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Wanderung in den Frühherbst

Wanderung in den Frühherbst

 

Es hatte die ganze Nacht geregnet. Jetzt entschwand nach und nach der dichte Nebel und die ersten Sonnenstrahlen kamen zum Vorschein. Die Natur glänzte wie frisch gewaschen in sattem Grün: die Wiesen, die wuchtigen Bäume und ausladenden Büsche, die das schmale, aber tief eingeschnittene Bächlein, das aus den Bergen heruntersprang, säumten .

 

Hier, beim jüngsten Sohn und seiner Familie zu Besuch zu sein, war für mich ein ausgesprochenes Erlebnis. Ich liebe diesen südlichen Schwarzwald! Also zog ich mein festestes Schuhwerk an, welches ich in den Kurzurlaub mitgenommen hatte, die Enkelinnen - Helena drei und Katharina fünf Jahre - griffen sich ihre wasserdichten Gummistiefel, die Anoraks mit Kapuzen und die Große griff nach der Hundeleine. Sofort war der schwarze Labrador, von dem man bis dahin nichts gehört und gesehen hatte, auf den Beinen. Alle waren in Aufbruchstimmung. Also raus aus dem Haus, hinein ins Auto. Denn die ersten Kilometer bis zum Fuß des Gebirges, wo sich ein großer Parkplatz befand, fuhren wir. Dort schlossen wir den Wagen ab und die Wanderung begann.

 

Der steinige Weg stieg langsam aber sicher an und wand sich um den Berg. Für die Anstrengung wurden wir durch die weite offene Aussicht, die wir zur Talseite hatten, gründlich entschädigt. Völlig in Goldgelb , hellem Kupferrot und silbrigem Grün lag vor uns die Landschaft der Täler und sanften Hänge. Was für ein Augenschmaus! Ein Gemälde des größten Künstlers unter dem Himmel.

Dem Hund gefiel unser Unternehmen außerordentlich. Er rannte, sprang und tobte umher, wusste gar nicht, wo er seine Nase zuerst hineinstecken sollte. Seine Begeisterung war nicht zu übersehen.

Überall sang, pfiff und zwitscherte es. Vor allem die Drosseln waren zu hören. Dann ein ratschendes Krächzen. "Papa, ist das ein Eichelhäher?",fragte Helena

"Ja, er warnt die Tiere, weil wir eine Gefahr sein könnten."

 

Die klugen wissbegierigen Mädchen stießen immer wieder auf interessante Dinge:

Im Licht der Sonne glitzerten an den Sträuchern feine silberne Gespinnste mit Tautropfen. "Stimmt's Oma, wie richtige Perlenketten?". "Stimmt. Und weil es so aussieht wie von Frauen selbstgemachte Handarbeiten, darum nennt man diese Zeit jetzt auch Altweibersommer". Sie kicherten und hüpften umher:" Alte-Frauen-Sommer, Oma-Sommer..."

Schön geformte, herbstlich gefärbte Blätter sammelten sie.

"Papa, machst du mir bitte mal ein paar Zweige mit den schönen roten Beeren ab? Ich will sie zu Hause in die Vase stellen", bat Katharina. Die Mehlbeeren des Weißdornstrauches fanden ihre Aufmerksamkeit, ebenso wie einige Hagebuttenzweige für den geplanten Herbststrauß.

"Guck mal, Oma, Glockenblumen! Und das ist Lavendel!" Sie schnupperten daran."H-hm." Gegenseitig zeigten sie sich wildwachsenden Lavendel, gelbe Hahnenfußblüten, alles was sie erkannten.

"Guckt mal, Margeriten!" Die Große hielt mir einige Stängel der Wucherblume entgegen.

"Wunderschön wird euer Strauß", sagte ich. "Aber jetzt ist es genug. Ihr könnt es ja gar nicht mehr alles halten." Längst hatten sie uns das eine oder andere schon in den Stoff- oder Plastebeutel gesteckt. Von dem goldgelb leuchtenden Rauen Löwenzahn und dem ihm ähnelnden Kleinen Habichtskraut hatten sie schon eine Menge.

 

"Kommt mal schnell her, ich muss euch was zeigen", rief ihr Vater. An der Seite des Weges floss ein Rinnsal bergab. Die Mädchen flitzten hin. "Na, was seht ihr?" Sie schauten mit großen Augen. Nach kurzer Stille rief die Kleine:" Eine ...Lange, eine große Lange!" Das S-C-H- auszusprechen, fiel ihr noch schwer.

"Stimmt", sagte ihr Vater,"eine Schlange, eine Blindschleiche."

"Ist die giftig? Beißt die?", fragte Katharina, die Große, wie wir sie gelegentlich scherzhaft nennen.

" Nein, die ist ganz harmlos. Die kannst du sogar streicheln.- Willst du mal?" Sie zögerte. Doch der Vati hatte das Tierchen schon hochgenommen und führte die Hand des Mädchens vorsichtig darüber.

"Ich auch", sagte die Kleine, wobei sie sich schüttelte. Ihre Schwester strich noch einmal darüber.

"Jetzt ist's genug. Sie bekommt sonst Angst." Der Vater legte sie wieder an den Bachrand.

 

Wir waren am Ziel angekommen, auf einer freien Hochebene. Inzwischen war es angenehm warm. Die Mädchen hatten längst ihre Anoraks geöffnet und begannen, sich ihrer zu entledigen.

"Jetzt blickt euch einmal um!"

Wo sich die Wolken aufgelöst hatten, konnte man Kilometer weit schauen, in alle Richtungen, über leichten Nebel im Tal auf zauberhaft buntgefärbte Hänge unter dem blauen Himmel. Da gab es alle Farben, vom Achatgrün der Nadelwälder über hellbraun-rötliche Laubwälder, dazwischen die karminroten Flecken der Roteichen und Blutbuchen bis zu den weiß-gelb-gefleckten Birken. Und über allem strahlte die Sonne.

Was für ein Herbsttag!

 

Sept. 2012

Impressum

Texte: All rights by Marlies Kühr
Bildmaterialien: Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 09.07.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Enkelinnen Katharina und Helena

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