13. Kapitel
Holz splitterte und Vögel flatterten aufgeschreckt durch die Luft. Im Stamm einer riesigen alten Eiche prangte ein faustgroßes Loch. Anthony konnte vor Wut kaum an sich halten. Seine Faust war blutig doch die Wunden heilten bereits wieder.
Was war nur in ihn gefahren? Sonst war er derjenige der verführte. Keine Frau konnte ihm widerstehen. Das lag an der düsteren Macht eines Vampirs; um leichter an seine Beute zu gelangen wirkte er sehr attraktiv auf das andere Geschlecht.
Er war der Jäger, nicht die Beute. Doch in dieser Nacht schien alles verkehrt herum gewesen zu sein. Er hatte sich hinreißen lassen. Miranda hatte längst vergessene Gefühle in ihm geweckt, die er eisern versucht hatte zu verdrängen. Als Jäger der Nacht konnte er sich keine Emotionen erlauben. Wenn er sie das nächste Mal sah, würde er sie gnadenlos töten und ihr Blut nehmen. Dann würde er wieder zur Vernunft kommen.
Er sah noch ihren leicht verwirrten Blick vor sich. Kurz bevor er sie küssen wollte hatte ein Widerstand in diesen hübschen Augen aufgeblitzt, der sein Verlangen nur noch mehr geschürt hatte.
Je mehr er versuchte die Erinnerungen zu verscheuchen, desto verwirrendere Bilder beschwor er damit herauf. Er sah Miranda in einem altmodisch geschnittenem roten Kleid vor sich. Wie sie auf einem großen Himmelbett saß und die Hand nach ihm ausstreckte.
Entschlossen schüttelte Anthony den Kopf, versuchte die Bilder loszuwerden, die ihn nur noch schwer atmen ließen. Diese Frau war wirklich nicht gesund für seinen Verstand.
Je schneller sie tot war, desto besser.
Miranda saß im Schneidersitz auf dem Fußboden ihres Zimmers. Den Skizzenblock auf dem Schoß, den Bleistift gespitzt in ihrer rechten Hand.
Sie hatte einfach nicht die geringste Idee für ihr nächstes Bild.
Verärgert betrachtete sie das rote, neue Kleid, welches wie ein Mahnmal auf einem Kleiderbügel neben ihrem Spiegel hing. Nach den Ereignissen der letzten Nacht bezweifelte sie, ob es wirklich klug gewesen war, es zu kaufen. Sie wollte Anthony nicht noch einmal provozieren. Schließlich hatte er sie letzte Nacht fast gebissen, hätte sie nicht vor ihm flüchten können.
Andererseits, bei dem Gedanken an seine Küsse schlug noch immer ihr Herz schneller. Ihre Haut brannte in der Erinnerung an seine Lippen. Hatte er sie wirklich beißen, oder am Ende nur küssen wollen?
Miranda schüttelte entschlossen den Kopf.
Nein, er ist ein Vampir! Ihm geht es nur darum das Blut seiner Opfer zu trinken und sie zu töten. Es wäre dumm von mir zu denken, ich wäre da eine Ausnahme. Warum sollte ich für ihn anders sein, als seine anderen Opfer?
Verdrießlich blickte Miranda das hübsche Kleid an.
Aber es wäre schade drum, es ungetragen dort hängen zu lassen!
Es war das perfekte Wetter für einen Sonntagsspaziergang und Miranda fiel in ihrem Zimmer wortwörtlich die Decke auf den Kopf.
Ja, der ein oder andere Passant guckte sie etwas seltsam an, aber das war ihr egal. Man sah halt nicht jeden Tag jemanden in einem knallroten Kleid durch den Park laufen.
Miranda war auf dem Weg zu einer alten Villa am Ende des Parks von der sie wusste, dass sie schon lange leer stand. Sie hatte ihre Kamera mitgenommen, um ein paar Fotos zu machen, die sie später vielleicht als Vorlage für eine neue Zeichnung nehmen könnte.
Die Villa war mit Bauzäunen aus Metall umringt, die jedoch schon so lange dort standen, dass Miranda an einer Stelle an der sie bereits schief standen mühelos in den verwahrlosten Garten vor dem Haus gelangen konnte.
Sie hörte viele verschiedene Vögel in den Bäumen singen. Ansonsten war es angenehm still. Keine Menschenseele verirrte sich für gewöhnlich hierher.
Die Vordertür war abgesperrt, deshalb ging Miranda einmal um das Haus herum. Es war aufregend. Sie hatte das Haus bis jetzt immer nur von Außen betrachtet. Ihr Herz schlug vor Aufregung schneller. Sie kam sich ziemlich mutig vor, als sie auf die zerfallene Veranda hinter dem Haus stieg und durch ein Fenster spähte.
Es befanden sich keine Möbel mehr im Haus. Alles war eingestaubt und hier und dort lagen ein paar verwelkte Blätter. Irgendwo musste ein kaputtes Fenster sein.
Tollkühn betätigte Miranda den Türgriff der Verandatür und war erstaunt, dass diese sich leicht und unter leisem Quietschen öffnen ließ. Sie blickte sich noch einmal um. Der Garten grenzte an einen dunklen Wald. Die Bäume wuchsen so dicht, dass es sogar bei Tag dort beängstigend düster war. Miranda bekam eine Gänsehaut bei diesem Anblick und drehte sich schnell um.
Die alten Holzdielen knarrten unter Mirandas Füßen. Die Wände des Zimmers waren weiß gestrichen genau wie die hohe Decke. Hier würde sie fantastische Fotos machen können. Vorsichtig zog sie ihre Schuhe aus und stellte sie neben die Verandatür, genau wie ihre kleine Tasche.
Die Kamera surrte leise, als Miranda sie einschaltete und auf Selbstauslöser einstellte. Sie platzierte sie in einer der staubigen Fensterbänke und huschte schnell an die gegenüberliegende Wand um sich in Pose zu bringen.
KLICK KLICK
Schnell tippelte Miranda zurück um die Kamera erneut auf Selbstauslöser zu stellen und huschte dann wieder an die andere Wand. Das wiederholte sie mindestens zehn bis zwanzig Mal, bis ihr keine hübschen Posen mehr einfallen wollten. Dann wurde sie plötzlich mutig. Neugierig schlich sie sich ins Nächste Zimmer und entdeckte eine große Treppe, die in den ersten Stock zu führen schien. Aufgeregt stieg sie Stufe für Stufe hinauf. Sie konnte kaum erwarten, was sie wohl dort oben vorfinden würde.
14. Kapitel
Miranda hatte den ersten Stock erreicht und folgte nun einem langen Flur. Alle Zimmer waren offen, die Sonne schien herein und erhellte dadurch den schmalen Gang. Gedankenverloren strich sie sich ein paar Locken aus dem Nacken, welche sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatten. Die Tür des letzten Zimmers allerdings war geschlossen. Natürlich konnte Miranda nicht widerstehen und ging weiter darauf zu. Die Tür war nur angelehnt, ließ sich leicht aufschieben.
Der Anblick der sich ihr bot verschlug ihr schier den Atem.
Dort stand doch tatsächlich ein riesiges Himmelbett! Und wäre das nicht schon verwunderlich genug lag dort im gleißenden Sonnenlicht ein junger Mann. Und es war nicht irgendein Mann. Zu Mirandas Entsetzten handelte es sich bei dem Mann, der da engelsgleich wie eine Mamorstatue mit bloßem Oberkörper schlief um Anthony!
Das gesamte Arrangement wirkte wie ein meisterhaftes Ölgemälde. Miranda war gleichzeitig entzückt und verängstigt von diesem schrecklich, schönen Anblick. Sie konnte nicht widerstehen und knipste ein Foto von dieser himmlisch anmutenden Szene.
Sie erschreckte sich vor dem lauten Klicken der Kamera uns sah ängstlich zu Anthony. Dieser schlug schlagartig die Augen auf. Er sah wütend aus.
Wie eine Raubkatze erhob er sich langsam. Miranda betrachtete fasziniert das Licht und Schattenspiel auf seinen Muskeln. Wenn er nicht ein Vampir gewesen wäre, der sie töten wollte und sie nicht vor Angst fast gestorben wäre, hätte sie ihn tatsächlich gefragt, ob sie ihn hätte malen dürfen, so wundervoll sah er gerade aus.
Aber diesmal wollte sie nicht den gleichen Fehler wie letzte Nacht machen und ihn wieder so nah an sich heran lassen. Sie nahm die Beine in die Hand und rannte so schnell sie ihre Füße trugen den Flur entlang und flog förmlich die große Treppe hinunter, rannte durch die riesigen Zimmer zurück zu der Verandatür. Sie wagte es nicht stehen zu bleiben und ihre Tasche und ihre Schuhe aufzusammeln. Rannte immer weiter und stolperte über einen großen Ziegelstein. Fluchend landete sie auf dem Bauch und ließ dabei ihre Kamera fallen.
Egal!
, dachte sie panisch, nur schnell weg hier!
Sie eilte durch den Park, bis sie die ersten Spaziergänger sehen konnte. Erst da blieb sie stehen und bemerkte, dass ihre Lungen zu zerspringen drohten. Nur noch keuchend bekam sie Luft. Ihre Knie gaben nach, gerade noch schaffte sie es sich auf eine Bank zu setzen.
Ihr Atem ging immer noch stoßweise.
Oh Gott war das knapp!
Sobald ihre Beine sie wieder trugen ging sie langsam weiter. Dieser Ausflug war ganz und gar keine gute Idee gewesen.
Anthony wusste nicht genau, ob er geträumt hatte oder ob Miranda gerade wirklich in einem roten Kleid, von der Sonne leuchtend, betörend schön vor ihm gestanden hatte. Er hatte geglaubt er würde halluzinieren bis sie verängstigt davon gelaufen war. Eigentlich hatte er ihr nachgehen wollen, war aber zu schwach gewesen. Tagsüber schlief er für gewöhnlich, schließlich war er nachtaktiv als Vampir und somit am Tag kaum zu gebrauchen.
Es wunderte ihn, dass sie ihn überhaupt gefunden hatte. Diese verlassene Villa war ihm doch als perfektes Versteck erschienen und dann kreuzte dieses Mädchen hier auf. Sie schien sich zu Gefahren magisch hingezogen zu fühlen. Wie die Motten zum Licht.
Anthony war zu müde um noch weiter darüber nachzudenken. Erschöpft lies er sich zurück auf das weiche Bett fallen. Heute würde sie bestimmt nicht noch einmal herkommen. Und über alles andere konnte er sich immer noch in der nächsten Nacht Gedanken machen.
Miranda kam erschöpft zu Hause an und setzte sich auf ihr noch nicht gemachtes Bett. Ihre Füße taten höllisch weh. War sie doch barfuß durch Gestrüpp und über spitze Kieselsteine gerannt. Ihre Fußsohlen waren zerkratzt und dreckig, sie würde sie gleich erst einmal waschen müssen.
Viel größeres Kopfzerbrechen bereiteten ihr allerdings ganz andere Dinge. Zum einen hatte sie ihre Tasche mit samt Handy und Kamera in der alten Villa zurückgelassen, zum anderen war es ihr erst ganz normal erschienen, aber im Nachhinein viel Miranda auf, dass Anthony das Sonnenlicht nicht das geringste aus gemacht hatte!
Sollte sie sich jetzt etwa auch noch am Tag vor ihm fürchten? Wo sollte das noch hinführen? Konnte sie jetzt gar nicht mehr das Haus verlassen? Oder störte er sich nachher an dieser Regel auch nicht, und konnte ohne ihre Einladung einfach eintreten wie es ihm beliebte?
Ob sie es nun wollte oder nicht, sie brauchte Connors Schutz. Ohne ihn würde sie sich wohl nicht mehr sicher fühlen. Apropos: wo steckte er eigentlich schon wieder?
Connor ging ungeduldig auf und ab. Er war schon den ganzen Tag ziellos durch die Gegend gelaufen. Die da oben ließen sich echt lange Zeit mit ihrer Entscheidung.
Gerade wollte Connor noch meckern, da spürte er eine gewaltige Energie ihn durchströmen. Und plötzlich hallte eine Stimme in seinem Kopf, die klang als wäre es ein Chor aus tausend Stimmen.
„Dir wurde soeben der Schutzdienst für das Menschenkind Miranda zugeteilt. Dein derzeitiger Schützling wird von einem anderen Engel übernommen. Halte dich stets an die Regeln, wir beobachten dich.“
„Natürlich, und vielen Dank,“
antwortete Connor in Gedanken.
Er konnte sein Glück kaum fassen. Sogleich spürte er die unsichtbare Silberschnur, die Schutzengel mit Schützling verband. Er wollte Miranda gleich die frohe Botschaft mitteilen, als ihm einfiel, dass auch das ein Regelverstoß wäre.
Warum ist nur alles so verdammt kompliziert?
Verzweifelt überlegte er, wie er bei ihr sein konnte ohne die Regeln zu brechen. Es musste doch einen Weg geben, die da oben kurzzeitig auszublenden?
Da fiel Connor ein alter Freund von ihm ein. Einst war er ein Priester der Kirche gewesen. Hatte aber irgendwann seinen Glauben verloren. Nun beschäftigte er sich mit zwielichtiger Magie. Aber warum sollte man nicht zu seltsamen Mitteln greifen, wenn es sich um einen seltsamen Fall handelte?
Jetzt musste er diesen alten Freund nur noch finden.
Tag der Veröffentlichung: 21.10.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Vielen Dank an alle fleißigen Leser ;) Und es tut mir leid, dass es gerade nur schleppend weiter geht :( Habe gerade nicht so viel Zeit zum Schreiben ^^
So und nun viel Spaß beim Lesen ;)