Die Fliege im Spinnennetz
Die Fliege und die Spinne/Fabel
Eine kleine Stubenfliege krabbelte auf einer Fensterbank, suchte und leckte mal hier, mal da ein winziges genießbares Krümchen oder Körnchen. In der oberen rechten Fensterecke spann eine Spinne ihr Netz, wobei sie die Fliege nicht aus den Augen ließ.
„Hallo Fliege, du bist ja ein ausgesprochen schönes Exemplar. Und so fleißig!“
Der Fliege schmeichelte das Lob.
„Aber mir scheint dein Tun doch sehr mühsam. Lebst gerade so von der Hand in den Mund. Und ein Häuschen hast du auch nicht. - Schau mal, was ich für einen prachtvollen Palast besitze!“, prahlte sie mit ihrem filigranen Netz.
„Ich sehe es; aber ich bin nicht neidisch! Ich bin zufrieden mit meinem kleinen Auskommen.“
„Aber du könntest viel besser dastehen! Von meiner Position, aus dem Zentrum des Netzes kann ich sehr weit und hoch schauen, kann alle Zusammenhänge erkennen! - So sehe ich zum Beispiel, dass dir Wohlstand und Anerkennung vorbestimmt sind. Du wirst reich sein, sehr, sehr reich! Du kannst das Gleiche haben wie ich. Du musst nur näher zu mir heran kommen.
Aber ich sehe auch, dass dein Reichtum, dein Wohlergehen bedroht sind. Es gibt Neider, die dir die Schätze nicht gönnen, die dich berauben werden.“
„Ach, was für schlimme Aussichten. Da bleibe ich lieber am Boden meiner Fensterbank. Hier gibt es keine Reichtümer; hier wird mich keiner berauben.“
„Nein, nein, mach dir nur keine Sorgen! Ich werde dich beschützen, dich bewachen. Ich spinne eine Netzhülle um dich, die keine Feinde an dich heranlässt! Bald sitzt du in einem eben so prachtvollen Märchenschloss wie ich. Komm, komm nur ganz nahe heran!“
Und während die Spinne die Fliege mit schönen Worten umgarnte, wickelte sie sie gleichzeitig gekonnt in ihr Spinnengewebe ein, dass diese sich nicht mehr bewegen konnte.
Bevor die arme Fliege wirklich begriff, was ihr geschah, sog die Spinne ihr gierig und genussvoll die Lebenssäfte aus!
(24.01.15) © Marlies Kühr
Impressum
Texte: All rights by Marlies Kühr
Bildmaterialien: All rights by Marlies Kühr
Tag der Veröffentlichung: 25.01.2015
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Rina und Leni