Vor 5 Jahren
Was machte sie eigentlich hier? Verdammt! Verzweifelt sah sich Chloe zum wiederholten Male um, aber jeder Strauch glich dem anderen und je länger sie die Felsen anstarrte, desto größer kamen sie ihr vor. Warum war sie nicht auf den markierten Wanderwegen geblieben? Ohne es zu wollen, war sie immer tiefer in die Wildnis geraten. Chloe war schon sehr früh am Morgen aufgebrochen, da sie unbedingt die blauen Nebelwolken im Tal des Blue Mountains National Parks sehen wollte. Der Anblick war einfach unglaublich gewesen und sie war einem steilen Pfad ins Tal gefolgt. Doch hier unten hörte der Weg einfach irgendwann auf. Als sie es bemerkte und umkehrte, fand sie keinen Weg zurück. Im Gegenteil, nach langem Suchen sah sie in einiger Entfernung einen kleinen Wald. Er versprach Schatten und möglicherweise Wasser. Sie hatte zwar eine Flasche Wasser mitgenommen, aber ihr Trinkvorrat war schon längst zur Neige gegangen.
Als sie den Bäumen näher kam, vernahm sie viele verschiedene, exotische Geräusche. Unterschiedliche Arten von Papageien und seltsame rebhuhnartige Vögel kreischten und pfeiften aufgebracht durcheinander. Chloe trat in den Schatten der Bäume und hatte das Gefühl, mitten in einem Dschungel gelandet zu sein. Sie hörte leise Wasser rauschen und ging nun hastiger. Durstig und müde stolperte sie über Wurzeln und kämpfte gegen Schlingpflanzen, aber nach einer Weile wurde sie mit einem unglaublichen Anblick belohnt.
Sie stand auf einer großen Lichtung und vor ihr breitete sich ein kleiner See aus, der an einer steilen Felswand endete. Mehrere kleine Wasserfälle stürzten von den ausgehöhlten Steinen in den See hinunter. Die urtümliche Kraft des Wassers durchbrach die Oberfläche und beruhigte sich auf dem Weg zum flachen Ufer. Langsam plätscherten die Wellen heran und umschmeichelten den hellbraunen Kiesstrand. Vollkommen gefangen von der Natur, die sich hier nicht gegensätzlicher präsentieren konnte, bestaunte sie das wunderschöne Fleckchen Erde. Doch der Anblick des klaren Wassers holte sie schnell aus ihrer Erstarrung. In ihrer Hast den Durst zu löschen, übersah Chloe den flachen Felsen und flog der Länge nach hin. Sie schürfte sich Handflächen und Knie auf und ein scharfer Schmerz durchfuhr ihren rechten Knöchel. Ihr Aufschrei ließ hunderte Vögel panisch von den Baumkronen auffliegen. Es dauerte ein Weilchen, bis wieder Ruhe in die kleine Oase einkehrte. Benommen lag Chloe da und versuchte den Schmerz wegzuatmen. Sie sah in den Abendhimmel empor und fragte sich wieder, was sie hier eigentlich trieb.
Chloe dachte an ihre Flucht. Sie war vor ein paar Wochen aus ihrem Zuhause in Alabama geflohen und versuchte hier in Australien, in der Nähe von Sydney, ein neues Leben zu beginnen. Ein großes Unterfangen mit ihren unerfahrenen 20 Jahren, aber sie musste es schaffen. Jeder Ort war für einen Neuanfang geeignet. Jeder, außer Los Angeles, denn dort war er. David. Bei diesem Gedanken krümmte sie sich zusammen. Der Kummer ihrer Seele fühlte sich tausend Mal schlimmer an, als die Schmerzen ihrer gerade zugefügten Wunden. Mühsam unterdrückte sie die Tränen. Sie hasste dieses wunde Gefühl in ihrer Magengegend, dennoch zeigte es ihr, dass sie innerlich noch nicht tot war. Ihr Körper funktionierte, aber das Licht in ihrer Seele war erloschen. Tiefe Finsternis hüllte sie unentwegt in furchtbares Leid.
Trübsinnig richtete sie sich auf und hüpfte auf einem Bein zum Ufer. Gierig trank sie in großen Zügen und fühlte sich ein wenig besser. Als ihr erster Durst gelöscht war, zog sie Wanderschuhe und Socken aus und hielt ihren Knöchel ins Wasser. Langsam ebbte das schmerzhafte Pochen in ihrem Bein ab, da die Kälte des Sees eine betäubende Wirkung hatte. Vorsichtig bewegte sie das Gelenk und stellte erleichtert fest, dass es nicht gebrochen war.
Hoffnungsvoll kramte sie ihr Handy hervor und überprüfte zum wiederholten Male, ob es einen Netzempfang anzeigte. Leider konnte sie nicht einmal die Notrufnummern erreichen. Verdammt, wenn ihr nicht bald etwas einfiel, dann konnte sie hier ihr eigenes Grab schaufeln. Chloe sah sich forschend um und entdeckte zu ihrer Überraschung eine Höhle. Sie müsste ein paar Meter hinaufklettern, aber sie war für die Nacht zumindest vor wilden Tieren und Unwettern geschützt. Nach einer ausgedehnten Verschnaufpause suchte sie sich einen Stock und humpelte damit zur Felswand. Mühsam begann Chloe den Aufstieg, nach dem sie sich noch einmal umgesehen hatte. Ihre Kondition war normalerweise ausreichend, obwohl sie keinen Sport betrieb. Sie tanzte gerne. Zumindest hatte sie das bis vor ein paar Wochen gerne getan. Sie rutschte mehrmals ab, da sie ihr verletztes Bein schonte. Fluchend zog sie sich an den Felsen hoch und zum ersten Mal seit langem brach ihr Sturkopf hervor. Mit eisernem Willen quälte sie sich das kurze Stück hinauf. Schweißgebadet rollte sie nach einer Weile auf den Boden der Höhle und keuchte vor Anstrengung. Sie wartete, bis ihre Atmung sich wieder soweit beruhigt hatte, dass sie aufstehen konnte. Erleichtert stellte sie fest, dass die kleine Höhle leer war.
Etwas ruhiger geworden, setzte Chloe sich in eine trockene Ecke und machte sich für die Nacht bereit, beharrlich darauf bedacht, ihre Notlage so gut es ging zu ignorieren. Mechanisch zog sie ihre Jacke, die neu gefüllte Wasserflasche und fünf Müsliriegel aus ihrem Rucksack. Damit musste sie durchkommen. Leider hatte sie kein Verbandszeug dabei, daher konnte sie ihre noch leicht blutenden und vor allem verschmutzten Wunden nicht versorgen.
„Okay Chloe, du schaffst das! Du hast ES überlebt, also ist das hier ein Kinderspiel!“, sagte sie mit rauer Stimme. Es. Sie konnte das Ereignis vor Wochen noch immer nicht laut aussprechen, denn dann wäre es endgültig und dazu war sie noch nicht bereit.
Chloe aß zwei Müsliriegel und hob sich den Rest für das morgige Frühstück auf. Nach dem bescheidenen Essen schnürte sie den Wanderschuh ihres verletzen Beines fester zu, damit der Knöchel stabilisiert wurde und starrte in die inzwischen eingebrochene Dunkelheit.
„Warum?“, flüsterte sie. Das fragte sie sich seit Wochen. Lange blieb sie so sitzen. Das Universum in seiner Unendlichkeit konnte nicht undurchdringlicher sein, als der Blick auf die Umrisse der Bäume. Chloe war auf diesem Fleckchen Erde klein und unbedeutend. Sie wusste nicht warum, aber irgendwie tröstete sie dieser Gedanke. Aufseufzend lehnte sie sich mit ihrer Jacke zugedeckt zurück und versuchte zu schlafen. Kaum schlossen sich ihre Lider, flogen ihre Gedanken automatisch zu David.
Sie war immer glücklich mit ihm gewesen, nein … mehr noch, sie hatte ihn geliebt. Sie kannten sich seit ihrer Kindheit und in der Highschool wurde plötzlich aus dem Nachbarjungen ihr fester Freund. Vier Jahre lang waren sie ein Paar gewesen und hatten gemeinsam gute, wie auch schlechte Zeiten überstanden. Chloe hatte fest daran geglaubt, dass ihr und David eine gemeinsame Zukunft bevor stand. Doch dem war nicht so. Es fing vor ein paar Monaten an. David zog sich immer mehr zurück und hatte nicht mehr so oft Zeit für sie. Chloe wollte natürlich wissen, was los war und fragte ihn mehr als einmal danach, doch David blockte immer ab. Eine schlimme Vorahnung ließ sie nicht zur Ruhe kommen und dann kam der Tag, an dem alles zerbrach. Der Tag, der eigentlich nie kommen hätte dürfen. Wie ein Film spulte er sich in ihrem Geist immer wieder ab:
David rief sie in der Arbeit an und wollte Chloe dringend unter vier Augen sprechen. Deutlich konnte sie die Anspannung in seiner Stimme wahrnehmen, deshalb ließ sie alles stehen und liegen und fuhr zu ihm. Er wartete bereits vor der Tür ihrer gemeinsamen Wohnung auf sie. Als sie seine starren Gesichtszüge sah, breitete sich Panik in ihr aus. Doch sie versuchte dieses Gefühl zu verdrängen und schenkte David ihre gesamte Aufmerksamkeit, der sich mit ihr auf das Sofa setzte. Er stammelte umständlich herum und suchte nach Worten. Sie zitterte am ganzen Körper, die nackte Angst schraubte sich empor. Was war passiert?
Als David schließlich mit der Wahrheit herausplatze, blieb für Chloe die Welt stehen. Sie konnte es einfach nicht fassen. Sie wollte nicht glauben, dass David fort ging. Fort aus ihrem Leben. Mit einer anderen Frau. Das durfte einfach nicht wahr sein. Der Schmerz war so unermesslich groß, dass Chloe zuerst dachte, sie würde daran zugrunde gehen. Für kurze Zeit überlagerte die Wut alle anderen Gefühle und sie schmiss David unter Tränen hinaus. Nie würde sie sein Gesicht vergessen und seine letzten Worte: "Ich komme dann morgen meine Sachen holen ..." Nur dieser eine Satz. Kein >Es tut mir leid< oder >Verzeih mir
***
Langsam näherte sich die große Raubkatze dem Wasser. Ihre Nase strich knapp über dem Boden entlang und war immer auf die unbekannte Fährte gerichtet. Die Sinnesorgane des Tigers nahmen alles rund um ihn wahr. Die Vögel in den Baumkronen schlugen aufgrund des nächtlichen Räubers aufgeregt Alarm. Beuteltiere unterbrachen ihre Nahrungsaufnahme auf dem Boden und flüchteten auf die Bäume. Dingos zogen sich diskret zurück, als sie die Katze auftauchen sahen. Langsam ließ sie sich beim Ufer nieder und trank vorsichtig aus dem See, immer darauf bedacht, nicht nass zu werden. Der Tiger hatte keine Angst vor dem Wasser, er hasste nur ein nasses Fell. Denn leicht blieben dann Erde und Staub daran kleben und das juckte fürchterlich, wenn das Tierhaar wieder trocken wurde. Als er seinen Durst gelöscht hatte, nahm er wieder die Spur auf und folgte ihr in Schlangenlinien bis zur Felswand. Sein außergewöhnliches Hörvermögen hatte bereits die tiefen Atemgeräusche über ihm wahrgenommen. Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang das Raubtier mit einem Satz auf den Höhlenboden und erstarrte geräuschlos am Eingang. Neugierig musterte der Tiger die Frau. Sie roch nach frischem Blut und Schweiß. Schon lange hatte er keinen Touristen mehr so weit von einem Wanderpfad entfernt aufgestöbert. Wütend über ihre Dummheit drehte der Tiger sich um, sprang hinunter und lief auf seiner Spur zurück. Er jagte durch den kleinen Wald, über Felsen und Sträucher und kam nach 50km abgehetzt in die kleine Siedlung Mountain Lagoon. Niemand beachtete dort die große Raubkatze, die auf ein Haus zusteuerte und im Schatten der hinteren Veranda verschwand.
Es war nicht viel los in der Rangersiedlung, als Joshua in dieser Nacht zu seinem Haus zurückkam. Er übersprang leichtfüßig die beiden Stufen und kam geräuschlos auf dem Holzboden auf. Er verlor keine Zeit und im Dunkel der Nacht verwandelte sich die majestätische, große Raubkatze in einen Mann. Joshua schnappte sich TShirt, Jeans und Stiefel und zog sie auf dem Weg zu seinem Geländewagen an. Er preschte mit Vollgas aus der Siedlung, die aus 15 größeren Blockhäusern bestand. Sie hatten keine befestigte Straße, nur festgefahrene rote Erde staubte unter seinen wuchtigen Rädern auf, als er den Weg zurück zu den „The Falls“ nahm.
Diese Frau hatte Glück gehabt, dass er zufällig über ihre Fährte gestolpert war. Joshua war einer der Ranger vom Blue Mountain National Park und dafür verantwortlich, dass keine Touristen im Park verschwanden. Dies war keine leichte Aufgabe, da der Nationalpark cirka eine Fläche von 2500km2 hatte und auf einer von Flüssen und tiefen Canyons durchzogenen Hochebene lag. Die Ranger hatten alle Hände voll zu tun, um die Rucksacktouristen in ihren leichten Sandalen wieder heil aus dem Park zu bekommen. Oft mussten Rettungshubschrauber ausrücken, um ungeübte Hobbykletterer aus den Felsen zu bergen. Joshua schüttelte missbilligend den Kopf, als er an die Frau in der Höhle dachte. Wenn er ihre Spur gefunden und ihr Blut gerochen hatte, dann konnten das auch andere Raubtiere. Er hoffte, dass der Geruch der Katze die wilden Tiere von der Höhle fern hielt. Mehr hatte er für den ersten Moment nicht für sie tun können. Wenn sie aufgewacht wäre und dem Tiger in die Augen gesehen hätte, dann … so weit wollte er gar nicht denken. Joshua stieg noch mehr auf das Gaspedal und hoffte, dass er nicht zu spät kam.
Nach der einstündigen holprigen Fahrt kam er endlich zu dem Wäldchen. Hierher gab es keine Straßen, man konnte „The Fall“ nur zu Fuß erreichen, außer man hatte einen äußerst robusten Geländewagen und gesunde Bandscheiben. Joshua ließ seinen Nissan Pathfinder stehen und ging bewaffnet mit einem Gewehr den Rest zu Fuß. Seine Sinnesorgane waren in der menschlichen Gestalt nicht so ausgeprägt, wie die der Katze, aber doch besser als bei normalen Menschen. Er brauchte keine Taschenlampe um den Weg zur Lichtung auszuleuchten. Das Licht würde nur neugierige Räuber anlocken und diese brauchte er jetzt am aller wenigsten.
Als er beim Felsen ankam, kletterte er mühelos hinauf und sah sie noch in der gleichen Stellung dort liegen. Er beobachtete sie eine Weile und entschied dann, dass er sie weiterschlafen ließ. Wer weiß, wie lange sie schon wach gewesen war und schlafen war die beste Medizin. Um einiges beruhigter, suchte er sich ihr gegenüber einen Platz und setzte sich bequem hin. Typisch Städter, dachte er. Kein vernünftiger Mensch würde in der Wildnis wie ein Baby schlafen, während alle möglichen Wildtiere vor der Höhle herumschlichen. Noch einmal schüttelte er darüber ungläubig den Kopf.
Am nächsten Morgen erwachte Chloe langsam aus ihrem traumlosen Schlaf und rieb sich übermüdet die Augen. Sie brauchte einen Moment, um richtig wach zu werden. Ihr Rücken und Nacken schmerzte von der harten Höhlenwand, daher streckte sie sich ausgiebig und gähnte herzhaft, als ihr ein überraschter Aufschrei entfuhr. Entgeistert starrte sie den fremden Mann an, der sie seelenruhig beobachtete. Unmöglich konnte er Wirklichkeit sein, denn im richtigen Leben gab es keine hübschen Engeln, die auf die Erde herabstiegen und Menschen retteten. Er saß entspannt ihr gegenüber an die Wand gelehnt da und hielt ein Gewehr in der Hand. Ein Engel mit Gewehr? Chloes Gedanken rasten. Nach dem anfänglichen Schock durchfuhr sie nun die nackte Angst. Ihr Herz trommelte gegen die Brust und Übelkeit überfiel sie. Sie presste sich an die Höhlenwand und sah ihn vor Schreck erstarrt an. Seine Augen stachen sofort heraus, denn sie hatten eine ziemlich ungewöhnliche Färbung. Sie waren hell und der Farbton war eine Mischung zwischen gelb und hellbraun und sie fühlte sich von ihnen wie hypnotisiert. Erst nach einer Weile riss sich Chloe aus einer Art Trance. Er hatte kurzes, mittelbraunes Haar mit blonden Spitzen, die Stirnfransen standen ihm zu Berge, als ob er eben sein Bett verlassen hätte. Erst jetzt sah Chloe, dass sein TShirt den Aufdruck „Blue Mountain National Park-Ranger“ hatte und sie sank vor Erleichterung in sich zusammen. Sie schloss die Augen. Seinen Anblick würde sie nie vergessen, dafür hatte er wirklich gesorgt. Nach dieser Achterbahn der Gefühle beruhigte sich, trotz der Rettung, der Aufruhr in ihrem Innern nicht. Woher hatte er gewusst, dass sie hier war? Jäh riss Chloe wieder die Augen auf, um sich zu vergewissern, dass er kein Traum gewesen war. Der braungebrannte, durchtrainierte Mann saß noch immer lässig vor ihr. Er strahlte eine unendliche Ruhe aus und sie wusste mit plötzlicher Gewissheit, dass er hier zu Hause war. Dieser Mann gehörte zu diesem Land.
"Hallo ... ich bin Chloe!", begann sie vorsichtig. "Sie sind einer von den Parkhütern hier, oder?"
War er die ganze Nacht hier gewesen? Warum hatte er sie nicht aufgeweckt? Irgendwie war die ganze Situation merkwürdig, da er bis jetzt kein Wort gesprochen hatte. Sie lächelte ihn unsicher an und versuchte freundlich zu bleiben.
"Danke, dass Sie ... nun ja, hier äh ... aufgepasst haben.“
"Das ist mein Job, Miss!", sagte er und kniff seine Augenbrauen missbilligend zusammen. "Was zur Hölle machen Sie alleine hier draußen? Sie sind hier nicht im Disneyland, wo Sie sich einfach in eine Ecke legen können, um eine Runde zu schlafen!", tadelte er Chloe mehr, als er geplant hatte. "Hier streifen wilde Tiere herum und warten nur auf einen Leckerbissen, wie Sie einer sind!"
Denn er konnte nicht leugnen, dass sie wirklich süß aussah. Joshua hatte in den letzten Stunden genug Zeit gehabt, sie zu mustern. Ihre langen, glatten Haare reichten ihr bis zu den Ellbogen, sie hatte einen blassen Teint, runde Wangen und unglaubliche Lippen. Sie luden zum Küssen ein, gaben ihr aber gleichzeitig einen unschuldigen Ausdruck. Er hatte sich gefragt, welche Augenfarbe sie hatte und nun wusste er es. Sie hatte graue, fast silberne Augen, die von ihren Stirnfransen beinahe verdeckt wurden. Er hatte ihr Minenspiel beim Aufwachen beobachtet und nur mühsam ein Grinsen unterdrücken können. Sie hatte ihn mit ihrer Reaktion überrascht. Eigentlich war er auf Geschrei und Flucht vorbereitet gewesen, aber diese Frau hatte die ganze Zeit um ihre Beherrschung gekämpft.
Chloe klappte der Unterkiefer hinunter. Glaubte er wirklich, dass sie freiwillig hier übernachtet hatte?
"Ich habe keine Sekunde geglaubt, dass ich hier im Disneyland bin!", stellte sie erbost klar und runzelte angesichts seines kalten Tonfalls die Stirn. Da bedankte sie sich bei ihm und er hatte nichts Besseres zu tun, als ihr Vorwürfe zu machen, dachte sie wütend. "Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich hier eingeschlafen bin, aber leider habe ich keine Ahnung wo ich bin, oder wie ich hier wieder weg komme. Noch dazu hatte ich nichts mehr zu trinken und habe mir auch noch fast den Fuß gebrochen, also bitte ersparen Sie mir ihre Moralpredigt und ..."
Chloe unterbrach sich und holte tief Luft. Eigentlich wollte sie ihn gar nicht so ankeifen, er hatte ja Recht. Es war einfältig von ihr gewesen, einfach mitten in der Wildnis einzuschlafen und das wurde ihr erst jetzt so richtig bewusst. Wenn er nicht aufgetaucht wäre, säße sie jetzt in einer schlimmen Notlage, aber der Ranger hätte wenigstens genauso freundlich sein können, wie sie es gewesen war.
"Mir ist klar, dass es hier wilde Tiere gibt", fuhr sie fort und versuchte diesmal dabei ruhig zu bleiben. "Aber ich wollte mich nicht unbedingt noch mehr verlaufen und war zu müde, um noch länger wach zu bleiben."
Überrascht zog Joshua eine Augenbraue hoch, denn das Unschuldslamm hatte sich gerade in eine wütende Tigerin verwandelt gehabt. Sie strahlte einen starken Willen aus und das machte sie gemeinsam mit ihrem Aussehen zu einer sehr schönen Frau. Aber das war für ihn eigentlich unbedeutend, schließlich hatte er eine Freundin und diese war von der eifersüchtigen Sorte. Wenn sie wüsste, dass er gerade die Nacht mit einer anderen Frau verbracht hatte, dann würde sie ihm die Hölle heiß machen. Deshalb stand er geschmeidig auf und hielt Chloe seine Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Je schneller er wieder zurück war, desto besser für ihn.
Zögernd griff Chloe nach seiner Hand und ließ sich von ihm hoch helfen. Doch kaum belastete sie ihren rechten Fuß, riss sie eine plötzliche Schmerzwelle aus dem Gleichgewicht und sie landete ungewollt in seinen Armen. "Verdammt!", fluchte sie.
Joshua fing sie mühelos auf und hielt sie fest. Sie fuchtelte wild mit den Armen und als sie wieder stand, brachte sie sofort Abstand zwischen sich und dem Ranger. Es war ihr schon peinlich genug, in so einer Verfassung von einem wildfremden Mann aufgefunden zu werden, aber ihm dann auch noch förmlich um den Hals zu fallen, brachte Chloe vollkommen aus der Fassung. Sie hatte ihren verstauchten Fuß vergessen, da der Schmerz fast abgeklungen war, doch jetzt pochte er wieder heftig und ließ sie innerlich fluchen. Wieso musste so etwas auch immer ihr passieren? Sie hatte in den letzten Wochen die Nähe von Männern gemieden und war immer darauf konzentriert gewesen, wieder in ein normales Leben zurückzufinden. Seufzend richtete sie ihren Blick wieder auf ihn und betete darum, dass er die peinliche Situation nicht weiter ansprechen würde.
"Es tut mir leid, Ihnen das jetzt sagen zu müssen, aber ich werde noch eine größere Last für Sie sein, als Sie glauben!" Ihr trotziger Unterton überraschte Chloe selbst. Sie wusste nicht genau, warum sie wieder auf ihn wütend war. Aber sie merkte, dass ihr der Zorn dabei half, ihre Scham über ihre momentane Hilflosigkeit zu verbergen. Deshalb versuchte sie erst gar nicht, sich dafür zu entschuldigen. Er strotze schließlich auch nicht gerade vor Freundlichkeit.
„Ich werde es überleben, kommen Sie jetzt!“ Er griff nach ihrem Ellbogen und stützte sie bis zum Vorsprung. Joshua holte ihren Rucksack und die Jacke und sprang mit einem geschmeidigen Satz in die Tiefe. „Klettern Sie mit den Füßen voran nach unten, ich fange sie auf“, rief er ihr zu und streckte ihr die Arme entgegen.
Chloe verdrehte wegen seinem befehlenden Tonfall die Augen.
"Kalt wie Stein", murmelte sie und überlegte, wie sie unbeschadet nach unten kommen sollte.
Selbst mit seiner Hilfe würde sie es niemals schaffen, so leichtfüßig das kurze, steile Stück hinunter zu kommen wie er. Bei ihm sah das Ganze total einfach aus, als würde er den ganzen Tag nichts anderes machen. Diese Leichtigkeit und Anmut würde Chloe nicht einmal mit zwei gesunden Füßen hinbekommen. Kopfschüttelnd machte sie sich daran, seinen Befehl so gut sie konnte zu befolgen und kletterte mit den Füßen voran nach unten. Das gestaltete sich allerdings schwieriger, als gedacht. Chloe rutschte mehrmals fast ab. Anfangs konnte sie sich noch halten, aber plötzlich verlor sie den Halt und fiel in die Tiefe. Sie machte sich auf eine schmerzhafte Landung gefasst und schloss die Augen. Doch anstatt den harten Boden zu berühren, landete sie ungewöhnlich weich in den Armen des Rangers. Überrascht riss sie die Augen auf und starrte ihn erstaunt an. Er hatte sie wirklich aufgefangen.
Joshua sah sie stirnrunzelnd an. Also Wildschweine kletterten anmutiger eine Felswand herunter, dachte er. Bei ihrer konfusen Koordination von Armen und Beinen, würde sie sich womöglich auf dem Weg zum Auto noch den Hals brechen. Wie war sie nur alleine so weit gekommen?
"Ich glaube, es wäre besser, wenn ich Sie zum Auto trage, Miss", sagte er bedächtig.
"Nein, danke!", erwiderte Chloe schroff und brachte schleunigst wieder Abstand zwischen ihnen, indem sie schon fast aus seinen Armen sprang. Zum Glück schaffte sie es diesmal, stehen zu bleiben und nicht gleich wieder wie ein nasser Sack Kartoffeln umzukippen. Chloe wollte nicht wie ein verdammter Klotz am Bein behandelt werden, auch wenn sie das vielleicht gerade war. Sein Angebot war vermutlich nur höflich und hilfsbereit gemeint, aber der Stolz verbot ihr, es anzunehmen.
"Sind Sie sicher?", fragte er zweifelnd.
Als sie stur nickte, sammelte er ihre Sachen ein, nahm sein Gewehr und ging voran. Bei den ersten Bäumen blieb er stehen und drehte sich um, als sie ihm nicht folgte.
"Miss?" Er sah sie fragend an.
Chloe warf mehrmals ihre Blicke zwischen ihren Füßen und dem Parkranger hin und her. Irgendwie schien der Weg zu ihm endlos, dennoch wollte sie nicht nachgeben. Verbissen machte sie einen Schritt nach dem anderen, ignorierte dabei den Schmerz, der bei jedem Auftreten durch ihren Fuß jagte und sie hoffte inständig, dass er nicht allzu weit weg geparkt hatte. Manchmal konnte sie sich für ihre Sturheit wirklich selbst ohrfeigen. Wäre sie nicht so verdammt stolz, hätten sie mit Sicherheit schon die Hälfte des Weges hinter sich. Aber die Vorstellung alleine bis zum Wagen getragen zu werden behagte ihr überhaupt nicht. Als sie schließlich bei ihm ankam, atmete sie einmal tief durch und versuchte dem Drang nicht nachzugeben, sich einfach hinzusetzen. Stattdessen deutete sie mit dem Kopf auf den Wald und sah den Ranger abwartend an.
"Gehen Sie ruhig vor, ich folge Ihnen schon."
Er sah sie skeptisch an, denn er konnte den Schmerz in ihren Augen sehen. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und ihre Stimme hörte sich gepresst an. Joshua wusste sehr genau, was in ihr vorging und er respektierte ihre Haltung. Er drehte sich um und ging nun langsamer. Er schützte sie vor herabhängenden Ästen und riss wuchernde Schlingpflanzen auf dem unebenen Weg aus. Ihre schwere Atmung zeigte ihm, dass sie immer langsamer wurde. Joshua passte sich ihrer Geschwindigkeit an und hoffte, dass sie ihm hier nicht ohnmächtig zusammenbrach.
Je weiter sie liefen, desto heftiger wurden die Schmerzen, bis Chloe schließlich glaubte, jeden Moment einfach umzukippen. Sie belastete ihr verletztes Bein kaum noch, daher trug der linke Fuß fast ihr ganzes Gewicht. Nun tat ihr zusätzlich auch noch die Hüfte weh und sie verfluchte zum wiederholten Male ihre Sturheit. Sie wollte nicht schwach sein, sie brauchte ihre neu erworbene Unabhängigkeit, aber langsam musste ihr starker Wille vor der Schwäche des Körpers kapitulieren. Chloe kämpfte sich von Baum zu Baum und hörte ihr Herz vor Anstrengung bereits in ihren Ohren klopfen. Kalter Schweiß brach ihr aus und ihr Magen drohte die Überbleibsel ihrer Müsliriegel vom Vorabend auszuspucken.
"Wo haben Sie denn das Auto abgestellt?", fragte sie nach einer Weile erschöpft.
Ihr kam es vor, als ob der Marsch bereits Stunden dauerte, ohne wirklich voran zu kommen.
"Außerhalb des Waldes, ich konnte ja schlecht die Bäume ummähen!", sagte er belustigt und blieb stehen. Er gönnte ihr eine Verschnaufpause und setzte sich auf einen umgefallenen Baumstamm. Joshua musterte sie ausgiebig. Sie war schweißgebadet, hatte ein hochrotes Gesicht und atmete wie ein Lungenkranker. Er war gespannt, wann sie endlich ihre Schmerzen zugab, denn sie sah nicht so aus, als ob sie noch länger durchhalten könnte.
"Die Vorstellung gefällt mir aber um einiges besser", murmelte Chloe und ließ sich mit einem erleichterten Seufzer neben ihn auf den Baumstamm sinken. Sie wollte nicht mehr weiter laufen. Wenn es nach ihr ginge, hätte er alle Bäume der Welt ummähen können, damit sie keinen einzigen Schritt mehr machen musste. Aber sie konnte sich einfach nicht mit der Vorstellung anfreunden, genau das zuzugeben. Dabei würde ihr seine stützende Hand schon um einiges helfen. Unschlüssig biss sie sich auf die Unterlippe. Sie war hin- und her gerissen, zwischen dem Drang unabhängig zu bleiben, oder sich ihm vor Erschöpfung an den Hals zu werfen. Schließlich entschied sie sich für die Wahrheit.
"Ich glaube kaum, dass ich es noch bis zum Ende des Waldes schaffe", seufzte sie und ließ entmutigt die Schultern sinken. "Anscheinend ist es doch nicht ganz so einfach, mit einem verletzten Fuß durch die Gegend zu laufen."
"Soll ich ihn mir einmal ansehen?", fragte er.
"Na ja ..." Chloe sah nachdenklich zu ihrem Fuß hinunter. Wenn sie es jetzt schon zugegeben hatte, konnte es sowieso nicht mehr schlimmer werden, also nickte sie zögernd.
Joshua ging vor ihr in die Knie und öffnete die Verschnürung des Schuhs. Als er ihr Schuh und Socken auszog, kam ein dicker Knöchel zum Vorschein. Ein großer Bluterguss überzog ihre helle Haut, die vor Hitze zu brennen schien. Chloe zog scharf die Luft ein, als er sie mit kühlen Fingern abtastete.
"Okay ... Sie gehen mit diesem Fuß keinen Schritt mehr, Miss!", bestimmte er und stopfte Schuh, Socke, Jacke und Gewehr in ihren Rucksack. Joshua schnallte ihn sich auf den Rücken und machte damit unmissverständlich klar, dass er sie ab jetzt tragen würde.
Sie presste die Lippen fest zusammen, um keinen bissigen Kommentar abzugeben. Er wollte ihr nur helfen und Chloe musste wohl oder übel seine Hilfe annehmen. Sie atmete noch einmal tief durch und nickte schließlich. "Okay ... aber dann möchte ich wenigstens wissen, wie Sie heißen."
"Joshua Hunter!"
Er legte seine Arme um ihren Rücken und ihre Kniekehlen und hob sie mühelos hoch. Joshua beeilte sich, da er sich vorstellen konnte, was jede Erschütterung in ihrem Bein auslöste. Sein Respekt nahm weiter zu, denn er hatte Touristen schon mit weit weniger schweren Verletzungen wie am Spieß schreien gehört. Aber wenn die Lady dachte, dass es jetzt schlimm war, dann konnte sie sich bei der Autofahrt auf etwas gefasst machen.
Kaum verlor Chloe den Boden unter den Füßen, ließ der Schmerz ein wenig nach. Aber sobald sich Joshua in Bewegung setzte, pochte der Schmerz bei jedem seiner Schritte durch ihren Knöchel. Sie unterdrückte ein Stöhnen und versuchte sich abzulenken. Ihre Gedanken wanderten zu Ihrem Retter und seinem durchtrainierten Körper. Er trug sie durch den Wald, als ob sie ein Fliegengewicht wäre. Sie konnte die Muskulatur der Oberarme deutlich spüren und ihr Blick wanderte ungewollt zu seinem Gesicht. Er hatte einen kräftigen Kiefer und einen blonden Bartschatten. Sein Atem kitzelte ihre Nase und sie starrte schnell auf den Weg vor ihnen. Sie wollte ihm keinen falschen Eindruck vermitteln, denn sie hatte von Männern die Nase voll, egal wie gut sie gebaut waren. Ihr Herz war gut hinter einer hohen Mauer verschanzt und diese würde Chloe so schnell nicht einreißen.
Joshuas Gedanken waren bereits zu Hause. Überall an ihm war der fremde Geruch der Lady und er hoffte inständig, dass Kayla noch nicht bei ihm war. Er hasste ihre Eifersuchtsszenen und er musste vorher unbedingt duschen, wenn er einer weiteren Konfrontation aus dem Wege gehen wollte. Sie nahm sich ihm gegenüber sehr viel heraus, aber er ließ sie gewähren, da er seine Ruhe haben wollte. Seine Schwester predigte ihm immer wieder, dass er Kayla einmal in ihre Schranken weisen sollte, aber da stieß sie bei ihm auf taube Ohren.
Als Chloe merkte, dass sich das Schweigen hinzog, begann sie leise vor sich hinzusummen. Den Schmerz konnte sie dadurch zwar nicht betäuben, aber es lenkte sie wenigstens ab. Beim dritten Lied gab sie auf und fragte sich, worüber Joshua gerade nachdachte. Er schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein, aber Chloe nervte seine Einsilbigkeit allmählich.
"Sind sie schon lange Parkhüter?", fragte sie ihn schließlich.
"Ja. Sind Sie schon lange Touristin?" Joshua war ihr Gerede lieber, als die Summerei, denn die tat ihm in den Ohren weh.
Chloe schüttelte den Kopf.
"Ich bin keine Touristin", erwiderte sie. "Ich bin vor kurzem hierher gezogen, weil ich in Alabama ..."
Sie verstummte abrupt und schloss leise fluchend die Augen. Super, jetzt war sie auch noch drauf und dran ihm ihre gesamte Lebensgeschichte zu erzählen. Sie sollte gegenüber Fremden wirklich vorsichtiger sein, außerdem hatte sie sich jeglichen Gedanken an früher verboten und daran würde sie sich dieses Mal auch halten!
"... keine geeigneten Naturparks zum Verlaufen habe?", beendete er ihren Satz fragend.
Chloe lachte freudlos auf. "Wenn es nur das wäre!" Dann wäre sie mit Sicherheit nicht einfach nach Australien ausgewandert. "Wie auch immer, ich bin nicht wirklich scharf darauf, mich in Naturparks zu verlaufen." Sie hoffte, dass er auf ihren Themenwechsel einging und nicht weiter nachfragte. "Nach heute werde Naturparks nur noch in Reisegruppen betreten."
"Ja, das wäre wirklich sicherer", bestätigte er ihr.
Endlich trat er aus dem dichten Dschungel und ging auf seinen Geländewagen zu. Aber anstatt Chloe zur Beifahrertür zu bringen, setzte er sie in den Kofferraum, nachdem er die Heckklappe geöffnet hatte. Ihre zierliche Gestalt passte gerade noch zwischen die Ausrüstung, dem Futter für Wildtiere und den Ersatzreifen. Joshua kramte auf der überfüllten Ladefläche nach dem Erste-Hilfe-Koffer und nahm eine Schiene, Verbandszeug und Tabletten heraus. Fachmännisch versorgte er ihre Wunden, legte ihr die Schiene an und packte ihren Knöchel dick ein.
"Hier, nehmen Sie zwei Schmerztabletten, denn Sie werden sie jetzt wirklich brauchen. Wir fahren eine Stunde querfeldein und das wird mehr als unangenehm werden."
Er hielt ihr eine Wasserflasche und die weißen Pillen hin.
"Na super ... da glaubt man, es kann nicht mehr schlimmer werden und dann das."
Seufzend nahm sie die Pillen und schluckte beide mit viel Wasser hinunter. "Okay, ich denke ich bin abfahrbereit", verkündete sie kurz darauf und suchte seinen Blick, bevor sie weiter sprach. "Und äh ... danke für ihre Hilfe."
"Wie gesagt, das ist mein Job!" Joshua hob sie wieder hoch und brachte sie zum Beifahrersitz, wo er ihr verletztes Bein auf einem weichen Kissen abstellte, dass er auf der Rückbank liegen hatte. Nachdem alles verstaut war, startete er den Motor und sah Chloe fragend an. "Bereit?"
Sie atmete noch einmal tief durch und nickte. "Nichts wie los."
"Schnallen Sie sich an!" Als sie das getan hatte, preschte Joshua los und fuhr mit halsbrecherischer Geschwindigkeit nach Mountain Lagoon zurück. Egal wie schnell er fuhr, sie würde sowieso jede Erschütterung schmerzhaft spüren. Er half ihr mit seiner rasanten Fahrt, die Tortur zu verkürzen.
Schon nach wenigen Minuten war Chloe eines klar: Joshua war eindeutig nicht zimperlich!
Sie spürte jeden Hügel und jede Vertiefung schmerzvoll in ihrem Fuß. Um nicht bei jeder Erschütterung aufzuschreien, presste sie die Zähne fest zusammen. Ihr Kiefer war so angespannt, dass er nach einer Weile ebenfalls schmerzte. Sein selbstmörderisches Tempo raubte ihr den Atem und sie versuchte ihr Bein so gut es ging vor den Erschütterungen zu schützen, ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben.
"Sie sind so ruhig!", sagte er nach 20 Minuten. Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und sah, dass sie kalkweiß im Gesicht war. "Wenn Ihnen schlecht wird, dann sagen Sie das vorher!"
"Mir ist nicht schlecht!", presste sie mühsam hervor. "Sie fahren wie der Teufel, verdammt! Ich weiß nicht was schlimmer ist, ihr Fahrstil oder mein Fuß! Ist doch klar, dass ich gerade nicht zum Plaudern aufgelegt bin!", herrschte sie ihn an.
"Was ist Ihnen lieber? Die gleichen Schmerzen durch eine Schneckenfahrt länger zu ertragen, oder meinen fantastischen Fahrstil zu ertragen und dadurch früher ans Ziel zukommen?"
Chloe warf ihm einen finsteren Blick zu. "Wenn Sie langsamer fahren, würde ich wenigstens nicht sterben!" Früher oder später würde er bei diesem Tempo mit Sicherheit einen Unfall verursachen und Chloe hielt lieber länger die Schmerzen aus, als frühzeitig den Tod zu finden." Außerdem werde ich Ihren Fahrstil bestimmt nicht auch noch bewundern!"
Joshua handelte instinktiv und vertraute seinen besseren Sinnen und wich so gut wie möglich den Schlaglöchern aus. „Sie sind hier bei mir sicher, Miss!“
"Glauben Sie mir, wenn ich laufen könnte, würde ich freiwillig aussteigen!", knurrte sie. "Und wenn Sie jetzt auch noch mit diesem >Miss
***
Als Chloes Fuß geröntgt und kein Bruch festgestellt worden war, hatte sie in der kleinen Gemeinschaftsküche etwas Warmes zu essen bekommen. Nachdem sie versorgt war, brachte Joshua sie nach Hause. Gedankenverloren saß sie auf dem Beifahrersitz und schaute aus dem Fenster, der Schmerz in ihrem Bein hatte durch die Medikamente nachgelassen. Seit Joshua und sie losgefahren waren, herrschte Schweigen im Auto und langsam wurde ihr die Stille unangenehm. Sie wollte sich bei ihm bedanken, sich irgendwie erkenntlich zeigen, aber seine Einsilbigkeit machte es für sie schwieriger.
"Darf ich Sie was Persönliches fragen?", fragte sie Joshua schließlich und brach somit das Schweigen.
Er stutzte. Etwas Persönliches? Wenn ein Mensch ihm eine solche Frage stellte, dann wurde er äußerst wachsam. Aber sie konnte unmöglich den Tiger gesehen haben. In Australien waren sibirische Tiger in der freien Wildbahn nicht gerade heimisch und sie hatten bis jetzt ihre Anwesenheit verbergen können. „Was?", fragte er misstrauisch.
"Naja ..." Chloe wusste nicht so recht wie sie anfangen sollte. Das was sie fragen wollte, ging sie ja eigentlich überhaupt nichts an. Sie wusste noch nicht einmal genau, wie sie darauf gekommen war, ausgerechnet so etwas zu fragen. Aber jetzt musste sie wohl oder übel damit herausrücken. Sie richtete sich in ihrem Sitz ein wenig auf und drehte sich zu Joshua. "Also ähm ... wer ist diese Kayla?"
Überrascht warf Joshua ihr einen Seitenblick zu. Mit dieser Frage hatte er absolut nicht gerechnet.
"Meine Freundin, warum?", antwortete er irritiert.
Chloe zuckte mit den Schultern. "Nur so ..." Jetzt war ihr einiges klar, sie war also seine Freundin. Deswegen die ganze Aufregung. Sie hatte den Eindruck bekommen, dass Kayla von der Sorte Frau war, die jeder anderen Frau die Augen auskratzen würde, die ihrem Freund zu nahe kam. Chloe schauderte bei der Vorstellung. Mit dieser Sorte wollte sie nicht aneinander geraten und trotzdem würde sie es mit ihr aufnehmen, falls sie ihrem Retter damit helfen konnte.
Joshua fuhr zu der Adresse, die ihm Chloe gegeben hatte. Nach einer halben Stunde erreichten sie Blackheath, ein kleines Städtchen am Great Western Highway. Die Mittagssonne strahlte bereits heiß herunter, als er den Geländewagen in eine freie Parklücke manövrierte. Joshua stieg aus und half Chloe aus dem hohen Wagen.
Chloe hielt sich sowohl am Auto, wie auch an Joshua fest, da sie ihr verletztes Bein nicht belasten wollte. Ihr Blick fiel auf das große Gebäude in dem sich ihre Wohnung befand. Es gab keinen Aufzug und sie machte sich schon Gedanken, wie sie in den zweiten Stock kam. Mit einem gequälten Lächeln drehte sie sich wieder zu Joshua. "Danke, dass Sie mich gefahren haben."
"Soll ich Sie noch in die Wohnung bringen, M... äh... Chloe?", fragte er, als sie irgendwie verloren aussah.
"Naja ..." Wieso eigentlich nicht? Schließlich half er ihr schon, seit sie aufgewacht war, also kam es auf diese Hilfeleistung nicht mehr an, daher nickte sie. "Das wäre nett, danke."
Joshua stützte sie über die Stiegen hinauf und brachte sie zur Wohnungstür und wollte sich verabschieden.
"Ich möchte mich gerne für Ihre Hilfe erkenntlich zeigen.“ Chloe wollte nicht in seiner Schuld stehen, aber auch nicht aufdringlich wirken. "Darf ich Sie vielleicht zu einem Kaffee einladen, oder zum Essen?“, fragte sie unvermittelt.
"Das ist nicht notwendig ... Chloe!" Joshua konnte gerade noch verhindern, dass er sie wieder mit Miss angesprochen hätte. Irgendwie war der Respekt vor Frauen in ihm tief verwurzelt. Seine Mutter hatte ihn dazu erzogen, dass er das weibliche Geschlecht immer achten und beschützen sollte und das Leben mit ihr und seiner Schwester hatte ihn geprägt. Die Liebe und Güte seiner Mutter standen immer im deutlichen Gegensatz zu den Frechheiten und dem Übermut seiner Schwester. Er hatte mit diesen beiden Frauen bis vor einem Jahr zusammengewohnt und war dann schweren Herzens in seine eigene Hütte gezogen. Die Zeit war einfach reif dafür gewesen, da er die ständigen Streitereien wegen Kayla nicht mehr ertragen hatte.
Chloe schüttelte den Kopf. "Aber für mich ist es notwendig!", gab sie zögernd zu. "Ich will Ihnen nichts schuldig sein und mir würde es besser gehen, wenn ich als Dank auch etwas für Sie tun kann!" Sie würde nicht locker lassen und sie hoffte, dass Joshua das einsah. Für sie war es schon immer wichtig, ihre Schulden zu begleichen und Joshua war sie momentan sehr viel schuldig. Er hatte sie aus der Einöde gerettet, sie durch den halben Wald getragen und dafür gesorgt, dass ihr Fuß behandelt wurde und sie sicher nach Hause gebracht. Das war weit mehr, als sie ihm jemals vergelten konnte, aber sie würde es ab heute versuchen.
Joshua seufzte. Er wollte sie nicht verärgern, ihr aber gleichzeitig sagen, dass eine solche Geste nicht nötig war. "Wenn Sie jetzt alleine zurechtkommen, dann möchte ich mich verabschieden und Sie sind mir wirklich nichts schuldig. Ich habe nur meinen Job getan und dafür brauchen Sie sich nicht erkenntlich zu zeigen", sagte er sanft.
"Sie verstehen das einfach nicht, oder?", fragte Chloe ihn leicht verärgert. "Es geht nicht darum, dass ich Ihnen Ihrer Meinung nach nichts schulde! Sie haben mein Leben gerettet. Ihnen bedeutete so etwas vielleicht nichts, aber mir schon, sehr viel sogar. Es war zwar ihr Job, mich aus der Wildnis zu retten, aber der Rest gehörte nicht dazu! Sie haben mehr getan und das werde ich nie vergessen." Sie atmete einmal tief durch und lehnte sich erschöpft an ihre Eingangstür.
"Okay, ist ja schon gut! Wenn es Ihnen dann besser geht!" Joshua hob abwehrend die Hände und ergab sich. "Was muss ich tun?"
Chloe grinste. Geht doch. "Sie haben freie Wahl! Suchen Sie sich einfach etwas aus." Sie zuckte mit den Schultern. "Kaffee oder Essen, ganz egal."
"Ich stimme nur unter der Bedingung zu, wenn wir uns Duzen!", sagte er nun lächelnd.
Sie war darüber mehr als nur überrascht. Mit dieser Bedingung hatte sie absolut nicht gerechnet, aber irgendwie freute sie sich darüber. "Einverstanden", sagte sie und nickte strahlend.
Kapitel 2 - Heute
Wieso eigentlich immer ich? Das fragte sich Chloe nun schon seit ein paar Stunden. Um genauer zu sein, seit dem Telefonat mit ihrer Freundin Sandy. Da lief ihr Leben in geregelten Bahnen und dann kam so etwas. Das konnte auch nur ihr passieren.
„Pah … heiraten!“, stieß Chloe ungläubig hervor, während sie ihr Auto vorsichtig über die staubige Straße lenkte. Sandy wollte heiraten und hatte Chloe gebeten, ihre Brautjungfer zu sein. Natürlich hatte sie sofort zugestimmt, völlig überrascht über diese Neuigkeit. Sie wusste, dass Sandy mit ihrem Ryan glücklich war, aber von Hochzeit hatte sie vorher noch nie gesprochen. Als Chloe sich von der Verblüffung erholt hatte, freute sie sich riesig für ihre Freundin. Sie waren eine Stunde damit beschäftigt gewesen, über die Farben der Brautjungfernkleider, Hochzeitstorte und Blumen zu diskutieren. Je länger das Gespräch gedauert hatte, desto mehr kam Chloe der Verdacht, dass Sandy noch etwas auf dem Herzen lag und so war es dann auch. Die Bombe, die sie platzen ließ, hatte Chloe den Boden unter den Füßen weggezogen. Völlig betäubt war sie auf den Boden gesunken und sie hatte kein Wort mehr heraus gebracht. David kam mit seiner Verlobten zur Hochzeit. In einem Augenblick war sie fünf Jahre zurück katapultiert worden und der Schmerz fraß sich durch ihre Eingeweide. Eine Welle der Verzweiflung und Eifersucht überrollte sie und schickte sie in die Hölle. Sie hatte keine Geräusche mehr wahrgenommen. Selbst ihre Umgebung war blass und frei von Konturen geworden. Alles drehte sich um David, nur sein Gesicht war deutlich vor ihr. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus und keuchte schmerzerfüllt auf, als sie ins Leere griff. Erst nach einer Weile wurde die Stimme am Telefon immer lauter und riss sie aus dem Schockzustand. Chloe war selbst davon überrascht, dass sie nach all den Jahren so von ihren Gefühlen überrollt worden war.
Am Anfang war es schwierig gewesen, aber je mehr Zeit verstrichen war, desto weniger hatte sie an David gedacht. Ihr Herz aber wollte ihn nicht vergessen, denn sie hatte sich nicht mehr verliebt. Oh … Gelegenheiten hatte sie genug gehabt. Selbst in Mountain Lagoon standen einige Parkranger zur Auswahl, die immer wieder mit ihr flirteten. Nein, an Gelegenheiten hatte es wirklich nie gemangelt.
Sie war hin und her gerissen. Natürlich wollte sie Sandys Brautjungfer sein, aber war sie wirklich bereit dazu, David wieder zu sehen? Sie war seit ihrer buchstäblichen Flucht damals nicht mehr zu Hause gewesen. Das schlechte Gewissen darüber und die traurige Stimme ihrer Freundin ließen ihr keine große Wahl. Sie hatte also Sandy zugesagt und schnell das Gespräch beendet, bevor sie es sich noch einmal anders überlegen konnte. Sie wusste jetzt schon, dass sie diese Entscheidung bereute, denn ihr Herz klopfte seit Stunden viel zu schnell in ihrer Brust und trotz der Hitze zitterte sie vor Kälte. Alles in ihr schrie danach, zu fliehen. Sie wollte David sehen, mit ihm sprechen, ihn … küssen. Aber diese Möglichkeit war ihr für immer genommen worden, von ihm genommen worden. Zwanghaft versuchte sie, seine Verlobte aus ihren Gedanken herauszuhalten. Eine einzelne Träne löste sich und fiel auf ihren Rock. Sie hinterließ auf dem luftigen, bunten Stoff einen nassen Fleck. Seufzend trat Chloe stärker auf das Gaspedal ihres kleinen Range Rovers und versuchte, sich einigermaßen zusammenzureißen. Sie war auf dem Weg zur Grillparty mit Lagerfeuer in Montain Lagoon und sie wollte den anderen nicht ihre Stimmung zeigen. Mühsam versuchte sie ein Lächeln aufzusetzen und sah in den Rückspiegel.
„Oh Mann … Chloe das kannst du besser!“, sagte sie zu sich, als sie eine verzweifelte Grimasse darin sah. Ihre hellgrauen Augen starrten aus einem kalkweißen Gesicht und ihre Lippen waren extrem blass. Alle Farbe und Freude war von ihr gewichen. Sie atmete mehrmals tief durch und kniff sich in die Wangen und biss auf ihre Lippen. Sie musste den Schein wahren, zumindest für die nächsten Stunden, dann konnte sie sich wieder in ihr Bett verkriechen und heulen. „Ein paar Stunden … das kann doch nicht so schwer sein“, redete sie sich gut zu, als sie zehn Minuten später in der kleinen Siedlung Montain Lagoon eintraf. Mittlerweile war ihr hier alles schon so vertraut, dass sie sogar die kleinste Umstellung bemerken würde, schließlich verbrachte sie seit ungefähr fünf Jahren fast jeden Tag hier. Seit Joshua, einer der Parkhüter, sie damals gerettet hatte. Er war ihr ein sehr enger Freund geworden, der sie von ihrem Kummer ablenken konnte. Joshua beschützte sie und stellte keine Fragen, im Gegensatz zu seiner Schwester Rabea. Die Zeit mit ihm war einfach. Seine Ruhe ging regelmäßig auf sie über und sie genoss die gemeinsamen Stunden, da nahm sie gerne seine eifersüchtige Freundin Kayla in Kauf. Chloe war zu Kayla immer freundlich und ignorierte ihre hasserfüllten Blicke, denn diese wunderschöne Frau gehörte zu Joshua und sie konnte sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Kurz überlagerte dieser Gedanke Chloes inneren Aufruhr, doch kaum hatte sie den Motor abgestellt, machte sich Panik und Furcht wieder bemerkbar. Frustriert strich sie sich das Haar nach hinten und atmete einmal tief durch. Sie durften den anderen diesen Abend nicht verderben. Sie musste es schaffen, sich ihre momentane Gefühlslage nicht anmerken zu lassen.
"Verdammt Kayla!", schimpfte Joshua und knöpfte sein Hemd zu.
Normalerweise brachte sie ihn nicht dazu, dass er seine Ruhe verlor, egal wie sehr sie tobte. Kayla war eine wunderschöne Frau. Ihre olivgrünen Augen und ihre goldfarbene Haut strahlten mehr Erotik aus, als für einen einzelnen Mann gut war. Sie hatte eine dunkelblonde wallende Mähne und sie wusste sehr wohl, wie sie diese seidige Pracht einsetzen musste, um alle verrückt zu machen. Unwillkürlich verglich er sie mit Chloe. Sie konnten nicht unterschiedlicher sein als Tag und Nacht. Kayla strahlte Hitze und Energie aus, sie verlangte immer 100%ige Aufmerksamkeit und alles musste sich um sie drehen. Ganz im Gegensatz zu Chloe und er musste grinsen, als er an sie dachte. Nach und nach hatte sie sich in sein Leben geschlichen und sich mit ihrer sanften Natur unersetzlich gemacht. In Chloe steckte eine Tiefe und Vielfalt, die ihn ziemlich überrascht hatte. Ihre Traurigkeit überschattete anfangs ihr ganzes Wesen und nach fünf Jahren konnte er dieses Gefühl noch immer in ihren Augen erkennen. Sie rief in ihm den Beschützerinstinkt hervor und er hatte damit auch alle Hände voll zu tun. Irgendwie brachte sie sich immer in Schwierigkeiten, ihre Ungeschicklichkeit war in Mountain Lagoon bereits legendär. Doch ihre absolute Sturköpfigkeit ließ ihn manchmal verzweifeln, aber ihr Charme und ihre Schlagfertigkeit machten diese Eigenschaft wieder wett. Am deutlichsten unterschieden sich die beiden Frauen in ihrem Verhalten. Kaylas Tun und Handeln konnte er voraussehen, aber Chloe blieb ihm ein unlösbares Rätsel. Sie tat nie das, was er von ihr erwartete.
"Ich hasse diese öden Partys! Ich möchte lieber mit dir nach Sydney fahren und nicht in diesem Kaff herumhängen." Kayla stand im Türrahmen des Schlafzimmers und tippte beharrlich mit einem Fuß auf. Sie hatte ihre Stirn in Falten gelegt und sah ihn flehend an. Joshua wusste, dass sie ihr Verhalten in Kürze ändern würde, da sie ihn so nicht umstimmen konnte. Er ging langsam auf sie zu und atmete tief durch.
"Wir bleiben hier, mein Schatz", sagte er sanft und nahm sie in die Arme. Sie riss sich los und stürmte an ihm vorbei.
"Herr Gott nochmal, ich will nicht bei diesen Hinterwäldlern bleiben und hier versauern. Dafür bin ich einfach noch zu jung!"
Joshua schüttelte den Kopf. Er verstand Kayla nicht. Sie war eine von ihnen und doch versuchte sie mit aller Kraft ihre Tigerin zu verleugnen. Er wusste nicht, wann sie das letzte Mal ihrem Jagdtrieb nachgegeben hatte.
"Lass deine Katze frei, sonst machst du dich selbst unglücklich!" Joshua sah ihr tief in die Augen und erkannte, dass sie diesen Vorschlag komplett abblockte.
"Du verstehst mich nicht! Ich möchte Kayla sein und nur Kayla. Ich möchte kein Tier sein."
"Früher haben wir gemeinsam gejagt und es hat dir Spaß gemacht. Was ist passiert?", fragte er traurig.
"Ich habe mich weiterentwickelt und erkannt, dass die Katze mich nur einschränkt."
Joshua sah sie verständnislos an. Der Tiger in ihm wollte zupacken und sie so lange schütteln, bis sie wieder zur Besinnung kam. Er knurrte und ging langsam auf sie zu.
"Bleib wo du bist, Josh!" Kayla hob einen Arm um ihn auf Abstand zu halten und er blieb stehen. "Du kannst mich nicht zur Verwandlung zwingen und das weißt du. Ich möchte nur von dir wissen, ob du mit nach Sydney kommst!"
Lange starrten sich die beiden an. Als Joshua fast unmerklich den Kopf schüttelte, drehte sich Kayla abrupt um und stürmte aus dem Schlafzimmer. Wenig später hörte er eine Autotür zuschlagen und Kayla fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit aus der Rangersiedlung.
Chloe steckte gerade ihren Autoschlüssel in die Tasche, als ein Auto knapp an ihr vorbeipreschte. Entsetzt sprang sie zurück, um nicht vom Seitenspiegel erwischt zu werden. Sie erhaschte dabei einen Blick auf die Fahrerin. Es war Kayla und nach ihrem Fahrstil zu urteilen, flüchtete sie gerade vor der bevorstehende Grillparty. Chloe sah giftig den sich entfernenden Rücklichtern nach und schimpfte leise vor sich hin. Mit keiner Geste hatte Kayla es bedauert, dass sie Chloe beinahe über den Haufen gefahren hätte. Es reichte schon, wenn Chloe Katastrophen von alleine anzog, da musste Kayla dem nicht auch noch nachhelfen. Denn Chloe zog Unglücke magisch an. Aber heute konnte sie diese allerdings am wenigsten brauchen, denn sie hatte genug damit zu tun, um zu lächeln. Obwohl ... Josh würde sie sicher wieder retten. Er hatte in den letzten Jahren mehr damit zu tun gehabt, auf Chloe aufzupassen, als über den gesamten Park zu wachen. Trotz allem hatte er nie gemeckert. Eine Eigenschaft, die Chloe an ihm sehr schätzte. Die meisten Menschen wären an seiner Stelle wahrscheinlich schon längst verzweifelt. Chloe wusste selbst wie chaotisch sie manchmal sein konnte.
Sie machte sich auf dem Weg zu ihm. Mit einem missmutigen Gesicht erreichte sie schließlich die Veranda und klopfte zaghaft an die Tür ihres besten Freundes. Chloe bemühte sich um ein fröhliches Lächeln, irgendwie war sie sich aber sicher, dass ihr das ziemlich missglückte. Chloe fragte sich, warum Kayla so plötzlich abgehauen war. Vielleicht hatten sie und Josh sich gestritten. Sie mochte Kayla nicht besonders und das beruhte auch auf Gegenseitigkeit. Aber anders als Kayla versuchte Chloe das Joshua gegenüber nicht zu zeigen. Sie wollte ihn nicht verletzen und sie hoffte, dass Kayla ihn nie vor die Wahl zwischen ihnen beiden stellen würde.
Kayla war schon immer schwierig gewesen, das hatte ihn nie gestört, so lange ihre Beziehung nicht darunter litt. Vielleicht würde sie wieder zur Vernunft kommen, aber nicht heute. In abgetragener, hellblauer Jeans und weißem Hemd ging er Richtung Küche, als er es klopfen hörte.
"Komm rein!", rief er und öffnete den Kühlschrank. Er hatte extra für diesen Abend sein Lieblingsbier besorgt, das er ungern teilte. Freudig nahm er eine Flasche Crown Lager heraus, schraubte den Verschluss ab und wollte sich gerade einen großen Schluck genehmigen, als Chloe vor ihm stand. Joshua erstarrte mitten in der Bewegung und überlegte fieberhaft, ob er wegen seinem restlichen Bestand von fünf Flaschen lügen sollte. Er wusste, dass ihr das Crown ebenfalls schmeckte. Joshua verdrehte die Augen, öffnete den Kühlschrank und ging beiseite. Eine Flasche konnte er verschmerzen. Chloe würde sowieso aufgrund des hohen Alkoholgehaltes bereits nach einem Schluck doppelt sehen. Genussvoll ließ er die kühle Flüssigkeit seine Kehle hinunter laufen und hätte fast dabei gestöhnt.
"Das nenne ich eine nette Begrüßung!", strahlte Chloe als sie das Crown in Joshuas Kühlschrank entdeckte. Alkohol war genau das, was sie jetzt gebrauchen konnte. Sie wollte nur für ein paar Stunden dem bedrückenden Gefühl in ihrer Magengegend entfliehen. Vielleicht würde sie so den heutigen Abend leichter überstehen. Ohne Joshua weiter zu beachten, ging sie an ihm vorbei und nahm sich eine Flasche Crown aus dem Kühlschrank. “Wie kommt es, dass du dein heiliges Crown mit mir teilst?”, fragte sie neugierig, während sie den Verschluss abschraubte. Chloe wusste, wie ungern er etwas von seinem Lieblingsbier abgab, unabhängig von der Größe seines Vorrates. Was verschaffte ihr die Ehre, ohne großartiges Betteln eine Flasche abzubekommen? Aber egal was der Grund war, so würde sie vielleicht ihre Laune in den Griff kriegen. Mit diesem Vorsatz hob sie die Flasche an ihre Lippen und genehmigte sich einen ersten großen Schluck.
"Du hast mich anscheinend in einem schwachen Moment erwischt. Trink langsam, denn es wird heute das einzige Crown bleiben, das du von mir bekommst!" Joshua zwinkerte ihr zu und machte sich auf dem Weg zur Eingangstür. "Komm lieber, sonst sind wir wieder die Letzten und ziehe um Himmels Willen das Etikett herunter!" Er stellte sich bildlich vor, wie die Jungs seinen Kühlschrank stürmten, nur weil Chloe das Bier nicht unkenntlich gemacht hatte. Er schüttelte sich bei dieser Vorstellung und achtete genau darauf, dass die Flasche blank war.
"Du mit deinem Etikett." Chloe verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf . Sie folgte Joshua zur Eingangstüre, während sie wie befohlen das Etikett von ihrer Flasche löste. "Ich verstehe einfach nicht, wieso du immer so einen Aufstand nur wegen einem Bier veranstaltest."
Wegen Worten wie >nur wegen einem Bier< würde er ihr vermutlich irgendwann den Hals umdrehen, aber Chloe amüsierte es immer wieder, wie er sich deswegen aufregte. Ein Gefühl der Vertrautheit und Sicherheit überkam sie bei ihrem Geplänkel und Chloe fühlte sich etwas besser. Sie wusste, dass das an Joshua lag und nicht an dem einen Schluck Alkohol.
"Du solltest einfach mal nicht so geizig sein, teilen ist das halbe Leben." Sie warf ihm noch einen vielsagenden Blick zu und schlüpfte dann an ihm vorbei ins Freie. Leider übersah sie dabei die kleine Erhöhung an der Eingangstür und geriet ins Straucheln. Fluchend klammerte sie sich am Geländer fest und konnte gerade noch verhindern, dass sie der Länge nach auf dem Boden landete. Schnell richtete sie sich wieder auf und hielt ihre Flasche weit nach oben. "Deinem heiligen Bier ist nichts passiert."
"Dem Himmel sei Dank! Und jetzt halt deine süße Klappe, sonst kriegen die anderen doch noch etwas mit!" Er nahm sie am Oberarm und führte sie die beiden Stufen hinunter, es war einfach sicherer.
Chloe verdrehte die Augen und verkniff sich jeglichen Kommentar dazu. Schweigend gingen sie Richtung Lagerfeuer, als Chloe der rasche Abgang von Kayla einfiel. Sie sah Joshua von der Seite an und runzelte leicht die Stirn.
"Wohin ist eigentlich Kayla vorhin so schnell gefahren?" Chloe überlegte, ob diese Frage taktlos gewesen war, aber sie wollte wenigstens wissen, warum Kayla sie beinahe überfahren hätte.
Joshua seufzte übertrieben und warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. Er wollte nicht über Kayla reden und hoffte, dass Chloe seinen Wink verstand.
"Willst du das wirklich wissen?", fragte er mit einer übertrieben gequälten Stimme.
Oh und ob sie das wissen wollte, aber sie kannte Joshua mittlerweile gut genug, um zu wissen, wann sie besser nicht nachfragte. Dennoch hielt sie das nicht von der Wahrheit ab.
"Im Grunde schon ...", gab sie deshalb zögernd zu und richtete ihren Blick wieder nach vorne. "Aber wenn du nicht darüber reden willst, ist das okay für mich." Sie zuckte leicht mit den Schultern und suchte nach einem anderen Gesprächsthema, um die Stimmung wieder ein wenig aufzuheitern. Sie wusste, dass sie sonst wohl oder übel wieder mit ihren Gedanken in eine falsche Richtung wandern würde. Eine Richtung die sie in den nächsten Stunden vermeiden wollte. Sie genehmigte sich einen weiteren Schluck von ihrem Crown und fuhr dann nachdenklich mit den Fingern über die Öffnung. "Werden heute wieder alle bei der Grillparty sein?"
"Yeah, leider auch die Nervensäge Bea und wenn man vom Teufel spricht!" Er zog ein missmutiges Gesicht, als seine Schwester auf sie beide zukam. Er wusste, dass sie weniger taktvoll wegen Kayla sein würde, deshalb blockte er gleich ab, indem er sie gar nicht erst zu Wort kommen ließ.
"Nein und noch einmal Nein! Da hast du deine Antworten, also kannst du dir die Fragen sparen!", sagte er nachdrücklich und ging an ihr vorbei.
"Wow, der hat heute eine Laune." Rabea sah ihrem Bruder kurz hinterher, machte sich aber nicht die Mühe, hinter ihm her zustürmen. Sie wusste, dass sie sowieso nichts aus ihm heraus bekommen würde, also wandte sie sich an Chloe, die über das Verhalten von Joshua lediglich die Augen verdrehte.
"Ist er schon so, seit du bei ihm bist?", fragte Rabea ihre beste Freundin.
Chloe zuckte mit den Schultern. "Irgendwie schon. Ich glaube, es geht um Kayla, aber wir sollten besser nicht nachfragen. Du weiß ja ..."
"Papperlapapp!", unterbrach Rabea sie und zog missbilligend die Augenbrauen zusammen. "Ich predige ihm schon lange, dass er mit Kayla Schluss machen soll. Sie tut ihm einfach nicht gut, also muss ich auch mit ihm darüber reden."
"Du weißt doch genau, dass er dich nicht an sich heran lassen wird, du machst es nur noch schlimmer."
"Das werden wir ja dann sehen." Rabea nickte noch einmal stur und rannte dann ihrem Bruder hinterher.
Chloe fand diese Idee, Joshua trotz seiner rüde vorgetragenen Bitte, ihn mit diesem Thema in Ruhe zu lassen, nicht so gut. Sie wusste aber, dass sie Rabea nicht aufhalten konnte. Sie hatte ziemlich viel Temperament. Zu viel für eine Person. Aber trotz dieser manchmal lästigen Eigenschaft hatte Chloe sie von Anfang an in ihr Herz geschlossen. Sie mochte Rabea sehr, auch wenn sie einem manchmal auf die Nerven gehen konnte. So wie jetzt ihrem Bruder, den sie nicht in Ruhe lassen würde. Chloe folgte den beiden und hoffte, dass Joshua nicht zu sehr mit seiner Schwester zusammenkrachte.
"So mein Lieber!" Die Hände in die Hüfte gestemmt, lief Rabea neben ihrem Bruder her. "Was ist wieder zwischen dir und Kayla vorgefallen?"
Chloe, die mittlerweile die beiden erreicht hatte, seufzte frustriert. "Tut mir leid Josh, ich konnte sie nicht aufhalten."
"Schon gut Chloe", sagte Joshua und starrte Rabea an. Er wusste nicht, was seine Schwester gegen Kayla hatte, aber sie zeigte ihre Abneigung von Anfang an. Schon immer gab es diese Uneinigkeit zwischen ihnen, aber heute hatte er absolut keine Lust, darüber zu diskutieren. Nach einem letzten unnachgiebigen Blick auf Rabea entfernte er sich wortlos Richtung Lagerfeuer. Er atmete tief ein und fühlte sich dabei ausgebrannt und müde. Die ewigen Kämpfe und Vorhaltungen hatte er immer problemlos weggesteckt, nur heute wollte er nichts davon wissen. Heute nahm er sich einfach davon frei. Wenn seine Schwester dies nicht akzeptieren konnte, dann musste sie sich eben die Zähne an ihm ausbeißen.
"Hey John, braucht ihr Hilfe?", fragte er, als er die Jungs erreichte. Die Jungs. Ein Haufen Wertiger, die verspielter nicht sein konnten. Was hatte er schon mit ihnen alles erlebt und er fragte sich zum wiederholten Male, warum Chloe bis heute nicht durchschaut hatte, dass sie im Grunde alle nur Tiere waren. John war der Rudelführer und hatte sie alle größtenteils im Griff. Er war gutmütig und immer zu Scherzen aufgelegt, aber er konnte absolut hart durchgreifen und das wussten sie alle. Sall und Rayder waren seine besten Freunde, soweit man solche als Einzelgänger haben konnte. Unter ihnen war der Machtkampf allgegenwärtig, aber John brachte sie unter Kontrolle.
"Du kommst gerade richtig, wir brauchen einen erfahrenen Grillmeister. Rayder kohlt gerade die besten Stücke an, willst du das zulassen?"
Joshua lachte laut auf. "Wer zum Teufel hat ihm die Grillzange in die Hand gedrückt?" Er machte sich auf alles gefasst, als er auf den gemauerten Grill zusteuerte. Sein Freund konnte selbst ein weich gekochtes Ei anbrennen lassen. Misstrauisch beäugte er die Steaks und stöhnte verzweifelt auf.
"Verdammt Rayder, haben dich Hyänen großgezogen?", fragte er, als er das verkohlte Fleisch sah. "Wer soll denn diesen Fraß essen?"
"Josh, du Idiot! Ich hab sie zart wie frisch geschlüpfte Küken gebrutzelt!", antwortete Rayder erbost und fuchtelte mit dem Grillwerkzeug herum.
Joshua riss es ihm aus der Hand und löschte mit seinem Lieblingsbier das viel zu hohe Feuer im Grill. Er legte eine kleine Schweigeminute ein, um diesen Verlust zu verschmerzen, bevor er die schwarzen, verbrannten Steaks in den Müll beförderte.
"Frisch geschlüpft", schimpfte er vor sich hin, als er das Gitter neu belegte. "Ich möchte gar nicht wissen, wie bei dir dann blutig und rosa aussieht", murmelte Joshua weiter und schüttelte ungläubig den Kopf. Rayders Grillkünste waren gefürchtet, genauso wie sein Jagdinstinkt. Er wusste genau, wo sich ein verwundetes Tier verkrochen hatte. Die Jagd war ihnen heilig. Kein Tiger wollte dabei Gesellschaft, aber wenn es um den Bestand im Park ging, mussten sie zusammen jagen. Die Selektion war wichtig für das Gleichgewicht und diese wurde vom Rudelführer beschlossen und von ihnen gemeinsam ausgeführt. Im Grunde waren sie Einzelgänger, aber um als Gruppe zu überleben, mussten sie zusammenarbeiten. Das war nicht immer einfach, da jeder von ihnen eine absolute Dominanz an den Tag legte. Deshalb bewunderte Joshua, wie John diesen Haufen von männlichen Tigern unter Kontrolle halten konnte.
Rabea schnaubte frustriert. "Wieso kann er nicht einfach einsehen, dass Kayla schlecht für ihn ist?!", murmelte sie und warf Chloe dabei einen fragenden Blick zu. "Du magst Kayla doch auch nicht oder?"
Chloe hob abwehrend die Hände. "Ich halte mich da raus. Josh liebt Kayla nun mal und so langsam solltest auch du diese Tatsache akzeptieren." Sie wollte jetzt nicht wirklich darüber diskutieren. Wenn es um das Thema Liebe ging, hielt sich Chloe total zurück.
"Aber Kayla ist eine arrogante, eifersüchtige ..."
"Völlig egal", unterbrach Chloe sie knapp. "Dein Bruder liebt sie so, wie sie ist und ist glücklich mit ihr. Nur das ist wichtig, oder willst du etwa nicht, dass dein Bruder glücklich ist?"
"Natürlich will ich das!", sagte Rabea sofort.
"Dann wäre das doch geklärt." Chloe schenkte ihr noch ein kleines Lächeln, bevor sie zu John flüchtete, um einer weiteren >Kayla ist schlecht für meinen Bruder< Moralpredigt von Rabea zu entgehen. Seit John Chloe damals so freundlich hier aufgenommen und sich sogar um ihren verletzten Fuß gekümmert hatte, war er einer von den Personen, die sie hier am meisten mochte. Er war praktisch wie ein Vater für sie.
"Na, mein Mädchen! Wie gehts dir?", fragte John herzlich und nahm Chloe zur Begrüßung in den Arm.
"Mir geht’s ... gut", log sie. Dies stimmte auch teilweise. Solange sie hier bei ihren Freunden war und nicht an die bevorstehende Hochzeit dachte, ging es ihr gut. "Und was ist mit dir? Hast du die Meute im Griff?" John war hier für alle irgendwie eine Art Vater, zumindest glaubte Chloe das. Die Jungs hatten viel Respekt vor ihm.
"Hey, ich will auch!", maulte Sall und ging auf die beiden zu.
"Komm her mein Großer, dich drück ich auch eine Runde, wenn du das brauchst", grinste John und ließ Chloe los.
"Ich mein doch nicht dich, Schmusebär. Ich steh mehr auf zarte Häschen!" Sall wackelte mit den Augenbrauen und herzte Chloe, ohne dass sie sich wehren konnte.
"Nimm deine Pfoten von ihr, Sall, oder du verlierst wichtige Körperteile!", knurrte plötzlich Joshua hinter ihm. "Wenn sie dich Hohlkopf umarmen will, wird sie das schon von alleine machen!"
Sall ignorierte ihn und grinste Chloe verschwörerisch an. "Sie will mich nicht nur umarmen, es sieht so aus, als ob sie mich gleich küssen möchte!"
Chloe runzelte kurz die Stirn und machte sich von Sall los. "Nur nicht auf falsche Gedanken kommen", ermahnte sie ihn grinsend. "Das Umarmen ist schon immer fraglich ... da glaubst du ja wohl nicht wirklich, dass ich dich küssen möchte?" Sie war dieses Geplänkel schon gewohnt, weshalb sie es auch gelassen nahm und meistens mitspielte. Sie achtete aber immer darauf, dass sie Sall dabei keine Hoffnungen machte. Gerade heute wurde ihr bewusst, dass ihr Herz sich noch immer nicht erholt hatte. Chloe war einfach noch nicht so weit. "Schon gut, Josh. Sollte Sall zu aufdringlich werden, benutze ich einfach mein Pfefferspray." Nicht das sie welches dabei hätte, aber sie ging auch nicht davon aus, dass einer der Jungs ihr etwas tun würde. Das hatten sie in den ganzen fünf Jahren nicht und sie vermutete, dass Joshua der Grund dafür war.
"Ich liebe Pfefferspray, das brennt so schön in den Augen", lachte Sall. Er schlug Joshua gegen die Schulter. "Ich tu nichts mit ihr, was du nicht auch tun würdest!", raunte er Joshua ins Ohr.
"Halt die Klappe Sall, bevor ich sie dir mit den frisch geschlüpften Steaks von Rayder stopfe!" Joshua
warf Chloe noch einen letzten Blick zu und ging wieder zum Griller. Er seufzte leise auf, als er seine leere Bierflasche sah.
"Wo ist Kayla?", fragte Sall, der sich zu ihm gesellte.
"Sidney."
"Schon wieder?"
"Yeah."
"Ich hasse die Stadt!" Sall schüttelte sich bei der Vorstellung, in einer Stadt leben zu müssen.
"Yeah."
Nachdem Sall und Joshua weg waren, nahm John das Gespräch mit Chloe wieder auf.
"Gut? Eigentlich muss es dir doch ausgezeichnet gehen, wenn du hier bei uns bist! Was ist los? Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen? Gibt es Schwierigkeiten mit einem Mann? War einer nicht nett zu dir?" John baute sich vor ihr auf. "Sag es mir ruhig, Mädchen. Dem können wir perfekte Manieren beibringen, glaub es mir!" John lachte laut auf, als er sich die totsichere Methode seines Rudels durch den Kopf gehen ließ.
Obwohl John mit seinen Worten den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, konnte Chloe ein Lächeln nicht verbergen. Sie glaubte ihm sofort, dass er ihr bei jedem Problem helfen würde.
"Danke John, aber mir geht es wirklich gut", log sie weiterhin und genehmigte sich erneut einen Schluck aus ihrer fast vollen Flasche. Übertrieben fröhlich drehte sie sich zum Grill um. "Noch besser würde es mir allerdings gehen, wenn das Essen endlich fertig ist." Die letzten Worte sagte sie bewusst laut, sodass auch Joshua sie hören musste.
"Yeah! Josh, wie weit bist du?", fragte John und lächelte süffisant.
Plötzlich kamen aus allen Ecken und Winkeln die Ranger mit ihren Freundinnen oder Familien heran und schnupperten in die Luft.
"Nur langsam mit den jungen Pferden! Schließlich musste ich wieder von vorne anfangen, da Rayder einen Hang zur Melodramatik beim Grillen hat! In zehn Minuten könnt ihr mit fantastisch gegrillten Steaks rechnen. Kann mir wer was zum Trinken bringen?", fragte Joshua und konzentrierte sich auf das Fleisch vor sich.
"Der arme Junge hat kein Bier mehr! Rayder, hol ihm was", befahl John gutmütig.
"Warum immer ich?", maulte er.
"Noch 10 Minuten?", wiederholte Chloe und verzog das Gesicht. "Bis dahin bin ich verhungert."
"Ich auch", stimmte Rabea ihr zu, die sich mittlerweile auch zu ihnen gesellt hatte. "Zumal ich fast den ganzen Tag nichts gegessen habe."
Chloe verdrehte die Augen. "Selber schuld."
"Ja, ja ich weiß ..." Ihr Gesicht hellte sich schlagartig auf, als sie die Flasche in Chloes Hand entdeckte. "Du kannst mir ja was von deinem Bier abgeben", schlug sie grinsend vor und griff bereits nach dem Flaschenhals.
"Niemals!", erwiderte Chloe und zog die Flasche eng an sich. Wenn sie Rabea etwas abgeben würde, würde diese sofort merken, welches Bier sie trank. Rabea würde sofort wissen, wo noch Flaschen davon sein könnten und Joshua würde Chloe dafür den Hals umdrehen. "Bier auf nüchternem Magen ist nicht wirklich empfehlenswert“, versuchte Chloe ihre heftige Reaktion abzumildern.
"Ich kann es ja mal versuchen."
"Vergiss es!" Es ging einfach nicht auf die sanfte Tour.
Rabea seufzte. "Na schön, dann hole ich mir halt selber etwas."
Mit diesen Worten und noch einem letzten finsteren Blick in Chloes Richtung machte Rabea sich auf die Suche nach etwas zu trinken, während Chloe weiterhin auf das Essen wartete. Die meisten Leute waren jetzt schon hier, wenn Joshua keinen Massenaufstand wollte, sollte er sich beeilen.
"Komm Mädchen, wir suchen uns ein nettes Plätzchen am Lagerfeuer, bevor die Liegesesseln alle besetzt sind! Josh wird uns dann schon etwas bringen." John dirigierte Chloe in die Nähe des Feuers, denn in der Nacht war es bereits empfindlich kalt.
"Danke", sagte Joshua, als Rayder ihm eine Flasche reichte.
"Hey Rayder, versuchst du heute wieder dein Glück bei unserem Häschen?", fragte Sall und grinste breit.
"Aber sicher, ich gebe doch nicht auf, im Gegensatz zu dir, Schwächling!"
"Was heißt hier Schwächling? Dich schlag ich doch alle mal, Kätzchen!" Sall forderte ihn heraus, indem er sich breitbeinig hinstellte und Rayder heran winkte.
"Oh Mann, ihr zwei habt wirklich keine Augen im Kopf, oder?", stöhnte Joshua. Es war jedes Mal das Gleiche bei den Grillabenden. Sie kämpften immer um die Aufmerksamkeit von Chloe, aber sie brachte ihnen nur Freundschaft entgegen.
"Und ob wir das haben, großer Grillmeister! Deswegen geben wir ja nicht auf! Du brauchst dich ja nicht mehr anzustrengen, du bist ja bereits in festen Händen. Aber wir haben noch Perspektiven und eine davon heißt Chloe", sagte Rayder und boxte Sall spielerisch gegen die Brust.
"Genau, meine Chloe!", erwiderte Sall und schlug fester zurück, sodass Rayder ein paar Schritte nach hinten stolperte.
Eher es die beiden kommen sahen, hatte Joshua seine Freunde am Kragen gepackt und zog sie ganz dicht an sich heran.
"Wenn ich auch nur einen von euch dabei erwische, wie ihr sie unaufgefordert anrührt, dann zerfleische ich euch und das ist keine leere Drohung!", knurrte Joshua leise und sah beiden nacheinander fest in die Augen.
"Ist schon okay, wir werden uns hüten!" Sall schluckte, als er den Ernst in den Augen seines Freundes sah.
Joshua ließ die beiden los und belegte zwei Teller mit den besten Steaks.
"Das Buffet ist eröffnet!", rief er laut und flüchtete, da alle Leute gleichzeitig zum Griller stürmten. "Hier!" Er gab Chloe und John je einen Teller. Joshua setzte sich neben sie, nahm ihr das Bier aus der Hand und nahm einen großen Schluck.
"Hey!", beschwerte sich Chloe und strafte Joshua mit einem bösen Blick. "Das ist mein Crown!"
Sie verzog schmollend den Mund, doch der Geruch von ihrem Teller lenkte sie sofort ab. Es roch einfach zu himmlisch. "Wärst du nicht so ein begnadeter Grillmeister, wäre ich jetzt sauer auf dich", meinte sie belustigt und kostete von ihrem Steak. Wie erwartet, schmeckte es vorzüglich. "Also für das Steak darfst du dir noch einen Schluck genehmigen", schwärmte sie mit vollem Mund.
"Hab ich da etwas von meinem Lieblingsbier gehört?", fragte John neugierig.
"Klasse Chloe, du konntest ja nicht deine Klappe halten!" Joshua starrte sie böse an. Er wusste selbst nicht so genau, warum er deswegen so einen Aufstand machte. Ging es eigentlich um das Bier? Oder saß ihm der Streit mit Kayla in den Knochen? Er wollte laufen. Unruhe breitete sich in ihm aus und der Tiger wollte freigelassen werden. Den Wind auf den sensiblen Tasthaaren spüren, die weichen Tatzen sehnten sich nach dem warmen, roten Sand. Er war in diesem Land geboren, er kannte nichts anderes und er liebte die Weite des Nationalparks. Joshua berührte den Boden und strich mit den Fingern über die Erde. Er war fest verwurzelt mit diesem Stück Land und er würde nie freiwillig von hier weggehen.
"JOSH!", bellte John und holte ihn aus seinen Gedanken.
Sofort erkannte Joshua, dass seine Fingernägel sich bereits zu Krallen verformt hatten. Schnell zuckte er zurück und versteckte seine Hände vor dem unwissenden Mädchen neben sich. Anfangs war es sehr schwierig für ihn gewesen, seine wahre Natur vor ihr geheim zu halten. Joshua hatte noch nie eine so enge Freundschaft eines Menschen zugelassen und damit auch eine große Nähe. Chloe war in jeder freien Minute in Mountain Lagoon und sie alle mussten höllisch aufpassen, dass sie von den Katzen unberührt blieb. Der meiste Kampf hatte allerdings zwischen ihm und Kayla stattgefunden, da sie Chloe am liebsten zerfleischt hätte. Seine heißblütige Freundin war nur schwer zurückzuhalten gewesen, aber er hatte es mit Hilfe von John irgendwie geschafft. Als er sich sicher war, dass seine Finger wieder normal aussahen, stand er auf.
"Ich hol mir auch ein Steak, falls sie etwas übergelassen haben!" Joshua wollte alleine sein und über diesen Ausrutscher nachdenken.
"Alles okay?", fragte John und sah ihn misstrauisch an.
"Yeah."
"Das war dann wohl meine Schuld." Chloe blickte ihm schuldbewusst nach. Sie verstand nicht, warum er so extrem reagierte. Sie seufzte und legte ihren bereits leeren Teller neben sich auf den Boden. Joshua hatte es geschafft, dass sie Sandy und ihre Hochzeit vergessen hatte. "Meinst du, es ist wirklich alles okay?", wandte sie sich an John, als Joshua außer Hörweite war.
"Er wird schon wieder. Du kennst ihn ja inzwischen. Josh verliert selten seine Ruhe, denn dazu liebt er sie viel zu sehr. Er kommt von alleine wieder zu uns gekrochen und er wird uns dabei anflehen." John grinste diabolisch, als er ein Crown hervor holte und sich einen langen Schluck nahm.
"Wieso hast du überhaupt von dem Bier angefangen, wenn du doch selbst eines hast?", fragte Chloe erbost.
"Ich habe es aus seinem Kühlschrank!" John lachte laut los, als er sich das Gesicht von Joshua vorstellte, wenn er diesen Diebstahl entdeckte. Als er Chloes vorwurfsvollen Blick auffing, musste er noch mehr lachen. "Nimm es mir nicht übel, Mädchen! Er schuldet mir noch ein paar Flaschen", sagte er kichernd und wischte sich die Lachtränen aus den Augen.
Missmutig blickte Joshua auf das leere Grillgitter. Das hatte er nun davon, dass er anderen den Vortritt ließ. Er blickte sich auf dem runden Platz um. Das Hauptgebäude mit der Krankenstation und dem Büro stand am nächsten. Ein paar Blockhäuser säumten den großen Parkplatz, der ihnen auch als Grillplatz diente. In der Mitte hatten sie ein paar Steinbrocken aufgemauert, um darin gefahrlos ein Lagerfeuer anzünden zu können. Sie alle liebten diese Abende. Sie festigten die Beziehungen innerhalb ihrer kleinen Gemeinschaft und wenn John seine Gitarre herausholte, dann öffneten sich ihre Herzen. In letzter Zeit forderte ihn der Rudelführer häufiger auf, ihn stimmlich bei den alten Liedern zu begleiten. Am Anfang hatte er sich dagegen gesträubt, da er sich nicht lächerlich machen wollte. Doch John verfolgte ihn Tag und Nacht und ließ ihn deswegen nicht mehr in Ruhe. Er kannte natürlich den Text der Lieder, da er mit ihnen aufgewachsen war, aber sie selbst zu singen? Absolut unvorstellbar. Doch John hatte einen Weg gefunden, um ihn doch noch zu überzeugen. Mit Erpressung. Wenn er nicht gesungen hätte, dann würde er heute vermutlich nicht mehr leben. Denn John wollte Kayla eine kleine Geschichte erzählen, eigentlich eine harmlose Geschichte, aber sie wussten beide, dass nur Kayla sie anders auffassen würde.
Er hatte damals an ihrem gemeinsamen Jahrestag ihre romantische Verabredung abgesagt, weil er Chloe ins Spital bringen musste. Chloe hatte ihn vollkommen panisch von ihrem neuen Satellitentelefon angerufen und ihm eine Horrorgeschichte über einen Schlangenbiss erzählt. Er war sofort durch den Wind gewesen und hatte alles stehen und liegen gelassen. Sie in dem Nationalpark zu finden, war wie eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen, deshalb hatten alle Tiger sich an der Suche beteiligt. Wenn er daran dachte, spürte er noch heute die Unruhe und Panik von damals in seinen Knochen. Als er sie endlich gefunden hatte, war sie bereits ohnmächtig gewesen. Sall und er hatten sie mit dem Hubschrauber in das Krankenhaus nach Sydney geflogen und er war die ganze Nacht bei ihr geblieben, obwohl sie außer Lebensgefahr war. Dieses kleine Detail, wollte John seiner Kayla verraten und deshalb hatte er gesungen.
Chloe schüttelte seufzend den Kopf und erhob sich. "Ich schaue mal nach Josh."
Mit diesen Worten lief sie in die Richtung, in der Joshua verschwunden war. Einerseits wollte sie mit ihm über die Hochzeit sprechen, aber andererseits fürchtete sie sich davor. Im Grunde war sie ihm keine Rechenschaft schuldig, sie brauchte ihm nur zu sagen, dass sie für zwei Wochen weg war. Sie hatte keinem von ihnen je von David erzählt, aber irgendwie hatte sie schon lange das Gefühl, es zumindest Joshua schuldig zu sein. Am meisten fürchtete sie sich davor, wenn sie Mitleid in seinen Augen lesen würde, denn das wollte sie nicht. Chloe lief eine Weile über das weitläufige Gelände und fand Joshua schließlich in der Nähe seiner Hütte.
"Alles okay?", fragte sie vorsichtig, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass Kayla nicht in der Nähe war. Denn diese würde das Treffen hier sofort wieder falsch verstehen. "Das mit dem Bier tut mir leid."
"Vergiss es, es ist doch nur ein ..." Nein, er brachte die verächtlichen Worte über sein Lieblingsbier nicht über die Lippen. "Vergiss es einfach", sagte er und lächelte Chloe an. Er wollte seine schlechte Laune nicht an ihr auslassen, daher legte er einen Arm um sie und schlenderte mit ihr an den Hütten entlang. "Lass uns einen kleinen Spaziergang machen." Als er einen bedeutungssamen Blick von John auffing, ließ er sofort den Arm fallen. Es war manchmal wirklich zum Verzweifeln, dass alles zweideutig aufgefasst wurde und er die normale Freundschaft zwischen Chloe und ihm wegen Kayla nicht öffentlich zeigen konnte. "Was ist denn heute los mit dir, Chaotenzwerg?", fragte er, als ihm ihre Schweigsamkeit auffiel.
Chloe warf Joshua einen kurzen Blick zu. Was sollte sie tun? Alles in ihr wehrte sich gegen die Offenbarung ihrer Vergangenheit und somit ihrer wahren Gefühle.
Schweigend gingen sie nebeneinander her, jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt.
Chloe setzte zu sprechen an, blieb aber stumm. Joshua gab ihr einen Schups.
„Los, rück raus damit!“
"Es ist nichts", versicherte sie deswegen und zog die Augenbrauen zusammen.
"Für >nichts< sieht es aber ganz schön düster aus." Doch Joshua wollte nicht weiter in sie dringen. Er wusste, dass sie schon zu ihm kommen würde, wenn sie etwas loswerden wollte.
Langsam spazierten sie um den großen Platz herum und beobachteten die Leute in der Mitte. Das Lagerfeuer brannte heiß und erhellte die Gesichter der gut gelaunten Leute. Sie lachten und erzählten sich gegenseitig Abenteuergeschichten. Joshua dachte in diesem Augenblick an Kayla. Warum war sie nicht hier bei ihm? Er verstand ihren Drang einfach nicht. Kein Tiger konnte sich in der Stadt wohl fühlen. Er vermisste sie. Vor allem den spielerischen Umgang mit ihr, die kleinen Neckereien. Jede Katze liebte das und in letzter Zeit hielt sie sich immer mehr zurück. Joshua grübelte noch über seine Beziehung mit ihr nach, als er plötzlich die Gitarrenklänge vernahm. Er stöhnte frustriert auf, denn er wusste, dass John ihn bald einspannen würde.
Sie warf bei diesem Geräusch einen nachdenklichen Blick auf Joshua und gab sich einen Ruck.
"Weißt du ...", begann sie schließlich und sah auf den Boden. "Äh … ich reise ab … nach Alabama.“
Joshua horchte alarmiert auf. „Was?“, fragte er erschrocken. Sie wollte Australien verlassen und wieder zurück in ihre Heimat? Er fuhr sich mit der Hand durch sein Haar und versuchte diese Möglichkeit irgendwie zu verdauen. Das konnte doch nicht möglich sein. Warum so plötzlich? Er starrte ihren Schopf an und biss seine Zähne zusammen.
„Meine Freundin Sandy hat mich heute angerufen … und … ja, ich muss“, stotterte Chloe. Sie sog tief die Luft ein. Das konnte doch nicht wahr sein, dass sie ihm nicht einmal von der Hochzeit erzählen konnte.
„Verdammt Chloe! Spuck es endlich aus, sonst schnappe ich über!“, schnauzte Joshua sie frustriert an.
Als sie überrascht zu ihm aufschaute, sah er wieder den vertrauten Schmerz in ihren Augen. Chloe erzählte so gut wie nie etwas aus ihrer Vergangenheit. Sie hatte sich immer nur vage ausgedrückt, falls Rabea sie wieder einmal über das Leben vor Australien aushorchen wollte. Er wusste nur, dass etwas Schlimmes passiert sein musste, denn der Schmerz war unübersehbar.
„Ich muss zu einer Hochzeit!“, brachte sie gepresst hervor.
„Deiner Hochzeit?“ Am liebsten hätte Joshua sie geschüttelt, bis sie die ganze Geschichte endlich erzählte.
„Was? Nein!“ Erst jetzt bemerkte Chloe seine Anspannung und es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. „Ich bin Brautjungfer und für zwei Wochen weg“, sagte sie schnell.
Joshua war erleichtert und hatte sich schnell wieder unter Kontrolle.
"Ähh ... das ist doch gut, oder?", fragte er unsicher. Ihre Begeisterung schien sich sehr in Grenzen zu halten.
Sie seufzte schwer. Auf den Spott in Davids Augen konnte sie wirklich verzichten, wenn er sah, dass sie immer noch an ihm hing. Nicht wirklich über ihn hinweg und alleine war.
"Ja, schon … eigentlich." Chloe zuckte leicht mit den Schultern und sah gedankenverloren wieder zu Boden. Chloe freute sich für ihre Freundin, schließlich hatte diese ihr großes Glück gefunden.
John begann spielerisch an seiner Gitarre zu klimpern und die Gespräche stellten sich nach und nach ein. Viele starrten zufrieden ins Feuer und lehnten sich in ihre Liegesessel zurück. Jetzt begann bald der gesellschaftliche Teil des Abends. Joshua wusste, dass sie sich bald zu ihnen gesellen mussten, aber er wollte Chloe noch die Möglichkeit geben, sich zu fangen. Sie schien nicht glücklich zu sein, was ihm vorher nicht aufgefallen war. Zu tief war er selbst in Gedanken bei seinen Problemen mit Kayla gewesen.
"Was hält dich ab davon, sich darüber zu freuen? Doch nicht etwa Sall und Rayder?", fragte er in einem verschmitzten Tonfall, dass Chloe laut auflachen musste.
Bildmaterialien: Tiger vom Cover: NefaroStock http://fav.me/dud9sg
Tag der Veröffentlichung: 28.11.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Wir widmen dieses Buch unserer Maroyisten-Gruppe und wünschen allen viel Spaß beim Lesen!
maroy & bella123