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In der Praxis war es sehr dunkel. Nicht dass kein Licht zu den Fenstern herein gekommen wäre, aber die Räume waren tief dunkelbraun und teilweise auch schwarz eingerichtet. Es sah sehr stilvoll aus, aber gleichzeitig hatte man das bedrückende Gefühl gefangen zu sein, in.....ja in was eigentlich? Elly wusste es nicht genau. Sie kam sich einfach nur sehr eingeengt vor. Die Sprechstundenhilfe war auch schwarz gekleidet, so als ob sie sich dem Mobiliar anpassen wollte. Seltsamerweise waren sogar ihre Haare in der selben Farbe gehalten, wie ihre Kleidung. Etwas Beängstigendes ging von dieser Frau aus. Aber als Mrs Grey zu ihr hin trat, sich – selbstverständlich in Englisch- auswies und sagte, dass sie und ihre Tochter hier einen Termin hatten, änderte sich Elly´s Meinung schlagartig, denn die Frau hatte sehr gewählt und überaus freundlich geantwortet. Das hatte Elly nicht erwartet. „So kann man sich täuschen!“, dachte sie. „Dr. Vòerhogen ist gleich für sie da!“, sagte die Frau. Elly´s Mutter bedankte sich und wies ihrer Tochter an sich auf einen der dunkelbraunen, arg verschnörkelten Sessel, die für wartende Patienten gedacht waren, zu setzen. Nicht gerade sehr bequem, aber für die paar Minuten würde es gehen. Doch aus ein paar Minuten wurde schnell ein halbe Stunde, die sie nun schon dasaßen. „Diese Spezialisten! Die lassen sich immer extra viel Zeit, um sich als vielbeschäftigten und gestressten Mann zu geben!!“, knurrte Elly leise. Sie hatte diese Ärzte satt. Alles hasste sie an ihnen: ihre weißen Kittel, ihre gestriegelten Haare, ihre Brillen, ihre Stethoskope, einfach alles. Wenn sie einen von ihnen sah, musste sie sich irrsinnig zusammenreißen um sich nicht wie eine Furie auf ihn zu stürzen und ihm das Gesicht zu zerkratzen. Ja, Elly war Ärzten wirklich nicht wohlgesonnen. Auf einmal öffnete sich eine Tür, ihnen gegenüber und ein Mann mit zerzaustem, -wie sollte es auch anders sein- schwarzem Haar und einer kugelrunden Brille lugte heraus und bat die beiden einzutreten. Elly war überrascht. Wenn das der Doktor war, dann hatte sie sich in ihm ebenfalls so mächtig, wie in der Sprechstundenhilfe getäuscht. Zögernd betraten Mutter und Tochter den, im Unterschied zur übrigen Praxis, etwas heller eingerichteten Raum. Trotzdem fühlte sich Elly hier nicht wohler, als in den anderen Räumlichkeiten. Es war aber nicht das Mobiliar, dass ihr etwas Angst einjagte, sondern der Doktor selbst, der bereits hinter seinem Schreibtisch saß und die beiden schon erwartete. Kurz musterte er Elly, als sie eintrat und auf ihn zu kam. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Elly sah es, konnte es aber nicht so wirklich interpretieren. „Guten Tag!“, sagte der Doktor in perfektem Englisch. „Guten Tag!“, antworteten Mutter und Tochter etwas zaghaft. Es schien als müssten sie die Situation noch verarbeiten. Stumm und sehr zögerlich setzten sie sich auf die beiden Sessel, die vor dem Schreibtisch standen. „Um gleich zur Sache zu kommen: ich weiß ja über die Angelegenheit schon teilweise Bescheid, da Sie mir einiges gemailt haben.“,sagte Vòerhogen zu Mrs Grey gewandt. Er redete nicht gerne um den heißen Brei herum. Er fuhr gleich fort, so als wollte er sicher gehen, ja nicht unterbrochen zu werden. „Doch nun möchte ich das Ganze einmal von Ellionore persönlich hören.“ Ellionore.... . So hatte Elly lange niemand mehr genannt. Sicher es war ihr vollständiger Vorname, trotzdem war sie nicht daran gewöhnt so gerufen zu werden. Man merkte, dass der Satz des Facharztes sie wirklich etwas aus der Fassung gebracht hatte. Eine Weile saß sie stumm und mit starrem Blick da, nicht fähig etwas zu sagen, weil sie überlegte. Weshalb nannte sie Vòerhogen Ellionore? Eigentlich war es doch eines der banalsten Dinge der Welt, bei seinem Vornamen gerufen zu werden. Für Elly jedoch nicht. Der Doktor musste ihre Verwirrung bemerkt haben. Er lächelte. Er lächelte grauenhaft und abnormal, wie es nur geistig abnorme Rechtsbrecher und Irre vermochten zu tun. „Nun mach schon Elly, Schatz. Erzähls ihm.“, flüsterte Mrs Grey ihrer Tochter aufmunternd zu und stieß sie sanft in die Seite. Sie glaubte, dass nicht der Erwähnung des Namens Verwirrung in der Tochter gestiftet hatte, sondern, dass es Elly einfach nur schwer fiel, über dieses Thema zu reden. Nach einigem Ringen mit sich selbst gewann Elly wieder Oberhand über ihre Sinne und gehorchte. Mechanisch ratterte sie die Geschichte herunter, so wie sie es bei allen Ärzten machte. Sie kannte die Sätze schon auswendig. Eines verschwieg sie dennoch: den neuen Traum. Sie hielt es nicht für nötig Vòerhogen darüber zu informieren, weil sie dachte, dass er sowieso nichts für sie tun könnte und außerdem meldete sich tief in ihr drinnen eine leise Stimme die sie davor warnte es zu erzählen. Mrs Grey hatte den neuen Traum anscheinend in ihrer Nervosität schon vergessen, denn als Elly endete, hatte sie dem nichts hinzuzufügen. Vòerhogen hatte die ganze Zeit über interessiert wirkend zugehört. Manchmal hatte er die Stirn in Falten gelegt, manchmal genickt. Es machte den Anschein, als wüsste er ganz genau, was Elly für ein Problem hatte. Doch diese war davon überzeugt, dass er nur so tat, um sein Image als anerkannter Spezialist zu wahren. Mrs Grey jedoch, waren die Gestiken Vòerhogens nur positiv aufgefallen. Sie sah Hoffnung, so wie sie es immer tat. „Glauben Sie, dass Sie für meine Tochter etwas tun können?“, fragte sie sehnsüchtig und mit leicht glasigem Blick. „Nun, da lässt sich schon was machen.“, antwortete der Doktor. Elly hätte am liebsten die Augen verdreht. Sie glaubte, ganz genau zu wissen, dass er nur einer von vielen war, die, die absurdesten Therapien anboten und trotzdem absolut keine Ahnung von dem hatten, was wirklich in ihren Patienten vorging. „Wie sie wissen habe ich mich ja auf das Gebiet der Traumforschung spezialisiert. Daher kenne ich einige wirkungsvolle Methoden und Heilverfahren, die das Problem Ellionore`s bald lösen werden.“ Bei diesen Worten lächelte der Doktor Elly wieder an. Er lächelte, wie schon erwähnt, auf sehr unangenehme Art und Weise. Sie versuchte seinen Augen auszuweichen, doch- es war ihr als würde eine unsichtbare Kraft auf sie wirken-, sie konnte nicht. So sehr sie es auch wollte, es war aussichtslos. Elly schien es, als hätten sie sich ziemlich lange so angesehen. Anscheinend war dem aber nicht so, denn ihre Mutter machte eine Weile keine Anstalten, das Gespräch fortführen zu wollen. „Nun, was haben sie genau vor?“, wollte Mrs Grey dann doch wissen. Elly war froh, als sich Vòerhogen wieder ihrer Mutter zuwandte. „Es ist eine, ich muss gestehen, noch sehr unerprobte, Methode, die ich auf einer Fortbildung in Chile gelernt habe, anzuwenden. Aber ich kann sagen, dass sie sich bei den wenigen Testpersonen bis jetzt, nur positiv ausgewirkt hat.“ „Ich meinte viel mehr: Was machen sie genau mit Ellionore?“ „Das mag jetzt für Sie ziemlich absurd klingen, aber vertrauen Sie mir bitte. Nun, zuerst einmal wird sie hypnotisiert, um sie zum Schlafen zu bringen. Dann wird eine Art Akupunktur, wenn man so will, vorgenommen, die die Gehirnströme positiv beeinflussen, das Nervenzentrum stimulieren und somit das Wohlbefinden fördern soll.“ Elly horchte erschrocken auf. Nadeln? Dieser Herr wurde ihr immer suspekter. Jetzt hatte sie wirklich Angst. Große Angst. Am liebsten wäre sie ihrer Mutter auf den Schoß gesprungen, doch die sagte nur: „Nun es klingt ein wenig abstrakt, aber einen Versuch ist es wert.“ Sie sah wirklich in jeder Glut ein Feuer auflodern. Mit diesen Worten stand sie auf, um sich von Vòerhogen zu verabschieden. Elly tat es ihr gleich. Sie war froh, jetzt endlich diesen überaus sonderbaren Räumlichkeiten – und vor allem dem Doktor- entkommen zu können. Doch in Vòerhogens Händedruck, lag auch etwas sehr beunruhigendes.Er drückte Elly´s Hand nicht fest, aber auch nicht zu sachte. Sie hatte das Gefühl, dass er sie mit sich ziehen wollte. Ja, das war es. Er zog ein wenig an ihrer Hand. Mittlerweile wusste Elly nicht mehr, was nur im Bereich ihrer Einbildung lag und was real war. Es war auch wirklich schwierig, das bei diesem seltsamen Dr. Vòerhogen sagen zu können. Als sie draußen waren, atmete Elly zuerst einmal tief durch. Drinnen hätte sie es keine weitere Sekunde ausgehalten. Alles was sie wollte war: weg, nur weg.

„Du schläfst. Du schläfst tief. Du wirst erst wieder aufwachen, wenn ich dich rufe.“ Es war kaum zu glauben, aber wahr. Wie man es normalerweise aus Filmen kennt, stand Dr. Vòerhogen über Elly gebeugt, mit einer Art Pendel in der Hand, welches er vor ihren Augen hin und her schwenkte. Das sie überhaupt hier war, war Elly schon ein Rätsel. Eigentlich hatte sie sich fest vorgenommen, nie mehr einen Fuß in diese unheimliche Praxis zu setzen, aber die Überredungskunst ihrer Mutter war einfach gigantisch. Tatsächlich wurde sie müde. Sie fühlte wie sich ihre Muskeln und alle ihre Gliedmaßen entspannten. Eine angenehme Schwere überkam sie. Alles was sie hörte, war das Ticken, der großen Uhr die auf der gegenüberliegenden Wand angebracht war. Das monotonen Schläge trugen auch seinen Teil zur Entspannung bei. Die Couch auf der sie lag und die ihr zuerst sehr unbequem vorgekommen war, fühlte sich nun mit einem Mal an wie ein Luxusbett. Langsam entglitt sie in einen tiefen, tiefen Schlaf. Das letzte was sie von dieser Welt sah, bevor sie in das unergründliche Reich des Unterbewusstseins vorstieß, waren die tief braunen Augen Vòerhogens, die sie durchdringend anstarrten.

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Tag der Veröffentlichung: 29.09.2010

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