1.
„Ich hab die Tickets, Linda ich habs sie!“, rief ein Junge, der etwa einen Meter achtzig groß war, Dreadlocks hatte und wie von der Tarantel gestochen, über den Campus der Heidelberger Uni hetzte. Er bremste erst als er ein Mädchen mit schwarzen, langen, lockigen Haaren auf einer Bank, über ein dickes Buch gebeugt sitzen sah. „Hey“, sagte der Junge ganz außer Atem, „ich hab die Tickets!“ Das Mädchen war so vertieft in ihr Buch gewesen, dass sie nun erschrocken hochfuhr, sich aber gleich wieder beruhigte als sie den Jungen sah. „Hey Piet, das ist ja toll!“, rief sie jetzt überglücklich, sprang auf und umarmte ihn. Piet setzte sich neben Linda auf die Bank und musste erst mal verschnaufen. Der Lauf hatte ihn doch etwas angestrengt, schließlich war er kein Sport- sondern Kunststudent. Linda, die es noch gar nicht fassen konnte, lehnte sich zurück und blickte mit weit aufgerissenen Augen in den Himmel. „Wahnsinn,“, sagte sie schließlich, als sie sich ein wenig gefasst hatte, „wir werden tatsächlich nach Indien fliegen!“ „Ich kann es auch kaum glauben, dass unser Traum jetzt endlich war wird.“, sagte Piet, der sich ebenfalls zurückgelehnt hatte. Wenn man die zwei da so sitzen sah, hätte man fast glauben können, sie seien ein Liebespaar. Das waren die zwei aber ganz und gar nicht. Sie waren nur Freunde. Linda und Piet kannten sich schon seit dem Kindergarten und waren schon von klein auf immer durch dick und dünn miteinander gegangen. Heute studierten sie zusammen an der Heidelberger Uni. Sie Völkerkunde, er Kunst. Seit einiger Zeit schon, hatten sie den Wunsch, in den Ferien nach Indien zu fliegen und dort für zwei Wochen zu bleiben. Sie hatten auch beide hart dafür gearbeitet. Sie hatte in einem Restaurant als Kellnerin gejobbt und er hatte sein Geld als Küchengehilfe in einem Altenheim verdient. So war es sehr verständlich, dass sich beide, nach harter Arbeit nun riesig auf den Trip freuten.
2.
Nun es waren die Ferien gekommen und die riesengroße Vorfreude auf die Reise wurde durch eine trödelnde Linda gedämpft. „Ich habe ja gewusst, dass es nichts Gutes bedeutet, wenn man mit einer Frau in den Urlaub fährt!“, raunzte Piet. Linda, die gerade auf der Bahnhofstoilette gewesen war, gab schlagfertig zurück : „Dein ganzes Genörgle werde ich dir mit Emanzipation heimzahlen. Außerdem ich weiß gar nicht was du hast, unser Flug geht um 8 Uhr 30 und jetzt ist es nicht ganz dreiviertel acht. Da vorne ist ja schon der Flughafen.“ „Bis wir den richtigen Schalter finden und dann noch das ganze Gepäck!“ Piet konnte es einfach nicht lassen. Genervt drehte Linda die Augen über, schüttelte den Kopf und stöckelte auf ihren Bleistiftabsätzen voran. So schnell wie sie eigentlich stöckeln wollte, konnte sie nicht, denn das Gewicht ihres riesigen Koffers, den sie hinter sich her zog, machte ihr zu schaffen. Das gab Piet einen erneuten Anlass um eine Schimpftirade über das weibliche Wesen an sich loszulassen: „Ihr Frauen und euer Taschen-pack-Syndrom! Ich verstehe nicht wieso ihr so viel unnötiges Zeug mit schleppt. Linda, ich wette mit dir, die Hälfte an Klamotten, die du, unter Anführungszeichen fürsorglich, wie ihr Frauen zu sagen pflegt, eingepackt hast, wirst du nie brauchen!“ Jetzt wurde es der emanzipierten Linda eindeutig zu bunt. „Ach. Willst du mir etwa erzählen, dass du genug Klamotten in dieser kleinen Umhängetasche, die du da trägst, hast? Dann läufst du tagelang in den selben Klamotten herum, was die Mädchen sicher umhauen wird, denn der Duft der von dir ausgehen wird ist sicher umwerfend.“ Anscheinend hatte sie Piet damit den Rest gegeben, denn der wurde ziemlich leise. Im Stillen dachte er sich, dass er doch mehr Kleidung hätte einpacken sollen. Als sie am Schalter angekommen waren, wurde ihnen gesagt, dass der Flug den sie gebucht hatten, eine Stunde Verspätung hatte. Verärgert setzten sich die beiden auf zwei lehre Sitze in der Wartehalle. Eine Weile saßen sie still nebeneinander. Wenn sich ihre Blicke zufällig trafen, dann sah es aus als gäben sie sich gegenseitig die Schuld an der Verspätung der Maschine. Plötzlich sagte Linda versöhnlich : „Wir haben uns so auf den Trip gefreut, jetzt sollten wir wenigstens die Zickereien lassen.“ Doch Piet gab sich wieder angriffslustig und stichelte: „Wer hat den mit der Zickerei angefangen?“ „Wer hat hier den angefangen zu nörgeln, nur weil ich mal auf Toilette musste?“ Linda merkte, dass es auch keinen Zweck hatte, sich Piet gegenüber versöhnlich zu zeigen. Eigentlich war er ja eher ein relaxter Typ, der nicht unbedingt Streit suchte, aber manchmal kam er doch ein klein wenig frauenfeindlich rüber. So meinte zumindest Linda. So saßen sie nun da und warteten, angespannt wie Drahtseile, auf den Aufruf ihres Fluges. Als die Maschine nun endlich, nach geschlagenen eineinhalb Stunden eingeflogen war und der Flug nach Dheli, Indien, angesagt wurde, fiel Piet ein, dass er sein Handy zu Hause vergessen hatte. Er ärgerte sich grün und blau über seine eigene Vergesslichkeit. Sogar beim Einstieg ins Flugzeug konnte er sich ein paar gepfefferte Kommentare nicht verkneifen. Linda hatte bereits auf Durchzug geschalten, sie hörte ihm schon gar nicht mehr zu. Zum Glück schlief Piet während des Fluges ein, so hatte Linda entgültig ihre Ruhe.
3.
Beinahe hätte Piet die Landevorbereitungen, die die Stuardessen ankündigten, verschlafen, wenn ihn Linda nicht aufgeweckt hätte. Er hatte wirklich tief geschlafen. Beinahe hätte Linda ihm eine verpassen müssen. Als sie gelandet waren konnten die beiden es kaum erwarten aus dem stickigen Flugzeug hinauszukommen. Sie drängelten und schuppsten, wie zwei kleine quängelige Kinder. Linda war sogar jemandem mit Absicht, mit einem ihrer Bleistiftabsätze auf den Fuß getreten. Als sie endlich draußen waren, schlugen sie sich – wahrhaftig, sie schlugen sich durch die Menschenmenge- zur Gepäckausgabe durch. Gott sei Dank war all ihr Gepäck da. Nun brauchten sie ein Taxi um zu ihrem Hotel zu gelangen. Doch das war gar nicht so einfach, wie sie sich das vorgestellt hatten. Anscheinend brauchten ziemlich viele Leute ein Taxi und so konnten sie nur eines tun: am Taxistand warten.Sie waren sehr erleichtert als sich nach einer ganzen Weile die Menschenmenge vor ihnen aufgelöst hatte und sie nun endlich auch eine Chance hatten, zu ihrem Hotel zu kommen. Doch es sah sehr schlecht für die beiden aus: kein einziges Fahrzeug stand mehr dort. „Ach Gott, jetzt können wir wieder warten, bis die alle zurückkommen!“, regte sich Piet auf. Ausnahmsweise stimmte ihm Linda zu. Sie hatte die Warterei ebenfalls satt. Aber sie versuchten das Beste aus ihrer unglücklichen Situation zu machen und setzten sich auf eine alte, rostige Bank. Die beiden boten wirklich einen erbarmenden Anblick, wenn man sie so ansah. Lindas Schminke war veronnen, durch die plötzliche Hitze und Piets Hemd war triefend nass vor lauter Schweiß. Sie wirkten wirklich ziemlich fertig. Eine ganze Weile saßen sie nun schon da und waren in eine Art Halbschlaf versunken, als sie plötzlich durch das Hupen eines Autos hochgeschreckt wurden. Sie glaubten ein Taxi habe sie erschreckt, aber was sie sahen, machte ganz und gar nicht den Eindruck eines gewöhnlichen Taxis. Es war ein alter, türkiser VW Bus, von dem schon der Lack absplitterte und der sich auch sonst nicht gerade im besten Zustand befand. Doch Piet konnte auf einer Autotür eine vergilbte Schrift enziffern: Taxi Abu, stand darauf. Piet und Linda warfen sich zweifelnde Blicke zu. In dem Auto saß ein freundlich aussehender, junger, glatzköpfiger Mann, der eindeutig ein Einheimischer war. Er lächelte den beiden zu und winkte sie zu sich her. Zögernd traten Linda und Piet näher an das Fahrzeug heran. Der Mann musste gleich erkannt haben, dass er es mit zwei Deutschen zu tun hatte, denn er sagte in fast perfektem Deutsch: „Guten Tag, willkommen bei die Taxiuntelnehmen Abu. Nul zu, steigen Sie ein und sagen Sie mil wohin Fahlt gehen soll.“ Linda und Piet waren schon so erschöpft, dass es ihnen egal war, mit welcher Rostlaube sie zu ihrem Hotel kamen. Also packten sie dankbar ihr Gepäck in den Kofferraum und setzten sich auf die Rückbank des alten Gefährts. Sie sagten dem Mann den Namen ihres Hotels und der wusste gleich wohin und fuhr los. „Nun elzählen Sie doch mal, was hat Sie hiel nach Indien velschlagen? Mein Name ist übligends Abu.“ „Also,“, begann Linda, , „ich heiße Linda und das ist mein, etwas frauenfeindlicher, bester Freund Piet. Entschuldige Piet, aber erinnere dich daran, was ich dir bei den Bahnhofstoiletten sagte.“ Abu schmunzelte. Linda fuhr fort: „Nun, wir hatten schon ziemlich lange den Wunsch gehabt nach Indien zu fliegen, weil uns das Land unheimlich fasziniert. Wir haben hart dafür gearbeitet und jetzt ist es endlich soweit.“ „Du hast vergessen zu sagen, dass wir nicht zuletzt auch hierher geflogen sind um für meine Bilder Inspiration zu finden!“ Piet wirkte leicht beleidigt. „War ja klar. Du musst wie immer den Kunststudenten, der sich einbildet geniale Bilder zu malen, raushängen lassen. Manchmal bist du wirklich ein ganz schöner Idiot und Erbsenzähler, Piet!“, und zu Abu gewandt sagte Linda: „Entschuldigen Sie, aber Piet ist heute etwas gereizt.“ Während Linda sich weiter mit Abu unterhielt, sann Piet auf Rache. Linda hatte Abu gerade gefragt, wie lange er schon sein Geld mit Taxifahren verdiente. Abu gab zur Antwort: „Oh, das mache ich seit mein Muttel nicht mehl selbel albeiten kann, weil sie schon so schlimm Klebs hat, dass sie sich nicht mehr viel bewegen kann.“ Abu wurde bei diesen Worten sehr traurig. Auch Linda fühlte mit Abu mit und wünschte sich insgeheim, diese Frage nicht gestellt zu haben. Sie beschloss, dass es am Besten sei eine Zeit lang ruhig zu sein. Da kam es von Piet: „Linda, die Landschaft hier ist so schön, ich möchte das mit meiner Kamera festhalten. Hast du zufällig gesehen wo sie herumkrebst?“ Linda traute ihrem Gehör nicht. Abu zog die Brauen zusammen und sein Blick wurde finster, er sagte aber nichts. Linda bekam riesige Augen, sie wurde puterrot im Gesicht und wusste nicht was sie sagen sollte. Sie zischte: „Piet, reiß dich zusammen.“ Viel mehr brachte sie vor lauter Entrüstung auch nicht heraus. Piet aber wars zufrieden. Er hatte es Linda heimgezahlt. Zwar auf Kosten Abus, doch das war Piet eigentlich egal. Abu redete während der ganzen restlichen Fahrt kein Wort mehr mit den Beiden. Als sie am Hotel angekommen waren, beschloss er ihnen ebenfalls ein Schnippchen zu schlagen und verlangte einfach um die Hälfte mehr Fahrtkosten. Er sagte es ihnen aber nicht. Linda, die nicht dumm war, wusste natürlich warum die Fahrt so viel gekostet hatte und legte erst mal los: „So, du taktloser, gefühlskalter Idiot. Du wirst mich noch kennenlernen. Eigentlich dachte ich, dass du selten Streit suchst und dass der Urlaub sicher ruhig und erholsam werden wird, aber da habe ich mich wohl getäuscht. Wenn du es unbedingt auf die Tour willst, dann sollst dus so haben.“ Verächtlich schnaubte sie und stolzierte in Richtung Hotellobby davon. In ihrer grenzenlosen Wut hatte sie den Kopf ein wenig in den Nacken gelegt und schaute natürlich nicht vor sich auf den Boden. Das wurde ihr zum Verhängnis: sie stöckelte mit ihren Absätzen über ein Kanalgitter, hackte mit einem der Stöckel ein und viel der Länge nach hin. Wutentbrannt und mit hochrotem Gesicht drehte sie sich zu Piet um und schaute in böse an, als ob er etwas dafür könne. Den hatte dieses Szenario anscheinend sehr belustigt, denn er musste lauthals auflachen und sich den Bauch halten, als er dann auch noch das tomatenfarbene Gesicht seiner besten Freundin sah. So trudelten an diesem schwülem Sommerabend ein belustigter Piet und eine wütende Linda im Hotel „FRESH DHELI“ ein.
4.
Linda und Piet waren sehr erleichtert als sie endlich die Schlüssel zu ihren Zimmern bekommen hatten. Sie wollten sich ausschlafen, denn sie hatten in den letzten Stunden wirklich viel mitgemacht. Als sie im 3. Stock des Hotels, wo sich ihre Zimmer befanden, ankamen stellte sich ihnen ein weiteres Problem in den Weg : Unten, an der Rezeption war ihnen gesagt worden, dass nur eines der beiden Zimmer einen Balkon hatte. Wer sollte diesen Raum nun bekommen? Linda verschwendete gar keine Zeit, darüber eine Debatte zu beginnen und ging gleich zielstrebig auf das bevorzugte Zimmer zu. Gerade als sie den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, stellte sich Piet zwischen sie und die Tür. „Wer sagt eigentlich, dass du das Zimmer mit Balkon bekommst?“ „Aber Piet, ich bitte dich, das ist doch wohl selbstverständlich, dass ich es bekomme. Ein Gentleman wie du einer bist, müsste normalerweise wissen, dass man das bessere, egal in welcher Beziehung, immer einer Lady überlässt.“ Mit diesen Worten versuchte sie Piet zur Seite zu schieben. Doch der gab sich noch nicht geschlagen: „Lady? Wo? Ich sehe keine.“ In Linda braute sich wieder einmal ein Gewitter zusammen, doch sie hatte keine Lust sich auf ein neuerliches Streitgespräch einzulassen. Sie wollte es so schnell wie möglich zu Ende bringen. „Komm sei nicht kindisch. Überlass einfach mir das Zimmer und damit ist gut.“ Piet konnte nicht glauben was er da hörte. Er sollte sich einfach geschlagen geben? Auf gar keinen Fall. Er setzte zu einer Antwort an, doch Linda ließ in nicht zu Wort kommen: „Wenn du jetzt nicht gleich in dein unkomfortables Zimmer, mit schlechter Aussicht verschwindest, werden es deine Zähen mit meinen Absätzen zu tun bekommen.“ Linda meinte das sehr ernst. Sie blickte Piet vielsagend an. Der hob die Arme beschwichtigend vor seinen Oberkörper; „Ist ja gut ich verschwinde ja schon!“ Er drehte sich um und trottete zu seinem Zimmer. Er spürte die triumphierenden Blicke Lindas im Nacken. „Furchtbar ist sie heute, dieses Weib!“, dachte er bei sich.n ihren Zimmern angekommen, ließen sich beide erst mal aufs Bett fallen.
Gedankenauszug Linda:
Ich dachte eigentlich, dass ich Piet sehr gut kennen würde, aber von dieser Seite habe ich ihn ja noch nie erlebt. Klar, kleine Zickereien ab und an, hatten wir schon oft gehabt, aber dass so richtig die Fetzen fliegen würden, wie heute, habe ich nie im Leben geglaubt. Diese Pussy!! Ich lass mich bestimmt nicht unterkriegen!! Mal sehen ob er sich morgen immer noch so angriffslustig zeigt. Wenn nicht, geb ich mich auch von meiner Zuckerseite, wenn doch werde ich meine Zitronenseite auspressen und ihm den daraus gewonnenen Saft in seine Wunden gießen!!
Gedankenauszug Piet:
Ich habe gar nicht gewusst, dass Linda so eine Kratzbürste ist. Unglaublich! Wenn sie mir das nächste Mal mit ihren Absätzen droht, werde ich ihr mit meinen getragenen Socken drohen. Wenn es einmal darauf ankommt, wird sie sicher für ein ganze Weil außer Gefecht gesetzt werden. Bei dem Gestank werd ich ja selber fast ohnmächtig. Socken hin oder her, wenn sie sich morgen einigermaßen zusammenreißt, werde ich das auch versuchen.
Tag der Veröffentlichung: 09.08.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Anna, die mein Leben ungemein bereichert und mit der ich bestimmt auch einmal nach Indien fliegne werde. Ich liwää dich meine kleine Mäggrzieche!!!