Es war wieder Wochenende und ich traf mich mit meinem Kumpel Frank im Musikclub. Eigentlich ein heruntergekommener Laden mit einer langen Theke und einer Bühne, auf der wir immer links hinter den Boxen standen. Zwei junge Kerle, die nichts, als den nächsten Ochsenblut im Kopf hatten. Frauen spielten zwar eine Rolle in unserem Leben, aber die kamen und gingen. Also war es zum Sport geworden, am Wochenende hier abzuhängen und all den Dingen ihren Lauf zu lassen. In den Räumlichkeiten war das Rauchen erlaubt. Es wurde dort allerdings nicht nur Tabak geraucht. Das andere Zeug (b)rauchten wir nicht, um in Stimmung zu kommen. Wir standen einfach da und beobachteten das Volk zu unseren Füßen. Viele bekannte Gesichter, die sich im Laufe der Zeit in unser Gedächtnis brannten.
Auf einmal sprach mich Frank an: "Schau mal die zwei Mädels. Ich zeig dir jetzt mal,wie man die anmacht."
Er nahm sich eine Zigarette und fragte sie nach Feuer, obwohl er selbst minderstens ein Feuerzeug in der Tasche hatte. Er bekam auch seine Zigarette von einer der Beiden angesteckt und schon fing er an und quasselte wie ein Buch. Kurze Zeit später kam er dann, mit den Frauen zu mir und wir stellen uns kurz vor. Die Große war Liane und die Kleine, ein bisschen kräftige war Silvia. Frank hatte sein Netz ausgeworfen und redete wie wild auf Silvia ein. Die schien nicht uninteressiert und so standen Liane und ich irgendwie doof rum. Nein, sie war so gar nicht mein Typ. Größer als ich und mir kam es vor, als ob sie auch um einiges älter war. Silvia wäre die gewesen, die mich interssiert hätte, aber wie könnte ich da jetzt dazwischen gehen? Liane und ich unterhielten uns über belangloses Zeug.
Ob wir öfter hier wären und so.
"Klar, denn hierzu gibt es doch keine Alternative. Geile Musik und was leckeres zu trinken."
Ich spürte Blicke. Nicht von Liane, sondern von Silvia. Hmpf, sie redete mit Frank und schaute mich dabei an. Irgendetwas hatte sie. Irgendwas faszinierendes.
Der Abend verging und irgendwann verabschiedeten sich die beiden Frauen und wir widmeten uns wieder unserem Ochsenblut.
Das war wohl nichts, dachte ich mir. Doch ich sollte mich irren.
Eine Woche später, waren sie wieder da. Diesmal allerdings war Frank nicht da. Silvia hatte, wie letzte Woche ein dunkelblauen Sweatshirt und Jeans an. Das wurde mein Abend. Wir unterhielten uns lange über Gott und die Welt. Was wir so trieben und welche Art von Musik wir hören. Sie waren tatsächlich beide älter, aber was macht das schon? Beide lernten im gleichen Betrieb und so hatte die Freundschaft begonnen. Auch dieser Abend verging zu schnell und ich hoffte auf ein baldiges Wiedersehen. Ich wurde nicht enttäuscht.
Eine weitere Woche später waren sie wieder da und Silvia hatte mir etwas mitgebracht, dass sie mir in ihrem Auto geben und erklären wollte.
Häääää?
Ich ging mit ihr vor die Disco, wir setzten uns in ihr Auto und sie zeigte mir eine Kasette, die sie extra für mich aufgenommen hatte. Sie schob die Kasette in ihr Autoradio und erzälte mir die Geschichte zur Musik.
Ein Mann ist auf einer einsamen Insel und möchte gerettet werden. Keiner findet ihn und er fühlt sich nackt. Irgendwann, nach Jahren, wird er dann gefunden und zurück in die Zivilisation gebracht. Er kann damit nicht umgehen und wünscht sich nichts weiter, als wieder nackt auf seiner Insel zu sein.
Diese Geschichte rührte mich sehr. Ich fühlte mich, obwohl ich ja angezogen mit ihr im Auto saß, sehr nackt. Also kuschelte ich mich an Silvia . Sie gestand mir, dass es ihr ähnlich ergehen würde, wie diesem Mann. Zu gerne würde sie manchmal der Zivilisation entfliehen, um auf einer einsamen Insel zu sein. Ich bat sie, mich mitzunehmen, wenn sie denn wegbringen. Ein langer,leidenschaftlicher Kuss war ihre Antwort. Es sollte der Erste und Letzte sein.
Die Wochen und Monate vergingen wie im Flug. Wir trafen uns öfter und auch zu Liane fand ich irgendwann einen Zugang. Hauptaugenmerk, meinerseits lag aber voll auf Silvia. Frank hingegen, war irgendwie aus der Sache raus. Keine Ahnung, was der so trieb.
Damals waren deutsch gesungene Lieder top modern. Das nannte sich Neue Deutsche Welle. So wurden auch Künstler und Gruppen bekannt, die eher in Dialekten sangen. Eine davon war BAP. Sie tourten von Oktober bis Mai in ganz Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz. Am 26.02.1983 sollten sie auch bei uns spielen. Die Mädels wollten unbedingt hin und hatten sich auch schon Karten besorgt. Ich zögerte, denn so richtig verstehen tue ich den Text von BAP nicht. Ich zögerte zu lange. Nachdem mich Silvia immer wieder gefragt hatte, ob ich nicht doch mitgehen will, war das Konzert ausverkauft.
Ach, was für ein Schiet!
Tja, wer zu lange zögert, den bestraft das Leben.
Ich versuchte es in allen möglichen Vorverkaufsstellen, aber nichts zu machen.
Ich beichtete Silvia mein Missgeschick. Sie meinte, sie ginge auf jeden Fall. Ich sollte mal direkt vor dem Konzert probieren, ob ich nicht doch noch an eine Karte kommen könnte. Wir würden uns dann an der Garderobe treffen. Dort würde sie bis zum Anfang des Konzertes auf mich warten.
Gesagt, getan. Eine Stunde vor dem Einlass war ich an der Halle. Die Massen, die in Besitz einer Karte waren, wollten rein.
Woher soll ich jetzt noch eine bekommen?
Warum hab ich auch nicht gleich reagiert?
Viele bekannte Gesichter. Alle wollten sie rein. Ich auch.
Dort drüben stand Jürgen und hielt irgendwas hoch. "Hallo, was hältst du denn da hoch?"
"Karten. Zwei hätte ich abzugeben."
"Was sollen die kosten?"
"50 Mark."
"Bist du irre? Die Karte hat doch nur 15 gekostet."
"Ja und? Wer jetzt noch eine Karte haben will, der bezahlt auch 10 Mark mehr pro Karte. Ich verkaufe sie auch nur zusammen. Warum fragst du eigentlich?"
"Tja, ich habe keine Karte. Aber was will ich mit 2 Karten und dann noch zum Preis von drei und mehr."
"Ja, entweder du willst rein, oder du willst nicht. Aber ich mach dir einen Vorschlag : wenn ich die Karten nicht zusammen verkaufe, bis sagen wir in einer halben Stunde, dann gebe ich dir eine davon, allerdings zum doppelten Preis."
Ich watrete geduldig .
Nach einer halben Stunde, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, hatte ich endlich meine Karte. Nichts wie rein. Drinnen wartete Silvia auch, wie verabredet, auf mich. Sie gab mir einen Brief, mit der Bitte, ihn erst zu Hause zu öffnen. Das Konzert begann und der Major, Wolfgang Niedecken und die anderen Bandmitglieder, zeigten, was in ihnen steckte. Auch wenn ich die Texte nur zur Hälfte verstand, brachten Lieder wie Kristalnacht und Jupp eine melancholische Seite von mir zum Erwachen. Eng umschlungen stand ich hier mit ihr, weit weg vom Gedränge, ganz hinten, fast am Ausgang. Sie war da, wir erlebten das hier zusammen. Das war es, was für mich zählte. Das Drumherum wurde zur Nebensache.
Nach dem Ende des Konzertes verabschiedeten wir uns und ich fuhr nach Hause. Dort öffnete ich den Brief und fiel aus allen Wolken. Die Worte triefen mich hart.
Lieber Alex, du bist ein fantastischer Junge, aber ich kann mir nicht vorstellen länger mit dir zusammen zu sein. Ich bitte dich keinen Kontakt mehr mit mir aufzunehmen.
Das war die Kurzfassung des 4 Seiten handgeschriebenem Briefes. Wie gesagt, es traf mich, wie ein Hammer.
Ich machte tatsächlich, was sie sich gewünscht hatte. Allerdings ließen mich die Gedanken an sie nicht so einfach los. Ungefähr 3 Jahre später fuhr ich durch Zufall in ihren Ausbildungsbetrieb. Ich fragte, ob sie noch hier arbeiten würde. Nach einiger Zeit wurde mir dann mitgeteilt, dass sie vor knapp 3 Jahren mit dem Motorrad tödlich verunglückt sei. Kurz nach dem Konzert.
Jetzt, Jahre später hat die Musik von BAP, einen ganz anderen Stellenwert. Du kannst zaubern und Frau ich freue mich, haben eine gewisse Doppeldeutigkeit.
Liane habe ich seither nicht mehr gesehen. Mit Frank habe ich noch immer Kontakt und sogar mit Jürgen, von dem ich mich an jenem Abend verarscht gefühlt habe, auch wenn er meine Rettung des Abends war, treffe ich ab und zu.
Jenen Brief habe ich heute noch. Auch nach über 30 Jahren erinnert er mich an diese tolle Frau.
Das Konzert werde ich niemals vergessen.
Um es mit den Worten von BAP zu sagen: Verdamp lang her...
Texte: Alexander Markus
Bildmaterialien: Alexander Markus
Tag der Veröffentlichung: 18.06.2017
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
In Erinnerung an die gute alte Zeit im Leierkasten. Das Buch widme ich Liane F. und Silvia D. Es war eine schöne Zeit. Silv, schade, dass du viel zu früh von uns gegangen bist. Das Bild auf dem Titel ist nicht aus jener Zeit. Es entstand bei einem Konzert von Meat Loaf in Frankfurt. Mehr als 30 Jahre nach meinem ersten Konzertbesuch.