Wie misst die Gesellschaft in Deutschland Erfolg?
An dem, was wir tun, in welcher Art von Beschäftigung wir uns befinden. Je mehr Geld wir verdienen, umso höher ist unser Ansehen und der Erfolg in der Gesellschaft.
Was allerdings ist, wenn wir in keiner Beschäftigung stehen, wenn wir in jener Erfolgsskala ganz unten landen?
In diesem Buch schildere ich, wie schnell es gehen kann, von relativ weit oben, recht schnell, nach ganz unten zu purzeln.
Im Arbeitsverhältnis stehend, kurze Zeit später ohne Arbeit, um dann irgendwo zu landen, wo man eigentlich nicht hin wollte. Es kann schneller gehen, als uns klar ist. Welche Folgen hat es, wie kommt man damit zurecht und zu was führt welches Vorgehen?
Vorab ein Gedicht
Akku leer,
alles fällt schwer.
Angst spielt eine große Roll,
was ich alles schaffen soll.
Ich kann einfach nicht mehr,
jedes Handeln fällt schwer.
Das Kartenhaus bald zusammenbricht.
Was wird aus mir, dem armen Wicht?
So oft gesagt, was ich will,
das Gegenüber ewig still.
Auf Fehler lauernd,
die Zeit überdauernd,
an meinen Nerven nagend,
einfach nichts aussagend.
Salz bereithalten für meine Wunden,
Tag um Tag und alle Stunden.
Wohin mein Weg mich führt,
das keinen dort berührt.
Druck, Druck, Druck!
Wehe dem, der aufmuckt.
Ich renne ewig gegen diese Wand,
Keiner nimmt mich bei der Hand,
zeigt mir den Weg aus dem Teufelskreis,
interessiert keinen, diesen Scheiß.
Will mich keiner je verstehen?
Muss ich erst untergehen?
Weg mit mir, der nächste bitte.
Ist das Regel, ist das Sitte?
Dann wünsche ich euch gute Nacht,
hab all die Jahre umsonst geschafft.
Viele Jahre hatte ich für meine Firma gearbeitet, ohne Murren Überstunden angehäuft, Dinge gemacht, die in keiner Stellenbeschreibung aufgeführt waren, mehr gemacht, als eigentlich verlangt war. Das ging viele Jahre gut. Irgendwann kam dann ein neuer Abteilungsleiter. Er kam aus dem Ausbildungsbereich der Firma, vielleicht hatte ich mir zu viel erhofft, vielleicht wollte er sich profilieren, vielleicht passten wir einfach nicht zusammen. Es passierte das, was passieren musste. Er baute Druck auf, physisch, wie psychisch und schnell kam ich an meine Grenzen. Wäre es dann nicht besser, sich diesem Druck zu entziehen und vielleicht in einer anderen Abteilung etwas zu finden?
Kurzerhand folgte ich dieser Idee.
Keine zwei Monate später wurde ich ins Personalbüro beordert und sah mich meinem direkten Vorgesetzten und meinem Abteilungsleiter gegenüber. Geschockt, wie das Kaninchen vor der Schlange kam es innerhalb von Minuten zu einem Auflösungsvertrag, den ich unterschrieb.
Ich ging an meinen Spind, der fast 30 Jahre meine private Kleidung aufnahm, räumte ihn leer und verließ, letztmalig, den Bereich. Geschockt, wie schnell es doch gehen kann und wie wenig Wert ich dieser Firma doch war. Mein Wissen, das ich mir über die Jahre angeeignet, gerne an die Kollegen weiter gegeben hatte, war nun nichts mehr Wert. Man hatte mich ausgekaut und ausgespuckt. Ich fühlte mich ganz unten, nicht mehr gebraucht, enttäuscht.
Was hätte ich besser machen können? Konfrontation, oder mich unterwerfen und gegen meinen inneren Frieden weiter in der Firma das machen, wovon ich fest der Meinung war, dass es mich früher oder später kaputt machen würde. Ich hatte wenige Sekunden für diese Wahl. In dem Augenblick, als mir ein Auflösungsvertrag vorgelegt wurde. Ich unterschreibe etwas, wovon ich wusste, dass es nicht richtig und mir gegenüber total unfair formuliert ist, oder ich werde hochkant rausgeschmissen, weil ich einfach nicht ins Team passte. Ins Team schon, aber nicht in die Denkweise der Vorgesetzten. Also wurden mir Dinge vorgeworfen, die ich mit logischem Denken widerlegen konnte. Es brachte nichts. Egal welche Argumente ich auch nannte, meine Gegenüber hatten einen Entschluss gefasst, der durchgesetzt werden musste. Ich wusste, mein Kopf rollt. Jegliches Weitermachen, führt nur zu neuen Qualen. Wenn ich mich also jetzt wehrte, was brachte es? Ich würde zum Vorführobjekt werden, zum Exempel. Als Beispiel dienen, für all jene, die sich einbilden, irgendetwas an dem Kopf der die Entscheidungen trifft, zu kritisieren. Ich wollte nicht zum Vorführobjekt werden. Zu einem Verurteilten, der vor dem Verlust seines Lebens nochmals dem ganzen Volk zur Schau vorgeführt wird.
Die Art und Weise, wie all das gekommen war, fühlte sich nicht richtig an. Das und die nicht absehbaren Folgen ließen mich zu einem Anwalt, der sich speziell auf dem Gebiet des Arbeitsrechts auskannte, gehen. Der erste, reine Beratungstermin kostete so viel, wie ich innerhalb einer halben Woche auf meinem alten Arbeitsplatz verdient hatte. Es war, wie gesagt, ein reines Beratungsgespräch und die Kosten für eine eventuellen Gerichtsstreit würden sich auf mindestens den 10 fachen Wert des Beratungsgesprächs belaufen.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, so ging es mir durch den Kopf.
Ich schilderte den Vorfall also meinem Anwalt und er hielt die Art und Weise von Kaninchen und Schlange, sagen wir mal, für menschlich recht fragwürdig. Allerdings machte er mir sogleich klar, dass man von jedem Vertrag zurücktreten könne, von einem Auflösungsvertrag nicht. Es gäbe allerdings in meiner Schilderung Hinweise, die eventuellen rechtlichen Schritten, zu meinen Gunsten, der Möglichkeit einer Anfechtung, dieses Vertrages. Dies könne man allerdings nur, wenn ich ihn mit der Bearbeitung des Falles beauftrage.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, sagte ich mir wieder.
Wir gingen also gegen meinen Ex-Arbeitgeber gerichtlich vor.
Der erste Termin, der einfach zur Einigung dienen sollte, kam und das Auftreten der Rechtsabteilung meiner Firma, brachte mich ein wenig zum Grinsen. Egal was für Argumente mein Anwalt brachte, die Frau der Rechtsabteilung schien nicht vorbereitet. Sie hatte von allem, was Fakt war, anscheinend keine Ahnung. Sie bot mir eine Kleinigkeit an mehr an Abfindung an. Dieses mehr hätte nicht mal die Kosten für meinen Rechtsanwalt gedeckt. Es war lächerlich, also habe ich dankend abgelehnt, da ich auch der Meinung war, dass der Richter voll und ganz hinter meiner Argumentation stand. Es wurde vertagt und die nächste Verhandlung sollte 8 Wochen später stattfinden. Zwischenzeitlich sollten wir uns vielleicht noch mal Gedanken machen, ob es nicht zu einer Einigung kommen könnte.
Die Zeit verstrich und der Termin für die große Kammer, also 3 Richter und Beklagte sowie Kläger, rückte immer näher. Nichts tat sich. Keinerlei Regung. Zwei Tage vor dem genannten Termin kam ein Brief von meiner Firma. Sie wollte Zeugen benennen, die gar nicht dabei waren, aber die mich aus Betriebsversammlungen evtl. kennen. Diese Zeugen wurden benannt, weil, sie hätten sich, vor unserem damaligen Treffen, gegen die Weiterbeschäftigung meiner Person in ihren Abteilungen, ausgesprochen. Nun stellte sich mir die Frage: welcher Abteilungsleiter stellt sich gegen seine eigene Firma, nur um einen X-beliebigen den Arsch zu retten? Sie würden alle im Sinne der Firma aussagen, auch wenn sie in ihrem Inneren wüssten, dass jeder von ihnen, mit dieser Aussage, eine Lüge begehen würde. Wo sind da überhaupt noch Chancen für mich? Was hätte dieser Kammertermin überhaupt für einen Sinn, wenn jeder, der als Zeuge auftreten würde, gegen mich aussagen würde? Also zog ich einen Tag vor dem Termin den Schwanz ein stimmte der Kleinigkeit an Mehrabfindung zu. Ich konnte froh sein, dass die Firma dem noch zustimmte.
Lange vor diesen Vorfällen hatten wir eine Fahrt in eine europäische Hauptstadt geplant. In jene Hauptstadt, die vor vielen Jahren ein Reich ihr Eigen nannte und in deren Mittelpunkt der kleinste Staat in Europa liegt. Wir fuhren nach Rom. Irgendwie in der Hoffnung, göttlichen Beistand für die kommende Zeit zu erhalten.
Die alten Mauern, die schon so viel Geschichten und Geschichte erlebt hatten, waren beeindruckend. Der Petersdom geradezu überwältigend und doch ging mit jedem Schritt die innere Unruhe mit, jene Gewissheit, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Die Vergangenheit vor Augen, aber auch die Zukunft. Die Zukunft könnte auch dort sein, wo die Übernachtungsmöglichkeiten jener war, die kein Dach mehr über dem Kopf hatten. Jene, die ihr Geld durch die Gutmütigkeit derer erhielten, die bereit waren, ihnen etwas zu geben. War das die Zukunft? Würde ich jemals so enden? Die Mütze vor mir, an einer Wand lehnend, auf dem Boden sitzend und wartend, bis die ein oder andere Münze in meine Mütze fällt. Nichts blieb wie es war, nichts blieb für die Ewigkeit, auch und gerade hier im alten Rom.
Ein Kurzurlaub, der in diesem Sinne der Erholung gelten sollte, mir aber bewusst machte, welche Rolle ich spielte. Welche Rolle in der Weltgeschichte, in der Geschichte für die Nachwelt: keine. Ich, der Tourist aus Deutschland, hatte bisher nichts in meinem Leben erreicht, worüber man in ein paar Jahren noch sprechen würde, worüber in ein paar hundert Jahren noch irgendjemand sich Gedanken macht. Ich bin nur eine kleine Nummer. Ein Atom im Universum all derer, die an jenen Tagen in der italienischen Hauptstadt waren. Unsichtbar, unbemerkt.
Nun ist es in Deutschland so, dass jeder Arbeitnehmer in die Arbeitslosenversicherung einzahlen muss. Wie man weiß, ist das bei den Versicherungen nicht ganz so einfach mit dem Auszahlen der Leistungen, wenn man mal in den Schadensfall kommt. Hände aufhalten können sie alle. Wenn es aber zur Auszahlung kommt, dann muss man sich an ganz bestimmte Vorschriften halten und wehe es geht nicht genau den Weg, den die Versicherung will, dann bleibt der "Geschädigte" eben auf seinen Kosten sitzen. Das ist bei der Arbeitslosenversicherung nicht anders, als bei allen anderen Versicherungen.
Nachdem ich mich bei der Agentur für Arbeit, arbeitssuchend gemeldet hatte, bekam ich relativ schnell einen ersten Vorstellungstermin. Wie der Zufall wollte, genau an meinem Geburtstag.
Also fuhr ich aufs Amt und wurde von einem netten Herrn begrüßt, der, so sollte ich später erfahren, zu den kreativeren in seinem Bereich zählt. Dies sollte mir aber nicht so viel nutzen, denn die Sachbearbeiter wechseln die "Klienten", damit nur keine persönliche Beziehung aufkommen kann.
Der Mitarbeiter fragte mich, was ich mir denn vorstellen würde in Zukunft zu tun, um mein täglich Brot zu verdienen. Das war etwas, worüber ich mir noch gar keine Gedanken gemacht hatte. Arbeit, egal was. Allerdings keine Nachtarbeit, Schichtarbeit, Wochenendarbeit, und auch keine.... Mir fielen nur Dinge ein, die ich nicht machen wollte. Was ich mir wünschte, ging irgendwie in der Masse der Negativnennungen unter.
Was haben Sie gelernt und könnten Sie sich vorstellen, in diesem Bereich wieder zu arbeiten?
Mein Ausbildungsberuf gibt es zwar noch, allerdings sind alle Firmen der Brange, in der ich lernte, nicht mehr existent. Die Tätigkeit als solches hat sich sozusagen in Luft auf gelöst. In dem Grundberuf könnte ich mir allerdings vorstellen wieder zu arbeiten.
Es hat sich allerdings in den letzten 30 Jahren so viel getan, wie wäre es mit einer Weiterbildung?
Klar, warum nicht?
Hier haben Sie einen Gutschein, damit gehen Sie zum Bildungsträger und vereinbaren einen Termin, zu dem Sie dort beginnen können.
Ich, also nichts wie hin zu jenem Bildungsträger. Dieser hatte in unserer Stadt allerdings zwei Räumlichkeiten und ich landete natürlich in der Falschen.
Nachdem ich den richtigen Ort fand, wurde ich von zwei Herren in ein Gespräch gezogen und sie wollten die gleichen Auskünfte, wir der Herr vom Arbeitsamt. Der nächstmögliche Termin wurde mir mitgeteilt und ich möge bitte pünktlich sein.
Ich kam pünktlich, wohl etwas überpünktlich und mit mir fingen 3 weitere arbeitssuchende Menschen in dieser Fortbildung an. Ganz unterschiedliche Geschichten taten sich da auf. Ein junger Mann, der nach der Ausbildung seinen Lebensunterhalt durch Beschäftigung bei Leiharbeitsfirmen unterhielt. Eine Steuerfachangestellte, die eine persönliche Auszeit von einem Jahr nahm und nun überall hin wollte, nur nicht mehr in ein Steuerbüro. Eine ältere Frau, die wenige Wochen vor dem Empfang von Hartz 4 stand, deren Lebenslauf so lange war, wie meine ganze Bewerbung. Es waren noch 3 weitere Damen da, die bereits schon etwas länger in der Weiterbildung waren. Eine davon war von ihrem Mann verlassen worden und hatte sich die letzten Jahre, im Auftrag ihres Mannes, einzig und allein, um den Haushalt und die beiden Kinder zu kümmern. Eine andere war jahrelang an der Autovermietung an einem großen Flughafen und fiel irgendwann durch das Raster. Entweder sie war bereit in eine andere Großstadt zu ziehen, oder eben gehen. Die dritte war früher mit einem Handwerker verheiratet und suchte jetzt, nach Scheidung und nach dem sie wieder verheiratet war nach einer neuen Wirkungsstätte. Anhand der Berichte dieser Menschen ahnte ich, was mir noch bevor stand. Suche, Suche, Suche um dann am Ende der Arbeitslosigkeit dann doch dort zu landen, wo ich keinesfalls landen wollte. In der Zeitarbeit, oder gar nichts zu haben.
Die Weiterbildung als solches brachte kleine Einblicke in den Bereich EDV, sprich in Excel und Word. Wie verfasst man einen Brief, leichte Tabellenkalkulation und so weiter. Der Bereich Lagerwirtschaft und Buchführung kamen viel zu kurz. Wenn der Leser nun kurz ins Stocken kam, weil oben stand, wie verfasst man einen Brief, so sollte man sich wundern, was bei einem normalen Brief alles beachtet werden muss, wenn man einen normalen Brief zum Geschäftsbrief wird, bzw. ein, wie soll es in der Weiterbildung auch anders sein, Bewerbungsschreiben. Neben uns Weiterbildern gab es auch jeder Woche eine neue Gruppe an Bewerbern, die ein Training mitmachten. Was ist bei einer Bewerbung zu beachten, wie ist der Aufbau, was sollte genannt werden, was kann genannt werden, was sollte man tunlichst vermeiden. Alles was ich vor 30 Jahren gelernt hatte, was diesen Bereich anbelangt, war heute Altertum. Deshalb war es gar nicht so schlecht, sich von den Referendaren Tipps und Tricks zeigen zu lassen.
Mein erstes Vorstellungsgespräch, das ich nach knapp 30 Jahren führte, zeigte, dass ich diesbezüglich wohl noch etwas üben hätte müssen. Ich kam etwas früher, als vereinbart in die Firma, die, so wünschte ich es mir, mich bald als Mitarbeiter beschäftigen sollte. Ich klingelte an der Tür und wartete, bis mir geöffnet wurde. Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm öffnete mir und schon im ersten Augenblick unserer Begegnung hatte ich das Gefühl, als hätte sie etwas gegen mich. Ich folgte ihr. Wir gingen ins Büro, wo der Chef an seinem Schreibtisch saß. Ein zweites Baby schlief in einem Zwillingswagen und wir stellten uns vor. Ich gratulierte zu der Geburt seiner Kinder und hörte mir an, was er zu seiner Firma erzählte. Seine Frau, noch immer ihr Kind auf dem Arm haltend, beobachtete mich ganz genau und auch wenn ich nichts zu sagen hatte, spürte ich jene Ablehnung, die ich so noch nicht spürte. Da die gerichtliche Entscheidung über den weiteren Ablauf mit meiner Ex-Firma noch nicht geklärt war, bot ich dem Geschäftsleiter an, einen Monat sozusagen als Praktikant bei ihm zu arbeiten. Seine Frau fragte sofort nach dem Haken bei der Sache. Ich konnte sie nicht beruhigen, auch wenn ich sagte, dass es in unser aller Interesse sei, dass es wohl besser sei zu prüfen, ob wir zueinander passen würden. Es ginge ja nicht nur darum, ob ich ihnen passen würde, sondern es ginge auch ein wenig um die Chemie zwischen den Mitarbeitern und mir. Anscheinend hatte sie damit nicht gerechnet und dies war dann der berühmte Tropfen, der das Fass bei ihr zum Überlaufen brachte. Ich denke, wenn nur er da gewesen wäre, wären meine Chancen wesentlich besser gewesen. Ich weiß nicht, was dieser Frau angetan hatte, ich weiß nicht, was ihr an mir nicht gefallen hat. Die unterirdische Bezahlung wäre für mich in Ordnung gewesen, denn ich hätte, so habe ich dann später beim außergerichtlichen Vergleich erstritten, die restlichen Monate, die ich von meiner Ex-Firma noch Geld bekommen.
Hätte, hätte, Fahrrad Kette…
Habe mir Stellenausschreibungen angeschaut und bin immer wieder erstaunt, was so manche Menschen denken, was die Arbeitsstunde für einen Wert hat. In diesem Zusammenhang habe ich mit einem langjährigen LKW Fahrer dieser Tage gesprochen, der meinte, er würde 11 Euro die Stunde bekommen. Als ich ihm sagte, dass er damit noch gut bezahlt sei, sprang er mir beinahe ins Gesicht. Bei einer monatlichen Arbeitszeit von über 240 Stunden kommt er an knapp 2700 Euro brutto. Urlaub kann er nur wochenweise nehmen, da für ihn ein Ersatz aus einer anderen Filiale, einspringen muss. Es ist mit Sicherheit nicht einfach so lange konzentriert unterwegs zu sein und wenn ich mir dann das Verhältnis Verdienst und Arbeitszeit anschaue, da muss ich mich fragen, ob wir uns nicht freiwillig als moderne Sklaven verkaufen.
In einer der von mir gelesenen Anzeigen stand folgendes: Wir bezahlen übertariflich. Wenn man dann weiter unten schaute, so erkannte man, dass die Bezahlung genau nach Tarif, in der untersten Lohngruppe für Leiharbeiter in diesem Bereich gilt. 9 Euro plus (man kann es kaum glauben) 20 Cent Schichtzulage. Wer diesen Arbeitsplatz besetzt, der verdient freiwillig in der Stunde 4,30 Euro und 93 Cent Schichtzulage weniger, als ein normal angestellter Mitarbeiter.
Warum macht man so was?
Wer Arbeitslosengeld bekommt, der ist verpflichtet, sich auf Stellen zu bewerben, in denen er Geld verdienen kann. Wenn er das nicht macht, dann kann und wird das Arbeitsamt Leistungen kürzen. Dem Amt ist es egal, ob von diesem Geld die Familie des Betroffenen leben kann, oder nicht. Dem Amt geht es einzig und allein um die Tatsache, dass der Bedarfsnehmer (Arbeitslose), schnellstmöglich aus der Statistik fällt und wieder in einer Beschäftigung ist. Ob die gefällt, ob die Lebensfreude bringt, ob die die Familie ernähren kann, ist egal. Hauptsache aus der Statistik.
Nun bekommen die Arbeitgeber das ja auch mit. Was bietet sich da an, wenn der Markt sozusagen überschwemmt ist mit Arbeitskräften? Man drückt den Preis. So etwas nennt man Marktwirtschaft. Wenn ein Produkt (in diesem Fall Arbeitskraft) zu viel auf dem Markt ist, dann fällt der Preis (hier die Entlohnung). Der Dumme ist der Arbeitnehmer, der, weil er auf dem offiziellen Markt nichts findet, sich an
Leiharbeits-,
Personalüberlassungs-,
Zeitarbeits-,
Personaldienstleistungs-,
Arbeitsvermittlungs-,
Arbeitsförderungs-,
Personalberatungs-,
Personalagenturs-,
Arbeitnehmerüberlassungs-,
Personalservice-,
Personalmanagments-,
Bewerbermanagments-,
Personalvermittlungsfirmen, oder wie sie sich auch immer nennen, wenden muss, weil er sonst kein Geld bekommt.
Gewinner an der Aktion ist:
- das Amt, weil es, wenn der Arbeitnehmer wieder arbeitslos wird, weniger bezahlen muss.
- die Firmen, denn sie bekommen billige Arbeitskräfte und können diese viel schneller feuern, wiedereinstellen, können durch das Einstellen solcher Mitarbeiter den Druck auf die Stammbelegschaft erhöhen, denn die Leiharbeiter arbeiten für weniger und können sich nicht erlauben, zwischendurch mal krank zu sein, denn das könnte gleich die Kündigung bedeuten. Dadurch steigern sich die Produktivität und der Gewinn überproportional, allerdings nur kurzfristig, weil es die Arbeitnehmer auf lange Sicht hin, kaputt macht. Allerdings ist das mittelfristig egal, weil es ja genügend Marktmaterial (suchende, potentielle Arbeitnehmer) gibt.
- eben jene, oben genannten Firmen. Sie verdienen sich dumm und dusselig an dem Verlustgeschäft des Arbeitnehmers. Der Kopf x ist jung, kräftig, erfolgslos, den können wir dort und dorthin schicken. Der Kopf y ist alt, hat zwar Erfahrung, allerdings nicht in dem Bereich, der für uns relevant ist, den stecken wir mal da und dort hin, mal schauen, wie lange er das mitmacht. Dann wird dem Arbeitnehmer ein solcher Druck gemacht, Stundenzettel, für die sich keiner verantwortlich fühlt, Nachweis über geleistete Arbeit, Überstunden werden unter den Tisch fallen lassen, weil der Arbeitnehmer möchte ja auch Geld haben, wenn er krank ist. Wenn dieser Fall eintritt und der Arbeitnehmer meldet sich nicht bei seinem Arbeitgeber und bei der Leihfirma sofort ab, ist das ein Kündigungsgrund, bzw. es werden Bezüge, die dem Arbeitnehmer rein rechtlich zustehen, einfach einbehalten. Wer wenig verdient, der kann sich sowieso keinen Rechtsbeistand leisten, wenn es denn mal zu einem Prozess kommen sollte. Will der Arbeitnehmer allerdings etwas von der Personalfirma, so kann er warten. Es ist der klassische Fall einer Versicherung. Die Beiträge werden überpünktlich abgebucht, wenn es allerdings zu einem Schadensfall kommt, dann kann man auf sein Geld warten.
Verlierer ist auf jeden Fall der Arbeitnehmer. Er bezahlt Beiträge in eine Versicherung - die Arbeitslosenversicherung. Wenn er dann einmal in die Lage kommt, dass er Ansprüche aus dieser Versicherung gelten machen könnte, dann wird ihm gedroht, die Zahlungen werden gekürzt, man verweist ihn an Stellen, die sich an seiner Lage bereichern. Warum bezahle ich in eine Zwangsversicherung, wenn ich dann, wenn ich diese brauche, an Dritte verwiesen werde?
Mache ich mich nicht zum Sklaven? Zum Sklaven des Arbeitsmarktes und somit auch zum Sklaven des Arbeitsamtes und aller Firmen, die Menschen wie mich, in eben jeder Situation, suchen.
Wenn ich denn ein Sklave bin, darf ich wenigstens sagen, was ich für einen Wert habe, oder habe ich meinen Wert, im Laufe der Jahre verloren?
Ich hatte mich auf die Stelle eines Medientechnologen beworben. Früher nannte man diesen Beruf auch Drucker. Warum man solche hochwertigen Namen für Berufe erfinden muss, steht außerhalb meiner Kenntnis. Warum ist ein Nachtportier auf einmal ein Nightauditor, ein Mitarbeiter im Schnellrestaurant wird zum Systemgastronomen... Nun gut, die Zeit wandelt sich und somit auch die Berufsbezeichnungen.
Nachdem ich also die Bewerbung fertig geschrieben und schön ordentlich in den Bewerbungsordner abgeheftet hatte, rief ich in der Firma an. Der Chef kam aus meinem Ort und wir kannten uns, ebenso seine Frau. Sie war am Telefon und ich fragte, ob ich zur Bewerbung vorbei kommen sollte, oder sie ihr in den privaten Briefkasten werfen solle. Sie bat mich zu kommen. Also fuhr ich hin und wir sprachen, wieso, weshalb warum ich mich gerade in ihrem Unternehmen bewarb. Ich erklärte ihr die Sachlage und sie führte mich durch die Firma. Dort, wo mein Einsatzgebiet sein sollte, waren 4 Mitarbeiter, von denen einer die Firma verlassen wollte. Weil dem so war, erfolgte eine Stellenaussschreibung. Wir vereinbarten, dass ich, weil ich so gar keine Ahnung hatte, um was es überhaupt ging, für 3 Tage zur Probe kommen sollte.
Der erste Tag, ein Mittwoch, wurde zur Teambesprechung genutzt. Dabei wurde ich kurz als neuer Praktikant vorgestellt. Die Arbeitszeit war von 8 bis 17 Uhr. Pause konnte man machen, wenn man Zeit dafür hatte. Die Zeit verging wie im Flug und der Zugang zu den eventuell zukünftigen Kollegen war nicht ganz so einfach, weil sie schnell merkten, dass ich von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte. Gegen 16.30 ging ich zum Vorarbeiter. Er hatte sich den ganzen Tag nicht in meiner Nähe aufgehalten und fragte mich nun, wie ich zurechtkäme. Ich meinte, es wäre sehr viel Input, würde es mir allerdings zutrauen, all das zu erlernen, was ich für die Arbeit hier so lernen müsste.
Der zweite Tag verging auch wie im Flug und auch heute fand ich keine Zeit meine mir zustehende Pause zu machen. Es war eigentlich wenig zu tun, aber da mein Wissenshunger nicht gestillt werden konnte, wenn ich mein Brot aß, musste ich immer am Ball bleiben. Wechseln von einem Mitarbeiter zum anderen. Wollte sie mit Fragen löchern, hier und dort Hilfestellungen geben, soweit möglich. Dadurch gelang mir langsam auch ein Zugang zu ihnen. Jeder Jeck ist anders, sagt man in Köln. Warum sollte das hier anders sein?
Der dritte Tag, mein letzter. Heute sollte nur bis 14.30 Uhr gearbeitet werden. Nachdem ich dem Auszubildenden bei seiner Spezialaufgabe meine Unterstützung zukommen ließ und beim Einrichten meiner eventuellen zukünftigen Maschine half, ging ich, während die Anderen die Maschinen für das Wochenende vorbereiteten, hoch zum Chef. Er fragte, was ich in den wenigen Tagen, denn so mitgenommen hätte und ich sagte, was ich so dachte. Druck hat nicht nur etwas mit Farbe, sondern auch ganz viel mit dem Untergrund zu tun. Meine dortigen Lücken könne ich wohl nicht in drei Tagen schließen. Das wäre wohl richtig, ob ich mir denn vorstellen könne, hier zu arbeiten? Ja, das könne ich und ich würde darum bitten, mich immerzu als Mitarbeiter zu sehen und nicht als jemanden, den man schon jahrelang kennt. Dort schwammen wir auf einer Wellenlänge. Er erbitte sich allerdings noch etwas Bedenkzeit, weil ich nicht der einzige Bewerber sei und auch die anderen Bewerber eine Chance bekommen sollten.
So verblieben wir und die Suche, weil ich eben nicht weiß, wie es weiter geht, beziehungsweise, ob ich nicht doch eine Absage bekomme.
Gedanklich in der Druckerei suche ich also weiter nach dem Arbeitsplatz, der meine Familie ernährt und mir Spaß macht. Als hätte ich es geahnt, kam auch wenige Tage später eine Absage. Die Kollegen hätten zwar große Stücke von mir gehalten, allerdings könne dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen Bewerber gegeben hätte, der mehr Fachwissen gehabt hätte.
Weitere wenige Tage später schaltete die gleiche Firma eine Stellenausschreibung auf einen anderen Job. Ob der, der aus der Druckerei ins Büro gewechselte Mitarbeiter, wieder zurück in die Druckerei wollte und dadurch ein Bürojob frei wurde, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass ich kein Mediendesigner bin und dort schon mal gar nicht ankommen würde.
Die Zeit verging wie im Flug. Keine Stellenausschreibungen, die auch nur annähernd zu passen schienen. Ich hatte noch einen Monat, bevor ich auf jene Versicherung zurückgreifen musste, die ich nicht unbedingt nutzen wollte. Noch einen Monat, der zwischen arbeitssuchend und arbeitslos stand. Ich musste was tun. Ich bewarb mich am ersten Tag auf drei Stellen. Dreimal Büro, zwei davon unbefristet, einer auf ein Jahr befristet. Ich hatte mich schon einmal auf befristete Stellen beworben, allerdings im öffentlichen Dienst. Klar, ich wollte eine Festanstellung. Es ging mir allerdings folgendes Sprichwort durch den Kopf: wenn du einmal den Fuß in der Tür hast, dann kann dir nichts passieren. Warum also nicht in der freien Marktwirtschaft, was auch für den öffentlichen Dienst galt? Somit hatte ich im Moment 5 Bewerbungen laufen:
Nachtwächter in einer Nervenheilanstalt,
Empfang und Bürotätigkeit in einer Druckerei,
Sachbearbeiter in einer Großgärtnerei,
kaufmännischer Mitarbeiter in einem Kellereibedarf und
Kundenbetreuer in einer Wäscherei.
Wenn ich ehrlich sein soll, ich sah mich auf keinem dieser Arbeitsplätze. Ich wusste nicht, was mich erwartete, hatte keine wirklichen Erfahrungen, die ich haben musste. Das war egal. Es musste etwas her. Ich musste dafür sorgen, dass das Konto gefüllt bleibt.
Der Druck wuchs, die Erwartung an mich, durch mich und durch andere.
Was blieb mir übrig?
Was blieb von der Gewissheit, dass ich nicht auf die Firma X, oder Y angewiesen bin, sondern noch immer Herr der Lage, meines Lebens war. Konnte ich mir weiterhin leisten, einen großen Bogen um Leiharbeit, um Arbeitsvermittlung und so weiter, zu machen?
Konnte ich mir überhaupt erlauben, noch wählerisch zu sein? Musste ich mich, auf Teufel komm raus auf den Markt werfen, nur damit ich unter war, oder kam ich dann nicht doch wieder in jenen Teufelskreis, der Unzufriedenheit und Missmut zur Folge hatte.
Wo war meine Zukunft?
Wie lange musste ich noch warten?
Meine Zeit lief ab, der Tag einer Bezahlung im Hartz IV Bereich rückte immer näher und damit begann auch eine gewisse Panik. Sparbücher, die zwar auf meinen Namen laufen, auf denen aber nicht mein Geld ist, werden mir wohl angerechnet. Das Gesparte ist dahin. Alles wofür ich jahrelang gekämpft und geackert habe, ist dann bald weg.
Warum eigentlich?
Ja, warum musste ich auch tun, was ich getan hatte?
Selbstzweifel befielen mich. Was hatte ich aufs Spiel gesetzt, mit einer Unterschrift?
Was wird werden?
Wer kann mir helfen?
Kann ich überhaupt Hilfe annehmen, bzw. kann man mir überhaupt helfen?
Bewerbung um Bewerbung ging raus und doch war es ein Treten auf einer Stelle, ein Lauf auf einem Band, das, wenn du dich schneller bewegst, es sich auch schneller bewegt. Monoton und Nerv tötend. Manche Firmen lassen sich herab zu einer Absage. Lassen sich herab, weil du als Bewerber nur eine Nummer bist. Die Anzahl an Bewerber muss man sich als Massenabfertigung vorstellen. 50 – 80 Leute wollen genau diesen Job. Ein Fehler, ein winzig kleiner Fehler in der Bewerbung und du bist raus. Etwas, was dem Personaler nicht gefällt und du bist raus. Du bist zu früh dran, du bist raus. Du bist zu spät dran, du bist raus.
Sorry, aber wann bist du nicht raus?
Egal, du bist raus.
Es ist deprimierend und du Zweifelst an dir. An deiner Fähigkeit, jemals wieder ein Teil der Gesellschaft zu sein. Ein Teil jener Gesellschaft, an der du seit Jahren gearbeitet hast, für die du gearbeitet hast. Die Show, die du versuchst aufrecht zu erhalten, indem du gute Miene zum bösen Spiel machst, fängt an zu bröckeln. Du wirst unglaubwürdig, wenigstens dir selbst gegenüber und das zieht dich noch weiter runter. Der Teufelskreislauf hat begonnen und du bist mittendrin.
Auch, ach so tolle Tipps, wie: ist doch egal, was du arbeitest, Hauptsache du bekommst ein bisschen Geld dafür, sind wenig hilfreich, da es weiter an der Selbstachtung und dem Selbstwertgefühl nagt.
Was bin ich Wert auf dem Markt? Kann ich jemals wieder auch nur annähernd so viel verdienen, wie ich mir es vorstelle? Was ist ein Mensch in meinem Alter auf dem Markt noch Wert? Werden eventuelle Krankheitstage und andere Fehlzeiten in den Preis eingerechnet? Gibt es überhaupt Arbeit für Menschen über 50?
Ich setzte mir einen Zeitpunkt, ab dem ich mich für den Niedriglohnsektor bewerben wollte. Wollen ist hier wohl das falsche Wort, denn wer will sich unter seinem Wert, den er für sich selbst einschätzt, verkaufen? Wer geht freiwillig für 9 Euro die Stunde arbeiten? Das sind unter 1100 Euro netto. Ist es wirklich egal, weil man ist wenigstens nicht mehr arbeitslos, man ist aus der Statistik herausgefallen, man ist wieder ein Teil der Gesellschaft. Ein Teil welcher Gesellschaft? Was kann man als Hauptverdiener mit 1100 Euro netto schon ausrichten? Ist das nicht ein sozialer Abstieg, den es in unserem Land mehr und mehr gibt?
Der Druck wuchs und wurde immer schlimmer. Eine Lösung war nicht in Sicht, jedenfalls keine, die mich zufrieden stellte.
Am 08. Februar klingelte abends das Telefon. Da ich mein Tagespensum an Bewerbungen und Recherchen hinter mir hatte, war ich für eine Zigarette im Keller. Meine Frau kam ganz aufgeregt mit dem Telefon am Ohr, zu mir gestürzt.
Ja, ja, Moment, ich gebe ihn dir...
Hallo, hier ist der Chef der Druckerei. Hast du noch Interesse bei uns anzufangen?
Na klar habe ich Interesse.
Gut, ich bespreche das mit dem Vorarbeiter und melde mich dann morgen bei dir.
Alles klar und vielen Dank für den Anruf.
Am nächsten Tag saß ich den ganzen Tag in der Nähe des Telefons. Sogar auf die Toilette nahm ich das tragbare Teil mit. Man weiß ja nie... Jedoch, kein Chef meldete sich. Um 20.00 Uhr rief ich ihn zu Hause an. Er entschuldigte sich vielmals, er hätte noch an mich gedacht, während der Heimfahrt. Zu Hause angekommen, wäre ich aber schon wieder in Vergessenheit geraten. Ob ich ihm verzeihen könnte?
Grrrr, sag schon, was Sache ist und rede nicht so lange um den heißen Brei...
Ja, klar kannst du anfangen. Komme am Montag und dann besprechen wir alles.
Jappadappaduhh!
Es war Montag der 13.. Ist das jetzt ein gutes, oder ein schlechtes Omen?
Mein neues Aufgabengebiet wurde im Laufe des ersten Arbeitstages festgelegt. Nein, falsch, denn festgelegt war es schon vorher. Es wurde mir nur mitgeteilt.
Hauptaufgabe war das Außenlager. Dort sollte ich Ordnung rein bringen und die Druckmaschinen, bei Bedarf, von dort beliefern. Des Weiteren sollte ich, nach und nach, fertige Druckprodukte in Form schneiden, Druckplatten herstellen, Papier für den Druck, in richtiger Menge, in richtiger Größe, bereitstellen. Prägen, stanzen, schlitzen, klammern, falzen... Dabei sollte mich der Vorarbeiter unterstützen. Die ersten beiden Tage waren wieder zum Beschnuppern. Zwei neue Kollegen waren da. Nein, eine Kollegin und ein Kollege. Der Kollege sollte nicht mehr lange da sein. Ich war sein Ersatz. Sie war sehr ambitioniert, recht dünn, aber man merkte ihr an, dass sie vom Fach war. Er auch, aber man merkte, dass er sich innerlich bereits verabschiedet hatte.
Mittwochs fuhren der Vorarbeiter und ich, erstmalig, ins Außenlager. Hinter einem großen Metalltor, verbarg sich ein Raum, der ca. 12 Meter mal 6 Meter groß war. An der linken Wand standen 5 Gitterboxreihen, mit je 3 Boxen aufeinander, die gefüllt mit meinem zukünftigen Arbeitsmaterial waren. Im restlichen Raum standen weitere 4 Gitterboxen und eine schier unendliche Anzahl von Paletten.
Ordnung reinbringen. Hier? Wie viele Jahre habe ich dafür Zeit?
Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf. Die Paletten gefüllt mit Kisten, die ich irgendwo unterbringen sollte. Nicht die Kisten, sondern deren Inhalt. Es war allerdings kein einfaches Einräumen in Gitterboxen, die ich nicht hatte und für die überhaupt kein Platz war, sondern jedes Produkt musste zuvor in eine Plastiktüte verpackt werden. Eine Leiter, um an die oberen Gitterboxen dran zu kommen, war auch nicht da. Ein wenig Vorstellungsvermögen war von Nöten.
Nach knapp 2 Monaten hatte ich Ordnung in diesem Bereich. Ich hatte mir einen Plan gemacht und war damit zum Chef gegangen. Hatte ihm erklärt, wieviel Gitterboxen ich noch brauche und wie ich diese anordnen wollte. Er schluckte, weil er mit diesen Kosten nicht gerechnet hatte. Eine Rollenverteilung, damit man auch an die oberen Boxen dran kam, wurde auch gleich mitbestellt. Jede Gitterbox, die ich bestückte, wurde auch gleich erfasst, was, von welchem Kunden drin ist. Ich gab jeder Box einen Namen und so konnte ich die Bestände in eine Liste eintragen, die ich extra dafür kreierte. So wäre es für jeden ein Leichtes, von Kunden XY, dies oder jenes Produkt zu finden.
Im Laufe der Zeit brauchte ich selbst diese Liste immer seltener, weil ich genau wusste, wo welcher Kunde, welches Produkt hatte. Allerdings kamen immer mehr Kunden dazu, was mit der Zeit allerdings auch kein Problem war, weil es mehr ein Gehen, als ein Kommen war. Der eine Kunde wurde "verbraucht", dafür kamen andere Kunden dazu. So lange die alten Kunden keine neue Lieferung bekamen, ging das gut.
Was allerdings nicht so gut ging, war meine Leistung in anderen Bereichen. Druck und schneiden. Für Papier braucht man Feinnotorik. Ich hatte knapp 30 Jahre grobnotorisch gearbeitet. Dem Produkt war es egal, ob ich es fallen lassen und wie ich es in die Hand nehme. Papier ist das nicht egal. Papier verzeiht dir nicht, wenn du es zu grob anfasst. Man muss Papier allerdings aufstoßen, bevor man es schneidet. Wenn man das nicht richtig macht, dann ist zwar der Schnitt okay, der Druck allerdings nicht mehr. Besonders, wenn der Kunde um das Etiketten einen gleichmäßigen Rahmen haben will und der, weil man nicht richtig aufgestoßen hat, mal größer, mal kleiner, oder nur einseitig ist.
Auch beim Druck war es so, dass mir gesagt wurde, ich soll einfach mal ausprobieren. Das hab ich gemacht und schon kam der Chef um die Ecke und fragte mich, was ich denn da mache. Ich würde dies und jenes falsch machen. Das hat mir niemand erklärt und ich sollte einfach ausprobieren.
Lange Rede, kurzer Sinn: nach 7 Monaten und 13 Tagen wurde mir gekündigt. Waren es die genannten wirtschaftlichen Gründe, oder war ich nicht fähig? Von den Kollegen bedauert, aber was half mir das?
Ich musste mir etwas Neues suchen.
Am nächsten Tag ging ich zum Arbeitsamt. Ich erhielt wieder einen Zugang zu den Stellenausschreibungen. Eine nette Sachbearbeiterin wies mich darauf hin, dass wenn mir das Arbeitslosengeld nicht reichen würde, ich anderweitig Unterstützung bekommen könnte. Ha, dachte ich mir, noch bin ich ja nicht arbeitslos. Die Zeit jedoch spielte gegen mich. Dadurch, dass ich kein Jahr wieder beschäftigt war, würde mir jeder Monat, den ich zuvor arbeitslos war, an der Zeit abgezogen. Ich hatte also noch maximal 8 Monate, bis ich etwas gefunden haben müsste.
Bewerbungen schreiben hieß es also. Egal auf was, denn ich musste unbedingt etwas bekommen. Weniger, als in der Druckerei wollte ich allerdings nicht verdienen, denn das reichte gerade so, dass wir noch ein paar Rücklagen bilden konnten. Nicht viel, aber weniger sollte es nicht unbedingt sein.
Wie das Leben so spielt, hatten wir uns entschieden, einen kleinen Umbau an unserer Wohnung vorzunehmen und dann, mitten in der Umbauphase, kam die Kündigung. Der niedrige 5 stelligen Betrag, wurde um 50% überstiegen. Warum sollte ich mich also noch billiger auf den Arbeitsmarkt werfen?
Also Bewerbungen schreiben. Je mehr, umso besser. Problematisch wurde nur, auf welche Stelle und als was. Stellen gibt es genug, allerdings oft nur für Fachkräfte. Wenn man über 30 Jahre nicht in seinem erlernten Beruf gearbeitet hat, dann gilt man als ungelernt. Dazu braucht es nicht einmal 30 Jahre, dem ist bereits nach 2 Jahren so. Allerdings blieben mir auch einige Tipps aus der Weiterbildung, die ich im letzten Jahr gemacht hatte, in Erinnerung. Firmen wollen das optimale herausholen, den perfekten Mitarbeiter. Den gibt es allerdings in den seltensten Fällen. Warum sollte ein Bewerber sich nicht auf diesem unmöglichen Level bewerben? Die Bewerbung sollte Aufmerksamkeit erregen, interessant sein, Durchsetzungsvermögen aufzeigen und aussagekräftig sein. Kurz: das AIDA Modell. Sich selbst in einem tollen Licht darstellen, um aus der Masse heraus zu stechen.
In diesem Sinne schrieb ich in der ersten Woche knapp 10 Bewerbungen. Textbausteine aus den Stellenausschreibungen wurden von mir in den Anschreiben verwendet. Am Mittwoch, 8 Tage nach meiner Kündigung schrieb ich drei Bewerbungen, wobei ich bei einer langen zögerte. Sie war befristet und das Einstiegsgehalt lag um einiges tiefer, als das, was ich als Druckereihelfer hätte. Egal, denn HARTZ IV wollte ich auf keinen Fall.
Am Donnerstag klingelte mein Handy. Ja, guten Tag, mein Name ist XY, von der Firma B. Wann wäre es Ihnen möglich, zu einem Vorstellungsgespräch zu kommen?
Es war genau die Firma, bei der ich gezögert hatte.
Schnell wurde ein Termin für Freitag vereinbart und ich hatte mein erstes Bewerbungsgespräch, seit über einem Jahr.
Ich machte früher Feierabend und warf mich in andere Klamotten, denn im Druckeroutfit wollte ich nicht unbedingt auftauchen.
Die übliche Frage, warum gerade diese Firma meine Wahl war, traf mich, trotz besseren Wissens, wie ein Hammer.
Die Antwort war eher eine Phrase, als eine vernünftige Antwort.
Egal, was ich sagte, wie mein Verhalten war, anscheinend hatte mein Gegenüber allerdings schon eine relativ feste Meinung von mir. Ich weiß nicht, wie die zustande kam.
Lange Rede, kurzer Sinn, ich bekam den Job angeboten. Jetzt ging es nur noch ums Gehalt. Ich pokerte und nannte mein jetziges Gehalt, als Mindestziel. Das war eigentlich fast unverschämt, denn ich wusste nichts von meinem neuen Arbeitsplatz. Mein Gegenüber meinte allerdings, dass wäre zwar die Obergrenze, aber er sei bereit mir dieses Gehalt zu zahlen. Ob ich am 15., oder am nächsten Ersten anfangen könnte, muss er allerdings noch abklären. Er würde sich dann noch einmal bei mir melden.
Er meldete sich und teilte mir mit, dass einer Einstellung zum 1. des Folgemonats nichts im Wege stehe. Er würde sich dann nächste Woche noch einmal bei mir melden, weil ich vor Ort etwas unterschreiben müsste, was allerdings nichts mit dem Vertrag zu tun hätte. Ich wartete bis Donnerstag, 12 Tage vor dem Arbeitsbeginn, oder der Arbeitslosigkeit. Da erblickte sich noch nicht gemeldet hatte, rief ich an.
Ja, der Kollege sei krank und man müsste sich informieren, was da jetzt Sache wäre.
Am nächsten Tag erhielt ich Post. Nicht den Vertrag, sondern eine Mitarbeiter Rabat Karte, auf der MITARBEITER und eine Nummer stand. Gleichzeitig erhielt ich einen Anruf, dass der Vertrag unterwegs sein und mir in den nächsten Tagen zuging.
Der Start in dem neuen Berufsfeld gestaltete sich etwas anders, als gedacht. Die Firma wurde umgebaut und so kam es, wie es kommen musste, ich räumte zuerst einmal wieder auf, nein, besser gesagt um. Die Kenntnisse, die ich beim letzten Arbeitgeber in Sachen hin und her räumen gelernt hatte, kamen mir zugute. Allerdings waren es hier doch etwas veränderte Verhältnisse, weil ich a nicht allein war und b die Handwerker mehr durcheinander machten. Die Produktpalette war so umfangreich, dass sogar ein langjähriger Kollege mehrfach im Hauskatalog nachschauen musste, welches Produkt in welcher Kategorie einzusortieren war.
Was kam da auf mich zu und bin ich dem überhaupt gewachsen?
Natürlich ging es nicht so schnell, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber mit jedem Tag kam mehr Sicherheit. Dabei half mir nicht nur die relativ gering vorhandene Produktpalette, sondern auch die Kollegen. Ich bleibe im männlichen Teil, da die einzige Kollegin kurz vor mir anfing und sie zwar aus dem Verkauf, allerdings aus einer anderen Branche kam.
Schnell lernte ich von dem Kollegen (W.), der in Stellvertretung des Marktleiters, den Laden führte. Die Art, wie er mit Kunden umging und ihnen das Geld aus den Taschen lockte, war imposant. Unaufdringlich und doch selbstsicher führte er die Kunden zu Käufen, die sie so eigentlich nicht wollten. Aber auch einen früheren Marktleiter(H.), der jetzt in der Marketing Abteilung untergebracht war, darf ich nicht vergessen. Seine Geduld und seine liebenswerte Art, die er in jahrelanger Erfahrung in Sachen Mitarbeiterführung hatte, machten mir den Einstieg leicht. Wissen aufsaugen wie ein Schwamm und nach und nach an Kunden weitergeben, das war meine Devise.
Dies gelang mir erstmals an meinem dritten Wochenende. Ein Paar betrat den Laden und wühlte sich durch die, leicht verstaubten Warenreste, die wir wegen einer Umbauphase, sehr kompensiert in einer Hälfte des Verkaufsraums standen. Ich eilte zur Hilfe und bot meine Hilfe an. Die Beiden wollten lediglich ein paar Gegenstände und am Ende hatten sie es geschafft, ein Drittel des Tagesumsatzes einzubringen. Ich strahlte innerlich, wie ein Honigkuchenpferd.
Natürlich passierten mir auch Fehler und es gab Situationen, bei denen ich an meine Grenzen kam. Aber ich versuchte, mein Bestes.
Meinen direkten Vorgesetzten, den Marktleiter, sah ich in den ersten Wochen ganze 3-mal. Er hatte sich eine Verletzung zugezogen und kam unerholt aus seinem Urlaub, um dann krank zu sein. Irgendwann kam dann die Meldung, dass er operiert werden müsste. Um ein wenig Übersicht zu haben, wie es denn vorwärts ging, kam der Regionalleiter vorbei. Wissentlich, dass der Kollege, der in Stellvertretung des Marktleiters, über Weihnachten in Urlaub fahren würde und die ersten Tage im Januar noch ein paar seiner Überstunden abbauen wollte, sprach ich den Regionalleiter an. Ich gab meine Bedenken kund, dass zwei Neulinge den Wünschen der Kunden wohl nicht nachkommen könnten und bat ihn, dass er uns doch bitte jemanden mit Fachwissen an die Seite stellen mag. Er kümmere sich darum.
Es kam, wie es kommen musste.
Der Kollege ging in Urlaub, Ersatz war keiner da und die Kollegin und ich wären alleine gewesen. Allerdings war in der letzten Woche H. noch da, um die noch nicht fertiggestellten Regale, in Schuss zu bringen. Dienstag war mein freier Tag. Mittwoch waren wir also zu dritt, am Donnerstag hatte die Kollegin ihren freien Tag. Am Freitag, ich hatte, wie gewohnt, früher angefangen und das Kassengeld aus dem Tresor geholt und wartete auf die Kollegin, als ich direkt vor der Eingangstür ein Auto bemerkte. Der Eingang war noch verschlossen und ich öffnete ihn. Die Kollegin kam auf Krücken herein und meinte, sie sei gestern umgeknickt und könne nicht arbeiten kommen. Okay. H. und ich schauten uns ganz verdutzt an und konnten es nicht glauben. Ich berichtete ihm, dass ich den Regionalleiter um Hilfe gebeten hätte, welche er mir zugesagt hätte und nun...
H. machte sich kurz vor Feierabend auf den Heimweg. Was er sich dabei überlegte, würde ich am nächsten Tag erfahren. Im Laufe dieses Freitags wurde die Alarmanlage auch noch erneuert, was ebenfalls Auswirkungen auf den nächsten Tag haben sollte.
Samstag vor Weihnachten: Ich hatte Nachricht von H. erhalten, dass ein Kollege aus einem anderen Markt zu meiner Unterstützung kommen wollte. Also machte ich mich frühzeitig auf, um Vorbereitet zu sein. Das Tor zum Werksgelände hatte ich ja schon öfters geöffnet, die Tür mit PIN war mir seit gestern fremd. Ich versuchte also mein Glück, so, wie es mir der Techniker gestern erklärt hatte. Nichts tat sich. Ein weiterer Versuch. Wieder nichts. Hatte ich jetzt den letzten Versuch? Ich probierte, ganz genau, ohne Fehler. Die Tür blieb zu. Was tun, denn der Kollege, von weiter weg, war unterwegs und in nicht einmal einer halben Stunde würden Kunden auf der Matte stehen. Ich rief in meiner Verzweiflung meine Frau an, damit sie herausbekommen solle, welche Sicherheitsfirma hier zuständig sei. Außerdem rief ich den Kollegen, der ja eigentlich in Urlaub war, an. Zu meiner Verwunderung war er nicht im Ausland und bot mir seine Hilfe an, wenn der Wachdienst nichts erreichen könnte. Dafür war ich dankbar, auch wenn der Kollege in einer etwas entfernten Stadt gerade beim Einkauf war und ein Eintreffen länger dauern würde. Die Zeit verging und ich lief um das Gebäude, zum eigentlichen Eingang. Der Kollege war noch nicht da, allerdings kam gerade der Wagen einer Wachgesellschaft. Der junge Mann begleitete mich an die Tür, die sich nicht öffnen ließ. Laut seinem Plan, war es ein anderer PIN. Okay. Auch er versuchte sie zu öffnen. 3 Versuche. Auch er scheiterte. So langsam wurde ich nervös. Der Sicherheitsmann fuhr nochmals in seine Zentrale, um die genauen Unterlagen zu holen. Ich ging wieder um das Gebäude. Da stand jemand vor der Haupteingangstür und sprach wie wild in sein Handy. Das musste der Kollege sein, der in seiner Filiale anrief und dort mitteilte, dass er vor verschlossener Tür stehe. Ich klärte ihn auf. Da kamen auch schon die ersten Kunden. Auch ihnen versuchte ich die Sachlage zu erklären. Verständnisvolles Grinsen wirkte sich etwas beruhigend auf mich ein. Kurz darauf kam der Wachdienst wieder. Wir öffneten, knapp neunzig Minuten nach meinem ersten Versuch und weit über 60 Minuten nach der eigentlichen Öffnungszeit. Ohne die Hilfe des Kollegen, wäre ich an diesem Tag verloren gewesen.
Dies war allerdings nur ein Vorspiel zu dem, was mir vom 27.12. bis zum 30.12. blühte. Ich war alleine. Nichts gegen das Alleinsein. Über 9 Stunden, ohne Pause, ohne die Möglichkeit auf die Toilette gehen zu können, eine Pause zu machen, oder einfach mal Durchatmen, denn jederzeit kann ein Kunde, oder mehrere, den Laden betreten und mich mit Fragen bombardieren, die ich, weil ich eben keine Ahnung hatte, nicht beantworten kann. Viele Kunden machten es mir relativ leicht, wenn ich ihnen die Sachlage erklärte. Manche schüttelten auch, mich bedauernd, den Kopf.
Wollte ich so was?
Nicht wirklich.
Das neue Jahr begann und ich befürchtete, dass es so weiter gehen würde, wie das alte Jahr endete. Der Kollege, der seine Überstunden abbauen wollte, konnte/wollte mich nicht alleine lassen. Die Kollegin verlängerte ihren Krankenstand über das Neujahr. Später sollte sich herausstellen, dass ihre anfangs vermutete Zerrung im Gelenk, ein Mittelfußbruch war. Aber ich möchte hier nicht zu weit vorgreifen.
Zwischen den Jahren waren diverse Briefe und Pakete aus der Zentrale gekommen. Der Kollege hatte am Anfang genug damit zu tun, alle Lieferscheine ein zu buchen. Viele Waren hatten noch keine Preise und die, die ausgezeichnet waren, waren falsch ausgezeichnet, da es zum Jahreswechsel eine komplette Preisänderung gab. Sprich, jeder der knapp 14.500 Artikel war neu auszuzeichnen. Um dies machen zu können, brauchte jeder Artikel überhaupt einmal einen Platz. Auch das war noch nicht ganz geschafft. Wann hätte ich das auch machen sollen? Inzwischen waren auch die ersten Lieferungen eingetroffen. Wenige Paletten, aber auch die wollten eingeräumt werden, während die Kunden ihren Einkäufen nachgehen wollten. Damit nicht genug kam die Meldung, die, zwar nicht unerwartet, aber dennoch zu einem Unzeitpunkt kam: nächste Woche ist Inventur.
Wie um Gottes Willen wollen wir, zu zweit, eine Inventur machen? Das ist unmöglich. W. telefonierte und bekam relativ schnell eine Zusage eines anderen Marktleiters, der mit seiner Aushilfe uns unterstützen wollte. Okay, mit vier Leuten könnten wir es vielleicht schaffen, allerdings müssen wir den Tag, einem Donnerstag, an dem der Laden zu ist, ganz ausnutzen. Beginn war um 7 Uhr Morgens und wir waren bis 18 Uhr beschäftigt. Das Ergebnis war Katastrophal. Eine Differenzliste wurde von der Zentrale erstellt und die wollte nicht enden. Der folgende Freitag überprüften wir, das, was wir am Tag zuvor gezählt hatten. Natürlich jetzt mit Kundengeschäft und als hätten die Kunden es geahnt strömten sie an diesem Freitag, als gäbe es kein Morgen mehr. Wie will man dabei eine Differenzliste bearbeiten? Habe ich jetzt 2, 3, oder 5 Regler verkauft und warum sind von 6 gelieferten Hemden, in 3 Größen nur jeweils ein Hemd in einer Größe da? Wer klaut ein Hemd in drei verschiedenen Größen? Die Ware war, ohne die Lieferscheine zu überprüfen, einfach eingeräumt worden. Wer hätte es auch tun sollen? Am Freitag folgte dann, nachdem wir, soweit es uns möglich war, die Differenzliste zu bearbeiten, eine weiter Differenzliste. Aus am Anfang 50 Seiten wurden dann, wie hätte es auch anders sein können, 96 Seiten Differenz. Der Samstag wurde also weiter gezählt und nachdem W. unseren Marktleiter angerufen hatte klärte sich auch einiges auf. Trotzdem stellte sich mir die Frage, wo ich denn hier gelandet sei.
Die weiteren Wochen gingen ins Land und zwischendurch meldete sich die Kollegin, die Ende Januar, für 3 Wochen, in ihre Flitterwoche fahren wollte. Ihr Bruch und der anstehende Urlaub führten dazu, dass sie bis zum Anfang ihres Urlaubs nicht arbeitsfähig war. Wenn sie dann wieder käme, wären es noch 9 Arbeitstage, bis zur Saisoneröffnung und ab dann galt eine Urlaubssperre bist Anfang Oktober. Den hatte sich allerdings der Marktleiter bereits reserviert. Sprich, mein nächster planbarer Urlaub wäre im November gewesen. Moment, wann hatte ich angefangen? Am ersten November? Erster möglicher Urlaub ein Jahr nach Einstellung?
Wollte ich das wirklich?
Nein, mit Sicherheit nicht!
Glücklicherweise hatte sich der Regionalleiter angekündigt und den würde ich ansprechen, zumal mein Urlaub aus dem letzten Jahr, mir wohl nicht mehr bis November zur Verfügung stehen würde. Gesagt getan. Der Regionalleiter kam und wurde auf das Problem angesprochen, ebenso, wie der untragbare Zustand, in dem wir zwei, im Sinne der Firma, die Filiale aufrechterhielten. Er kümmere sich darum. Einen Tag später kam die Antwort: an dem und dem Tag käme aus der und der Filiale Hilfe und ein paar Tage später aus einer anderen Filiale. Problem dabei: wenn Hilfe aus anderen Filialen kommt, dann kann aus der Filiale, die Hilfe bekommt, niemand Urlaub machen. Eh, will man mich hier an der Nase herum führen?
Einen Tag später kam eine Lieferung. 29 Paletten mit 55 Seiten Lieferschein. Allein diese Menge an Paletten unter zu bringen war eine Kunst. Die erste Palette begannen wir anhand der Lieferscheine zu kontrollieren und siehe da, alleine hier fanden wir Differenzen. Laut Zentrale sollten wir die gelieferte Ware aber nicht kontrollieren, weil sie ordnungsgemäß zusammengestellt wäre. Das hatten wir ja bei der Inventur bemerkt. Jetzt könnte man sagen, ist doch egal, bleibt doch in der Firma, dem ist aber nicht so, denn wir verbuchen Ware, die gar nicht bei uns ist und für diese Differenzen wird der Filialleiter heran gezogen. Was also konnten wir tun? Würden wir alle Paletten so kontrollieren, wie wir die erste Palette kontrolliert hatten, dann wären wir Monate beschäftigt, also Augen zu und durch. Kaum war die Ware, so gut es ging eingeräumt, kamen auch schon die nächsten Paletten. Sollten sie jedenfalls. Wir warteten den ganzen Tag darauf. 2o Minuten vor Feierabend betrat ein vermeintlicher Kunde den Laden. Ob das hier die Firma XY sei? Ja! Ich hätte da eine Lieferung von 9 Paletten. W. und ich schauten uns an. Jetzt noch? Der Fahrer fuhr an die Abladestelle und hatte anscheinend alle Zeit der Welt. Wir halfen ihm und während ich den Kassenabschluss machte, unterschrieb W. die Papiere und gab dem Fahrer die richtige Anzahl an Leerpaletten. Fast pünktlich konnten wir Feierabend machen. In diesen und den vorhergelieferten Paletten waren natürlich auch Waren, die wir zuvor noch nicht im Programm hatten. Was bedeutete, dass Regale, die vermeintlich fertig waren, wieder total umgeräumt werden mussten, weil die neue Ware ja irgendwie da rein musste. Schnell wurde klar, dass die Ausstellungsfläche, genau wie die gedachte Lagerfläche, nicht ausreichen würde. Die Hilfe kam zwar zur rechten Zeit aus einer ganz andern Filiale, als gedacht. Aber so konnten W. und ich uns Hauptsächlich um die hin und her Räumerei von Ware und deren Auszeichnung mit Preise, kümmern, während der Kollege die Kunden bediente.
Die Gesamtsituation war unbefriedigend. Mit W. führte ich oft, wenn keine Kunden da waren, Gespräche und ich hätte an seiner Stelle schon lange das Handtuch geworfen. Er hatte mehr Fachwissen, war ein Top Verkäufer und verdiente weniger Geld, als die Kollegin und ich. Das wäre für mich ein Grund, wäre ich an seiner Stelle gewesen, das Handtuch zu schmeißen. Was würde ich allerdings machen, wenn der Kopf, das Hirn dieser Firma weg wäre? Ich kam jetzt schon, mit relativen Kleinigkeiten, an meine Grenzen. Normalerweise wäre von November bis März die Zeit für die Ausbildung an Produkten da gewesen.
Wäre und hätte… Irgendwoher kannte ich das.
Wenn ich jetzt anfangen würde mich zu bewerben, wie lange würde es dauern, bis ich was Neues habe? Am 1.2. startete ich mit einem ersten Versuch. Ein Tag später kam ein Mail, ich könnte in der Folgewoche zur Probe arbeiten. Hä? Warum geht das auf einmal so schnell? Keine Woche später hatte ich zur Probe gearbeitet und danach direkt per Mail an meinen Arbeitgeber und an meinen Regionalleiter meine fristgerechte Kündigung geschickt. Die Antwort meines Regionalleiters dauerte nicht sehr lange. Ich solle mich doch bei ihm melden, ginge auch telefonisch. Ja, genau. Du mich auch…. Am nächsten Morgen war ich natürlich in der Firma und hatte W. meine Entscheidung gerade mitgeteilt, als das Telefon klingelte. Der Regionalleiter war dran und fragte, wie ich ihn so schocken könnte.
Ich?
Wo lag mein Fehler?
Hatte ich nicht von ihm zwei Versprechen bekommen?
Hatte er EINS gehalten?
Wer ließ hier wen hängen?
Ich habe mir keinen Vorwurf zu machen, jedenfalls keinen, den ihn, bzw. die Firma betrifft. Den einzigen Vorwurf den ich mir selbst machte ist, dass ich meine Kollegen einen weiteren Tag alleine in der Firma ließ, denn dies war, mit Anrechnung meines alten und neuen Urlaubs, bzw. meiner reichlich angehäuften Überstunden, mein letzter Arbeitstag in dieser Firma.
Glücklicherweise fand ich zum nächsten Ersten eine Beschäftigung bei einem Paket und Briefzusteller.
Es war der erste März und es war noch kalt, weshalb ich mich im Zwiebelprinzip angezogen hatte. Der erste Morgen und eine Kollegin holte mich direkt an der Haustür ab. Es war 6.30Uhr. Zuerst in die Zentrale und die Briefe, die in Kisten auf Karren vorgestapelt waren in die richtige Gangreihenfolge einsortieren. Dürfte kein Problem sein. Dann kam die erste Hürde: Burgweg, Burgstraße, Burgblick sind drei verschiedene Straßen, Gartenstraße und Gartenweg sind auch zwei verschiedene und dazu kam, dass Briefkästen von Kunden in der einen Straße nur über eine andere Straße zu erreichen waren.
Okay, muss man in der Theorie nicht verstehen, sehen wir vor Ort. Das Sortieren dauerte ca. zwei bis zweieinhalb Stunden. Zwischendurch mussten Pakete im Auto sortiert werden. Man bekam zwischen zwei und drei Karren voll. Das Interessante war: man wusste nicht, was auf dem letzten Karren war und die Pakete mussten auch in Gangreihenfolge sortiert werden. Die Kollegin, die mich diesen und die nächsten Tage begleiten sollte, hatte das natürlich drauf, denn sie machte es bereits seit Jahrzehnten. Sie unterteilte die Tour in zwei Abschnitte und alles was im zweiten Abschnitt kam, wurde zuerst einmal nach hinten ins Auto befördert. Der erste Abschnitt musste so sortiert werden, dass man Zugriff und genau wusste, wo sich welches Paket, für welchen Kunden befand. HÄ? Ja, genau. irgendwie schafften wir es und um halb zehn waren wir unterwegs. Sie erklärte mir, was ich bei welchem Kunden beachten musste und sie machte diesen Tag die Briefe, ich die Pakete. Easy. Wenn dann nicht fünf Pakete für Herrn A da sein sollten, aber nur vier da sind, weil das fünfte Paket irgendwo im Nirwana der ganzen Pakete verschwunden war. Also suchen und nicht finden, egal, nachher, wenn das Auto leerer ist, nochmal hin.
Nun sollte man wissen, dass alles genau getacktet ist. Für Brief so viel Sekunden, für Paket so viel Sekunden, egal, ob der Briefkasten an der Straße, oder irgendwo auf dem Grundstück hängt, egal, ob der Empfänger direkt in Erwartung des Pakets an der Tür steht, oder vielleicht gar nicht zu Hause ist und man es beim Nachbarn abgeben muss. Alles egal, alles getacktet. Dieser erste Tag endete um 16.30 Uhr, ohne Pause, ohne Toilettengang. Eigentlich mehr als eine Stunde länger, als eingeplant war. Das war der Vorgeschmack auf das, was mich erwartete, denn wir waren ja zu zweit. Das sollte sich die nächsten zwei Wochen nicht ändern. Dann kam die Zeit, in der ich alleine loszog. Da ich in der Einsortierung, vor allem in Sachen Pakete noch meine Probleme hatte, fing ich freiwillig um 6 Uhr an. Also hatte ich eine Stunde mehr, die allerdings nicht bezahlt wurde. Egal, da muss man durch. Jeden Tag neue Herausforderungen und neue Pakete in allen Größen und Gewichten. Irgendwann hatte ich auf dem letzten Karren den ich bekam ein Paket, unförmig und schwer. Normalerweise hätte ich das ganze Auto wieder ausräumen müssen, um es richtig zu positionieren. Leck mich, dann stehe ich in einer Stunde noch auf dem Hof und schiebe dies hier und das dort hin. Also rauf mit den über 30 Kilo auf die anderen Pakete. Das Ende: die Pakete darunter wurden natürlich zusammengedrückt und mit ihrem Inhalt passierte, was weiß ich. Die Krönung: der Kunde mit dem großen Paket war nicht zu Hause und ich hatte es, nachdem ich es vom Auto zur Haustür getragen hatte, wieder zum Auto zurücktragen dürfen, weil kein Nachbar da war. Solche wie andere Dinge, gingen mir relativ schnell auf die Nerven. Der Herr Muller beschwerte sich bei mir, dass er die ganze Zeit die Post von Herrn Müller bekommt, der seit Monaten nicht mehr hier wohnt. Manche Kunden meinten auch mich in ein Gespräch verwickeln zu müssen. Sorry, dafür habe ich keine Zeit. Ich muss weiter, denn Sie sind nicht mein letzter Kunde. Dann kamen noch Dinge hinzu, an denen ich vielleicht mit dran schuld war. Der Zugang zu einem Briefkasten war in einem Gefälle und zum Briefkasten waren die Stufen in unterschiedlicher Höhe, um dieses Gefälle auszugleichen. Ich hin zum Briefkasten. Briefe rein, beim Umdrehen auf die nächsten Briefe geschaut und nicht auf die Treppe. Mein Fuß ging ins Leere und ich knallte auf die Treppe. Mein erster Sturz, bei dem ich mir den kleinen linken Finger brach, was ich allerdings erst später feststellte. Aufstehen, Krone richten und weiter geht´s. Mein zweiter Sturz spielte sich ähnlich ab. Ich hielt wie immer vor dem Mehrfamilienhaus. Auto auf, Pakete raus und ab zur Klingel. Die Pakete auf dem Arm sah ich das Schlagloch nicht und knickte beim Auftritt voll um. Zack, da liegt er. Aufstehen, Krone richten, weiter geht´s. Der dritte Sturz brachte mich fast ins Krankenhaus. Kunde hatte die Stufen bis zu seiner Haustür mit Klinkerplättchen versehen. Den ganzen Tag hatte es geregnet und ich hoch zum Briefkasten, in der Hand die Briefe für die nachfolgenden Kunden. Die Treppe runter und rutsche auf der zweite Stufe von oben den Rest der Treppe auf meiner Hüfte hinab. Dort blieb ich zuerst einmal liegen, weil ich dachte ich hätte mir was gebrochen. Der Kunde, der meinen Aufprall mitbekam wollte einen Krankenwagen rufen. Ich winkte nur ab. Ich bin noch in er Probezeit, da legt man sich nicht ins Krankenhaus. Sind bestimmt nur ein paar Prellungen. Vergeht wieder. Aufstehen, Krone richten und weiter geht´s. Das zeigte mir allerdings, dass ich schneller an meine Grenzen kam, als ich dachte. Es war nicht mal Hochsaison in Sachen Pakete und doch machte ich jeden Tag Überstunden. Anfang war stets um 6.00 Uhr, Ende sehr selten vor 19.00 Uhr.
Wollte ich das?
War das meine Zukunft?
Rennend durch die Gegend, mich zum Affen machen vor und von den Kunden?
Ich beschloss, nachdem ich mir das einen Monat angeschaut hatte die Reißleine zu ziehen. Innerhalb der letzten 14 Tage hatte ich im Durschnitt über 13 1/2 Stunden gearbeitet. Wenn ich allerdings sage: nein, ich merke das ist nicht das Richtige für mich, dann bekomme ich eine Sperre. Wenn ich hingehe und mache krank, dann müssen andere Kollegen meine Tour mit übernehmen, bis ich wirklich entlassen bin.
Lieber Sperre, oder lieber Kollegenschwein?
Ich entschied mich für den 2. Weg. Meine Hausärztin, der ich den ganzen Ablauf erklärte fand auch die richtige Begründung für mein Aufhören. Ich brannte regelrecht aus, so wie schon einmal vor einigen Jahren. Um mich davor zu schützen musste sie mir einen Gelben verpassen. Ich rief in der Zentrale an und Teilte mit, dass ich krank sei. Okay. Eine Woche später wieder Termin bei der Ärztin und das Gleiche wieder. Eine Woche später sollte ich wieder kommen. Einen Tag vor diesem Termin verstarb meine Hausärztin und ich stand da, wo ich nicht stehen wollte, vor einem Problem. Arzt suchen, der mich eigentlich nicht will, ihm das alles erklären und hoffen, es ergebe sich so, wie meine Hausärztin gedacht hatte, oder wieder arbeiten gehen und den ganzen Zinnober von vorne. Ich suchte mir einen neuen Hausarzt, erklärte, was Sache ist und hoffte auf sein Verständnis. Mehr oder wenige missbilligend, da er die ganze Vorgeschichte nicht kannte stellte er mir doch eine Krankmeldung aus und meinte, das müsse aber am Ende des Monats ein Ende haben. Hmpf. Ich rief, wie gewohnt in der Zentrale an und die Kollegin meinte nur, ob ich entlassen werden wollte. Bin ja ein ehrlicher Kerl und sagte, ja, will ich. Also hatte sich die Sache relativ schnell erledigt. Der Betriebsrat rief dann noch an und holte sich auch mein okay. Somit war ich zum Ende meines 2. Monats wieder Arbeitslos.
Ich weiß genau, dass ich spätestens an Weihnachten das Handtuch geworfen hätte, denn dann ist die Hauptzeit der Pakete. Manchmal sehe ich ein Auto von Exkollegen auf meiner alten Tour. Sie wurde zwischenzeitlich gekürzt, denn auch alte Hasen schafften sie nicht in der vorgegebenen Zeit.
Man lernt nie aus, als Arbeitnehmer und als Arbeitgeber. Bei manchen dauert es ein wenig länger, bei anderen geht es ratzfatz.
Wieder packten mich Selbstzweifel und innere Unruhe. Es musste doch eine Arbeit geben, die mir nicht nur gefällt, sondern mich und meine Umwelt glücklich macht. Mit Umwelt meine ich nicht nur die Familie, sondern auch Mitmenschen. Wenn ich dies so offen formuliere, dann war mir klar, dass ich auf jeden Fall wieder mit Menschen arbeiten wollte. Direkter Kontakt mit ihnen stand für mich ganz oben auf der Prioritätenliste. Ich bewarb mich als wieder, wobei mein Hauptaugenmerk auf genau dieser Prämisse lag. Unter anderem als Teamleiter in einem chemischen Betrieb, als Anlagenführer in einer Druckerei, um einen Bürojob in einem Haus für Büroprodukte und zum 4. Mal um eine ausgeschriebene Stelle im öffentlichen Dienst.
Dann passierte etwas, was ich nicht für möglich hielt. Ich bekam tatsächlich einen Anruf mit Anfrage zur Probearbeit von zwei Stellen und gleichzeitig ein Vorstellungsgespräch zu einer dritten Stelle.
Die erste Probearbeit war die vom öffentlichen Dienst, auf die ich ja so lange wartete. Ich muss dazu sagen, dass es nun anscheinend besser klappte, da ein Mitglied des Betriebsrates mich direkt auf dem Laufenden hielt. Von ihm bekam ich auch den Tipp mich nochmals dort zu bewerben. Meine Aufgabe an dem Tag der Probearbeit bestand eigentlich nur darin mir den Ablauf meiner zukünftigen Wunscharbeit anzusehen und Eindrücke zu sammeln. Natürlich wurde mein Interesse, bzw. mein Wille, das was von mir gefordert wurde zu erkennen, genau beobachtet. Das interessierte mich aber recht wenig, denn ich ließ das alles zuerst einmal auf mich wirken. Wir fuhren in einen Ort und die „Kunden“ kamen freiwillig, um uns etwas zu geben. Kein Zwang, kein Druck, kein Zeitlimit. Natürlich waren Planzahlen im Spiel und ein gewisser Zeitrahmen war vorgegeben. Das spielte allerdings an diesen Tag für mich keine Rolle. Ich ließ alles auf mich wirken und sprach, während der Arbeit mit den Kollegen, um mir einen Eindruck von der Arbeit zu machen, von dem, was mich erwartete, wenn ich denn dort anfangen würde.
Kurz darauf kam das Vorstellungsgespräch in der chemischen Fabrik, in der ich mich als Teamleiter beworben hatte. Was mich am Anfang verwunderte war, dass ich über ein Subunternehmer dort arbeiten sollte. Wie sich im Gespräch als solches heraus stellte, sollte ich zuerst einmal die ersten Monate an der Anlage selbst arbeiten und dann zum Teamleiter werden. Das Einstellungsgehalt war knapp über Mindestlohn und als Teamleiter hätte ich dann einen Euro mehr. Hurra, willkommen in der Realität. Allerdings mit Sicherheit nicht in meiner Realität, denn, wenn ich schon einen Posten in Führungsposition übernehme, dann unter keinen Umständen zu einem Preis, der einen Euro über den meiner „Untergebenen“ liegt und keinesfalls so knapp über dem Mindestlohn liegt. Da muss man sich schon einen anderen Depp suchen.
Die zweite Probearbeit war in einer Druckerei. Dort war ich nicht für den Druck, als solches, sondern für eine Falzmaschine vorgesehen. Um 9.00 Uhr sollte ich vor Ort sein und mir die Maschine ansehen. Pünktlich war ich im Haus und kam gerade zur rechten Zeit, als die Maschine neu eingerichtet wurde. Ein Pharmaunternehmen benötigte Verpackungseinheiten für ein Produkt und genau diese sollten hier gefalzt und verklebt werden. Mit Interesse verfolgte ich die Einstellungen, die der zukünftige Kollege vornahm. Diese mussten genau stimmen, denn ansonsten würde die Verpackung für den Kunden schief gefalzt und beim letztendlichen Zusammenkleben nicht so halten, wie es vom Kunden gewünscht wär. Gezielte Fragen, was, wäre wenn, zeigten, dass ich zwar verstand, um was es ging, die Folgen einer falsch eingestellten Maschine jedoch noch nicht übersah. Dies machte anscheinend Eindruck. Warum ich diesen Job bekommen sollte stellte sich gegen 11 Uhr heraus. Es kam ein Kollege, der „verschlafen“ hatte. Anstatt um 5.30, war er eben erst um 11 Uhr aufgetaucht und meinte doch tatsächlich, er könne ganz normal um 14. Uhr Feierabend machen. Das ein solches Verhalten keineswegs gebilligt werden konnte, war mir klar. Dieser Mitarbeiter war die längste Zeit in diesem Unternehmen gewesen. Um 15 Uhr wurde ich ins Büro des Bereichsleiters gerufen. Vor Ort war dann gleich jemand aus der Personalabteilung, um die Sache vor Ort, hier und jetzt klar zu machen. Sie fragten nach meinen Eindrücken und waren gleich begeistert, als ich sagte, ich könne mir vorstellen hier zu arbeiten.
„Ja, das ist ja prima, dann können Sie gleich morgen hier anfangen.“
Moment, ich habe noch etwas anderes und ich kann und werde mich nicht hier und jetzt entscheiden, ob ich hier, oder im öffentlichen Dienst arbeite. Ich sah den Schrecken und ja auch so etwas wie Enttäuschung in den Augen des Bereichsleiters.
„Ja, wenn Sie beim öffentlichen Dienst anfangen können, warum haben Sie sich denn hier beworben?“
Meine Gedanken, damit ich Arbeit habe, sprach ich natürlich nicht aus, sondern erbat mir Bedenkzeit bis Anfang der kommenden Woche. Dies wurde mir, wenn auch widerwillig zugestanden.
Jetzt hatte ich sie, die Taube auf dem Dach, den Spatz in der Hand. Was sollte ich nur machen? Der öffentliche Dienst hatte sich nicht gemeldet. Dort wollte ich hin. Sollte ich pokern und alles auf diese Karte setzen, oder sollte ich den sicheren Job in der Druckerei annehmen? Ich rief montags, wie versprochen in der Druckerei an und sagte ihnen ab. Ein Pokerspiel um meine Zukunft.
Es sollte noch knapp einen Monat dauern, bis ich endlich Informationen über meine eventuelle Zukunft bekommen sollte. Die Leiterin meines Bereiches lud mich zur Besprechung ein. Es wurden vertragliche Angelegenheiten besprochen. Am 1.8. sollte ich meinen Dienst beginnen, der nach einem halben Jahr, wenn die Probezeit nach beiderseitigem Einverständnis verlaufen würde, in ein unbefristetes Verhältnis kommen würde.
Es gab verschiedene Teams, die jeweils in verschiedene Orte fuhren, dort das entsprechende Equipment aufbauten, die „Kunden“ sachgemäß „bearbeiten“, das Equipment wieder abbauten, im LKW verladen und wieder zurück zur „Basisstation“ fuhren, um dort den LKW zu entladen. Nun muss man wissen, dass mir die eigentliche Grundkenntnis zur sachgemäßen „Bearbeitung“ fehlte, weshalb ich nur als Helfer und Fahrer eingestellt wurde. Ja, Fahrer. Ich habe, bedingt durch mein Alter, zwar die Berechtigung ein solches Gefährt zu fahren, was allerdings nicht bedeutet, dass ich es fahren kann. Also dürfen, aber nicht unbedingt können. Das würde sich hoffentlich mit dem Tagesgeschäft langsam selbst ergeben. Gesagt, getan. Am 1. 8. War also mein erster Arbeitstag und ich „erfuhr“ mein gesamtes Bundesland und ein Nachbarbundesland dazu. Jeden Tag in einen anderen Ort, oft mit verschiedenen Teams. Jeder Teamleiter versuchte mir ein Teil seiner richtigen Arbeitsweise beizubringen. Allerdings lernte ich schnell, dass jegliche Arbeitsweise die richtige ist, solange sie zum Ziel führt. Die Einarbeitungszeit dauerte 2 Monate. In dieser Zeit galt ich zwar als Mitarbeiter, wurde offiziell nicht als solcher gezählt. Also konnte ich in dieser Zeit so viele Erfahrungen sammeln, wie nötig. Die Erfahrungen bezogen sich nicht nur auf die Arbeit als solches, sondern auch um die Umgänglichkeit anderer Kollegen. Dabei half es mir, dass ich zwei alte Klassenkameradinnen in diesem Bereich hatte. Beide hatte ich fast 40 Jahre nicht gesehen und doch erkannten wir uns wieder. Die Zeit verging im Flug und der erste Tag nach meiner Einarbeitung sollte ein sehr harter werden. Ein Event stand an, bei dem 450 „Kunden“ erwartet wurden. Am Ende des Tages waren dann tatsächlich weit über 500 zum Termin gekommen und ich fiel nach über 12 Stunden wirklich harter Arbeit erschöpft in mein Bett. Am nächsten Tag war ich sogar stellvertretender Teamleiter, da mein Teamleiter erkrankt war. Ähm, ich wusste zwar ein wenig, aber was ein Teamleiter alles zu machen hatte, davon hatte ich wirklich keine Ahnung. Hier ist aber nicht so, dass ein Kollege in die Pfanne gehauen wird, weil er nichts weiß, sondern hier ist es wirklich so, dass jeder, jedem hilft. Dafür muss allerdings die Chemie stimmen. Nicht jeder Kollege war so, wie es der Kollege war, den ich an diesem Tag bei mir hatte. Natürlich machte ich auch Fehler und es gab auch Kollegen, die mich dies ganz extrem spüren ließen, dass ich doch nur ein Anfänger bin. Wenn ich mit solchen Kollegen zusammen arbeitete, sagte ich mir, auch dieser Tag geht vorbei. Wollte ich das wirklich? Wollte ich eine Arbeitszeit mit einer Rahmenzeit von 12 bis 0 Uhr? Es gab nichts zu überlegen, denn
Wenn das nicht genug Gründe waren, mich voll und ganz dieser, meiner neuen Arbeit zu widmen. Ich ging geradezu auf in meinem neuen Aufgabengebiet. Mein Teamleiter musste viel Geduld für mich aufbringen. Allerdings machte er es nicht selbstlos, denn nicht nur, dass ihm ein Fahrer verloren ging, weil er in ein anderes Team wechselte, sondern ein weiterer Kollege verlies das Team, weil er zu seinem Vater in die Selbstständigkeit wechselte. Gerade von ihm lernte ich noch ganz wichtige Kniffe, die mir in der Schnelligkeit noch einige Vorteile brachten.
Was mich allerdings nicht unberührt ließ, war die Tatsache, dass in den ersten 5 Monaten 9 Kollegen die Firma verlassen hatten. Manche waren freiwillig gegangen, manche hatten die Probezeit nicht überstanden, manche wurden gar entlassen. Da wir in der Mehrzahl recht herzlich miteinander umgingen, war der Weggang eines jeden Kollegen ein Schlag ins Gemüt. Was ist, wenn ich die Probezeit auch nicht überstehen sollte. Ich machte mir Gedanken, wo ich mir keine zu machen brauchte. Die Akzeptanz unter den Kollegen hatte ich, viele freuten sich sogar, wenn sie außerplanmäßig mit mir arbeiten durften. Das erfreute mich natürlich und so kam es, dass die ersten 6 Monate wie im Flug vorüber gingen. Zwischenzeitlich habe ich einen Festvertrag und kann mit Stolz sagen:
Ich habe es geschafft!
Es hat knapp 31 Monate gedauert bis ich dort ankam, wo ich hin wollte. Viel Kampf, viel Krampf. Ich bin froh, den Schritt gemacht zu haben. Ich bereue es nicht, denn dort wo ich nun bin fühle ich mich wohl. Wenn sich jetzt Menschen in meinem Beisein über bevorstehende Arbeitsgerichtsverhandlungen unterhalten, dann denke ich mir meinen Teil. Nicht jeder Schritt ist unbedingt nötig, aber manche sind auch unvermeidbar. Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg gehen, eigene Erfahrungen machen. Ich wünsch jedem, dass er die richtige Arbeitsstelle hat. Einen Beruf, der Berufung ist. Mit Freude zur Arbeit, an jedem Tag der Woche. Es liegt an jedem selbst. Wer sich ärgert, der sollte wechseln, auch und gerade weil gerade jetzt der richtigste Zeitpunkt aller Zeitpunkte ist. Ärger auf dem Arbeitsplatz bedeutet auch immer Auswirkungen auf das persönliche Leben. Es tut nicht gut. Man sollte etwas ändern. Nur wenn man sich selbst bewegt, kann man etwas ändern. Da zu sitzen, wie die Schlange vor dem Kaninchen und abwarten, bis die Gegenseite reagiert, kann zum Nachteil gereichen. Es ist nicht immer leicht, wie man ja in dieser meiner Geschichte erlesen kann, aber was ich schaffe, das schaffst du und du und du schon lange. Voraussichtlich sogar in kürzerer Zeit, als 31 Monate, denn ich glaube an dich. DU SCHAFFST DAS, wenn du nur willst!
In all dieser Zeit hatte ich unendlich scheinende Unterstützung von Menschen, die ich zum Teil zuvor nicht mal kannte. Aber auch meine Familie, vor allem meine Frau muss ich hier nennen. Namentlich möchte ich folgende Personen, neben meiner Familie meinen großen Dank aussprechen: Steffen, Anja, Mathias, Andre´, Vera, Miki, Werner, Pertra, Helmut, Mike, Martin, Joachim, Sandra, Otti, Christel, Silvie. Sie waren da, wenn ich sie brauchte. Sie zeigten mir meine Schwächen, aber auch meine Stärken und ermutigten mich, als ich oft genug am Abgrund stand. Danke für alles, auch wenn es manchmal keinen Sinn hatte, so werde ich die Zusammenarbeit mit euch nicht vergessen. Es war mir eine Ehre.
Texte: Alexander Markus
Bildmaterialien: Alexander Markus
Tag der Veröffentlichung: 26.11.2017
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Wer genau hinschaut, der wird das Holocaust Mahnmal von Berlin auf dem Cover erkennen. Dieses Denkmal hat mit meinem Buch nichts zu tun. Es dient mir nur als Aufzeigen, was für Steine im Weg liegen können. Welcher Irrgarten sich auftun kann und man sieht keinen Ausweg. Immer wieder ist da eine Wand, die sich nicht zu öffnen scheint.
Der Holocaust an der jüdischen Bevölkerung hat nichts mit dieser, meiner Geschichte, nichts zu tun.
Dieses Buch widme ich den vielen Menschen, die nicht glücklich in ihrem Beruf sind. Berufung ist das Schlüsselwort. Etwas finden, das einem Spaß macht, wo man auch sein Missfallen offen äußern kann.
Liebe Arbeitgeber und Vorgesetzte: nicht jede Kritik ist persönlich gemeint. Allerdings ist ein Umdenken, wie gehe ich mit meinen Mitarbeitern um, dringend notwendig. Vérantwortung ist keine einseitige Strecke. Sprecht mit euren Mitarbeitern. Erreichbare Ziele gemeinsam stecken. Utopie gehört in die Fantasie.