Der schwarze Wagen folgte dem Mädchen unauffällig, sodass sie keine Chance hatte es zu bemerken. Auf dem Vordersitz saß ein Chauffeur mit ebenfalls schwarzer Mütze, der das Auto langsam durch den Verkehr schlängelte und darauf achtete, so wenig wie möglich aufzufallen. Der Beifahrer war ein bulliger, sehr muskulöser Mann von einer überragenden Körpergröße, der das Mädchen nicht aus den Augen ließ und jederzeit bereit war, seinen Auftrag auszuführen.Der dritte Mann im Wagen trug einen maßgeschneiderten Armani-Anzug und man merkte sofort, dass er anders war. Seine Ausstrahlung war überwältigend, was nicht unbedingt an seinem guten Aussehen lag, sondern eher an der mächtigen Aura, die um ihn herum zu vibrieren schien.
Das Mädchen währenddessen schien die Gefahr, die sie seit zehn Minuten verfolgte, nicht wahrzunehmen. Sie dachte gerade darüber nach, wie sie den heutigen Tag überhaupt überlebt hatte. Erst das Arbeiten in der Bäckerei, dann an der Tankstelle und schließlich zu guter Letzt in einer Bar. Dort wurde sie immer von Männern angemacht, die nach Alkohol stanken und vor sich hin lallten. Immerhin gaben sie gut Trinkgeld, versuchte sie sich aufzumuntern. Derweilen prasselte der Regen in Strömen auf ihre Kapuze, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Es war schon längst dunkel und normalerweise mied sie die verlassen Gassen von New York. Doch heute hatte sie es eilig aus dem Regen ins Warme zu kommen, um endlich in ihr Bett zu sinken.
Jedoch genau auf diese Chance hatten die Fremden gewartet. Das Handzeichen vom Hintersitz ließ den buckligen Mann aufspringen und aus dem Wagen hechten. In wenigen Sekunden hatte er die die menschenleere Gasse und somit auch das Mädchen erreicht. Sie hatte die schnellen Schritte gehört und anstatt wegzurennen, hatte sie sich neugierig umgedreht. Ein fataler Fehler.
Der Mann handelte schnell. Bevor das Mädchen überhaupt zum Schreien kam, wurde ihr bereits ein weißes Tuch auf die Nase und auf den Mund gedrückt. Das Tuch roch leicht süßlich und noch ehe sie den Geruch bestimmen konnte, fiel sie in Ohnmacht. Ihre Augen schlossen sich langsam und die Dunkelheit umfing sie.
Ich erwachte und mein Kopf fühlte sich an, als hätte jemand mir eine mit dem Baseballschläger verpasst. Eine Beule, fand ich allerdings nicht und auch sonst fühlte ich keine Schmerzen am Körper. Meine Hände fühlten weichen, kuschligen Stoff, der zu einer Decke gehören musste. Langsam schlug ich die Augen auf und nahm vorerst alles verschwommen wahr, doch nach einigen Sekunden klärte sich meine Sicht endlich.
Ich befand mich in einem kleinen Schlafzimmer. Die einzigen Möbelstücke waren ein großes Himmelbett, ein Schminktisch mit Spiegel und ein breiter Kleiderschrank, der fast eine gesamte Raumseite beanspruchte. Es gab ein Fenster, doch die Vorhänge waren zugezogen und nur ein paar Sonnenstrahlen schafften es ins Zimmer.
Mein Blick fiel auf die Decke in der mein Körper eingewickelt war. Der erste Gedanke der meinen Kopf durchzuckte war der, ob ich vergewaltigt worden war. Doch ich wusste, dass dies nicht der Fall seien konnte. Ich würde es spüren, wenn es so wäre.
Was mich jedoch verwunderte war das weiße Negligé, das mir jemanden angezogen haben musste. Meine Klamotten konnte ich weit und breit nicht entdecken.
Plötzlich wurde die Tür schwungvoll aufgerissen und eine dicke Frau Mitte vierzig drängte sich mit einem großen Servicewagen hindurch.
„Guten Morgen mein Hübsche, sind sie endlich wach geworden?“, fragte sie mich lächelnd, sodass sich auf ihren Backen Grübchen bildeten.
Entgeistert starrte ich sie an. Was war passiert? Wo war ich? Doch anstatt einer Antwort erhielt ich nur ein schwaches Dröhnen meines Kopfes.
Die Panik stieg erst in mir auf, als mir langsam bewusst wurde, dass etwas nicht stimmte. Ich war hier nicht zu Hause und ich war mir sicher, dass ich hier noch niemals zuvor gewesen war.
„Komm Liebes, sie müssen langsam aufstehen“, forderte mich die Frau liebevoll auf. Sie war inzwischen zu den Vorhängen gegangen und zog sie mit einem Ruck zur Seite. Die Sonne, die schon hoch am Horizont schien, blendete mich und schmerzte grell in meinen Augen.
„Wo bin ich?“, fragte ich und erkannte meine eigene Stimme nicht wieder. Sie klang schwach und ängstlich.
„Sie sind auf Mr. Belvords Anwesen. Stehen sie bitte auf! Sie werden bereits erwartet“, mahnte die Frau und zog ihren Wagen weiter in das Innere des Zimmers. Wahrscheinlich war sie zum Putzen gekommen, dachte ich mir, als ich die Waschmittel auf dem Wagen wahrnahm.
Der erste Einfall der mir kam, war zu fliehen. Ich wusste nicht, wie ich hierhergekommen war und langsam kam mir der Verdacht, dass ich vielleicht entführt worden war. Jedoch hatte ich mir Entführungen immer anders vorgestellt; brutaler, angsteinflößender, weniger komfortabel.
Als ich die Decke zur Seite schwang und meine Füße auf den Boden aufsetze und bereit war loszustürmen, überkam mich ein Schwindelgefühl.
„Alles in Ordnung mein Kind?“, erkundigte sich die Frau besorgt. Ich nickte und wurde sofort rot, als mir auffiel, dass das Negligé mir kaum über den Po reichte. Verlegen zog ich es so gut es ging nach unten, um wenigstens einen kümmerlichen Teil meiner Selbstachtung zu erhalten.
„Oh, natürlich, wie dumm von mir.“, sagte die Frau und begab sich zu dem Kleiderschrank, um eine gelbes Sommerkleid herauszuholen. „Er wünscht, dass sie dieses Kleid tragen.“ Die Frau reichte mir das teure Kleidungsstück, das aus einem sehr edlen und weichen Stoff bestand.
„Ich werde das nicht anziehen!“, sagte ich trotzig und schmiss das Kleid auf das Bett, in dem ich bis jetzt noch gelegen hatte. „Und wer bitte sollte sich das wünschen?“
„Lina! LINA!“, rief die Angestellte laut und sogleich erschien eine junge Frau, die ich gerade einmal auf 25 Jahre schätze. Sie hatte eine braune Kurzhaarfrisur und eine perfekte äußere Erscheinung. Ihre Lippen hatte sie mit einem purpurroten Lippenstift angemalt und gerade betrachtete sie mich kritisch von oben bis unten. Die Frauen hatten beide die gleichen Kostüme an, einen schwarzen Rocken mit einer weißen Bluse auf der am Kragen ein B eingenäht worden war. Wohl die Angestelltenuniform, schlussfolgerte ich.
„Ich bezweifle ja mal, dass sie die richtige ist“, giftete die Frau mit dem roten Lippenstift. Ich wusste nicht, was sie damit meinte, aber ein Kompliment war es jedenfalls nicht.
Die andere Frau, die sich als Beate entpuppte schüttelte energisch den Kopf. „Nun sei mal nicht so und mach deine Arbeit!“, sagte sie genervt und drehte sich erneut zu mir um. „Du brauchst keine Angst haben!“ Sie lächelte mir aufmunternd zu.
Verwundert blickte ich in ihre warmen, braunen Augen. Vor was sollte ich keine Angst haben, fragte ich mich und ließ mich von der jungen Frau, die mich grob an der Hand gepackt hatte, mitziehen. Auf dem Flur, vor der Türe des Zimmers in dem ich aufgewacht war, stand ein großer, breiter Mann mit Glatze, der uns mit seinen Blicken verfolgte. Ich hoffte, dass er nicht auf mich aufpassen sollte, doch es war egal auf wen er wartete, eine Aussicht auf Flucht machte er mir auf jeden Fall zur Nichte. Neugierig beäugte ich den Flur, der mit Marmorplatten gefliest war. Es musste ein sehr großes Haus sein, denn er reichte weit nach hinten und ich machte noch viele weitere Zimmertüren aus. Hier würde ich mich wahrscheinlich zweifellos verirren, dachte ich enttäuscht und folgte Lina in eine Art Ankleidezimmer mit vielen Spiegeln und Tischen auf denen Schminkutensilien standen. Die junge Frau reichte mir inzwischen erneut das Kleid und forderte mich energisch auf es anzuziehen. Ich schüttelte den Kopf und zog trotzig die Lippen empor.
„Sofort! Oder ich ziehe es dir selber an!“ drohte sie mir, wobei mir auffiel, dass sie mich nicht wie die andere Frau Siezte. Ihre Augen glitzerten wild und ich gab mich geschlagen. Unter ihren prüfenden Augen entkleidete ich mich und war heilfroh, dass ich immer noch meine Unterwäsche, bestehend aus einem rosa BH mit passenden String, anhatte.
Als ich fertig war schloss Lina den Reißverschluss an der hinteren Seite des Kleides und musterte mich erneut prüfend. Das Kleid passte wie angegossen, als hätte jemand meine Körpermaße heimlich gemessen, als ich tief und fest geschlafen hatte. Es reichte mir bis kurz übers Knie und fiel locker an meiner Hüfte herab.
„Gut, nun noch ein wenig Rouge und Lippenstift und eine andere Frisur, das müsste dann reichen“, sagte sie schließlich nach langem Überlegen. „Und etwas Parfüm würde dir auch nicht schaden.“ Sie rümpfte die Nase und schnappte sich den roten Lippenstift von einem der Tische und begann mir die Lippen zu bestreichen.
Derweilen arbeitete mein Gehirn auf Hochtouren. Wie war ich hier hergekommen? Wo war ich überhaupt? Und die wichtigste Frage, was sollte ich hier? Und wieso zur Hölle wurde ich geschminkt?
„Wen soll ich denn treffen?“, fragte ich vorsichtig, während die Frau mich mit Parfüm einsprühte, wodurch ich kaum atmen konnte.
„Wirst schon noch sehen“, war ihre kurze Antwort.
Nachdem sie mich ein parfümiert, geschminkt, frisiert und zu Recht gezupft hatte, war ich anscheinend endlich bereit dem Fremden gegenüberzutreten. Um ehrlich zu sein, fand ich mich eindeutig zu überschminkt, aber die Frau sah nicht so aus, als könnte sie gut Kritik vertragen
„Oh warte, deine Schuhe!“, eilig verschwand sie in den Nebenraum. Ich sah meine Chance und rannte zu dem geöffneten Fenster, das mir vorher schon aufgefallen war. Enttäuscht wich ich zurück, denn wir befanden uns mindestens im zweiten Stockwerk des Hauses. Vor meinen Augen erstreckte sich ein riesiger Garten und außer einem angrenzenden, kleineren Gebäude, erkannte ich keine Anzeichen von Menschen, die hier wohnten und mir vielleicht hätten helfen können.
„Was machst du? Zieh die Schuhe an! Wir sind spät dran“, schreckte mich Linas Stimme auf. Ich nickte und zog die weißen Sandalen, die aussahen wie aus einem Designerladen, artig an. Vielleicht konnte man ja mit dem Mann vernünftig reden, der mich zu erwarten schien.
Der Mann mit Glatze führte mich den Gang hinunter und ich konnte das Haus näher betrachten. Derjenige der hier wohnte, schien Geschmack zu haben. Alles war modern eingerichtet und viele Blumen und Bilder schmückten den Flur.
„Bitte begeben sie sich schon einmal in die Räumlichkeiten“, sagte der Mann, der für sein Auftreten eine sehr hohe Stimme hatte und stellte sich mit verschränkten Armen neben die Türe. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass er wegen mir hier stehen musste.
Da ich keine andere Möglichkeit sah, öffnete ich die Türe und fand mich in einem einladenden Wohnzimmer wieder. Es gab einen Kamin, der jedoch bei der Hitze, die zurzeit herrschte, nicht an war. Ein bequeme Sofainsel lud zum hinsetzten und entspannen ein, wo ich mich auch niederließ und gespannt abwartete. Die Zeit verstrich und ich wurde immer nervöser. Ob ich wohl sterben würde, fragte ich mich und in meinem Magen breitete sich ein unangenehmes Gefühl aus. Doch bevor ich mich diesem weiter widmen konnte wurde die Türe geöffnet...!
Auf alles war ich vorbereitet gewesen - nur nicht auf ihn.
Der Mann, der gerade elegant über die Türschwelle trat, sah nicht im Entferntesten wie ein Entführer aus, nicht einmal annähernd. Ein Entführer musste vernarbt, angsteinflößend, ungepflegt und vor allem nicht so gut aussehenend sein, dachte ich mir und mein Mund blieb vor Erstaunen weit geöffnet. Als mir dies endlich bewusst wurde, schloss ich ihn schnellst möglich, doch nicht ohne dabei rot zu werden. Ich zog jedes kleinste Detail seines Aussehens in mich auf; seine grünen Augen, die durchtrainierte Statur, den Armani-Anzug, die perfekte Haut, die kleinen Bartstoppeln an seiner Wange und um seinen Mund herum … sein Mund. Volle und sinnliche Lippen, die nur für mich gedacht seien sollten.
„Schön Sie kennenzulernen, Miss Hemton. Mein Name lautet Belford. “ Seine Stimme klang melodisch und verlockend zugleich. Ich seufzte leise, um gleich darauf erneut rot zu werden. Was war bloß mit mir los? Der Fremde lächelte verschmitzt. Ich spielte nervös mit einer Haarsträhne, die sich aus meiner Hochsteckfrisur gelockert hatte.
Er reichte mir seine Hand und ich erschrak bei der Kälte, die sie ausstrahlte. Gleichzeitig kribbelte meine Haut, als würden eine Millionen Ameisen über meinen Arm laufen.
„Ebenfalls…!“ stotterte ich. Alle meine Fragen, die ich diesem Mann stellen wollte, waren wie durch Zauberhand verschwunden.
„Das Kleid steht ihnen hervorragend“, sagte er mit einem prüfenden Blick und wies mich mit einer Handbewegung daraufhin, dass ich mich wieder setzen sollte. Er nahm gegenüber von mir Platz.
Jetzt, da ein wenig Abstand zwischen uns war, klärte sich allmählich mein Verstand wieder auf und mir wurde erneut in Gedanken gerufen, dass ich entführt worden war. Ich zog meine Augenbrauen empor und beachtete ihn mit dem bösartigsten Blick, den ich hervorbringen konnte. Scheinbar war das eindeutig schief gelaufen, denn der Mann mir gegenüber lachte nur leise.
Ich entschied mich dafür, gleich auf den Punkt zu kommen.
„Wie bin ich hier hergekommen?“
Scheinbar war das die Frage, die er hatte kommen sehen, denn er hatte eine perfekte Ausrede parat.
„Ich habe Sie gefunden, als Sie bewusstlos am Boden gelegen haben. Natürlich lasse ich keine Frau allein in einer dunklen Gasse liegen. Sozusagen habe ich sie also gerettet“, log er seelenruhig und blickte mir tief in die Augen.
Wütend starrte ich ihn an.
„Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich ihnen das glaube?“
„Nein“, erwiderte er und fügte hinzu. „Nun ich gebe zu, vielleicht sind sie nicht von alleine in Ohnmacht gefallen." Der fremde Mann zwinkerte mir zu.
Mir blieb vor Erstaunen wieder der Mund offen stehen. „Bitte was?!“, fragte ich etwas lauter, als ich es beabsichtig hatte.
„Ich habe sie entführt!“, berichtete er wahrheitsgemäß, als würde es keinen Unterschied machen, ob ich nun die Wahrheit kannte oder eben nicht.
„Das verstehe ich nicht.Wieso?“, fragte ich offen hinaus, da es das erste war, was mir durch den Kopf ging. Was sollte ein Entführer schon groß von mir wollen? Ich besaß nicht viel Geld und meine Eltern waren tot und konnten somit kein Lösegeld zahlen. Mein Gesicht drückte anscheinend genau die Verwirrung aus, die ich empfand wodurch der Mann sofort wieder zu grinsen begann.
„Würde ich ihnen das verraten, wäre doch der ganze Spaß vorbei.“ Er lächelte erneut. Dieser Mann brachte mich völlig aus dem Konzept. Was sollte ich bloß hier?
„Wenn das so ist, kann ich ja gehen!“, entschloss ich und stand eilig auf. Doch bevor ich nur einen Schritt in Richtung Tür gehen konnte, stand Mr. Belford bereits vor mir und versperrte den Weg. Wie war er so schnell hergekommen? Erneut blickte ich mich ratlos um.
Ein drohendes Geräusch, das sich anhörte wie ein Knurren, kam aus der Kehle des Fremden.
„Sie gehen, wenn ich es ihnen sage!“, flüsterte er leise in mein Ohr, wodurch mein ganzer Körper zu vibrieren begann. Mit einer sachten Bewegung, die keinen Widerstand duldete, beförderte er mich erneut auf meinen Platz zurück.
Seine Nähe brachte mich um den Verstand und ich wunderte mich selbst über mein Verlangen ihn anzufassen.
„Machen sie es mir nicht so schwer“, sagte Mr. Belford, der nun direkt neben mir Platz nahm. Er blickte mich neugierig an, als könnte er meine Stimmung auf dem Gesicht ablesen.
„Aurelia“, flüsterte er und ich wunderte mich nicht einmal darüber, woher er meinen Namen kannte. „Ja?“, fragte ich ebenso leise und blieb mit meinem Blick an seinen Lippen hängen.
„Ich hoffe wirklich, dass du mich erlösen kannst“, sagte er mehr zu sich selbst als zu mir. Fragend blickte ich ihn an.
„Was haben sie gesagt?“
„Nichts, dass sie etwas angehen sollte“, bemerkte er überraschend reserviert.
Beleidigt verzog ich das Gesicht und wartete darauf, dass etwas passierte. Doch Mr. Belford schwieg und schaute mich nicht mehr an.
„Und nun?“, brach ich schließlich das Schweigen.
Ich hatte ihn aus seinen Gedanken geschreckt, sodass er kurz betreten aussah. Nach wenigen Sekunden hatte er aber seine Maske aus Gleichgültigkeit wieder aufgesetzt.
„Was wollen sie wissen?“ Er konzentrierte sich wieder ganz auf mich.
„Sie haben mich entführt! Und scheinbar wollen sie mich nicht gehen lassen. Also was soll ich hier? Wieso bin ich hier? Wo sind wir? Was…?“
„Halt, halt!“ Er hob abwehrend die Hände. „Nicht so schnell.“ Wütend blickte ich ihm entgegen. Was für ein schlechter Entführer, dachte ich mir.
„Wo sie sich befinden, kann ich ihnen leider nicht sagen. Wieso sie hier sind…“, er überlegte. „Sie sind hier, um mich zu unterhalten.“ Mr. Belford verzog die Miene, als wäre er selbst mit seiner Aussage nicht zufrieden.
„Zu ihrer UNTERHALTUNG?“, schrie ich laut. „Wie können sie es wagen!“ Erneut stand ich auf und dieses Mal ließ er mich gehen. Mit hocherhobenem Kopf stolzierte ich aus der Türe, um gleich in die Arme des Glatzköpfigen zu laufen.
„Sie können von hier nicht fort“, sagte plötzlich Mr. Belfords Stimme hinter mir. Der Glatzköpfige grinste dumm.
Erneut drehte ich mich zu meinem Entführer um und versuchte das wohlige Gefühl, dass sich in meinem Körper ausbreitete zu ignorieren. Ich stemmte entschlossen meine Arme in die Hüfte.
„Ich lasse sie verhaften!“
„Und wie?“
„Indem ich die Polizei rufe!“
„Haben sie denn ein Handy?“
Verdutz überlegte ich. Nein, natürlich nicht. Das Handy war in meiner Hose, die seit meiner Ankunft als vermisst galt.
„Sehen sie. Sie kommen hier nicht weg.“, sagte er sanft.
Mein Mund verzog sich zu einem Strich. „Das werden sie schon noch sehen!“ Ich ließ meine Zähne knirschen und drehte ihm den Rücken zu.
„Greg, führe sie bitte in das Zimmer, dass ich für sie habe herrichten lassen. Und schau, dass sie zum Abendessen fertig ist. Steckt sie unter die Dusche!“ Mit ernster Miene verabschiedete er sich und ließ mich vor Wut glühend zurück.
*
Eine gute Sache hatte das Ganze - Ich würde wohl nicht so schnell sterben, wie ich vorerst gedacht hatte.
Ich wusste nicht was er mit dem Wort „Unterhaltung“ meinte, doch bei einem war ich mir sicher, dafür brauchte man mich lebend.
Greggi, wie ich den Leibwächter oder was auch immer er war getauft hatte, lief vor mir her und ich wusste, dass es keine Chance auf Entkommen gab. Ich würde erst einmal mitspielen, entschloss ich und dachte an meine kleine, bescheidene Wohnung. Was würde wohl passieren, wenn niemand die Miete zahlt? Würde es überhaupt jemanden auffallen, wenn ich nicht mehr kam? Würde die Polizei mich finden? Die Fragen quälten mich und mit jedem Schritt wurde es schlimmer. Ich merkte, dass mich niemand vermissen würde. Ich hatte nicht viele Bekannte, da ich von morgens bis abends fast jeden Tag arbeitete, um meine Schulden endlich bezahlen zu können. In meinem 20-Jährigen Leben, gab es bisher auch keinen Mann an meiner Seite. Klar ich hatte Dates gehabt, doch keiner hatte mir so sehr gefallen, dass ich ihn näher an mich rankommen hätte lassen wollen. Jetzt, bereute ich es, keine weiteren Erfahrungen gemacht zu haben. Nicht mehr darauf bedacht gewesen zu sein, Spaß zu haben, Leute kennenzulernen und einfach meine Jugend zu leben.
Ich seufzte laut und Greggi drehte sich mit versteinerter Miene zu mir um.
„Alles okay?“, erkundigte er sich mit seiner piepsigen Stimme, die ich immer noch nicht ganz zu ihm zuordnen konnte.
„Würdest du dich gut fühlen, wenn du entführt werden würdest?“, antworte ich mit einer Gegenfrage.
Er schüttelte den Kopf. „Sie sind ja auch nicht die erste“, murmelte er leise und setzte seinen Weg fort. Meine Ohren horchten auf, doch scheinbar wollte Greggi nicht weiter darüber reden. Er führte mich zu einer Zimmertür mit goldenen Türknauf und als er mich hineinführte, stockte mir der Atem.
Ich wusste nicht, ob Mr. Belford sein Benehmen von vorher wieder gut machen wollte oder ob er einfach nur in Geld schwamm. So oder so, das Zimmer was spitze!
Ein Himmelbett mit traumhafter roter Seidenbettdecke und unendlich vielen Kissen, die zum Kuscheln einluden, ein begehbarer Kleiderschrank in dem unzählige Kleider hingen, ein eigenes Bad mit Whirlpool, ein großer Fernseher mit Flachbildschirm und das Beste, ein großes Regal mit Büchern aller Art, schmückten den großen Raum.
Vor Staunen bekam ich den Mund nicht mehr zu und Greggi musste mich in die Seite stoßen, um auf sich aufmerksam zu machen.
„Um 17 Uhr werden sie unten erwartet und ihr werdet zusammen essen“, erklärte er und blickte mich auffordernd an.
„Ich habe keinen Hunger!“, schmollte ich, doch mein Magen hatte den perfekten Zeitpunkt ausgesucht, um laut zu knurren. Ich lief rot an. Greggi lachte laut.
„Nun, gehen sie erst mal duschen, ziehen sich was nettes an und ich schicke später Lina vorbei. Ja?“, fragte er freundlich.
Ich nickte und ich war mir sicher, dass ich mich nur wegen des Hungers fügte; und vielleicht da ich unter dem Parfüm allmählich roch, dass es eindeutig Zeit war für eine warme Dusche. Deswegen fügte ich mich meinem Schicksal und entkleidete mich, als Greg verschwunden war. Die Dusche war ein reines Vergnügen, denn sie besaß einen Massagekopf, wie ich es aus den Werbungen im Fernseher kannte. Während ich duschte summte ich eine Melodie, die meine Mum mir damals immer vor dem Einschlafen vorgesungen hatte. Sie heiterte mich auf und ließ mich vergessen, dass ich eine Art Geisel war.
Nach dem Duschen trocknete ich mich ab und ließ meine langen Haare frei über den Rücken fallen. Ich suchte nach einem Föhn und wurde sofort fündig, denn in diesem Bad war alles, was eine Frau brauchte.
Mein Spiegelbild betrachtete mich aus dem bodenlangen Spiegel im Bad und ich lächelte ihm aufmunternd zu. Jedoch gelang mir das nicht überzeugend und bald hatte ich wieder eine traurige Miene auf dem Gesicht. Meine Haare glänzten durch das teure Shampoo, das in der Dusche gestanden hatte und ich fragte mich, wieso es nie so ausgesehen hatte, als ich bei einem Date war.
Einmal hatte ich ein Date gehabt, das ich niemals wieder vergessen würde. Es war mit einem wunderschönen Mann, den ich aus dem College kannte auf das ich früher, als meine Eltern noch gelebt hatten, gegangen war. Er war witzig, nett und hilfsbereit gewesen und ich wusste bis heute nicht, wieso er mich nicht mehr angerufen hatte. Ein Schmerz stach in meine Brust, doch ich konnte ihn mindern in dem ich ihn mit Mr. Belford verglich. Denn an ihn kam er eindeutig nicht ran und das stimmte mich auf eine komische Art fröhlich.
Ich wusste, dass ich nicht die schönste Frau auf der Welt war, aber wer war das schon. Wenn ich mich selbst einschätzen müsste, würde ich sagen, dass ich zum guten Durschnitt gehörte. Am meisten gefielen mir meine blauen Augen, die dicht mit Wimpern umrandet waren und für die ich nie einen Mascara brauchen würde. Meine Figur war nicht perfekt, doch auch nicht zu verachten. Ich war von Natur aus rund um die Hüfte gebaut, doch meine Taille war schmal, meine Oberweite hingegen normal. Meine Beine waren lang, worauf viele Kolleginnen eifersüchtig gewesen waren und sich jedes Mal gewundert hatten, wieso ich sie nicht zeigte. Ehrlichgesagt, wusste ich das selbst nicht.
Seufzend wand ich mich vom Spiegel ab und durchsuchte den begehbaren Kleiderschrank nach einem passenden Abendoutfit. Ich vermutete, dass wir nicht außerhalb essen würden, da ich ja bekanntlich entführt worden war. Meine Miene verfinsterte sich augenblicklich.
Nun gut, was haben wir da. Kleider, Kleider und nochmals Kleider, Schuhe in allen Höhen und Farben, Blusen und einige Hosen. Hinter einer Schranktür fand ich weitere Negligés und erschrak, da diese noch kürzer schienen, als das was ich angehabt hatte. In der untersten Schublade, war es aber noch schlimmer. Unzählig verschiedene Arten von Unterwäsche wurden dort gehortet. Hauptsächlich rot, fiel mir auf und ich kam mir langsam wie eine Prostituierte vor.
Daher entschied ich mich lieber für eine enge Jeans, anstatt eines Kleides. Ich peppte mein Outfit mit roten, hohen Pumps auf und zog noch eine weiße, an der Taille gesmokte Bluse an. Als ich mich im Spiegel betrachtete war ich mit meinem Werk durchaus zufrieden. Meine blonden, langen Haare fielen offen über meine Schultern und ich hatte mir nur ein wenig Eyeliner auf die Augenlieder und auf die Lippen etwas glänzenden Lippenstift aufgetragen, da ich nicht wieder aussehen wollte, wie eine Barbie. Jetzt sah ich eindeutig mehr nach Aurelia aus und nicht mehr wie die aufgetakelte Angestellte. Zusätzlich besprühte ich mich dezent mit einem Parfüm, dessen Duft mich an Rosen erinnerte.
Allgemein war ich eindeutig von diesem Zimmer und dem ganzen Haus, seinen Bewohner und den Utensilien beindruckt. Purer Luxus zeigte sich hier wieder und war kaum mit meiner 2-Zimmer-Wohnung, in der ich nun schon seit 2 Jahren lebte, zu vergleichen. Jedoch machte Geld nicht glücklich, dachte ich mir, denn kein Geld der Welt könnte meine Eltern aus dem Reich der Toten zurückholen.
Meine Eltern. Sie waren die besten Eltern gewesen, die man sich hätte vorstellen können. Fürsorglich, hilfsbereit, freundlich und immer mit einem Lachen auf dem Gesicht, so hatte ich die Beiden in Erinnerung. Ein Schmerz borhte sich in mein Herz und ich musste mir ein Schluchzen verkneifen.
Es klopfte plötzlich kurz an der Türe und ohne abzuwarten betrat Lina den Raum, die mein Outfit sofort prüfte.
„Naja, ich hatte schlimmeres erwartet“, sagte sie schließlich und ließ sich auf mein Bett plumpsen. Wütend blickte ich sie an, sagte aber nichts.
„Also, heute ist dein erstes Date mit ihm?“ Sie kicherte leise.
Ich verzog meine Miene. „Date? Ich bin eine Gefangene, schon vergessen?“
„Naja, es gibt tausende Frauen, die sich freiwillig opfern würden“, entgegnete Lina und ich hörte eindeutig einen neidischen Unterton aus ihrer Stimme heraus.
„Es gibt wichtiger Dinge, wie Aussehen, Geld und Macht. Aber mir ist klar, dass du das nicht verstehen kannst!“, sagte ich und dachte an die ärmlichen Verhältnisse an die ich gewohnt war.
Die aufmüpfige Angestellte stand auf und blickte mich einen Moment verdutz an. „Weißt du, vielleicht denkst du ja wirklich so. Aber ich gebe dir zwei Tage und dann bist du seinem Charme verfallen.“
Sie zwinkerte mir zu und warf einen neugierigen Blick in die offene Tür des begehbaren Kleiderschrankes. „Dem, kann keiner Frau wiederstehen.“ Und ich wusste nicht, ob sie Mr. Belford oder die Klamotten meinte.
„Und glaub ja nicht, dass ich dich beneide. In ein paar Tagen wird sich rausstellen, ob du würdig bist, hier zu bleiben und wenn nicht…viel Spaß!“ Ihre roten Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen.
„Was meinst du damit?“, fragte ich erschrocken. Würdig?
„Tja, Pech! Frag doch selbst.“ Wieder das spöttische Lächeln auf ihrem Gesicht.
Langsam fing ich an diese Frau zu hassen und ich fragte mich, ob sie es genau darauf anlegte.
„Lass uns gehen, es wird Zeit.“, meinte Lina und zog mich erneut mit sich, sodass ich mit den hohen Schuhen, die ich eindeutig nicht gewohnt war, stolperte und mir deswegen erneut ein Grinsen einfieng.
Derzeit befand ich mich in einem großen Saal mit einem riesigen Esstisch in der Mitte und ich kam mir am Ende dieses Tisches klein und verloren vor. Ansonsten war der Raum bis auf Dekoration, wie ein Bild von Picasso und…! War das etwa echt?! Ich schaute auf die Unterschrift am unteren Ende des Kunstwerkes und schnappte laut nach Luft. Ein echter Picasso, hier. Wie reich war dieser Mr. Belford eigentlich? Und wie arm ließ er mich dastehen. Ich seufze und fühlte mich in meiner Jeans, die hier in dem vornehmen Saal eher fehl am Platze war, plötzlich unwohl. Jedoch hatte die Jeans einen Vorteil -- in ihr konnte ich bequem wegrennen, jedoch würden mich die Pumps wohl daran hindern.
In was bin ich hier bloß reingeraten, fragte ich mich und überlegte, ob ich in letzter Zeit irgendwas verbrochen hatte, dass ich das hier verdiente. Als mir nichts einfiel, überlegte ich, ob ich vielleicht doch träumte und mir alles nur einbildete. Ich zwickte mich schmerzhaft in meinem Oberarm – doch nichts passierte. Verdammt!
„Dürfte ich sie fragen, was sie damit beabsichtigen?“, ertönte eine raue Stimme hinter mir. Meine Ohren liefen sofort rot an und langsam drehte ich mich um. Bitte nicht Mr. Belford, bitte nicht…! Doch ich hatte ihn bereits an seiner Stimme erkannt und als ich sein selbstgefälliges Lächeln sah, hätte ich mich am liebsten in Staub aufgelöst.
Ich nuschelte etwas Unverständliches und drehte mich abrupt wieder zu dem Tisch um, da ich sonst sicher wieder an seinen Augen hängen geblieben wäre.
Mr. Belford schien meine Reaktion nicht zu stören und er nahm seelenruhig auf einem Stuhl neben mir Platz.
Verunsichert blickte ich ihn an und … diese Augen. Entschlossen schüttelte ich den Kopf und drehte mein Gesicht erneut weg.
„Ist es nicht üblich, dass man bei zwei Personen sich an den Tischenden gegenübersitzt?“, fragte ich und wünschte mir, dass er wirklich die fünf Meter des Tisches entfernt sitzen würde.
Mr. Belford lachte. „Ich möchte sie ja kennenlernen und ich finde, dass da eine gewisse Nähe von Vorteil ist, finden sie nicht auch?“
Ich schluckte hörbar. Sein Stimme.
Alles schien mich auf irgendeine Art, wie magisch anzuziehen. Mach dich nicht zum Narren, sagte ich mir und wand mich entschlossen dem schönen Gesicht entgegen. Seine Züge waren perfekt, seine Haut makellos rein und seinen 3-Tage-Bart hatte er immer noch nicht abrasiert. Er trug erneut einen Anzug, doch dieses Mal war er grau, doch er passte sich genauso perfekt an seine Statur an, wie der Erste.
„Ich möchte gerne Essen!“, bemerkte ich, um von meiner Unsicherheit abzulenken.
Mr. Belford nickte. „Natürlich, wie sie wünschen.“
Kurz darauf wurde auch schon der erste Gang von einem Kellner, ebenfalls mit dem Hemd auf dem das kleine B eingestickt worden war, hereingetragen; eine Suppe.
Das Geschirr sah teuer aus und zuerst hatte ich ein bisschen Angst, dass ich vielleicht nicht wissen würde, mit welchem Besteck ich anfangen sollte zu essen. Doch bei einer Suppe war das nicht allzu schwierig, bei einem Löffel würde ich wohl nicht falsch liegen.
Ich fing an die Suppe, die nach Spargel schmeckte, gierig auszulöffeln, als mir auffiel, dass Mr. Belford nichts aß. Nicht einmal einen Suppenteller hatte er vor sich stehen.
„Mögen sie denn keine Suppe?“, fragte ich ihn und setzte kurz den Löffel ab.
„Ich habe schon gegessen. Aber lassen sie sich nicht stören!“ Er lächelte. Und ich schaute verlegen zu Boden, als mir bewusst wurde, wie gierig ich die Suppe verschlang.
„Nun, da ich gegen meinen Willen entführt worden bin, bin ich in der Tat sehr hungrig“, gab ich zu und setzte meine Löffelei fort. Mr. Belford beobachtete mich amüsiert.
Wenn ich das mehrere Gänge aushalten muss, dass er mich beim Essen beobachtete, würde mir schnell der Appetit vergehen,dachte ich mir.
Der nächste Gang kam: Argentinisches Hüftsteak mit Pommes und Mayo. Ich liebte Steak und ich mochte Mayo viel lieber wie Ketchup. Ich stutze.
„Woher wusste sie das?“, erkundigte ich mich misstrauisch.
„Sagen wir so, ich habe ein paar Nachforschungen angestellt.“ Ich starrte ihn an. Nachforschungen? Wie lang war er denn schon hinter mir her?
„Und gefällt ihnen, was sie herausgefunden haben?“, fragte ich sarkastisch und begann das Steak in kleine Teile zu schneiden.
„Das andere Messer“, sagte Mr. Belford lächelnd und reichte mir ein Messer mit Zacken.
„Oh…natürlich.“ Schnell schnappte ich mir das Messer und fing erneut an das Fleisch zu schneiden. Es ging eindeutig leichter.
„Und?“, fragte ich erneut, nachdem ich das halbe Steak gegessen hatte und somit der größte Hunger vorerst gestillt war.
Mr. Belford räusperte sich. „Manches mehr und manches eher weniger.“
Argwöhnisch zog ich meine Augenbrauen empor. „Was weniger?“
„Ich muss zugeben, ihr Kleiderschrank hatte eine sehr dürftige Auswahl an Kleidern und die wenigen Kleider, die sie besaßen waren recht … wie soll ich sagen, langweilig?“ Seine Stirn zog sich in Falten, als würde er nochmals durchgehen, was er gefunden hatte.
„SIE WAREN AN MEINEM KLEIDERSCHRANK??!“, brüllte ich ungläubig und schlug mit den Messer laut auf den Tisch.
Mr. Belford ließ sich nicht einschüchtern. „Sie haben da etwas Mayo.“
Mit einer schwungvollen Bewegung strich er mit seinen Daumen die weiße Pampe an meinen Mundwinkel fort, um sie dann an einer Serviette abzuwischen.
Seine Finger auf meinem Gesicht lösten eine Art Kurzschluss aus und sämtliche Gedanken waren wie vom Erdboden verschwunden. Die Stelle, die er angefasst hatte kribbelte immer noch und ich konnte kein klares Wort mehr formulieren. Meine Augen hingen an ihm und ich betrachtete seine Statur, zog alles in mich auf, wie ein Schwamm. Sein oberste Hemdknopf war geöffnet und zeigte ebenso makellose Haut, die mich fast dazu brachte, ihn anzufassen.
„Aurelia, ich darf sie doch Aurelia nennen?“ Als er meinen Namen aussprach, war das für mich wie pure Musik in meinen Ohren. Ich nickte perplex.
„Morgen werde ich einen kleinen Spaziergang unternehmen. Würdest du mir die Ehre geben mich zu begleiten?“ Seine Augen funkelten voller Hoffnung.
Verwundert blickte ich ihn an. Wieso wollte er mit mir spazierengehen? Beim näheren Überlegen war mir der Grund jedoch unwichtig, vielleicht würde ich eine Chance haben aus den Fängen dieses Mannes zu entkommen.
„Gerne.“
Seine Miene hellte sich auf. „Das freut mich. Ich werde dich gegen 12 Uhr abholen. Morgen soll die Sonne scheinen, also würde ich mich über ein schönes Kleid freuen.“
Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Wütend atmete ich aus. „Ich bin keine Puppe!“, brachte ich schließlich unter zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Entschuldigung, natürlich siehst du heute auch wunderschön aus. Offene Haare stehen dir vorzüglich!“ Unerwartet strich er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ich hatte kurz das Gefühl, als würde er mich küssen wollen. Seine Hand streifte an meiner Wange und erneut überlief mich das bekannte Kribbeln.
„Hm. Paul Mitchell Shampoo, Lavendel?”, fragte er mich sanft. Wahrscheinlich sollte es mir zuwider sein, wenn ein Mann, der zugleich mein Entführer war, an meinen Haaren roch, doch stattdessen lief mein Kopf so rot an, wie die Farbe einer Tomate.
„Wüsste nicht was sie das angehen sollte.“, murmelte ich leise und entzog ihm meine Haare.
Sein Gesicht verzog sich kurz verärgert, sogleich fasste er sich aber wieder und lächelte deutlich amüsiert. „Du kannst mich gerne William nennen.“
William? Was für ein ungewöhnlicher Name in der heutigen Zeit, dachte ich mir und widerholte den Namen sicher eine Millionen Mal in Gedanken. William. Wer er wohl war? Woher er wohl stammte? Einige Fragen bahnten sich ihren Weg in mein Bewusstsein, über die ich mir keine Gedanken machen sollte, da es sich ja bei diesem Mann immerhin um meinen Entführer handelte.
„Gibt es auch noch Nachtisch?“, erkundigte ich mich und versuchte mir meine innere Unruhe nicht anmerken zu lassen.
„Natürlich.“ William ließ meinen leeren Teller, auf dem sich vorher meine Leibspeise befunden hatte, fort bringen. Sogleich kam der Kellner mit dem Dessert herein.
„Was ist das?“ Der Nachtisch wurde auf einem Teller mit hohen Rand serviert in dem sich unzählige Streusel türmten.
„Ein Appel-Crumble, das ist ein Dessert aus der englischen Küche. Mein damaliges Lieblingsgericht. Dabei handelt es sich um mit Steuseln überbackene Früchte.“ Er beobachtete mich interessiert, als ich das erste Mal in meinem Leben einen „Crumble“ probierte. Es schmeckte köstlich. Süß, derart süß, sodass ich es in kurzer Zeit verschlungen hatte. Ich liebte, nein vergötterte süßes Essen.
„Schön, dass es dir schmeckt.“
Ich hielt kurz inne und schaute in seine grünen Augen. Was für ein eigenartiger Mann er war. Eigenartig und dennoch so fesselnd, als wäre er der einzige Mann auf der Welt, der mich glücklich machen könnte.
„Wieso bist du so freundlich zu mir?“
„Darf ein Entführer seine Geisel nicht verwöhnen?“, fragte er lächelnd.
„Wirst du mich umbringen?“
Sein Gesicht verzog sich voller Schmerz und ich konnte nicht verstehen, was ihn so beschäftigte.
„Nein, ich werde dich nicht umbringen“, sagte er, jedoch drückte sein gequältes Lachen, etwas anderes aus.
„Ich glaube für heute ist es genug. Morgen um 12 Uhr. Gute Nacht.“ Überraschend stand er auf und verließ den Saal, ohne mir noch einen weiteren Blick zu widmen.
Als ich ins Bett fiel, gingen mir hunderte von Gedanken durch den Kopf, die mich nicht zur Ruhe kommen ließen. Ständig quälten sie mich und ich drehte mich zum zehnten Mal auf die andere Seite. Immer wieder tauchten grüne Augen vor mir auf, die mich musterten und mir einen kalten Schauer über den Rücken jagten.
Wer war er?
„Aufstehen“, erklang die Stimme Linas in meinen Ohren, die sich schlimmer anhörte wie das nervige Geräusch eines Weckers. Meine Augen blieben geschlossen und ich hoffte darauf, dass sie dachte ich würde immer noch schlafen. Ein lautes Schnauben zeigte mir, dass dem nicht so war. Mit einem Ruck wurde mir die Decke entzogen. Wütend starrte ich Lina an, die wieder perfekt gestylt aussah.
„Es ist schon halb 12! Nur noch eine halbe Stunde und dann kommt Mr. Belford.“, sagte sie entnervt und begann meinen Kleiderschrank zu durchwühlen. Mühevoll richtete ich mich auf und sah ihr bei der Durchsuchungsaktion zu. Ich gähnte laut.
Scheinbar war sie fündig geworden, denn sie streckte mir ein kurzes, leicht ausgestelltes Kleid mit Volant oben und Kordelzug in der Taille entgegen. Es hatte die Farbe von Kirschen.
„Das hier ist perfekt!“, verkündete sie. Ich stimmte ihr zu. Das Kleid gefiel mir und es würde gut mit meinen Haaren kombinieren.
Außerdem warf sie mir noch einen roten Balconette-BH in Spitze und ebenfalls den passenden String neben mir auf das Bett. Ich lief rot an, als ich den halb durchsichtigen String betrachtete.
„Du kannst dich auch im Bad umziehen“, sagte Lina, die meine Röte als Schüchternheit verstand.
„Wieso muss ich mich überhaupt so schick machen?“
„Weil er es sagt“, antworte Lina mit einer Entschlossenheit, die mir eindeutig zeigte, dass sie ihm voll und ganz Untertan war.
„Mhm...“, grummelte ich und begab mich ohne eine weiteres Wort an sie zu richten ins Bad. Ich duschte ausgiebig und nutze die Luxusgüter im Bad. Wenn ich schon einmal hier war, konnte ich es auch ausnutzen, sagte ich mir und sprühte mich mit einem teuren Deo ein.
Meine Haare trocknete ich mit einem Handtuch und band es dann um meinen nassen Körper. Lina war nicht mehr in meinem Zimmer und ich war eindeutig erleichtert darüber. Ich schaute in den Kleiderschrank und nahm das rote Kleid vom Bügel. Ich strich liebevoll über den weichen Stoff. So etwas konnte ich früher nie tragen.
Ich spürte einen Blick auf mir ruhen. Abrupt drehte ich mich um und sah ihn. William
, der auf meinem Bett saß. Er betrachtete mich mit einem intensiven Blick, der mir erneut die Röte ins Gesicht rief.
„Was…was machen sie hier?“, fragte ich stotternd und raffte das Handtuch so gut es ging um mich herum. Er wies mit einem Kopfnicken auf den Wecker neben meinem Bett; 12:05 Uhr. Oh nein…!
Lina, dieses Miststück! Sie hatte es mir nicht einmal sagen können, regte ich mich auf und ballte die Fäuste. William inspizierte währenddessen die Unterwäsche, die noch auf meinem Bett lag. Ich rannte, so schnell es mit dem Handtuch möglich war, zu ihm hin und riss die Spitzenunterwäsche an mich. Er grinste.
„Guten Morgen Aurelia.“, sagte er sanft und widmete seine Blicke wieder prüfend auf mich. Ich merkte sofort, wie sie sich auf gewisse Körperteile richteten und prüfte, ob sie auch gut verdeckt waren. Als dies der Fall war baute ich mich wüten vor ihm auf. Meine Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Ein Gentleman platzt nicht einfach in den Raum einer Lady“, äußerte ich mich aufgebracht. William lächelte verschmilzt.
Sein Ton wurde ernst. „Ich bin kein Gentleman und du bist keine Lady – du bist meine Gefangene!“ In Sekundenschnelle war er aufgestanden, sodass er nun direkt vor mir stand. Ich roch sein Parfüm, darunter aber auch noch einen Hauch von Wald und Wiese. War er draußen gewesen? Und seit wann war er so groß? Neben ihm kam ich mir vor wie ein kleines Kind, obwohl ich mit meinen 1,69 cm nicht zu den Kleinsten gehörte. Er strich mir eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und fuhr mir über die Wange. Ich wich einen kleinen Schritt zurück, doch sofort hielt er mich mit seinen starken Händen fest. Auf seinen muskulösen Armen zeichneten sich bei der Anspannung leicht die Venen ab. Heute hatte er keinen Anzug an und in T-Shirt und Jeans sah er aus wie ein normaler Mann, ein besonders gutaussehender Mann.
Seine Berührungen ließen mich erstarren.
„Ihr seid so zerbrechlich“, sagte er, als er die roten Flecken auf meinen Oberarmen bemerkte, die seine fester Händedruck hinterlassen hatte. Erst dann fiel mir der Schmerz seiner Berührung auf.
„Was fällt dir ein!“, schrie ich und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Es hinterließ keine Rötung.
William schaute mich verdutzt an. Also hatte es doch nicht seine Wirkung verloren, dachte ich mir und riss erneut mein Handtuch nach oben, da es wieder etwas nach unten gerutscht war.
„Wie kannst du es wagen“, knurrte er und drängte mich gegen die Wand. Er hielt mein Gesicht mit einer Hand fest und drückte mein Kinn nach oben. Ich konnte mich nicht wehren. Wie ein schutzloses kleines Mädchen war ich in seinen Händen, was mich so hilflos wirken ließ und ich mochte es ganz und gar nicht hilflos zu sein. Ich presste meine Lippen zusammen, um ihm nicht irgendwelche Flüche an den Kopf zu schmeißen, die sicher alles nur schlimmer gemacht hätten.
„Bitte…“, versuchte ich es, doch mein Mund war wie versiegelt. Seine grünen Augen nagelten mich fest, als könnten sie bestimmen was ich zu tun hatte.
„Du wagst es mich zu schlagen?“, fragte er drohend. „Vergiss nicht wer hier der Herr im Haus ist!“ Sein Gesicht verzog sich zu einer wütenden Fratze. Mein Herz hämmerte wie verrück. Dieses Mal nicht aus Leidenschaft, sondern aus Angst.
„Ich wollte nicht…“, begann ich und versuchte mein Gesicht von diesen Augen wegzudrehen. Doch William hielt mich unerbittlich fest.
„Du wolltest nicht?“ Sein Mund verzog sich zu einem bösen Lachen. Er nahm meine andere Hand, die versuchte mein Handtuch zu halten und drückte sie ebenfalls gegen die Wand, sodass ich mich überhaupt nicht mehr wehren hätte können. Würde er mich jetzt umbringen, fragte ich mich und zitterte leicht.
Als mein Handtuch hinunterrutsche war es, als würden damit meine Selbstachtung und mein Stolz verschwinden. Schließlich lag es auf dem Boden.
Völlig nackt stand ich vor dem Mann, der mein Entführer war.Verzweifelt versucht ich meine Hände loszureißen, doch es war hoffnungslos. Er schien es nicht einmal zu bemerken. Seine Augen wagten einen Blick nach unten und flogen dann erschrocken wieder zu mir. Sein Gesichtsaurdruck wurde wieder zärtlicher, als wäre ihm etwas Wichtiges ins Gedächtnis gerufen worden.
„Es tut mir leid“, flüsterte er. „Bitte zieh dich an. Ich warte draußen auf dich!“ Als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her, verließ er eilig das Zimmer und ließ mich völlig verängstig zurück.
Ich ließ mich auf die Knie fallen und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Doch mein Blick fiel immer wieder auf die Türe, hinter der William stehen musste. Vielleicht war es ja gut so, versuchte ich mir einzureden. Inzwischen war ich zu freundlich mit ihm umgegangen und er hatte mich nur daran erinnert, wieso ich hier war. Ich war kein Gast – ich war eine Gefangene.
Erneut zitterte ich. Er hat gesagt, du sollst dich anziehen, erinnerte ich mich und stand wie in Trance auf, zog mir das Kleid an, kämmte mir die Haare, trug etwas Schminke auf und setzte mich auf mein Bett, um mich zu sammeln.
Mein Atem hatte sich inzwischen wieder beruhigt und ich versucht mein Schicksal zu akzeptieren. Doch wie sollte man so etwas akzeptieren? Was war ich überhaupt für ihn? Was wollte er von mir?
Ich stand auf und zog mir gerade schöne, schwarze Sandalen an, als William in mein Zimmer trat.
„Bist du soweit?“, fragte er freundlich. Zu freundlich. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Ohne es zu wollen, warf ich ihm einen bösen Blick zu. William bemerkte es und senkte räudig die Augen.
„Ich bin soweit“, sagte ich entschlossen. Ich würde hier fortkommen, redete ich mir plötzlich ein und auch wenn das das letzte ist, was ich tue. Nie werde ich hier enden!
William führte mich in das Erdgeschoss des Hauses und ich bewunderte erneut die Schönheit des Gebäudes. Die Treppe, die wir hinunterlaufen mussten, erinnerte mich an die, die ich in dem Film „Titanic“ gesehen hatte. Erstaunt schnappte ich nach Luft und bewunderte das bis ins Detail verzierte Geländer. Er führte mich an der großen Tür, die höchstwahrscheinlich die Haustür war, vorbei und ich blieb verwirrt stehen.
„Geht es nicht da lang?“, fragte ich ihn und zeigte gerade aus. Er schüttelte den Kopf. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch ich ahnte, dass er erneut die kalte, gleichgültige Maske aufgesetzt hatte. Was für ein sonderbarer Mann, dachte ich mir. Und zu allem Überfluss, hatte er mich auch noch nackt gesehen, was mir außerordentlich peinlich war. Noch nie hatte ein Mann meinen Körper betrachten können. Ich hoffte, dass er es zu schätzen wusste. Doch war mir ebenfalls klar, dass er sicher ein anderes Kaliber gewohnt war und kein weiteres Interessen an einem Normalo wie mir hatte.
Ich seufzte.
„Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich und blickte über seine Schulter. Ich nickte. Wenn er mir nichts sagte, würde ich ihm auch nichts erzählen, dachte ich mir und stolzierte an ihm vorbei.
„Falsche Richtung“, sagte er und führte mich einen Gang entlang, der an einer unscheinbaren Tür endete. William öffnete diese und hielt sie mir auf. „Wenn ich bitten darf.“
Wir befanden uns in einem Garten, der von großen Mauern und Torbögen umrahmt war. In der Mitte gab es einen prächtigen Brunnen in dem das Wasser alle drei Sekunden nach oben schoss. Die Blumen in den Beeten blühten in allerlei Farben. Es roch fantastisch. Als mir vor Staunen der Mund offen stehen blieb, grinste William. „Dahlien“, flüsterte er und betrachtete eine rosafarbene Blüte. In seinem Blick lag etwas Trauriges und ich fragte mich fieberhaft, was ihn bedrückte. Er bemerkte meinen Blick und wand sich ab. „Hier lang!“ Ich folgte ihm auf einem der vielen gepflasterten Wege, die am Brunnen vorbeiführten. Die Sonne stand bereits hoch am Horizont und wärmte meine Haut. Angesicht meiner Situation, fühlte ich mich fast zu wohl. Mein Blick verfinsterte sich.
Nach ein paar Minuten erreichten wir einen hohen Torbogen. Das Gitter war verschlossen. Natürlich ist es zu, dachte ich mir. William holte einen alten, großen Schlüssel aus seiner Hosentasche. Neugierig verfolgte ich jede seiner Bewegungen. Vielleicht war dieses Tor mein einziger Fluchtweg. Hier draußen schien sich niemand vom Personal aufzuhalten. Mit einem Klick öffnete sich das Gitter knirschend. „Nach dir“, sagte William und fügte lächelnd ein lang gedehntes „Aurelia“ hinzu.
Ich beachtete seine Höflichkeit nicht und trat hinaus. Vor mir befand sich der Anfang eines Waldstückes. Die Bäume warfen gespenstische Schatten. Hier, wohnte wohl keine Menschenseele und um jemanden loszuwerden, schien dies der perfekte Ort zu sein. Abrupt drehte ich mich um. William blieb überrascht stehen und stieß fast mit mir zusammen. Er war mir so nah, dass ich sein Parfüm riechen konnte. William blickte zu mir herab. Er hob seinen Arm und für einen kurzen Moment dachte ich mir, er wolle über meine Wange streichen. Doch er ließ die Hand wieder sinken. Ich nuschelte ein leises „Sorry!“ und nahm Abstand. William ging an mir vorbei auf den Wald zu. Als ich ihm folgte, fragte ich mich, wieso ich mich entschuldigt hatte, wenn er es doch eigentlich musste.
Tag der Veröffentlichung: 14.05.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
„Bücher begleiten uns durch unser Leben. Sie sind Mittel unserer Menschwerdung, sie vertiefen unser Bewußtsein.“