Wenn ich erwachte sah ich sogleich sein freundliches Gesicht, das mich jeden Morgen lächelnd begrüßte.
Mein Teddy.
Als Kind vertraute ich diesem Stofftier meine geheimsten Wünsche und Träume an. Für mich war der Teddybär kein lebloses Etwas. Ich sah in ihm einen stummen Freund der mich nie im Stich ließ. Seine großen, dunkelbraunen Glasaugen litten mit mir, oder jubelten, wenn es einen Grund dazu gab. Alle Gefühle, die ich ihm anvertraute, ertrug er geduldig. Sein gleichbleibendes Lächeln wirkte beruhigend auf mich und gab mir die Gewissheit nicht alleine zu sein.
Teddy und ich, wir bildeten eine verschworene Gemeinschaft gegen alle Erwachsenen, die mir immerzu sagten was ich zu tun und zu lassen hatte.
Auf ihn konnte ich mich verlassen. Er verstand mich - das bildete ich mir damals jedenfalls ein. Ich liebte ihn und wollte mich niemals von ihm trennen.
Auch später, als ich erwachsen wurde, hielt ich meinem Teddy die Treue. War er früher für mich immer ansprechbar, so sah ich es als selbstverständlich an ihn nicht mit anderen Spielsachen aus meinem Leben zu verbannen. Bei jedem Wohnungswechsel musste mein stummer Freund mit. Von der kleinen Studentenbude angefangen, bis hin zu dem großen Haus, in dem mein Mann und ich uns ein würdiges Heim für unsere Familie einrichteten. Immer fand auch Teddy ein neues Zuhause an meiner Seite. Ganz dicht neben meinem Bett, so dass ich ihn sehen konnte, wies ich ihm seinen Platz zu.
Erst lächelte mein Mann über meine Marotte, dann schüttelte er verständnislos den Kopf. Dass ich den Teddybären ausgerechnet in unserem Schlafzimmer untergebracht hatte, sah er als ausgesprochene Kinderei an. Ich versuchte ihm zu erklären was mich mit dem Teddy verband, doch wie man Solidarität gegenüber einem Stofftier empfinden konnte, blieb ihm ein Rätsel. Schließlich fand er sich damit ab, dass seine Frau einen Spleen hatte den er ihr nicht austreiben konnte.
„Wenn’s weiter nichts ist. Solange du dich sonst wie ein vernunftbegabtes Wesen benimmst, soll’s mir recht sein.“
Mit solchen und ähnlichen Sprüchen kommentierte er mein Verhältnis zu diesem, etwas schäbig gewordenen Überbleibsel meiner Kindheit.
Mein Teddybär sah wirklich nicht mehr schön aus. Die Jahre hatten ihm übel mitgespielt. Der ehemals flauschige Stoff seines Körpers war ganz dünn geworden und wies kahle Stellen auf. Seine ursprünglich hellgelbe Farbe konnte man nur noch erahnen. Zu viele spielende Kinderhände hatten zerstörerische Spuren auf den „Pelz“ hinterlassen. Hinzu kam Staub von Jahrzehnten, der ihn in Ehren ergrauen ließ. Damit der Bär nicht ganz so vergammelt aussah, zog ich ihm den kleinen Strampelanzug an, welchen ich als Souvenir an die Babyzeit meiner Kinder aufgehoben hatte. Siehe da, dieser Anzug stand meinem Teddy ausgezeichnet. In Größe und Farbe hätte ich nichts Passenderes für ihn schneidern können. Von diesem Zeitpunkt an sah das Stofftier viel ansehlicher aus und ich musste seine Anwesenheit in unserem Schlafzimmer nicht länger verteidigen. Mein Mann gab es auf, den Bären in den Müllcontainer werfen zu wollen. Außerdem konnte man mit ihm jetzt das wechseln von Windeln üben. - Eine Spielidee, die mir früher nie in den Sinn gekommen wäre.
Teddy blieb einige Jahre in meiner Obhut, bis mich meine Kinder inständig darum baten mit ihm spielen zu dürfen. Sie hatten genügend Spielsachen zur Verfügung. Auch Plüschtiere besaßen sie in ausreichenden Mengen. Doch dass etwas Besonderes an dem Teddybären ihrer Mutter dran sein müsse, das spürten sie instinktiv und diesem Geheimnis wollten sie auf den Grund gehen.
Was sollte ich machen?
Welche Mutter kann schon nein sagen, wenn ihre Kinder sie ernsthaft um einen Gefallen bitten?
Mein Mann war auf deren Seite. Er unterstützte sie in ihrer Überredungskunst.
„So ein Spielzeug gehört in Kinderhände, denn dafür wurde er ja schließlich hergestellt. Es wird Zeit, dass der Teddy endlich aus unserem Schlafzimmer verschwindet.“
Klang so etwas wie Eifersucht in seiner Stimme mit?
Ich wollte nicht näher darauf eingehen, doch ich rang meinen Jungs das Versprechen ab, gut auf den Bären aufzupassen.
Sie gaben mir ihr heiliges Ehrenwort und eilten freudig mit der neuen Errungenschaft von dannen.
Wie ihr heiliges Ehrenwort zu bewerten ist konnte ich zwei Wochen später erfahren. Im Zimmer der Jungs fiel mir beim Bettenmachen auf, dass der Teddy zur Wand starrte. Ich drehte ihn um und sah sogleich die Bescherung. Meine Kinder hatten es fertig gebracht ihm ein Auge auszureißen.
Traurig sah mich mein Jugendfreund an. Liebevoll nahm ich ihn in die Arme, streichelte über seinen Kopf und versicherte ihm, dass ich das wieder hinbekommen werde. Ich müsse nur sein verlorenes Auge finden, dann könnte ich ihn sofort reparieren. Auf keinem Fall würde ich ihn wieder meinen Kindern anvertrauen. Sie hatten bewiesen, dass sie seinen Wert nicht zu schätzen wussten.
Fast eine Stunde lang suchte ich vergebens nach dem verlorenen Glasauge. Mir blieb nur übrig zu warten bis die Jungs aus der Grundschule nach Hause kamen und sie danach zu befragen. Die ganze Zeit über hoffte ich sie hätten das Glasauge irgendwo aufbewahrt, damit sie es zu gegebener Zeit heimlich annähen lassen konnten.
Doch ich irrte mich.
Sobald ich meine Kinder auf das ausgerissene Auge des Teddybärs hin ansprach, bekam ich freche Antworten zu hören. Ich solle mich nicht so anstellen. Das Stofftier sei sowieso schon so alt und verdreckt, es gehöre längst auf den Müll. Und überhaupt, ich benähme mich geradezu lächerlich, wie ich an diesem Ding hänge.
Papa wäre auch ihrer Meinung.
Keine Entschuldigung, kein Anflug von schlechtem Gewissen und erst recht keine Absicht den verursachten Schaden wieder gut zu machen.
Das hatte ich nun von meiner Gutmütigkeit. Wer den Schaden hat braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Fast wären mir die Tränen gekommen, doch ich wollte den Jungs nicht zeigen wie sehr mich ihr Verhalten verletzte. Laut schimpfte ich sie aus. Ich fragte ich sie, ob sie keinen Anstand mehr besäßen, ob sie nicht verstehen können, dass der Teddybär eine Jugenderinnerung ihrer Mutter sei und was sie sich eigentlich erlauben würden in diesem Ton mit mir zu reden.
Kleinlaut gaben sie zu, dass sie schon die ganze Zeit lang nicht wussten wie sie mir den Schaden beichten sollten. Jeder drückte sich davor mir zu sagen was ihnen passiert war und jeder schob die Schuld dem anderen zu. Sie baten Papa um Hilfe, doch seine Reaktion bestand aus jenen Worten, die ich aus den Mündern meiner Kinder, gerade eben zu hören bekam
Das hätte ich mir denken können. Mein Mann konnte den Teddy noch nie leiden. Es war bestimmt froh, dass der Bär nur noch ein Auge hatte. Dies berechtigte ihn zu der Annahme, ich würde mich endlich von meinem Stofftier trennen.
„Wo ist das Auge jetzt, ich habe die ganze Zeit nach ihm gesucht?“ Fragte ich meine Jungs. Ein Achselzucken war ihre Antwort.
Hatte ich bisher noch einigermaßen die Geduld behalten, so platzte mir nun endgültig der Kragen. Zornig fauchte ich meine Kinder an. Ich drohte ihnen mich niemals mehr von ihnen überreden zu lassen und eilte wutentbrannt ins Schlafzimmer. Es fehlte nicht viel und ich hätte beiden eine schallende Ohrfeige verpasst.
Im Schlafzimmer angelangt, untersuchte ich den Teddy. Wer weiß, was sie sonst noch alles kaputt gemacht hatten. Zum Glück wies mein Freund keine weiteren Beschädigungen auf. Verletzt, doch noch lange nicht unreparierbar, lag er in meinen Armen.
„Nein Teddy, ich gebe dich nicht her. Irgendwie werde ich ein passendes Auge für dich auftreiben, du wirst schon sehen.“ Als könne er mich hören und verstehen, sprach ich leise vor mich hin und wurde dabei zusehendst ruhiger.
Nach ein paar Wochen intensiver Suche fand ich eine Firma, die sich darauf spezialisierte alte und beschädigte Puppen wieder aufzuarbeiten. Ein Anruf genügte und ich konnte sicher sein, dass man dort auch einem Teddybären helfen konnte. Freudig sendete ich meinen Freund an die sogenannte Puppenklinik.
Es dauerte nur eine Woche, bis ich ihn zurück erhielt. Wie hatte er sich verändert! Seine Augen waren jetzt etwas größer als früher, aber sie strahlten immer noch gütig aus dem Bärengesicht mit der markant spitzen Nase. Sein ganzer Körper war schonend gereinigt worden, er sah um Jahre jünger aus.
Zufrieden setzte ich ihn an seinen alten Platz, direkt neben meinem Bett. Nun konnte keiner mehr über ihn lästern, von wegen er wäre so schmutzig und gehöre auf den Müll.
Alles ging gut, bis ich für einige Tage ins Krankenhaus musste. Kaum war ich wieder zuhause sah ich sofort, dass der Teddy nicht auf seinen Platz saß. Verwundert fragte ich meinen Mann, wo der Bär sei und erhielt die Antwort.
„Deine Schwester war hier. Sie hatte keine Ahnung, dass Du im Krankenhaus warst. Am liebsten wäre sie auf der Stelle ins Hospital gefahren, doch sie hatte ihre Kinder dabei und du weist ja, ein Sack Fliegen zu hüten ist leichter, als diese Rasselbande unter Kontrolle zu halten. Ich bot ihr einen Kaffee an und beruhigte sie fürs erste. Wir saßen gerade gemütlich beisammen, da kamen die Kleinen ins Wohnzimmer und hielten den Teddybären im Arm. Die kurze Zeit in der ihrer Mutter die Mädchen nicht im Auge hatte nutzen sie aus, um unsere Wohnung zu durchstöbern.
Deine Schwester lächelte amüsiert, als sie den Teddy sah. Sie erinnerte sich noch sehr gut an den Bären und wie sehr du an ihm hingst. Es überraschte sie, dass das Stofftier in so einem guten Zustand war. Ich erzählte ihr von dem abgerissenen Auge und von der Puppenklinik, die den Schaden wieder beheben konnte.
Als ich den Teddy ins Schlafzimmer zurücktragen wollte, baten mich die Mädchen, ob ich ihnen den Bären für ein paar Tage ausleihen könne. Sie würden ihn bestimmt nicht kaputt machen und sobald du wieder zuhause wärst, gäben sie ihn selbstverständlich zurück.
Du kennst ja meine Meinung. So ein Spielzeug gehört in Kinderhände. Außerdem baten die Kleinen so inständig, es war mir unmöglich ihnen den Wunsch abzuschlagen.“
Ich war empört. Wie konnte mein Mann den Teddybären hergeben, ohne mich zu fragen? Achtete er so mein persönliches Eigentum?
Mein Mann verstand die ganze Aufregung nicht. Verärgert bot er mir an gleich anzurufen, damit Ich meinen geliebten Teddy am nächsten Tag wieder erhielt.
Bis zum nächsten Tag wollte ich nicht warten. Ich setzte mich ins Auto und fuhr sofort zu meiner Schwester.
Unterwegs dachte ich ständig daran, dass mein Mann vielleicht doch recht hatte mit dem was er sagte. Ich benahm mich wirklich nicht wie eine erwachsene Frau. War es das wert sich wegen eines alten Stofftieres zu streiten?
Mir zuliebe hatte mein Mann die Anwesenheit des Bären in unserem Schlafzimmer geduldet. Ich wusste wie schwer ihm das gefallen war. Aber er liebte mich und wollte mir nicht weh tun.
Wäre es nicht längst an der Zeit, dass ich mich von dem letzten Rest meiner Kindheit trennte?
Hin und her gerissen von meinen Gefühlen kam in an dem Haus meiner Schwester an.
Bevor ich an der Haustür klingelte nahm ich mir vor den Teddy nicht mehr zurück zu verlangen. Er war lange genug mein Begleiter gewesen. Sollten sich meine Nichten jetzt um ihn kümmern. Ein Teddybär passte besser zu ihnen, als zu mir.
Meine Schwester öffnete die Tür und strahlte mich an. Man konnte sehen, dass sie sich aufrichtig freute mich gesund wieder zu sehen. Sie legte ihren Arm um mich und zog mich ins Wohnzimmer, um gemütlich mit mir plaudern zu können. Wir tauschten zuerst die üblichen Nettigkeiten aus, dann lenkte ich das Gespräch auf den Teddy.
„Hm...., ja, ähm... der Teddybär,“ verlegen drückte sich meine Schwester herum. Es fiel ihr sichtlich schwer auszudrücken, was sie mir sagen wollte. „Weist du, zu dem Teddy muss ich dir unbedingt etwas sagen.
Ich wollte einkaufen und da die Kinder so schön mit dem Bären spielten dachte ich, ich könne sie ruhig für ein paar Minuten alleine lassen. Als ich zurück kam war meine Jüngste gerade dabei ihn zu baden.“
Ein schmerzlicher Schreck durchfuhr mich.
„Aber das geht doch nicht, er ist doch mit Holzwolle ausgestopft. So einen Teddybären kann man nicht waschen!“
„Das weiß ich auch, doch meine Kinder wussten es nicht. All ihre Plüschtiere kann ich waschen. Die meisten wasche ich sogar in der Waschmaschine“, antwortete meine Schwester.
Mir stieg das Blut in den Kopf. Unter allergrößter Beherrschung fragte ich so ruhig, wie es mir möglich war. „Wo ist der Teddy jetzt?“
„Ach, der“ erhielt ich als Antwort, „die Holzwolle hatte sich voll mit Wasser aufgesogen. Durch das Gewicht rutschte die ganze Füllung in den unteren Teil des Körpers. Kopf und Beine des Bären hing ganz schlaff herunter. Außerdem hinterließ das austretende Wasser unschöne Flecken auf dem gelben Pelz. Ich konnte den Teddy nicht mehr retten und habe ihn weggeworfen.“
Tag der Veröffentlichung: 06.03.2012
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