt den die Götter für Ihr Geschenk gefordert hatten. Und auch der Dolch verschwand. Aus diesem Grunde, so vermute ich, taufte man die Waffe den Dolch der Geister. Es gibt Berichte, dass die Waffe seit dem sie verschwand hin und wieder aufgetaucht sein solle, doch so schnell wie der Dolch erschien verschwand er wieder, und mit ihm auch der Träger. Wie Ihr erkennen könnt, ist die Waffe sehr, sehr mächtig und falls ihr Euch tatsächlich im Besitz dieser befinden solltet, so rate ich Euch, sie zu vernichten. Sie hat ihren Zweck bereits vor Jahrtausenden erfüllt."
Der Elf blickte die beiden noch eine ganze Weile wortlos und bedächtig an, warf Xandoran einen flüchtigen Blick zu und verließ anschließend den Raum. Tristan und Boras hallte die Geschichte immer und immer wieder im Kopf nach.
"Drachen? Es gab sie wirklich? Keine Legende? "- sie waren völlig fassungslos.
Xandoran ergriff das Wort:
"Wenn ihr mehr Informationen haben wollt, so müsst Ihr die Insel Vorltran aufsuchen. Es gibt Legenden über ein Buch, in dem die Geschichte der Welt von einer geisterhaften Hand niedergeschrieben wird. Man nennt es den "Kanon der Zeit". In ihm stehen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft geschrieben. Dieses Buch befindet sich auf dieser sagenumwobenen Insel. Ich habe meinen Meister befragt und Er erzählte mir, er kenne einen Magier namens Ormand. Dieser soll sich im Besitz einer magischen Karte befinden, die jeden Ort anzeigen kann, den man zu sehen wünscht. Ihr solltet Ihn aufsuchen. Sein roter Turm steht inmitten des Borealinschen Waldes. Viel Glück, und mögen die Götter auf Euren weiteren Wegen gütig sein." Daraufhin verließ auch Xandoran den Raum und ließ Boras und Tristan in Gesellschaft ihrer eigenen Gedanken und der vielen Bücher zurück.
Ardo saß alleine in seinem Arbeitszimmer, seinen ganzen Papierkram vor sich ausgebreitet. Als Meister einer Diebesgilde muss man eben nicht nur ein hervorragender Dieb sein, sondern sich auch in den Regeln der Diplomatie und Bürokratie auskennen, um diese soweit biegen zu können, dass man sich so gerade eben noch dem langen Arm des Gesetzes entziehen konnte. Die Nachtvögel, so hießen seine Diebe, waren sehr bekannt. Sie galten sogar als die besten Spione und Meuchelmörder der Welt. Den Diener, der ihm soeben eine Nachricht aus der Magiergilde überbrachte, hatte er bereits wieder weggeschickt. Er ahnte, dass der Inhalt der Nachricht geheim und mit großer Wahrscheinlichkeit extrem wichtig war. Er wusste auch sofort von wem sie kam. Krishan, der oberste Seher der Stadt Haevia, sandte sie. Er hatte ihm schon oft genug mit seinen seherischen Fähigkeiten aus der Klemme geholfen. Mit der Zeit entfaltete sich eine Zweckfreundschaft zwischen den beiden. Für Krishan standen die Nachtvögel immer wieder zur Verfügung. Ardo entfernte das Siegel von der Schriftrolle und warf sie fort. Das Siegel legte er auf den Tisch, auf dem sich noch immer eine Menge Dokumente befanden, und sprach das nötige Wort um die Nachricht zu entschlüsseln. Im gleichen Moment erschien über dem Wachsiegel Krishans verhülltes Gesicht, und übermittelte ihm die Botschaft...
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ristan und Boras waren wieder ins Gasthaus, in dem sie schon die vorherige Nacht verbracht hatten, eingekehrt. Während der junge Ritter versuchte in seinen Gedanken die Geschichte des alten Elfen zu verarbeiten, spielte Boras mit dem Dolch. Er lag sehr gut in der Hand, war perfekt Ausbalanciert und schien sein Ziel nie zu verfehlen, was der Zwerg nach einigen Würfen feststellen konnte. Er hatte noch nie sehr gut mit Wurfwaffen umgehen können, aber mit diesem Dolch klappte es fast wie von selbst. Dieses fiel sogar Tristan auf. "Welche Fähigkeiten verbergen sich in dir?" fragte der Ritter den Dolch, und ließ die Waffe dabei keine Sekunde lang aus den Augen. "Warum verschwand jeder in dessen Besitz du dich befandest? Werden wir auch verschwinden? "- diese und weitere Fragen quälten Tristan.
Plötzlich überkam den Zwerg ein merkwürdiges Gefühl. Er nahm den Dolch an der blass-blauen Klinge und umschloss sie mit seinen kräftigen Händen. Er hob den Dolch mit dem Griff zur Decke gerichtet in die Luft und schaute dem den Knauf bildenden Katzenschädel in die smaragdgrünen Augen. Er konzentrierte sich und schloss die Augen. Plötzich merkte er wie ein leichter Windhauch seine Füße umspielte und sich entlang seiner Unterschenkel nach oben schlängelte. Es kam ihm merkwürdig vor. Der Zwerg öffnete die Augen und sah, wie ihn die Katze mit ihren leuchtenden grünen Augen anstarrte. Allerdings wirkte dieser Blick nicht wie der einer Katze. Die Augen… Es schien, als sei etwas ungleich mächtigeres in den smaragdgrünen Augen gefangen… Erschrocken ließ er die Waffe fallen. Ihre Klinge bohrte sich in die hölzernen Bodendielen. "Was zum..." Boras war atemlos. Er versuchte sich zu sammeln, ein Hauch von Panik überflog ihn. Er fasste sich wieder, als er eine Hand an seiner Schulter spürte. Tristan hatte alles gesehen. Sein Atem klang mindestens genauso erregt, wie der des Zwerges.
"Was war das?" fragte der Ritter. Boras drehte sich zu ihm und blickte völlig leer in die Augen seines Freundes.
"Ich... Ich habe keine Ahnung" erwiderte der Zwerg. Beide schauten herab auf die im Boden steckende Klinge. Boras ging in die Hocke, zog die Waffe aus dem Boden und drehte sich anschließend wieder zu Tristan. Die Klinge ließ er dabei nicht aus den Augen. "Ich werde es noch mal versuchen", sagte er mehr zu sich als zu seinem Freund und brachte die Waffe in die gleiche Position wie zuvor. Erneut schaute er der Katze tief in die Augenhöhlen und begann sich zu konzentrieren. Er suchte nach dem Wesen, welches seiner tiefen Überzeugung nach in den Augen gefangen war. Und wie beim ersten Mal spürte er den sich an seinen Beinen hoch schlängelnden Wind, der nun seinen ganzen Körper in einem kleinen Strudel einhüllte. Der zarte Hauch des Windes wurde immer stärker. Tristan trat erschrocken einige Schritte zurück, panisch schaute er sich um und verstreckte sich hinter dem Bett. Der ganze Raum war nun in ein intensives grünes Licht gehüllt, welches aus den Augen der Katze strahlte. Er beobachtete Boras der nun im Zentrum eines kleinen Sturmes stand, der seinen ganzen Körper einhüllte. Der Bart des Zwerges stand senkrecht nach oben, die Kleider flatterten im gewaltigen Wind hin und her. Der Sturm breitete sich auf das ganze Zimmer aus und ähnelte nun einem Tornado, in dessen Zentrum der Zwerg stand. Der magische Sturm wirbelte einige Stühle und andere Kleinigkeiten auf, wie Pergament und sonstige leichtere Dinge. Tristan spürte nun trotz seiner Deckung den Wind, der jetzt langsam begann am Bett zu zerren. Eilig verließ der Ritter seinen Platz und suchte Schutz in der vom Zwergen entlegendsten Ecke des Raumes. Gerade im Richtigen Moment, denn nun flog auch das Bett, der kleine Schreibtisch und ihre komplette Ausrüstung zusammen mit den Stühlen und anderen Dingen in weitem Bogen um Boras herum, dessen Blick wie hypnotisiert die Augen der Katze fixierte. Dann sah Tristan das Bett auf sich zukommen. Reflexartig presste er sich so fest wie möglich an die Wand hinter ihm. Das Möbelstück verfehlte ihn nur knapp. Tristans Blick folgte dem fliegenden Bett, das ihn eben um haaresbreite erschlagen hätte und er konnte sehen wie es an der gegenüberliegenden Wand zerschellte.
Von einer Sekunde auf die andere hörte der Sturm auf, und die Gegenstände fielen mit viel Krach zu Boden. Tristan atmete erleichtert aus und schaute besorgt zu Boras, der noch immer hochkonzentriert den Dolch in die Luft hielt. Der Ritter eilte zu seinem Freund, senkte dessen Arme, die den Dolch noch immer fest umklammerten, und legte ihm die Hände auf die Schultern. An der Wange des Zwerges lief eine Träne hinab, Tristan erschrak kurz. Er hatte den Zwerg noch nie weinen gesehen. Boras öffnete seine Augen, aus denen nun auch der letzte grüne Schein entflohen war. Sein Blick war gezeichnet von Trauer und Wehmut.
"Ich habe ihre Stimmen gehört!", sagte er voller Trauer, als er nach einer Weile wieder Herr seiner Gedanken wurde. "Ich habe sie gehört! Sie sangen ein Lied, doch konnte ich den Inhalt nicht verstehen. Aber ich spürte, dass ihre wunderbaren Stimmen traurig waren. Ich konnte Leid und Schmerz fühlen! Ich habe ihre Stimmen gehört..." Der Zwerg schaute sich verblüfft um. "Was zum..."
"Das erkläre ich Dir später", unterbrach ihn Tristan, als er verstand, dass Boras nach der Ursache der Verwüstung zu fragen suchte. „Wir müssen aufbrechen. Es wird etwa eine Woche dauern bis wir den Roten Turm erreichen, ein Grund keine Zeit zu verschwenden.“
Der Zwerg und der Paladin verließen in großer Eile das Gasthaus, welches ihnen die letzten Tage als Unterkunft gedient hatte. Auch das Pferd, welches Boras dem Ritter „besorgt“ hatte war sichtlich erfreut dass die Reise nun weitergehen sollte. Gekonnt schwang sich Tristan trotz seiner schweren Rüstung auf sein Pferd.
„Auf zum Broakhenschen Wald!!!“ rief der Paladin und gab dem Gaul die Sporen.
Wie er es erwartet hatte, hatte der König tatsächlich einen neuen Auftrag für ihn, eine Mission in der es darum ging die Ziele des Ordens des Goldenen Löwen zu verteidigen. Kein einfaches Unterfangen bei so viel Bösartigkeit in der Welt.
Maeran hatte seinen Freund Zaldrick schon darüber informiert, und da dieser noch eine Messe abzuhalten hatte, hatte es der Paladin auf sich genommen die Reisevorbereitungen für Beide zu treffen. Bei der Mission ging es darum ein Artefakt zu beschaffen, welches letzte Nacht aus dem Tempel entwendet wurde. Es gab auch schon einige gewagte, aber dennoch logische, Vermutungen darüber, wer hinter dem Diebstahl stecken könnte. Wie auch immer. Maeran war sich ziemlich sicher, dass er diesen Auftrag für seinen Orden erfüllen, und wieder etwas mehr Licht in die finsteren Ecken dieser Welt bringen würde.
Gegen Mittag brachen der Löwenritter und der Priester auf in östlicher Richtung. Die Reise war ziemlich unbeschwerlich und schon spät am Nachmittag hatten die beiden eine Spur gefunden die zu verfolgen sich lohnte. Es handelte sich dabei um die Fährte von fünf oder sechs Reitern. Eigentlich nicht ungewöhnlich und sicherlich nicht verfolgenswert, wäre da nicht die Tatsache, dass in der Nähe der Fährte zufällig sechs Gewänder des Priesterordens gefunden wurden, aus deren Tempel das Artefakt entwendet worden war. Trotz ihrer Müdigkeit beschlossen die Beiden weiter zu reiten. Die Fährte war noch ziemlich frisch und die Gefährten machten sich die Hoffnung die Diebe noch vor Sonnenuntergang einzuholen.
Es war schon spät am Abend. Tristan und Boras haben ihr Lager auf einer kleinen Lichtung im Wald aufgeschlagen und erfreuten sich am Hirsch vom Spieß. Mal wieder…
Plötzlich wurde die Ruhe durch einen Schrei vertrieben.
„Hilfe! So hilf mir doch jemand“ rief die Stimme. Tristan richtete sich schnell auf, warf die Hirschkeule fort und zog sein Schwert. Entschlossenen Schrittes versuchte er der immer lauter werdenden Stimme entgegenzukommen. Dann verstummte der Schreiende ganz plötzlich. Tristan und Boras fanden nun endlich was sie suchten. Sie sahen einen Schemen neben einem Pferd der sich über irgendetwas zu bücken und hastig nach etwas zu suchen schien. Als der Schemen den Zwerg und den Menschen bemerkte schwang er sich auf sein Pferd und ritt in großer Eile davon. Tristan und Boras realisierten sofort, dass eine Verfolgung keinen Sinn gehabt hätte. Stattdessen nahmen sich die beiden Freunde des auf dem Moos liegenden Körpers an und trugen ihn zum Feuer. Bei dem Toten handelte es sich um einen alten zerzausten Gnom in ärmlicher Kleidung. Am Rücken hatte er eine sehr große Schnittwunde, die von der rechten Schulter fast zum Gesäß reichte. Unter dem Hemd des Gnoms fand Boras ein blutverschmiertes, zusammengefaltetes Stück Pergament.
Nach eingehender Studie des Schriftstücks folgerte Boras, dass es sich hierbei um eine philosophische Abhandlung zum Thema Zeitreise handeln musste. Der Autor, ein gewisser Testedian, beschreibt die Zeit hierbei als einen Fluss, an dessen Ufern man beliebig aussteigen und wieder zurück laufen könne. Natürlich sehr stark vereinfachend dargestellt. Es wird auch äußerst detailliert beschrieben wie man die Ufer erreichen kann. Zum Schluss stempelte Boras das ganze als Unsinn ab. Andererseits scheint dieses wertlos anmutende Stück Pergament, oder mehr der Inhalt, der Grund dafür zu sein warum der Gnom sein Leben gelassen hatte…
„Vielleicht ist da ja doch was dran“ warf Tristan nachdenklich ein. „Wir sollten die Schrift auf jeden Fall mitnehmen. Vielleicht werden wir sie irgendwann brauchen. Dann wird sich herausstellen ob das Ganze nur Unsinn ist oder nicht.“
„Zumindest scheint sie wertvoll.“ Erwiderte der Zwerg. „Vielleicht können wir sie ja verkaufen. Hier und da etwas aufpolieren und…“
„Nein! Das dürfen wir nicht. Das sind wir dem Gnom schuldig. Wir sollten herausfinden wer der rechtmäßige Besitzer ist und sie ihm dann wiedergeben.“ –fiel Tristan dem Zwergen ins Wort. Boras wusste dass er darauf nichts hätte erwidern können. Diese Diskussion hatten die Beiden schon oft genug geführt, und immer mit dem gleichen Ergebnis beendet – Tristan hatte Recht.
Während die beiden noch diskutierten zog langsam vom Süden her Nebel auf, der langsam immer dichter wurde. Die Gefährten ignorierten ihn einfach und legten sich zur Ruhe.
Die Nacht herrschte über die Stille des Waldes. Zaldrik und Maeran haben das Lager der Diebe nun endlich ausfindig gemacht, und legten sich auf der Südseite der Lichtung auf die Lauer. Zwei der Diebe saßen am Feuer. Der Rest der Bande war nicht zu sehen. Vorsichtig schauten sich der Priester und der Paladin um. Nur um sicher zu gehen. Hinter ihnen stand niemand. Dessen waren sie sich sicher. Dennoch. Vorsicht war schon immer besser als Nachsicht. Sie wollten noch abwarten bis die anderen Diebe wieder zum Lager zurückkehrten. Es wäre taktisch unklug gewesen sie jetzt anzugreifen, wenn Gefahr bestand, dass die Anderen irgendwo in der Nähe waren. Das Risiko in einen Hinterhalt zu geraten war zu groß. Die Beiden am Lagerfeuer waren Elfen. Auf dem Rücken hatten beide Langbögen befestigt, während am Gürtel ein Dolch in Griffbereitschaft steckte. Ihre Kleidung war sehr dunkel, den Farben des Waldes angepasst. Es waren wohl professionelle Diebe. Vielleicht wurden sie sogar von jemandem angeheuert.
Nahezu geräuschlos kam ein dritter Elf hinzu. Dieser wirkte etwas schlanker als die anderen. Seine Waffe war ein langer, kostbar verzierter, Stab. Es stand außer Frage, dass es sich bei ihm um einen Magier handelte. In Zaldricks Kopf rauschte die Frage was sie sich hier wohl eingebrockt hätten.
„Wir sind fertig dahinten. Wenn ihr beiden hier fertig seid, dann können wir das Portal öffnen und wieder in die Heimat zurückkehren.“ sagte der Magier.
Maeran und Zaldrick wechselten einen raschen Blick. Beide wirkten sehr überrascht. Portal? Heimat? Wer waren die Diebe und woher kamen sie? Und was noch rätselhafter war: welches Interesse hatten sie, oder genauer gesagt ihr Auftraggeber, an der gestohlenen Reliquie? Es musste weit aus mehr sein als nur der materielle Wert. Sie würden es schon herausfinden.
Die zwei Elfen-Diebe packten zusammen und gingen in die Richtung, die der Magier eingeschlagen hatte. Plötzlich erstrahlte aus der gleichen Richtung ein gleißend helles, grünliches Licht. Maeran und Zaldrick wagten sich näher heran, blieben aber im Schutz der Bäume. Sie beobachteten wie die Räuber, einer nach dem anderen, durch das Portal hindurchgingen. Als der Letzte kurz davor war einzutreten liefen die Beiden los. Sie wollten auch durch das Portal um die Diebe zu stellen. Oder zumindest etwas Genaueres herauszufinden. Sie schafften es rechtzeitig. Kurz nachdem der Priester das Portal passiert hatte löste es sich im Nichts auf.
- 9 –
K
rishan saß in seinem Thron. Er wirkte sehr zufrieden. Ihm war es gelungen die Bruderschaft der Toten auf den Turm des aufgeblasenen alten Magiers zu hetzen. Der Turm war vernichtet, ebenso wie der Narr Ormand. Es bereitete Krishan ein großes Vergnügen mit seinem magischen Auge gesehen zu haben wie der Kehle des Alten der letzte Schrei entlockt wurde. Er korrigierte die Ärmel seiner nachtblauen Robe und legte seine Arme sanft auf die mit Gold verzierten und mit filigranen Schnitzereien versehenen Armlehnen seines Thrones. Er konzentrierte sich noch einmal kurz und einen Augeblick später betrat ein kleiner glatzköpfiger Diener den Saal.
"Ihr habt gerufen Meister?", fragte der zittrig wirkende Diener. Er hatte Angst, und zwar jedes Mal, wenn sein mächtiger Meister nach ihm rief.
„In der Tat. Du bist heute vom Glück gesegnet! Ich entbinde dich von deinen Diensten hier. Du bist jetzt ein freier Mann.“ sagte Krishan.
Der glatzköpfige Diener hob seinen Kopf und starrte den verhüllten Magier ungläubig an: „Ist das Euer Ernst, mein Meister?“ Ein schüchternes Lächeln machte sich auf den leicht zitternden Lippen des Dieners breit.
„Ja“- bestätigte Krishan. „Du kannst gehen.“
„Ich danke Euch, mein Meister!“ Der glatzköpfige Diener verbeugte sich kurz, drehte sich um und ging zum Ausgang. Als seine Hand das Tor aufstoßen wollte, ertönte die Stimme des Magiers.
„Warte du Narr!!! Glaubst du wirklich, dass ich dich gehen lasse?“ Krishan lachte bei diesen Worten so höhnisch laut, dass es dem Diener kalt den Rücken herunter gelaufen ist. Er stockte inmitten seiner Bewegung und das eben noch auf seinen Lippen tanzende Lächeln verschwand hinter einer deprimierten und verzweifelten Mine. Es war nicht das erste Mal, dass sich Krishan einen bösen Scherz mit seinem Diener erlaubte. Aber dieses Mal war der Spaß eindeutig zuviel für das unkomplizierte Gemüt des Bediensteten. Der glatzköpfige Diener drehte sich gesenkten Blickes erneut zum Meister hin:
„Was wünscht Ihr, mein Meister?“ Die Stimme des Dieners klang leer. Dennoch war in ihr etwas wie Entschlossenheit zu hören. Ja, er würde sich eines Tages an seinem Meister rächen. Der Tag würde schon noch kommen… irgendwann…
„Ich habe einen gefährlichen Auftrag für dich.“
Der Nebel hat sich mittlerweile verzogen, so dass Tristan und sein zwergischer Begleiter die Reise haben wieder aufnehmen können. Es war nun eine Woche vergangen, seit sie die Stadt Dolomias verlassen hatten. Nun standen sie vor ihrem Ziel: nach einer Kräfte zerrenden Reise voller Strapazen erreichten sie den Broakhenschen Wald. Das Klima war unverändert unerträglich. Es war nun nicht mehr nur heiß, sondern auch noch feucht. Tristan fühlte sich in seinem Plattenpanzer sehr unwohl. Auch der Zwerg verfluchte sein Kettenhemd und wünschte sich seinen alten Lederpanzer zurück. Nach einer Weile erreichten sie einen Hügel im Wald, von dem sich ihnen eine atemberaubende, aber zugleich auch beunruhigende, Aussicht bot. Zu ihren Füßen, so wirkte es, breitete sich der ganze Wald, wie ein samtiger grüner Teppich aus. Genau in der Mitte stand der weit in die Wolken schießende rote Turm, um dessen Spitze sich ein riesiges echsenähnliches Wesen mit einem enorm langen Schwanz und gigantischen Flügeln wand. Aus den Fenstern des Turmes schien Rauch zu flüchten, der den Hintergrund des Gebäudes in einen undurchschaubaren Schleier hüllte.
Boras und der Ritter wirkten sehr beunruhigt und beschleunigten, trotz völliger Erschöpfung, ihre Pferde.
Maeran und Zaldrik pressten sich ganz eng an die steinerne Wand. Sie fühlte sich kalt und feucht an. Sie mussten in irgendeinem unterirdischen Gewölbe sein. Die Räuber machten genug Lärm um die wenigen Geräusche, die ihre Verfolger verursachten, ausreichend zu Verdecken. Der Ritter und der Priester hielten sich zurück. Ihnen war klar: sobald man sie entdeckt sind sie des Todes. Maeran spähte um die Ecke. Der Raum den er sah war tatsächlich ein unterirdisches Gewölbe. Er war ziemlich groß. In der Mitte des Raumes führte eine steinerne, sehr breite, Treppe nach oben. An den Seiten waren viele Türen. Da sie recht eng aneinander standen folgerte Maeran daraus, dass es sich entweder um kleine Räume oder Gänge handeln musste. An den Seiten der Treppe standen Tische, auf denen allerlei Werkzeug, Waffen, Bücher, Seile und vieles mehr herumlagen. Irgendwie hatte alles dennoch eine gewisse Ordnung. Maeran wurde schnell klar, dass sie hier in einer Diebesgilde gestrandet waren. Was ihm nicht so schnell klar wurde, war wie sie dort wieder herauskommen sollten.
Die sechs Banditen waren nun ganz klar zu sehen. Es waren jeweils zwei elfische Magier, Krieger und Diebe. Zumindest sahen sie aufgrund ihrer Kleidung und der Ausrüstung die sie bei sich trugen nach solchen aus. Sie trennten sich und gingen jeder in sein Zimmer, nur um sich wenige Augenblicke später wieder vor der Treppe einzufinden. Diesmal allerdings in der Kleidung der Diebesgilde.
Die große Doppeltür am Ende der Treppe öffnete sich und ein weiterer Elf schritt hindurch. Der in eine violettfarbene und äußerst edel aussehende Robe gekleidete Mann blieb oben vor der ersten Stufe stehen. Er hob seine rechte Hand zum Gruß, der linke Arm ruhte am Griff seines mit Edelsteinen verzierten Rapiers.
„Willkommen meine edlen Nachtvögel!“ Sein Blick verharrte an dem Artefakt, welches einer der Magier in seinen Händen hielt. „Wie ich sehe waren wir mal wieder erfolgreich. Unser Auftraggeber wird sehr zufrieden sein. Gab es irgendwelche Unannehmlichkeiten?“
„Nein, Meister Ardo. Es ist alles glatt gelaufen.“ –erwiderte einer der Krieger.
Maeran grinste in sich hinein. Sie wussten nicht, dass sie ungebetene Besucher hatten. Das war von Vorteil. Er drückte nun die ganze Anspannung, die sich in ihm bis zu diesem Moment angesammelt hatte, mit einem einzigen Atemzug aus.
„Sehr gut! Nehmt euch den Rest des Tages frei. Ihr habt es euch verdient.“ Ardo ließ sich das Artefakt übergeben und verließ das Gewölbe. Die anderen Banditen gingen alle auf ihre Zimmer. Sie hatten einen schweren Auftrag erfüllt und wollten nun die verdiente Ruhe in Anspruch nehmen.
Am Turm angekommen fiel dem Ritter sofort die heraus gebrochene Tür auf. Vor dem Eingang saß ein alter Gnom. Er war in rote Roben gehüllt, hatte einen Bart über den man hätte stolpern können und er… weinte. Als er die Reisenden bemerkte wischte er sich ganz schnell die Tränen aus dem Gesicht. Erst dann sah er zu den Besuchern auf:
„Wer seid Ihr? Hier gibt es nichts mehr zu holen. Wir wurden überfallen, mein Meister ist tot, und auch ich habe keinen Grund mehr auf dieser Welt zu verweilen. Verschwindet also!“ Der Gnom war extrem aufgelöst.
„Beruhigt Euch erstmal.“ Tristan suchte nach Worten, die das aufgewühlte Gemüt des Gnoms hätten etwas entspannen können. „Ich bin Tristan Weidenfels von Setoria. Mein Begleiter ist Boras. Boras Bartlos. Wir sind hier weil wir gehofft hatten den Magier Ormand sprechen zu können.“
„Wie es aussieht kommt Ihr zu spät. Ich bin Alinan Broadbeard. Ich war Ormands Buttler. Aber nun ist er ja tot. Wie ich sagte: Ihr kommt zu spät.“
„Wann ist es denn geschehen? Habt Ihr die Angreifer gesehen? Wie konntet Ihr überleben?“ Boras hatte viele Fragen. Es machte ihn wütend, dass sie zu spät kamen. Wie sollten sie nun in Erfahrung bringen wo diese verdammte Insel lag?
„Nun,“ –begann Alinan- „der Überfall ereignete sich vor knapp drei Tagen. Bei Nacht kamen sechs Männer. Sie waren gänzlich in Schwarz gekleidet. Und sie trugen weiße Masken. Die Bastarde suchten nach irgendeiner Karte. Allerdings wussten sie nicht, dass mein Meister Artefakte von besonderer Bedeutung immer in einem magischen Raum versteckte, zu dem nur er Zugang hatte. Nicht einmal ich weiß wie man diesen Raum betritt. Glücklicherweise hatten sie meinen Meister getötet bevor sie ihn nach der Karte fragen konnten. So haben sie das Artefakt nicht bekommen. Geschieht ihnen Recht. Ich habe überlebt, weil ich unsichtbar war. Die Mörder waren durch die Turmfenster eingestiegen. Ich war unten und hatte den Lärm bemerkt. Um mich zu schützen nahm ich einen Trank den mir Meister Ormand für Notfälle gegeben hatte. Leider war er schon tot als ich oben ankam. Die Angreifer hatten ein Feuer gelegt und sich aus dem Staub gemacht. Ich war nicht in der Lage das Feuer zu löschen. Erst heute Morgen hat es aufgehört zu brennen…“
Tristan und Boras waren entsetzt. Schon wieder die Maskierten? Woher wussten sie von der Karte? Sie konnten sich das ganze noch nicht erklären. Boras zog die Geisterklinge aus seinem Stiefel, mied es aber der Katze in die smaragdgrünen Augen zu schauen. „Was sollen wir nun tun?“- fragte sich Tristan.
Choke stand am Fenster in einem der zwei Türme der Kathedrale und schaute dabei zu wie die Ausbilder einige Neulinge in die hohe Kunst des Bogenschießens einführten. Hin und wieder erinnerte er sich an seine Anfänge als Magier. Er war damals sechs Jahre alt. Mit Fünf war er seinen Eltern weggelaufen. Als kleines Kind kam er in eine große Stadt namens Drak Modor. Ein durch die Stadt spazierender Magier hatte mit ihm Mitleid und nahm ihn mit in die Akademie des Lichts. Es lag dem Magier am Herzen dem Jungen eine ordentliche Ausbildung zukommen zu lassen, also ließ er ihn an den Vorlesungen teilnehmen. Eines Tages wurde ein neuer Professor eingestellt. Ein Nekromant. Er hatte bei der Einstellung geschickt verschwiegen, dass er sich den finsteren Künsten des Todes verschrieben hatte. Er war es, der das große Potenzial in dem kleinen Jungen entdeckte. Als er einmal einen Würgezauber demonstrierte gelang es dem kleinen Jungen auf Anhieb diesen zu imitieren. Es wurde sein Lieblingszauber. Deshalb nannte der Nekromant den kleinen Jungen von dem Moment an Choke. Der schwarze Magier, sein Name war Rjark, nahm den talentierten Jungen mit auf seine Reisen und lehrte ihn Alles was er konnte. Und es war eine ganze Menge. Aber Choke lernte sehr schnell. Er hatte das Talent jeden Zauber den er sah ebenfalls wirken zu können. Da Rjark ein Abenteurer war hatte er auch oft gegen andere Magier gekämpft. Choke lernte alles. Weit mehr als sein Lehrer mitbekam…
Aber das war schon lange her. Choke konnte nur schätzen wieviele Jahre diese Geschichte nun zurücklag. Vierhundert? Vielleicht vierhundertfünfzig? Er wusste es nicht mehr genau.
Er fragte sich wie lange es wohl noch dauern würde, bis Tristan an die Tore seiner Kathedrale klopfte. Er konnte es kaum abwarten. Er hatte sich schon etwas ungeheuerlich Schönes für den Ritter einfallen lassen. Keine Frage- es würde sein Meisterstück werden. Besser noch als damals, wo er gegen seinen Lehrer kämpfte. Er an der Seite eines mächtigen Leichnams namens Rihuun gegen Rjark und dessen Freunde, wenn man sie als solche bezeichnen konnte. Am Ende überlebte nur er und sein Lehrer. Selbst der mächtige Leichnam machte vom Ableben gebrauch. Es wäre nie soweit gekommen. Er hätte seinen Lehrer nie verlassen. Aber zwei Umstände machten es ihm persönlich unmöglich bei Rjark zu bleiben. Erstens konnte der Nekromant ihm nichts mehr beibringen, und zweitens hatte der schwarze Magier seinen Zwillingsbruder getötet.
„Hört zu Alinan“ –sprach Tristan. „Es gibt vielleicht eine Möglichkeit, wie man die Geschehnisse rückgängig machen könnte.“
Alinans Augen öffneten sich ganz weit. „Wie denn? Könnt Ihr etwa den Zeitfluss umkehren?“
„So in etwa. Wir haben dieses Schriftstück gefunden. Ein Gnom hat dafür sein Leben gelassen. Ich meine, nicht wir haben dn Gnom getötet.“ Tristan hatte gemerkt, dass der Gnom stutzte. „Aber gerade deshalb, weil jemand für dieses Schriftstück sein Leben gelassen hatte, um es zu beschützen, vermuten wir, dass die Sache vielleicht tatsächlich funktioniert. Wir sind uns allerdings nicht im Klaren darüber, was passieren könnte, wenn etwas schief geht. Könnt Ihr uns vielleicht aufklären?“
Der Butler studierte die Schriftrolle sehr sorgfältig. Sein Herr war ein großer Magier. Deshalb war auch er notgedrungen ein wenig mit der Materie vertraut. Als er fertig war mit Lesen dachte der Gnom kurz nach. „Nun“- begann er zögernd. „Wie ich das sehe könnte es tatsächlich funktionieren. Allerdings erfordert es einen starken Willen um den Fluss zu verlassen, ausreichend Intelligenz um die richtige Stelle zu finden, an der man den Fluss verlässt und ihn wieder betritt und letztendlich ein hohes Maß an körperlicher und geistiger Fitness um den Belastungen standhalten zu können. Wenn irgendetwas schief geht ist der Tod nicht das Schlimmste was passieren kann.“
Boras und der Ritter schluckten. Der Zwerg überwand sich als erster:
„Aber es ist möglich…“
„Ja, das ist es. Allerdings bin ich zu alt für so was. Mein Körper würde schon beim Versuch den Fluss zu verlassen zerrissen werden. Wenn, dann müsste es einer von Euch versuchen.“ Alinan schaute den Beiden abwechselnd in die Augen.
Boras schaute zu Tristan. Beiden war klar auf wessen Schultern die Verantwortung jetzt lastete.
Tristan konzentrierte sich. Er war noch immer etwas unsicher, aber das musste er schnell ändern. Denn der geringste Zweifel könnte seinen Tod bedeuten… Oder Schlimmeres! Er folgte im Geiste den Anweisungen der Schriftrolle und sein Geist erwachte im wilden Fluss der Zeit.
Krishan sah dem Raben, der ihm eben eine Nachricht von Ardo zukommen ließ, kurz hinterher, bevor er sich wieder den Falten in den Ärmeln seiner nachtblauen Robe zuwandte. Seit er seinen für die Robe verantwortlichen Diener bei einem Zauberexperiment versehentlich in die Luft gejagt hatte, gab es immer wieder Probleme mit den Ärmeln. Es war ein guter Diener… gewesen. Leider hatte Krishan seine eigenen Fähigkeiten was das Hervorrufen elementarer Energien aus der Umgebung angeht etwas überschätzt. Wie auch immer. Die Nachricht von Ardo vermochte den Ärger mit den Ärmeln nur noch als Nebensache hinzustellen. Das Artefakt war nun in seinem Besitz, der Philosoph Testidian war im Gefängnis. Seine Hinrichtung war nur noch eine Frage der Zeit. Tod durch Enthauptung würde das Urteil heißen. Schließlich brauchte er den Kopf des Denkers. Der Geisterdolch war auch schon auf dem Weg. Die weiteren Zutaten würden sich auch schon finden lassen. Er kam seinem Ziel ein großes Stück näher. Vieles lag jetzt in der Hand seines glatzköpfigen Dieners. Krishan hatte ihm die Aufgabe übertragen Tristan und Boras auf die Kathedrale von Choke zu hetzen. Er war sich noch immer nicht sicher ob es richtig war. Vielleicht wäre es besser gewesen ihnen erst den Dolch abzunehmen. Nicht mal seine hellseherischen Fähigkeiten erlaubten es Krishan zu erahnen wer aus der Konfrontation, sollten Choke und Tristan aufeinander treffen, als Sieger hervorgehen würde. Krishan wusste, dass Choke bereits auf den Ritter und dessen zwergischen Begleiter wartete. Und er hatte auch die Verlobte des Ritters als Geisel, was aber auch Tristan ahnte. Das einzige was jetzt noch fehlte war ein Wink in die richtige Richtung. Deshalb wollte der Seher Tristan ein wenig unter die Arme greifen und ihm den Standort der Kathedrale verraten. Letztendlich versprach die Angelegenheit ein Spektakel zu werden, welches anzuschauen sich auf jeden Fall lohnte. Es wäre praktisch wenn es dem Ritter und dem Zwerg gelänge Choke zu beseitigen. Krishan hasste den jungen Magier. Er sah ihn als eine potenzielle Gefahr für seine eigenen Pläne. Früher oder später müsse der Nekromant, wenn man ihn so bezeichnen wollte, sterben.
Tag der Veröffentlichung: 27.10.2008
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