6.
„Kannst du dich bitte beeilen? Was brauchst du denn so lange?“ Mit diesen Worten hämmerte Linda an Piets Badezimmertür. Sie hatte ja keine Ahnung (Gott sei Dank), was da drin vor sich ging: Piet wollte für das Mädchen ganz besonders gut aussehen und war jetzt schon seit geschlagenen 2 Stunden im Bad. So ziemlich alles was man sich unter dem Begriff Körperpflege vorstellen konnte, praktizierte er. Zuerst einmal duschte er sich ausgiebig, dann rasierte er sich so gründlich wie er das schon lange nicht mehr getan hatte, an dieser Steller nahm er Mani,-sowie Pediküre vor, danach zog er sich seine sorgfältig ausgesuchten Klamotten an und schlussendlich band er sich seine Dreads streng nach hinten zusammen und sprühte sich noch mit ein paar Spritzer O´de Toilette ein. „Ja, ja komme schon!“, kam es gelassen aus dem Bad. Kurz darauf kam ein, vor Sauberkeit blitzender, Piet mit einem gedankenverlorenen Lächeln heraus. Linda staunte da nicht schlecht. So viel Wert auf Körperhygiene hatte er ja noch nie gelegt. „Hast du heute irgendwas besonderes vor? Hallo, hast du vergessen? Wir gehen nur was trinken und tanzen. Das war für dich noch nie ein Grund dich so zu stylen.“, sagte sie verwundert. Doch Piet hörte sie nicht. Er war zu vertieft in seine Gedanken. Wie sollte er es anstellen, sie anzusprechen? Das war immer so schwer. Aber er beschloss, sie einfach auf ein Getränk einzuladen und sie nach ein wenig Smaltalk zum Tanzen aufzufordern. Ja, so würde er es machen! „Piet!“, schrie Linda und riss ihn damit aus seinen Gedanken. „Ja...ja..äähh, was hast du gesagt?“, fragte er verwirrt. „Was ist denn los mit dir? So hab ich dich ja noch nie erlebt!“,sagte Linda, die der Allgemeinzustand von Piet etwas beunruhigte. „Nein, nein es ist alles in Ordnung! Ich freu mich einfach nur auf den Abend!“, versicherte er. Linda beschloss sich keine Sorgen mehr zu machen, sondern einfach mal die friedliche Atmosphäre, die während den letzten Tagen etwas abhanden gekommen war, zu genießen. Glücklich verließen sie dann das Hotel, nahmen sich ein Taxi ins Stadtinnere und fuhren zu dem Club, dessen Adresse Linda von Judy bekommen hatte. Dort sollten sie sich treffen. Piet war nervös, aber er wollte es sich natürlich nicht anmerken lassen und versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben. Als sie angekommen waren stieg er als erster aus. Er war so aufgeregt, dass er anfing sich in die Lippe zu beißen. Linda bemerkte von seiner Vorfreude und Nervosität nichts. Sie beachtete ihn eigentlich gar nicht, sondern schritt voran. Das war Piet nur recht. Judy sollte Linda als erstes sehen, so war die Chance kleiner in Verlegenheit zu geraten. Drinnen steuerte Linda auch schon zielstrebig durch die tanzende Menge hindurch zur Bar. Dort wartete Judy schon und sie begrüßten sich freudig. Auch Piet wurde ihr vorgestellt und sie fanden sich auf Anhieb sympathisch. Piet musste sich, wenn er mit Judy sprach, zwar sehr zusammenreißen um nicht irgendwelchen Stuss daherzuplappern, aber im Großen und Ganzen klappte es wie am Schnürchen. Piet wurde selbstbewusster. Schließlich verschlug es die drei auf die Tanzfläche. Sie tanzten als ob es kein Morgen gäbe. Allen dreien tropfte nach einer Dreiviertelstunde schon der Schweiß von der Stirn. Sie mussten etwas trinken, soviel stand fest. Völlig außer Atem taumelten sie lachend und stöhnend auf die Bar zu. Nachdem sie sich alle drei etwas hochprozentiges hinter die Binde gekippt hatten, verschwanden Linda und Judy zu den Toiletten. „Typisch, diese Frauen, bei jedem Getränk müssen se pinkeln gehen!“, dachte Piet, der sich über das Verschwinden der zwei wenig wunderte. Er blieb einfach stehen und bestellte sich noch einen Wodka. Nach einer Weile begann er sich dann aber doch zu wundern. „Mann, die sind jetzt schon seit ner Viertelstunde weg!“, dachte er. „Hoffentlich ist ihnen nichts passiert. Vielleicht sollte ich mal nachsehen.“ Er machte sich auf den Weg zu den Toiletten. Doch als er um die Ecke kam, bot sich ihm ein Anblick, den er so schnell nicht vergessen sollte:
Er sah Linda und Judy, wie sie eng umschlungen vor der Tür zum Damen - WC wild herumknutschten und sich dabei befummelten. Ihm fiel die Kinn-lade herunter. Das musste doch alles ein schlechter Scherz sein, oder? Er stand da, als hätte er gerade den Grinch gesehen. Er rieb sich die Augen. Waren das wirklich Judy und Linda? Natürlich waren sie es. Seine Augen wurden riesengroß. „Nein....nein“, dachte er, „das bildest du dir alles nur ein, Piet!“ Nach einer Weile merkte er aber, dass das Schauspiel, dass ihm da geboten wurde, Realität war.
Jetzt plötzlich löste sich Linda keuchend von ihrem Gegenüber, ihr Blick fiel dabei auf den immer noch, mit offenem Mund dastehenden Piet. Erschrocken stieß sie Judy weg. „Piet, es..es ist nicht so wie du denkst,...“, stammelte sie unnötigerweise. Doch bevor sie weiter reden konnte, hatte Piet sich umgedreht und war schnurstracks Richtung Ausgang marschiert. Bevor er hinausgegangen war, hatte er sich an der Bar noch eine Magnumflasche Sekt bestellt. Gedankenverloren und mit leerem Blick stand er nun auf dem Vorplatz des Clubs, mit einer halb geleerten, riesengroßen Flasche Sekt in der Hand. „Warum?!“, gröhlte er und hob die Hände gen Himmel. Die anderen Gäste, die noch eingelassen werden wollten und vor der Tür in einer Schlange warteten, beäugten ihn mit einem herablassenden Lächeln im Gesicht. „Was glotzt ihr mich so an, he?! Was würdet ihr machen wenn ihr eure beste Freundin plötzlich mit dem Mädchen knutschen seht, das ihr eigentlich küssen wolltet?“, pöbelte er und trank gleich noch einen Schluck Sekt nach. Doch die Leute verstanden kein Wort Deutsch und so sahen sie sich nur achselzuckend an und schienen sich keine weiteren Gedanken über Piet zu machen. Plötzlich hörte er eine vertraute Stimme hinter sich: „Piet, da bist du ja. Mensch, tu doch die Flasche weg, das bringt nichts. Ich werde dir alles erklären!“, redete Linda, die völlig außer Atem aus dem Club gerannt kam, auf ihn ein. „Was gibt’s da noch zu erklären, wenn man fragen darf? Ist ja alles klar.“, zischte er sie an und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. Linda konnte das Elend ihres besten Freundes nicht mehr mit ansehen und entriss ihm den Sekt. „Das hat keinen Sinn!“, schrie sie verzweifelt. „Ich weiß, dass ich dir hätte früher sagen sollen was zwischen mir und Judy läuft!“ „Blickst du eigentlich gar nichts?“, fuhr er sie an. „Es ist ja schon schlimm genug, dass du mir nie gesagt hast, dass du anscheinend auf Frauen stehst, aber noch schlimmer ist es das du mit dem Mädchen herumgemacht hast, mit dem ich das eigentlich tun wollte!“ Für einen Moment war Linda baff. Sie hätte nie geglaubt, dass Piet für Judy etwas empfinden würde. Sie war doppelt schuldig und das wusste sie, aber sie wollte es nicht war haben. Deshalb konterte sie: „Früher oder später wärst du sowieso auf die Schnauze gefallen. Denn Judy ist lesbisch und sie hätte dir das auf jeden Fall gesagt.“ „Ach leck mich doch!“, kam es forsch von Piet. Er hatte vorerst einmal genug. Er winkte ein Taxi zu sich und stieg ein. Als das Auto los fuhr schrie Linda hinterher: „Ich leck dich nicht, denn ich bin lesbisch!!“ Vor lauter Wut schmiss sie dem Gefährt die Sektflasche, die sie Piet vorhin entrissen hatte und jetzt immer noch in der Hand hielt, nach. Die Scherben zerbrachen mit lautem Geklirr auf dem Asphalt. Sie war den Tränen nahe. Sie hatte doch nur Angst gehabt, dass sie ihren besten Freund verlieren würde, wenn sie ihm früher von ihrer sexuellen Orientierung erzählt hätte. Jetzt hatte sie den Salat. Sie setzte sich auf den Boden und ein Schwall Tränen übergoss in den nächsten Minuten ihr Gesicht. „Warum?!“, rang sie sich in ihrem Geheule ab. Ihre Schminke hatte sich inzwischen in schwarze Flüssigkeit verwandelt und tropfte nun auf den Boden. Schließlich raffte sie sich, nach endlosem Ringen mit sich selbst, auf und stapfte an den Wartenden in der Schlange vorbei. Das die sie komisch ansahen interessierte sie keinen Deut, sie bekamen den Mittelfinger als Antwort.
Tag der Veröffentlichung: 23.08.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Anna!! Und nur für Anna!!
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