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Lara lag schon einige Zeit im Bett und hatte über dies und das nachgedacht. Heute war der erste Ferientag. Die großen Ferien begannen und am Tag darauf würde sie ihren 8. Geburtstag feiern. Die Feier wollte sie um zwei Wochen verschieben, denn ihre Freundinnen Lilly und Marla nahmen für zwölf Tage an einer Ferienfreizeit an der Nordsee teil und hätten deshalb nicht zu dem Fest kommen können. Morgen würden nur die Großeltern kommen.
Lara wollte nicht an der Freizeit teilnehmen und das hatte einen ganz wichtigen Grund. Sie wünschte sich von ganzem Herzen eine Katze und hoffte, jetzt endlich eine geschenkt zu bekommen. Deshalb konnte sie auf gar keinen Fall länger warten.

Vor einigen Jahren, damals ging sie noch in den Kindergarten, hatte sie mit ihren Eltern Urlaub auf einem Bauernhof gemacht. Weil sie noch kein Schulkind war, hatten sie die Ferien auf Ende Mai gelegt. Lara fühlte sich hier so richtig wohl. Es gab viele Tiere: Hühner, Enten, Kühe, Pferde, zwei Hunde: einen Dackel und einen Schäferhund und eine Katze mit ihren fünf Wochen alten Jungen. Vier ganz bezaubernde Katzenbabys, die sehr unterschiedlich aussahen. Eines war ganz schwarz, eines schwarz weiß, eines rotbraun und ein Katzenkind war grau schwarz getigert, mit einer rosafarbenen Nase, weißen Pfötchen und einem weißen Latz. In dieses Kätzchen hatte sich Lara regelrecht verliebt. Die Katzenmutter ließ es zu, dass Lara sie streichelte, auch die kleinen Katzenkinder durfte sie anfassen und sogar auf den Arm nehmen.
Die Bäuerin war darüber sehr erstaunt, denn eigentlich war ihre Minka sehr scheu, besonders Fremden gegenüber. Schon seit einigen Jahren vermietete sie Ferienwohnungen an Gäste. Von denen durfte bisher keiner Minka zu nahe kommen, sofort lief sie davon. Du hast eine ganz besondere Gabe mit Tieren umzugehen, meinte Frau Stelljes, die Bauersfrau. Vielleicht bekommst du ja irgenwann einmal ein Kätzchen von deinen Eltern geschenkt. Aber du musst erst noch ein bisschen älter werden erklärte ihr Frau Stelljes. Auch ihre Eltern meinten, dass man frühestens mit zehn Jahren die Verantwortung für ein Tier übernehmen könne.
Anfang Juli würde Lara sechs Jahre alt werden und im August käme sie in die Schule.
Sie fand, dass sie alt genug war um für eine Katze zu sorgen. Aber zu ihrem sechsten Geburtstag bekam sie so langweilige Geschenke wie Buntstifte, Malblock, Federmappe, Schulranzen und noch verschiedene Kleidungsstücke. So richtig freuen konnte sie sich darüber nicht.
Im August wurde sie eingeschult. Ziemlich schnell fand sie Freundinnen. Ihre beiden liebsten Freundinnen waren Lilly und Marla. Marla war mit ihren Eltern erst vor einigen Wochen hier her gezogen. Sie wohnten in der selben Strasse wie Lara nämlich im Erlenweg. Zu der Familie von Marla gehörte auch ein Hund. Mit dem gingen die beiden Mädchen oft spazieren.
Aber Laras große Liebe waren Katzen. Nächstes Jahr würde sie sieben Jahre alt werden, Dann war sie wirklich alt genug für eine Katze, das mussten auch ihre Eltern einsehen. In Lillys Familie gab es eine Katze. Leider wohnte diese Freundin in der Hamburger Strasse und das war doch ziemlich weit vom Erlenweg entfernt, so dass sie sich nicht jeden Tag treffen konnten.
Zu ihrem siebten Geburtstag rechnete sie ganz fest damit, dass ihr Geburtstagsgeschenk in diesem Jahr eine Katze sein würde. Ihre Enttäuschung war riesengroß, denn statt einer Katze bekam sie ein Fahrrad. Als sie sich damit abgefunden hatte, dass es wieder ein Geschenk war, das sie sich überhaupt nicht gewünscht hatte, kam doch allmählich Freude auf. Jetzt konnte sie Lilly viel häufiger besuchen als bisher ohne Rad.

Heute war ihr achter Geburtstag.
Das ganze Jahr hatte sie davon geredet, dass sie sich nur ein Kätzchen wünschte. Danach brauchten ihre Eltern ihr auch nie wieder etwas zu schenken. Sie würde für alle Zeiten zufrieden sein. Wer füttert die Katze, wer reinigt das Katzenklo, wer bezahlt das Katzenfutter und die Katzenstreu? Wer spielt mit der Katze oder geht mit ihr zum Tierarzt, falls sie einmal krank sein sollte? Ausserdem müsse sie von Zeit zu Zeit eine Wurmkur machen und hin und wieder benötige sie auch ein Mittel gegen Flöhe und Zecken. Das alles kostet Geld .
Diese Bedenken, die ihre Eltern aussprachen konnte Lara zerstreuen. Selbstverständlich würde sie für alles, was ihre Katze betraf, die Verantwortung tragen. Von ihrem Taschengeld würde sie alle anfallenden Kosten übernehmen, und dass sie ihr Kätzchen regelmässig füttern und das Katzenklo reinigen würde, war doch sonnenklar.

Für einen Ferientag war es noch recht früh. 6,45 Uhr morgens. Sie konnte einfach nicht mehr im Bett liegen. Leise stand sie auf, ging ins Bad und machte sich fertig für den Tag. Gegen 7°° Uhr stand sie schon in der Küche. Sie wollte den Tisch decken und Kaffee kochen. Aber was musste sie sehen, der Tisch war schon gedeckt und um ihren Platz herun lagen lauter kleine Päckchen. Sie hätte weinen können. Wieder wurde ihr allergrösster Herzenswunsch nicht erfüllt.
Die Küchentür ging auf und ihre Eltern kamen herein. Sie nahmen Lara in den Arm, drückten sie ganz fest und gratulierten ihr herzlich. Lara hatte einen dicken Kloss im Hals, aber sie schluckte ihre Tränen tapfer herunter. Ihr Vater hatte schon Brötchen geholt und es sollte erst einmal ein leckeres Geburtstagsfrühstück geben.
Nach dem Frühstück fragte ihre Mutter, ob sie denn ihre Geschenke gar nicht auspacken wolle. "Na ja, das kann ich mal machen," antwortete Lara lustlos. Sie nahm eines der Päckchen und riss das Papier ab. Eine Stoffmaus! Was sollte das denn? Für solche Dinge war sie nun wirklich schon zu groß. Noch so etwas und sie würde laut schreien. Im nächsten Päckchen lag eine Art Tennisball. Was war bloss mit ihren Eltern los? Hatten die vergessen, dass sie heute acht Jahre alt wurde?Mach doch weiter, meinte ihre Mutter. Schweren Herzens und nur um ihrer Mutter einen Gefallen zu tun, griff sie nach dem nächsten Geschenk. Es fühlte sich hart und rund an. Wahrscheinlich eine Dose Erbsen mit Karotten. Die aß sie zwar gerne, es war ihr Lieblingsgemüse und irgendwann hatte sie mal zu ihren Eltern gesagt, dass, wenn sie selbst für sich kochen müsste es jeden Tag Erbsen und Karotten bei ihr gäbe. Aber als Geburtstagsgeschenk?!
Nanu, was war denn das? Eine Dose Katzenfutter!! Von dieser Sorte Päckchen lagen noch fünf weitere auf dem Tisch. In Windeseile riss sie die Verpackung ab. Noch mehr Katzenfutter! Das grosse Paket unter Vatis Stuhl hatte sie zuerst gar nicht gesehen. Jetzt machte sie auch das auf: Katzenstreu! Mutti tat völlig unbeteiligt. Sie empfahl nur, einmal im Kinderzimmer nachzuschauen, vielleicht gäbe es dort ja noch etwas. Laras Herz raste, sie flitzte die Treppe hinauf und hinter der Tür ihres Zimmers stand eine Katzentoilette. Aber wo war die Katze? Sollten die Eltern ihr vorab diese Sachen geschenkt haben und sie bekäme das Kätzchen erst zu ihrem nächsten Geburtstag?
Lara blickte ratlos ihre Mutter an. Da ging ihre Zimmertür auf und ihr Vater kam herein. Auf dem Arm trug er ein Körbchen, aus dem ein leises Maunzen drang. Mit grossen, vor Freude glänzenden Augen blickte Lara ihren Vater an.
Jetzt musste sie doch tatsächlich weinen, aber nicht aus Enttäuschung, sondern vor lauter Glückseligkeit. Es ist ein kleiner Kater und der ist jetzt zehn Wochen alt. berichtete der Vater. Mache mal die Klappe auf, dann kannst du sehen, dass er genauso aussieht wie dein Lieblingskater vom Bauernhof.
Tatsächlich. er war grau schwarz getigert, mit weißen Pfötchen und einer weißen Brust. Willi soll er heissen, bestimmte Lara sofort. Auch den Eltern gefiel der Name gut.
Du musst ihm jetzt zuerst einmal das Katzenklo zeigen. Die Katzenmama hat ihren Kindern zwar schon beigebracht, die Katzentoilette zu benutzen, aber in diesem Haus kennt sich Willi ja noch gar nicht aus, erkärte die Mutter. Das war doch sebstverständlich. Soviel wusste Lara schon längst. Wenn tatsächlich mal ein Missgeschick passieren sollte, würde sie es natürlich selbst wieder sauber machen versprach Lara, bevor noch mehr Verhaltensmassregeln von Seiten der Eltern kamen.
Schon vor Monaten hatte sie sich von ihrem Taschengeld ein Buch über das Halten von Katzen gekauft. Sie wusste Bescheid.
Ganz vorsichtig nahm sie Willi aus seinem Körbchen. Sofort schmiegte er sich eng in Laras Arme und fing leise an zu schnurren. Es zeigte sich, dass Frau Stelljes Recht gehabt hatte. Lara hatte eine besondere Gabe, mit Tieren umzugehen, die Tiere hatten sofort Vertrauen zu ihr. Lara setzte Willi zunächst mal in das Katzenklo. Willi wusste sofort, was von ihm erwartet wurde. Er hockte sich hin und verrichtete sein Geschäft. Danach kratzte er die Streu über seinem Häufchen zusammen, bis nichts mehr davon zu sehen war. Dann stieg er aus der Kiste und strich sofort um Laras Beine. Er wollte wieder auf den Arm genommen werden.
Sechs herrlich lange Wochen lagen vor ihnen, in denen sie Tag für Tag vierundzwanzig Stunden miteinander verbringen konnten. Dann fing natürlich die Schule wieder an und sie mussten ein paar Stunden am Tag aufeinander verzichten. Aber bis dahin war es ja noch lang.
Lara konnte es kaum erwarten, dass ihre Freundinnen Marla und Lilly aus der Ferienfreizeit zurückkommen sollten. Die würden Augen machen.
Heute Nachmittag wollten ihre Großeltern zu Kaffee und Kuchen kommen. Ob die schon wussten, dass sie einen kleinen Freund zum Geburtstag bekommen hatte?
Als nächstes zeigte sie Willi erst einmal das ganze Haus. Nach einiger Zeit darfst du auch hinaus, wir haben einen großen Garten, in dem wir dann spielen können. Noch musst du für ein paar Wochen im Haus bleiben, damit du dich nicht verläufst da draussen, flüsterte sie ihm ins Ohr. Dass man Katzen nicht gleich am ersten Tag ihrer Ankunft im neuen Zuhause hinaus schickte, wusste sie aus ihrem Buch: Eine Katze kommt ins Haus.
Ihr Vater und ihre Mutter staunten darüber, dass Willi sich sofort so eng an Lara angeschlossen hatten, ohne ein einziges Mal nach seinen Geschwistern oder seiner Mutter zu miauen. Auf Schritt und Tritt lief er hinter Lara her. Diese war darüber unbeschreiblich glücklich.
Am Nachmittag kamen die Großeltern zu Besuch. Oma Helga und Opa Wolle brachten einen Kratzbaum mit und Opa Fred ein flauschiges Katzenbettchen. Ihr habt gewusst, dass ich ein Kätzchen zum Geburtstag bekommen habe, strahlte Lara.
Nach dem Kuchen essen und Kaffee trinken spazierten alle in Laras Zimmer. Opa Wolle und Opa Fred bauten den Kratzbaum auf. Der sollte neben dem Schreibtisch am Fenster stehen. Dann konnte Willi, wenn er darauf lag, Lara beim Hausaufgaben machen zusehen oder auch aus dem Fenster schauen. Das Kuschelbettchen wurde genau neben Laras Bett platziert. Dann brauchte sie nur die Hand auszustrecken um ihn zu streicheln, wenn er es sich darin zur Nacht gemütlich gemacht hatte.
Der Nachmittag flog schnell dahin, schon war Abendbrotzeit. Laras Mutter hatte Schnittchen gemacht und allen schmeckte es gut. Nur Lara konnte nichts essen. Sie war so selig, dass sie einfach keinen Hunger hatte.
Als die Großeltern gegangen waren, wollte Lara sofort ins Bett gehen. Das war sehr ungewöhnlich, denn bisher hatte sie immer versucht, das Ins-Bett-gehen so lange wie möglich hinauszuzögern.
Sie ging ins Badezimmer, wusch sich schnell und putzte ihre Zähne. Dann gab sie ihrem Vater einen Gute Nacht Kuss, schnappte sich Willi und flitzte in ihr Zimmer. Ihre Mutter kam ihr nach, um ihr wie gewohnt eine Gute Nacht Geschichte vorzulesen. Als die Geschichte zu Ende war, nahm Mutti Lara in den Arm gab ihr einen Kuss und sagte: "Träume was Schönes und schlaf gut". Dann ging sie wieder nach unten.
Willi lag in seinem Körbchen und Lara in ihrem Bett. Sie lag auf dem Bauch und konnte so den kleinen Freund streicheln. Bald darauf waren beide eingeschlafen.
Am nächsten Morgen war Lara nach dem Aufwachen sofort hellwach. Sie beugte sich aus ihrem Bett, um Willi zu streicheln. Ein eisiger Schreck fuhr ihr durch alle Glieder. Der Kater war nicht da. Sie warf die Bettdecke zurück, sprang aus dem Bett und suchte Willi im ganzen Zimmer. Zuerst schaute sie im Kratzbaum nach, dann suchte sie unter dem Bett, unter dem Schreibtisch, im Regal und unter dem Schrank. Die Schlafzimmertür war geschlossen, er konnte also nicht hinaus gelaufen sein. Willi war verschwunden. Plötzlich sah sie, dass sich ihre Bettdecke am Fußende leicht bewegte. Sie hob die Decke an und da lag der kleine Ausreisser. Er war in der Nacht heimlich in ihr Bett geklettert, ohne dass sie etwas davon gemerkt hatte.
In Zukunft hätte sie nichts dagegen wenn Willi immer in ihrem Bett schliefe. Vielleicht würde Mutti es ja erlauben, denn der kleine Kater war ja so sauber und stubenrein war er schliesslich auch schon.
Bald würden auch noch ihre beiden besten Freundinnen Lilly und Marla aus den Ferien zurückkommen.
Lara war sich ganz sicher, eine wunderschöne Zeit würde vor ihr liegen. Ihr Herzenswunsch war in Erfüllung gegangen.

Impressum

Texte: Helga Hauch
Tag der Veröffentlichung: 12.11.2012

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