Er war schon immer da. Mein ganzes Leben habe ich ihn direkt vor meinem Fenster. Viele Geschichten und Mythen rankten sich um ihn. So hatte ich in meinen Kindertagen meinen Großvater gefragt, warum der Rotenfels so rote Streifen hat. "Weißt du, dort oben war einmal ein Schäfer mit seiner Herde. Das waren ganz viele Tiere. Als der Leithammel vorne an der Felskante war, sprang er hinunter und der Rest der Herde folgte ihm. Das Blut der Herde färbte den Rotenfels rot. Daher kommen die Streifen." Diese Geschichte stimmte natürlich nicht. Sie brachte mich nur immer wieder zum Nachdenken, einem Leithammel nicht unbedingt folgen zu müssen.
Aber auch viele, die ihres Lebens müde waren, hatten hier ihren letzten Sprung getan. Die Feuerwehr konnte ja ihre Reste einsammeln. Deshalb trug der Fels auch, unter bösen Zungen, den Namen Todesfels. All das kümmerte ihn aber wenig. Doch der vergange Tag sollte etwas für mich bereit halten, das ich so noch nicht gesehen hatte.
Den ganzen Tag hatte die Sonne gescheint und den Felsen erwärmt. Das Porphyr hatte die Hitze gespeichert, wie schon viele Jahre zuvor. Über 200 Meter war die Felswand hoch und war der Witterung ausgesetzt. Am Abend kam dann die Abkühlung. Der Regen fiel in Massen. Das Wasser lief die Wand hinunter, in den kleinen und großen Rinnen, die sich in all den Jahren in den Fels gebohrt hatten und suchte sich seinen Weg, hinunter zum kleinen Fluß. Als der Regen nachgelassen hatte, atmete der Berg auf. So könnte man es fast beschreiben. Leichte Nebelschwaden hingen an der Felswand. Selten sichtbar, weil der Einblickwinkel und der Winkel der Sonne stimmen musste. Hier wurde Wasser, das seinen Weg nicht zum kleinen Fluß fand, zu neuen Wolken, die sich irgendwo weiter im Osten wieder entleeren würden. Die Natur zeigte uns, in einem selten zu sehenden Schauspiel, wie das funktioniert.
Anblicke, die sich tief in den Geist bohren.
Ein kleines Stück Heimat.
Texte: Alexander Markus
Bildmaterialien: Alexander Markus
Tag der Veröffentlichung: 03.06.2017
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