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G
anz langsam kam Testedian wieder zum Vollbesitz seines Bewusstseins. Sein Schädel brummte wie nach einem heftigen Hieb mit einem Hammer, während sein Körper noch immer von einem anregenden Schauern erfüllt wurde. Er hatte es endlich geschafft. Nach vielen Jahren Forschung und unzähligen Versuchen war es ihm nun endlich gelungen.
Schnell, und noch immer zitternd, brachte er seine neuesten Erkenntnisse zu Pergament. Ihm war gelungen, was vor ihm noch nie einem sterblichen gelungen war. Er hatte gerade eine Zeitreise hinter sich, einen Einblick in die Zukunft ohne magische Formeln und Hilfsmittel. Diese Prozedur würde die Welt der Philosophie und Wissenschaft in ihren Grundfesten erzittern lassen.
Es war vollbracht. Auch der letzte Schritt der Anleitung lag nun schwarz auf weiß auf seinem Schreibtisch. Langsam nur wurde ihm wieder bewusst was er da eigentlich gesehen hatte in seiner Zukunft… und der noch jemand anderen!
Große Schlachten… Mord und Verrat… Drachen… Ja sogar seinen eigenen Tod…
„Ist das mein Schicksal? Ich habe gesehen, dass mein Wissen für den Lauf der Dinge in der Zukunft von monumentaler Bedeutung sein wird. Dieses Wissen wird nicht veröffentlicht.“- sagte Testedian zu seinem hinter ihm stehenden Diener. Er drehte langsam seinen Kopf nach hinten und entzog so sein Antlitz dem Schein der auf seinem Arbeitstisch stehenden Kerze. Der Blick des Philosophen hob sich und schaute leer in die Augen seines gnomischen Helfers, der schon seit vielen Jahren sein vollstes Vertrauen genoss.
„Nein. Dieses Wissen ist für zwei Männer bestimmt. Ich weiß allerdings nicht wer genau sie sind.“ Testedian legte eine kurze Pause ein, fuhr dann jedoch ohne ein weiteres Zögern fort. „Sie werden an den Fäden der Zukunft maßgeblich ziehen. Wie das ganze ausgehen wird? Das wissen nur die Götter. Jedoch konnte ich einen Teil des undurchdringbaren Vorhangs der Zeit anheben und sehen, dass diese Männer das Schicksal der ganzen Welt auf Ihren Schultern tragen. Eine schwere Bürde.“ Der Blick des Philosophen ruhte nun wieder auf dem vor ihm ausgebreiteten Schriftstück. „Aus diesem Grund müssen wir Ihnen helfen. Ich werde bald von Krishans Truppen verhaftet, soviel zu meinem Schicksal. Dir aber, mein Freund, Dir ist es bestimmt Ihnen diese Botschaft zu überreichen.“ Testedian faltete sorgfältig das Schriftstück zusammen und übergab es seinem Diener. „Frag nicht woran Du Sie erkennen wirst. Ich versichere Dir, mein teuerster Freund, Sie finden Dich. Aber nun geh. Und eile. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren“
Der Gnom verabschiedete sich von seinem Meister und Freund und ging hinaus in die Welt um sein Schicksal zu erfüllen. Er ahnte dass sein eigener Weg nie wieder den Weg seines Meisters und Freundes kreuzen würde…
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C
hoke war ein sehr ungemütlicher Zeitgenosse. Er wirkte sehr jung: 19, vielleicht 20. Der junge Mann schlenderte über den Sklavenmarkt, seine Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er machte den Eindruck als könne ihm niemand etwas anhaben. Vielleicht lag es daran, dass er sich in Begleitung von vier in schwarz-violetten Umhängen gekleideten Männern befand, von denen man behauptete, dass sie die besten Bogenschützen der Welt seien, besser noch als je ein elfischer Scharfschütze in seinem langen elfischen Leben werden könne. Vielleicht lag sein überhebliches Verhalten aber auch daran, dass er selbst über sehr große Macht verfügte.
Choke trug eine blutrote Robe, welche von einem schweren silbernen Gürtel zusammengehalten wurde. An diesem hing ein kleiner kostbar verzierter Dolch. Der junge Mann war Magier. Das wusste jeder. Niemand aber konnte auch nur annähernd erahnen wie mächtig er wirklich war. Und jene, welche eine Kostprobe seiner Macht erhielten, konnten danach nicht mehr davon berichten. Viele umstrittene Gerüchte machten in Magierkreisen die Runde. Man erzählte sich von Dämonen, die der Junge besiegt und zu Diensten gezwungen haben, oder dass er einst einen Wunschring gefunden haben soll. Das alles waren natürlich nur Spekulationen. Das einzige was man mit großer Sicherheit sagen konnte war, dass einer der mächtigsten Magier den die Welt je gesehen hat, ein Nekromant namens Rjark, ihn unterrichtet hatte.
Choke schaute sich jedes zum Kauf gebotene Stück an. Der größte Teil der ihm zur Schau gestellten Ware war menschlichen oder elfischen Ursprungs. Er ließ sich sehr viel Zeit. Ja, er genoss es sichtlich. Das einzige was dieses Gefühl, welches er gerade empfand, hätte übertrumpfen können war der Duft frisch brennender Leichen und die dazu gehörenden Schreie. Das war seine Droge. Sein Laster. Choke tötete nicht einfach nur. Es war ein Hobby, also sollte es ihm auch eine innere Befriedigung verschaffen. Er hatte schon fast jede erdenkliche Art des Tötens ausprobiert, und die Verbrennung bei lebendigem Leibe war ihm die liebste. Natürlich wurden den Opfern Drogen verabreicht; nicht um ihre Qualen zu lindern, sondern um den Zeitpunkt ihres Hinscheidens hinauszuzögern. Am liebsten verbrannte er elfische Mädchen. Es faszinierte ihn wie schnell die Makellosigkeit der Elfen unter der zügellosen Gewalt des Feuers schwand, wie ihre sanften, lieblichen Stimmen durch den Qualm immer rauchiger und verzerrter wurden. Für ihn war die Verbrennung junger elfischer Mädchen die vollkommenste Art des Genusses und verhalf ihm zu größter innerer Befriedigung.
Fast spöttisch wandelte er zwischen den Käfigen, in denen die Sklaven festgekettet waren, hin und her. Fast alle Gefangenen waren in miserablen Zustand. Ein großer Teil der Ware hatte am ganzen Körper blutige Striemen. Die Peitsche hatte wohl ein paar mal zu oft an ihrer Haut geleckt. Die meisten Wunden waren schon alt und trocken, viele der Wunden schimmerten jedoch noch rötlich-frisch in den Strahlen der sengenden Sommersonne. Einige der Sklaven waren krank. Es waren auch Frauen und Kinder dabei. Choke schaute sich jedes Stück genau an. Er machte sich lustig über die armen Seelen, die wie wilde Tiere nur für ihn zur Schau gestellt wurden. Nach einer Weile schritt der junge Magier auf den Händler zu; einen kleinwüchsigen, in bunte, sehr prunkvoll aussehende Gewänder gehüllten, Zwergen. An seinem Körper hing so viel Schmuck und Klunker, dass ein Normalsterblicher unter der Last bestimmt zusammengebrochen wäre. Auch er war in Begleitung einiger muskulöser Männer, deren nasse nackte Haut in der Sonne glänzte und sie noch kräftiger wirken ließ als sie es ohnehin schon taten.
"Ich bin sehr beeindruckt von der Ware die ihr mir da heute präsentiert habt, Fauegrimm. Allerdings will ich nur ein Stück haben", sagte Choke nach kurzem überlegen. Das Gesicht des Zwerges verdunkelte sich. Choke war einer seiner besten Käufer, wenn nicht der beste überhaupt, und hatte stets die ganze Ware genommen. Er hatte einen sehr hohen Verbrauch was humanoides Gut anging.
"Ja aber,...."
"Nur die da!", fiel ihm Choke ins Wort und deutete dabei auf eine trotz des Schmutzes und der vielen Wunden recht ansehnliche junge Elfe. In ihren langen schwarzen Haaren, die strähnig bis zu Hüfte fielen, klebte Dreck und getrocknetes Blut.
"Nur sie!".
Der Zwerg war wenig begeistert. Nicht nur, dass sie das Prunkstück seines letzten Raubzuges vor wenigen Jahren in Setoria gewesen war, nein, er hatte gehofft wie üblich die ganze Ware verkaufen zu können. Er hatte sie lange genug in seinen Minen arbeiten lassen, und hatte deshalb keine Verwendung mehr für sie. Es erstaunte ihn immer wieder aufs Neue, wie flink kleine Kinder unter Tage arbeiten konnten. Sie jedoch, seine bislang schönste Beute, hatte immer ganz besondere Dienste geleistet. Wie auch immer; ohne sie würde es für ihn sehr schwierig werden den Rest der Sklaven zu verkaufen. Aber in Chokes Stimme lag etwas, das ganz gewiss keinen Widerspruch duldete.
Sie einigten sich auf einen Preis, der etwas höher ausfiel als Choke angenommen hatte, und gingen wieder getrennte Wege.
Tristan atmete die sommerliche Luft tief ein. Sie duftete nach Gras und den Blüten der Kirschen, die zu dieser Jahreszeit in ihrer vollen Pracht die Bäume zierten. Er genoss die kurzen Pausen die er sich und seinem Pferd hin und wieder gönnte. Er hatte es nicht eilig. Nicht wirklich.
Als er erfuhr, dass jemand seine Verlobte in seiner Heimatstadt Setoria entführte und die meisten Einwohner töten ließ, oder ebenfalls versklavte, brach er seine Ausbildung zum Ritter ab um nach ihr zu suchen. Es war schon immer sein großer Traum gewesen ein Ritter zu werden. Aber als er kurz davor stand dieses Ziel zu erreichen entschied er sich für die Liebe und stellte seine eigenen Träume zurück. Oder war die Liebe sein eigentlicher großer Traum?
Obwohl er seine Ausbildung nicht beendet hatte, gelang es ihm dennoch viele Fähigkeiten zu erlernen und seine Ansichten im Bezug auf Gerechtigkeit und Güte zu festigen. Sein Charakter, seine Tugend und seine Taten im Namen der Rechtschaffenheit waren sein ganz persönlicher Ritterschlag.
Fünf Jahre war es schon her. Fünf lange Jahre, gezeichnet von Schmerz und Frust, und er hatte noch immer keine Spur von seiner Geliebten. Nicht einmal den kleinsten Hinweis.
Er lag entspannt auf der Wiese im Schatten eines wilden Kirschbaumes und starrte in den Himmel. Jede kleine Wolke die vorbeizog erinnerte ihn irgendwie entfernt an die einzige Blume seiner Spielwiese. Es waren zwar nicht viele Wölkchen, aber in jeder konnte er etwas anderes erkennen, eines von ach so vielen kleinen Details die ihn an Darina erinnerten, und die er an ihr liebte. Er hatte Sehnsucht und er hatte nicht den Hauch einer Ahnung wohin man sie verschleppt haben könnte, geschweige denn ob sie überhaupt noch lebte. Sollten die fünf Jahre der Opfer umsonst gewesen sein? Verzweiflung machte sich in seinem Herzen breit. Immer wieder. Sehr oft machte er sich den Vorwurf, dass er hätte zur Stelle sein müssen als die verdammten Räuber das Dorf überfielen. Was war er doch für ein Mann, wenn er für seine Frau in dem Moment nicht da war in dem sie ihn am meisten brauchte?
Die Stille und auch Tristans Gedanken wurden von einem laut knurrenden Magen unterbrochen.
"Können wir jetzt weiter? Hast du genug Löcher in die Luft gestarrt?", ein grimmiger Zwerg versperrte ihm die freie Sicht auf den Himmel.
"Ich habe Hunger", sagte der Zwerg. Er war meistens mürrisch und fast immer unausstehlich wenn es einem nicht rechtzeitig gelang den Magen des Zwerges zu füllen. Es schien fast so, als sei er von einem Parasiten befallen, der ihm immer größere Schmerzen zufügte. Man bekam das Gefühl, dass das laute Knurren das Geschrei der Bestie in dem Magen des Zwerges war. Ungeachtet des Hungers konnte der Geschmack eines Bieres sowohl ihn als auch die Bestie in seinem Inneren von ihrer chronischen Übellaunigkeit ablenken. Boras vertrat die Ansicht, dass mehrere Biere durchaus eine Mahlzeit ersetzen konnten, zumindest weil dieses Ding in ihm dann auch nachgab.
"Nur die Ruhe, Boras mein Freund. In wenigen Stunden erreichen wir das nächste Dorf. Dort finden wir bestimmt etwas zu Essen und vielleicht sogar etwas von dem wohlbekömmlichen Gerstensaft."
Das Gesicht des Zwerges erstrahlte kurz, verzog sich dann aber wieder schnell zu einer ernsten Grimasse.
"Willst doch nicht das Bier schal werden lassen, oder Ritter?" Tristan erhob sich lächelnd aus dem Rasen.
"Natürlich nicht, mein Freund". Er sattelte sein Pferd, steckte das Schwert in die Seitentasche, die am Sattel befestigt hing, und stieg auf. Er hatte sein Pferd vor langer Zeit mal liebevoll Rosinante getauft, mittlerweile kam ihm der Name jedoch albern vor. Dann machten sich beide auf den Weg nach Westen.
Boras und Tristan waren schon seit längerer Zeit gute Freunde. Und obgleich es für so manchen Fremden aussehen musste als seien sie absolute Erzfeinde, die man durch eine Art Fluch dazu zwang gemeinsam durch die Welt zu reisen, so respektierten sie einander. Auch wenn keiner der beiden es je laut sagen würde- sie mochten sich. Ungeachtet dessen, dass sie von Grund auf verschieden waren, sei es jetzt vom Charakter her oder in ihrer Weltanschauung; sie mochten sich wirklich. Die Zeit hatte die Bande der Freundschaft immer mehr gefestigt.
Die beiden Gefährten gaben auf ihren Reisen ein sehr gewöhnungsbedürftiges Bild ab. Tristan war ein hoch gewachsener, schlanker Mensch. Seine langen blonden Haare fielen locker auf die silbern schimmernde Rüstung, deren Brustplatte eine goldene Sonne zierte. Die Sonne war das Symbol seines Ritterordens. Er ritt auf einem sehr eleganten, anmutenden, hellbraunen Pferd: Rosinante eben. Nur seine kristallblauen Augen, die das sehr junge Gesicht des Menschen zierten, zeugten davon, dass er ein Mann war. Ein Mann, der schon mehr Leid gesehen und mit seiner eigenen Seele ertragen hatte, als jeder Andere seines Alters. Boras hingegen war schon recht alt und sehr erfahren. Dieses bezog sich nicht nur auf seine Fähigkeiten als Krieger, sondern auch auf seine überaus weisen Kommentare, mit denen er so manchen Tag vermiesen konnte. Der grimmige Zwerg maß bestimmt zwei Köpfe weniger als Tristan, und anstelle eines silbernen Plattenpanzers war es eine Lederrüstung die ihn vor schlimmeren Verletzungen schützen sollte. Trotz des prächtigen Bartes, der sein mürrisches Gesicht schmückte hatte er den Beinamen "Bartlos". Dieser ging auf einen Streich zurück, den man ihm in seiner Jugend gespielt hatte. Seine Glatze schmückte ein mit metallenen Riemen verstärkter Hörnerhelm. Auf dem Rücken befestigt trug er seine Axt. Es war eine riesige Waffe mit zwei breiten Klingen, die mit vielen bedeutungsvollen zwergischen Runen geschmückten waren. Trotz seiner enormen Stärke war Boras nicht in der Lage diese mächtige Waffe einhändig zu führen. Dieses Familienerbstück war es auch, das so manchen Gegner in Furcht erstarren ließ. Anders ausgedrückt: Dank seiner Axt hatte Boras die "Gabe" Konfrontationen zu bewältigen noch bevor sie richtig beginnen konnten. Gäbe es noch Drachen auf dieser Welt, so könnte sich Boras, zumindest seiner Ansicht nach, mit ihnen messen.... Doch leider würde er es niemals herausfinden können, denn diese mächtigen Geschöpfe existierten nur noch in Liedern und Legenden, die fahrende Künstler und Barden bei nächtlichen Zusammenkünften in Tavernen zu ihrem Besten gaben. Die beiden hatten schon viele dieser Geschichten und Lieder gehört. Manchmal träumte Boras davon einem Drachen Aug’ in Aug’ gegenüberzustehen.
Sie waren schon einige Jahre zusammen unterwegs um Tristans verlobte zu finden... zumindest aus Tristans Sicht. Boras suchte wohl mehr nach Ruhm und Reichtum; sein ganz großer Traum war es mal König zu werden. Dafür bräuchte er natürlich riesige Mengen an Gold; für den Palast, die Bediensteten, die Arme... und sonst noch alles was so anfiel, was aber ein König dringend haben musste.
Früh am Abend erreichten sie ein kleines Dorf. Sie kannten es nicht, aber diese Tatsache spielte keine Rolle. Es schien wie jedes andere der vielen Dörfer dieser Region zu sein. Die kleinen hölzernen Hütten mit ihren Strohdächern bauten sich entlang der Straße auf. Sie wirkten sehr arm und unterschieden sich nur in unwesentlichen Kleinigkeiten voneinander, hauptsächlich jedoch in ihrem Verfallsstadium. Im Zentrum, wenn man es so nennen wollte, stand ein größeres zweistöckiges Gebäude in dem es noch hell und recht belebt zu sein schien. Die beiden Gefährten, ermüdet von den Strapazen ihrer Reise, steuerten direkt darauf zu. Auf einem Schild direkt über der halb herausgebrochenen Tür stand in verblassten Buchstaben "Zur trunkenen Maid". Von innen quoll der beißende Geruch verbrannten Fleisches und von noch etwas anderem. Dieses „Etwas“ war in der Lage Boras ein breites Grinsen abzugewinnen.
Die Freunde schauten sich kurz an. Tristan zuckte mit den Schultern und betrat als erster das Gasthaus. Kaum hatte er einen Fuß in der Tür gesetzt, zerschellte ein Tonkrug eine Handbreit neben ihm an der Wand, wobei der Inhalt des Gefäßes seine prächtige, erst am Abend des Vortages polierte, Rüstung bespritzte. Instinktiv zog Boras, wie jedes mal wenn es nach Ärger stank, seine Streitaxt. Und auch dieses Mal waren es wohl die richtigen Worte, die Boras in Krisensituationen intuitiv zu wählen pflegte; denn ganz plötzlich herrschte absolute Stille...
Niemand wagte es auch nur einen Finger zu bewegen; man hatte sogar den Eindruck, als ob sich niemand traute zu atmen. Verschmitzt grinsend ließen die beiden ihre Blicke durch das Gasthaus wandern. Es war eine Taverne wie viele anderen in ländlichen Gegenden wie dieser. Hölzerne runde Tische mit nicht so ganz stabil aussehenden Holzstühlen, einer lag sogar zerbrochen auf dem hölzernen, stellenweise sogar schimmeligen, Dielenboden und begrub einen etwas älteren betrunkenen Bauern unter sich. Der Wirt musterte die beiden Gestalten und ergriff nach kurzem Zögern das Wort um die Lage etwas zu entspannen:
"Meine edlen Herrn! Bitte steckt eure Waffen wieder weg. Wir sind eine sehr ruhige und friedfertige Gemeinde! Wir mögen keinen Streit. Also setzt euch doch bitte an einen der freien Tische, und in der Zwischenzeit bringe ich euch ein paar Getränke, sozusagen als Entschädigung für den unangenehmen Zwischenfall."
Tristan schaute den Wirt kurz an. Am Bart des kleinen glatzköpfigen Menschen klebte noch etwas Bierschaum. Die Angst, die ihn erfühlte, stand ihm ins Gesicht geschrieben und perlte auf seiner Glatze.
„Friedfertig? Ruhig?“, dachte Tristan. Sein Blick wanderte zum Zwerg. Der Ritter hatte es mehr oder weniger gelernt in Boras Augen zu lesen. In diesem Augenblick sagten sie so etwas wie: „Hey! Ein paar Bier! Der Wirt lädt uns sogar ein. Hast du nicht immer gesagt wir müssten die Reisekasse schonen wann immer es geht? Dann setzen wir uns doch! Es wäre ohnehin unhöflich eine so freundliche Einladung auszuschlagen. Und deine Rüstung kriegst du schon wieder auf Hochglanz poliert. Man sieht ja kaum noch was.“ Tristan verdrehte demonstrativ die Augen. Boras schnallte seine Axt wieder auf den Rücken und nahm breit grinsend Platz an einem der freien Tische, der zumindest den Eindruck machte er würde nicht bei der geringsten Last zusammenbrechen. Der Ritter folgte wortlos.
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S
chon wieder waren einige Tage wie der Wind vorbeigezogen und hinterließen nichts weiter als den Schatten einer Erinnerung. Tristan und Boras reisten weiter ohne jeden Hinweis und völlig ohne Ziel durch die Wälder. Sie unterhielten sich nicht viel. Das meiste was gesagt werden musste, war ohnehin schon längst gesagt. Hin und wieder bejammerte Tristan sein Schicksal oder beklagte sich über das Schnarchen seines Gefährten. Boras hingegen sprach, wenn er denn mal sprach, über seinen Traum vom Reichtum oder pries seine kämpferischen Fähigkeiten an, die er in den vielen Kämpfen und Schlachten, an denen er sich in seiner Vergangenheit beteilige, erworben und verfeinert hatte. Der Zwerg war wirklich ein Meister seines Faches: eine lebenden Kampfmaschine. Sie fanden eine schöne Lichtung im Wald unweit des Weges und beschlossen eine kleine Rast einzulegen.
Die Karawane des Händlers durchquerte gerade ein kleines Waldstück. Er begrüßte diese kleine Abwechslung in der Landschaft. Zudem war es im Schutz der Bäume auch wesentlich kühler als auf offenem Feld. Die Karawane bestand aus vier Karren, die mit Planen zugedeckt waren und von je zwei Pferden gezogen wurden. Auf dem vordersten hatte der Händler seinen Platz. Zu den Seiten der Kolonne ritten jeweils vier mit Muskeln bepackte Männer: die Leibwache und der Geleitschutz des Zwergen. Fauegrimm war sehr unzufrieden. Zwar waren schon fünf Tage vergangen seit er mit Choke gehandelt hatte, aber die Zeit konnte ihn nicht darüber hinwegtrösten, dass er den wertvollsten Teil seines Warenbestandes abgegeben hatte. Andererseits wollte er den Zorn des Magiers nicht auf sich ziehen. Wie jeder andere hatte auch er Angst davor mit den Fähigkeiten des jungen Mannes Bekanntschaft zu machen. Die wenigen die es dennoch darauf anlegten die Fähigkeiten des jungen Magiers kennen zu lernen, entschieden sich auch beeindruckend schnell dazu vom Ableben gebrauch zu machen, und das nicht unbedingt freiwillig. Wenigstens war er in der Lage gewesen einen angemessenen Preis auszuhandeln. Abgesehen davon blieben ihm auch noch die anderen Schätze, die er im Tempel Setorias hatte erbeuten können bevor er ihn entweihte und das Dorf niederbrennen ließ.
Die Gedanken des Händlers wurden plötzlich von einem Klopfen an seinem Wagen vertrieben. Dann folgte noch ein Klopfen, welches von einem durch Schmerz verzerrtem Schrei einer seiner Wachleute begleitet wurde. Eines der Pferde neben dem Wagen bäumte sich vor Schreck auf und warf seinen Reiter ab.
"Ein Überfall! Ich muss schnell hier weg!" - dachte er und schlug wild mit der langen Peitsche nach den Pferden. Flüchtig schaute er noch mal zurück und sah wie zwei weitere Männer fielen, durchbohrt von unzähligen Pfeilen. Faunegrimm richtete seinen Blick wieder auf die sandige Strasse vor ihm und sah in die Augen einer Bestie, die nicht mehr als einen Steinwurf von ihm entfernt den Weg zu versperren suchte. Sie tauchte wie aus dem nichts auf. Das Biest hatte graue Haut die von unzähligen Warzen übersäht war. Die dünnen, fettigen Haare waren mit einem scharlachroten Band zu einem Zopf zusammengebunden, die krummen Zähne konnten sich kaum in seinem Maul halten. Die Bestie schaute Faunegrimm mit einem Auge an, während das andere zugekniffen blieb, und zielte auf ihn mit einem Bogen, den einige Federn schmückten
"Verflucht! Orks!!!", dachte sich der Händler.
Das war sein letzter Gedanke.
Ein lauter, triumphierender Schrei durchschnitt die Stille des Waldes und viele weitere wilde Schreie schlossen sich an. Bestimmt zwanzig, wenn nicht sogar mehr.
Dieser Lärm erreichte auch Tristan und Boras. Blitzschnell zogen sie ihre Waffen und schlichen sich an den Rand des Weges. Es war nicht weit. Sie blieben im Gebüsch versteckt und versuchten sich ein Bild von der Situation zu machen. Sie kamen zu spät. Eine Weile beobachteten sie die Orks. Boras schätze ihre Zahl auf 30. Die Biester waren gerade damit beschäftigt Menschen aus den mit Pfeilen gespickten Wagen zu zerren. Viele waren tot. Denen, die noch etwas Leben in ihrem Körper hatten, konnte man die Panik, die in ihren Gesichtern geschrieben stand, direkt ablesen. Vermutlich wünschten sie sich viel lieber Tot zu sein als diesen wilden Biestern als Mahl zu dienen, nachdem sie von diesen zu Tode gequält und gefoltert würden.
Tristan warf Boras einen flüchtigen Blick zu, murmelte irgendetwas von "Helfen...“, „...Ehre...“ und „...Gerechtigkeit...“, und stürmte mit einem wütenden Schrei aus dem Gebüsch direkt auf die von ihm aus am nächsten stehende Bestie. Boras machte sich nicht einmal die Mühe über die Leichtsinnigkeit dieser Aktion nachzudenken und folgte seinem Freund mit einem Kampfschrei, der selbst Tote hätte wiederauferstehen lassen können.
Die Orks erschraken im ersten Moment, fassten sich aber schnell wieder als sie realisierten, dass zwei- lächerliche zwei Wesen versuchen wollten ihnen ihre Beute strittig zu machen. Dabei auch noch ein Mensch! Orks hatten keinen Respekt vor Menschen, denn sie waren keine echten Krieger. Ein Krieger, der im Kampf nur den Gedanken hatte wie er am besten überleben konnte, konnte nie gegen einen wahren Krieger bestehen. Die Menschen hatten mehr Angst in einem Kampf als Siegeswillen. Und das konnten Orks riechen. Ein Ork würde lieber in einer aussichtslosen Schlacht sterben, als einem Kampf aus dem Weg zu gehen. Der Ork, der eben noch den Händler erlegt hatte, griff in seinen auf dem Rücken befestigten Köcher nach einem Pfeil und stellte verdutzt fest, dass er bereits alle Pfeile verschossen hatte. Den anderen Biestern ging es auch nicht anders; sie ließen ihre Bögen fallen und griffen zu ihren primitiven Äxten: dicke Aststücke, an deren Ende ein in Form gehauener Stein mit einem Lederriemen befestigt war. Sie entlockten ihren Kehlen ein furchtbares Gebrüll, dessen Lautstärke schon fast betäubend war, und stürmten ihren Angreifern entgegen.
Der Kampf dauerte nicht lange. Es war auch nicht wirklich ein Kampf. Nachdem das erste halbe duzend Orks gefallen war ohne das Tristan oder Boras auch nur den kleinsten Kratzer abbekommen hätten, zogen sich die Bestien in panischer Eile wieder zurück in die Wälder. Soviel zum orkischen Mut. Die Gefährten machten sich nicht mal die Mühe ihnen zu folgen. Während Boras versuchte etwas von Wert in den Wagen zu finden, kümmerte sich Tristan um die Verletzten. Von den knapp 50 Sklaven lebten nur noch fünf, und auch diese waren schwer verletzt. Er war sich nicht sicher ob sie die aufgehenden Strahlen der nächsten Morgensonne mit ansehen würden.
Die Orks hatten gute Arbeit geleistet: Obwohl sie für gewöhnlich sehr unkoordiniert angreifen, so hatte dieser Überfall zumindest eine von Anfang an festgelegte Abfolge. Erst so viel Schaden wie möglich aus der Ferne anrichten, wobei sie den Überraschungsmoment auf ihrer Seite hatten, und erst dann die Reste im Nahkampf erledigen. Zum Glück hatten die Biester die Taktik etwas zu wörtlich genommen, so dass sie ihre gesamten Pfeile bereits verschossen hatten. Andererseits konnte nicht wirklich jemand damit rechnen, dass vorbeiziehende Abenteurer sich einmischen würden. Tristan überflog noch einmal den Ort des Geschehens. Es schien ihm als sei hier ein neuer Wald aus hunderten von Pfeilen entstanden, die aus den Wagen und den Körpern der toten Menschen, Elfen und Tiere ragten. Einer der Karren, an dem sich der Zwerg bereits zu schaffen machte, stand etwa 50 Schritte von den anderen entfernt.
Boras sprang breit grinsend von dem vordersten Wagen. In seinen Händen hielt er eine etwas größere Schmuckkiste. Der Zwerg trabte fröhlich auf Tristan zu, der gerade neben einer der Leichen kniete. Das Gesicht des Ritters war ernst. Zu ernst, wie Boras feststellte, woraufhin auch er seine Fröhlichkeit für den Moment verscheuchte.
Der Zwerg kniete sich neben Tristan nieder und wagte den Versuch zu ergründen was in seinem Freund in diesem Moment vorging.
"Ich kenne ihn!" - stammelte Tristan hervor - "Ich kenne ihn, er kommt aus meinem Dorf. Aus Setoria!". Die Stimme des Ritters klang einerseits sehr verbittert, andererseits klang sie aber als hätte Tristan einen kleinen Funken der Hoffnung gefunden, nach dem er so lange schon gesucht hatte, und den er nun in seinem Herz einschließen konnte. Hastig stand er wieder auf und schritt schnell durch die überall verteilten Leichen hindurch. Er suchte jemanden; jemanden ganz bestimmten. Jemanden der aussah wie seine Verlobte: wie Darina. Halb erleichtert und halb verstört sie überhaupt nicht gefunden zu haben rannte er zu einem der noch Lebenden.
"Wo ist Darina?". Er schrie und rüttelte übertrieben heftig an dem Mann. "Wo ist sie?" Er merkte nicht, dass sein hin und her Gezerre dem Verletzten noch mehr Schmerzen bereitete. Tristan konnte es auch nicht merken; der Ritter war geblendet von der Flamme der Hoffnung die nun in seinem Herzen entbrannte und ihn von innen zu verbrennen drohte. "Sie... sie ist nicht hier", brabbelte der Verwundete mit letzter Kraft hervor.
„WO IST SIE?“, schrie Tristan. Boras, der sich das Schauspiel nicht länger ansehen wollte, riss seinen Freund von dem Verwundeten herunter und schlug ihn mit geschlossener Faust ins Gesicht.
"Jetzt reiß dich zusammen, Ritter! Wenn du so weiter an ihm zerrst wird er dir bald bestimmt gar nichts mehr erzählen können!". Der bitter-süße Geschmack des eigenen Blutes brachte wieder etwas Kühle in die überhitzte Gefühlswelt des Ritters. Tristan wusste, dass der Zwerg im Recht war. Demonstrativ wischte er sich das Blut von der Lippe und schaute vom Boden hinauf zum Zwergen, der sich neben ihm aufgebäumt hatte.
Der Mensch war wieder ruhig. Er drehte sich zu den fünf noch lebenden Opfern und begann ihre Wunden zu versorgen. Dem einem, an dem er eben noch so stark herumgezerrt hatte, legte er seine Hand über die Wunde und fing an dabei ein Gebet zu sprechen. Unter seiner Handfläche begann es hell zu leuchten. Das Licht wurde immer stärker und heller bis es so intensiv wurde, dass Boras wegschauen musste, um nicht geblendet zu werden. Er hatte es schon oft genug gesehen und es hatte auch ihm selbst schon oft genug geholfen. Er wusste, dass Tristan sich gerade seine mystische Fähigkeit des Heilens zu Nutze machte. Er wusste aber auch, dass der Einsatz dieser Fähigkeit an den Kräften seines Freundes zehrte. Es würde eine Weile dauern bis sich Tristan wieder erholen würde.
Es war schon recht spät geworden, und die Truppe entschied sich dazu den Rest des Tages am gleichen Fleck zu verweilen. Zwar wusste jeder, dass die Gefahr eines orkischen Angriffs die ganze Zeit, und insbesondere in der Nacht, präsent war, aber diese Gefahr bestand immer und überall. Außerdem waren die Drei so erschöpft, dass sie ohnehin nicht weit gekommen wären.
Dem Behandelten ging es wieder besser. Für ihn war die Art der Heilung, die der Ritter angewandt hatte, wie ein kleines Wunder. Er fühlte sich als hätten die Götter selbst für seine schnelle Genesung gesorgt. Für seine vier anderen Freunde kam jedoch jede Hilfe zu spät.
"Mein Name ist Tristan Weidenfels von Setoria, Ritter des Sonnenordens. Dieses hier ist mein Freund Boras", der Zwerg nickte bestätigend, "und... wer seid Ihr?".
Der Fremde brauchte etwas Zeit um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, aber er begriff sehr schnell, dass er einer der letzten noch lebenden Setorianer war.
"Ich bin Alrik. Ebenfalls aus Setoria." Er betrachtete den Ritter etwas genauer und spürte die Entschlossenheit und Leidenschaft die Tristans Person ausstrahlte.
"Darina sprach sehr oft von Euch. Sie wusste, dass Ihr nach Ihr suchen würdet. Ihr wart so knapp davor..." Bei diesen Worten regte sich erneut etwas in Tristan, etwas, dass er schon wieder verloren zu haben glaubte: Hoffnung!
"Was soll das heißen, so knapp davor...", Tristans Neugier war fast schon greifbar.
"Seid Eurem Schicksal dankbar", fuhr Alrik fort, " Vor wenigen Tagen wurde Sie als Sklavin an einen sehr jungen Magier namens Choke verkauft. Sie war die einzige die ihn interessierte. Der Preis war sehr hoch."
"Er kann nicht hoch genug gewesen sein!", gab der Ritter verbittert zurück.
Noch bis spät in die Nacht unterhielten sie sich über die Leiden, die die Sklaven in den letzten Jahren am Geist und Körper erfahren hatten. Boras und Tristan hörten interessiert zu, waren aber zugleich entsetzt von der Art und Weise auf welche man die Sklaven missbrauchte. Dann durchsuchten sie die Schätze des Händlers die von den Orks in ihrer panischen Flucht zurückgelassen wurden: Ein etwas größeres Schmuckkästchen, randvoll gefüllt mit Edelsteinen und Schmuck. Zwischen dem Klunker war auch ein Dolch. Tristan überfolg desinteressiert die Juwelen. Sein Blick blieb an dem Dolch haften. Die Waffe sah sehr merkwürdig aus. Zumindest hatte Tristan noch nie eine solche Klinge gesehen. Vielleicht war es ein Ritualdolch, dachte er sich. Die Waffe war etwa so lang wie sein Unterarm, wobei die Klinge und der Griff etwa gleich lang waren. Die Klinge selbst war aus einem weder dem Ritter noch dem Zwergen bekannten blass-blauen Metall geschmiedet, in welches gequälte Visagen humanoid wirkender Gestalten eingraviert waren. Der Griff war aus einem Stück menschlichen Unterarmknochens gefertigt, der von einem, mit eingebrannten Runen verzierten, Lederriemen umwickelt war. Der Knauf sah aus wie der Schädel einer kleinen Katze, in deren Augen kleine grüne Edelsteine eingelassen waren.
Tristan nahm den Dolch in die Hand und betrachtete ihn etwas genauer. Er war sehr gut verarbeitet, insbesondere die feinen Gravuren. Hatte man die Visagen lange genug angesehen, so gewann man den Eindruck, dass man den Schmerz spüren könne, der die geisterhaften Gesichter so verzerrt wirken ließ. Der Ritter schloss kurz die Augen und begann seine Gedanken auf den Dolch zu bündeln. Fast im gleichen Moment ließ er die Klinge erschrocken fallen. Boras fühlte, nein, er wusste sofort, was das zu bedeuten hatte: Die Waffe war böse. Der Zwerg hatte über die Jahre als Tristans Weggefährte gelernt, dass sein Freund nicht nur heilen konnte, sonder auch die Fähigkeit besaß böse Energien spüren zu können. Und da er diesen Dolch sehr schnell fallen ließ kam Boras der Gedanke nahe, dass dieser sehr böse sein musste. Tristan rappelte sich nach dem Schock wieder auf und betrachtete den Dolch, der nun mit seiner blass-blauen Klinge im Moos steckte. Der Zwerg holte aus dem Kästchen eine versiegelte Schriftrolle hervor. Er warf Tristan einen kurzen, unschlüssigen Blick zu und brach das Siegel.
"Langes Leben, Krishan.
Dieses Hier ist der Dolch der Geister,
den Ihr von mir verlangt hattet.
Er war sehr gut bewacht, aber Ihr hattet Euch
den richtigen Mann für diese Aufgabe ausgesucht.
Seid vorsichtig, denn seine Magie ist überwältigend
und nicht für jeden bestimmt.
Vandergast"
Boras faltete das Schriftstück wieder zusammen. Er hatte es wie immer laut vorlesen müssen, denn der Ritter war der Kunst des Lesens und Schreibens nicht mächtig. Die beiden schauten sich kurz an und ließen ihre Blicke anschließend wieder zu dem geheimnisvollen Dolch wandern. Es schien als würde der Dolch ihre Blicke mit seinen kleinen grünen, im Mondschein mystisch leuchtenden, Katzenaugen erwiedern.
"Weiß jemand was das zu bedeuten hat?" meldete sich Alrik. Als Antwort bekam er nicht mehr als Schweigen.
"Was es zu bedeuten hätte?"- fragte sich Tristan in seinen Gedanken. Er ahnte, dass der Adressat, für den die Schriftrolle bestimmt war, mindestens genauso böse sein musste wie die Waffe selbst. Und es stellte sich die Frage, zu welchem Zweck ein böses Wesen eine so böse Waffe benötigte. Die Antwort konnte nur lauten: um noch mehr Böses zu verrichten.
Der Mond erreichte seinen höchsten Punkt am Himmelszelt und der Wald hüllte sich in tiefstes Schweigen. Die drei Abenteurer teilten die Wachen für die Nacht ein, nachdem sie sich ausgiebig an frisch gebratenem Hirsch gelabt hatten. Außer Boras. Er konnte Hirsch nicht mehr sehen. Es ging schon die dritte Woche so, dass es jeden Tag Hirschbraten gab. So langsam verfluchte er Tristan für sein "Pech" bei der Jagd. Dafür hatte Alrik besonders gierig zugelangt, was auch verständlich war. Wenn man einen frischen Braten mit dem verglich was ein Sklave sonst als Speise vorgesetzt bekam, so war es wenig verwunderlich, dass kein Stückchen Fleisch übrig blieb.
Nun war Alrik auch an der Reihe seine Schicht der Nachtwache zu übernehmen. Zwar wehrte sich Boras am Anfang gegen die Idee einem Fremden die Nachtwache anzuvertrauen, aber am Ende konnte ihn Tristan doch überzeugen etwas Vertrauen zu haben. Es war die zweite Schicht, direkt nach Boras. Tristan wachte zuletzt. Immer. Etwas unsanft geweckt richtete sich Alrik noch halb verschlafen auf, streckte seine müden Glieder von sich und warf Boras einen bösen Blick zu. Er war noch sehr müde. Der Braten lag ihm schwer im Magen, so dass er auch nicht wirklich behaupten konnte gut geschlafen zu haben. Außerdem war es viel zu wenig Schlaf. Hinzu kam dann noch, dass er total erschöpft war von den Ereignissen die sich am letzten Tag zugetragen hatten: Erst die beschwerliche Reise, dann die Angst bei dem Überfall der Orks, der Tod aller seiner Freunde, die wundersame Heilung seiner Wunden, die prächtige Mahlzeit und schließlich der Dolch, den Boras zwischen den Schätzen des Sklavenhändlers gefunden hatte. Insgesamt war das alles etwas zu viel für das einfache Herz eines Bauern. Boras Schnarchen übertönte mittlerweile die restlichen Geräusche der Umgebung. Alrik hatte das Gefühl, dass der Wald aufwachen und den Frevler bestrafen würde. Er warf dem Zwergen einen kurzen, müden Blick zu. Wie konnte er nur so seelenruhig schlafen, fragte er sich. Sein Blick glitt wieder zum Feuer, in dem er die tanzenden Funken beobachtete um sich wach zu halten. Er dachte an seine Freunde, die er heute verloren hatte. Ja, er war dem Ritter und dem Zwergen für die Rettung vom ganzen Herzen dankbar, und das Mindeste was er für die beiden tun konnte, wie er seiner Dankbarkeit Ausdruck verleihen konnte, war sich während der Wache zu bewähren. Das war er ihnen schuldig....
...und dann schief er ein.
- 4 –
D
ie drei Reisenden hatten einen seltsamen Traum. Zwar träumte jeder von ihnen etwas völlig anderes, aber irgendwie endeten alle Träume damit, dass sie von irgendjemandem bewusstlos geschlagen wurden.
Tristan erwachte als erster. Er hatte Schmerzen. Überall. Er öffnete nur ein Auge. Nicht, dass er nicht versucht hätte beide Augen zu öffnen. Tatsache war, dass das andere Auge ihm den Dienst verweigerte. Tristan zuckte heftig zusammen als der Schmerz in ihm bei dem Versuch sein Auge zu berühren explodierte. Getrocknetes Blut klebte in seinem Gesicht und an seinen Händen. Auch seine Rüstung glänzte nicht mehr, hüllte sich stattdessen in einem matten, rötlichen Schimmer. Boras und Alrik sahen nicht besser aus als er.
Der Mensch versuchte sich ein Bild von seiner Lage zu machen. Zwar wusste er nicht was geschehen war, aber er ahnte es. Zu seinem Entsetzen, aber nicht sonderlich überrascht, stelle er fest, dass sie in einem großen Käfig saßen, der von sechs Orks bewacht wurde, die sich gelangweilt an ihre Speere lehnten. Die Hütten hier waren aus Lehm und Astwerk errichtet, mit spitz zulaufenden Dächern aus Stroh. Auch die Baumstämme, zumindest die dickeren, waren ausgehöhlt und bewohnt. Sie waren in einem orkischen Dorf gefangen.
Tristan schossen tausende Gedanken durch den Kopf. Furchtbare Gedanken. Schon in seiner Kindheit hörte er Märchen, oder besser: Horrorgeschichten über Orks, die ihren Gefangenen die Haut abrissen oder sie bei lebendigem Leibe auffraßen. Orks. Sie tranken das Blut ihrer Toten, beteten zu blutgierigen Göttern und brachten diesen Opfer, die in brutalen Ritualen qualvoll ermordet wurden. Er hatte sich nie wirklich damit befasst, aber er hoffte insgeheim, dass es nur Geschichten waren; Märchen, die man kleinen Kindern erzählte um ihnen Angst einzujagen.
Er betete darum.
Auch Boras und Alrik erwachten langsam aus ihrer Ohnmacht, und sie waren mindestens genauso verblüfft über ihre momentane Situation wie Tristan. Sie waren eingesperrt, verletzt und entwaffnet. Ihre Lage war aussichtslos. Der Zwerg brachte als erster einige Worte heraus. Es waren keine netten Worte, sondern einige böse, in seinen Augen passende Worte, die an Alrik gerichtet waren. Dessen verunglückte Wache war es nämlich, die sie in diese missliche Lage gebracht hatte. Wäre der Zwerg bei Kräften gewesen, hätte er Alrik den Gar ausgemacht, oder ihn zumindest verprügelt. Im Moment war ihm nicht danach, aber er versprach das Ganze nachzuholen, sollten sie jemals lebend aus diesem Schlamassel herauskommen.
Die Orks schauten dem Schauspiel im Käfig amüsiert zu. Sie grölten sich irgendetwas in ihrer primitiven Sprache zu und lachten allesamt, wenn man es großzügig als Lachen auslegen wollte. Der ganze Tag verlief recht mühselig. Die drei Gefangenen hatten nichts gesessen. Es war nicht so, dass sie nicht die Möglichkeit gehabt hätten. Schließlich brauchten die Orks ihre Gefangenen kräftig, damit diese den bevorstehenden Quallen möglichst lange zu trotzen im Stande waren. Den Eingesperrten verging beim Anblick der Speise sehr schnell der Hunger. Es war eine eigenartige braune Masse, die sich zu bewegen schien. Diese war mit vielen kleinen schwarzen irgendetwas übersäht, welche sich noch schneller bewegten als das braune Zeug. Boras hatte befürchtet, dass das Mahl sie von Innen auffressen würde. Ein anderer Gedanke, der nicht so abwegig war, dass die Orks ihnen irgendwelche Drogen untergemischt hatten, um sie länger am Leben zu erhalten für den Fall, dass sie geopfert werden sollten. Auf diese Weise würde man sie viel länger leiden und die Schmerzen spüren lassen. Es bereitete den orkischen Göttern nämlich keine Freude, wenn die Opfer, die ihnen erbracht wurden, schon nach wenigen Herzschlägen ihr Leben ausschrieen. Es ist viel angenehmer, wenn es das Opfer doch mindestens eine längere Weile schreiend aushält. Zudem hatte die Mahlzeit einen nicht gerade angenehmen Geruch verbreitet.
Im Laufe des zweiten Tages fanden sie heraus, dass die Orks sie nicht fressen wollten. Doch der Grund, warum sie noch am Leben waren, war nicht minder beunruhigend. Bereits am Vortag begann die Sippe in der Mitte des Dorfes etwas aufzubauen. Eine recht große hölzerne Plattform, so groß wie ein mittelgroßer Raum, der problemlos hätte 50 Personen beherbergen können. An jeder Ecke dieser Erhebung stand ein Gefäß aus Metall, mindestens so hoch wie der Zwerg groß war. In der Mitte des Podestes wurden mit bunten Kreiden verschiedene Symbole und Runen auf den hölzernen Boden aufgetragen. Die Gefangenen beobachteten auch wie der Dorfschamane mit seinem eigenen Blut in der Mitte des Werkes ein weiteres Zeichen malte: einen langen, in Form eines Zahnes geschwungenen Dolch um den sich eine Schlange wand. Um dieses Zeichen herum zog der Schamane einen Kreis mit vielen nach außen gerichteten Zacken: eine Sonne, dachten sich die drei Gefangenen. So genau war es aus der Distanz auch nicht zu erkennen. Der Anlass für dieses Spektakel war gleichzeitig auch der Grund warum sie noch leben durften: Es waren die Vorbereitungen für das Fest des Gottes Trunkinam, eines orkischen Blutgottes. Die Leben der drei Gefangenen sollten bei den "Feierlichkeiten" dem orkischen Gott zum Geschenk gereichen.
Nun war der "große" Tag gekommen. Gegen Mittag trafen vier Nachbarstämme der Orks ein. Das Dorf wirkte nun viel zu klein um eine so große Menge wilder Bestien zu beherbergen. Zu den Orks hinzu kamen noch einige versklavte Goblins, die als Diener angesehener Orks fungierten, sowie Kampfbiester jeder Art: wilde Hunde, Bären, monströse katzenartige Ungeheuer und dergleichen mehr. Es waren insgesamt so viele Wilde in diesem kleinen Dorf versammelt, dass Boras bei dem Anblick den letzten Gedanken an einen Fluchtversuch aus seinem Kopf verscheuchen musste. Er hielt sich zwar noch immer für einen großen Kämpfer, was er ja auch tatsächlich war, aber er hatte noch nie von einem Helden, nicht mal einen der bekannt war für seine Übertreibungen, gehört, der im Alleingang, ohne Waffen und verwundet, mehr als 500 Orks getötet hätte, die Kampfbiester nicht mitgezählt. Es wäre Selbstmord gewesen in dieser ausweglosen Situation einen Fluchtversuch zu wagen.
Selbstmord...
Der Gedanke entfaltete im Zwergen eine Idee, die auch Tristan begrüßen würde. Er hatte schon immer gehofft, wenn er denn mal sterben sollte, was ja jeder irgendwann tut, dass es ehrenhaft in einem Kampf geschehen würde. Ein willkommener Nebeneffekt wäre, das sie den Orks ihr Fest vermiesen und vielleicht den Zorn Trunkinams auf ihre Peiniger ziehen würden: Denn welcher Gott freut sich schon über ein totes Opfer? Der Gedanke gefiel ihm. Er überlegte wie viele der Bestien er auf die andere Seite mitreißen würde, ehe er den letzten Atem aushauchte. Grinsend schaute Boras in Tristans Augen. Der Ritter verstand den leuchtenden Wahn in den Augen seines Freundes sofort. Er nickte bestätigend und zwang sich dabei zu einem kühlen Lächeln. Auch Alrik begann langsam zu begreifen…
"Das ist doch Wahnsinn!", stimmte Alrik beängstigt ein. Er bekam keine Antwort. Hilflos wechselte sein Blick zwischen Tristan und Boras während er langsam nach hinten wich. Das grinsen des Zwergen wurde immer breiter und artete in einem ekstatischen Lachen eines Irren aus, der wohl gerade seinen letzten Funken Verstand verloren hatte. Die Orks grunzten irgendetwas in Boras Richtung und fuchtelten etwas unbeholfen mit ihren Speeren. Boras hatte nichts davon mitbekommen.
Der Zwerg war im Rausch....
Am Abend wurden die metallenen, mit Öl gefüllten, Gefäße angezündet. Es war windstill und der Rauch der Flammen stieg senkrecht nach oben zu den Göttern. Nun bekam das Dorf dank der Kräutermischung, die in dem brennenden Öl schmorte, einen etwas angenehmeren Geruch. Der Duft der Kräuter war so stark, das er den Gestank der vielen Orks recht gut überdecken konnte. Aus der Ferne hallte der Klang orkischer Kriegstrommeln, der durch den gleichmäßigen Rhythmus fast hypnotisierend wirkte. Alle Orks hatten sich nun um das Podest versammelt. Sie waren, bis auf einen Lendenschurz nackt. Ihre muskulösen grauen Körper waren mit seltsam aussehenden, mit Blut aufgetragenen Zeichen und Symbolen verziert. Durch die Mitte der Masse führte ein recht breiter Gang, der eine der Lehmhütten mit dem Podest verband. Einige Orks begannen zu singen, was jedoch mehr an das Grölen und Kreischen wilder Tiere erinnerte. Schnell stimmten die anderen Orks mit ein und auch die hypnotischen Klänge der Trommeln wurden immer lauter und schneller. Kurz darauf erschien im Eingang der Hütte am Ende des freigehaltenen Ganges ein Ork, auf dessen Haupt eine Krone aus Hirschgeweih saß, die mit vielen bunten Federn geschmückt war. Es war der Dorfschamane. Er riss seine Arme nach oben und die wilde Menge verstummte. Selbst der Klang der Trommeln war nicht mehr wahrnehmbar. Gemächlich schritt er zum Podest und murmelte dabei unverständliche Sprüche und Formeln in einer Sprache, die nicht einmal die Bestien verstehen konnten.
Die drei Gefangenen wussten nicht wirklich, was sie davon halten sollten. Was sie jedoch wussten, war, dass ihre Zeit immer knapper wurde. Während Boras und Tristan ihre Unruhe durch gespielte Gelassenheit zu überdecken versuchten, gelang es Alrik nicht die Panik, die ihn langsam wie ein Schatten einhüllte, zu verstecken. Er stand da mit weit aufgerissenen Augen und klammerte sich immer fester an den Käfigstäben fest. Visionen von Schmerz und Tod jagten ihm eisige Schauer über den Rücken. Auf seiner Stirn perlte kalter Schweiß. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Er dachte das alles sei vielleicht nur ein Traum, ein ganz böser Traum. Und wenn er die Augen schließen würde, und die Dämonen der Furcht aus seinem Kopf vertrieb, dann würde er ganz woanders aufwachen. Umso entsetzter stellte er fest, dass alles was ihn umgab ein Teil der schrecklichen Realität war.
Der Schamane erreichte nun die Plattform und gab ein paar Befehle. Schnell wurden um das Kreidezeichen, welches die Mitte des Podestes schmückte, drei fast vier Meter hohe Pfähle aufgestellt. Erneut hob der Schamane seine Arme dem Himmel entgegen, ganz so, als wolle er Trunkinam in seinen Körper einlassen. Die Menge brach erneut im wilden Jubelgeschrei aus. Er nahm einige tiefe Züge der berauschenden Kräuterdämpfe und senkte erneut die Arme. Wieder herrschte völlige Stille. Der Schamane schaute in Richtung des Käfigs. Er ließ sich Zeit. Mit leicht zugekniffenen Augen und einem schelmischen Lächeln auf seinen Lippen schaute er den drei Gefangenen nacheinander in die Augen. Dann deutete er mit seinem langen, knochigen Zeigefinger auf die Gefangenen und befahl sie zu holen. Die Trommeln ertönten wieder.
Ganz langsam...
Boras warf dem Ritter einen hastigen Blick zu. Beide wussten: wenn sie ihr Vorhaben wirklich in die Tat umsetzen wollten, dass es jetzt gleich sein müsste. Alrik klammerte sich noch immer an den Gitterstäben fest. Mit seiner Hilfe konnten sie wohl nicht rechnen. Bestimmt hatte er die Hose schon voll.
Der Käfigeingang wurde geöffnet und sechs mit Speeren bewaffnete Wächter betraten das improvisierte Gefängnis; jeweils zwei Wächter für jeden Gefangenen. Für den Zwergen war es eine einfache Rechnung: Wenn jeder von ihnen mit dem ersten Schlag eine der Bestien kampfunfähig machen könnte, möglichst schnell dessen Waffe ergreifen und mit ihr dann den zweiten Ork töten würde, wären sie schon im Vorteil, dachte sich Boras. Tristan hatte wohl einen ähnlichen Gedanken. Nur Alrik klammerte sich noch immer ungläubig am Käfig fest. Er nahm seine Umgebung gar nicht mehr wahr. Sein Angstschweiß tropfte vom Kinn auf den sandigen Boden, in dem die kleinen kristallenen Perlen schnell, ohne die geringste Spur zu hinterlassen, versickerten. Boras schaute selbstbewusst seinen beiden Bewachern in die Augen. Ihre beiden Speere waren nur eine Handbreit von seiner Brust entfernt. Der Hauch eines Lächelns flog über seine Lippen. Er schaute kurz zu Tristan. Wie der Zwerg erwartet hatte folgten die Orks seinem Blick. Im selben Moment griff Boras nach einem Speer und riss ihn der ungläubig starrenden Wache aus der Hand. Durch einen präzisen Schlag mit dem Stiel in die warzige Fresse setzte er den eben entwaffneten Ork außer Gefecht. Blitzschnell wirbelte er den Speer auf engsten Raum durch die Luft herum und erstach mit der Spitze seinen zweiten Bewacher. Dann rammte er das stumpfe Ende des Speeres einem der Tristan bewachenden Orks gegen die Kehle. Die Bestie taumelte Gurgelnd zurück. Der Ritter nutzte diese einmalige Gelegenheit um über seinen zweiten Bewacher herzufallen und schickte ihn mit einem harten Schlag seines Panzerhandschuhs ins Reich der Toten. Gerade wollte er sich von der eben getöteten Bestie erheben als ein stechender Schmerz sich schnell von seinem Oberschenkel über den ganzen Körper ausbreitete. Einer der beiden Orks, die sich um Alrik kümmerten, drehte die Speerspitze in Tristans Wunde noch einmal herum und ließ den Ritter durch den im Oberschenkel explodierenden Schmerz ohnmächtig werden. Alrik starrte noch immer auf das Podest. Er hatte jede Hoffnung aufgegeben. Er senke den Kopf, drehte sich um und verließ den Käfig, ohne mitbekommen zu haben was sich eben hinter seinem Rücken ereignet hatte.
Boras hatte aufgegeben. Die zwei der verbliebenen Orkwächter hatten ihn in eine Ecke getrieben, von außerhalb des Käfigs ragten weitere Speerspitzen hinein und fügten ihm unzählige kleine, brennende Schrammen zu. Er sah kurz hinab zu Tristan, der noch immer Bewusstlos auf dem Boden lag. Der Ritter verlor immer mehr Blut. Der Zwerg warf seinen Speer weg, hob die Arme über den Kopf und verließ den Käfig. Dennoch war er stolz auf sich. Er hatte drei Orks mit in den Tod gerissen. Hätte Alrik mitgespielt, wer weiß, vielleicht hätten sie es dann geschafft…
Alrik war bereits an einen der Pfeiler angebunden worden. Boras schaute ihm hasserfüllt in die Augen, woraufhin der Setorianer seinen Blick senkte. Er hatte nicht mal genug Mut den Blick des Zwergen zu erwidern. Anderes war wohl von einem Bauern nicht zu erwarten, dachte sich der Zwerg. Vier Orks trugen den Ritter auf die Plattform. Als endlich auch der letzte von ihnen angebunden war jubelten die Wilden wieder auf. Durch den Gang schritt nun ein zweiter Ork ganz in langsam in Richtung des Podestes. In seinen Händen hielt er ein mittelgroßes Schmuckkästchen. Hinter ihm schlossen die Orks den Gang.
Es herrschte eine unheimliche, beklemmende Stille...
Nur die Biester der Orks regten sich unruhig. Ihre animalischen Instinkte verrieten ihnen, dass etwas nicht in Ordnung war, dass etwas passieren würde. Die Tiere hatten Angst.
Der Zwerg testete hinter seinen Rücken die Stärke der Fesseln. Nachdem er sich die Handgelenke halb wund gescheuert hatte, kam er zu der Schlussfolgerung, dass sie doch etwas zu stark waren. Nun gab auch er den letzten Funken Hoffnung auf.
Inzwischen kam Tristan langsam wieder zu sich. Er hatte große Mühe den Kopf von seiner Brust zu haben, und als es ihm schließlich gelang, sah er alles nur verschwommen. Erst jetzt schien er zu begreifen, dass ihr Fluchtversuch missglückt war.
Der Träger des Kästchens betrat nun das Podest und kniete vor dem Schamanen nieder. Der nur mit Federn und Knochen geschmückte Ork öffnete das Kästchen und holte einen blass-blauen Dolch heraus. Es war der Dolch der Geister. Der Schamane riss die Klinge zum Himmel empor, drehte sich zu der Menge hin und ließ sie wieder jubeln. Nachdem jeder der tobenden Orks die Klinge zu Gesicht bekam, senkte der Schamane den Dolch auf Brusthöhe und umklammerte den Griff fest mit beiden Händen. Die Menge verstummte, während der Rhythmus der Trommeln immer schneller wurde. Niemand konnte die wilden Tiere der Orks hören. Sie winselten, jammerten und heuten. Die Klänge der Trommeln verhüllten jedes Geräusch…
Tristans Herz raste im Einklang mit den Trommelschlägen. Er wusste, gleich würde es so weit sein. Fünf Jahre Suche, gefährliche Kämpfe und Fallen, Überfälle und weitere Strapazen. Und nun sollte er als die Opfergabe an irgendeinen Blutgott irgendwelcher wilden Bestien enden. Der Schamane drehte sich langsam mit verschlossenen Augen zu den Gefangenen, den Dolch noch immer vor der Brust fest umklammert. Die blass-blaue Klinge begann schwach zu leuchten. Das blaue Licht wurde schnell heller und stärker, so dass es alle versammelten blendete.
Und dann....
Tag der Veröffentlichung: 25.10.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch ist seinen tapferen Helden gewidmet:
Tristan
(Robert Redmann)
Boras
(Hanno Wilhelm)
Maeran de Agia und Daenar
(David Bücker)
Zaldrik
(Michael Möller)
Garavail
(Bastian Bürger)