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„Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass wir sie am Leben lassen!“, herrscht Gott mich an. Keine Ahnung wieso ich dafür plädiert habe, dass Mädchen am Leben zu lassen. Vielleicht weil ich Hemmungen habe, ein Kind umzubringen, das nichts dafür kann, dass es zum Ewigen Leben verdammt wurde? „Wie stellst du dir das denn vor? Wo sollen wir sie unterbringen? Auf der Erde können wir sie keinesfalls lassen!“, tobt er weiter. Ich fühle wie sich die Wut langsam ihren Weg durch meinen Körper bahnt. Ich erkenne auf einmal das Unrecht, das hinter dieser ganzen Geschichte steckt. Im Prinzip bin ich eigentlich nichts als ein Angestellter, der das Ausmaß eines Fehlers, des Chefs eindämmen muss. Alles nur um zur maßlosen Perfektion Gottes beizutragen. Das ganze Leid lastet auf den Schultern eines Kindes, dass durch Gottes Fehler zur ewigen Hölle auf Erden verdammt worden ist. Wieso soll ein Mensch getötet werden um Gottes Fehler auszubügeln? Ist ihm das wirklich ein Leben wert? Er hat sich die Suppe eingebrockt, nun soll er sie auch wieder auslöffeln und sich eine andere Lösung überlegen. Die ganze Zeit über bin ich blind gewesen. Ich habe mich in etwas unrechtes verrannt. Immerzu getrieben von dem Leistungsdruck und der Perfektion Gottes. Kann er sich seinen Fehler nicht eingestehen? Ist er dann überhaupt der Gott, den er den Menschen vorgibt zu sein? Und wir Engel? Sind wir dann nicht auch nur Mittel zum Zweck?
Eine ganze Reihe von Zweifeln macht sich in mir breit. Ich beschließe ihm das einfach alles ins Gesicht zu sagen, denn wenn er ein gerechter Gott ist, erkennt er seinen Fehler. „Wollt Ihr wirklich ein Menschenleben opfern nur um euren verdammten Fehler auszubessern?“, schrie ich verzweifelt und wutentbrannt. „Ihr seid eben doch nicht so perfekt, wie Ihr immer vorgebt zu sein. Seht doch euren Fehler!“ Ich bin den Tränen nahe. Ich kämpfe für das Leben dieses Mädchens. Ich will, dass sie all diese furchtbaren Dinge vergessen kann und im großen Garten ihre Ruhe findet. Sie hat für ihre irdischen Taten bestimmt schon genug gebüßt mit dieser ganzen Geschichte. Ich schreie auch die anderen Engel, die im Büro sind, an: „Versteht ihr mich denn nicht? Seht ihr nicht, dass wir im Begriff sind, dieses Mädchen eines großen Unrechtes zu bezichtigen?“ Sie verändern ihr Miene keineswegs und starrten weiterhin gebannt auf Gott. Ich drehe völlig durch. Bin ich wirklich der einzige, den Gott nicht so hingebogen hat, dass ich alles was er im Begriff ist zu tun, gut heiße? Das ist ja wie in einer Sekte, hier! Existiert der Gegensatz zwischen Gut und Böse überhaupt noch? Ich will mit dem Mädchen fliehen, aber ich weiß ganz genau, dass das keinen Sinn hat. Gott würde uns überall aufspüren und wenn wir in den hintersten Winkel des Universums verschwänden. Ich falle auf die Knie und hämmere mit den Fäusten auf den Marmor ein. Gott hat dazu noch kein einziges Wort gesagt. Er müsste es doch eigentlich gut heißen, dass ich mich so für das Recht einsetze. Monoton und emotionslos sagt er: „Jasper, wir müssen die Menschheit vor dem Satan bewahren. Ich kann nicht zulassen, dass du, oder das Mädchen unser Tun gefährdest.“ Was soll das jetzt wieder heißen? Ich schreie, so außer mir vor Wut bin ich. Dass selbst der, den ich für das Oberste und Gerechteste in dieser Welt hielt, hier nicht das Unrecht erkennt. Ich weiß, dass mir und dem Mädchen der entgültige Tod droht. Ja verdammt, ich weiß es. Und was kann ich machen? Es gibt keine höhere Macht als Gott. Es gibt niemanden der uns retten kann. Erst jetzt kommt mir der Gedanke. Wo ist das Mädchen? Als ich ins Büro des Chefs getreten bin, haben die Engel, die mir geholfen haben, das Mädchen herzutransportieren, gesagt dass sie mit ihr vor der Tür warten. Haben sie sie schon längst umgebracht? Bei dem Gedanken schaudere ich und beginne, Tränen zu vergießen. Ich flehe Gott auf Knien und mit gefalteten Händen an: „Bitte Herr! Ich weiß, dass Ihr töten werdet, aber tötet mich für meine Auflehnung gegen Euch, jedoch gewährt bitte dem Mädchen Einlass in den Garten! Sie hat doch mit ihrer Zeit auf Erden, ihre Fehler im irdischen Leben schon genug gebüßt!“ Bevor der Herr etwas entgegnen kann, fliegt die Tür auf und das Mädchen rennt zu mir. Sie muss gespürt haben, dass ich mich für sie einsetze. Sie will mich in den Arm nehmen und auf die Beine ziehen, aber sie wird von zwei anderen Engeln abgehalten. Sie schreit und versucht sich aus deren Griff zu befreien, aber alle Versuche sind vergeblich. Anscheinend denkt Gott nach. Er ist bis jetzt die ganze Zeit mit dem Rücken zu mir gestanden. Er ist sich seiner Schuld bewusst, davon bin ich überzeugt. Doch was wird er tun? Wird er uns umbringen lassen und somit ein großes Unrecht begehen oder sieht er alles ein? Letzteres glaube ich fast nicht. Verzweifelt knie ich nun da. Ich bin mehr als verzweifelt. Es türmt sich ein Gefühl in mir auf, das ich nicht zu beschreiben vermag. Verzweiflung, Wut, Angst, Hass, Mitleid, alles kommt zusammen. Die Tränen rinnen an meinen Wangen herunter, aber ich merke es kaum. Wie erstarrt verharre ich in meiner Pose. Was ist jetzt noch zu machen? Nichts mehr kann ich retten. Sie nicht, mich nicht. Es gibt nichts mehr. Es gibt keinen Gegensatz mehr, zwischen Gut und Böse. Es gibt nur mehr das Böse und das getarnte Böse. Ich kann nicht mehr klar denken, alles mischt sich. Muss man die Menschheit vor Gott beschützen? Solche Gedanken wechseln sich mit unzähligen anderen ab. Ich hätte nie gedacht, dass ich Gott einmal so kritisch, ja feindlich sogar, gegenüberstehe. Ich werde schließlich durch seine laute und erhabene Stimme hochgeschreckt: „Sperrt die zwei weg. Momentan wissen beide nicht, was sie tun.“ Er hat sich, während er die Worte ausgesprochen hat, nicht einmal umgedreht. Das Mädchen wirft mir aus ihren , inzwischen wieder normalisierten Augen, einen verzweifelten Blick zu. Ich erwidere ihn. Völlig vor den Kopf gestoßen, komme ich mir vor. Vier Engel bringen uns in ein leeres, weißes Zimmer, mit vergitterten Fenstern und sperren es von außen ab. Wieder sinke ich auf die Knie. Ich kann nicht mehr, das hier geht zu weit. Völlig entkräftet kippe ich zur Seite. Ich kann an nichts mehr denken, nichts hören, nichts sehen. Vielleicht will ich auch einfach nur nicht. Ich bemerke aber trotzdem, dass sich das Mädchen inzwischen zu mir gesetzt hat und mir ins Ohr flüstert: „Wir schaffen das schon!“ Wie lächerlich. Wir können gar nichts schaffen, wenn der Herr den Entschluss gefasst hat uns endgültig umzubringen. Ich will schlafen. Es gelingt mir auch und ich schlafe mit dem Gedanken ein: „Gut und Böse? Ein schlechter Witz!“

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Tag der Veröffentlichung: 24.08.2010

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