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Vorwort



Ich hatte nur das notwendigste an Kleidung ausgewählt und in den kleinen Trolly gestopft. In meiner Wohnung herrschte eine mittelgroße Überschwemmung, da der Nachbar über mir eine neue Erfindung ausprobiert hatte. Die ultimative aufblasbare Plastikbadewanne. Leider hatte er bei all der Euphorie vergessen, dass das Baden bei Kerzenschein in der Gebrauchsanweisung ausdrücklich untersagt war. Aus gutem Grund. Der Plastikwannenrand schmolz mit rasender Geschwindigkeit und hatte das gesamte Wasser in einem Schwung für meine Decke freigegeben. Wäre dieses Malheur einem anderen passiert, hätte ich mich darüber kaputt gelacht. Okay, ein Grinsen kam mir trotzdem jedes Mal aus, wenn ich daran dachte, dass er in Nullkomanix statt einem weichen, warmen Wannenboden, kalte und harte Fliesen unter dem nackten Hintern verspürt hatte.

Die Versicherung des Badefans hatte mir in kürzester Zeit eine Trocknungsfirma geschickt, die mit mehreren Entfeuchtungsgeräten anrückte. Einen Nachteil hatten diese Wunderdinger, welche in meinem Heim wieder trockene Wände zaubern würden: sie waren megalaut. Daher wurde mir für die Zeit der Trockenlegung ein Hotelzimmer bezahlt und natürlich wählte dieses die Versicherung aus.

Nun stand ich etwas perplex vor dem Eingang des Hotels „Pretenders“. Ich sah mich noch einmal in der Straße um, da ich das Gefühl hatte, mich im Land geirrt zu haben. Das Gebäude stach durch seine andersartige Architektur heraus. Im Gegensatz zu den roten Backsteingebäuden in dieser Straße, hatte das Hotel eine weiße Fassade und einen gigantischen Eingangsbereich. Die üppigen, übertriebenen Verzierungen an den Fenstern erinnerten an eine andere Epoche. Als ich durch die riesige Drehtüre eintrat, umfing mich das Flair der 50er Jahre. Schwarz-Weiß karierter Fußboden, eine türkise Empfangstheke mit einem lachsfarbenen Querstreifen, die Bänke waren dick gepolstert und ebenfalls mit türkisem Plastik überzogen. Haufenweise Dekoration war mit viel Liebe zum Detail in allen Winkeln und Wänden der Halle verteilt. Meine Augen leuchteten auf, als ich die Jukebox entdeckte, welche in bunten Farben hell leuchtend in einer Ecke stand. Diese war hier in Schottland sicher ein Unikat.

Ich wurde freundlich empfangen und bereits erwartet.
„Shona Heel?“, fragte mich der Portier.
Ich nickte und man brachte mein lächerlich leichtes Gepäck auf das Zimmer. Nach dem köstlichen Abendessen zog ich mich rasch zurück, da ich nicht gerne alleine in einem Lokal saß. Ich wusste nie, was ich zwischen den einzelnen Gängen machen sollte und Selbstgespräche standen absolut nicht zur Diskussion.

Erleichtert schloss ich hinter mir die Zimmertüre und seufzte. Warme Brauntöne an Wänden und Teppichboden empfingen mich, das Bett sah kuschelig und weich aus und hatte einen mintgrünen Bezug. Ich streifte meine Stiefeletten ab und versank in dem erdfarbenen, tiefen Gewebe und ich fühlte mich auf Anhieb wohl. Nachdem ich noch das Badezimmer begutachtet hatte, zog ich Jeans samt hüftlangem, dunkelrotem Shirt aus und schaltete den Fernseher ein. Wie immer lief Werbung, daher beschloss ich eine lange, heiße Dusche zu nehmen. Die Armatur quietschte laut, als ich das Wasser aufdrehte und ich erwartete fast, dass eine braune Brühe aus dem Duschkopf kam, aber zum Glück plätscherte glasklares, heißes Wasser auf mich herab. Sofort bildete sich auf meinem ganzen Körper eine Gänsehaut und ich genoss die Hitze besonders an den Füßen, denn diese hatten grundsätzlich die Temperatur von riesigen Eisblöcken. Entspannt schlüpfte ich danach in mein Nachtgewand, das aus einem Tanktop und flauschiger Kniehose bestand. Nach dem Zähneputzen kuschelte ich mich ins Bett und zappte durch die Kanäle, bis ich bei meiner Lieblingsserie Moonlight hängen blieb. Zufrieden seufzend sank ich in meine weichen Polster und gab mich der Handlung hin.

Mitten in der Nacht wurde ich munter und sah, dass der Fernseher vor sich hin flimmerte. Müde drückte ich auf den Aus-Knopf der Fernbedienung und wollte weiterschlafen, aber das verdammte Ding funktionierte nicht. Ergeben stand ich auf und schaltete das Gerät direkt aus, als ich im Badezimmer ein Geräusch hörte. Nicht sicher, ob ich tatsächlich etwas vernommen hätte, ging ich langsam zum Bett zurück. Da! Schon wieder ein Grummeln hinter der Tür. Heiße Angst schoss durch meinen Körper, als nun auch Lichtblitze unter dem Türspalt hervor leuchteten. Mit rasendem Puls griff ich nach der nächstbesten Waffe: einem Polster. Okay, was konnte man mit diesem Teil anrichten? Mit den Federn jemanden zu Tode kitzeln? Ich fand im Finstern einfach nichts anderes und er gab mir einen trügerischen Halt. Leise schlich ich wie unter einem Zwang zur Badezimmertür und legte ein Ohr an das kühle Holz. Ich hörte Stimmen und Geplätscher. Wer zum Henker vergnügte sich da in meinem Badezimmer? Ohne zu überlegen, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, atmete tief durch, hob den Polster mit der rechten Hand als Wurfgeschoss über meinen Kopf und riss mit der Linken die Tür auf. Schreiend lief ich hinein und fand mich mitten in einem seichten Brunnen wieder. Ich verstummte.


Kapitel 1



Völlig verdattert starrte ich auf den Rücken einer blonden Reporterin, die in eine Kamera sprach. Rechts von mir schossen Fontainen aus dem Brunnen, diese waren in rasch aufeinander folgenden, verschiedenen Farben beleuchtet und bildeten eine recht hübsche Wasserwand.




Mit hoch erhobenem Polster drehte ich mich um, in der Hoffnung meine Badezimmertüre zu sehen.
Mein Gott, was ich nun sah, ließ mich erstarren. Mitten im Brunnen, auf einer Plattform, lag eine tote junge Frau gekleidet in ein paar Streifen rosa Stoffs.



Das kann nicht echt sein! Ich musste träumen!
Scheiße, das Wasser war aber so kalt, dass meine Zehen bereits zu kribbeln begannen. Es würde wohl wenig helfen, wenn ich mir den Polster ein paar Mal auf den Kopf schlagen würde, um zu merken, ob ich wachte oder träumte. Ich sah an mir herunter und das Entsetzen nahm kein Ende. Stand ich doch tatsächlich mit Top und Pyjamahose mitten in der Nacht neben einer Leiche, mit einem Polster in der Hand. Ich sah in die Höhe, ja der Polster war definitiv da.

Ich fuhr herum, als ich die Reporterin nun sagen hörte, „Das war Beth Turner für Buzzwire. Schnitt.“
Mir fiel die Kinnlade runter! Langsam bekam ich ein taubes Gefühl in meinem rechten Arm, aber das war jetzt wirklich nebensächlich. Beth Turner! Das ist doch ein schlechter Witz, oder? Fehlt nur noch das Mick hier auftauchen würde. Dämlich grinsend drehte ich mich zu den Bäumen und hörte leise wie, Beth Turner mit Lieutenant Carl über den Tatort sprach.

Und da stand er, Mick St. John!
Ein Vampir.
Für mich der bestaussehendste Vampir.


Der Polster fiel ins Wasser. Mick sah mich neugierig an. Ich reagierte nun wie ein erschrecktes Huhn, ruckartig sah ich noch einmal an mir herunter, die Pyjamahose klebte an meinen inzwischen halb erfrorenen Beinen, daran konnte ich nichts ändern. Meine linke Hand flog zu meinen, vom Schlaf verwurschtelten, langen Haar und glättete es halbwegs, während der rechte Ärmel taub nach unten sackte. Panisch lief ich mit einem baumelten Arm und vor Frost hinkenden Beinen aus dem Brunnen und wunderte mich, warum die Polizei die Irre im Schlafanzug noch nicht festgenommen hatte. Übrigens, nur fürs Protokoll, Vampire gibt es nicht. Anscheinend war ich noch nicht geistesgestört genug, da mir diese Tatsache einfiel.

Weit kam ich nicht, da der Mann meiner Träume plötzlich vor mir stand. Scheiße, im Fernsehen hatte er schon gut ausgesehen, aber live aus der Nähe haute es mich glatt um. Alle Sicherungen in meinem Hirn brannten durch. Schwarze Flecken bildeten sich, lagen bald auf meinem gesamten Sichtfeld und die Schwerkraft zog mich nach unten. Mein letzter Gedanke vor der willkommenen Ohnmacht war, dass ich beim nächsten Mal Socken anziehen sollte, wenn ich zu Bett ging.

***



Mick stellte sich, kurz vor dem Aufstehen, folgendes Interview mit einer Reporterin vor.

Frau: Mick St. John, danke, dass Sie heute zu uns gekommen sind.

Mick: Gern geschehen.

Frau: Also, wie ist es so, ein Vampir zu sein?

Mick: Vampir zu sein, nervt. Es mag wie ein schlechter Witz klingen, aber es ist die Wahrheit.

Frau: Und Sie trinken Blut?

Mick: Ist das ein Angebot? … Das war nur ein Scherz. Ja, ich hab da jemanden.

Frau: Sie meinen, so was wie einen Dealer?

Mick: Ja, eine Art Dealer.

Frau: Also beißen Sie nie jemanden?

Mick: Nein, nein. Nur wenn sie es wirklich wollen.

Frau: Schlafen Sie in einem Sarg?

Mick: Nein, das sind nur Horrorgeschichten. Ich schlafe in einer Kühltruhe. Und wo wir schon beim Thema sind, ich esse gern Pizza mit Knoblauch.

Frau: Schreckt es Sie nicht ab?

Mick: Es schreckt meine Dates manchmal ab. Schütten Sie geweihtes Wasser über mich, werde ich nass. Kruzifixe sind okay, wenn man auf so etwas steht. Oh … und ich kann mich nicht in eine Fledermaus verwandeln. Das wäre cool, oder?

Frau: Was ist mit Tageslicht?

Mick: Tageslicht ist nicht gut. Je länger ich in der Sonne bin, desto schlechter geht´ s mir.

Frau: Aber Sie gehen nicht in Flammen auf?

Mick: Nicht, wenn ich es vermeiden kann.

Frau: Wie kann man einen Vampir töten? Mit einem Holzpflock, nehme ich an?

Mick: Nein, das würde nicht ausreichen für einen Vampir. Flammenwerfer töten einen Vampir. Oder wir verlieren unseren Kopf. Ich meine das ganz wörtlich. Ansonsten heilt alles.

Frau: Sie wirken sehr nett, aber bringen Vampire nicht Menschen um?

Mick: Die meisten Vampire haben keine Skrupel oder Regeln, aber ich schon. Ich jage keine Frauen, ich jage keine Kinder. Ich jage keine Unschuldigen, aber es gibt Raubtiere da draußen, um die ich mich kümmern muss.

Frau: Sind Sie deshalb Privatdetektiv geworden?

Mick: So kann ich meine speziellen Fähigkeiten nutzen.

Frau: Haben Sie noch einen Rat für alle Möchtegern-Vampire?

Mick: Ja. Geht mir aus dem Weg.


Aber die Realität sah anders aus, er fragte sich oft, wie es wäre, wenn er die Gelegenheit bekommen würde, seine Situation zu erklären.

Mick gähnte und öffnete den gläsernen Deckel seiner Kühltruhe, worin er Tag für Tag schlief.

Mit einer eleganten Bewegung sprang Mick auf die kühlen Fliesen des Badezimmers, welches gleichzeitig sein Schlafraum war und ging in die geräumige Küche.




Er öffnete eine geheime Schiebetür hinter einem Bord mit Gläsern und holte sich sein Abendessen heraus, ach ja … es bestand aus Blut. Während Mick das Blut in einer Spritze aufzog und es sich selbst in den linken Arm verabreichte, sah er auf seinem Laptop die neuesten Gerüchte von Buzzwire, einem Internetnachrichtensender.

Das Menschenblut gelangte in seine Venen und Micks Eckzähne wuchsen als Reaktion darauf sofort in die Länge. Wieder einmal grübelte er über sein ungewolltes Schicksal nach. Er schlief allein. Er bewahrte seine Geheimnisse für sich, da Menschen nicht positiv darauf reagieren würden, wenn sie erfuhren, dass er untot war. Und es gibt noch etwas, womit er fertig werden musste. Wenn man ewig lebte, holte einen die Vergangenheit immer wieder ein.

Mick sah den Beitrag von Buzzwire mit Beth Turner, welche über ein tragisches Ende eines viel versprechenden Lebens berichtete. Er kannte die Reporterin aus seiner Vergangenheit, aber damals war sie noch ein kleines Mädchen. Schnell sprang er aus seinem bequemen Sessel hoch, da er zu ihr an den Tatort wollte, als ihm im Hintergrund des kleinen Beitragsfensters etwas auffiel.

Mick stutzte, denn wie aus dem Nichts stand hinter der blonden Nachrichtensprecherin plötzlich eine Frau im Brunnen. Das Ungewöhnlichste an ihr, außer ihrer Schlafkleidung, war ein Kissen, welches sie hochhielt. Mick neigte den Kopf und sah genauer hin. Sie starrte völlig verschreckt um sich, ihr langes schwarzes Haar dürfte im Normalzustand glatt sein und ihr bis unter die Brust reichen, aber nun stand es zerzaust in alle Richtungen.

Jetzt hielt Mick nichts mehr, in Vampirgeschwindigkeit war er im Nu am Tatort und konnte die Erscheinung mitten im Wasser nicht fassen. Die Polizei ignorierte sie, vielleicht weil sie so harmlos aussah und nun wusste er definitiv, dass sie ein Mensch war. Mit seinem extrem gut ausgeprägten Hörsinn, erfuhr er, dass das tote Mädchen im Brunnen eine Studentin aus dem Hearst-College war und durch zwei Einstichwunden am Hals getötet wurde. Auch bekam er mit, dass Beth Turner eine Riesenstory daraus machen wollte, in dem Vampire vorkamen.

Als die merkwürdige Frau im kalten Brunnenwasser ihn erblickte, gefror ihr Gesicht zu einer ungläubigen Maske und das Kissen fiel ihr aus der Hand. Mick beobachtete sie neugierig und fasziniert zugleich,
vor allem stach eines aus ihrem Gesicht besonders hervor. Ihre Augen. Diese ungewöhnliche Farbe zog ihn magisch an, eine Mischung aus gelb und ocker, welche nach außen hin immer heller wurde, umfasst von einem dunklen Rand.

Zuvor reglos wie eine Statue, kam nun Leben in ihren Körper, hektisch und mit weit aufgerissenen Augen, flüchtete sie vor ihm und der Polizei. Von einem unbestimmten Gefühl getrieben, bewegte er sich in übernatürlicher Geschwindigkeit auf sie zu und fing die ungewöhnlich bekleidete Frau am Rande des Brunnens ab. Sie blickte ihn geschockt, aber auch bewundernd an und diese Augen brannten sich in sein Gedächtnis. Sie war sehr schön, einen Kopf kleiner als er und dürfte in ihrer Blutlinie orientalische Vorfahren haben. Langsam glitt sie zu Boden, ihre langen geschwungenen Wimpern sanken herab und bevor sie ohnmächtig das Gras berührte, fing er sie auf.


Kapitel 2



Beth Turner wurde von Lieutenant Carl weggescheucht, daher beobachtete sie am Brunnenrand, wie eine Frau in die Arme eines Mannes sank. Aufgrund seines unsicheren Gesichtsausdruckes, aber auch aus Neugierde, ging Beth zu ihnen. Als sie den Mann aus der Nähe sah, hatte sie das Gefühl ihn zu kennen, Erinnerungen wollten an einer unüberwindlichen Barriere vorbei, aber vergebens.
„Kennen wir uns nicht?“, fragte sie und blickte ihn nach markanten Merkmalen suchend an. Vielleicht halfen ihr welche auf die Sprünge.

Mick lächelte geheimnisvoll. „Sagen Sie es mir.“
Beth kramte in ihrem Denkarchiv. „Sind Sie Polizist?“
„Nein.“ Mick schüttelte den Kopf.
„Reporter?“, fragte sie weiter.
Wieder verneinte er ihre Frage.
„Wir müssen uns schon mal begegnet sein, ich kenne Sie woher.“ Beth ließ nicht locker.
„Vielleicht habe ich auch nur eines dieser Gesichter“, antwortete Mick geheimnisvoll.

Beth beließ es dabei und fragte ihn: „Was gefällt Ihnen besser, >Vampirattacke schockt L.A.

***



Langsam kam ich wieder zu mir und dachte an den verwirrenden Traum. Das konnte nur ein Traum gewesen sein, denn Mick existierte nicht. Er war nur eine Figur in einer TV-Serie, leider! Als sanfte Finger meine Stirn berührten, erstarrte ich mitten in meinen Überlegungen. Entweder hatte jemand in mein Hotelzimmer eingebrochen und wollte etwas von mir, oder … was anderes fiel mir eigentlich gar nicht ein. Mutig schlug ich die Augen auf und mein Mund klappte nach unten. Vollkommen geschockt stellte ich fest, dass mein Traum noch nicht beendet war.
„Hallo, mein Name ist Beth!“, sagte die blonde Reporterin und lächelte mich besorgt an.

Ich konnte doch schlecht antworten, dass ich dies wusste, oder? Und plötzlich ging endlich der Knopf in meinem Hirn auf!
„Wo ist sie?“, fragte ich angriffslustig.
Beth sah mich verwirrt an. „Wer?“
„Na die Kamera!“ Was für eine dämliche Frage!
„Äh … die hat Steve schon im Wagen verstaut und ist bereits auf dem Weg zum Sender.“
„Na klasse, ihr habt bereits alles gefilmt?“ Ich riss vor Empörung meine Augen auf.
„Natürlich, in unserem Job ist Geschwindigkeit viel Geld wert.“
„Da habt ihr euch aber verkalkuliert, ich gebe nämlich nicht mein Einverständnis dazu!“, sagte ich aufgebracht.
„Wovon sprichst du eigentlich?“
„Von der versteckten Kamera! Ihr seid echt gut, ich habe es euch fast abgenommen und die Kleine im Brunnen kann auch wieder aufstehen“, antwortete ich gönnerhaft.
Okay, der Blick von der Beth-Schauspielerin machte mich etwas nervös.
„Mein Name ist Beth Turner und ich arbeite für Buzzwire, einem Onlinenachrichtensender. Dieses Mädchen kann nicht mehr aufstehen, da es tot ist und du läufst mitten in der Nacht barfuss durch Los Angeles“, fasste Beth zusammen.

Scheiße! Ich sah Beth dümmlich an und nickte dauernd mit dem Kopf. Irgendwie konnte ich damit nicht aufhören. Vermutlich war ein Nervenzusammenbruch im Anmarsch. Verdammt, wie zum Geier kam ich nach Los Angeles? Mein Hotelbett und mich trennte eindeutig ein Ozean. Nein, das war unmöglich! Ich zwickte mich in den Oberschenkel und schrie auf. Das tat weh! Ich war WACH! Meine Gedanken rasten, wenn ich wach war und vor mir Beth Turner kniete, dann … oh mein Gott! Mir ging es wie Tobey Maguire in Pleasantville. Er wurde auch beim Zappen in seine Lieblingsserie hinein gezogen. In Ordnung, ruhig bleiben! Jetzt nur nicht aufregen. Ich durfte mich auf keinen Fall ungewöhnlich benehmen, wer weiß was Beth sonst einfallen würde. Sie ließ mich womöglich in eine Irrenanstalt einsperren, oder ich wurde gleich wegen Mordes verhaftet. Schließlich saß ich hier am Rande eines Tatortes. Shona, lass dir schnell was einfallen, sonst siehst du dein Hotelbett in Edinburgh nie wieder.

„Hey, ich bin Shona und arbeite als Profiler. Freut mich dich kennen zu lernen!“, sagte ich nun schwungvoll und reichte ihr die Hand.
Verblüfft schüttelte sie diese und deutete auf mein Outfit.
„Oh ja, … anscheinend bin ich gestürzt, da ich mich weder an meine Adresse erinnern kann, noch wie ich hierher gekommen bin. Ich weiß nur noch, dass ich an einem Fall gearbeitet habe und da ich hier bin, ist es vielleicht dieser Mord?“ Klang ich überzeugend genug?
„Du weißt nicht wo du wohnst? Wie ist dein Nachname? Damit könnten wir deine Adresse herausfinden.“
„Äh … er liegt mir auf der Zunge, aber er ist momentan nicht greifbar!“, rief ich verzweifelt.
Und so fühlte ich mich auch. Nahm sie mir das ab? Wo sollte ich hin? Eigentlich sollte meine erste Tat ein Anruf in dem Hotel sein, aber ohne Geld und Ausweis würde ich nicht weit kommen.

„Du kannst solange bei mir wohnen, bis dein Gedächtnis wieder da ist“, schlug Beth vor.
Die Erleichterung rieselte mir den Rücken hinunter und hatte absolut nichts mit meinen eiskalten Füßen zu tun.
„Ich könnte dich küssen! Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin!“ Ich hatte das Gefühl, sie schon ewig zu kennen und ich musste mich wirklich zusammenreißen. Ein Lügengerüst konnte schneller zusammenfallen, als man das Wort Vampir aussprechen konnte.

***



Die restliche Nacht in Beths Appartement war kurz und brachte mich nicht weiter. Die Ungläubigkeit stand mir noch immer ins Gesicht geschrieben. Wir hatten uns noch über meine Situation unterhalten und beschlossen, dass ich einfach mit ihr an dem Fall arbeiten sollte. Irgendwann musste ja mein Gedächtnis wieder kommen. Wenn sie wüsste, dass es einwandfrei funktionierte und ich nur an Irrsinn litt, hätte sie mich vor die Tür gesetzt. Ich versuchte alle Erinnerungen an die erste Folge von Moonlight hervorzukramen, um als Profiler einigermaßen durchzugehen. Ich wusste nicht, wie weit ich den Handlungsablauf beeinflusste und hatte gehörigen Schiss davor. Dann fiel mir noch zu allem Überfluss ein, dass ich vielleicht in der Serie zu sehen war und bei dieser Vorstellung wurde mir schlecht.
Zum Glück war ich nicht in Rambo II gelandet.

Am nächsten Morgen gab mir Beth Kleidung. Ich war einen halben Kopf größer als sie, aber wir fanden trotzdem etwas Passendes. Wir trafen uns mit ihrem Kameramann Steve und fuhren noch einmal zum Brunnen. Sie stellte mich als eine Freundin vor und erzählte, dass ich privat an dem Fall ermittelte. Steve hatte mich in der Nacht nicht gesehen, daher akzeptierte er diese Geschichte.


„Komm schon Beth, die Leiche ist weg und die Polizei hat schon vor Stunden alles eingepackt. Was machen wir noch hier?“, quengelte Steve und lief uns hinterher.
„Wir suchen das Auto des Mädchens!“, antwortete Beth.
„Gut, und wer sagt, dass sie nicht gelaufen ist?“, fragte er weiter.
Und ich wusste schon, welches Auto dem Mordopfer gehörte. Von dieser Perspektive sah alles viel … echter aus. Ab und zu zwickte ich mich heimlich, da ich das alles noch immer nicht fassen konnte.
„Seht mal da. Eine Hearst-College-Parkbescheinigung“, rief Beth und rannte zur Fahrerseite, um die Plakette auf der Windschutzscheibe zu fotografieren.

Und da hing er! Auf dem Rückspiegel baumelte der Fledermausanhänger. Aber die Phiole fehlte. Okay, das war meine Stunde.
„Habt ihr schon den Anhänger am Spiegel gesehen? Ich fühle eindeutig, dass er ein Hinweis zum Mörder ist“, sagte ich geheimnisvoll.


Beth fotografierte ihn und wir fuhren zu Buzzwire. Während der Fahrt blickte ich aus dem Fenster und konnte den Anblick der Häuser noch immer nicht fassen. Los Angeles. Ich war noch nie in meinem Leben in Amerika gewesen und jetzt hatte mich das Schicksal gleich in eine andere Realität katapultiert. Wie sollte ich wieder in mein Leben zurückfinden? Mehrmals hatte ich bereits versucht, aus diesem Albtraum zu erwachen, aber es gab kein Entrinnen. Alles hier fühlte sich absolut real an. Der anfängliche Schock ließ langsam nach und die nackte Panik griff nach mir. Mein Verstand versuchte rational zu denken und ging eine To-do-Liste durch, auf der Dinge standen wie Ausweis, Geld und Wohnung. Aber schubweise überkam mich ein abgrundtiefes Grauen, das meine Hände zittern ließ und ich fragte mich dann, ob ich nicht eigentlich wirklich in eine Irrenanstalt gehörte. Aber bei diesem Gedanken sträubte sich alles in mir.

„Erzähl mir etwas über dich, vielleicht kommt dann die Erinnerung zurück“, sagte Beth plötzlich in das Schweigen.
Ich riss kurz meine Augen auf bei dieser Aufforderung, zwang mich aber ruhig zu bleiben. Was sollte ich ihr erzählen? Im Prinzip wusste ich nicht, welche Ausbildung ein Profiler hatte und welcher Behörde er unterstand. Mein spärliches Wissen darüber stammte aus dem Fernsehen.
„Äh … ich bin 29 Jahre alt und stamme aus Edingburgh“, stammelte ich.
Oh Mann, eigentlich war ich nur eine Chefsekretärin und liebte romantische Filme und Bücher. Wie sollte ich da überzeugend rüber kommen? „Und bin Single … glaube ich.“ Ich verdrehte die Augen und hätte mir am liebsten selbst eine Ohrfeige verpasst. Single? Wusste man den Familienstand überhaupt bei einer Amnesie?
„Schottland? Jetzt weiß ich, wo dein interessanter Dialekt her kommt. Wohnst du dort?“, fragte Beth neugierig nach.
„Ich glaube schon, zumindest habe ich das Gefühl, als ob ich nicht hierher gehöre!“ Ich versuchte meinen Sarkasmus bei den letzten Worten zurückzuhalten. Ich gehöre mit Sicherheit nicht hierher, hätte ich gerne laut geschrieen, aber ich hielt meine Klappe.
„Vielleicht können wir in der Redaktion etwas über dich herausfinden. Wir haben unsere speziellen Internetseiten, wo wir ganz brauchbare Informationen her bekommen. Wir schießen ein Foto von dir und gleichen es in der Datenbank ab.“
„Oh … eine gute Idee“, sagte ich wenig begeistert. Was war, wenn sie mich fand? Eigentlich konnte mir nichts Besseres passieren! „Das ist sogar eine ausgezeichnete Idee!“ Hoffnungsvoll lächelte ich sie nun an und betete für den Erfolg dieser Suche.

***



Staunend blickte ich mich in der Redaktion um, es sah kleiner aus als im Fernsehen und recht bunt. Wirr liefen Leute umher, überall läuteten Telefone und flimmerten Bildschirme. Ein Typ fuhr sogar auf einem Scooter im Büro herum, nur damit alles schnell zu seinem Bestimmungsort gelangte.
„Steve, mach mir bitte schnell ein Porträtfoto von Shona und schick es mir per Email. Kannst du mir auch die Parkbescheinigung von dem toten Mädchen überprüfen?“, fragte Beth ihren Kameramann.
Erfreut zwinkerte er mir zu und zückte seine Kamera. Ich hasste es, fotografiert zu werden und sah vermutlich gequält in die Kamera. Er drückte mehrmals ab und machte sich dann auf dem Weg zu seinem Schreibtisch.
Beth führte mich zu ihrem Platz und wir mussten eng zusammenrücken, damit wir beide vor ihrem Computer Platz fanden. Sie rief die passenden Seiten auf und gab meinen Namen und das Alter ein.
„So, jetzt warten wir noch auf dein Foto und dann schicken wir die Anfrage weg. Es wird eine Weile dauern, bis das System alles abgeglichen hat.“
„Okay, besser als nichts zu tun und ich danke dir noch einmal, dass du mir hilfst und mich bei dir aufgenommen hast!“, antwortete ich und war über ihre Hilfsbereitschaft mehr als froh.

Die Chefredakteurin kam zu uns. „200.000 Seitenabrufe bei deiner Vampirgeschichte und dabei ist die Story noch nicht einmal 24 Stunden im Netz“, sagte sie zufrieden. „Die Vampirperspektive war genial. War das deine Idee?“
„Ja, das fiel mir einfach so ein“, antwortete Beth.
„Sehr schön. Ich brauch was Wissenschaftliches dazu, einen Experten. Ich will die Geschichte ausbauen, mehr Realismus hineinbringen. Sind diese Vampire vielleicht unter uns? Bleib an der Story dran.“
Die Begeisterung ihrer Chefin konnte einen anstecken. Sie war wunderschön, ihre schokoladenbraune Haut makellos, das lange lockige Haar umschmeichelte sie und die Chefredakteurin wusste, was sie wollte.
„Und wer ist deine Begleiterin?“, fragte sie nun und musterte mich.
„Das ist Shona, sie hilft mir bei dieser Story. Sie hat eine gute Spürnase“, sagte Beth schnell.
„Okay, dann los mit euch. Mama sehnt sich nach neuen Storys!“ Und schon war sie wieder verschwunden.


***



Mick suchte seinen besten Freund Josef auf, einen der ältesten Vampire in L.A.
Josef Kostan wurde bald 400, lebte aber als 30-jähriger erfolgreicher Geschäftsmann und genoss sein Leben. Doch er war extrem vorsichtig und Mick fand ihn als Beispiel dafür, dass Paranoia niemals aus der Mode kam. Er setzte sich in dem weitläufigen Wohnzimmer auf eine weiche Ledercouch und blickte auf die Dachterrasse. Die gesamte Wand bestand aus Glas und man konnte den großen Pool im sanften Licht der untergehenden Sonne bewundern. Zwei nackte attraktive Frauen planschten im dampfenden Wasser. Im Raum befanden sich zusätzlich zur normalen Einrichtung vier große Bildschirme, vor denen jeweils Mitarbeiter saßen und das Imperium von Josef überwachten.



„Du siehst gut aus. Trainierst du? Ein bisschen was?“, fragte Josef und drehte sich zur Fensterfront um. „Hast du die Nachrichten gesehen? Diese schreckliche Sache in West Hollywood? Vampirattacke schockt L.A. …“
„Ja ich weiß, es ist nicht gut für uns“, versuchte Mick ihn zu beruhigen.
„Das bedroht unser Geheimnis. Wo sind wir, im Jahr 1720? Wir sind diskret. Wir lassen keine Leichen herumliegen. Wir müssen jetzt wachsam sein. Wir leben im Zeitalter der Fingerabdrücke, der DNS-Tests …“ Aufgebracht lief Josef nun herum und redete sich
immer mehr in Fahrt.
„Josef, ganz ruhig!“
„Ich bin ruhig. Total ruhig. Du bist erst 90 und noch nie von einem Fackel tragenden Mob gejagt worden. Hast du Hunger? Möchtest du eine flüssige Erfrischung?“ Josef hatte seine Hände in seiner teuren Stoffhose vergraben und grinste herausfordern.
„Nein danke.“ Mick saß entspannt auf dem Sofa als eine dunkelhaarige junge Frau herein kam und zu Josef ging.
„Bist du sicher? Sie ist köstlich. 82 ist ein gutes Jahr.“ Josef lächelte die schlanke Schönheit im blauen Kleid an.
„82 waren wir doch beim Superbowl, oder? In dem Jahr hast du doch eine Million in Cincinnati verloren, richtig?“ Mick stand schmunzelnd auf.
„Abgesehen davon!“ Josef verlor sein Lächeln nicht da er wusste, dass Mick ihn nur provozieren wollte.
„Ja.“ Mick wurde beim Anblick der willigen Frau etwas nervös und wandte sich ab.

„Du betrügst dich selbst, wenn du glaubst, dass du immer mit diesen Blutkonserven durchkommst.“ Josef ging seinem Freund nach und versuchte auf ihn einzuwirken.
„Ich schaff das!“
„Ja, jetzt noch. Aber du kämpfst einen Kampf, den du nicht gewinnen kannst. Denn früher oder später wird der Vampir in dir sein Recht fordern, verstehst du. Und was dann?“ Eindringlich sah er Mick in die Augen.
„Machs gut, Josef.“ Mit einem gutmütigen Grinsen klopfte Mick ihm auf den Oberarm und ging. Er wollte seiner Mahlzeit nicht beiwohnen, da der Duft des warmen, frischen Blutes ihn umstimmen könnte.

Und wieder konnte der ältere Vampir ihn nicht überreden. Als dieser sich umdrehte und das verführerische Handgelenk sah, veränderten sich seine Augen. Die braune Farbe wich einem kalten Eisblau und die Eckzähne wuchsen in die Länge. Genießerisch zog Josef das Aroma der Haut ein und biss herzhaft in die Innenseite des Unterarms. Die Frau warf ekstatisch ihren Kopf zurück und stöhnte.


Kapitel 3



Mick trat durch die große Schwingtüre im Keller des Krankenhauses, in dem sein Bekannter Guillermo arbeitete. Der vertraute Geruch von Desinfektionsmittel schlug ihm entgegen, doch dieser konnte, für seine feine Vampirnase, den Gestank von Leichen nicht überdecken. Guillermo handelte mit Blut und Informationen und in dieser Nacht brauchte Mick beides. Geräuschlos näherte er sich der Glasfront und beobachtete den kleinen, südländisch aussehenden Mann, wie er gerade das frisch abgezapfte Blut eines Toten kostete. Sofort überlagerte der Geruch des Blutes alles andere und Mick wurde davon magisch angezogen. Guillermo hatte ihm den Rücken zugekehrt, doch Mick ließ sich von seiner angeblichen Ahnungslosigkeit nicht täuschen.
„Hey Mick, was kann ich für dich tun?“, fragte Guillermo und drehte sich grinsend um. Man konnte sich nur schwer an Vampire anschleichen, da ihre sensiblen Sinne alles um sich wahrnahmen.
„Du trinkst während der Arbeit?“
„Einer oder ein Six-Pack?“ Guillermo ignorierte Micks Frage.
„Gib mir den Sechser.“
„Ohoo … durstig, Mann?“ Lächelnd trat er zu seiner Kühltruhe und nahm die Blutbeutel heraus. „Ich weiß nicht, warum du das A-Positiv so magst. Das 0-Positiv hat doch einen viel besseren Nachgeschmack.“
„Ich würde gerne die Leiche des Mädchens vom Design-Center sehen.“ Rasch ließ Mick die Beutel in einer Tasche verschwinden.
„Das dachte ich mir schon.“ Guillermo öffnete die Tür der Kühlkammer des toten Mädchens und zog die Bahre heraus. Mick trat nah an die Leiche heran und zog ihr individuelles Aroma in sich auf. Sofort sah er schemenhaft die letzten Augenblicke ihres Lebens vor sich. Eine dunkle Gasse, Angriff von hinten und Tod. Die Bilder folgten rasch aufeinander und vermittelten ihm Eindrücke von Gewalt.
„Es gibt keinen Vampirgeruch“, sagte Mick überrascht.
„Ich weiß. Die Halsschlagader wurde durchtrennt.“
„Wie viel Blut hat sie verloren?“, fragte Mick abwesend, während er ihren Hals genauer untersuchte.
„Sie ist verblutet. Bei 40% Verlust gibt das Herz auf.“
„Ein Vampir hätte sie ausgesaugt. Das sind keine Bisswunden, sie sind zu glatt.“ Mick nahm den Totenschein, der neben der Leiche lag und las den Namen und die Adresse des Mädchens.
„Sie hat auch ein Stoßtrauma um die Wunde und sie hat am Hals eine Einstichstelle.“ Man sah Guillermo an, dass er den Tod dieses Mädchens als Verschwendung betrachtete.
„Ruf mich an, wenn du noch etwas findest.“ Mick hatte was er wollte und verließ den Raum.
„Oh klar, ich arbeite ja für dich!“, rief ihm Guillermo sarkastisch nach.

Mick fuhr in seinem 1960er Mercedes durch die dunklen Straßen Los Angeles zu der Adresse der toten Studentin und dachte über das Leben nach. Er hatte sich nie großartig um andere gekümmert, da er mit sich selbst viel zu beschäftigt war. Aber vor 22 Jahren hatte er einen Fall angenommen, der sein Leben für immer verändert hatte. Damals war eine verzweifelte Frau in sein Büro gekommen und hatte ihn weinend um Hilfe angefleht. Sie zeigte ihm das Foto ihrer kleinen Tochter, die entführt wurde. Einige Fälle gingen ihm nahe und dieser war einer davon. Er hatte damals das Zimmer des kleinen Mädchens untersucht und von ihrer Mutter erfahren, dass die Polizei nach zwei Tagen noch immer keine Spur von ihr vorweisen konnte. Opfer hinterließen immer Spuren, man musste sie nur finden.

***



„Warum wusste ich, dass du hier her fahren wolltest?“, flüsterte ich und sah Beth dabei zu, wie sie das Schloss der Zimmertür knackte.
„Gute Reporter müssen ihrer eigenen Spur folgen. Wenn ich jedes Mal auf Informationen der Polizei warten würde, dann hätte ich nur Nachrichten von vor 2 Wochen und das ist einfach inakzeptabel.“
Oh, sie war wirklich gut. In kürzester Zeit war die Tür offen und sie verschwand leise in der Studentenwohnung des toten Mädchens. Was sollte ich nur tun? Ich wusste mit 100%iger Sicherheit, dass Mick St. John bereits in der Wohnung war. Ich könnte inzwischen hier warten und Schmiere stehen. Was redete ich da? Ich wusste natürlich, dass niemand kommen würde.
„Shona?“, rief Beth leise von drinnen.
Lieber Gott, warum ich? Vorsichtig stieß ich die Tür auf und sah Beth mit einer Taschenlampe herum schnüffeln. Langsam trat ich ein und schloss die Tür hinter mir. Meinen einzigen Fluchtweg. Was würde passieren? Meine Nerven lagen blank. Ich hörte meinen Pulsschlag in den Ohren dröhnen und ich hatte eiskalte Hände. Mein Magen krampfte sich zusammen und ich suchte schon nach einem geeigneten Behälter, falls ich mich übergeben musste.
„Ich weiß, dass du da bist, Mick St. John“, flüsterte ich und sah in alle dunklen Ecken.
„Steh dort nicht so rum, hilf mir lieber und sieh dich um!“ Beth machte sich am Schreibtisch zu schaffen und durchwühlte die Lade.
Zögernd ging ich Schritt für Schritt von der Tür weg. Ich musste fast gegen eine jäh auftretende Lähmung in meinen Beinen kämpfen. Was war das? Hatte ich gerade einen Schatten vorbei huschen gesehen?

Und plötzlich stand er vor mir. Ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und die Lähmung hatte meinen gesamten Körper erfasst. Konnten Vampire zaubern? Fieberhaft versuchte ich mich an eine solche Gabe in der Serie zu erinnern, aber mein Hirn arbeitete nur träge bis überhaupt nicht. Er beobachtete mich nur neugierig und wartete offensichtlich, dass ich wieder in Ohnmacht fiel. Und dieser Umstand könnte durchaus wieder eintreffen, wenn ich mich nicht bald zusammen riss. Er sah einfach göttlich in seinem dunkelgrauen TShirt, dunklem Sakko und dem hellen Lichtfleck auf seinem Kinn aus. Ein hysterisches Lachen wollte meinen Mund verlassen, als mir auffiel, dass meine Taschenlampe diesen Lichtfleck verursachte. Verkrampft hielt ich mich mit beiden Händen an ihr fest und hoffte, dass mein Gesicht nicht ganz so verzerrt war, wie ich befürchtete. Ich beobachtete das zittrige Licht auf seinem Bartschatten und der Druck in meinem Magen wurde immer größer. Er zog eine Augenbraue hoch, als ob er auf eine Erklärung von mir wartete.
„Ich liebe dich …“ Scheiße, hab ich das gerade geflüstert? Wenn nicht, dann hatte jemand die gleiche Stimme wie ich. Shona, bist du des Wahnsinns? Von allen guten Geistern verlassen? Und ich hatte dies definitiv gesagt, denn seine andere Augenbraue fuhr ebenfalls in die Höhe.
„… dichten Nebel. Ich mag dichten Nebel“, stammelte ich und am liebsten wollte ich im Erdboden versinken. Ich drehte mich um und zog eine Grimasse, die meine ganze Peinlichkeit, Verzweiflung und Wut über mich selbst ausdrücken sollte. Als ich mich unerwartet selbst im Spiegel sah, mein Gesicht hell erleuchtet von meiner Taschenlampe und ihm dabei in die Augen blicken konnte, wollte ich sterben. Doch plötzlich knallte eine Vase auf seinen Kopf.
„Autsch!“, sagte er herausfordernd und drehte sich zu Beth um, die ihn mit Tränengas bedrohte.

„Sie waren am Tatort“, stellte Beth überrascht fest, als sie ihn wieder erkannte.
„Vorsicht mit dem Tränengas, okay?“
„Stehen bleiben! Shona, geht’s dir gut?“
Sie warf mir einen schnellen Blick zu, aber ich war unfähig zu antworten. Inzwischen hatte ich die Taschenlampe ausgeschaltet und die Hitze in meinem Gesicht sagte mir, dass dies auch gut so war. Ich konnte mir einfach eine Steigerung meiner Blödheit nicht vorstellen und war mehr als froh, dass Beth nun das Kommando übernommen hatte.
„Ich tue euch beiden nichts“, sagte Mick mit dieser angenehm melodischen Stimme.
Unfassbar, aber die Glut in meinem Gesicht vermehrte sich noch weiter. Seine Stimme löste kribbelnde Schauer auf meiner Haut aus und ich schloss hoffnungslos meine Augen. Konnte es möglich sein, dass mein Irrsinn sich auf meine Intelligenz ausgewirkt hatte? Erstens: Hatte noch nie ein Mann eine solche Reaktion bei mir hervor gerufen und Zweitens: Konnten alle Gehirnzellen auf einmal ausfallen? Ich hoffte nicht, da ich dringend meinen Verstand wieder brauchte und die Kontrolle über meinen Körper.

„Woher wissen wir, dass Sie nicht der Killer sind?“, fragte Beth misstrauisch.
„Weil ich sie nicht getötet habe.“
„Das stimmt! Äh … ich meine, er passt nicht in das Profil des Mörders“, sagte ich schnell.
„Was tun Sie dann hier?“ Beth ließ nicht locker und das Tränengas blieb weiterhin auf ihn gerichtet.
„Ich bin Privatdetektiv.“ Mick wirkte so gelassen und ich wusste, dass er das nicht spielte. Er hatte von uns nichts zu befürchten. Was konnten zwei normale Frauen schon gegen einen Vampir ausrichten?
„Zeigen Sie uns Ihren Ausweis!“, forderte Beth und als er daraufhin lächelte, schnappte ich nach Luft. Er sah mich neugierig an, als er Beth den Ausweis zeigte.
„Mick St. John?“
Sein Lächeln wurde breiter und ich hatte das Gefühl, zu ersticken.
„Entschuldigt mich, Leute!“ Ich wartete keine Antwort ab, ich musste hier raus. Wenn ich nur eine Sekunde länger in seiner Gesellschaft blieb, dann würde ich platzen. Ich stürzte aus dem Zimmer und machte erst vor dem Haus halt. Ich klammerte mich an einen Baum und übergab mich. Langsam ließ der Aufruhr in mir nach und hinterließ ein Häufchen zitterndes Elend. Ich wollte nach Hause! Ich wollte zurück nach Schottland. Ich wollte in mein normales Leben. Dort geschah nichts Unvorhergesehenes, dort gab es nichts Aufregendes und vor allem gab es dort keinen absolut hinreißenden Vampir.

***



„Ich dachte, Sie kennen sie nicht.“ Mick drehte sich um und sah sich im Zimmer um. Endlich konnte er sich wieder auf den Fall konzentrieren. Diese goldenen Augen hatten ihn gefangen genommen und ihm einen Schlag auf den Kopf beschert. Seit sie vor der Tür aufgetaucht war, hatte er ihren rasenden Herzschlag vernommen. Dieser hatte sich deutlich von dem der Reporterin unterschieden, der viel langsamer ging. Als sie seinen Namen geflüstert hatte, waren ein paar Sicherungen bei ihm durchgebrannt. Ohne zu überlegen, war er zu ihr gegangen. Eigentlich hatte er vorgehabt, sich so lange im Schatten zu verstecken, bis die beiden wieder verschwunden waren. Aber diese Frau hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ihr Gesicht war wie ein offenes Buch, deutlich hatten sich ihre Emotionen darauf abgezeichnet und trotzdem war sie für ihn undurchschaubar. Er hatte sich wirklich mühsam das Lachen verbeißen müssen, als er ihre geschockte Miene im Spiegel sah. Sie war mehr als nur interessant und weckte etwas in ihm, dass nicht sein durfte. Sie war ein Mensch und er ein Vampir.
„Shona? Ich kenne sie auch nicht, aber hätte ich sie dort im Park so liegen lassen sollen? So wie Sie? Hätte ich auch so herzlos reagieren sollen?“
„Sie waren da und das ist auch besser so, glauben Sie mir.“
„Wollen Sie nicht wissen, wer ich bin und was ich hier tue?“, fragte Beth.
„Sie sind Beth Turner. Sie arbeiten für Buzzwire. Sehr unterhaltsam.“
„Buzzwire ist nicht nur Unterhaltung, es ist schonungslos, investigativ und … okay, etwas sensationslüstern.“
„Und Sie sind wohl das Beste.“ Mick entdeckte einen ungewöhnlichen Schmuck.
„Das Beste?“, fragte Beth irritiert.
„Das Beste was sie haben.“
„Oh … danke.“ Beth freute sich über dieses Lob und folgte ihm, als er einen Anhänger aufhob. Sofort kehrte ihr Reporterspürsinn zurück, als sie die silberne Fledermaus wieder erkannte. „Wir haben so etwas im Auto des Opfers entdeckt.“ Beth kramte ihr Handy hervor und suchte das Foto vom Rückspiegel. Die Anhänger sahen identisch aus.
„Ägyptische Hieroglyphen. Das Zeichen eines antiken Blutkults.“
„Blutkult? Reden wir hier über Vampire? Ich weiß, dass es sie nicht gibt. Aber irgendwie schien dieses Mädchen eine Schwäche für Vampire gehabt zu haben.“ Beth sah sich noch einmal im Zimmer um. Es war voll von Gothic-Dekoration, Kerzen und dunklen Farben.
„Ja, die sind im Moment angesagt. Wissen Sie, manche finden sie sogar attraktiv.“ Mick musste dabei an Shona denken. Shona. Ein nicht alltäglicher Name. Er hatte deutlich an ihrer Reaktion ablesen können, dass sie ihn mehr als attraktiv fand und das freute ihn irgendwie. Und diese Freude war untypisch für Mick. Er hatte seit über 20 Jahren keine feste Beziehung mehr gehabt, denn seine letzte Partnerin hatte diesen Wunsch in ihm abgetötet. Mick entfernte eine Phiole aus dem Fledermausanhänger und roch daran.
„Was ist das?“, fragte Beth.
„Blut.“
„Wir sollten das der Polizei aushändigen.“ Dies war ein Beweisstück und Beth wollte mehr darüber wissen. Plötzlich klingelte Beths Telefon. Sie wandte sich ab und nahm den Anruf entgegen. „Hi Schatz. Josh, ich bin gerade bei einer wichtigen Sache. Kann ich dich zurückrufen?“
Mick nahm die Beweisstücke und verschwand lautlos aus dem Raum.
„Okay, machs gut.“ Beth lächelte und drehte sich wieder um. Sie stellte fest, dass sie alleine im Raum war.

***



„Dieser verdammte Kerl!“, schimpfte Beth, als sie auf mich zukam.
„Ihr habt die Phiole gefunden, oder?“, fragte ich.
„Woher weißt du das? Ja. Und dieser Mistkerl hat das Beweisstück mitgenommen. Weißt du was in der Phiole drin war?“
„Blut.“
„Shona! Hast du mit ihm gesprochen?“, rief Beth ungläubig.
„Nein, ich dachte mir so etwas schon.“ Ich hatte es schließlich im Fernsehen gesehen.
„Wow, du bist gut!“ Beth war beeindruckt.
Aber wenn sie wüsste, woher ich meine Informationen bezog, dann Gnade mir Gott.
„Was war übrigens vorher los mit dir?“
„Äh … mir war etwas zu warm. Ich brauchte frische Luft. Es tut mir leid, dass ich dich mit dem Privatdetektiv alleine gelassen habe, aber ich wusste, dass er dir nichts tut.“
„Kein Problem. Er hat nur die blöde Angewohnheit, dass er plötzlich verschwindet und das bringt mich auf die Palme.“ Beth stampfte wütend mit dem Fuss auf.
„Wenn es nur das wäre“, murmelte ich.

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Texte: Disclaimer: Diese Fanfiction wurde nicht zu kommerziellen Zwecken verfasst. Die Serie Moonlight und die in ihr vorkommenden Personen und Handlungsorte gehören den verantwortlichen Produzenten und Autoren. Alle Charaktere die ich erfunden habe, ebenso Handlungen, welche über ursprüngliche von den Autoren erdachten Szenen hinausgehen, gehören mir.
Tag der Veröffentlichung: 06.06.2010

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