„Schau einmal her mein Junge. Es bringt dir gar nix, wenn du nur gscheit im Kopf bist. In den Händen musst was haben, weil des gefällt dem Führer.“, sagte mein Großvater damals zu mir. Er versuchte mich andauernd umzupolen. Es war ihm ein Dorn im Auge, dass ich mich lieber mit Vokabeln und Zahlen, als mit Sichel und Axt beschäftigte, oder besser gesagt mit letzterem, ob meines fürchterlichen Ungeschicks, nichts anzufangen wusste. So sehr ich mich auch bemühte dem Großvater nur ein bisschen zu imponieren, zum Beispiel, indem ich mich im Holzhacken versuchte, es endete immer in einem schrecklichen Desaster. Wie vielleicht schon in dieser Schreibe hervorgegangen ist, war ich keineswegs handwerklich begabt. Es nutzte auch nichts es zu versuchen. Ich war mehr ein Theoretiker. Ein Mensch der die Dinge plant und dann wohlwollend zusieht wie sie sich, so wie errechnet, entwickeln. Es fing schon in der Grundschule an: Meine Klassenkameraden lernten gerade das Ein-Mal-Zwei, so war ich schon lange bei Flächenberechnungen und höherer Mathematik, denn ich schnüffelte immer gerne in den Büchern der Kollegen zwei, drei Klassen über mir. Dieser Umstand entging meinen Lehrern natürlich nicht und so kontaktierten sie, als ich in der zweiten Klasse war, meinen Vater und teilten ihm mit, dass sie mir mit seiner Genehmigung gerne am Ende dieses Jahres ein Abschlusszeugnis erstellten und mir eine wärmste Empfehlung fürs Gymnasium schrieben. Mein Vater, der zu dieser Zeit noch sehr stark unter dem Einfluss meines Großvaters stand, einem begeisterten Nazi durch und durch, wusste nicht so recht was er davon halten sollte. Meine Mutter bedrängte ihn, mich doch aufs Gymnasium gehen zu lassen, weil doch meine Talente gefördert werden müssten und ich auf der Grundschule sowieso unterfordert sei, doch sie musste einsehen, dass sie als Frau in der Familie nichts zu sagen und sich ganz dem Willen meines Vaters zu beugen hatte, so wie sich das eben für eine vernünftige deutsche Frau gehörte. Letzten Endes wurde mir der plötzliche Aufstieg in die höher bildende Schule, wie absehbar und wahrscheinlich auch auf betreiben meines Großvaters, nicht erlaubt und ich musste mich weiter mit Dingen, die meinem Können nicht gerecht wurden, beschäftigen. Auch als die restlichen zwei Grundschuljahre zu Ende gegangen waren, wurde über meinen Kopf hinweg entschieden, dass ich die Hauptschule zu besuchen hatte. Weitere vier Jahre der Langeweile erwarteten mich. Was allerdings noch viel unerträglicher werden sollte als diese quälenden vier Jahre, war der Beginn meiner Lehrzeit. Da mein Vater sich darüber im Klaren war, dass ich mit einem Beruf, der viel Körpereinsatz und Geschick erforderte, sowie dem des Maurers, völlig überfordert gewesen wäre, schickte er mich zu einem Bäcker in die Lehre. „Hoffentlich lernst wenigstens wie ma Semmeln backt Bua. Is a was.“, sagte mein Vater zu mir, bevor ich mich am ersten Arbeitstag auf mein Fahrrad schwang. Ich bemerkte an seinem Tonfall, dass er mir nicht einmal das richtig zutraute. Man fragt sich natürlich jetzt: Müssten da nicht schon längst Gefühle wie Hass in mir aufgestiegen sein? Nun ja, ich hoffte auf bessere Zeiten und beschloss meine Volljährigkeit abzuwarten, denn etwas anderes blieb mir bei meiner derart radikal und konservativ eingestellten Familie auch nicht über. Ab meinem einundzwanzigsten Lebensjahr würde sich einiges ändern.Glaubte ich zumindest.
Es dauerte nicht lange, da beschwerte sich der Bäckermeister das erste Mal über mich und mein immerwährendes Versagen, wenn es darum ging Arbeitsanweisungen richtig auszuführen. Die ersten paar Male, als er meinem Vater sein Leid über mich geklagt hatte, war mein alter Herr noch relativ ruhig geblieben. Er hatte eine Miene aufgesetzt, die mir verriet, dass er es sowieso schon hatte kommen sehen. Doch die Beschwerden wurden immer mehr und immer häufiger stattete der wohlbeleibte Meister Reinisch uns einen Besuch ab. Aber wo er Recht hatte, hatte er Recht, der Reinisch. Ich konnte wirklich keine Schüssel tragen, ohne, dass die Flüssigkeit, oder was auch immer sich darin befand, überschwappte, oder mir gar das ganze Behältnis aus den Händen glitt. Eigentlich konnte ich ja nichts dafür, denn in Anbetracht der Tatsache, dass ich zur Ausübung dieses Berufes gezwungen worden war, gab ich ja dennoch mein Bestes, so fand ich. „Wissen´s Herr Bertram, ihr Bua is zwoa sehr gscheit, des is ma ned entgongan, aber i glaub, dass er fia den Beruf afoch ned da Richtige is. Er is mehr der für des Ausrechnen und so Zeig. Weil ans muas i ihm lossen, beim Rechnen und beim Mischen im Verhöltnis mocht er nie an Fehler.“ Sogar Reinisch war nicht entgangen, dass ich zu Höherem berufen war. Wie dem auch sei, mein Vater überhörte einfach das kleine Lob an meine Intelligenz und nachdem der Meister gegangen war und mich praktisch gekündigt hatte, begann mein Vater auf mich einzudreschen. Das war das erste Mal, dass er handgreiflich geworden war. Ich hatte leider das Pech, dass ich für meine sechzehn Jahre noch nicht so gut entwickelt war, wie die meisten Jungen in meinem Alter, da ich ja eher selten einem Handwerk oder einer körperlich anstrengenden Arbeit nachging und so konnte ich mich gegen meinen Vater nicht im Geringsten wehren. Meine enorme Größe half mir da auch nicht weiter, da ich wie gesagt, eher von schlaksigem Wuchs war.
Nachdem ich also keine Arbeitsstelle mehr hatte, hatte mein Vater jegliche Hoffnung aufgegeben, dass mich noch irgendjemand einstellte und begann mich trotz meiner enormen Tollpatschigkeit auf dem Bauernhof einzuspannen. Er halste mir jede erdenkliche Arbeit auf und ich erhielt meistens Schläge wenn ich sie nicht zu seiner Zufriedenheit erledigte, was ziemlich oft vorkam. Jedes Mal wenn er mich schlug, schrie er mich an, was für ein Nichtsnutz ich doch wäre und, dass ich eine Schande für seine ehrenwerte Familie sei. Am Anfang machte mich das noch irgendwie betroffen und ich begann mich selbst zu hassen, für das, was ich angeblich war. Ein elender Nichtsnutz eben. Doch mit der Zeit wurden meine Ohren taub, wenn er mich anschrie. Ich hörte die Worte einfach nicht mehr, wollte sie nicht mehr hören. Nun mögen da wieder Fragen auftauchen : Wieso bin ich nicht einfach weggerannt? Er hätte mich gefunden, egal mit welchen Mitteln. Hat dir deine Mutter nicht geholfen? Sie hatte selber große Angst. Es gab einfach keinen Ausweg. Ich sagte mir immer wieder, dass ich durchhalten müsse. Vier Jahre noch, dann hatte ich alles überstanden. Das musste ich mir immer wieder einreden. Es war mein einziger Hoffnungsschimmer. Dieser ganze Selbsthass wurde immer schlimmer und seinen Höhepunkt erreichte er, als mein Vater anfing sich wegen mir zu betrinken und infolge dessen auch noch meine Mutter schlug. Das waren eigentlich die schlimmsten Monate meines Lebens. Die Art und Weise wie mich meine Mutter ansah, wenn ihre Augen nicht so geschwollen waren, dass sie überhaupt etwas sehen konnte, ließ mir das Blut in den Adern stocken. Es war so ein Blick, der sagte: „Franz, bitte streng dich an, mir zu Liebe. Schau einmal, wies mir geht. Ich werde bald sterben, wenn du so weiter machst.“ Immer wenn ich meine Mutter sah, stiegen mir die Tränen in die Augen. Ich trieb mich dazu an, nur noch mehr zu arbeiten und erledigte Arbeiten, die mir mein Vater nicht einmal aufgetragen hatte. Innerhalb von Stunden hatte ich den ganzen Bauernhof bestellt. Zwar mit sehr vielen Unterbrechungen, da mein Ungeschick mich immer wieder an den Rand der Verzweiflung trieb, aber dennoch.
Und dann kam der Tag, an dem sich alles ändern sollte. Ich wusste nicht genau ob ich mich freuen, oder trauern sollte. Mein Großvater und mein Vater waren bei einem schweren Zugunglück gestorben. Sie waren gerade auf dem Weg nach Deutschland zu einem Viehhändler, dem sie Hühner verkaufen wollten, gewesen, als der Zug auf falsche Gleise geraten und mit einem anderen kollidiert war. Meine Mutter und ich trauerten eigentlich nicht. Ich sah nicht eine Träne über ihre lieblichen Wangen rollen. Eins stand fest: Das Leben begann sich gerade grundlegend zu verändern.
Texte: alle Rechte bezüglich des Inhaltes liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 07.08.2011
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Widmung:
für Anna. Keine weiteren Worte.