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Tierschutzgesetz Paragraph 1.

Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.


Ausgesetzt

Unser Rudel ist sehr klein, zwei Leittiere und ich, mehr gehören nicht dazu. Ach ja, ein Blechkasten ist auch noch bei uns. Hätte ich beinahe vergessen, denn er schläft in einem extra Häuschen und bekommt nichts zu fressen.
Gerne würde ich in einer größeren Meute leben, doch meine Menschen wissen nicht, wie sie sich vermehren können. Jedenfalls haben sie bis jetzt noch keinen Nachwuchs, auf den ich aufpassen könnte. Da ich der einzige Hund im Rudel bin und nicht an ein läufiges Weibchen rankomme, kann ich meinen Alphatieren auch nicht zeigen, wie das geht.
Mir haben sie die Rolle als Ersatzes für ihr eigenes fehlendes Junges zugewiesen und damit kann ich gut leben. Wenn Herrchen, oder Frauchen mich streicheln wollen, mit mir Gassi gehen, oder mich zum spielen brauchen, dann rufen sie einfach Kenzo, schon stehe ich auf der Matte.
Auch auf das Wort Gassi reagiere ich sofort. Es bedeutet aus dem Haus laufen, Duftmarken setzen und, ganz, ganz wichtig, einen großen Haufen ungestraft hinterlassen zu können.
Bin ich nicht ein schlaues Kerlchen, das die Menschensprache so gut versteht?

Sollte das Wetter schön sein und meine Leittiere Zeit haben, dann darf ich noch ein paar Runden rennen, bevor es heimgeht. Meistens haben sie einen kleinen Ball dabei, der weit weggeworfen wird, damit ich ihn ganz schnell wieder einfangen kann. Dieses Spiel macht uns allen viel Spaß. Wenn ich den Ball zurückgebracht habe, will meist Herrchen mir die Beute aus dem Maul nehmen. Aber sie gehört mir, ich habe sie gefangen, deshalb halte ich den Ball mit meinen Zähnen ganz fest und lasse ihn mir nicht so leicht wieder wegnehmen. Manchmal knurre ich gefährlich. Das gehört zum Spiel und ist nicht böse gemeint. Ich weiß ganz genau, sie verstehen mich richtig, denn oft werde ich danach gestreichelt. Es sind schöne und glückliche Momente in meinem Leben.

Menschen sind ganz komische Tiere. Sie wechseln je nach Lust und Laune ihr Fell. Im Sommer ist es die Bedeckung so dünn, dass ihre nackten Arme und Beine zu sehen sind. Wahrlich, kein schöner Anblick. Aber, sobald die Außentemperaturen sinken, schlüpfen sie in flauschig weiche Felle, die ihren ganzen Körper bedecken. So verwandelt, können sie richtig gut aussehen.

Leider können Menschen weder laut bellen, noch feste zubeißen und wenn sie laufen müssen, dann sind sie viel zu langsam, um mit ihnen auf die Jagd zu gehen. Irgendwie jagen sie anders. Fangen Dosen oder Tiere, denen irgendwer das Fell schon über die Ohren gezogen hat. Damit zaubern sie die leckersten Bissen in meinen Napf.
Ich warne davor, den Fehler zu machen sie, zu unterschätzen. Für jede Fähigkeit die ihnen fehlt, haben sie Hilfsmittel unter Kontrolle, mit denen sie unangreifbar werden.
Eines davon mag ich besonders gerne. Meine Familie nennt es Auto. Es ist eigentlich nur ein Kasten, der rundherum Löcher zum Rausgucken hat. Etwas zum sitzen ist auch noch drin, hätte ich doch beinahe vergessen zu erwähnen. Ist unsere ganze Meute in so einem Auto eingesperrt, dann macht dieses Ding viel Krach und fängt an, ungeheuer schnell zu rennen. Die ganze Welt rast an uns vorbei, als würde sie vor uns flüchten. Wenn ich im Auto sitze fühle ich mich großartig und bin sehr stolz darauf, dass dieser komische Kasten zu unserem Rudel gehört, auch wenn er fürchterlich stinkt.

Es liegt was in der Luft, das wittere ich ganz deutlich. Herrchen und Frauchen sind abweisend und kühl zu mir. Es gibt kein schmusen, oder gemeinsames toben auf dem Teppich mehr. Gassi gehen, fällt auch immer kürzer aus. Kaum habe ich mein „Geschäft“ erledigt, muss ich zurück ins Haus. Dabei gibt es überall jede Menge zu erschnüffeln.
Fremde Gerüche aufzunehmen ist meine Lieblingsbeschäftigung. Ich verstehe nicht, warum meine Leittiere sich nicht daran beteiligen wollen. Sie ahnen ja gar nicht, was ihnen alles entgeht. Ihre Nasen stecken zwar mitten im Gesicht, wie bei uns Hunden auch, aber ob sie damit auch feine Gerüche wahrnehmen können, bezweifle ich stark.

Es wird gerade Abend und eine langweilige Nacht steht mir wieder bevor. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als so schnell wie Möglich einzuschlafen. Das ständige Faulenzen macht mich sowieso sehr müde. Ach war das schön, als die Familie nicht aufhören wollte mit mir zu spielen. Doch jetzt? Na, lassen wir das. Es hat eh keinen Zweck darüber nachzudenken.

Ein leises Klicken erreicht mein Ohr. Habe ich richtig gehört? Um diese Zeit? Meine Ohrspitzen deuten in Richtung Diele. Dort kam das Geräusch her. Ja, ich habe mich nicht getäuscht, Herrchen will mit mir Gassi gehen! Erwartungsvoll stehe ich auf, strecke ausgiebig meine Glieder und bereite mich auf den unerwarteten Ausgang vor. Meine Rute klopft rhythmisch. Vor lauter Freude hüpfe ich ungeduldig auf und ab. Das hat es noch nie gegeben, dass jemand aus meinem Rudel zu so später Stunde noch mit mir Gassi gehen will, doch die Idee finde ich prima. So etwas könnten wir ruhig öfter machen.

Wir laufen zum Auto.
Also ist nicht nur ein kurzer Gang um den Häuserblock geplant.
Während unser Auto auf einem Weg entlang rennt, auf dem ganz viele dieser Blechkästen Wettbewerbe veranstalten, steigt meine Erwartung. Welche Düfte werden bald auf mich einströmen? Sind nachts die gleichen Tiere unterwegs wie am Tage? Gleich werde ich es erschnüffeln.
Herrchen hat mich doch noch lieb. Würde es sonst diesen Ausflug mit mir machen?
Jetzt wird unser Auto langsamer und erreicht einen ruhigen Platz, nahe der Rennbahn. Wir sind ganz alleine.

Endlich aussteigen. Energisch wedele ich mit meiner Rute hin und her und versetzt Herrchen am Bein leichte Hiebe. Doch solche Kleinigkeiten ignorieren wir. Jetzt geht’s gleich los.

Von wegen. Mein Rudelführer bindet mich an einen Baum fest, der nur wenige Schritte von der Stelle entfernt ist, wo die Wettrennen stattfinden. Ich bin maßlos enttäuscht und protestiere heftig. Herrchen beruhigt mich nicht, sondern läuft zum Auto. Ich werde lauter. Mit aller Kraft zerre ich an der Leine, belle so kräftig wie ich kann, doch der Kerl sieht sich noch nicht einmal nach mir um. Hastig steigt er in seinen Blechkasten ein und verschwindet.

Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Warum hat er das gemacht? Wieso lässt er mich alleine? Wo bin ich eigentlich? Es ist gemein mich anzubinden. Wenn jetzt ein großes Tier vorbeikommt, kann ich mich noch nicht einmal wehren. Auch weglaufen ist unmöglich. Als Rudelführer sollte er das eigentlich wissen. Ich ärgere mich über ihn, knurre gefährlich, doch bald beruhige ich mich wieder. Er kommt bestimmt gleich wieder. Wahrscheinlich hat er nur den Ball vergessen, mit dem wir immer spielen.
So dumm können auch nur Menschen sein. Er hätte mich doch mitnehmen können, um den Ball zu sucht. Ich erschnüffele das Spielzeug mit Sicherheit wesentlich besser, als er mit seiner Geruchsgelähmten Nase. Momentan bleibt mir nichts anderes übrig, als zu warten. Hoffentlich findet er den Ball schnell und muss nicht noch ewig lange suchen.

Eine Ewigkeit ist vergangen und ich sitze immer noch ganz alleine hier rum. Langsam habe ich Angst und ein schrecklicher Verdacht schnürt mir den Hals zu. Herrchen wird mich doch nicht alleine gelassen haben, weil es nichts mehr von mir wissen will? Aber das kann nicht sein. Dazu wären meine Rudelführer niemals fähig. Wir sind doch eine Familie, die zusammen gehört!
Ich bekomme Durst und kann noch nicht einmal nach Wasser suchen. Eine kleine Pfütze genügt mir schon. Auch wenn das Wasser nach Erde schmeckt, würde mich das nicht stören. Solange ich nur meinen Durst löschen könnte, wäre ich auch damit zufrieden.
Ein leises Jaulen entrinnt meiner Kehle, dann nehme meine ganze Kraft zusammen und zerre so lange, bis Blut am Halsband runterläuft.
Die Leine hält. Was kann ich jetzt noch versuchen? Aufrecht stehend belle ich so laut, wie ich noch nie gebellt habe und versuche Aufmerksamkeit zu erregen.
„He, ihr blöden Autorenner, wird denn keiner von euch mal müde? Warum hört mich denn niemand? Ich bin hier, gleich neben der Rennbahn und brauche eure Hilfe!“
Keine Reaktion. Eigentlich habe ich von ihnen auch keine Hilfe erwartet, doch konnte und wollte nichts unversucht lassen. Mir bleibt nur noch übrig zu warten. Worauf? Ehrlich gebellt weiß ich das auch nicht so genau.
Warum holt Herrchen mich nicht ab? Hat er mich ausgestoßen? Warum? Ich war doch immer ganz brav gewesen, habe niemals einen See im Haus hinterlassen, oder sonst was angestellt!

Mein Hals tut weh und der Durst quält mich unbarmherzig. Ich schließe die Augen und hoffe, dass dieser Albtraum bald zu Ende geht. Das Fell juckt fürchterlich, die Zunge ist ganz dick geworden und mein Herz pocht so heftig, dass ich jeden einzelnen Schlag hören kann.
Egal wie, ich muss hier weg. Doch so laut ich auch belle, jaule, oder heule, kein Mensch bemerkt mich.
Voller Panik renne ich um den Baum herum. Mit einem Ruck, meldet sich schmerzhaft die offene Wunde und stopp das sinnlose Treiben. Ich möchte mich setzen, doch inzwischen ist die Leine so kurz geworden, dass sie mir den Atem nimmt, wenn ich sie noch mehr spanne.
Mit Kraft der Verzweiflung, springe ich gegen das Hindernis an, drehe mich in der Luft und lande unsanft auf dem Rücken. Die Leine reißt zwar nicht, doch wenigsten habe ich jetzt wieder etwas mehr Bewegungsfreiheit gewonnen. Hechelnd sitze ich neben dem Baum. Nur gut, dass Weg für Autos direkt an mir vorbeiführt. Sowie eines müde wird und sich ausruhen will, kann ich mich bemerkbar machen. Ich muss nur aufpassen, dass es nicht wieder wegrennt, bevor die im Blechkasten sitzenden Menschen mich vom Baum losgebunden haben.

Es ist hell geworden. Ich fühle mich müde und schwach, wie noch nie zuvor. Alles tut weh. Die Beine, der Rücken, auf den ich mit meinem ganzen Gewicht knallte, die Wunde vom Halsband und vor allem meine trockene Kehle. Ich habe Durst. Mächtig, unbarmherzig und verlangend überlagert die Vorstellung an Wasser jeden anderen Gedanken. Wenn Blätter an den Bäumen rascheln, erscheint vor meinen Augen, ein fließender Bach, und wenn die Blechkisten in meiner Nähe vorbeirennen, erinnert mich das Geräusch ihrer schwarzen Rollen, die auf den Boden klatschen, an Wasser das über Steine plätschert. Hoffentlich kommt bald jemand vorbei, ich werde noch verrückt und bin halb wahnsinnig vor Angst.

Als sich ein Auto dem Baum nähert, wo ich angebunden bin, bemerke ich es kaum noch. Ich hatte mich bereits dem Schicksal ergeben und jede Hoffnung auf Rettung verloren. Erst als unüberhörbare Schritte eines jungen Weibchens auf mich zukommen, öffne ich die Augen. Durch mein Winseln möchte ich ihm zu verstehen geben, dass ich unter Schmerzen leide. Es muss keine Angst vor mir haben, ich beiße nicht. Jedoch wäre ich glücklich, wenn es mir etwas zu saufen bringen könnte. Ob es mich versteht? Menschen haben keine Rute an der ich ablesen kann, was sie gerade denken und fühlen. Auch ihre Ohren sind unbeweglich. Manche verstecken die Lauscher sogar unter den Haaren. Wie soll man da erkennen, ob sie überhaupt zuhören?
Das Weibchen kommt näher. Vorsichtig betastet es meinen Hals. Ich knurre leise um zu zeigen, dass seine Berührungen weh tun.
Verdammt! Mein Knurren hat es erschreckt, denn es läuft zum Auto zurück. Warum konnte ich blöder Köter bloß das Maul nicht halten?
Doch, ich habe mich geirrt. Es kommt wieder und hält etwas in der Hand, das ich nicht erkennen kann.
Jetzt kramt es in einem Behälter, in den Menschen alles Mögliche hineinwerfen.
Nun sehe und wittere ich, dass das Weibchen Wasser hat!
Meine Erleichterung ist riesengroß! Wasser ist genau das was ich jetzt am nötigsten brauche.
Die Menschenfrau reinigt eine kleine Schale und bringt mir etwas zu trinken. Hastig lecke ich jeden Tropfen auf und achte nicht auf die Schmerzen am Hals. Sie gießt nach und lässt mich so viel saufen, bis ich nichts mehr herunterbekomme.
Mit tiefem Seufzer lasse ich sie wissen, wie gut das tat.
Nun bindet sie mich los. Nicht von der verhassten Leine, nur von dem Baum, der mich die ganze Zeit gefangen hielt. Das Weibchen geht mit mir zu ihrem Auto und lässt mich einsteigen.
Bevor ich hineinklettere breche ich erst noch etwas Wasser aus, denn ich hatte doch zuviel und zu hastig getrunken.

Es ist kaum zu glauben, dass ich neben meiner Retterin in ihrem Auto sitzen darf. Alles riecht so fremd und doch sehr, sehr angenehm. Jetzt erst bemerke ich meinen Heißhunger. Drei gefüllte Schüsseln könnte ich auf einmal leer zu fressen. Solange der Durst übermächtig war, bemerkte ich den Hunger gar nicht. Doch nun ist er da. Wütend knurrend forderte mein Magen etwas zum fressen. Ich sehe das Weibchen mit großen Augen an und winsele leise um Entschuldigung. Es redet lächelnd mit mir. Ich verstehe zwar nicht was es sagt, doch seine Stimme klingt sanft und beruhigend. Bei ihm fühle ich mich sicher. Wenn Herrchen mich jetzt sehen könnte. In letzter Zeit war es immer so mürrisch und ärgerte sich, wenn ich etwas gebraucht habe.
Jetzt wird alles gut, das fühle ich. Dieses Frauchen ist das Beste, was mir je über den Weg laufen konnte.

Mittlerweile ist einige Zeit vergangen. Das Weibchen, welches mich aus meiner Notlage befreite, gab mir ein neues, liebevolles Zuhause. Bei ihm fühle ich mich richtig wohl. Auch die Wunde am Hals ist längst verheilt.
An mein früheres Herrchen denke ich nur noch ganz selten, sonst bekomme ich wieder schreckliche Albträume. Mein neues Alphatier gab mir verlorenes Vertrauen an das Gute im Menschen zurück und ich kann wieder glücklich sein.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.09.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die nicht wegsehen, wenn ein Tier gequält wird, geschlagen, oder dem man sich feige und Kostengünstig entledigt. Jeder kann sich einmischen! Haustiere sind laut Gesetz keine Sache mehr, die niemanden etwas angeht, sondern fühlende Lebewesen, die ein Recht auf artgerechte Haltung, ausreichend Futter und medizinische Versorgung haben, sollten sie unter Schmerzen leiden.

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