„Wieso darf ich nicht raus? Ich will wie die anderen Kinder draußen spielen!“ „Du weißt, dass das nicht geht Katja. Bleib artig hier drin.“ „Wieso immer ich?“
Die Kinderklinik in dem kleinen Dorf war für die 10-jährige Katja ein Albtraum. Sie musste oft mit ansehen, wie ein Kind nach dem anderen entlassen wurde. Nur sie durfte nicht. Auch nach draußen konnte sie nicht. Das Krankenhaus war für sie ein Gefängnis. „Darf ich denn nicht mal kurz raus? Frische Luft würde mir gut tun!“, sagte Katja, während sie zum verschlossenen Fenster, dass von blauen Vorhängen versteckt wurde, rüberschaute. Die Krankenschwester sah sie traurig an. „Du weißt doch die Antwort“, sagte die Krankenschwester, während sie zum Krankenbett des Mädchens ging. „tu es mir doch nicht noch schwerer. Bitte Katja“ Sie legte ihre Hand behutsam auf die Schulter des Mädchens. Katja wollte sie nicht ansehen. Sie kannte diese Krankenschwester gut. Sie war dabei als sie vor fast fünf Jahren eingeliefert wurde. Ihr Name ist Anna. Damals war sie 22 Jahre alt, jetzt ist sie ungefähr 27. Sie konnte sich immer über alles mit ihr unterhalten. Nett war sie, doch trotzdem wollte sie weg von hier.
„Heute ist mein 10. Geburtstag. Nur heute, nur kurz“, sagte Katja. Sie schaute hoffnungsvoll hoch. Doch bekam sie wie immer nur ein Kopfschütteln. „ich darf dich nicht rauslassen. Es ist zu deinem eigenen Besten!“ Annas Stimme wurde lauter. Sie war den Tränen nah. Sie schaute nach unten. Katja sah sie an. Katja wusste das alles, doch sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Sie erinnerte sich nicht an die Welt außerhalb des Krankenhauses. Katja war gerade einmal mehr als vier und ein halb Jahre alt, als sie in dieses Krankenhaus eingeliefert wurde. Seit dem durfte sie nicht raus. Sie hatte eine schlimme Herzkrankheit. Diese war auch unbekannt. Man konnte auch sie auch nicht heilen oder operieren. Aus Angst, dass sie wieder einen Anfall bekommt, muss sie hier im Krankenhaus bleiben. Ihre Eltern starben kurz danach. Katja hat noch einen älteren Bruder. Er lebt im Kinderheim. Ihr Bruder Lukas ist 15 Jahre alt und darf in ein paar Jahren raus. Gesehen hatte sie ihn das letzte Mal an ihrem siebten Geburtstag. Danach kam er nicht mehr zu Besuch Auch Verwandte kamen nicht zu ihr. Freunde hatte Katja außer Anna nicht. Sie war ganz allein.
Doch sie gab die Hoffnung nicht auf. Sie wollte wieder gesund werden. Sie wollte laufen, springen, die Welt sehen, ihren Bruder besuchen und so viel mehr, was ihr das Krankenhaus und ihre Krankheit nahmen. Aber am meisten wollte sie sich selbst und der Welt und allen, die an ihrer Genesung zweifelten beweisen, dass sie gesund werden kann.
„Anna“, sagte Katja, als Anna aufstand und gerade rausgehen wollte, „hast du einen großen Traum?“ „Einen Traum? Wie kommst du denn darauf?“, fragte Anna. Katja sah die hinter den Vorhängen versteckten Fenster an. „Nur so“, gab sie kurz zur Antwort. Katja bohrte in der Frage rum: „Also, hast du einen Traum?“ Anna lies die Türklinke los, die sie aufmachen wollte, bevor Katja sie fragte und die sie so hielt. Anna sah sie an. „Und du?“, fragte sie nach langem Schweigen. Katja drehte sich zu Anna rüber. Sie lächelte. „Ja habe ich“ Anna sah sie mit bemitleidenderen Augen an, bemitleidender als sonst. „Deine Genesung?“, fragte sie das kranke Mädchen, dass fast immer wie jetzt in ihrem Bett lag. „Nicht ganz“, sagte sie, „ich würde mir etwas anderes wünschen“ Anna war leicht verwirrt. „Und was wäre das, wenn nicht wieder gesund zu werden?“ Katja lächelte auf diese Frage wieder.
Sie hob ihre Arme. Ausgestreckt und waagerecht schwebten sie in der Luft. Sie legte ihren Kopf in den Nacken und schaute so zur Decke. Dann schloss sie die Augen. „ich möchte fliegen können“, sagte Katja fröhlich. Anna war leicht geschockte. Leise aber hörbar fragte sie: „Was? Fliegen?“
Das kranke Mädchen hatte ihre Hände immer noch oben und ihre Augen waren immer noch oben und ihre Augen waren immer noch geschlossen. „Ja“, sagte sie immer noch froh, „Ich will fliegen. Und weißt du wohin?“ Ohne eine Antwort der Krankenschwester abzuwarten, antwortete sie: „Übers Meer. Ich möchte gerne übers Meer fliegen“ Katja öffnete die Augen, hielt aber die Arme immer noch gestreckt. Sie sah die verwirrte Frau an. „Denkst du ich schaffe es?“ Voller Freude sah sie die Frau an. Sie jedoch schüttelte den Kopf. Immer wieder flüsterte sie „Nein“. Mehrmals sagte sie nein, mit jedem mal etwas lauter. Sie lief zu dem Mädchen hin, griff sie mit den Händen an die Handgelenken. Ihre Augen wurden nass. Sie weinte.
„Katja, sieh es realistisch“, schrie sie das Mädchen an. „Du wirst nicht wieder gesund und das weißt du. Hör auf zu träumen. Das macht dich doch nur trauriger. Sieh der Realität ins Auge: Du bist krank und schwach und wenn du nicht hier im Krankenhaus wärst, wärst du längst tot“
Das Wort „tot“ hallte durch das Zimmer. Anna weinte. Sie wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen, die sich eh nicht erfüllen. Das wäre für sie nur noch schmerzhafter. Katja sah sie traurig an. Anna stand wortlos auf und ging. Katja schaute nach unten. Die Tür ging auf und schließe sich ohne zu Zögern. Katja hörte die Schritte von Anna, die sich entfernten. Wieder war sie allein, wie fast immer in den letzten fünf Jahren. Anna hatte schon Recht, sie war krank und schwach. Doch was war dagegen einzuwenden, wenn man träumt? Katja wusste selbst, dass sie Prozentzahl, dass sie wieder gesund wird, sehr niedrig ist. Doch sie wollte nicht aufgeben.
Katja sah ihre Hände an, sie eben von Anna festgehalten wurden und die sie in die Realität zurückholten. Man konnte leicht die Abdrücke von Annas Händen sehen, so fest hatte sie sie festgehalten. Katja schlug die Decke zur Seite. Zuerst den einen, dann den anderen Fuß zog sie aus der Bettdecke. Langsam versuchte sie aufzustehen. Wenn Anna oder eine der anderen Krankenschwester hier wären, hätten sie jetzt bestimmt geschrieben. Sie durfte alleine nicht versuchen aufzustehen, da sie meist stürzt, wenn sie es ohne Hilfe probiert.
Wackelig saß sie da. Langsam versuchte sie aufzustehen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, da sie sich nicht mehr erinnerte, wann sie ohne Hilfe normal wie jedes andere Kind aufstand. Da sie auch kaum was aß, war sie sehr dünn, wie die Krankenschwester sagen, sogar mager. Ihre Beine taten bei dem Versuch aufzustehen sehr weh. Katja fing an zu keuchen. Wackelig stand sie da. Nur ihre Hände stützen sie noch. Dann schob sie ihre Hände von der Bettkante und nahm sich so den sicheren Halt. Katja stand seit Jahren wieder alleine da.
Für sie war das ein aufregendes Gefühl. Dann hob sie ihren rechten Fuß und probierte zu gehen. Einen Schritt ging sie, noch einen. Obwohl sie vor Mühe und Anstrengung keuchte, freute Katja sich. Sie ging noch einen kleinen Schritt. Plötzlich knackte ihr rechtes Knie um und Katja stürzte zu Boden. Katja lag auf dem Boden. Der Boden war kalt, da es erst Frühling war und sie spürte einen dumpfen Schmerz durch den Aufprall. Mit ganzer Kraft versuchte sie aufzustehen. Dann kam Anna reingelaufen, da sie etwas gehört hat.
„Katja“, rief sie. Sie lief zu ihr rüber und hob sie in ihr Bett zurück. „Was machst du nur“, fragte sie mit besorgtem Gesicht, als sie das Mädchen wieder zu deckte. Katja schaute nach unten. Sie wollte aus eigener Kraft wieder aufstehen und sich nicht helfen lassen! All das Glück von eben war verschwunden. Sie fühlte sich wieder enttäuscht und schwach.
Durch die Überhütung fühlte sie sich schwach. Als könnte sie alleine nichts ausrichten. Ihr war klar, dass sie sich sorgen machen, aber das wollte sie nicht. Sie wollte es schaffen, alleine. Wenn ihr in den letzten fünf Jahren niemand geholfen hat, dann braucht sie die Hilfe jetzt auch nicht. Traurig schaute sie auf ihre Decke. In Annas Gesicht wollte sie nicht sehen. Sie wusste was sie jetzt denkt, am liebsten sagen würde, wie sie sie jetzt ansah.
„Katja“, fragte Anna mit leiser Stimme. Die zerzauste und traurige Stimme von vorhin war weg. Anna klang jetzt sanft, wie eine besorgte Mutter. „Wieso hast du das gemacht?“ Katja konnte nicht antworten. Was hätte sie auch sagen sollen? Anna hätte das nicht verstanden. Niemand hätte das verstanden. Nachdem nach längerem Schweigen keine Antwort kam, stand Anna auf und ging raus. Leise schloss sie die Tür, nachdem sie noch mal rüber zum Mädchen geschaut hatte. Katja saß noch eine Weile so. Bewegungslos. Sie hörte das Ticken der Uhr. Dann schaute sie zur Uhr. Es war kurz nach elf Uhr. Katja sah rüber zum verschlossenen Fenster. Immer noch war es verdeckt, immer noch spottete es, dass sie nicht raus durfte, immer noch war es dunkel und düster im Zimmer, immer noch war sie hier drin.
Tag der Veröffentlichung: 25.11.2008
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Widmung:
für meine Eltern