9. Kapitel
Miranda betrachtete sich in ihrem großen,weißen Spiegel. Das rote Kleid stand ihr gut, betonte ihre helle Haut.
Jetzt stellt sich nur noch die Frage
, überlegte sie, zu welchem Anlass kann ich ein solch auffälliges Kleid tragen?
Seufzend ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Dann fiel ihr ein, was dieser 'Jack' ihr auf der Geburtstagsparty neulich erzählt hatte, Er hat doch erzählt, dass in zwei Wochen hier in der Stadthalle ein Musical aufgeführt wird? Vielleicht bekomme ich dafür ja noch Karten. Das wäre der perfekte Anlass für das Kleid!
Aber heute Abend wollte sie wieder einmal mit Lara los. In einer anderen Disco als in der, in die die zwei sonst gingen, war irgendein Special-Event. Irgendwas mit Gewinnspielen und so. Jedenfalls wollte Lara da unbedingt hin. Und damit sie auch etwas trinken konnte hatte sie tatsächlich ihren Exfreund Jason überreden können Fahrer zu sein.
Nun, es war bereits zwanzig Uhr, Miranda machte sich daran ihren Kleiderschrank zu plündern. Bis sie etwas gefunden hatte verging immer eine halbe Ewigkeit. Aber dann war es geschafft und sie betrachtete sich erfreut im Spiegel.
Jetzt kann's losgehen!
Sie mussten über eine halbe Stunde anstehen. Dann waren sie endlich am Türsteher vorbei, bekamen ihren Stempel auf den Handrücken und stürzten sich in die Menge. Es war eine Disco mit mehreren Räumen in denen unterschiedliche Musikrichtungen vertreten waren. Lara ließ ihren üblichen Spruch verlauten: „Wollen wir mal rumgehen?“
„Klar, erst einmal schauen wer so da ist,“ war Mirandas ebenfalls übliche Antwort darauf.
Lara ging voraus, Miranda an der Hand hinter sich herziehend. Jason hatte sich an eine Theke verzogen.
Der Bass der Musik dröhnte im Bauch, brachte Mirandas Herzschlag durcheinander. Genau das war es, was sie so an Discotheken liebte: Bei lauter Musik, sich in der Menge verlieren.
Lara kannte diesmal nicht jeden zweiten Typen. Das hier war nicht ihre Stammdisco, demzufolge waren auch nicht die Leute da, die sie kannte. Miranda gefiel das Neue. Es kribbelte auf ihrer Haut, war angenehm aufregend. Gesichter schwammen an ihr vorbei, wurden nur flüchtig wahrgenommen. Hier und da ein Lächeln oder ein vielsagender Blick, und weiter durch die Menge. Bloß nicht stehenbleiben. Ihre Füße bewegten sich beim Laufen automatisch im Rhythmus der Musik.
Dann blieben sie in einem der Räume auf einer Erhöhung stehen um die Menge überschauen zu können. Miranda war ganz kribbelig, zog Lara an der Hand aufmunternd auf die Tanzfläche. Der DJ spielte einen Song bei dem jeder mitsingen konnte. Der Chor der tanzenden jungen Leute ertönte im perfekten Timing zu jedem Refrain des Songs. Miranda schloss die Augen und tanzte, ließ sich treiben, mitreißen von der Menge.
Dann riss sie ein Quietschen von Lara aus ihrer Trance. Sie blickte sich suchend um und erkannte das Gesicht von Jelana, einer von Laras besten Freundinnen. Die drei Mädchen umarmten sich herzlich und nahmen Jelana in den Tanzkreis auf.
Nach einer Weile schrie Miranda Lara ins Ohr: „ Ich muss mal, kommst du mit?“
Aber die wollte lieber mit Jelana was trinken, sie versprach aber, an der Theke auf Miranda zu warten.
Gut, mit den Händen schützend voran bahnte sich Miranda, den tanzenden Menschen ausweichend, einen Weg in Richtung WC. Das eine oder andere Mal bekam sie dabei einen Ellenbogen ab, manchmal auch einen Tritt auf den Fuß. Als sie sich nach jemanden umdrehte, der sie besonders heftig geschubst hatte, traute sie ihren Augen kaum: Nur wenige Meter von ihr entfernt stand Connor.
Er schien sie noch nicht gesehen zu haben, sah sich aber suchend um. Miranda versuchte zu ihm zu gelangen, aber eine ziemlich breite Person versperrte ihr den Weg. Sie tauchte geschickt unter fuchtelnden Armen hindurch, vorbei an achtlos tanzenden Pärchen, aber sie verlor ihn wieder aus den Augen. Verzweifelt stellte sie sich auf die Zehenspitzen und blickte sich um.
Was zum Teufel macht der überhaupt hier?
Sie ging ziellos weiter und erspähte von weitem Connors blonde Haare. Er trug ein schwarzes Hemd, was ihm außerordentlich gut stand, soweit Miranda das aus der Entfernung und bei dem bunten Discolicht beurteilen konnte.
Stolpernd zwängte sie sich zwischen einer Gruppe leicht bekleideter Mädchen hindurch und bekam Connors Ärmel zu fassen. Der drehte sich verwirrt um erkannte Miranda aber schnell und lächelte sie an. Es war so laut, dass Miranda ihr eigenes Wort kaum verstand. Also musste sie Connor direkt ins Ohr sprechen und kam ihm dabei sehr nahe.
„Was machst du denn hier?! Haben Engel etwa auch mal ein freies Wochenende?!“ neckte sie.
Connor konnte ihren warmen Atem an seinem Ohr spüren. Um Miranda zu antworten musste auch er ihr direkt ins Ohr sprechen. Dafür beugte er sich zu ihr herunter und nahm den Duft ihres Parfüms wahr. Es war der gleiche Duft, den sie auch in der letzten Nacht getragen hatte. Ihre Nähe brachte ihn leicht durcheinander. Natürlich war er ihretwegen hier, aber das wollte er ihr nicht so direkt sagen. Stattdessen antwortete er: „Ich bin nur hier um auf meinen Schützling aufzupassen, aber ich habe ihn gerade verloren. Weißt du, er ist so jemand, der trinkt, bis er am nächsten Tag nichts mehr vom Abend weiß.“
Das war nicht die Antwort, die Miranda erwartet hatte. Sie war enttäuscht, hatte damit gerechnet, dass er ihretwegen hier war. Trotzig blickte sie ihn an und ließ seinen Ärmel los.
Warum bin ich ihm überhaupt hinterher gelaufen? Wie peinlich! Jetzt denkt er, dass er mir so wichtig ist, dass ich ihm nachrenne! Warum sollte er auch wegen mir hier sein? Natürlich denkt er nur an seine Pflicht. So ein Idiot! Hätte ich ihn nur nicht angesprochen...
Miranda war zornig. Zum einen auf Connor, zum anderen auf sich selbst. Sie hatte einen Kloß im Hals und wollte nur noch weg von ihm. „Dann noch viel Spaß beim Suchen!“ schrie sie ihm noch zu. Beleidigt und in ihrem Stolz verletzt drehte sie sich um und verschwand wieder in der Menschenmenge. Sollte er doch bleiben wo der Pfeffer wächst!
Connor sah ihr wehmütig nach. Wie gern wäre er ihr jetzt hinterher gegangen!
Er hatte schon wieder die falsche Entscheidung getroffen. Er hätte nicht hierher kommen sollen. Genauso wenig, wie er in ihr Schlafzimmer hätte schleichen sollen. Immer noch sah er den enttäuschten Ausdruck in ihren Augen vor sich.
Sie ist mir gefolgt. Sie hat mich angesprochen und sich gefreut, dass ich hier bin! Und ich Idiot weise sie ab!
Um sich nicht ganz und gar selbst zu zerfleischen wollte er diesmal tatsächlich nach seinem Schützling suchen. Denn was er Miranda erzählt hatte war nicht gänzlich gelogen gewesen. Dieser Idiot auf den er aufpassen musste torkelte tatsächlich hier irgendwo rum. Connor musste ihn nur finden.
Lustlos hielt er Ausschau. So viele Menschen an einem Ort! Das war für Connor irgendwie unverständlich. Er mochte es lieber genug Platz um sich herum zu haben. Wenigstens eine Flügelspanne.
Er ließ weiter seinen Blick schweifen als er plötzlich etwas entdeckte, was ihm ganz und gar nicht gefiel.
10. Kapitel
Schon von Weitem konnte Anthony sie riechen. Er erkannte sie allerdings nicht an ihrem Parfüm, sondern an ihrem ganz eigenem Duft, der von ihrer Haut ausging. Etwas, was der menschliche Geruchssinn kaum wahrnimmt.
Sie bewegte sich anmutig im Rhythmus der dröhnenden Musik. Für Anthonys Geschmack war die Musik zu laut. Als Vampir waren seine Sinne schärfer als die der Menschen. Raubtierhaft bewegte er sich durch die Massen ohne jemanden auch nur zu streifen. Wie ein Jäger die Augen immer auf sein Ziel gerichtet.
Miranda hatte Lara und Jelana relativ schnell wiedergefunden und war mit den beiden wieder auf die Tanzfläche gestürmt als ein Song gespielt wurde, der zu ihren Lieblingsliedern zählte. Miranda tanzte etwas enger mit Jelana und sah sie dabei verschwörerisch an. Sollten die Typen um sie herum ruhig was zu gucken haben. Denn dafür waren sie schließlich hier: Um zu flirten, um Spaß zu haben, ein bisschen zu spielen.
Nach der unerfreulichen Begegnung mit Connor machte es Miranda nur noch mehr Spaß ein wenig zu provozieren. Hoffentlich sah er sie, sah was ihm entging.
Mit einem Mal flüsterte ihr jemand von hinten etwas ins Ohr: „Amüsierst du dich, Prinzessin?“
Ein Schauder lief ihr den Rücken herunter als sie Anthonys Stimme erkannte. Unweigerlich musste sie an ihren Traum denken. Sah ihn sehr real vor sich.
Er legte seine Hände sanft auf ihre Hüften und begann sich mit ihr im selben Rhythmus zu bewegen. Mirandas wusste nicht mehr was richtig oder falsch war.
War es falsch, dass ihr Herz bei seiner bloßen Anwesenheit schneller schlug? War es falsch, sich zu wünschen, dass er sie nicht töten sondern verführen würde? War es falsch, hier zu bleiben und nicht vor Angst weg zu rennen? Und wenn dass alles falsch war, warum gefiel es ihr dann so gut?
Gefangen im Rhythmus bewegten sie sich immer weiter. Der Tanz wurde enger, vertrauter als Miranda ihre Hände auf seine legte, ihn führen ließ. Seine Wange lag an ihrer und sie konnte nicht mehr denken nur noch fühlen. Nur noch unklar nahm sie war, wie Lara und Jelana sie kichernd ansahen. Verloren in seinen Armen lies sie ihn den Takt vorgeben. Mutig legte sie ihm eine Hand in den Nacken, spürte seine Lippen an ihrem Hals. Sein kurzes Haar kitzelten an ihrer Handfläche und seine Haut war gar nicht mehr kühl, wie sonst immer. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie ihn jetzt für einen gewöhnlichen Menschen gehalten.
Anthony drehte sich mit ihr weg von den beiden anderen Mädchen. Sie gafften ihm zu viel. Er konnte das Leben in Miranda pulsieren spüren, fühlte sich dadurch selbst fast wieder lebendig.
Es kostete ihn viel Überwindung sie nicht an Ort und Stelle zu beißen. Duftete sie doch durch die Aufregung noch lieblicher als zuvor. Als sie dann seinen Kopf näher an sich zog, seine Lippen den Puls an ihrem Hals berührten, war es fast mit ihm durchgegangen.
Doch inzwischen wollte er nicht nur noch einfach ihr Blut und sie damit töten. Es wäre viel zu schade um sie. Anscheinend hatte Miranda kaum noch Angst vor ihm. Vielleicht sollte er ein bisschen mit ihr spielen, sie am Leben lassen? Solange bis er ihrer überdrüssig würde?
Miranda öffnete träge die Augen, sie hatten sich von den Mädchen entfernt. Im Moment war es ihr egal. Die beiden würden ihr schon Bescheid sagen, wenn sie nach Hause wollten. Ihre Blicke streiften unbekannte Gesichter welche in allen Farben der Scheinwerfer leuchteten. Doch an einem Gesicht blieb ihr Blick überrascht hängen. Miranda spürte einen kleinen Stich im Herz als sie in Connors entsetztes Gesicht schaute.
Tausend Gedanken schienen auf einmal in Mirandas Kopf zu kreisen.
Oh, das wollte ich nicht! Was denkt er jetzt von mir? Hab ich ihn damit verletzt? Andererseits hat er mir zu verstehen gegeben, dass er kein Interesse hat! Dann soll er auch nicht so doof gucken! Warum mache ich mir überhaupt Gedanken darüber, was er denkt? Und so gefährlich, wie er gesagt hat, ist Anthony scheinbar ja doch nicht! Guck ruhig weiter Connor. Du hättest jetzt an Anthonys Stelle sein können!
Unweigerlich stiegen Miranda bei Connors Anblick Tränen in die Augen. Sie drehte sich weg und zog Anthony hinter sich her. In diesem Moment gerne im Erdboden versunken.
„Sieh nicht hin,“ flüsterte Anthony ihr ins Ohr, „Dein verklemmter Heiliger versteht nicht das geringste von Leidenschaft und Sinnlichkeit. Du würdest mit ihm die falsche Wahl treffen.“
Miranda war total durcheinander. Am liebsten hätte sie sich an Anthony gekrallt und bitterlich geweint.
Aber diese Blöße wollte sie sich nicht geben. Sie entschied sich dafür sich von Anthony zu lösen und nach Lara und Jelana zu suchen.
Doch Anthony wollte sie nun nicht so schnell gehen lassen und hielt sie an den Schultern fest, hinderte sie am gehen. Sein Griff war fest und bestimmt. Angst flatterte in Miranda auf, begann im Bauch und ließ ihre Beine fast taub werden. Sie hatte mit dem Feuer spielen wollen. Hatte sich für den „bösen Jungen“ entschieden. Jetzt würde sie sehen, was sie davon hatte.
Tag der Veröffentlichung: 25.09.2011
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