Elfenschatten
Schaurige Gestalten hasten durch die Straßen.
Lachen und klopfen an alle Türen in den Gassen.
Süsse Geschenke gibt es – wie kann das geschehen?
Ja, das kannst du zu Halloween sehen.
Doch nicht nur Spaß passiert allein,
diese Nacht, sie heißt auch Samhain.
Es zerreißen zwischen den Welten die Schleier.
Die Ahnen kommen zu einer Totenfeier.
Aber nicht allein sie finden den Weg hierher
Auch für and’re Wesen und Böses ist es nicht schwer
Und wenn du es liebst, dich als Dämon zu verkleiden
So kannst du doch eines nicht vermeiden
Denk dran, wenn in dunkler Nacht
Der Schatten an die Türe pocht
Brennt mit aller Macht
Herunter auch dein Lebensdocht.
***
Nun hört von dieser Nacht zu Samhain.
Ein Junge sitzt am Computer allein.
Am Fenster halten leuchtende Kürbisfratzen Wacht.
Im Spiel schlägt er mit Rittern und Elfen eine virtuelle Schlacht.
Er seufzt: „Was gäb’ ich, könnt ich leben in diesem Zauberland!“
Sein Großvater kommt, schaut zu, hebt die Hand.
Will begreifen das Spiel, fragt: „Hast du jemals wirklich den Tod gesehen?“
Es spritzt das Blut, der Feind ist besiegt, das Spiel ist geschehen.
Der Enkel lacht: „In diesem Land bin ich ein Elfenritter,
vergieße das Blut der Feinde, für die ist das bitter!“
Der Großvater sagt: „Sei froh, du kennst keine echte Not!
Gut, dass diese Welt nur Schein, mit ihrem grausamen Tod!
Denn denk dran, wenn in dunkler Nacht
Der Schatten an die Türe pocht
Brennt mit aller Macht
Herunter auch dein Lebensdocht!“
Der Enkel sagt: „Großvater, das ist ein Spiel, ein Scherz!“
Dieser sinkt plötzlich vom Stuhl, fasst sich ans Herz.
Ein Schatten fegt heulend am Fenster vorbei.
Der Junge eilt in Panik herbei.
„Zu Hilfe!“ ruft er in höchster Pein.
Aber Großmutter und Eltern sind aus. Er ist allein.
So läuft er hinaus in die dunkelblaue Nacht.
Es ist Samhain, die Anderswelten ergreifen die Macht.
Und dann sieht er den schwarzen Ritter stumm auf seinem Rappen sitzen
Aus der Lederscheide holt der sein Schwert, lässt es blitzen.
Der Junge weint: „Tut mir so leid, dass ich gespielt mit Blut und Graus.
Der arme Großvater, und nun auch ich, es ist aus.
Denn wenn in dunkler Nacht
Der Schatten an die Türe pocht
Brennt mit aller Macht
Herunter unser Lebensdocht!“
Da plötzlich, hinter den Bäumen wird es hell,
Ein weißes Einhorn kommt auf ihn zu, ganz schnell.
Auf ihm reitet eine Fee mit langem goldnem Haar.
Ein Silberkleid mit Edelsteinen, wunderbar.
An der Seit’ ein Schwert und leuchtend ein violablauer Blick.
Sie hebt die Hand, der schwarze Ritter weicht zurück.
Sie steigt ab, schreitet auf den Jungen zu
„Wir schaun jetzt nach IHM. Der Dunkle lässt uns in Ruh’!“
Der Enkel will schreien,
Aber sie befiehlt ihm still zu sein.
„Du hast doch Spaß an Mord und Tod, du tapferer Gesell’,
Jetzt halte den Mund - und zwar schnell.
Nun siehst du, wenn in dunkler Nacht
Der Schatten an die Türe pocht
Brennt mit aller Macht
Herunter auch dein Lebensdocht!"
Der Großvater liegt ganz stumm und bleich
Die Fee nimmt eine Phiole, benetzt seine Lippen sogleich.
Plötzlich wird sein Haar dunkel, die Gestalt straff, stark und voller Blut,
Die Augen öffnen sich in violablauer Glut.
„So sehen wir uns wieder!“ sagt er zu seiner Retterin.
Sie nickt und reicht die Hand ihm hin.
Der Enkel ist verwirrt, beginnt zu fragen.
Sie sagt: „Er war einst Ritter in meinem Land in frohen Tagen!
Wir kämpften Seit’ an Seit’, tanzten im Wald, im Schlosse darin,
Ja, wie du mich hier siehst, ich bin die Elfenkönigin!
Dann in einer Nacht zu Samhain fand er seine Liebe auf Erden.
Wollte kein Elfenritter mehr sein, um lieber dort selig zu werden.
Aber siehst du, wenn in dunkler Nacht
Der Schatten an die Türe pocht
Brennt mit aller Macht
Herunter auch sein Lebensdocht!“
„Doch kommt, wir müssen fort noch vor dem ersten Sonnenstrahl,
Sonst trifft euch des schwarzen Ritters Tribunal.
Steigt auf, das Einhorn trägt uns alle!“ Und überm Himmelsbogen,
Durch Nebelreigen und Silberhauch kommen sie geflogen.
Im fahlen Lichte reiten sie durchs Elfenland, durch Wald und Hain,
Feen und Faune tanzen und grüßen im Mondenschein.
Sie kommen an eines Baches Quelle, das Einhorn scharrt mit den Hufen.
Sie steigen ab und schreiten zum Wasser hinab fünf Stufen.
„Sieh’ mein Ritter, was die Quelle dir zeigt und dann entscheide weise!“
Er sieht das Leben im Elfenland, ohne Alter, ohne Schmerzen und sagt leise:
„Ach könnt’ ich mit meinen Lieben im Schein von Sonne und Mond hier liegen
Ohne Sorgen und ohne Ungemach, nie mehr würd’ ich zurück zur Erde fliegen.
Denn wenn in dunkler Nacht
Der Schatten an die Türe pocht
Brennt mit aller Macht
Herunter auch mein Lebensdocht!“
„Hier habe ich Macht!“ spricht die Elfenkönigin. „Bleib’ und mit einem Streich
Wird alles was du tatest auf Erden gelöscht sogleich!
Deine Liebe, Sohn und Enkel wird es niemals gegeben haben!“
Der Ritter erschrickt: „Ist es so mit der Elfen Zaubergaben?
Niemals mehr könnt’ ich mich selber achten, bliebe ich hier!“
„Dacht’ es mir!“ sagt die Königin. „Mein Ritter, nimm das Lebenselixier.
Es kann dich nur retten für kurze Zeit. Drum nutz es weise für deine Menschenhülle.
Jetzt nehmt das Einhorn, es trägt euch zurück. Dann genießet des Lebens Fülle.“
Sie winkt zum Abschied und vergießt eine silberne Träne.
Die beiden reiten geschwind, halten sich in des Einhorns Mähne.
Sie fliegen mit Nebel und Wind durch Märchenwelten und dann ...
Der Großvater ist plötzlich wieder ein alter Mann.
Ja, wenn in dunkler Nacht
Der Schatten an die Türe pocht
Brennt mit aller Macht
Herunter auch sein Lebensdocht.
Sie kommen nach Hause mit dem ersten Morgengrauen
Und da steht noch der dunkle Reiter, scheint sie anzuschauen.
In schwarzer Kapuze ist sein Gesicht versunken
Der Rappe scharrt mit den Hufen, es sprühen Funken.
Die Augen leuchten wie Feuer so rot.
Großvater sagt: „Ich weiß, das ist der Tod!
Ich nehm’ Abschied nun von meinen Lieben, aber auch vom Leiden.
Trotzdem, was würd’ ich geben, könnt’ ich bleiben!“
Er steigt ab, geht zum Reiter, sagt: „Nun, Ihr habt mich hier!“
Da öffnet der Enkel die Flasche mit dem Lebenselixier
Besprengt den Großvater vom Kopf bis zum Fuße
Der schwarze Ritter lacht, dreht sein Pferd und hebt das Schwert zum Gruße:
„Macht euch keine unnützen Sorgen
Wenn die dunkle Nacht vorbei
Kommt mit dem ersten Hahnenschrei
Immer ein neuer Morgen!“
Texte: Alle Rechte beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 18.10.2009
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