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Die Kälte küsste leidenschaftlich jedes einzelne seiner Glieder und ließ seinen Körper unter den Schmerzen aufzucken. Es war nicht so, dass er sich der sadistischen Umarmung freiwillig hingab. Ganz im Gegenteil. Er hatte keine andere Wahl. Als er von ihr ging da wusste er bereits, dass es nicht leicht werden würde die Grenze zu erreichen. Es würde viel Kraft kosten, und ihn an die Grenzen seiner eigenen Fähigkeiten bringen. All das nahm er in Kauf, nur um von ihr wieder wegzukommen. Nicht dass es ihm bei ihr nicht gefallen hätte. Es war wundervoll, ja fast schon gespenstisch schön. Dennoch hatte er seinen Entschluss gefasst und war fortgelaufen. Er wusste, dass sie keine große Mühe haben würde ihn aufzuspüren und wieder an sich zu binden. Vielleicht würde sie ihn für seinen Ungehorsam bestrafen. Er wollte gar nicht daran denken.
Die Straße war leer. Der Wind fegte den Schnee durch die engen Gassen und ließ die winzigen Kristalle in millionen bunter Farben schimmern. Er lehnte sich kurz an eine der Laternen, die in recht kleinen Abständen hintereinander standen. Er war außer Atem und genoss die kleine Pause, trotz der endlos schlimmeren Schmerzen, die ihm der eisige Wind in der Lunge bereitete. Er dachte ein Geräusch zu hören und drehte sich hastig um. Dank der Laternen war es zwar recht hell; dennoch vermochten die Lichter nicht in jedem Winkel der Stadt die Schatten zu vertreiben. Er kniff seine Augen zusammen, um auch durch die düsterste Finsternis zu schauen. Nichts. Sein Puls wurde schneller. Er stieß sich von der Laterne ab und lief weiter. Er würde nicht aufgeben. Lieber fände er den Tod in den Armen der ihn umgebenden eisigen Kälte als bei ihr. Das Laufen fiel ihm immer schwerer. Die Straßen waren schon länger nicht mehr entschneit worden. Der Sturm wütete immer unbeherrschter. Solange es schneite wusste er, dass sie ihn nicht verfolgen würde. Sie hasste Schnee.
Eine Weile lief er noch weiter. Dann stolperte er und fiel in das wärmelose, weiche Pulver…
Er hatte keine Ahnung wie lange er so gelegen hatte. Es spielte auch keine Rolle. Das wichtigste war, dass er noch lebte, obwohl er sich dessen nicht ganz sicher war. Erst als er versuchte aufzustehen, fühlte er, dass es nicht der Tod war, der ihn lähmte, sondern die nun viel sanftere Umarmung des Winters.
Der Sturm hatte sich ausgetobt, es schneite nicht mal mehr. Es kostete ihn fast seine ganze Kraft sich aufrecht hinzustellen. Er war schwach, durchgefroren, und er hatte Hunger. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite strahlten ihn, kühl lächelnd, die Neonlichter eines kleinen, aber solide aussehenden, Motels an. Der Sturm musste schon länger aufgehört haben, da er im Schnee sehr deutlich die Spuren von Reifen erkennen konnte. Er kümmerte sich nicht weiter darum. Sein inneres Gefühl fragte ihn jedoch, ob sie nicht schon die Verfolgung aufgenommen hatte. Er beeilte sich.
Der Portier schien recht freundlich und gab ihm das billigste Zimmer. Mehr konnte er sich nicht leisten. In der Eile von ihr zu fliehen hatte er sogar seine Brieftasche vergessen. Glücklicherweise stellte der Portier keine Fragen, nicht einmal nach seiner Identität.
Die Treppe war aus Holz und knarzte bedrohlich unter jedem seiner Schritte. Er erreichte sein Zimmer. Zwar waren seine Hände schon etwas wärmer, dennoch hatte er Schwierigkeiten den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Ein kalter Luftzug umschmeichelte seine nassen Füße und schlängelte sich an seinen Beinen hoch. Er drehte den Schlüssel im Schloss, griff nach der Klinke, und stieß die Tür auf. Im Zimmer war es dunkel. Eines der Fenster war offen. Vermutlich hatte es der Sturm aufgebrochen.
Dann machte er das Licht an und sah sie vor sich stehen. Im selben Moment und ohne etwas zu sagen hob sie ihre Hände.
Ein lauter Knall durchbrach die Stille des kleinen Städtchens. Aber nur kurz…

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Tag der Veröffentlichung: 27.10.2008

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